L 8 SO 79/21 B ER

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Osnabrück (NSB)
Aktenzeichen
S 4 SO 20/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 8 SO 79/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Die nach § 14 SGB IX begründete Zuständigkeit für ein einheitliches Rehabilitationsgeschehen ist für die beteiligten Rehabilitationsträger bindend. 2. Bei Durchführung einer bestandskräftig bewilligten Eingliederungshilfemaßnahme sind auch notwendigerweise entstehende Fahrkosten als deren Bestandteil zu übernehmen (Anschluss an BSG v. 27.02.2020 - B 8 SO 18/18 R - juris Rn. 12). Dies gilt auch bei einer bestandskräftigen Bewilligung eines sachlich unzuständigen Rehabilitationsträgers.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 29. März 2021 geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorbehaltlich der Entscheidung in der Hauptsache dem Grunde nach verpflichtet, der Antragstellerin die für den Besuch der Tagesbildungsstätte „F.“, G., in der Zeit vom 17.2.2021 bis zum Ende des Schuljahres 2020/2021 entstandenen Fahrtkosten zu erstatten.

Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner für die Gewährung von Fahrtkosten, die für den Besuch der Tagesbildungsstätte „F.“, G., durch die Antragstellerin notwendig sind, auch während des Schuljahres 2021/2022 nach § 14 SGB IX zuständig ist.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das erstinstanzliche Verfahren zur Hälfte und für das Beschwerdeverfahren in voller Höhe zu erstatten.

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens wird abgelehnt.

 

Gründe:

I.

Im Beschwerdeverfahren ist (noch) die vorläufige Sicherstellung von Fahrten zu einer Tagesbildungsstätte bzw. eine entsprechende Kostenerstattung im Streit.

Bei der 2012 geborenen Antragstellerin besteht u.a. eine globale Entwicklungsstörung, bilaterale spastische Cerebralparese, rechtsbetonte spastische Tetraparese, symptomatische Epilepsie mit myoklonischen Anfällen und Versivanfällen und der Verdacht einer Anpassungsstörung. Aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen ist sie als schwer behinderter Mensch mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G, aG, B und H anerkannt. Sie stammt aus Essen und ist bei einer Pflegefamilie in dem im Kreisgebiet des Beigeladenen liegenden Ort H. untergebracht. Über eigenes Einkommen oder Vermögen verfügt sie - ungeachtet der von der Stadt Essen gewährten Jugendhilfeleistungen - nicht.

Nachdem der zur Einschulung gestellte Antrag auf Übernahme der Kosten für den Besuch einer Tagesbildungsstätte von der Stadt Essen innerhalb von zwei Wochen an den Antragsgegner - nach dem Landesrecht Nordrhein-Westfalens einem überörtlichen Träger der Sozialhilfe und seit 2020 auch der Eingliederungshilfe - weitergeleitet worden war, übernahm dieser die Kosten für den Besuch der in G. gelegenen Tagesbildungsstätte „F.“ (zuletzt für das Schuljahr 2019/2020 durch Bescheid vom 29.7.2019), der damit einhergehenden Taxifahrten und später auch für einen Integrationshelfer (E-Mail vom 12.2.2020) „vorläufig“ als unzuständiger Träger.

