Für die Zeit vor Inkrafttreten der Kryo-RL des GBA (BAnz 19.02.2021 B 7) am 20.02.2021 besteht kein Sachleistungsanspruch auf Kryokonservierung. Erst der GBA entscheidet über die weitere Konkretisierung des Gesetzes (§ 27a Abs 4 SGB V) als Normgeber. Mit der Kryo-RL wird der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen verbindlich festgelegt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 01.12.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Kosten einer Kryokonservierung streitig.
Die 1995 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Sie leidet an Morbus Hodgkin (bösartiger Tumor des Lymphsystems).
Am 23.07.2018 beantragte die Klägerin erstmals die Übernahme der Kosten zur Eizellenentnahme und legte ein Informationsschreiben der gynäkologischen Endokrinologie und Fertilitätsstörungen-Kinderwunschsprechstunde des Uklinikums H über die Methode sowie die Kosten ua der Kryokonservierung vor. Zur Begründung verwies die Klägerin auf die Erkrankung Morbus Hodgkin. Der Krebs sei in vier Blöcken Chemotherapie, zahlreichen Bestrahlungen sowie sämtlichen Operationen behandelt worden. Eine dieser Operationen sei die Verlagerung ihres linken Ovars (Eierstock) aus dem vorgesehenen Bestrahlungsfeld gewesen, um die Funktionalität des Ovars soweit wie möglich zu erhalten. Auf Grund von Kommunikationsproblemen zwischen den operierenden Ärzten sei das Ovar mitten in das Bestrahlungsfeld verlegt worden. Es habe eine erneute Operation angestanden, um das Ovar vorübergehend aus dem Bestrahlungsfeld zu entfernen. Schon zu diesem Zeitpunkt sei sie sich darüber im Klaren gewesen, dass sie sich lieber noch einmal operieren lassen werde, als die Funktionalität des Ovars und somit auch die Möglichkeit von eigenen Kindern zu gefährden. Heute sei sie mit 22 Jahren erneut mit dem Thema Kinderwunsch konfrontiert worden, da ihr Frauenarzt einen sehr niedrigen Wert des Anti-Müller-Hormons (AMH), das Rückschlüsse auf die Fruchtbarkeit liefere, festgestellt habe. Daraufhin habe ihr ihre Ärztin nahegelegt, nicht allzu lange mit der Familienplanung zu warten, weil sich der Wert im Laufe des Alters verschlechtere. Schuld an diesem niedrigen Wert seien die Chemo- und Bestrahlungstherapien gegen den Krebs. Aktuell wolle sie noch keine Kinder bekommen, zumal sie noch mitten in der Ausbildung zur Krankenschwester sei und noch nicht den richtigen Partner gefunden habe. Trotzdem wolle sie sich die Möglichkeit offenhalten, Kinder zu bekommen, wenn die Zeit dafür reif sei. Deshalb habe sie sich dazu entschlossen, Eizellen entnehmen und einfrieren zu lassen. In dem Informationsschreiben werden die Kosten für die Kryokonservierung von befruchteten und unbefruchteten Eizellen mit 150 € sowie für die Lagerung der kryokonservierten Zellen für ein Jahr mit 300 € angegeben. Die Klinik wies darauf hin, dass die Kryokonservierung und der mögliche Embryotransfer keine Leistung der Krankenkasse darstellten, somit keine Erstattungspflicht durch die Krankenkassen bestehe. Die anfallenden Kosten für Einfrieren, Lagerung und den möglichen Embryotransfer müssten von den Paaren selbst getragen werden. Die Leistungen würden in Rechnung gestellt.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 ab.
Mit E-Mail vom 14.05.2019 wies die Klägerin auf ihren Antrag aus Juli 2018 hin und bat unter Verweis auf die kürzlich geänderte Gesetzeslage die Beklagte um nochmalige Prüfung der Unterlagen sowie Kostenübernahme. Die Entnahme habe bisher noch nicht stattgefunden.
Mit Bescheid vom 28.05.2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Kosten für eine Kryokonservierung der Eizellen könnten nicht übernommen werden. In der gesetzlichen Krankenversicherung dürften Kosten nur für Leistungen übernommen werden, die zur Diagnose, Behandlung und Vorbeugung einer Erkrankung dienten. Die Kryokonservierung gehöre nicht zu diesen Leistungen, sondern solle vielmehr die Folgen der Behandlung der Erkrankung der Klägerin ausgleichen. Derartige Leistungen gehörten bisher nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.
