B 5 R 24/21 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 51 R 111/17
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 12 R 143/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 24/21 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Abrechnungsmitteilung über eine Rentennachzahlung enthält einen feststellenden Verwaltungsakt.

2. Der Rentenversicherungsträger ist befugt, durch Verwaltungsakt festzustellen, in welchem Umfang der gegen ihn gerichtete Nachzahlungsanspruch eines Versicherten wegen des bestehenden Erstattungsanspruchs eines Dritten erloschen ist.

3. Das erforderliche Vorverfahren ist auch dann durchgeführt, wenn die Verwaltung einen Widerspruch fälschlich als unzulässig zurückweist.

 

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

G r ü n d e :

I

 

1

Die Klägerin begehrt eine weitere Rentennachzahlung iHv 16 884,29 Euro.

 

2

Die beklagte DRV Bund bewilligte der Klägerin rückwirkend eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.4.2015 (Bescheid vom 16.3.2017). Sie bezifferte die Nachzahlung für April 2015 bis April 2017 im Rentenbescheid auf 18 760,84 Euro. Hierzu hieß es, die Nach­zahlung werde vorläufig nicht ausgezahlt; es seien zunächst Ansprüche anderer Stellen zu klä­ren. Das beigeladene Jobcenter, das der Klägerin für April 2015 bis April 2017 Arbeitslosengeld II geleistet hatte, machte einen Erstattungsanspruch iHv 16 884,29 Euro gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte übersandte der Klägerin mit Datum 5.4.2017 eine "Abrechnung der Ren­tennachzahlung". In dem Vordruck war angekreuzt, dass von der einbehaltenen Rentennachzah­lung 16 884,29 Euro an den Beigeladenen überwiesen worden seien; die verbleibenden 1876,55 Euro würden auf das Konto der Klägerin überwiesen. Die Beklagte wies den dagegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch als unzulässig zurück. Bei der angegriffenen Mitteilung handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt (Widerspruchsbescheid vom 3.7.2017). Im Übri­gen könne die Klägerin keine weitere Nachzahlung beanspruchen.

 

3

Die Klägerin hat am 18.7.2017 vor dem SG Oldenburg gegen die Abrechnung vom 5.4.2017 und den Widerspruchsbescheid vom 3.7.2017 geklagt. Bereits am 20.6.2017 hatte sie dort eine auf Zahlung von 16 884,29 Euro gerichtete Klage erhoben. Das SG hat die Klagen nach Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung abgewiesen (Urteil vom 8.10.2019). Das LSG hat die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.7.2020). Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Mitteilung über den endgültigen Einbehalt einer Renten­nachzahlung im Rahmen einer Schlussrechnung weise Verwaltungsaktqualität auf. Zwar trete die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X von Gesetzes wegen ein. Eine Abrechnungsmitteilung der Beklagten an den Versicherten stelle jedoch im Einzelfall die Rechtslage für alle Beteiligten ver­bindlich fest. Das Schreiben vom 5.4.2017 enthalte jedenfalls bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont einen Verwaltungsakt betreffend den Einbehalt. Die Beklagte sei auch zum Erlass eines solchen Verwaltungsakts befugt gewesen. Dies ergebe sich aus § 107 SGB X. In der Sache habe die Beklagte zutreffend eine Auszahlung über den Betrag von 1876,55 Euro hinaus abgelehnt. Insoweit gelte der Anspruch der Klägerin auf Rentenzahlung gemäß § 107 Abs 1 SGB X als erfüllt.

 

4

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 107 SGB X und sinngemäß des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes (Art 20 Abs 3 GG).

 

5

Die Klägerin beantragt nach Lage der Akten sinngemäß,

 

 

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Juli 2020 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 8. Oktober 2019 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Juli 2017 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 30. April 2017 weitere 16 884,29 Euro Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

 

6

Die Beklagte beantragt,

 

 

die Revision zurückzuweisen.

 

7

Sie hält die angegriffene Entscheidung für im Ergebnis zutreffend. Allerdings handele es sich bei der Mitteilung vom 5.4.2017 mangels Regelungscharakter nicht um einen Verwaltungsakt. Der Klägerin sei lediglich das Ergebnis einer Rechenoperation mitgeteilt worden, die sie, die Beklagte, im Erstattungsverhältnis zum Beigeladenen vorgenommenen habe. Ebenso wenig liege ein sog formeller Verwaltungsakt vor. Mit der Ausgestaltung des Schreibens sei schon der Anschein eines Verwaltungsakts vermieden worden. Es sei auch nicht erforderlich, gegenüber den Versi­cherten eine feststellende Regelung über den nach Abrechnung einer Nachzahlung verbleiben­den Auszahlungsbetrag zu treffen, weil die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X kraft Geset­zes eintrete.

 

8

Der Beigeladene beantragt nach Lage der Akten sinngemäß,

 

die Revision zurückzuweisen.

 

9

Er erachtet die Entscheidung des LSG als jedenfalls im Ergebnis zutreffend.

 

II

 

10

A. Die kraft Zulassung durch das LSG statthafte und gerade noch anforderungsgerecht begrün­dete Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG der Berufung der Klägerin den Erfolg versagt.

