L 3 KA 36/19

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 20 KA 302/16
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 3 KA 36/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Vor Einführung eines effektiven Entlassmanagements im Jahr 2015 war es einem Vertragsarzt ohne Verletzung des Verbots der vertragsärztlichen Parallelbehandlung möglich, Arzneimittel für einen im Verordnungszeitpunkt stationär behandelten Versicherten zu verordnen, wenn damit die ambulante Anschlussversorgung nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gesichert werden sollte. Dass die Verordnung mit dieser Zweckrichtung vorgenommen wird, muss der Vertragsarzt aber dokumentieren.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 22. Mai 2019 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2016, mit dem ein Regress in Höhe von 3.890,79 Euro wegen der Verordnung von Revatio 20 mg und Tracleer 125 mg im Quartal III/2008 festgesetzt worden ist, wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.692,37 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Feststellung sonstiger Schäden aufgrund vertragsärztlicher Arznei­mittel­­verordnungen während stationärer Krankenhausbehandlungen.

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin mit der Schwerpunktbezeichnung Kardiologie. Im hier betroffenen Zeitraum war er Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin des Krankenhauses L. und gleichzeitig zur Diagnostik und Therapie der pulmonal-arteriellen Hypertonie (PAH) im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt.

Im Rahmen seiner Tätigkeit aufgrund der Ermächtigung verordnete er für die bei der zu 1. beigeladenen Krankenkasse gesetzlich versicherten Heinz H. und Peter F. (Versicherte) die Arzneimittel Revatio 20 mg und Tracleer (Bosentan) 125 mg, während die Versicherten sich jeweils in stationärer Krankenhausbehandlung befanden. Hierdurch sind der Beigeladenen zu 1. folgende (Netto-)Kosten (jeweils nach Abzug von Apotheken- und Herstellerrabatten sowie Zuzahlungen) entstanden:

 

Verordnungsdatum

Versicherter

Arzneimittel

Einlösung Apotheke

Kosten

11.04.2008

Heinz H.

Tracleer

15.04.2008

3.117,02 Euro

14.04.2008

Heinz H.

Revatio

14.04.2008

773,77 Euro

20.05.2008

Peter F.

Tracleer

20.05.2008

3.127,02 Euro

20.05.2008

Peter F.

Revatio

20.05.2008

783,77 Euro

28.07.2008

Heinz H.

Tracleer

29.07.2008

3.117,02 Euro

28.07.2008

Heinz H.

Revatio

29.07.2008

773,77 Euro

 

Wegen dieser Verordnungen beantragte die Beigeladene zu 1. im Juni bzw Dezember 2009 bei der Prüfungsstelle Niedersachsen sinngemäß die Feststellung eines sonstigen Schadens. Als Begründung führte sie die stationären Aufenthalte der Versicherten zum Zeit­punkt der Aus­stellung der Verordnungen an (Versicherter Heinz H.: vom 6. April bis 1. Mai 2008 und vom 18. Juli bis 2. August 2008; Versicherter Peter F.: vom 13. Mai bis 26. Mai 2008).

Demgegenüber wandte der Kläger ein, dass die ambulant verordnete Medikation nicht zur stationären Versorgung während der Kranken­hausaufenthalte herangezogen worden sei. Das Präparat Revatio (Sildenafil) sei in seiner Abteilung häufiger benötigt worden, deshalb ständig über die zentralversorgende Apotheke in M. im Hause bevorratet und ausschließ­lich für den stationären Gebrauch über die N. -Apotheke per Sonderrezept angefordert worden. Hingegen sei Tracleer (Bosentan) deutlich seltener eingesetzt worden. Dieses Präparat werde nur von einem Zentralvertrieb in O. für ganz Deutschland vertrieben. Bei Aufnahme eines Patienten mit derartiger Vormedikation sei das Präparat ebenfalls über die N. -Apotheke geordert worden. Es sei nicht auszuschließen, dass Patienten in den ersten ein bis zwei Tagen nach einer notfallmäßigen Aufnahme über eine eigene Medikation versorgt werden mussten und erst dann über das nachgelieferte, vom Krankenhaus bezahlte Präparat versorgt werden konnten. Dieses Verfahren sei aber nicht anders durchführbar, da das Präparat eine ein­geschrän­kte Zulassung habe und erst nach einer Kontrolle der Leberwerte sowie einer nament­lichen Meldung des Patienten in O. weiterverordnet werden dürfe. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die Therapie mit Revatio und Bosentan nicht unterbrochen werden dürfe, da es anderenfalls schon innerhalb von 48 Stunden zu letalen Auswirkungen mit Rechts­herz­dekompensation und Ansteigen des pulmonalarteriellen Drucks kommen könne. Die Rezepte seien auch nicht zu Beginn, sondern gegen Ende des stationären Aufenthalts ausgestellt worden. Zudem müsse bedacht werden, dass vom Ausstellungsdatum bis zum Erhalt der Medi­kation je nach Apotheke bis zu fünf Werktage vergehen könnten. Die Patienten hätten deshalb öfter und auch in diesem Falle (meistens über die Ehepartner) die Gelegenheit genutzt, für die Zeit der Entlassung nach Hause bereits vorsorglich ein Rezept in der Er­mächti­gungs­ambulanz ausstellen zu lassen, um die Medikation zu Hause ohne Unter­brechung fort­führen zu können. Es sei aber zu keinem Zeitpunkt - weder in diesen Fällen noch mit anderen Medikamenten - üblich gewesen, von zu Hause mitgebrachte Medikamente während des stationä­ren Aufenthalts zu verwenden. Dies sei sogar ausdrücklich per Dienst­anweisung unter­sagt gewesen; Patienten hätten mithin generell keine ambulant verordnete Medikation ein­nehmen dürfen, um Doppel­einnahmen aufgrund anderer Namen und anderen Aussehens zu vermeiden (Schreiben vom 23. November 2009 und 30. Januar 2010).