Dagegen legte die Klägerin am 12.06.2019 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 21.06.2019 wies die Beklagte darauf hin, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) derzeit die medizinischen Einzelheiten zu den Voraussetzungen, der Art und dem Umfang der Maßnahme im Rahmen der Kryokonservierung bestimme. Dies könne bedeuten, dass die Beklagte zukünftig für diese Leistung die Kosten tragen dürfe. Hierfür müsse aber eine entsprechende Richtlinienänderung durch den GBA erst einmal rechtskräftig werden. Solange dies nicht erfolgt sei, müsse der Widerspruch abschließend beschieden werden. Die Klägerin erklärte sich mit einem Ruhen des Widerspruchsverfahrens einverstanden, die Beklagte nahm das Widerspruchsverfahren wieder auf.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.05.2019 mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2020 als unbegründet zurück. Gemäß § 27a Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hätten Versicherte seit dem 11.05.2019 grundsätzlich Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheine, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vornehmen zu können. Nach § 27a Abs 5 SGB V bestimme der GBA in den Richtlinien nach § 92 SGB V, insbesondere in den Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (KB-RL), die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen. Die gesetzlichen Krankenkassen könnten nicht frei darüber entscheiden, welche Leistungen sie erbringen dürften. Der Gesetzgeber habe bestimmt, dass der Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) beschrieben sei. Alle Leistungen, die im EBM aufgeführt seien, dürften die gesetzlichen Krankenkassen erbringen. Aufgrund der Vorgaben in § 27a Abs 5 SGB V bedürfe es der rechtlichen Manifestation in den Richtlinien nach § 92 SGB V durch den GBA sowie zusätzlich der Schaffung einer Abrechnungsziffer nach dem EBM. Der GBA habe die erforderliche Ergänzung der Richtlinien noch nicht durchgeführt. Auch sei noch keine Abrechnungsziffer für die Kryokonservierung von Eizellen geschaffen worden. Insofern bestehe zum Zeitpunkt des Leistungsantrages bzw der Durchführung der Kryokonservierung von Eizellen und der dazugehörigen medizinischen Maßnahmen auch bei Vorliegen der Voraussetzungen kein Sachleistungsanspruch. Bis zur Änderung der KB-RL durch den GBA sowie Bewertung durch den Bewertungsausschluss sei eine Kostenübernahme, auch im Einzelfall ausgeschlossen.
Dagegen hat die Klägerin am 02.07.2020 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und die Erstattung der bisher aufgewendeten Kosten für die Kryokonservierung in Höhe von 1060,25 € sowie für die Zukunft als Sachleistung begehrt. Sie leide seit Vollendung des 11. Lebensjahres an Morbus Hodgkin. Durch die durchgeführte Chemo- und Bestrahlungstherapie sei ihre Fruchtbarkeit stark beeinträchtigt, bereits jetzt bestünden niedrige einschlägige Hormonwerte. Es sei davon auszugehen, dass diese mit weiterer Zeit bis zur Unfruchtbarkeit nachlassen würden. Sie habe zwischenzeitlich mit der ersten Maßnahme zur Kryokonservierung begonnen, die hierfür verordneten Medikamente erhalten und bezahlt sowie einen Betrag in Höhe von 1060,25 € verauslagt. Der Anspruch folge aus § 27a Abs 4 SGB V. Danach hätten Versicherte einen Anspruch auf Kryokonservierung sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn diese wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer zellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheine, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vornehmen zu können. Auf Grund der zellschädigenden Chemo- und Bestrahlungstherapie sei bei ihr eine Kryokonservierung medizinisch notwendig, damit später durch eine künstliche Befruchtung eine Schwangerschaft herbeigeführt werden könne. Die Tatsache, dass eine Richtlinie des GBA nach § 27 Abs 5 SGB V noch nicht vorliege, schließe ihren Anspruch nicht aus. Vielmehr seien die Kosten der Kryokonservierung im vollem Umfang als Sachleistung zu tragen. Weder aus § 27a SGB V noch aus § 92 SGB V ergebe sich, dass die fehlende Ausgestaltung des Anspruchs durch Richtlinien des GBA ihren Anspruch ausschließe. Der Anspruch auf Kostenerstattung richte sich nach § 13 Abs 3 Satz 1, zweite Alternative SGB V.