 

11

I.1. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 4 SGG), zu der das SG ihre beiden Klagen verbunden hat. Das Schreiben der Beklagten vom 5.4.2017 enthält einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maß­nahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Diese Merkmale weist das angegriffene Schreiben auf. Insbesondere traf die Beklagte darin eine Einzelfallregelung, wie das LSG mit zutreffender Begründung erkannt hat. Eine Regelung ist darauf gerichtet, mit unmittel­barer Rechtswirkung subjektive Rechte oder Pflichten des Adressaten verbindlich zu begründen, festzustellen, zu ändern, aufzuheben oder abzulehnen (vgl zB BSG Urteil vom 5.9.2006 ‑ B 4 R 71/06 R ‑ BSGE 97, 63SozR 4‑2500 § 255 Nr 1, RdNr 17; BSG Urteil vom 25.1.2011 ‑ B 5 R 14/10 R ‑ SozR 4‑1300 § 63 Nr 15 RdNr 13; vgl auch Bieresborn in Roos/Wah­rendorf/Müller, SGG, 2. Aufl 2021, § 54 RdNr 65; Luthe in jurisPK-SGB X, § 31 RdNr 39 mwN, Stand der Einzelkom­mentierung: 7.10.2021). Das Schreiben vom 5.4.2017 enthält die rechtsver­bindliche Feststellung, dass der gegen die Beklagte gerichtete Nachzahlungsanspruch der Klä­gerin für April 2015 bis April 2017 iHv 16 884,29 Euro erloschen ist und daher nur noch im Umfang von 1876,55 Euro besteht.

 

12

a) Das ergibt eine Auslegung unter Berücksichtigung des Kontextes. Der Senat ist jedenfalls bei dem hier betroffenen Formularschreiben eines für das gesamte Bundesgebiet zuständigen Ver­sicherungsträgers wie der Beklagten zu einer eigenen Auslegung befugt (vgl BSG Urteil vom 13.12.2018 ‑ B 5 RE 1/18 R ‑ BSGE 127, 147 = SozR 4‑2600 § 6 Nr 18, RdNr 36 ff; BSG Urteil vom 16.3.2021 ‑ B 2 U 7/19 R ‑ BSGE 131, 297 = SozR 4‑5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 26; BSG Urteil vom 16.6.2021 ‑ B 5 RE 4/20 R ‑ juris RdNr 20, auch zur Veröffentlichung in SozR 4‑2600 § 6 Nr 22 vorgesehen). Die Auslegung behördlichen Verwaltungshandelns im Hinblick darauf, ob es eine Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X enthält, richtet sich nach den für die Auslegung von Willens­erklärungen geltenden Grundsätzen (vgl BSG Urteil vom 3.7.2020 ‑ B 8 SO 5/19 R ‑ SozR 4‑1200 § 44 Nr 10 RdNr 15 mwN). Maßstab ist der "Empfänger­horizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Behörde einen Verwaltungsakt erlassen wollte, son­dern darauf, wie Adressaten und Drittbetroffene das Verwaltungshandeln nach Treu und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (vgl BSG Urteil vom 16.3.2021 ‑ B 2 U 7/19 R ‑ BSGE 131, 297 = SozR 4‑5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 13 mwN). Gemessen daran durfte ein verständiger Adressat in Kenntnis der Zusammenhänge dem Schreiben vom 5.4.2017 entnehmen, dass die Beklagte darin eine feststellende Regelung zu dem der Klägerin verbleibenden Nachzahlungsanspruch traf.

 