Die Beigeladene zu 1. hat daraufhin Scans sämtlicher vom Kläger im Jahr 2008 ausgestellten Verordnungen von Revatio und Tracleer für die Versicherten Heinz H. und Peter F. vorgelegt. Daraus sei ersichtlich, dass es keine Versorgungslücken gebe, sodass von einem durch­gängi­gen Verbrauch auch während der stationären Zeiten auszugehen sei.

Mit Bescheiden vom 27. Januar 2011 und 17. Februar 2011 setzte die Prüfungsstelle gegen den Kläger Regresse iHv 7.801,58 Euro (Bescheid vom 27. Januar 2011 betreffend die im Quartal II/2008 ausgestellten Verordnungen) bzw iHv 3.890,79 Euro (Bescheid vom 17. Februar 2011 betreffend die Verordnungen im Quartal III/2008) fest.

Der Rechtsbehelfsbelehrung in den Bescheiden der Prüfungsstelle folgend hat der Kläger am 21. Februar 2011 beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben und dort geltend gemacht, dass er die Arzneimittelverordnungen nicht für die Zeit des stationären Aufenthalts, sondern ausschließlich für die Zeit nach der Entlassung der Versicherten aus der stationären Versorgung ausgestellt habe. Er habe Tracleer und Revatio jeweils vor der Entlassung der Patienten aus der stationären Behandlung verordnen müssen, um sicherzustellen, dass den Versicherten nach der Entlassung die dringend benötigten Arzneimittel zu Hause durchgehend zur Ver­fü­gung stehen. Dabei sei von Bedeutung, dass die Lieferung dieser Arzneimittel nicht wie üblich von einem auf den anderen Tag geschehen könne, sondern mehrere Tage in Anspruch nehme. Tracleer sei ausschließlich im Rahmen eines geschlos­senen Vertriebs­systems über einen Dis­tributor in Freiburg erhältlich; eine Bevorratung von Tracleer in einer Apotheke sei unzulässig. Erhalte eine Apotheke eine Verordnung, müsse sie die Bestellung zunächst an den Distributor weiterleiten. Ab Eingang einer Bestellung dort sei die Lieferung des Arzneimittels in der Regel innerhalb von 24 Stunden möglich; in bestimmten Fällen verzögere sich diese jedoch um mehrere Tage, weil die Medikation vom Zulieferer nicht zwischengelagert und auch nicht an einem anderen Ort abgegeben werden dürfe. Eine Unterbrechung der Versorgung mit dem Arzneimittel Tracleer sei unbedingt zu vermeiden, weil es anderenfalls zu schweren klinischen Verschlechterungen bis hin zum Tod des Patienten kommen könne. Die Arzneimittel seien von den Patienten dementsprechend auch erst nach deren Entlassung aus der stationären Ver­sor­gung in Empfang genommen und verwendet worden.

In Bezug auf die Dosierung der Medikation hat der Kläger vorgetragen, dass es im Rahmen von akut exazerbierten Rechtsherzdekompensationen - welche die stationären Aufenthalte der Ver­sicherten erforderlich gemacht hätten - üblich sei, die Dosis vorübergehend auch nach Ent­las­sung im ambulanten Bereich für einige Zeit zu erhöhen. Dadurch könne eine frühe erneute De­kompensation verhindert werden. Daraus ergebe sich auch in den hier betroffenen Fällen ein vorübergehend erhöhter Arzneimittelbedarf.

Nach Aussetzung des Verfahrens beim SG zum Zweck der Nachholung des Widerspruchs­ver­fahrens hat der Beklagte die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide der Prüfungs­stelle vom 27. Januar 2011 und 17. Februar 2011 mit gesonderten Bescheiden vom 9. Juni 2016 zurück­gewiesen und die festgesetzten Regresse iHv 7.801,58 Euro bzw 3.890,79 Euro be­stä­tigt. Der Vortrag des Klägers, wonach kein Verbrauch der Präparate während des sta­tio­nären Aufenthalts erfolgt sei, überzeuge nicht. Unter Berück­sichtigung der tatsächlichen Ver­ordnungs­mengen im Jahr 2008 seien keine Versorgungs­lücken in der ambulanten Ver­sor­gung erkenn­bar, sodass davon ausgegangen werden müsse, dass die Präparate während des stationären Aufent­halts verbraucht worden sind. Ansonsten wären weniger Folgeverordnungen erforderlich gewesen und der Abstand der Verordnungen hätte teilweise größer sein müssen. Hypo­the­ti­sche alternative Geschehens­abläufe seien nicht zu berücksichtigen. Bei der Scha­dens­ent­stehung werde darauf abgestellt, wann die Kosten für eine Krankenkasse entstehen. Das sei immer der Zeitpunkt der Einlösung der Verordnung in einer Apotheke und nicht der­jenige des Verbrauchs.