Die Klägerin hat im Laufe des Klageverfahrens folgende Unterlagen vorgelegt:
- Verordnung vom 25.06.2020 über Orgalutran 0,25 mmg/0,5 mml 1x 5 Stück N3, 4x (Hemmung der Wirkung des natürlichen Gonadotropin-Releasing-Hormons; Orgalutran wird verwendet, um einen zu frühen Eisprung zu verhindern), 4x Menogon HP plus Zubehör 10 Stück N3 (Hormonmenotropin; Behandlung der weiblichen Unfruchtbarkeit), Triptofem, 2 Stück (Triptorelin-x- Acetat; Anwendung zur Behandlung von Frauen im Rahmen der assistierten Reproduktionstechniken)
- Lieferschein über die Lieferung dieser drei Arzneimittel und die der Klägerin entstandenen Kosten in Höhe 1060,25 €.
- Verordnung vom 18.08.2020 über Ovitrelle 250 mg (Hormonchoriogonadotropin; zur Unterstützung und Reifung mehrerer Eizellen); Kosten 53,65 €
- Verordnung vom 16.09.2020 über Ovitrelle (Kosten 53,65 €),
- Verordnung vom 23.09.2020 über Triptofem 0,1 mg,
- Verordnung vom 23.09.2020 über 4x Menogon und Pyremadel 0,2 mg/0,5 ml; Kosten 670,15 €,
- Rechnung des Uklinikums H vom 14.09.2020 über die ambulante Krankenhausbehandlung am 27.07.2020 über die Leistungen Follikelentnahme, Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen und Lagern eingefrorener Eizellen für ein Jahr in Höhe von insgesamt 600 €,
- Rechnung des Uklinikums H vom 28.09.2020 über die ambulante Behandlung am 25.08.2020 für die Leistungen Follikelentnahme und Kryokonservierung in Höhe von insgesamt 250 €.
- Rechnung des Uklinikums H vom 07.12.2020 über eine ambulante Behandlung vom 23.09.2020 mit den Leistungen Follikelentnahme und Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen in Höhe von insgesamt 250 €.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der aktuelle Antrag vom 14.05.2019 sei durch Bescheid vom 28.05.2019 fristgemäß beschieden worden. Die gesetzlichen Krankenkassen könnten nicht frei darüber entscheiden, welche Leistungen sie erbringen dürften. Der Gesetzgeber habe bestimmt, dass der Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen im EBM beschrieben seien. Alle Leistungen, die in den EBM aufgenommen seien, dürften die gesetzlichen Krankenkassen erbringen. Damit sie - die Beklagte - die Kosten nach der neuen Regelung des § 27a Abs 4 SGB V tragen könne, bedürfe es auf Grund der Regelung in § 27a Abs 5 SGB V deren rechtlicher Manifestation in einer Richtlinie durch den GBA sowie zusätzlich der Schaffung einer Abrechnungsziffer nach dem EBM. Der GBA habe die erforderliche Ergänzung der Richtlinien noch nicht erlassen. Auch bestehe noch keine Abrechnungsziffer für die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen und deren Lagerungskosten.
Der GBA hat mit Beschluss vom 16.07.2020 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 17.12.2020 die Richtlinie zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Kleinzellgewebe sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimzellschädigender Therapie erlassen. Der Beschluss wurde im Bundesanzeiger am 19.02.2021 (BAnZ 19.02.2021 B 7) veröffentlicht (Kryo-RL). Dort ist in § 7 für Übergangsfälle Folgendes geregelt: „Für Fälle, in denen Versicherte aufgrund einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie ihre Ei- oder Samenzellen oder männliches Keimzellgewebe bereits haben kryokonservieren lassen oder mit den Maßnahmen zur Kryokonservierung im Sinne dieser Richtlinien bereits begonnen haben, besteht ab dem Tag des Inkrafttretens der Umsetzung dieser Richtlinie im Einheitlichen Bewertungsmaßstab in dem von diesem Zeitpunkt an im konkreten Einzelfall erforderlichen Umfang Anspruch auf Kryokonservierung und die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen nach dieser Richtlinie. Entsprechende Leistungen werden auf Antrag der Versicherten gewährt. Dem Antrag ist eine ärztliche Bescheinigung entsprechend § 4 Satz 2 Nummer 1 beizufügen.“
Der Bewertungsausschluss hat mit Wirkung zum 01.07.2021 über die Vergütungsregelung und Abrechnungsziffern im EBM entschieden.