13

Die Beklagte teilte in der Abrechnungsmitteilung mit, zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs des Beigeladenen an diesen 16 884,29 Euro überwiesen zu haben und den verbleibenden Nachzah­lungsbetrag iHv 1876,55 Euro an die Klägerin zu überweisen. Nach dem objektivierten Empfän­gerverständnis liegt bereits hierin die rechtsverbindliche Feststellung, gegenüber der Klägerin nur in diesem Umfang zu einer Rentennachzahlung verpflichtet zu sein. Die Abrechnungsmitteilung ist zudem im Zusammenhang mit dem Rentenbescheid vom 16.3.2017 zu sehen. Die Beklagte nannte diesen ausdrücklich und verstärkte den Bezug durch die Überschrift ("Abrechnung der Rentennachzahlung") und dadurch, dass sie den von der Nachzahlung erfassten Zeitraum ("01.04.2015 ‑ 30.04.2017") sowie den im Rentenbescheid bezifferten Nachzahlungsbetrag ("18.760,84 EUR") wiederholte. Im Rentenbescheid hatte die Beklagte noch von einer verbindli­chen Festsetzung der Nachzahlung abgesehen. Wird eine Rente rückwirkend bewilligt, kann der Versicherte Rentenzahlungen für den Nachzahlungszeitraum entsprechend dem im Rentenbe­scheid festgesetzten Rentenbeginn und den festgesetzten monatlichen Zahlbeträgen beanspru­chen. Die Bindungswirkung eines Rentenbescheids (§ 77 SGG) erstreckt sich allerdings nicht auf den darin angegebenen Nachzahlungsbetrag, wenn der Rentenversicherungsträger, wie hier, auf den vorläufigen Einbehalt der Nachzahlung bis zur Klärung etwaiger Erstattungsansprüche hin­weist (vgl bereits BSG Urteil vom 15.7.1969 ‑ 1 RA 255/68 ‑ SozR Nr 64 zu § 77 SGG Bl Da 40R; BSG Urteil vom 21.6.1983 ‑ 4 RJ 29/82 ‑ juris RdNr 15; vgl auch BSG Beschluss vom 30.11.2006 ‑ B 9a VJ 7/05 B ‑ juris RdNr 12, wo dies offengelassen worden ist in Bezug auf den vorläufigen Einbehalt einer Nachzahlung von Versorgungsleistungen nach dem Bundesseuchen­gesetz). Die Angabe des Nachzahlungsbetrags im Rentenbescheid ist dann eine bloße Informa­tion über die maximal zu erwartende Nachzahlung, verbunden mit dem Hinweis auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren der Erfüllung (insoweit zutreffend Heimrich, Deutsche Renten­versicherung 3/99, 130, 132). Erst mit der Abrechnungsmitteilung schafft der Rentenversiche­rungsträger für den Versicherten Rechtssicherheit darüber, in welchem Umfang eine Nachzah­lung tatsächlich beansprucht werden kann. Bleibt der in der Abrechnungsmitteilung aufgeführte "Rentennachzahlungsbetrag" hinter dem im Rentenbescheid bezifferten Betrag zurück, liegt darin aus Sicht des Versicherten erstmalig eine nachteilige Rechtsfolge.

 

14

b) Die gesetzliche Ausgestaltung der Erstattungsregelungen zwischen Sozialleistungsträgern (§§ 102 ff SGB X) stützt das Auslegungsergebnis. Zwar tritt die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X allein aufgrund des Bestehens eines Erstattungsanspruchs ein (vgl nur Kater in Kasseler Komm, § 107 SGB X RdNr 6 mwN, Stand der Einzelkommentierung Mai 2020), sodass es sich bei einer Abrechnungsmitteilung nur um eine deklaratorische Feststellung der eingetretenen Rechtsfolge handeln kann. Auch eine solche Feststellung kann aber Regelungscharakter aufweisen (vgl all­gemein zum feststellenden Verwaltungsakt zB der Überblick bei Peters/Sautter/Wolff, Kommen­tar zur Sozialgerichtsbarkeit, Bd 2, 4. Aufl, 85. Lfg 1/2008, § 54 RdNr 118; zur Abgrenzung von einer Mitteilung Pietzcker/Marsch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 41. EL Juli 2021, § 42 Abs 1 RdNr 26 ff). Wird dem Versicherten rechtsverbindlich der Umfang des verbleibenden Nachzahlungsanspruchs mitgeteilt, weist der Rentenversicherungsträger damit nicht bloß das Ergebnis einer Rechenoperation aus. Der Abrechnungsmitteilung geht vielmehr regelhaft eine interne rechtliche Prüfung des angemeldeten Erstattungsanspruchs voraus. Eine solche Prüfung obliegt dem erstattungspflichtigen Rentenversicherungsträger nicht zuletzt im Interesse des leis­tungsberechtigten Versicherten, denn diesem gegenüber darf die Rentennachzahlung mit Blick auf § 107 Abs 1 SGB X nur verweigert werden, wenn und soweit der Erstattungsanspruch besteht. Die Erfüllungsfiktion soll eine Rückabwicklung zwischen dem vorleistenden Träger ‑ hier dem Beigeladenen ‑ und dem Berechtigtem ‑ hier der Klägerin ‑ ausschließen (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 22.5.2002 ‑ B 8 KN 11/00 R ‑ SozR 3‑2600 § 93 Nr 12 S 110 mwN). Dies hat zur Folge, dass der Ausgleich nur im Verhältnis der beteiligten Leistungsträger erfolgt (vgl BSG Urteil vom 22.5.2002 ‑ B 8 KN 11/00 R ‑ SozR 3‑2600 § 93 Nr 12 S 110; BSG Urteil vom 26.4.2005 ‑ B 5 RJ 36/04 R ‑ SozR 4‑1300 § 107 Nr 2 RdNr 10). Es bedeutet aber auch, dass die Frage, ob der erstattungspflichtige Leistungsträger ‑ hier die Beklagte ‑ dem Berechtigten ‑ hier der Klägerin ‑ die Nachzahlung ganz oder teilweise wegen der Erstattung vorenthalten darf, nur zwischen dem erstattungspflichtigen Leistungsträger und dem Berechtigten zu klären ist. Dabei ist zu prüfen, in welchem Umfang der Berechtigte die Leistung bereits kraft der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X vom erstattungspflichtigen Leistungsträger erhalten hat (vgl BSG Urteil vom 22.5.2002 ‑ B 8 KN 11/00 R ‑ SozR 3‑2600 § 93 Nr 12 S 110 f; BSG Beschluss vom 7.2.2022 ‑ B 8 SO 27/21 BH ‑ juris RdNr 5 mwN).