Mit Urteil vom 22. Mai 2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bescheide des Beklagten seien rechtmäßig. Während eines stationären Aufenthalts obliege dem Krankenhaus grund­sätzlich auch die Arzneimittelversorgung der Versicherten. Entsprechende Leistungen seien mit der Vergütung abgegolten, die von der Krankenkasse für den Krankenhausaufenthalt entrichtet werde. Daher führe eine während dieses Aufenthalts durch einen niedergelassenen Vertrags­arzt ausgestellte Verordnung - sobald sie in der Apotheke eingelöst werde - zu zusätzlichen Kosten der Krankenkasse, die nicht erforderlich geworden wären, wenn der Vertrags­­arzt die Zuständigkeit des Krankenhauses für die Verordnung beachtet hätte. Hierdurch entstehe der betroffenen Krankenkasse ein Schaden in Höhe der von ihr zu tragenden Verordnungskosten. Dies treffe auch auf die hier ausgestellten Verordnungen zu. Unter Berücksichtigung der kon­kreten Umstände des Falls sei auch von einem Verschulden des Klägers auszugehen, der nach eigenem Vortrag positive Kenntnis vom stationären Aufenthalt der Versicherten gehabt habe. Er könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Verordnungen mit dem Ziel einer nahtlosen Versorgung nach Beendigung der stationären Behandlungen ausgestellt zu haben. Wenn er sich auf die Notwendigkeit derartiger Verordnungen während des stationären Aufent­halts berufen wolle, müsse er nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen die Versicherten auf die Verordnungen angewiesen sind. Denn bei - wie hier - ungeplanten stationären Aufenthalten könne davon ausgegangen werden, dass die Versicherten noch über eine gewisse Menge ihrer Medikamente verfügen, anderenfalls sie sich bereits zuvor um Folgeverordnungen bemüht hätten. Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Präparat Tracleer nicht un­mittel­bar in jeder Apotheke verfügbar sei. Bei derartigen Komplikationen bei der Beschaffung könne im Regelfall davon ausgegangen werden, dass die Versicherten sich mit einem gewissen Vorlauf um Folgeverordnungen bemühen. Diesen Widerspruch in seiner Argumentation habe der Kläger nicht entkräften können. Insbesondere könne er sich nicht auf eine Erhöhung der Dosierung bei akuten Verschlechterungen sowohl während der stationären Behandlung als auch „auslaufend“ nach der Entlassung berufen. Denn die vorgelegte Dokumentation über den stationären Aufenthalt sowie die Entlassungsberichte dokumentierten lediglich die übliche Dosierung; eine höhere Dosierung halte die Kammer daher nicht für belegt. Eine solche Doku­mentation wäre aber zumindest im Hinblick auf Tracleer zwingend zu erwarten gewesen, da die behauptete Höher­dosierung von den Vorgaben der Fachinformationen abweiche. Zudem werde darin im Hinblick auf die Dosierung von negativen Auswirkungen auf die Leberwerte gewarnt. Einer weitergehenden Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die grundsätzliche medizinische Vertretbarkeit einer Dosiserhöhung habe es nicht bedurft, da eine solche in den hier zu beurtei­lenden Behandlungsfällen nicht stattgefunden habe. Die Kammer gehe zudem davon aus, dass die Versicherten während des stationären Aufenthalts mit zuvor ambulant verordneten Prä­paraten versorgt wurden. Den Berechnungen in den Bescheiden des Beklagten sei der Kläger nicht mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten. Er habe insbesondere nicht erklären können, warum sich bei mehrwöchigen Krankenhausaufenthalten keinerlei Unter­brechungen im ambulanten Verordnungsverhalten erkennen lassen. In den zu beurtei­lenden Fällen könne er sich auch nicht darauf berufen, er sei nicht zum „Pillenzählen“ verpflichtet. Denn mit dieser Argumentation verkenne er, dass er zu Verordnungen während eines stationären Aufenthalts grundsätzlich nicht berechtigt sei. Der Kläger, der als Chefarzt zugleich die stationäre Behand­lung zu verantworten gehabt habe, habe nicht schlüssig dargelegt, dass das Krankenhaus in den Zeiträumen der stationären Aufenthalte seinen Verpflichtungen zur Medi­ka­menten­versor­gung auf eigene Rechnung nachgekommen ist. Auf die schuldhafte Pflicht­ver­letzung des Klägers könne auch ein konkreter Schaden der Beigeladenen zu 1. zurückgeführt werden. Dieser sei bereits im Zeitpunkt der Einlösung der ausgestellten Verordnungen, zu dem sich die Versicherten noch in stationärer Behandlung befunden hätten, eingetreten. Maßgebend sei insoweit der normative Schadensbegriff. Aus den hierzu entwickelten Grundsätzen lasse sich nicht pauschal ableiten, dass die Prüfgremien oder die Gerichte Fest­stellungen zum tat­sächlichen Verbrauch der eingelösten Verordnungen treffen müssten. Derartige Fest­stellun­gen würden in einer Vielzahl der Fälle mit einem unverhältnis­mäßigen Aufwand einhergehen, der dann rein tatsächlich den Geltungsanspruch der betroffenen Normen beeinträchtigen würde. Deshalb sei auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte bei seiner Verbrauchs­berechnung auch das vorherige und nachgehende Verordnungs­verhalten des Klägers berücksichtigt habe.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 31. Mai 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. Juli 2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Nieder­sachsen-Bremen eingelegt. Er wiederholt und ergänzt sein bisheriges Vorbringen. Das SG habe zu Unrecht nicht berück­sichtigt, dass er den Angaben der Ehefrauen der Patienten, zu Hause seien nicht mehr aus­rei­chend Tabletten zur Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung vorrätig, geglaubt habe. Als ermäch­tigter Arzt habe er auf Angaben naher Verwandter der Patienten vertrauen dürfen und sei nicht verpflichtet gewesen, die bisherigen Verordnungen von Tracleer und Revatio zu überprüfen und nachzurechnen, ob die Angaben plausibel sind. Dies gelte jedenfalls für die hier betroffenen Arzneimittel, die keine Abhängigkeit bedingten und bei denen eine Versorgungs­lücke zu einer Lebensgefährdung für den Versicherten führen würde. Insoweit habe er als Vertrags­arzt den sicheren Weg gehen müssen. Es könne ihm nicht zugemutet werden, die Verantwortung dafür zu tragen, dass die Angaben der nahen Verwandten objektiv zutreffen, er aber zB wegen eines Berechnungsfehlers dennoch keine Verordnung vornimmt, dadurch die Versorgung unterbrochen werde und der Patient deshalb sterbe. Das SG habe auch nicht berück­sichtigt, dass Patienten zu Hause oftmals mehr Tabletten einnähmen, als es der Ver­ordnung entspricht. Das hänge damit zusammen, dass die Patienten durch eine unter­schied­liche Einnahmemenge das Maß ihrer körperlichen Beschwerden beeinflussen wollten. Dass sie dies auch könnten, sei in Bezug auf die Sildenafil-Therapie durch zahlreiche medizi­nische Studien belegt. Es sei überdies zu berücksichtigen, dass die Versicherten teilweise weit weg vom Krankenhaus gewohnt hätten und es ihnen aufgrund ihrer schweren Erkrankungen unzumutbar gewesen wäre, schon kurze Zeit nach der stationären Entlassung wieder zurück­zukehren, um sich die Folgeverordnung abzuholen. Zudem habe das SG die vorgelegte Behand­­lungs­­dokumentation nur unzureichend ausgewertet. Soweit es annehme, die zuvor am­bu­lant verordneten Arzneimittel seien während des stationären Aufenthalts verbraucht worden, gebe es dafür weder Beweise noch Indizien. Insbesondere fänden sich keine entsprechenden Vermerke in den Patientenakten. Sofern es nach Auffassung des Gerichts darauf ankomme, hätte es hierzu die Angehörigen der Patienten vernehmen müssen.