Das SG hat mit Urteil vom 01.12.2021 den Bescheid vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die ab 01.07.2021 angefallenen Lagerungskosten für die entnommenen Eizellen (Kryokonservierung) zu erstatten und die Lagerung künftig als Sachleistung zu erbringen, sowie im Übrigen die Klage abgewiesen. Für die vor dem 01.07.2021 durchgeführten Maßnahmen und auch für die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte Einlagerung bestehe kein Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten. Insoweit sei die Klage abzuweisen. Nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V seien Kosten von der Krankenkasse zu erstatten, sofern diese eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig habe erbringen können oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien. In Betracht komme vorliegend nur § 13 Abs 3 Satz 1, Zweite Alternative SGB V, die Leistungsablehnung zu Unrecht. Die im Rahmen des § 13 Abs 3 Satz 1, Zweite Alternative SGB V erforderliche Kausalität, also dass eine Leistung abgelehnt werde und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden seien (sog Beschaffungsweg), sei vorliegend zwar gegeben. Denn die Beklagte habe die Leistung mit Bescheid vom 28.05.2019 abgelehnt, mit der Vorbereitung der Entnahme der Eier sei ausweislich der vorgelegten Unterlagen erst Ende Juni 2020 begonnen worden. Allerdings habe die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V reiche nicht weiter als der jeweilige Anspruch auf Sachleistungen (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> 30.09.1993, 4 KR 1/92; BSG 16.12.1993, 4 RK 5/92). Die Klägerin habe vor dem 01.07.2021 gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Kryokonservierung von Eizellen gehabt. Die Kryokonservierung sei erst seit 01.07.2021 eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Die Kryokonservierung unterfalle nicht § 27 SGB V. Bis zur Schaffung des aktuellen § 27 Abs 4 SGB V sei die Kryokonservierung auch nicht von der Regelung des § 27a SGB V umfasst gewesen, da diese Regelung zuvor nur Maßnahmen erfasst habe, die dem einzelnen natürlichen Zeugungsakt entsprochen hätten und unmittelbar der Befruchtung gedient hätten, nicht aber die Kryokonservierung und Lagerung (Hinweis auf BSG 25.05.2000, B 8 KN 3/99 KR; BSG 28.09.2010, B 1 KR 26/09 R; BSG 09.04.2018, B 1 KR 81/17 B). Ein Anspruch auf Leistung der Kryokonservierung ergebe sich nunmehr aus § 27a Abs 4 SGB V. Dass die Klägerin dem Grunde nach, also in medizinischer Hinsicht die Voraussetzungen von § 27a Abs 4 SGB V erfülle, sei zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten. Bereits aus den Unterlagen, die die Klägerin im Antragsverfahren vorgelegt habe, ergebe sich, dass auf Grund ihrer Krebserkrankung im Alter von 11 Jahren und die insofern damals erforderlich gewordene Chemotherapie und Bestrahlung nur eine deutlich reduzierte Eizellenreserve vorliege. Zudem hätten sich Hinweise auf eine eingeschränkte Ovarfunktion infolge der stattgehabten Krebserkrankung ergeben, sodass die behandelnden Ärzte es für medizinisch notwendig angesehen hätten, jetzt Eizellen zu entnehmen und zu konservieren, da dies die einzige Möglichkeit der Klägerin sei, eine spätere Schwangerschaft erleben zu können. Zum Erkrankungszeitpunkt sei auf Grund des Alters der Klägerin eine entsprechende Therapie nicht durchführbar gewesen. Die Ausführungen der behandelnden Ärzte seien nachvollziehbar und überzeugend. Das SG sei von der medizinischen Notwendigkeit der Kryokonservierung auf Grund der Krebsbehandlung mit Chemotherapie und Bestrahlung im Alter von 11 Jahren, um später medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Sinne des § 27a Abs 1 bis 3 SGB V vornehmen zu können, überzeugt. Ein solcher Anspruch nach § 27a Abs 4 SGB V bestehe durchsetzbar jedoch erst seit 01.07.2021. Diese Norm sei durch Artikel 1 des Terminservice- und Versorgungsgesetzes vom 06.05.2019 (BGBl I, 646) in das SGB V eingefügt und nach Artikel 17 zum 11.05.2019 in Kraft getreten. Ein Anspruch auf Leistungen bestehe aber dennoch erst seit 01.07.2021. Denn nach § 27a Abs 5 SGB V bestimme der GBA