 

15

c) Es steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, den formularmäßigen Abrechnungsmitteilungen der Rentenversicherungsträger Regelungscharakter beizumessen. Zwar hat der Senat dies in einer älteren Entscheidung (BSG Urteil vom 25.1.2011 ‑ B 5 R 14/10 R ‑ SozR 4‑1300 § 63 Nr 15 RdNr 17) noch anders gesehen. Der dortige Fall betraf aller­dings speziell die Kosten des Widerspruchsverfahrens; die Nachzahlung war vollständig ausge­kehrt worden und gestritten wurde allein um die Verzinsung. Der Senat hat demgegenüber schon in seiner Entscheidung vom 7.12.2017 (BSG Beschluss vom 7.12.2017 ‑ B 5 R 176/17 B ‑ juris RdNr 20) ausgeführt, es liege nahe, Abrechnungsmitteilungen grundsätzlich als Verwaltungsakt einzuordnen. In einem älteren Urteil des 1. Senats ist sogar die bloße Auszahlung des Restbe­trags verbunden mit der vorherigen Mitteilung über den vorläufigen Einbehalt der Rentennach­zahlung als Verwaltungsakt angesehen worden (vgl BSG Urteil vom 15.7.1969 ‑ 1 RA 255/68 ‑ SozR Nr 64 zu § 77 SGG Bl Da 40). Auch der 4. Senat hat ‑ allerdings bezogen auf die laufenden Rentenzahlungen ‑ zu erkennen gegeben, dass er jedenfalls die ausdrückliche Erklä­rung eines Rentenversicherungsträgers, es werde das Erlöschen von Ansprüchen festgestellt, als Regelung ansehe (vgl BSG Urteil vom 5.9.2006 ‑ B 4 R 71/06 R ‑ BSGE 97, 63SozR 4‑2500 § 255 Nr 1, RdNr 18). Für den Bereich des Opferentschädigungsrechts hat der 9. Senat es als selbstverständlich erachtet, dass die Mitteilung eines Sozialleistungsträgers an einen Leis­tungsberechtigten, in welcher Höhe eine zunächst vorläufig einbehaltene Nachzahlung unter Berücksichtigung von Erstattungsansprüchen Dritter an ihn ausgekehrt werde, Regelungscharak­ter aufweise (vgl BSG Urteil vom 11.11.2004 ‑ B 9 VG 2/04 R ‑ BSGE 93, 290SozR 4‑1300 § 107 Nr 1, RdNr 19).

 

16

Die Qualifizierung der Abrechnungsmitteilungen der Rentenversicherungsträger als Verwaltungs­akt fügt sich auch in die Rechtsprechung des BSG zu anderen Verwaltungsentscheidungen über die Nichtauszahlung von Sozialleistungen ein. So hat im Fall einer Abtretung der Sozialleistungs­träger durch Verwaltungsakt gegenüber dem Zedenten (Versicherter bzw Sozialleistungsberech­tigter) zu regeln, welcher Betrag diesem noch auszuzahlen ist (grundlegend BSG Urteil vom 25.10.1984 ‑ 11 RA 42/83 ‑ BSGE 57, 211, 212 = SozR 1200 Art 2 § 18 Nr 1 S 1 f; vgl zB BSG Urteil vom 29.6.1995 ‑ 11 RAr 109/94 ‑ BSGE 76, 184, 186 = SozR 3‑1200 § 53 Nr 8 S 48; BSG Urteil vom 23.10.2003 ‑ B 4 RA 25/03 R ‑ SozR 4‑1200 § 53 Nr 1 RdNr 18; BSG Urteil vom 24.10.2013 ‑ B 13 R 31/12 R ‑ juris RdNr 16). Auch die einseitige Verrechnung nach § 52 SGB I, zu der die Abrechnung einer Nachzahlung eine Parallele aufweist (vgl BSG Urteil vom 22.5.2002 ‑ B 8 KN 11/00 R ‑ SozR 3‑2600 § 93 Nr 12 S 111 f), darf gegenüber dem Versicherten bzw Sozialleistungsberechtigten in Form eines Verwaltungsakts erklärt werden (vgl bereits BSG Urteil vom 25.3.1982 ‑ 10 RKg 2/81 ‑ BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6 S 3; grundle­gend BSG Beschluss vom 31.8.2011 ‑ GS 2/10 ‑ BSGE 109, 81 = SozR 4‑1200 § 52 Nr 4, RdNr 15; vgl zB BSG Urteil vom 31.10.2012 ‑ B 13 R 13/12 R ‑ juris RdNr 18 mwN).