 

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 22. Mai 2019 und die Bescheide des Beklagten vom 9. Juni 2016 aufzuheben.

 

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

 

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet. Zu Unrecht hat das SG seine Klage abgewiesen, soweit sie sich gegen den das Quartal III/2008 betreffenden Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2016 richtet. Demgegenüber erweist sich die Abweisung der Klage gegen den das Quartal II/2008 betreffenden Regressbescheid vom 9. Juni 2016 als zutreffend.

A. Die allein gegen die Bescheide des Beschwerdeausschusses gerichtete Klage (vgl dazu Bun­des­sozialgericht <BSG>, Urteil vom 29. Juni 2011 - B 6 KA 16/10 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 31, Rn 10 mwN) ist als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Sozial­gerichts­gesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

B. Die Klage ist aber nur insoweit begründet, als sie sich gegen den Bescheid vom 9. Juni 2016 richtet, mit dem der Beklagte gegen den Kläger einen Regress wegen der Aus­stellung der Arzneimittelverordnungen für den Versicherten Heinz H. am 28. Juli 2008 (Quartal III/2008) iHv 3.890,79 festgesetzt hat. Dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Demgegenüber ist der weitere Bescheid vom 9. Juni 2016, mit dem ein Regress wegen der Verordnungen im Quartal II/2008 festgesetzt worden ist, nicht zu beanstanden.

I. Rechtsgrundlage für die Feststellung eines sonstigen Schadens ist § 48 Abs 1 Bundes­mantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) iVm § 32 der Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertrags­ärztlichen Versorgung gemäß § 106 SGB V ab dem Jahr 2008 (Prüfvereinbarung) vom 5. Juni 2008.

Nach § 48 Abs 1 BMV-Ä wird der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungs­pflicht der gesetzlichen Kranken­versicherung aus­geschlossen sind, oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen nach § 106 Sozial­gesetz­buch Fünftes Buch (SGB V) festgestellt. Nach der damit korrespondierenden Regelung in § 32 Abs 1 Prüfvereinbarung haben die Prüfungsstelle oder der Beschwerde­ausschuss auf Antrag einer Krankenkasse auch den sonstigen Schaden nach § 48 Abs 1 BMV-Ä bzw § 44 Arzt-Ersatzkassen-Vertrag (EKV) festzustellen.

Zur Abgrenzung von den Verordnungsregressen, für die (bereits) eine originäre Zuständigkeit der Prüfgremien nach § 106 SGB V besteht, es einer vertraglichen Kompetenzzuweisung gemäß § 48 Abs 1 BMV-Ä also nicht bedarf, und um Sinn und Zweck von § 48 Abs 1 BMV-Ä (un­­­wirt­­­schaft­liche Verordnungsweisen mit Blick auf den hohen Rang des Wirtschaftlichkeits­gebots möglichst effektiv zu verhindern) zur Geltung zu bringen, ist die Vorschrift so zu inter­pretieren, dass den Prüfgremien eine Schadensfeststellungskompetenz in solchen Fallgruppen zuge­wiesen ist, in denen die unzulässige Verordnung von Leistungen in Rede steht und sie nicht bereits (unmittelbar) Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V ist (BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 aaO, Rn 19). Unter § 48 Abs 1 BMV-Ä fallen danach Verord­nungen, bei denen Fehler infrage stehen, welche die Art und Weise ihrer Ausstellung betreffen (und nicht die Verordnung selbst oder ihre inhaltliche Ausrichtung); aus welchem Rechtsgrund die Verordnung unzulässig ist, ist dabei ohne Bedeutung (BSG aaO; Urteil vom 5. Mai 2010 - B 6 KA 5/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr 28, Rn 25).

Ein solcher Fehler kann in Betracht kommen, wenn ein Vertrags­arzt eine Verordnung für einen Patienten ausstellt, der sich zur Zeit der Verordnung in der stationären Behandlung eines Krankenhauses befindet (vgl BSG, Urteile vom 5. Mai 2010 und 29. Juni 2011 aaO).

II. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Regresses wegen eines sonstigen Schadens liegen aber nur im Hinblick auf die im Quartal II/2008 ausgestellten Verordnungen vor.

1. Dabei folgt die Unzulässigkeit der Verordnungen vom 11. und 14. April 2008 für den Versicherten Heinz H. und der Verordnungen vom 20. Mai 2008 für den Versicherten Peter F. aus einem Verstoß gegen das Verbot der vertragsärztlichen Parallel­behand­lung. Dem­gegen­über waren die Verordnungen für Heinz H. vom 28. Juli 2008 zur Überzeugung des Senats auf die Sicherstellung der Arznei­mittelversorgung in der Zeit nach der Entlassung des Versicherten aus dem Krankenhaus gerichtet und deshalb ausnahmsweise noch während des Krankenhaus­aufenthalts zulässig.

a) Nach § 3 Abs 1 S 1 BMV-Ä umfasst die vertragsärztliche Versorgung keine Leistungen, für welche die Krankenkassen nicht leistungspflichtig sind oder deren Sicherstellung anderen Leistungs­­erbringern obliegt. Diese Regelung gilt gemäß § 4 Abs 1 S 3 BMV-Ä auch für den Kläger als seinerzeit ermächtigten Arzt.