Auf die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs im Juli 2019 und im April 2020 wegen der (bloß) als zweitangegangener Träger geleisteten Eingliederungshilfe erkannte der Beigeladene gegenüber dem Antragsgegner den geltend gemachten Anspruch sowie die eigene Zuständigkeit für die Zeit ab dem 1.1.2020 an (Schreiben des Beigeladenen vom 18.5.2020) und „übernahm“ den Leistungsfall zum neuen Schuljahr. Den zuvor von der Antragstellerin, vertreten durch ihre Pflegemutter, beim Antragsgegner am 8.5.2020 gestellten Antrag auf weitere Kostenübernahme für das kommende Schuljahr 2020/2021 (Besuch der Tagesbildungsstätte, Schulfahrten, Integrationshelfer) leitete dieser am 30.7.2020 - nach telefonischer Rücksprache - an den Beigeladenen weiter. Während der Beigeladene die Kosten für den Besuch der Tagesbildungsstätte (Schuljahr 2020/2021) bereits durch Bescheid vom 14.7.2020 übernommen hatte, lehnte er die Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer (Bescheid vom 1.9.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2020; die zunächst beim Sozialgericht - SG - Osnabrück erhobene Klage - S 4 SO 120/20 - wurde zurückgenommen) und für die Beförderung der Antragstellerin mit der Begründung ab, eine gesonderte Erstattung der Fahrtkosten komme im Einzelfall nicht in Betracht, weil diese Kosten nach der mit dem Träger der Tagesbildungsstätte abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung abgegolten seien (Bescheid vom 14.1.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.4.2021, angefochten durch die beim SG seit dem 19.5.2021 anhängige Klage). Der Antragsgegner stellte die Zahlung der Beförderungskosten Anfang Oktober 2021 ein. Da der Träger der Tagesbildungsstätte die Beförderung der Antragstellerin für den Schulbesuch nicht sicherstellte, übernahm dies ihre Pflegemutter zunächst mit ihrem eigenen Pkw und ab November 2020 auch durch Auslegung der Kosten für Taxifahrten (von 41,50 € je einfacher Fahrt) in einem Gesamtumfang bis Ende Mai 2021 von etwa 6.000,00 €.

Nach Mahnung des Beigeladenen (im Januar 2021) hat die Antragstellerin am 17.2.2021 beim SG Osnabrück den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, um eine vorläufige Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer und der Fahrten für den Besuch der Tagesbildungsstätte zu erreichen. Nach Einholung von Stellungnahmen zu dem Bedarf der Antragstellerin an einem Integrationshelfer während des Schulbesuchs hat das SG den Antrag durch Beschluss vom 29.3.2021 mit der Begründung abgelehnt, der Beigeladene - nicht der Antragsgegner - sei nach der Sondervorschrift des § 98 Abs. 5 SGB IX für den Leistungsfall zuständig. Die Antragstellerin habe aber einen ungedeckten Bedarf, der durch Eingliederungshilfe zu decken sei, nicht glaubhaft gemacht, weil der Träger der Tagesbildungsstätte nach der mit ihm geschlossenen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung eine umfassende Betreuung der Antragstellerin schulde, einschließlich eines Fahrdienstes für alle Schülerinnen und Schüler, die mit Rückhaltesystemen gesichert und/oder im Rollstuhl transportiert werden können (vgl. Punkt 3.3.3 der Regelleistungsbeschreibung für den Leistungstyp Anerkannte Tagesbildungsstätten G).

Gegen den ihr am 9.4.2021 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 30.4.2021, soweit der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz betreffend die Sicherstellung der Fahrten zum Zwecke des Besuchs der Tagesbildungsstätte abgelehnt worden ist. Unter Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens wird für sie geltend gemacht, dass der Antragsgegner (weiterhin) nach § 14 SGB IX für den Rehabilitationsfall zuständig sei und die Antragstellerin einen Sachleistungsverschaffungsanspruch auf Beförderung als Annexleistung der Eingliederungshilfe zur schulischen Bildung in der Tagesbildungsstätte habe. Der Pflegemutter sei es nicht weiter zuzumuten, die notwendigen Fahrten selbst zu übernehmen bzw. die Kosten für Taxifahrten aus privaten Mitteln zu verauslagen. Das gesamte Pflegeverhältnis sei mittlerweile in „Schieflage“ geraten. Der Antragsgegner hält die Entscheidung des SG im Grundsatz für zutreffend und verweist auf eine Zuständigkeit des Beigeladenen, der sich im Beschwerdeverfahren nicht zur Sache geäußert hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (ein Band) und des Beigeladenen (2 Hefter) Bezug genommen.