 

17

Die von der Beklagten angeführten BSG-Entscheidungen zur Auszahlung von Renten an Bewoh­ner der sog Colonia Dignidad in Chile (vgl hierzu den Überblick bei Pflüger, DAngVers 2004, 421, 425 f; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 2 RdNr 29, Stand 19.8.2021) betreffen hin­gegen nicht den vorläufigen Nachzahlungseinbehalt zur Klärung etwaiger Ersatzansprüche Drit­ter. Soweit dort auch über die Auskehrung von Rentennachzahlungen gestritten wurde, waren diese bereits im Rentenbescheid endgültig festgesetzt und die Zahlungspflicht des Rentenversi­cherungsträgers damit auch insoweit bindend festgestellt worden (vgl BSG Urteil vom 25.1.2001 ‑ B 4 RA 48/99 R ‑ BSGE 87, 239, 241, 247 = SozR 3‑1200 § 66 Nr 5 S 20 und 27; BSG Urteil vom 3.4.2003 ‑ B 13 RJ 39/02 R ‑ BSGE 91, 68, 71 = SozR 4‑1300 § 31 Nr 1 S 4 f). In den übrigen Fällen ging es schon nicht um eine Nachzahlung. Die Rente war entweder vorläufig versagt bzw entzogen worden (vgl BSG Urteil vom 22.2.1995 ‑ 4 RA 44/94 ‑ BSGE 76, 16SozR 3‑1200 § 66 Nr 3 = juris RdNr 13 <insoweit nicht in den amtlichen Sammlungen abgedruckt>; BSG Urteil vom 5.4.2000 ‑ B 5 RJ 38/99 R ‑ BSGE 86, 107, 110 = SozR 3‑1200 § 2 Nr 1 S 4) oder es war die Zahlung einer laufenden Rente eingestellt worden (BSG Urteil vom 13.12.2001 ‑ B 13 RJ 67/99 R ‑ BSGE 89, 111, 115, 117 = SozR 3‑1300 § 1 Nr 1 S 5 f und 7).

 

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Schließlich misst auch die landessozialgerichtliche Rechtsprechung, die zunächst uneinheitlich war, in jüngerer Zeit den Abrechnungsmitteilungen der Rentenversicherungsträger überwiegend Regelungscharakter bei (vgl LSG Niedersachsen-Bremen Teilurteil vom 10.12.2014 ‑ L 2 R 494/13 ‑ juris RdNr 23; Bayerisches LSG Urteil vom 27.6.2017 ‑ L 13 R 171/15 ‑ juris RdNr 26; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 24.10.2018 ‑ L 6 R 453/15 ‑ juris RdNr 36; LSG Berlin-Branden­burg Urteil vom 24.2.2021 ‑ L 16 R 76/19 ‑ juris RdNr 34; LSG Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 31.3.2021 ‑ L 7 R 187/16 ‑ juris RdNr 34; aA Sächsisches LSG Urteil vom 15.3.2016 ‑ L 5 R 463/13 ‑ juris RdNr 15; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 13.12.2017 ‑ L 4 R 448/15). Auch in der Finanzgerichtsbarkeit wird vergleichbaren Mitteilungen der Familienkasse über die Abrechnung von nachzuzahlendem Kindergeld Verwaltungsaktqualität zugesprochen (vgl zum sog Abrech­nungsbescheid zB BFH Beschluss vom 1.4.2014 ‑ XI B 145/13 ‑ juris RdNr 12).

 

19

d) Die "Verbindliche Entscheidung" des Vorstands der Beklagten, wonach Abrechnungsmittei-lungen nicht in Form eines Verwaltungsakts ergehen (RVaktuell 2007, 332), steht dem Ausle­gungsergebnis nicht entgegen. Es kann weiterhin offenbleiben, ob "Verbindliche Entscheidun­gen" iS des § 138 Abs 2 SGB VI als "untergesetzliche Normen eigener Art" (so die Entwurfsbe­gründung des RVOrgG zu Art 1 Nr 17 § 138 in BT‑Drucks 15/3654 S 70) mit dem Grundgesetz vereinbar sind und ‑ soweit dies bejaht wird ‑ auch für die Versicherten verbindlich sind. Sie wür­den selbst dann keine Wirksamkeit entfalten, soweit sie mit höherrangigem Recht unvereinbar sind (vgl hierzu bereits BSG Urteil vom 14.3.2013 ‑ B 13 R 5/11 R ‑ SozR 4‑1200 § 51 Nr 1 RdNr 41 mwN). Das wäre hier aber der Fall. Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, stünde eine Einordnung der angegriffenen Abrechnungsmitteilung im Sinne der "Verbindlichen Entscheidung" nicht mit den aus § 133 BGB abgeleiteten Auslegungsregeln in Einklang, deren Anwendung letztverbindlich den Gerichten obliegt (Art 92 GG).