in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzung, Art und Umfang der Maßnahme nach § 27a Abs 4 SGB V. In Umsetzung dessen sei die Kryo-RL am 20.02.2021 in Kraft getreten. Der GBA habe am 30.06.2021 bekannt gegeben, dass der Bewertungsausschuss mit Wirkung zum 01.07.2021 Leistungen zur Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen oder Kleinzellgewebe gemäß der Kryo-RL des GBA in den EBM aufgenommen habe. Erst damit sei ein Sachleistungsanspruch für die Versicherten entstanden. Aus der zum 11.05.2019 in Kraft getretenen Regelung des § 27a Abs 4 SGB V ergebe sich allein kein Anspruch auf Leistungen. Denn aus § 27a Abs 5 SGB V ergebe sich eindeutig, dass der Gesetzgeber die Ausgestaltung der Leistungen in die Hände des GBA gelegt habe. Die vom GBA erlassenen Richtlinien seien in der Rechtsprechung des BSG seit langem als untergesetzliche Rechtsnormen mit Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten anerkannt (Hinweis auf BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R). Mit der entsprechenden Richtlinie des GBA werde damit der grundsätzlich in § 27a SGB V vorgegebene Leistungsanspruch konkretisiert und erst erbringbar gemacht. Erst die Richtlinie bestimme die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzung, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27 Abs 4 SGB V. Solange die Leistungsvoraussetzungen des dem Grunde nach bestehenden Anspruchs nicht geregelt seien, könne der Anspruch nicht umgesetzt werden. Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 27a Abs 4 SGB V sei ausdrücklich aufgeführt, dass die gesetzliche Krankenversicherung künftig die Kosten für die Maßnahmen der Kryokonservierung nach dem Sachleistungsprinzip übernehme (Hinweis auf BT-Drucksache 19/6337, 87). Demzufolge ergebe sich auch aus § 7 der am 20.02.2021 in Kraft getretene Richtlinie des GBA für Übergangsfälle, dass erst ab dem Tag des Inkrafttretens der Umsetzung der Richtlinie im EBM mit dem von diesem Zeitpunkt an im konkreten Einzelfall erforderlichen Umfang Anspruch auf Kryokonservierung und die dazu gehörigen medizinischen Maßnahmen bestehe. Demzufolge habe die Klägerin erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Aufnahme der Leistungen in den EBM und damit ab 01.07.2021 Anspruch auf die von diesem Zeitpunkt an anfallenden Leistungen der Kryokonservierung.
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 06.12.2021 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 06.01.2022 beim SG eingelegten Berufung. Es sei absurd, dass das SG ausführe, der Anspruch sei zwar gesetzlich ab dem 11.05.2019 geregelt worden, jedoch erst durch die Richtlinie des GBA realisierbar. Dies würde bedeuten, dass der Gesetzgeber einen Anspruch zugesagt habe, aber ein Ausschuss darüber entscheiden könne, ob und seit wann dieser Anspruch des Bürgers gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung de facto bestehe. Dies ergebe sich gerade nicht aus der zitierten Entscheidung des BSG vom 07.05.2013 (B 1 KR 8/12 R). Vorliegend handele es sich nicht um eine Ausgestaltung und Konkretisierung des Leistungsanspruchs, sondern überhaupt um die Schaffung der Voraussetzungen der Erbringung als Sachleistung durch die Einfügung in den EBM. Eine solche Regelung gehe weit über Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen hinaus, wie dies in § 27a Abs 5 SGB V geregelt sei. Hier habe das BSG eine Grenze gezogen, denn Abs 5 ermächtige den GBA nicht dazu, über Zulassung und Ausschluss von Methoden zu entscheiden. Eine fehlende Entscheidung über die Vergütung nach dem EBM und damit den Voraussetzungen der Umsetzung des Sachleistungsanspruchs entspreche genau dem Ausschluss des Anspruchs für den Zeitraum der Untätigkeit und nicht der Konkretisierung und Ausgestaltung eines bereits bestehenden Anspruchs.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 01.12.2021 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2020 zu verurteilen, ihr Kosten für die Kryokonservierung in Höhe von 2.884,05 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf das angefochtene Urteil des SG.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig.