Von diesem Ausschlusstatbestand wird grundsätzlich auch eine vertrags­ärztliche Verordnung von Arzneimitteln während eines stationären Krankenhausaufenthalts erfasst, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig sind. Denn insoweit obliegt dem Krankenhaus als anderem Leistungs­erbringer iSd § 3 Abs 1 S 1 BMV-Ä die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung. Soweit es zur Leistung verpflichtet ist, besteht ein grund­sätzliches Verbot vertragsärztlicher Parallel­behandlung (vgl BSG, Urteil vom 12. November 2013 - B 1 KR 22/12 R, SozR 4-2500 § 69 Nr 9, Rn 17 mwN). Dies folgt aus § 39 Abs 1 S 3 SGB V (idF des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007, BGBl I, S 3024) und den Regelungen des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG).

Gemäß § 39 Abs 1 S 3 Halbs 1 SGB V umfasst die Kranken­hausbehandlung im Rahmen des Ver­sorgungsauftrags des Kranken­hauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwe­re der Krankheit für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere (auch) die Versorgung mit Arzneimitteln. § 2 Abs 1 S 1 KHEntgG (idFd Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnose-orientierten Fallpauschalen­system für Krankenhäuser <Fall­pauschalen­änderungsgesetz - FPÄndG> vom 17. Juli 2003, BGBl I 1461) bestimmt, dass auch die Versorgung mit Arzneimitteln, die für die Versorgung im Kranken­­­haus notwendig sind, zu den Krankenhausleistungen nach § 1 Abs 1 KHEntgG gehört. Die in diesem Sinne not­wendige Arzneimittelversorgung ist mithin grund­sätzlich vom Kranken­haus sicher­zu­stellen und mit der Vergütung abgegolten, die von der Kranken­kasse gemäß dem KHEntgG und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz für den Kranken­haus­aufent­halt entrichtet wird (vgl hierzu § 1 Abs 1 KHEntgG). Daher führt eine Verordnung, die während dieses Aufent­halts durch einen niedergelassenen Vertragsarzt aus­gestellt wird, sobald sie in der Apotheke eingelöst wird, in der Regel zu zusätzlichen Kosten der Kranken­kasse, die nicht erforderlich geworden wären, wenn der Vertragsarzt die Zuständigkeit des Kranken­hauses für die Verordnung beachtet hätte. Hierdurch ist der betroffenen Krankenkasse ein Schaden in Höhe der von ihr zu tragenden Verordnungskosten entstanden (vgl zu alledem BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 aaO, Rn 13 f).

Dieser Ausschluss von Leistungen aus der vertragsärztlichen Versorgung gilt nach den dargelegten Vorschriften nicht nur für den in den Bescheiden des Beschwerde­ausschusses aufgeführten Fall des § 3 Abs 2 Nr 8 BMV-Ä, dessen Voraussetzungen nach der zutreffenden Auffassung des Klägers nicht erfüllt sind: Dem Vorbringen der Beigeladenen zu 1. und den Ermittlungen der Prüfgremien lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Kläger die hier maßgebenden vertragsärztlichen Arzneimittel­verordnungen auf Veranlassung des Krankenhauses erbracht hätte. § 3 Abs 2 BMV-Ä enthält aber ersichtlich keine abschließende, sondern nur eine beispiel­hafte Auflistung der von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossenen Leistungen, was sich ohne weiteres aus der in der Regelung verwendeten Formulierung „insbesondere“ ergibt.

b) Dass die medizinische Versor­gung der Versicherten mit den Arzneimitteln Revatio und Tracleer im Krankenhaus (weiterhin) notwendig war, ist zwischen den Beteiligten unstreitig, und auch von Amts wegen liegen keine Anhaltspunkte für eine fehlende Indikation der Arzneimittel­versorgung vor. Beide Präparate waren auch tatsächlich Bestandteil der jeweiligen Medi­kation im Krankenhaus, was durch die Angaben in den Entlassungsberichten der Klinik L. (vom 30. April und 31. Juli 2008 für den Versicherten Heinz H. sowie vom 23. Mai 2008 für den Versicherten Peter F.) und den Inhalt der Patientenakten des Krankenhauses bestätigt wird. In letzteren ist überdies jeweils eine ärztliche Anordnung der Gabe von Revatio und Tracleer einschließlich der jeweiligen Dosis dokumentiert. Aus den dargelegten Gründen hatte insoweit aber das Krankenhaus (und nicht der Kläger aufgrund der ihm erteilten Ermächtigung) die aus­reichende Versorgung der Versicherten mit den benötigten Arzneimitteln während der stationären Aufent­halte aus eigenen Mitteln sicherzustellen. Dies schloss vertragsärztliche Verordnungen der Arzneimittel während der Zeiträume dieser Aufent­halte grundsätzlich aus.

c) aa) Jedoch kommt im hier maßgebenden Zeitraum eine Ausnahme vom Verbot vertrags­ärztlicher Parallelbehandlung für den Fall in Betracht, dass eine vertrags­ärztliche Verordnung von Arzneimitteln zur Sicherstellung einer nahtlosen Versor­gung eines Versicherten nach der Entlassung aus der stationären Krankenhaus­behandlung notwendig ist.