 

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2. Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen auch im Übrigen vor. Insbesondere wurde das nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren durchgeführt (vgl zum Vorverfahrenserfor­dernis bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage zB BSG Urteil vom 22.6.2004 ‑ B 2 U 22/03 R ‑ juris RdNr 16; vgl auch Jüttner in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 78 RdNr 5). Unerheblich ist insoweit, dass die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als un­zulässig verwarf. Das Vorverfahrenserfordernis verlangt keinen fehlerfreien Widerspruchsbe­scheid und erfordert insbesondere nicht, dass die Widerspruchsbehörde den ihr zustehenden Prüfungsumfang tatsächlich nutzt. Es ist daher selbst dann gewahrt, wenn ein Widerspruch zu Unrecht als nicht statthaft behandelt wird. Damit wird auch dem Gedanken Rechnung getragen, dass die Klagezulässigkeit nicht von der Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Widerspruchsbe­hörde abhängen soll (vgl BSG Urteil vom 24.11.2011 ‑ B 14 AS 151/10 R ‑ SozR 4‑4200 § 22 Nr 54 RdNr 9; BSG Urteil vom 9.6.2017 ‑ B 11 AL 6/16 R ‑ juris RdNr 21; vgl dazu, dass das Vor­verfahrenserfordernis auch gewahrt ist, wenn ein Widerspruch nur teilweise beschieden wird, BSG Urteil vom 28.10.1965 ‑ 8 RV 721/62 ‑ SozR Nr 10 zu § 78 SGG, Bl Da3R und BSG Beschluss vom 13.6.2013 ‑ B 13 R 454/12 B ‑ juris RdNr 20; ebenso, wenn der Widerspruchsbe­scheid unter Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift ergangen ist, BSG Urteil vom 24.3.2015 ‑ B 8 SO 16/14 R ‑ SozR 4‑3500 § 116 Nr 1 RdNr 15; vgl auch Loytved, jurisPR-SozR 10/2019 Anm 4; aA Burkiczak, SGb 2016, 189, 193: isolierte Anfechtung des Widerspruchsbe­scheids).

 

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Abweichendes lässt sich auch der Entscheidung des BSG vom 30.9.1996 (10 RKg 20/95) nicht entnehmen (so aber LSG Rheinland-Pfalz Teilurteil vom 30.9.2010 ‑ L 1 AL 122/09 R ‑ juris RdNr 29; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 14.6.2011 ‑ L 7 AS 552/11 B ‑ juris RdNr 5; LSG Niedersachsen-Bremen Teilurteil vom 10.12.2014 ‑ L 2 R 494/13 ‑ juris RdNr 39). Der 10. Senat hat dort offengelassen, ob bei Versäumung der Widerspruchsfrist die Klage als unzu­lässig oder als unbegründet abzuweisen sei, weil beides das Gericht an einer sachlich-rechtlichen Überprüfung des Klagebegehrens hindere (vgl BSG Urteil vom 30.9.1996 ‑ 10 RKg 20/95 ‑ juris RdNr 29). Nicht befunden hat der 10. Senat damit, das Gericht sei stets an einer materiell-recht­lichen Entscheidung gehindert, wenn die Verwaltung den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen habe. Dazu bestand schon kein Anlass, weil im dort zu entscheidenden Fall der Wider­spruch auch aus Sicht des Revisionsgerichts zutreffend als verfristet verworfen worden war.

 

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II. Das LSG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage mit zutreffender Begründung als unbegründet erachtet. Die angefochtene Abrechnungsmitteilung ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG).

 

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1.a) Die Beklagte durfte durch Verwaltungsakt feststellen, in welchem Umfang der gegen sie gerichtete Nachzahlungsanspruch der Klägerin gemäß § 107 Abs 1 SGB X erloschen war. Die hierfür erforderliche gesetzliche Ermächtigung lässt sich zwar weder dem Wortlaut des § 107 Abs 1 SGB X noch demjenigen einer anderen Vorschrift entnehmen (vgl dazu, dass auch ein belastender feststellender Verwaltungsakt einer gesetzlichen Grundlage bedarf, zB BSG Urteil vom 17.12.1997 ‑ 11 RAr 103/96 ‑ SozR 3‑4100 § 128 Nr 4 S 35 f mwN; BSG Urteil vom 15.12.1999 ‑ B 9 V 26/98 R ‑ SozR 3‑3100 § 62 Nr 4 S 15 f; vgl auch BVerwG Urteil vom 29.11.1985 ‑ 8 C 105.83 ‑ BVerwGE 72, 265, 268 mwN; BFH Urteil vom 12.2.2020 ‑ X R 28/18 ‑ BFHE 268, 218 RdNr 17 mwN). Es bedarf für ein Handeln durch Verwaltungsakt jedoch nicht stets einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage, weil sich die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts aus der Systematik des Gesetzes und der Eigenart des Rechtsverhältnis­ses ergeben kann (vgl BSG Beschluss vom 31.8.2011 ‑ GS 2/10 ‑ BSGE 109, 81 = SozR 4‑1200 § 52 Nr 4, RdNr 17; BSG Urteil vom 15.12.1999 ‑ B 9 V 26/98 R ‑ SozR 3‑3100 § 62 Nr 4 S 16 mwN; vgl auch BVerwG Urteil vom 3.3.2011 ‑ 3 C 19.10 ‑ BVerwGE 139, 125 RdNr 14; BFH Urteil vom 12.2.2020 ‑ X R 28/18 ‑ BFHE 268, 218 RdNr 17 mwN). Das ist hier der Fall.

