Die Regelung zur Aufschlagszahlung nach § 275c Abs. 3 SGB V ist nur auf Behandlungsfälle anwendbar, bei denen das Aufnahmedatum zur stationären Behandlung am oder nach dem 1. Januar 2022 liegt.
GSW Sozialgericht Berlin |
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(erste) Zustellung erfolgt am an
als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle |
Beschluss
In dem Antragsverfahren
… GmbH,
vertreten durch die Geschäftsführung … und …
…,
in Sachen: …
- Antragstellerin -
Proz.-Bev.:
D+B Rechtsanwälte …
gegen
Salus BKK,
Siemensstr. 5 A, 63263 Neu-Isenburg,
- Antragsgegnerin -
hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Berlin am 25. Juli 2022 durch ihre Vorsitzende, die Richterin am Sozialgericht …, beschlossen:
- Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 7. April 2022 gegen die Festsetzung der Aufschlagzahlung der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17. März 2022 wird angeordnet.
- Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Festsetzung der Aufschlagzahlung nach § 275c Abs. 3 SGB V.
Die Antragstellerin ist Trägerin eines zugelassenen Krankenhauses, in dem die bei der Antragsgegnerin versicherte Patientin P. (im Folgenden Patientin) vom 15. Juli 2021 bis 17. Juli 2021 stationär behandelt wurde.
Am 20. Juli 2021 stellte die Antragstellerin der Antragsgegnerin die entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 2.646,94 Euro in Rechnung.
Nachdem die Antragsgegnerin den Medizinischen Dienst Berlin-Brandenburg (MD) mit der Prüfung der Abrechnung beauftragte, zeigte dieser mit Prüfanzeige vom 22. September 2021 der Antragstellerin die Prüfung des vorliegenden Behandlungsfalles an. Der MD kam in einem Gutachten vom 23. Februar 2022 zu dem Ergebnis, dass die Patientin bereits am 16. Juli 2021 hätte entlassen werden können. Die per Krankenkassenkasseninformation (KAIN) übermittelte Leistungsentscheidung wurde am 26. Februar 2022 an die Antragstellerin gesandt.
Mit per KAIN übermittelter Entscheidung vom 17. März 2022 setzte die Antragsgegnerin die Aufschlagzahlung in Höhe von 300,- Euro gemäß § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V fest. Die KAIN Nachricht wurde von der Antragstellerin als Anlage übersandt und lautet wie folgt:
„Festlegung Aufschlag (Strafzahlung) KAIN 1551939511
Rechnung: 6009065211, 20.07.2021, gesendet: 17.03.2022, 03:16:51“
Gegen die Festsetzung der Aufschlagzahlung hat die Antragstellerin am 7. April 2022 Widerspruch eingelegt.