Aus den Regelungen in § 2 KHEntgG lässt sich zwar keine Ausnahme vom Verbot vertrag­s­ärztlicher Parallelbehandlung in Bezug auf solche Verordnungen herleiten, die nicht „für die Versorgung im Krankenhaus notwendig“ sind. Denn neben den hier nicht betrof­fenen Dialyse­behandlungen (vgl dazu S 3 der Vorschrift) eröffnet diese Vorschrift keinen Raum für eine Parallel­behandlung, sondern trifft lediglich eine zeitliche Abgrenzung: Fälle, in denen sich der Verord­nungs­bedarf auf einen Zeitraum außerhalb der vollstationären Kranken­haus­behandlung er­streckt, sind entsprechend den allgemeinen Grund­sätzen vorrangig vertrags­­ärztlich zu be­han­deln (vgl BSG, Urteil vom 12. November 2013 aaO mwN zur inhaltsgleichen Regelung in § 2 Bundes­pflegesatzverordnung <BPflV>; demgegenüber noch im Ergebnis offen gelassen von BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 aaO, Rn 14). Insoweit unter­scheidet sich die voll- von der vor- und nachstationären Behandlung (BSG aaO).

Vor diesem Hintergrund konnte eine vertrags­ärztliche Arzneimittel­verordnung nach Auffassung des Senats im hier noch betroffenen Zeitraum vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelun­gen zum Entlass­management im Einzelfall ausnahms­weise zulässig sein, wenn sie zwar wäh­rend einer stationären Krankenhaus­behandlung ausgestellt wurde, aber ihrer Ziel­setzung nach ein­deutig auf die Deckung eines Verordnungs­bedarfs des Versicherten nach dessen Entlas­sung aus der stationären Kranken­haus­behand­lung gerichtet war (jeweils offen gelassen von BSG, Beschluss vom 30. September 2020 - B 6 KA 26/19 B sowie Clemens in: jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, Stand: 31. Oktober 2016, § 106 Rn 139). Zwar besteht nach § 11 Abs 4 S 1 SGB V (idFd Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kranken­versicherung <GKV-Wett­bewerbs­stärkungsgesetz - GKV-WSG> vom 26. März 2007, BGBl I 378) schon seit dem 1. April 2007 ein Anspruch der Versicherten auf ein Versorgungsmanagement insbesondere zur Lösung von Problemen beim Übergang in die verschiedenen Versorgungsbereiche. Dies beinhaltet, dass die betroffenen Leistungserbringer für eine sachgerechte Anschlussversorgung des Versicherten sorgen (§ 11 Abs 4 S 2 SGB V). Dieser allgemeine Anspruch auf Versorgungs­management ist jedoch zunächst nicht im gewünschten Umfang umgesetzt worden, was zur Einführung eines Anspruchs auf Entlassmanagement in § 39 Abs 1 S 4 bis 6 SGB V (idFd Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Kranken­ver­siche­rung <GKV-Versorgungs­strukturgesetz - GKV-VStG> vom 22. Dezember 2011, BGBl I 2983) als eigenen Bestandteil der Krankenhausbehandlung mWv 1. Januar 2012 führte (vgl Gamperl in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 117. EL Dezember 2021, § 39 SGB V Rn 93a). Auch die neue Regelung führte aber noch nicht zu einer breiten und vor allem nicht zu einer einheitlichen Umsetzung in der Praxis (vgl Gamperl aaO mwN), weshalb das Entlass­management mWv 23. Juli 2015 in § 39 Abs 1a SGB V (idFd Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Kranken­ver­sicherung <GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG> vom 16. Juli 2015, BGBl I 1211) neu geregelt wurde. Diese Neuregelung bein­hal­tet konkretere Vorgaben für das Entlassmanagement; insbesondere ist nunmehr aus­drück­lich normiert, dass die Kranken­häuser die für die Versorgung des Versicherten unmittelbar nach der Entlassung erforderlichen Arzneimittel verordnen können (vgl § 39 Abs 1a S 7 und 8 SGB V).

Angesichts der vor Einführung dieser Regelungen bestehenden Systemmängel muss eine im damaligen Zeitraum noch während eines stationären Krankenhausaufenthalts des Versicherten ausgestellte vertragsärztliche Arzneimittelverordnung ausnahmsweise als zulässig angesehen werden, wenn mit dieser Verordnung die Versorgung des Versicherten mit den nach Art und Schwere seiner Erkrankung notwendigen Arzneimitteln nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sichergestellt werden sollte. Abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall einer Ausstellung der Verordnung am Tag der Entlassung des Versicherten aus dem Krankenhaus, der im Einzelfall kaum zu einem Streit über die Zulässig­keit der vertragsärztlichen Verordnung führen wird, setzt die Feststellung einer solchen Ziel­setzung der Verordnung wegen deren Ausnahmecharakters aber eine Dokumentation der beabsichtigten Sicherstellung der Versorgung nach der Entlassung aus dem Krankenhaus voraus, die spätestens mit der Ausstellung der Verordnung erfolgen muss. Gemäß § 57 Abs 1 BMV-Ä hat der Vertragsarzt die Befunde, die Behand­lungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Weise zu dokumentieren. Da ihm das Verbot vertragsärztlicher Parallelbehandlungen bekannt ist, gehört dazu auch eine Dokumentation der Gründe, aus denen er im Einzelfall von diesem Verbot abweicht. Ist eine solche Dokumentation unterblieben, kann diese nicht durch nachträgliche Behauptungen des Arztes in einem Regressverfahren ersetzt werden. Denn dies liefe praktisch darauf hinaus, dass die Prüfgremien und die Gerichte im Nachhinein aufzuklären hätten, welche Arzneimittel von dem Versicherten jeweils zu welchem Zeitpunkt verbraucht worden sind und ob und ggf in welchem Umfang ihm zum Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnung noch Arzneimittel aufgrund einer vorangegangenen vertragsärztlichen Verordnung zur Verfügung gestanden haben. Derartige Ermittlungen sind aber kaum praktikabel und werden im Regelfall auch zu keinen klaren Ergebnissen führen, weil kaum vorstellbar ist, dass in Betracht kommende Zeugen nach den in Prüfverfahren der vorliegenden Art üblicherweise gegebenen zeitlichen Abläufen noch ergiebige Aussagen zum konkreten Verbrauch von Arzneimitteln machen können. Damit kann die Einhaltung der vertragsärztlichen Pflichten letztlich nur durch eine Dokumentation des besonderen Verordnungszwecks belegt werden.

bb) Die Absicht, die vertragsärztlichen Arzneimittelverordnungen zur Sicherstellung einer un­unterbrochenen Versorgung der Versicherten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus auszustellen, ist vorliegend jedoch nur im Hinblick auf die Verordnungen vom 28. Juli 2008 dokumentiert.