 

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Die §§ 102 ff SGB X präsentieren eine "geschlossene Lösung" zur Regelung von Erstattungsan­sprüchen der Leistungsträger untereinander (vgl Entwurfsbegründung zum Sozialgesetzbuch <SGB> ‑ Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten ‑, zu Vor §§ 108 ff SGB X-E in BT‑Drucks 9/95 S 24). Mittels eigenständiger Ansprüche des erstattungs­berechtigten Leistungsträgers gegen den erstattungspflichtigen Leistungsträger wird eine kom­plizierte Rückabwicklung unter Einbeziehung des Bürgers vermieden (vgl Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Vorbemerkung zu §§ 102‑114 RdNr 3, Stand der Einzelkommentierung Juni 2019; vgl zur Eigenständigkeit der Ansprüche grundlegend BSG Urteil vom 9.12.1986 ‑ 8 RK 12/85 ‑ BSGE 61, 66, 68 = SozR 2200 § 182 Nr 104 S 222; aus jüngerer Zeit zB BSG Urteil vom 6.9.2017 ‑ B 13 R 20/14 R ‑ BSGE 124, 98 = SozR 4‑3250 § 48 Nr 1, RdNr 25). Eine Erstattung wird häufig unbemerkt vom Sozialleistungsberechtigten durchgeführt. Gleichwohl besteht nach der Gesetzessystematik ein Dreiecksverhältnis, in dem sich das Bestehen von Erstattungsan­sprüchen über § 107 Abs 1 SGB X auch auf das Rechtsverhältnis zum erstattungspflichtigen Leistungsträger auswirkt (vgl hierzu zB Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Vorbemerkung zu §§ 102‑114 RdNr 100, Stand der Einzelkommen­tierung Juni 2019): Soweit ein Erstattungs­anspruch besteht, kann der Leistungsberechtigte nicht mehr gegen den erstattungspflichtigen Leistungsträger vorgehen (vgl Entwurfsbegründung des Sozialgesetzbuches <SGB> ‑ Zusam­menarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten ‑, zu Vor §§ 108 ff SGB X‑E in BT‑Drucks 9/95 S 26). Es entspricht der Eigenart des hoheitlich geprägten Rechtsverhältnisses zwischen erstattungspflichtigem Leistungsträger und Leistungsberechtigtem, dass (erst) die Abrechnungsmitteilung letzterem Klarheit darüber verschafft, in welchem Umfang der erstat­tungspflichtige Leistungsträger den gegen ihn gerichteten Anspruch als erfüllt ansieht. Das trifft jedenfalls auf die Abrechnung von Rentenansprüchen für einen Nachzahlungs­zeitraum zu. Der Rentenversicherungsträger greift dabei letztlich auf seine Befugnis zum Erlass des Rentenbe­scheids zurück. Wird der im Rentenbescheid genannte Nachzahlungsbetrag aus­nahmsweise nicht von der Bindungswirkung des Rentenbescheids erfasst, weil der Rentenversi­cherungsträger auf den vorläufigen Einbehalt der Nachzahlung hinweist, erfolgt die rechtsver­bindliche Fest­setzung der Rentennachzahlung erst mit der Abrechnungsmitteilung.

 

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Dem steht nicht entgegen, dass das BSG die Befugnis eines Rentenversicherungsträgers ver­neint hat, durch einen feststellenden Verwaltungsakt gegenüber dem Versicherten die Höhe sei­nes Erstattungsanspruchs gegen einen anderen Sozialleistungsträger festzustellen (vgl BSG Urteil vom 22.5.2002 ‑ B 8 KN 11/00 R ‑ SozR 3‑2600 § 93 Nr 12 S 110 f). Dort war das Verhält­nis zwischen Leistungsberechtigtem und erstattungsberechtigtem Sozialleistungsträger betrof­fen. Im hier interessierenden Rechtsverhältnis zwischen Leistungsberechtigtem und erstattungs­pflichtigem Sozialleistungsträger gilt hingegen nichts anderes als für die Verrechnung, mit der die Erstattung nach den §§ 102 ff SGB X vergleichbar ist (vgl hierzu etwa Kater in Kasseler Komm, § 107 SGB X RdNr 4, Stand der Einzelkommentierung Mai 2020). Für eine Verrechnung mittels Verwal­tungsakt bedarf die Verwaltung keiner über § 52 SGB I hinausgehenden Ermächtigung (vgl BSG Beschluss vom 31.8.2011 ‑ GS 2/10 ‑ BSGE 109, 81 = SozR 4‑1200 § 52 Nr 4, RdNr 17).

 

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Das Vorbringen der Klägerin, die Beklagte sei hier nicht zum Handeln durch Verwaltungsakt befugt gewesen, weil sie ihrer Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen (§ 20 Abs 1 Satz 1 SGB X) nicht ausreichend nachgekommen sei, ist unerheblich. Der Umfang der durchge­führten Ermittlungen ist für die Verwaltungsaktbefugnis einer Behörde ohne Belang.

