L 3 AS 1216/22 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 2603/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 1216/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Ein PKH-Antrag ist erst dann bewilligungsreif, wenn neben den Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nebst Belegen auch die substantiierte Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe etwaiger Beweismittel vorliegt.
2. Die Ablehnung des PKH-Antrages wegen Substantiierungsmängeln setzt einen hinreichend deutlichen, mit Fristsetzung verbundenen gerichtlichen Hinweis voraus.
3. Zur Übertragung der abschließenden Entscheidung über den PKH-Antrag an das Sozialgericht.

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 17.03.2022 aufgehoben. Die abschließende Entscheidung über den Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird dem Sozialgericht Mannheim übertragen.

Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.


Die Kläger begehren die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das beim Sozialgericht (SG) Mannheim anhängige Verfahren S 17 AS 2603/21, in dem die Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis zum 31.07.2020 im Streit steht.

Der Kläger bezieht von dem Beklagten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. So bewilligte der Beklagte ihm auch mit Bescheid vom 31.10.2019 sowie mit Änderungsbescheiden vom 23.11.2019 und 11.06.2020 Leistungen für die Zeit vom 01.11.2019 bis zum 31.10.2020 in Höhe von 539,50 € monatlich. Der Klägerin bewilligte er keine Leistungen, da diese eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe und dauerhaft nicht erwerbsfähig sei.

Mit Schreiben vom 24.02.2021 zeigte die Prozessbevollmächtigte die Vertretung der Kläger im anhängigen „Widerspruchs- und Überprüfungsverfahren“ an und legte am 05.03.2022 eine Vollmacht vor. Sie bat mit Schreiben vom 08.03.2021 unter Vorlage eines Mietvertrages und einer Vermieterbescheinigung um Korrektur der bisherigen Bewilligung von Kosten der Unterkunft und machte mit Schriftsatz vom 31.03.2021 geltend, die Stellplatz- und Garagenmiete müsse bei dem Kläger nach Kopfteilen berücksichtigt werden, die Rückforderung aufgrund der Betriebskostenabrechnung 2019 sei bei dem Kläger in vollem Umfang und nicht nach Kopfteilen angerechnet worden und die Klägerin habe unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 28.11.2018 (Az.: B 4 AS 46/17 R) ebenfalls einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Schließlich verwies die Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schreiben vom 18.06.2021 auf das am 19.05.2021 ergangene Urteil des BSG (Az.: B 14 AS 39/20 R), nach dem Aufwendungen für einen Stellplatz oder eine Garage dann anzuerkennen seien, wenn sie Bestandteile eines einheitlichen Mietverhältnisses seien und eine Teilkündigung nicht möglich sei. Außerdem stellte die Prozessbevollmächtigte der Kläger „hinsichtlich etwaiger weiterer Bescheide über die Bewilligung, Änderung, Festsetzung, Aufhebung und/oder Erstattung von Leistungen nach dem SGB II innerhalb der Frist des § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X“ und erhob „gegen noch nicht bestandskräftige Bescheide Widerspruch“.
 
Mit Änderungsbescheid vom 21.07.2021 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2020 bis zum 31.07.2020 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 569,96 € monatlich und führte zur Begründung an: „Die Kosten für die Garage und den Stellplatz wurden anerkannt.“ Für die Klägerin wurden keine Leistungen bewilligt, da sie laufend Leistungen nach dem SGB XII beziehe, durch die ihr Bedarf gedeckt sei.
 
Hiergegen legte die Prozessbevollmächtigte der Kläger am 20.08.2021 Widerspruch ein, der trotz Aufforderung vom 27.08.2021 nicht begründet wurde und den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid (Az. W 1292/21) vom 04.10.2021 zurückwies.

Mit der am 03.11.2021 beim SG Mannheim eingegangenen Klage hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger eine Kopie des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2021 vorgelegt und angekündigt, in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, den Bescheid des Beklagten vom 21.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.10.2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, „den Klägern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen“.

Mit der Klage ist zugleich für die Kläger die Bewilligung von PKH beantragt worden.