 

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 3 Nr. 1, §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Eilantrag betreffend die Übernahme der Beförderungskosten für den Besuch der Tagesbildungsstätte zu Unrecht abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung vor.

Das einer einstweiligen Anordnung i.S. des § 86b Abs. 2 SGG zugängliche streitige Rechtsverhältnis betrifft den Antrag der Antragstellerin auf Sicherstellung der Fahrten für den Besuch der Tagesbildungsstätte, den sie beim Antragsgegner am 8.5.2020 gestellt hat und der von diesem anscheinend nicht schriftlich beschieden worden ist, sondern nur - bis Anfang Oktober 2020 - konkludent durch Erstattung der insoweit angefallenen Taxikosten (§ 31 SGB X; vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 21.10.2019 - B 8 SO 54/19 B - juris Rn. 9 m.w.N.). Der geltend gemachte Anspruch ist auch Gegenstand des beim SG gegen die Ablehnungsentscheidung des Beigeladenen vom 14.1.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.4.2021 geführten Klageverfahrens, in dem der Antragsgegner - soweit noch nicht geschehen - aller Voraussicht nach notwendig beizuladen ist (§ 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG).

Die Antragstellerin hat einen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Übernahme der Kosten für die Fahrten zu der Tagesbildungsstätte in G. glaubhaft gemacht.

Zuständig für die Leistungen der Eingliederungshilfe ist gemäß § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX der Antragsgegner. Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX hat der mit einem Rehabilitationsantrag angegangene Rehabilitationsträger nach einer Prüfung seiner Zuständigkeit bei deren Fehlen den Antrag unverzüglich an den zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten. Tut er dies nicht, wird er als sog "erstangegangener" Rehabilitationsträger selbst umfassend für die erforderlichen Rehabilitationsleistungen zuständig (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung gehen die Regelungen von Teil 2 des SGB IX (§ 98 Abs. 5 SGB IX) dieser Zuständigkeitsklärung im Außenverhältnis zum Menschen mit Behinderung nicht vor, § 7 Abs. 2 SGB IX.