Am 15. Juli 2022 hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
Die Antragstellerin trägt vor, dass die Festsetzung der Aufschlagzahlung rechtswidrig sei, weil der Behandlungsfall nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich des § 275 c Abs. 3 S. 1 SGB V falle. Entscheidend für den zeitlichen Anwendungsbereich sei nicht die leistungsrechtliche Entscheidung, sondern das Datum der Aufnahme ins Krankenhaus. Der Wortlaut des § 275 c Abs. 3 S. 1 SGB V „Ab dem Jahr 2022“ sei auslegungsbedürftig. Der Gesetzgeber habe jedenfalls nicht geregelt, dass die leistungsrechtliche Entscheidung ausschlaggebend sein solle. Dafür, dass das Aufnahmedatum ausschlaggebend sei, spreche, dass die Aufschlagzahlung nur in Abhängigkeit von der quartalsbezogenen Prüfquote zu berechnen sei. Diese gelte erst ab dem Jahr 2022. Die Verschiebung der ursprünglich für den 1. Januar 2021 geplanten Einführung der Aufschlagzahlung sei aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben worden. Aus der Gesetzesbegründung zur Verschiebung der Einführung des Prüfquotensystems um ein Jahr folge, dass auch die auf der Prüfquote beruhende Aufschlagzahlung erst für Behandlungsfälle mit stationärer Aufnahme in 2022 gelten könne. Denn der Gesetzgeber habe zum Ausdruck gebracht, dass das gesamte Prüfquotensystem erst ab 1. Januar 2022 gelten solle. Auch aus dem Gesamtkontext des § 275c Abs. 3 S. 1 SGB V folge, dass das Aufnahmedatum zeitlicher Anknüpfungspunkt sei. Das in § 275c SGB geregelte Prüfquotensystem, sei Teil des MDK-Reformgesetzes. Dessen Änderungen seien am 22. Juni 2021 nach § 17c Abs. 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in der neuen Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) umgesetzt worden. Diese Stelle in § 14 eindeutig auf den Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus für den Beginn der Anwendbarkeit ab 1. Januar 2022 ab. Die Einführung des Prüfquotensystems werde durch die PrüfvV begleitet und umgesetzt. Aufgrund des engen Sachzusammenhangs sei hinsichtlich der Anwendbarkeit auf den selben Zeitpunkt abzustellen. Rein hilfsweise werde vorgetragen, dass allenfalls auf das Datum der Rechnungsstellung abzustellen sei. In der zwischen GKV-Spitzenverband und Deutscher Krankenhausgesellschaft e.V. Berlin geschlossenen „Übergangsvereinbarung zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c (Prüfverfahrensvereinbarung – PrüfvV) gemäß § 17 Absatz 2 KHG vom 03.02.2016“ seien Übergangsvorschriften ab 1. Januar 2020 in Hinblick auf das MDK-Reformgesetzt enthalten. In der Präambel sei geregelt, dass „die Regelung für einen Aufschlag für die Abrechnung von Behandlungsleistungen für Patienten gilt, für die ab dem 01.01.2020 eine Rechnung bei der Krankenkasse eingeht“. Das Datum sei entsprechend der Verschiebung des Geltungsbeginns des § 275 Abs. 3 SGB V ebenfalls mit 1. Januar 2022 zu ersetzen. Aus der Gesetzesbegründung zum MDK-Reformgesetz ergebe sich, dass Intention des Gesetzgebers war, Anreize für eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung zu schaffen. Dies spreche für die Anknüpfung an den Zeitpunkt der Rechnungsstellung. Die Antragstellerin verweist auf die Beschlüsse des SG Hannover (Beschluss vom 18. März 2022, S 76 KR 122/22 ER und des SG Mannheim (Beschluss vom 7. April 2022, S 15 KR 382/22 ER). Danach sei auch der vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in einem Schreiben vom 24. November 2021 an die D. …- Gesellschaft e.V. geäußerten Ansicht, dass an die leistungsrechtliche Entscheidung anzuknüpfen sei, zu widersprechen. Denn da die Regelung das Verhalten des Krankenhauses belohnen oder sanktionieren solle, könne es nicht auf einen zeitlichen Anknüpfungspunkt ankommen, auf den das Krankenhaus keinen Einfluss habe. Äußerst hilfsweise sei auf das Datum der Einleitung der Prüfung durch den MD abzustellen, da die Prüfungseinleitung aus systematischen Gründen Relevanz für die Berechnung der Prüfquote und der Regelung der Aufschlagzahlungen habe. Entsprechend habe das BSG (Urteil vom 17. Juni 2020, B 1 KR 15/19 R) für die in § 275 Abs. 1c S. 4 SGB V ab 31. Dezember 2015 geregelt Aufwandpauschale entschieden, dass der Zeitpunkt des Zugangs des Prüfauftrages entscheidend sei. Auch die Tatsache, dass § 275 Abs. 2 S 3 SGB V hinsichtlich der Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einem