(1) Zwar handelt es sich bei dem hierzu vom Kläger vorgelegten „Verlaufsbericht / Beurteilung Pflege“ als Teil der Krankenhausakte nicht um die vom Kläger als ermächtigter Arzt zu führende Dokumentation. Angesichts der vielfältigen Belastungen eines Arztes im Praxisalltag dürfen an die aus den vorgenannten Gründen erforderliche Dokumentation jedoch auch keine über­zogenen Anforderungen gestellt werden. Im vorliegenden Fall ist daher die durch das Kranken­haus­personal erfolgte Dokumentation in der dort geführten Patienten­akte ausreichend. Hier ist unter dem 26. Juli 2008 eindeutig dokumentiert worden, dass der Versicherte Heinz H. die Kranken­schwester auf den an sich für den 28. Juli 2008 („Montag“) geplanten Termin bei dem Kläger angesprochen und gefragt hat, ob „wir dann trotzdem Rezept für Revatio u. Tracleer von Dr.  C. organisieren können, damit bei genug da sind“. Zuvor war unter dem 24. Juli 2008 notiert worden, dass in den nächsten Tagen wohl die Entlassung („E.“) anstehe. Danach bestehen keine grundlegenden Zweifel daran, dass die am 28. Juli 2008 ausgestellten Verordnungen von Tracleer und Revatio der Sicherstellung der Medikamenten­versorgung des Patienten nach der jeweils offenkundig mit dem Buchstaben „E“ abgekürzten Entlassung aus dem Krankenhaus dienen sollten.

Dieser dokumentierte Verordnungszweck reicht aus, um von einer beabsichtigten Sicher­stellung der Arzneimittelversorgung nach der Entlassung aus dem Krankenhaus und somit von einer ausnahmsweisen Zulässigkeit der Verordnungen noch während des stationären Aufent­halts auszugehen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass bei einer Gesamt­betrachtung der im Jahr 2008 vertragsärztlich verordneten Arzneimittel „keine Ver­sor­gungs­lücken in der ambulanten Versorgung erkennbar“ wären. Denn zu prüfen ist nur die Zulässigkeit der konkreten vertragsärztlichen Verordnung. Die Beigeladene zu 1. und die Prüf­gremien haben aber selbst keinerlei Ermittlungen dazu durchgeführt, wie viele Tabletten dem Versicherten aufgrund der vorangegangenen Verordnung zum Zeitpunkt der Verordnung tatsächlich noch zur Verfügung gestanden haben, die dann auch im Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus am 2. August 2008 noch hätten vorhanden sein müssen. Träfe ihre Annahme zu, dass der Versicherte die jeweils zuvor vertrags­ärztlich verordneten Medikamente auch während der beiden Krankenhausaufenthalte eingenommen hat, ließe dies zunächst nur den Schluss zu, dass das Krankenhaus seinen oben beschriebenen Versorgungsauftrag nicht erfüllt hat. In diesem Fall kämen Schadens­ersatzansprüche gegenüber dem Krankenhaus in Betracht. Der Schaden, der in diesem Fall eingetreten wäre, läge aber jedenfalls nicht in der Einlösung der für die Zeit nach der Entlassung aus der Krankenhausbehandlung ausgestellten neuen Verord­nung. Gleichzeitig stellen weder die Beigeladene zu 1. noch der Beklagte die dokumentierten Äußerungen des Versicherten infrage, nach deren Inhalt offensichtlich kein ausreichender Vorrat mehr vor­handen war. Bei dieser Sachlage muss davon ausgegangen werden, dass die Verordnungen vom 28. Juli 2008 für die Sicherstellung der Versorgung des Versicherten nach der Entlassung erforderlich waren, und davon durfte auch der Kläger bei Ausstellung der Verordnungen ausgehen. Dementsprechend waren diese beiden Verordnungen zulässig, sodass der diese Verordnungen betreffende Regressbescheid aufzuheben war.

(2) Demgegenüber bleibt es bei der Unzulässigkeit der im Quartal II/2008 ausgestellten Ver­ordnungen, für die es an einer Dokumentation des vom Kläger behaupteten Verordnungs­zwecks fehlt und die deshalb gegen das Verbot der vertragsärztlichen Parallelbehandlung verstießen.

Soweit der Kläger seine eigene, aufgrund seiner Ermächtigung geführte Dokumentation bereits vernichtet hat, kann das eine Entscheidung zu seinen Gunsten nicht rechtfertigen. Denn insoweit hätte es ihm unabhängig von einem möglichen Ablauf von Aufbewahrungsfristen oblegen, die in dem anhängigen Verfahren möglicherweise noch als Beweismittel in Betracht kommende Dokumentation der betroffenen Behandlungsfälle aufzubewahren. Dement­spre­chend treffen ihn die Rechtsnachteile der Vernichtung der Dokumentation, deren Inhalt auch ansonsten nicht mehr feststellbar ist.

2. Hinsichtlich der im Quartal II/2008 ausgestellten Verordnungen liegt auch ein Verschulden des Klägers vor.

Die Feststellung eines sonstigen Schadens ist, obgleich der Wortlaut des § 48 Abs 1 BMV-Ä (anders als seine Vorgängerregelung in § 38 BMV-Ä) dies nicht mehr ausdrücklich ausweist, verschuldensabhängig (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 aaO, Rn 34 mwN). Der Anspruch auf Ersatz eines sonstigen Schadens ist vom Schadenersatzanspruch nach bürgerlichem Recht abgeleitet, der - wie dem Grunde nach alle Schadenersatzansprüche - Verschulden voraussetzt. Etwas anderes gilt nur für solche Schadenersatzansprüche, die - wie Verordnungsregresse, soweit sie nicht lediglich die Art und Weise der Ausstellung der Ver­ordnung betreffen - unmittelbar dem Rechtsbereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V zugeordnet sind.