Das SG Mannheim hat mit Verfügung vom 04.11.2021 bei dem Beklagten dessen Verwaltungsakten angefordert und bei der Prozessbevollmächtigten der Kläger ausgefüllte und unterschriebene Vordrucke zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie Belege angefordert. Die Verwaltungsakten sind am 02.12.2021 bei Gericht eingegangen. Mit Gerichtsverfügung vom 30.11.2021 ist die Prozessbevollmächtigte der Kläger unter Fristsetzung zum 07.01.2022 zur Vorlage einer Klagebegründung aufgefordert worden. Am 07.12.2021 sind die ausgefüllten und unterschriebenen Vordrucke zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie Belege eingereicht worden. Am 10.01.2022 und am 16.02.2022 ist die Prozessbevollmächtigte der Kläger an die Vorlage einer Klagebegründung erinnert worden. Eine Klagebegründung ist nicht eingegangen.

Mit Beschluss vom 17.03.2022 hat das SG Mannheim die Bewilligung von PKH für das Klageverfahren abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg. Die Kläger hätten nicht alle ihnen obliegenden Mitwirkungspflichten erfüllt. Zur Prüfung der Erfolgsaussichten durch das Gericht hätte es einer hinreichenden Begründung der Klage bedurft, die trotz gerichtlicher Aufforderung nicht erfolgt sei.

Gegen den am 21.03.2022 zugestellten Beschluss richtet sich die am 21.04.2022 beim SG Mannheim und am 22.04.2022 beim Landesozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingegangene Beschwerde der Kläger.

II.

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des SG Mannheim vom 17.03.2022, mit dem dieses ihren Antrag auf Bewilligung von PKH für das anhängige Verfahren S 17 AS 2603/21 abgelehnt hat, weil die Kläger nicht alle ihnen obliegenden Mitwirkungspflichten erfüllt hätten und es zur Prüfung der Erfolgsaussichten durch das Gericht einer hinreichenden Begründung der Klage bedurft hätte, ist zulässig und begründet. Mit der genannten Begründung hätte das SG Mannheim den PKH-Antrag nicht ablehnen dürfen.

Grundsätzlich ist über einen Antrag auf Bewilligung von PKH dann zu entscheiden, wenn dieser Antrag vollständig und damit bewilligungsreif ist. Ein bewilligungsreifer Antrag setzt neben der Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechenden Belegen (§ 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO) auch die Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO) voraus. Letzteres ist erforderlich, weil eine Prüfung der Erfolgsaussichten für die PKH-Bewilligung nur dann möglich ist, wenn das Streitverhältnis substantiiert dargestellt worden ist. Genügt ein PKH-Antrag nicht diesen Erfordernissen des § 117 ZPO, ist er nicht bewilligungsreif (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2010 – 1 BvR 362/10, juris Rn. 15; vgl. auch: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.10.2016 – L 4 R 2840/16 B, juris Rn. 25; Sächsisches LSG, Beschluss vom 18.05.2015 – L 3 BK 15/13 B PKH, juris Rn. 22). Bleibt es trotz mehrfacher Aufforderung (Hinweispflicht des Gerichts) zur Beseitigung der Substantiierungsmängel bei diesen, kann hinreichende Erfolgsaussicht auch ohne weitere Amtsermittlungen jedenfalls dann verneint werden, wenn weder der Vortrag im Vorverfahren noch eine erste Durchsicht der angefochtenen Bescheide bzw. der Verwaltungsakten auf eine fehlerhafte oder belastende Entscheidung hinweist. Zur Behebung der Substantiierungsmängel kommt auch eine Fristsetzung nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO mit Hinweis auf die entsprechende Rechtsfolge (Ablehnung des Antrages) in Betracht (vgl. zum Ganzen: Gall in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand 15.07.2017, § 73a, Rn. 50, 67; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.09.2014 – L 2 AS 1029/13 B, juris Rn. 13).