Quartal auf die Einleitung der Prüfquote abstelle, spreche aus systematischen Gründen für das Abstellen auf diese. Es entspreche Sinn und Zweck der Regelungen zur Prüfquote und Aufschlagzahlung, dass diese auf den gleichen Anknüpfungspunkt folgen. Denn die Aufschlagzahlung werde anhand der Prüfquote ermittelt. Sowohl das Aufnahmedatum, als auch die Rechnungsstellung und die Prüfungseinleitung lägen vor dem 1. Januar 2022, so dass die Regelung zur Aufschlagzahlung nicht anwendbar sei. Nicht auschlaggebend könne in jedem Fall die leistungsrechtliche Entscheidung sein. Denn diese werde im gesamten MDK-Prüfsystem nicht als Anknüpfungspunkt verwendet, so dass die Anwendung der hergebrachten Systematik widerspräche. Anders als vom BMG im Schreiben vom 24. November 2021 angenommen, stelle der Wortlaut des § 275 Abs. 3 S. 1 SGB V nicht auf die Beanstandung oder Nichtbeanstandung durch den MD im konkreten Behandlungsfall ab, sondern auf die Abrechnungen des vorvergangenen Quartals.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 7. April 2022 gegen die Festsetzung der Aufschlagzahlung der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17. Mär 2022 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, dass der Antrag unzulässig sei, da kein rechtskräftiger Bescheid über die Festsetzung der Aufschlagzahlung an die Antragstellerin übermittelt worden sei. Bisher sei der Antragstellerin lediglich mit einer Nachricht der KAIN und dem Schlüssel 30 mit der Ausprägung MDK 04 über DTA ohne Begleitschreiben der Aufschlag mitgeteilt worden. Eine Zahlungsaufforderung sei nicht ergangen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und Verwaltungsakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat Erfolg.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig.
Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86a Abs. 1 SGG haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 275c Abs. 5 Nr. 1 SGB V haben Widerspruch und Klage gegen die Geltendmachung des Aufschlags nach Absatz 3 jedoch keine aufschiebende Wirkung.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat diese bereits einen Verwaltungsakt zur Festsetzung des Aufschlages nach § 275c Abs. 3 SGB V erlassen. Entsprechend der von der Antragstellerin eingereichten KAIN Mitteilung hat sie die Aufschlagszahlung für die Rechnung vom 20. Juli 2021 festgesetzt.
Gemäß § 32 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Grundsätzlich besteht ein Gleichordnungsverhältnis zwischen Krankenkasse und Krankenhaus im Rahmen der Krankenhausvergütung, so dass die Ansprüche im Wege der Leistungsklage durchzusetzen sind (std. RSpr. BSG vgl. BSG; Urteil vom 10. April 2008, B 3 KR 19/05 R). Für die Festsetzung der Aufschlagzahlung nach § 275c Abs. 3 SGB V hat der Gesetzgeber ebenso wie die Ermittlung der Prüfquote nach § 275c Abs. 2 SGB V jedoch eine Befugnis für den Erlass von Verwaltungsakten gesetzlich geregelt. Die Festsetzungen erfolgen einseitig hoheitlich durch die Krankenkassen beziehungsweise den Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Die notwendige Ermächtigung für den Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes muss nicht ausdrücklich erfolgen, sondern kann sich auch aus der Systematik des Gesetzes ergeben (Engelmann in Schütze, SGB X § 31 Rn 12). Aus der Systematik des § 275c SGB ergibt sich die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes. Denn in § 275c Abs. 5 SGB V ist geregelt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Geltendmachung des Aufschlages nach Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung haben.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat diese mit der Übermittlung der KAIN Nachricht zum Schlüssel 30 mit der Ausprägung MDK04 per elektronischen Datenaustausch (DTA) auch bereits eine Regelung über die Festsetzung getroffen, auch wenn sie weder ein Begleitschreiben versandt hat und die Rechtsmittelbelehrung fehlt. Die Qualifizierung eines Verwaltungshandelns als Verwaltungsakt richtet sich nicht danach, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist. Maßgeblich ist vielmehr der objektive Sinngehalt der Erklärung, das heißt wie der Empfänger bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls die Erklärung objektiv verstehen musste (Engelmann in Schütze, SGB X § 31 Rn 43ff.).