Vorliegend hatte der Kläger zum jeweiligen Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnungen nach seinem eigenen Vortrag Kenntnis von dem stationären Krankenhausaufenthalt der Versicher­ten. Damit liegen ein vorsätzliches Verhalten und somit auch ein Verschulden unzweifelhaft vor.

Soweit er erstmals im Berufungsverfahren einwendet, er habe sich auf angebliche Angaben der Ehefrauen der Versicherten verlassen und annehmen dürfen, dass zu Hause nicht mehr aus­reichend Tabletten vorrätig sind, um eine ausreichende Versorgung sicherzustellen, stellt schon der späte Zeitpunkt dieses Vorbringens dessen Glaubhaftigkeit in Frage. Unabhängig hiervon bleibt unklar, welche konkreten Angaben die Versicherten oder ihre Ehefrauen über­haupt ge­macht haben sollen. Selbst wenn sie sinngemäß geäußert haben sollten, es seien nahezu keine Tabletten mehr vorhanden, würde dies den Kläger nicht von der Einhaltung seiner vertrags­ärztlichen Pflichten entbinden. Vielmehr hätte es sich ihm in diesem Fall aufdrängen müssen, die behaupteten Äußerungen und den Zweck der Verordnungen zu dokumentieren. Das gilt hier umso mehr, als der Kläger gehalten war, seine Tätigkeit als Krankenhausarzt und die Verantwortlichkeit des Krankenhauses für die Versor­gung während der stationären Aufenthalte von seiner Tätig­keit und eigenen Verantwortlichkeit als ermächtigter Arzt zu trennen.

III. Durch die Ausstellung der Verordnungen im Quartal II/2008 ist der Beigeladenen zu 1. auch ein Schaden entstanden, und zwar in Höhe der von ihr zu tragenden (Netto-)Ver­ord­nungs­kosten.

Wie vorstehend (unter B.II.1.a) bereits dargelegt tritt der Schaden der Krankenkasse in Fällen der vorliegenden Art bereits mit der Einlösung der Verordnung in der Apotheke ein. Die Apo­theke war aufgrund der zwischen ihr und der Beigeladenen zu 1. geltenden vertraglichen Regelungen verpflichtet, die vertragsärztlich verordneten Arzneimittel Tracleer und Revatio zugunsten der Versicherten abzugeben, und mit der Abgabe entstand kraft Gesetzes der Ver­gütungsanspruch des Apothekers gegen die Beigeladene zu 1. (vgl BSG, Urteil vom 12. No­vem­ber 2013 aaO, Rn 19 mwN). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Apotheke ein zur Retaxierung berechtigender Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen unterlaufen wäre. Demzufolge musste die Beigeladene zu 1. aufgrund der vertragsärztlichen Verordnungen von Tracleer und Revatio zusätzliche Kosten aufwenden, die ihr nicht entstanden wären, wenn der Kläger die Zuständigkeit des Krankenhauses für die Versorgung des Versicherten mit dem Arzneimittel beachtet und die Verordnungen nicht ausgestellt hätte.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der Beigeladenen sei tatsächlich gar kein Schaden oder nur ein Schaden in Höhe eines Teils der Verordnungskosten entstanden, weil die aufgrund der streitauslösenden Verordnungen von der Apotheke abgegebenen Tabletten bei ordnungsgemäßer, der ärztlichen Verordnung entsprechender Einnahme während der Dauer der stationären Krankenhaus­behandlung tatsächlich nicht mehr vollständig verbraucht werden konnten und damit faktisch von einer Verwendung der Arzneimittel zumindest auch in einem Zeitraum auszugehen sein könnte, der wiederum der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zuzuordnen ist. Im Vertragsarztrecht ist kein Raum, einen Verstoß gegen Gebote oder Verbote, die - wie das hier verletzte Verbot der vertrags­ärzt­lichen Parallelbehandlung - nicht bloße Ordnungsvorschriften betreffen, durch Berücksichtigung eines hypothetischen alternativen Geschehensablaufs oder einer Vorteilsausgleichung als unbeachtlich anzusehen. Denn damit würde das vertragsarztrechtliche Ordnungssystem insofern relativiert, als es auf die Beachtung der für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Bestimmungen nicht ankäme. Ebenso wie im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 106 SGB V gilt deshalb auch in Verfahren auf Feststellung eines sonstigen Schadens nach § 48 BMV-Ä der normative Schadensbegriff (vgl BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 6 KA 17/12 R, SozR 4-5540 § 48 Nr 2, Rn 36 ff mwN; Urteil vom 21. Juni 1995 - 6 RKa 60/94, SozR 3-2500 § 95 Nr 5, Rn 15). Das ist angesichts der komplizierten Vertragsverhältnisse im Vertragsarztrecht auch insgesamt sach­gerecht, weil das System der vertragsärztlichen Versorgung dauerhaft nur funktionieren kann, wenn die dafür maßgeblichen Normen von den Beteiligten eingehalten werden.

Auch vor diesem Hintergrund bestand für die Beigeladene zu 1. und die Prüfgremien keine Ver­anlassung zu Ermittlungen hinsichtlich des Zeitpunkts des Verbrauchs der vom Kläger ver­ordneten Arzneimittel. Vielmehr ist die Entscheidung des SG auch in der Hinsicht zu bestätigen, dass Feststellungen zum (Zeitpunkt des) tatsächlichen Verbrauch(s) der eingelösten Verord­nung nicht zu treffen sind, und dies gilt dementsprechend auch für das gerichtliche Verfahren. Deshalb bedurfte es insoweit auch keiner Vernehmung der vom Kläger benannten Zeuginnen.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm §§ 154 Abs 1 und 3, 155 Abs 1, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus der Anwendung von § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 und 3 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

Rechtskraft
Aus
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