Es kann vorliegend offenbleiben, ob allein eine fehlende Klagebegründung bereits zur Ablehnung eines PKH-Antrags berechtigt und ob das SG Mannheim im Beschluss vom 17.03.2022 bei der Verneinung der Erfolgsaussichten ausschließlich darauf abstellen durfte, dass die Klage im Verfahren S 17 AS 2603/21 nicht begründet worden war, oder ob das Gericht vielmehr gehalten gewesen wäre, in seine Prüfung auch den Inhalt der ihm am 02.12.2021 vorgelegten Verwaltungsakte des Beklagten einzubeziehen und das Vorbringen der Prozessbevollmächtigten der Kläger in den aktenkundigen Schriftsätzen zu berücksichtigen. Denn es fehlt in diesem Fall bereits an den nach den oben genannten Grundsätzen notwendigen gerichtlichen Hinweisen bezüglich der nach Ansicht des SG Mannheim vorliegenden Substantiierungsmängel. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger ist zwar wiederholt an die Vorlage einer Klagebegründung erinnert worden, ein mit Fristsetzung verbundener Hinweis (§ 62 SGG), dass der Antrag bei weiter ausbleibender Substantiierung analog § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO abgelehnt werde, ist indes nicht erfolgt. Damit lagen die Voraussetzungen für die Ablehnung der Bewilligung von PKH nicht vor (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht [OLG], Beschluss vom 27.06.2017 – 10 WF 95/17, juris Rn. 3, 4). Wurde nicht mit hinreichend deutlicher Fristsetzung die Konsequenz weiteren Zögerns aufgezeigt, musste trotz der erheblichen Verzögerungen nicht mit einer Entscheidung derart gerechnet werden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.08.2015 – L 32 AS 1888/15 B PKH, juris Rn. 19). Daher war der Beschluss aufzuheben.

Der Senat hat jedoch keine gänzlich abschließende Entscheidung über den PKH-Antrag der Kläger getroffen, sondern macht von der auch im sozialgerichtlichen Verfahren eröffneten (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 73a Rn. 12c und § 176 Rn. 4a) Möglichkeit nach § 202 SGG in Verbindung mit § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch, die abschließende Entscheidung über den PKH-Antrag der Kläger dem SG Mannheim zu übertragen.

Zwar obliegt es dem Beschwerdegericht als Tatsacheninstanz, den PKH-Antrag in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht neu zu prüfen (§ 202 SGG in Verbindung mit § 572 ZPO). Grundsätzlich spricht auch die anzustrebende Beschleunigung des PKH-Verfahrens für eine die Sache abschließende Beschwerdeentscheidung. Erachtet das Beschwerdegericht die Beschwerde für begründet, kann es aber nach seinem bei der Entscheidung über die Beschwerde nach § 176 SGG auszuübenden Ermessen noch von anderen Möglichkeiten der Entscheidung Gebrauch machen. Der Senat ist als Beschwerdegericht auch befugt, der Vorinstanz unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die erforderlichen Anordnungen zu übertragen. Der Senat hält es wegen der Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung für angebracht und zweckmäßig, die im angefochtenen Beschluss ohne hinreichende gerichtliche Hinweise zur Behebung der Substantiierungsmängel getroffene Entscheidung über die Erfolgsaussicht und gegebenenfalls über die Hilfebedürftigkeit der Kläger dem SG Mannheim nach § 202 SGG in Verbindung mit § 572 Abs. 3 ZPO zu übertragen.

Denn die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO obliegt primär dem erstinstanzlichen Gericht, um vorgreifliche Hinweise des Beschwerdegerichts auf eine Behandlung der Hauptsache zu vermeiden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.01.2013 – L 20 AS 1247/12 B PKH, juris Rn. 12). Weiter hat der Senat in Ausübung seines Ermessens berücksichtigt, dass die Kläger bei erstmaliger Prüfung der Erfolgsaussicht auf der Grundlage des Vorbringens im klägerischen Schriftsatz vom 21.04.2022 durch das Beschwerdegericht um eine erstinstanzliche Prüfung der den Rechtsstreit entscheidenden Kammer des SG Mannheim gebracht würden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.05.2020 – L 14 AS 530/20 B PKH, juris Rn. 8; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.01.2015 – L 11 R 5040/14 B, juris Rn. 13).

Soweit eine Zurückverweisung wie hier im Rahmen der Beschwerdeentscheidung nach § 176 SGG in entsprechender Anwendung des § 159 Abs. 1 SGG erfolgt, ist § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG jedenfalls in Verfahren zur Bewilligung von PKH mit der Einschränkung entsprechend anwendbar, dass nicht erforderlich ist, dass wegen eines wesentlichen Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Denn in Verfahren zur Bewilligung von PKH ist regelmäßig (nur) eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage und keine Beweisaufnahme vorzunehmen, so dass es für eine Zurückverweisung auch nicht darauf ankommen kann, ob eine solche aufwändig wäre (vgl. zum Ganzen: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Auflage 2020, § 73a Rn. 12c und § 176, Rn. 4a; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.05.2020 – L 14 AS 530/20 B PKH, juris Rn. 8; LSG-Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.01.2013 – L 20 AS 1247/12 B PKH, juris Rn. 12).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.




 

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