 

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b) Die Abrechnungsmitteilung vom 5.4.2017 ist auch im Übrigen formell rechtmäßig. Vor ihrem Erlass hörte die Beklagte die Klägerin zwar nicht an (§ 24 Abs 1 SGB X). Der Anhörungsmangel wurde aber gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt. Hierfür reicht es aus, wenn dem Beteiligten in dem angefochtenen Bescheid die wesentlichen entscheidungs­erheblichen Gesichtspunkte mitgeteilt werden und er Gelegenheit zur sachgerechten Äußerung erhält (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.2012 ‑ B 14 AS 6/12 R ‑ BSGE 112, 221 = SozR 4‑1300 § 45 Nr 12, RdNr 21; BSG Urteil vom 26.7.2016 ‑ B 4 AS 47/15 R ‑ BSGE 122, 25 = SozR 4‑1500 § 114 Nr 2, RdNr 15). Das war hier der Fall. Aus der angefochtenen Abrechnungsmitteilung ergibt sich, dass die Beklagte wegen der Erstattungsforderung des Beigeladenen den Nachzahlungs­anspruch im Umfang von 16 884,29 Euro als erfüllt erachtet. Die Klägerin nutzte mit ihrem Widerspruch auch die Gelegenheit zur sachgerechten Äußerung. Wollte man für die Heilung des Anhörungsmangels darüber hinaus eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Widerspruchs­vorbringen verlangen (vgl hierzu bezogen auf § 45 Abs 1 Nr 3 VwVfG bereits BVerwG Urteil vom 17.8.1982 ‑ 1 C 22.81 ‑ BVerwGE 66, 111, 114 = NVwZ 1983, 284, 284; aus jüngerer Zeit BVerwG Urteil vom 17.12.2015 ‑ 7 C 5.14 ‑ BVerwGE 153, 367 RdNr 17 = NVwZ‑RR 2016, 449, 449; vgl auch Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl 2018, § 45 RdNr 84), wäre selbst diese Anforderung erfüllt. Obgleich die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück­wies, ging sie ergänzend auf den von der Klägerin bezweifelten Eintritt der Erfüllungsfiktion ein.

 

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2. Zu Recht setzte die Beklagte den Nachzahlungsbetrag auf 1876,55 Euro fest. Die Auskehrung weiterer 16 884,29 Euro kann die Klägerin nicht beanspruchen. Sie könnte den behaupteten Zah­lungsanspruch nur auf den bestandskräftigen Rentenbescheid vom 16.3.2017 stützen, in dem die Beklagte den Rentenbeginn auf den 1.4.2015 festsetzte. In Höhe von 1876,55 Euro ist der Anspruch für den Nachzahlungszeitraum durch Erfüllung erloschen, indem der von der Beklagten überwiesene Betrag einem Konto der Klägerin gutgeschrieben wurde (§ 362 Abs 1 BGB; vgl dazu, dass die Vorschrift auch für Ansprüche auf Sozialleistungen gilt, bereits BSG Urteil vom 29.1.1997 ‑ 5 RJ 52/94 ‑ BSGE 80, 41, 42 = SozR 3‑2200 § 1303 Nr 6 S 17; aus jüngerer Zeit zB BSG Urteil vom 11.9.2020 ‑ B 8 SO 8/19 R ‑ SozR 4‑3500 § 74 Nr 4 RdNr 27 mwN). Darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. In der verbleibenden Höhe von 16 884,29 Euro gilt der Zahlungsanspruch gemäß § 107 Abs 1 SGB X als erfüllt.

 

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Nach dieser Vorschrift gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Das war hier der Fall. Ausge­hend von den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erbrachte der Beigeladene der Klägerin im Nachzahlungszeitraum Arbeitslosengeld II im Umfang von 16 884,29 Euro, was von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt wird. Mit rückwirkender Rentenbewilligung entstand insoweit ein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten als vorrangig verpflichtetem Leis­tungsträger aus § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 40a Satz 2 SGB II.

 

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B. Die Entscheidung über die Erstattung der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Obgleich der Beigeladene nicht ausdrücklich von der Regelung in § 193 Abs 4 iVm § 184 Abs 1 SGG erfasst wird, entspricht es in der Regel der Billigkeit, nach § 183 Abs 1 SGG kostenprivilegierte Beteiligte wie die hier unterlegene Klägerin von der Erstattungspflicht gegenüber beigeladenen Trägern öffentlicher Verwaltung freizustellen (vgl BSG Urteil vom 1.3.2011 ‑ B 1 KR 10/10 R ‑ BSGE 107, 287 = SozR 4‑2500 § 35 Nr 4, RdNr 90). Es besteht kein Anlass, hier von diesem Grundsatz abzuweichen.

 

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Eine Änderung der Kostenentscheidung des LSG für die ersten beiden Rechtszüge ist nicht ver­anlasst. Das LSG durfte den Kostenausspruch des SG zu Ungunsten der Klägerin ändern; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht für Kostenentscheidungen (vgl zB Keller in Meyer-Lade­wig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 123 RdNr 5 mwN). Das LSG hat befunden, der Umstand, dass die Beklagte den Widerspruch fälschlicherweise als unzulässig zurückge­wiesen habe, sei mit der Pflicht zur Tragung eines Viertels der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Klageverfahren ausreichend berücksichtigt. Das erscheint unter keinem Gesichtspunkt unbillig.
 

Rechtskraft
Aus
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