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Erbringung von Leistungen der Kryokonservierung abgelehnt hat. Dagegen hat sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) gewandt und sowohl die Erstattung der ihr bisher entstandenen Aufwendungen sowie eine Versorgung für die Zukunft begehrt. Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil die Beklagte zur Erbringung der begehrten Leistung in Form einer Sachleistung für die Zeit ab 01.07.2021 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Allein gegen die teilweise Klageabweisung betreffend die Erstattung der ihr bis zum Dezember 2020 entstandenen Kosten wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und begehrt die Erstattung des Betrages in Höhe von 2.884,05 €. Soweit sich die Klägerin während des Klageverfahrens Leistungen der Kryokonservierung von Eizellen und die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen in der Zeit vor dem 01.07.2021 selbst beschafft und hierfür 2.884,05 € aufgewandt hat sowie nun die Erstattung dieser Aufwendung begehrt, liegt in der Umstellung des Sachleistungsbegehrens auf eine Kostenerstattung keine Änderung der Klage (vgl § 99 Abs 3 Nr 3 SGG; ferner BSG 26.02.2019, B 1 KR 24/R, BSGE 127, 240). Die Klägerin hat ihre Kosten auch konkret beziffert.
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2020 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit die Beklagte die Erbringung von Leistungen bzw die Erstattung von Kosten für die Zeit vor dem 01.01.2021 (letzte hier streitige Leistung: Dezember 2020) abgelehnt hat. Das SG hat in dem angefochtenen Urteil vom 01.12.2021 im Einzelnen die Voraussetzungen des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs sowie des Sachleistungsanspruchs nach § 27a Abs 4 iVm Abs 5 SGB V dargelegt und begründet, warum die Voraussetzungen für eine Erstattung der der Klägerin entstandenen Kosten nicht vorliegen. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs 2 SGG).
Lediglich ergänzend ist Folgendes auszuführen: Das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass als Anspruchsgrundlage lediglich § 27a Abs 4 SGB V in der seit dem 11.05.2019 geltenden Fassung in Betracht kommt (vgl zur früheren Rechtslage bzgl der Kryokonservierung von Samen- oder Eizellen BSG 29.06.1990, 3 RK 19/89, SozR 3-2200 § 182 Nr 3; zuletzt BSG 09.04.2018, B 1 KR 17/17 B). Weiterhin hat das SG zutreffend ausgeführt, dass der Klägerin kein Sachleistungsanspruch auf Kryokonservierung betreffend die in der Zeit von August 2020 bis September 2020 selbst beschafften ambulanten Leistungen nebst Arzneimitteln, wobei sie dafür von August bis Dezember 2020 Kosten iHv von insgesamt 2.884,05 € aufwenden musste, zustand, da es seinerzeit an der nach § 27a Abs 5 SGB V erforderlichen Umsetzungsrichtlinie des GBA fehlte (so ausdrücklich auch Uyanik, SGb 2020, 473/475 f). Die Kryo-RL ist erst am 20.02.2021 in Kraft getreten. Ob es darüber hinaus auch noch einer Umsetzung durch die Aufnahme von Vergütungsregelungen in den EBM bedurfte, die in dem vorliegenden Kontext der Bewertungsausschluss mit Wirkung zum 01.07.2021 geschaffen hat, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn die von der Klägerin im hiesigen Verfahren geltend gemachten Kosten sind ihr allesamt rechtsverbindlich weit vor Inkrafttreten der Kryo-RL am 20.02.2021 entstanden, nämlich in der Zeit von August bis spätestens Dezember 2020.