In diesem Zusammenhang stellt sich nicht die schwierige Frage, ob die Einführung der "neuen Leistung" der Eingliederungshilfe mit einer neuen Trägerschaft eine bereits nach § 14 SGB IX (in der Zeit bis 31.12.2019) begründete Zuständigkeit eines (sozialhilferechtlichen) Rehabilitationsträgers berührt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 10.11.2020 - L 8 SO 84/20 ER - juris; BSG, Urteil vom 28. 1.2021 - B 8 SO 9/19 R - juris Rn. 19; BSG, Beschluss vom 25.6.2020 - B 8 SO 36/20 B - juris Rn. 9; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.1.2021 - L 1 SO 71/19 - juris Rn. 23; SG Frankfurt, Urteil vom 15.3.2021 - S 20 SO 32/17 - juris Rn. 45; ausführlich Frerichs in Hauck/Noftz, SGB IX, § 94 Rn. 40 ff.; Eicher in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2020, Anhang zu § 19 SGB XII Rn. 2 ff.; Siefert, ZAP 2020, 359, 360 f.; Groth, jurisPR-SozR 19/2020 Anm. 5). Die Zuständigkeit des Antragsgegners für die Eingliederungshilfe nach neuem Recht (Teil 2 des SGB IX) ist nach § 14 SGB IX bereits durch den nicht weitergeleiteten Antrag auf Übernahme der Kosten für den Besuch der Tagesbildungsstätte vom 26.3.2019 begründet worden, weil sich dieser auf das Schuljahr 2019/2020 bezogene Antrag nicht nur - für die Zeit bis 31.12.2019 - auf sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe, sondern auch - für die Zeit ab dem 1.1.2020 - auf entsprechende Leistungen nach Teil 2 des SGB IX gerichtet hat, bewilligt u.a. durch Bescheid des Antragsgegners vom 29.7.2019. Eingliederungshilferechtlich handelt es sich bei dem Besuch der (konkreten) Tagesbildungsstätte „F.“, G., um ein einheitliches Rehabilitationsgeschehen (vgl. zu diesem Begriff etwa BSG, Urteil vom 28.11.2019 - B 8 SO 8/18 R - juris Rn. 15), so dass die Zuständigkeit für sämtliche erforderlichen Hilfen - Teilhabeleistungen zu einer Schulbildung (§§ 4, 5 Nr. 4, § 112 Abs. 1 und § 75 SGB IX) - auch über das Schuljahr 2019/2020 hinaus begründet worden ist. Es handelt sich um eine einheitliche Leistung, auch wenn sie in mehreren Zeitabschnitten erbracht wird (vgl. dazu BSG, Urteil vom 4.4.2019 - B 8 SO 11/17 R - juris Rn. 22). Dies kann letztlich aber auch dahinstehen, weil der Antragsgegner auch den für das Schuljahr 2020/2021 gestellten Antrag vom 8.5.2020 auf eine umfassende Kostenübernahme (Besuch der Tagesbildungsstätte, Schulfahrten, Integrationshelfer) nicht fristgerecht innerhalb von zwei Wochen an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat. Die Weiterleitung an den Beigeladenen ist erst am 30.7.2020 erfolgt und bewirkt keinen Zuständigkeitswechsel, auch mit Rücksicht auf die Bereitschaft des Beigeladenen zu einer Fallübernahme und seinem zuvor telefonisch mitgeteilten Einverständnis. Die Voraussetzungen für eine (spätere) Antragsweiterleitung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IX liegen nicht vor. Die nach § 14 SGB IX begründete Zuständigkeit ist für die beteiligten Rehabilitationsträger nicht disponibel, sondern bindend. Etwas anderes kann nur in denjenigen Fällen gelten, in denen die betroffene Person mit einem Wechsel des zuständigen Rehabilitationsträgers einverstanden ist (i.S. einer Rücknahme des Antrags auf Eingliederungshilfe für die Zukunft und einer Antragstellung bei dem nun zuständigen Rehabilitationsträger). Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor.

Aufgrund ihrer schweren körperlichen und geistigen Behinderungen gehört die Antragstellerin ohne Zweifel zu dem leistungsberechtigten Personenkreis i.S. des § 99 SGB IX. Ihr sind durch bestandskräftigen Bescheid des Beigeladenen vom 14.7.2020 Leistungen für den Besuch der Tagesbildungsstätte im Schuljahr 2020/2021 bewilligt worden. Nach der Rechtsprechung des BSG sind Fahrtkosten, die bei Durchführung einer solchen Eingliederungshilfemaßnahme notwendigerweise entstehen, als deren notwendiger Bestandteil zu übernehmen (vgl. BSG, Urteil vom 27.2.2020 - B 8 SO 18/18 R - juris Rn. 12 m.w.N. zur sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe). Dabei führt der Umstand, dass die Hilfe zu einer schulischen Bildung i.S. des § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX vom Beigeladenen bewilligt worden sind, nicht dazu, dass die notwendige Beförderung der Antragstellerin (zur Notwendigkeit dieser Leistungen gleich) ebenfalls von diesem sicherzustellen ist. Der Beigeladene ist für die Leistungen nach § 14 SGB IX im Außenverhältnis zu der Antragstellerin sachlich unzuständig (s.o.), so dass der (bestandskräftige) Bewilligungsbescheid rechtswidrig ist, aber wirksam bleibt, solange und soweit er nicht zurückgenommen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 Abs. 2 SGB X). Eine Verpflichtung des Beigeladenen auf Übernahme auch der notwendigen Fahrtkosten (als Annexleistung) kommt unter diesen Umständen nicht in Betracht, weil hierdurch das unrechtmäßige Verwaltungshandeln perpetuiert werden würde.