§ 275 c Abs. 3 und 5 SGB V enthält keine Formvorschriften für den Erlass des Verwaltungsaktes. Es wird in Absatz 5 lediglich die „Geltendmachung“ des Aufschlages geregelt.
Hinsichtlich der Auslegung der Erklärung der Antragsgegnerin sind die Vereinbarungen des GKV Spitzenverbands und der D. …-Gesellschaft zu § 12 der nach § 17c Abs. 2b S. 1 KHG am 22. Juni 2021 neu erlassenen Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275c Abs. 1 SGB V (PrüfvV) entscheidend. Nach § 12 Abs. 1 PrüfvV haben sich die Vertragspartner zur Anpassung der Regelung zur elektronischen Übermittlung der in dieser Vereinbarung vorgesehenen Informationen zu verständigen und eine Vereinbarung über die elektronische Übermittlung nach § 301 Abs. 3 SGB V zu treffen. Nach § 12 Abs. 2 PrüfvV sind Regelungen zur ausschließlichen elektronischen Übermittlung von Unterlagen zwischen Krankenhaus und MD zu treffen.
Die insoweit maßgebliche Vereinbarung zur Datenübermittlung nach § 301 Abs. 3 SGB V regelt im Nachtrag vom 3. Dezember 2019 ausdrücklich:
„1.4.12 Aufschläge gemäß §275c Absatz 3 SGB V
Umsetzung Aufschläge gemäß §275c Absatz 3 SGB V:
Gemäß § 275c Absatz 3 SGB V haben Krankenhäuser neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag an die Krankenkasse zu zahlen. Dies betrifft vollstationäre Krankenhausfälle mit einem Eingang der Schlussrechnung ab dem 01.01.2020.
Die Krankenkasse teilt dem Krankenhaus diesen Aufschlag mit einer Nachricht `Krankenkasseninformation (KAIN)` und dem Schlüssel 30 mit der Ausprägung „MDK04“ mit. Dies kann gemeinsam mit der leistungsrechtlichen Entscheidung der Krankenkasse erfolgen.
Zum PVV-Segment mit dem Schlüssel MDK04 ist zwingend ein PVT-Segment zu übermitteln, in dem folgender strukturierter Text den Entgeltschlüssel, den Aufschlagsbetrag und eine Rechnungsnummer enthält. 47200033 bzw. B7300033 stellt den Entgeltschlüssel dar, danach folgt mit $$$$$$,$$ die Höhe des Aufschlags durch die Krankenkasse, gefolgt von einer Raute mit dem Präfix „A-“ und den letzten(!) 18 Stellen der ursprünglichen Rechnungsnummer des Krankenhauses.“
Aufgrund dieser Vereinbarungen musste die Antragstellerin bei verständiger Würdigung davon ausgehen, dass die von der Antragsgegnerin per KAIN übermittelte Nachricht über den Aufschlag mit dem Schlüssel MDK04 über den in den Anlagen zur PrüfvV geregelten elektronischen Datenaustausch (DTA) die in § 275 Abs. 3 SGB V geregelte Geltendmachung des Aufschlages regelt.
Entsprechend enthält die von der Antragstellerin als Anlage zur Antragsschrift übermittelte KAIN Mitteilung auch die Überschrift „Festsetzung Aufschlag (Strafzahlung)“. Auch formell wurde damit eine Regelung erlassen.
Gegen diesen Verwaltungsakt hat die Antragstellerin am 7. April 2022 Widerspruch eingelegt.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ist auch begründet.