§ 27a Abs 4 SGB V normiert unter den dort geregelten Voraussetzungen einen gebundenen Rechtsanspruch der Versicherten als Sachleistungsanspruch iS von § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V (Gerlach in Hauck/Noftz, § 27a SGB V <Stand Januar 2020> Rn 6; BT-Drs 19/6337, 87). Nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) nichts Abweichendes vorsehen. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern (§ 2 Abs 2 Satz 3 SGB V). Versicherte haben aus § 27a SGB V nicht lediglich ein bloßes subjektiv-öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder einen bloßen Anspruch dem Grunde nach, sondern einen konkreten Individualanspruch, dessen Reichweite und Gestalt sich aber aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergibt (vgl zB BSG 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R, BSGE 125, 262; BSG 02.09.2014, B 1 KR 11/13 R, BSGE 117, 10). Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt aber den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, ggf modifiziert durch die Grundsätze grundrechtsorientierter Auslegung (vgl § 2 Abs 1a SGB V, BSG 02.09.2014, B 1 KR 11/13 R, BSGE 117, 10). Vor diesem Hintergrund ermächtigt § 27a Abs 5 SGB V den GBA, in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach § 27a Abs 4 SGB V zu bestimmen (vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14; ferner BSG 07.11.2006, BSGE 97, 190). Nach § 92 Abs 1 Satz 1 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Gemäß § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V soll er Richtlinien über medizinische Maßnahmen ua zur Kryokonservierung nach § 27a Abs 4 SGB V beschließen. Die Richtlinien des GBA sind Bestandteil der Bundesmantelverträge (§ 92 Abs 8 SGB V). Die Beschlüsse des GBA sind mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 136d SGB V für die Träger nach § 91 Abs 1 Satz 1 SGB V, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich. In der Rechtsprechung des BSG sind die Richtlinien des GBA als untergesetzliche Rechtsnormen mit Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten anerkannt und unterliegen keinen grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken (zB BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190; BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14; BSG 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R, BSGE 120, 170; BSG 11.05.2017, B 3 KR 6/16 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 51; ferner Roters in Kasseler Kommentar, § 91 SGB V, Stand Dezember 2021, Rn 24 sowie § 92 SGB V Rn 9 f; Sproll in Krauskopf, SGB V, Stand 2021, § 91 Rn 24). Vor diesem Hintergrund hat der GBA die Aufgabe, zu präzisieren, unter welchen Voraussetzungen sowie in welcher Art und in welchem Umfang Maßnahmen der Kryokonservierung auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung gerechtfertigt sind. Der GBA entscheidet erst über die weitere Konkretisierung des Gesetzes als Normgeber (vgl BSG 07.05.2013, B 1 KR 8/12 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 14).
In der nach dem Tag der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 20.02.2021 (BAnZ 19.02.2021 B 7) in Kraft getretenen Kryo-RL hat der GBA den gesetzlichen Leistungsanspruch des § 27a Abs 4 SGB V konkretisiert und präzisiert sowie im Einzelnen ausgestaltet. Der GBA konkretisiert im Rahmen der Ermächtigung der §§ 27 Abs 5, 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V in der Kryo-RL die Leistungsvoraussetzungen (§ 2), die medizinischen Indikationen (§ 3), das Beratungsverfahren (§ 4), den Umfang der medizinischen Maßnahmen (§ 5) sowie die Qualitätssicherung durch Anforderungen an die Leistungserbringer (§ 6). Er hat damit erst die grundlegenden Voraussetzungen geschaffen, dass die Leistungserbringer die Maßnahmen der Kryokonservierung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung an die Versicherten erbringen können, und den gesetzlichen Anspruch des § 27a Abs 4 SGB V operationalisiert. Mit der Kryo-RL wird der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen der Kryokonservierung verbindlich festgelegt. Die Kryo-RL ist wie dargelegt erst zum 20.02.2021 in Kraft getreten. Diese regelt in § 7 für „Übergangsfälle“ auch, unter welchen Voraussetzungen bereits begonnene Maßnahme zukünftig als Sachleistungen erbracht werden können. Vorliegend konnten die Klägerin sowie die Leistungserbringer insbesondere das in § 4 Kryo-RL vorgesehene Verfahren nicht einhalten, weil dieses im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistungen noch nicht verbindlich geregelt war. Weiterhin haben die von der Klägerin gewählten Leistungserbringer in der zweiten Jahreshälfte 2020 ausdrücklich keine Sachleistungen erbracht, sondern ihr die Leistungen als Privatpatientin bzw Selbstzahlerin in Rechnung gestellt.