Die Sicherstellung bzw. die Übernahme der durch die Beförderung der Antragstellerin einhergehenden Kosten ist zur Durchführung der eingliederungshilferechtlichen Maßnahme notwendig (gewesen), weil der Träger der Tagesbildungsstätte die Fahrten für den Besuch der Antragstellerin tatsächlich nicht übernimmt. Die Antragstellerin kann nicht darauf verwiesen werden, dass den Träger eine entsprechende Leistungspflicht aus den Vereinbarungen nach §§ 123 ff. SGB IX trifft. Insbesondere greift nicht der Nachrang der Eingliederungshilfe nach § 91 Abs. 1 SGB IX, nach dem Eingliederungshilfe (nur) erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Diese Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor (zum sozialhilferechtlichen Nachrranggrundsatz vgl. auch jüngst BSG, Urteil vom 23.3.2021 - B 8 SO 2/20 R - juris Rn. 13). Zudem ist in besonderer Weise zweifelhaft, ob den Träger der Tagesbildungsstätte überhaupt eine Verpflichtung trifft, die Fahrten der Antragstellerin sicherzustellen. Es spricht viel dafür, dass sich der in der mit dem Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie geschlossenen Vergütungsvereinbarung (vom 29.11.2019) aufgeführte Vergütungsanteil für „Fahrtkosten“ von 255,86 € je Monat nur auf diejenigen Schüler bezieht, die in dem Einzugsbereich der Tagesbildungsstätte wohnen. Dies ist bei der Antragstellerin gerade nicht der Fall.

Die Leistungen sind ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen der Antragstellerin zu erbringen, weil es sich bei dem Besuch der Tagesbildungsstätte um eine privilegierte Maßnahme i.S. des § 138 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX handelt.

Die Antragstellerin hat auch die besondere Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht, weil es ihrer Pflegemutter nicht (auf Dauer) zuzumuten ist, Kosten in einer Größenordnung von bis zu 1.500,00 € je Monat zu verauslagen. Die tatsächliche Tragung der Kosten durch die Pflegemutter kann der Antragstellerin nicht in der Weise entgegengehalten werden, dass noch zu ermitteln wäre, ob sie im Falle des Misserfolgs im gerichtlichen Verfahren die Auslagen ihrer Pflegemutter erstatten muss oder zumindest wird (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 27).

Bezogen auf den zurückliegenden Zeitraum (ab Stellung des Eilantrags am 17.2.2021 bis zum Ende des Schuljahres 2021/2022) spricht der Senat in Ausübung des ihm nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO zustehenden Ermessens eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Erstattung der von der Pflegemutter verauslagten Kosten in entsprechender Anwendung des § 130 Abs. 1 SGG (nur) dem Grunde nach aus, weil es noch weiterer Ermittlungen wegen der Höhe der erstattungsfähigen Kosten bedarf und dem Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin (bzw. ihrer Pflegemutter) auf diesem Weg hinreichend Rechnung getragen wird. Dass dem Antragsgegner wegen der Gewährung von Fahrkosten grundsätzlich zustehende Auswahlermessen (§§ 104 Abs. 1 Satz 1, 105 SGB IX; zum Sozialhilferecht vgl. BSG, Urteil vom 27.2.2020 - B 8 SO 18/18 R - juris Rn. 15) dürfte einer Erstattung der Taxikosten aber nicht im Grundsatz entgegenstehen, weil die Übernahme entsprechender Kosten seiner früheren Verwaltungspraxis entsprochen hat.

Für das Schuljahr 2021/2022 stellt der Senat in entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG fest, dass der Antragsgegner auch insoweit für die Gewährung von Fahrtkosten, die für den Besuch der Tagesbildungsstätte notwendig sind, nach § 14 SGB IX zuständig ist (zur Auswahlermessensentscheidung, das die Wahl des Beförderungsmittels und - bei Wahl eines privaten Pkw - die Höhe der dafür zu erstattenden Kosten umfassen kann vgl. BSG, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil der Antragsgegner nach diesem Beschluss die der Antragstellerin insoweit entstandenen außergerichtlichen Kosten ohnehin zu erstatten hat (Rechtsschutzbedürfnis).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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