Bei den Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 SGG hat eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden. Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten zunächst im Vordergrund. Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die Entscheidung nennt, kann als Richtschnur für die Entscheidung davon ausgegangen werden, dass das Gericht dann die aufschiebende Wirkung anordnet, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird. Am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b, Rn. 12f). Sind die Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden. In den Fällen wie vorliegend, in denen der Gesetzgeber die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ausgeschlossen hat, ist dabei vergleichbar zur Regelung in § 86a Abs. 2 Nr 1 SGG die Entscheidung für die sofortige Vollziehbarkeit dahingehend zu beachten, dass entweder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder aber die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige Härte zur Folge hätte.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist der Bescheid über die Festsetzung der Aufschlagzahlung vom 17. März 2022 rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Denn die Regelung zur Aufschlagzahlung nach § 275 Abs. 3 SGB V war auf den zugrundeliegenden Behandlungsfall nicht anwendbar.
§ 275 Abs. 3 SGB V lautet:
„Ab dem Jahr 2022 haben die Krankenhäuser bei einem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 Prozent neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag auf diese Differenz an die Krankenkassen zu zahlen. Dieser Aufschlag beträgt
1. 25 Prozent im Falle des Absatzes 2 Satz 4 Nummer 2,
2. 50 Prozent im Falle des Absatzes 2 Satz 4 Nummer 3 und im Falle des Absatzes 2 Satz 6,
jedoch mindestens 300 Euro und höchstens 10 Prozent des auf Grund der Prüfung durch den Medizinischen Dienst geminderten Abrechnungsbetrages, wobei der Mindestbetrag von 300 Euro nicht unterschritten werden darf. In dem Verfahren zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern im Vorfeld einer Beauftragung des Medizinischen Dienstes nach § 17c Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes wird kein Aufschlag erhoben.“
Der Wortlaut des § 275 Abs. 3 S. 1 SGB V gibt keinen Hinweis, welches Ereignis konkret für den zeitlichen Anknüpfungspunkt „ab dem Jahr 2022“ entscheidend ist. Daher ist die Norm auszulegen. Das Gericht folgt der Ansicht der Antragstellerin dahingehend, dass bei Auslegung nach Sinn und Zweck sowie Systematik der Norm auf den Tag der stationären Aufnahme abzustellen ist (a.A. SG Mannheim, Beschluss vom 7. April 2022, S 15 KR 382/22 ER und SG Hannover, Beschluss vom 18. März 2022, S 76 KR 122/22 ER KH, die jeweils auf den Zeitpunkt der Rechnungsstellung durch das Krankenaus abstellen; SG Fulda, Beschluss vom 19. Mai 2022, S 4 KR 120/22 ER, das auf die Bekanntgabe des Prüfergebnis des MD an die Krankenkasse abstellt).
Aus der Gesetzesbegründung zum MDK-Reformgesetz –mit dem das Prüfquotensystem und die Aufschlagzahlung nach § 275 c Abs. 2 und Abs. 3 eingeführt wurden – ergibt sich, dass Grund für die Regelung war, für die einzelnen Krankenhäuser Anreize zur regelkonformen Abrechnung zu schaffen. So steht in der Begründung:
„(…) Die Anreize für eine regelkonforme Abrechnung des einzelnen Krankenhauses werden gestärkt. Die Abrechnungsqualität eines Krankenhauses bestimmt zukünftig den Umfang der zulässigen Prüfungen von Schlussrechnungen für vollstationäre Krankenhausbehandlung durch die MD. Hierzu wird ab dem Jahr 2020 eine zulässige Prüfquote je Krankenhaus bestimmt, die den Umfang der von den Krankenkassen beauftragten MDPrüfungen begrenzt. Die Höhe der quartalsbezogenen Prüfquote ist ab dem Jahr 2021 von dem Anteil der unbeanstandeten Abrechnungen eines Krankenhauses abhängig. Bei einer guten Abrechnungsqualität ist nur eine niedrige Prüfquote zulässig, besteht für den MD Anlass, viele Schlussrechnungen für vollstationäre Krankenhausbehandlung zu beanstanden, wächst die zulässige Prüfquote an. Durch den Quartalsbezug wirken sich Veränderungen in der Abrechnungsqualität zeitnah auf den zulässigen Prüfumfang aus. Zusätzlich hat ein hoher Prozentanteil an beanstandeten Schlussrechnungen für vollstationäre Krankenhausbehandlung zukünftig auch negative finanzielle Konsequenzen für ein Krankenhaus.“ (BR-Drs. 359/19, S. 43).