Schließlich hat die Klägerin nicht wegen Systemversagens einen sachleistungsersetzenden Freistellungs- oder Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte. Nach der Rechtsprechung des BSG sind Leistungen in einem solchen Ausnahmefall in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen einbezogen, ohne dass es einer Richtlinie des GBA und einer Aufnahme der Methode in den EBM bedarf. Die Rechtsprechung des BSG erstreckt den Anwendungsbereich der Regelung des § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V über den ausdrücklich geregelten Kostenerstattungsanspruch hinaus auch auf Fälle der Kostenfreistellung, wenn aufgrund Systemversagens eine Lücke im Naturalleistungssystem besteht, die verhindert, dass Versicherte sich die begehrte Leistung im üblichen Weg der Naturalleistung verschaffen können (vgl zB BSG 26.05.2020, B 1 KR 21/19 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 54; BSG 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 11; BSG 11.05.2017, B 3 KR 6/16 R, SozR 4-2500 § 33 Nr 51; BSG 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R, BSGE 113, 241). Ein solches Systemversagen wird angenommen, wenn der GBA das vorgeschriebene Verfahren trotz Erfüllung der notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt hat.
Ein solcher Fall des Systemversagens liegt hier nicht vor. Der GBA ist nicht rechtwidrig untätig geblieben. Ausweislich des im Abschlussbericht des GBA vom 20.02.2021 dargestellten Verfahrensbaulaufs wurde im Juli 2019 das Beratungsverfahren eingeleitet sowie durch den Unterausschuss Methodenbewertung das Bewertungsverfahren angekündigt und die Leitlinienrecherche initiiert. Der Unterausschuss Methodenbewertung legte im Januar 2020 eine Beschlussempfehlung vor und leitete das Stellungnahmeverfahren gemäß §§ 91 Abs 5, 92 Abs 1b und Abs 7d SGB V ein. Der Unterausschuss Methodenbewertung setzte sich im März 2020 mit den schriftlichen Stellungnahmen auseinander. Die mündliche Anhörung erfolgte wegen Infektionsschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie im Rahmen einer Videokonferenz im April 2020. Im Juni 2020 erfolgte im Unterausschuss Methodenbewertung die abschließende Beratung und Beschlussempfehlung an das Plenum. Der GBA fasste am 16.07.2020 den Beschluss zur Kryo-RL und legte diesen im August 2020 dem Bundesministerium für Gesundheit zur Prüfung nach § 94 Abs 1 SGB V vor. Mit Schreiben vom 24.09.2020 nahm der GBA die Vorlage zur Prüfung nach § 94 Abs 1 SGB V wieder zurück, weil der GBA die Notwendigkeit einer erneuten Beratung im Hinblick auf die berechtigten Leistungserbringer sowie Kooperationen für Leistungsbestandteile sah. Der Unterausschuss Methodenbewertung bereitete eine Beschlussempfehlung zur Änderung der Erstbeschlusses des GBA vor und führte ein erneutes Stellungnahmeverfahren durch. Nach Einholung von Stellungnahmen, Durchführung der Anhörung, Würdigung und Beratung gab der Unterausschuss Methodenbewertung im Dezember 2020 eine Beschlussempfehlung für das Plenum ab. Der GBA beriet am 17.12.2020 und fasste den Beschluss zur Änderung der ersten Fassung der Kryo-RL und legte den Beschluss anschließend im Januar 2021 dem Ministerium für Gesundheit zur Prüfung vor. Nachdem das Bundesministerium für Gesundheit den Beschluss des GBA nicht beanstandet hatte, wurde am 19.02.2021 die Kryo-RL im Bundesanzeiger veröffentlicht. Die Richtlinie trat am 20.02.2021 in Kraft. Der skizzierte Ablauf bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass der GBA das Verfahren betreffend den Erlass einer Richtlinie nach § 27a Abs 5 iVm § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt bzw dieses sachwidrig verschleppt hat. Dies macht im Übrigen auch die Klägerin nicht geltend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.