„(…) Durch dieses Stufensystem erhalten die Krankenhäuser einen Anreiz für eine regelkonforme Rechnungsstellung. Das einzelne Krankenhaus hat im Sinne eines lernenden Systems durch Bemühungen zur Umsetzung einer regelkonformen Kodierung und Abrechnung Einfluss auf den Anteil unbeanstandeter Abrechnungen und somit auf die im übernächsten Quartal anzuwendende Prüfquote und die Höhe des Aufschlags nach Absatz 3.“ (vgl. dazu BR-Drs. 359/19, S. 68)
„(…) Mit dem neuen Absatz 3 wird für Krankenhäuser ein Aufschlag auf die Differenz zwischen dem ursprünglich vom Krankenhaus zu hoch berechneten Rechnungsbetrag und dem nach der Abrechnungsprüfung durch den MD geminderten Rechnungsbetrag eingeführt. Hierdurch wird neben der gestaffelten Prüfquote ein weiterer Anreiz für Krankenhäuser geschaffen, einer regelkonformen Rechnungsstellung eine hohe Aufmerksamkeit zu widmen.“ (BR-Drs. 359/19, S. 69,
Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Zweck der Einführung des Prüfquotensystems und der darauf aufbauenden Aufschlagzahlung, einen Anreiz für eine regelkonforme Rechnungsstellung zu schaffen, dafürspricht, nur solche Behandlungsfälle einzubeziehen, bei denen die stationäre Aufnahme nach Beginn der Regelung, also am oder nach 1. Januar 2022 liegt. Das Ziel, die Krankenhäuser zur Erstellung von Abrechnungen zu bewegen, die vom MD nicht beanstandet werden, kann nur erreicht werden, wenn die Krankenhäuser auch Einfluss darauf haben. Für die regelkonforme Rechnungsstellung ist nicht erst die Rechnungsstellung durch das Krankenhaus an sich entscheidungserheblich, sondern bereits die Leistungserbringung ab dem Zeitpunkt der stationären Aufnahme. Um eine Abrechnung zu erstellen, die vom MD nicht beanstandet werden wird, müssen die Krankenhäuser bereits bei der Leistungserbringung auf die Regelkonformität achten. Bereits dann ist zu beachten, ob eine Leistung überhaupt erbracht werden kann, wie die Leistung für eine ordnungsgemäße Abrechnung zu dokumentieren ist und wie lange die Notwendigkeit des stationären Aufenthaltes besteht. Entsprechend betreffen die Beanstandungen durch den MD nicht allein die Rechnungsstellung, zum Beispiel in Bezug auf die fehlerhafte Kodierung von Haupt- und Nebendiagnosen oder Prozeduren, sondern auch die fehlende Abrechnungsfähigkeit gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung an sich (z.B in Fällen des 137c SGB V), die fehlende Dokumentation als Voraussetzung für die Kodierung oder auch die Länge des stationären Aufenthaltes. Die letzten drei Gründe für eine ordnungsgemäße Abrechnung kann das Krankenhaus aber nur dann beeinflussen, wenn es bereits ab Leistungserbringung – also ab Aufnahme in das Krankenhaus – darauf achtet. Entsprechend kann die gesetzliche Regelung, die erst „ab dem Jahr 2022“ Anreize zur ordnungsgemäßen Abrechnung schaffen soll, nur für solche Behandlungsfälle gelten, bei denen die stationäre Aufnahme am oder nach dem 1. Januar 2022 liegt.
Das Gericht folgt daher auch nicht der Ansicht des SG Mannheim (SG Mannheim, Beschluss vom 7. April 2022, S 15 KR 382/22) dahingehend, dass die Rechtsprechung des BSG zur Anwendbarkeit der Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der Aufnahme in ein Krankenhaus für die Abrechenbarkeit eines Behandlungsfalls zutreffend sei, nicht aber für die Regelung des § 275 Abs. 3 SGB V. Das SG Mannheim begründet diese Ansicht damit, dass sich die Rechtsprechung des BSG auf Regelungen beziehe, nach denen der stationäre Aufenthalt eines Versicherten abzurechnen sei, während § 275 Abs. 3 SGB V einen Anreiz für die korrekte Anwendung dieser Regelungen schaffe. Die Regelungen über die Abrechnungen für die stationäre Behandlung sind nicht erst im Zeitpunkt der Rechnungserstellung zu beachten, sondern wie oben dargelegt bereits bei Leistungserbringung.
Für das Abstellen auf den Aufnahmezeitpunkt spricht auch, dass dies der einzige Zeitpunkt ist, den keine der Beteiligten der Krankenhausabrechnung beeinflussen kann. Dahingegen ist der Zeitpunkt der Rechnungsstellung durch die Krankenhäuser beeinflussbar, der Zeitpunkt der Einleitung der Prüfung durch den MD und der leistungsrechtlichen Entscheidung ist jedoch durch die Krankenkassen – im Rahmen der für diese geltenden Fristen – beeinflussbar.
Für die Anknüpfung an das Aufnahmedatum spricht auch die Systematik des § 275 Abs. 2 und 3 SGB V. § 275 Abs. 2 S. 2 SGB V regelt für die Einführung des Prüfquotensystems in Abhängigkeit von dem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen, dass dieses „ab dem Jahr 2022“ gelten soll. Ebenso wie in § 275 Abs. 3 S. 1 SGB V ist kein konkretes Ereignis für die Anknüpfung genannt. Zwar regelt § 275 Abs. 2 S. 3 SGB V, dass als maßgeblich für die Zuordnung einer Prüfung zu einem Quartal und zur maßgeblichen quartalsbezogenen Prüfquote das Datum der Einleitung der Prüfung gilt. Das Datum der Einleitung der Prüfung durch den MD wird aber allein für die Berechnung der Quote der beanstandungsfreien Abrechnungen im Vorvorquartal und für die Anwendbarkeit der Prüfquote eines dann folgenden Quartals auf eine konkrete Abrechnung genannt. Für die Einführung des gesamten Systems wird dieses Datum gerade nicht als Anknüpfungspunkt genannt. Entsprechend war in den Fassungen vom 14. Dezember 2019 und 19. Mai 2020 in § 275 Abs. 2 S. 2 SGB V das Datum des Eingangs der Schlussrechnung bei der Krankenkasse als maßgeblich für die Zuordnung zum Quartal für die bis 2020 beziehungsweise dann bis 2021 geltende Regelung genannt. Diese Zuordnung wurde jedoch in S. 3 der Vorschrift nicht für die dann ab 2022 geltende Regelung der Prüfquoten in Abhängigkeit von der ordnungsgemäßen Abrechnung genannt.
Entsprechend nennt die Gesetzesbegründung zur Änderung des Beginns der Regelungen auch die gesamte Einführung des Prüfquotensystems in Abhängigkeit der unbeanstandeten Abrechnungen. Das gesamte Regelungskonzept ist erst ab dem Jahr 2022 anwendbar. Die Gesetzesbegründung lautet:
„Mit der Änderung wird die Einführung des Prüfquotensystems, in dem die maximal zulässige Prüfquote eines Krankenhauses und der potenziell zu zahlende Aufschlag auf beanstandete Abrechnungen von dem Anteil seiner unbeanstandeten Abrechnungen abhängt, um ein Jahr auf das Jahr 2022 verschoben." (BT Drs. 19/18967, Seite 70)
Da die Krankenhäuser also erst ab 2022 durch dieses System aus Vorteilen aufgrund geringerer Prüfquoten und Sanktionen aufgrund höherer Prüfquoten und Aufschlagzahlungen zur ordnungsgemäßen Abrechnung angehalten werden sollten, kann dies nur für Behandlungsfälle gelten, bei denen der Aufnahmezeitpunkt nach dem 1. Januar 2022 liegt.
Das Gericht folgt der Antragstellerin dahingehend, dass auch die Regelung in dem nach § 17c Abs. 2 KHG erlassenen § 14 PrüfvV für das Abstellen auf den Tag der Aufnahme im Krankenhaus spricht. Denn die am 22. Juni 2021 geänderte PrüfvV regelt das für das Prüfquotensystem maßgebliche Prüfverfahren. Wenn diese neuen Verfahrensregeln erst für Behandlungsfälle mit Aufnahmedatum ab 1. Januar 2022 anwendbar sind, können auch die aus den Prüfungen folgenden Anreize beziehungsweise Sanktionen erst für diese Fälle anwendbar sein.
Dass die „Übergangsvereinbarung zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c (Prüfverfahrensvereinbarung – PrüfvV) gemäß § 17 Absatz 2 KHG vom 03.02.2016“ und auch die Vereinbarung zur Datenübermittlung nach § 301 Abs. 3 SGB V auf das Datum der Rechnungsstellung abstellen, spricht nicht gegen das Abstellen auf das Datum der Aufnahme. Denn letzteres ergibt sich aus dem gegenüber den Vereinbarungen maßgeblichen Gesetz.
Aus der Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Regelung über die Aufwandpauschale aus § 275 Abs. 1c S. 4 SGB V kann nicht darauf geschlossen werden, dass der Zeitpunkt des Zugangs des Prüfauftrages entscheidend sei. Denn die Aufwandpauschale entschädigt das Krankenhaus für den Aufwand einer Prüfung durch den MD, die zu keiner Beanstandung bezüglich der Rechnungshöhe führte. Dadurch wird demnach allein die Krankenkasse belastet. Es ist sinnvoll in diesem Fall für den Beginn der Regelung auf einen Zeitpunkt abzustellen, in dem die Krankenkasse auch Einfluss auf das Entstehen der Forderung gegen sich hat. Dies ist eben nicht das Aufnahmedatum oder die Rechnungsstellung, sondern das Absenden des Prüfauftrages. Anders ist es im Falle der Aufschlagzahlung nach § 275 Abs. 3 SGB V. Die daraus folgende Sanktionierung für eine nicht regelkonforme Abrechnung ist durch das Krankenhaus im Zeitpunkt des Absendens des Prüfauftrages nicht mehr beeinflussbar.
Nicht abgestellt werden kann auf das Datum der leistungsrechtlichen Entscheidung. Denn zu diesem Zeitpunkt hat das Krankenhaus keinerlei Möglichkeit, Einfluss auf die Ordnungsmäßigkeit der Abrechnung Einfluss zu nehmen. Es läge dann allein in der Sphäre des MD, die Entscheidung in das Jahr 2022 zu verschieben, ohne dass das Krankenhaus mit der folgenden Besserstellung bei den Prüfquoten oder aber Sanktionierung auch durch die Aufschlagzahlung zu einer ordnungsgemäßen Abrechnung angehalten werden könnte (so auch SG Mannheim, Beschluss vom 7. April 2022, S 15 KR 382/22 ER und SG Hannover, Beschluss vom 18. März 2022, S 76 KR 122/22 ER KH).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.