S 34 KR 815/22 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 34 KR 815/22 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 125/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2,5 Mio. Euro festgesetzt.

 
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung der Antragsgegnerin zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern vom 10. März 2021 (BAnz AT 11. März 2021 V2) (im Folgenden: VO Schutzimpfung) über den 31. März 2022 hinaus bis zum 31. März 2023.

Die Antragstellerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen. Sie stellt in ihrer Geschäftseinheit A. Impfstoffe gegen Influenza (Grippe) her. Die Grippe tritt saisonal auf, wobei Grippeviren kontinuierlich ihre antigenen Eigenschaften ändern. In jeder Grippesaison zirkulieren bis zu vier Subtypen des Virus. Die ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt daher ausschließlich Grippeimpfstoffe, die einen Impfschutz gegen vier Subtypen erzeugen, sog. tetravalente bzw. quadrivalente Grippeimpfstoffe. Die Antragstellerin stellt neben den quadrivalenten Grippeimpfstoffen den Hochdosis-Grippeimpfstoff Efluelda® her. Da die Immunantwort mit zunehmendem Alter abnimmt, verfügt der Hochdosis-Grippeimpfstoff mit einer vierfach höheren Dosierung im Vergleich zu quadrivalenten Impfstoffen über eine signifikant (d.h. statistisch bedeutsame) höhere Impfwirksamkeit bei älteren Menschen.

Während bei quadrivalenten Grippeimpfstoffen mehrere Hersteller existieren handelt es sich bei Efluelda® um den einzigen in Deutschland zugelassenen Hochdosis-Grippeimpfstoff. Dieser ist im Preis deutlich höher als die üblichen quadrivalenten Grippeimpfstoffe.

Der Impfstoff Efluelda® war zunächst nur für Personen ab 65 Jahren zugelassen.

Die STIKO gab im Januar 2021 eine Empfehlung zugunsten des Hochdosis-Grippeimpfstoffes für die Impfung von Personen ab 60 Jahren ab, da vor dem Hintergrund der nachgewiesenen höheren Impfeffektivität bei älteren Menschen eine relevante Anzahl an durch Influenza bedingte Arztkonsultationen, Hospitalisierungen und Todesfälle verhindert werden könne. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) folgte der STIKO und änderte mit Beschluss vom 21. Januar 2021 die Anlage 1 der Schutzimpfungs-Richtlinie (SI-RL), sodass nunmehr (nur) Hochdosis-Grippeimpfstoffe als Standardimpfung für Personen ab dem Alter von 60 Jahren vorgesehen waren.

Da bislang nur Efluelda® als Hochdosis-Impfstoff zur Verfügung stand, war nach Ansicht der Antragsgegnerin die Versorgungssicherheit für Versicherte wegen nicht auszuschließender Engpässe bei der Verfügbarkeit nicht gewährleistet. Hintergrund ist der besondere Herstellungsprozess von Grippeimpfstoffen. Nachdem die World Health Organisation (WHO) ihre Empfehlung hinsichtlich der Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe (abhängig von den erwarteten Erregerstämmen der Influenza) zumeist Ende Februar/Anfang März eines Jahres veröffentlicht hat, werden die Grippeimpfstoffe für die kommende Saison im Herbst/Winter vorproduziert. Dabei bestellen die impfenden Ärzte im Frühjahr verbindlich für die kommende Grippesaison die benötigten Impfstoffe bei ihrer Bezugsapotheke. Die Apotheken melden entweder über den Großhandel oder direkt die Vorbestellungen an die Hersteller, die dies bei ihrer Bedarfsplanung einbeziehen. Während der Grippesaison können die Grippeimpfstoffe nicht nachproduziert werden.

Die Versorgungssicherheit sollte durch den gleichrangigen Anspruch auf quadrivalente Grippeimpfstoffe sichergestellt werden. Die Antragsgegnerin erließ daher am 10. März 2021 die VO Schutzimpfung. Deren § 1 lautet wie folgt:

„§ 1
Schutzimpfungen gegen Influenza

Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, haben im Rahmen der Verfügbarkeit der vorhandenen Impfstoffe auch Anspruch auf eine Schutzimpfung gegen Influenza mit einem inaktivierten, quadrivalenten Influenza-Impfstoff mit aktueller von der Weltgesundheitsorganisation empfohlener Antigenkombination. Der Anspruch auf einen Influenza-Hochdosis-Impfstoff nach § 20i Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt; eine Verordnung des Influenza-Hochdosis-Impfstoffes gilt als wirtschaftlich.“

Eine Verknüpfung des Anspruchs auf die quadrivalenten Grippeimpfstoffe mit dem Vorliegen von Lieferengpässen erfolgte nicht. Die Verordnung sollte zum 31. März 2022 außer Kraft treten.

Die STIKO gab im Sommer 2021 eine Empfehlung für den Fall von Lieferengpässen ab, wonach Versicherte ab 60 Jahren dann mit inaktivierten, quadrivalenten Grippeimpfstoffen in Standarddosierung versorgt werden sollten. Der G-BA verwies im August 2021 darauf, dass er aufgrund der geltenden VO Schutzimpfung keine Regelungskompetenz habe, die Empfehlung der STIKO umzusetzen und kündigte dies für das Außerkrafttreten der Verordnung, also für die Zeit nach dem 31. März 2022, an.

Am 24. Februar 2022 veröffentlichte die Antragsgegnerin die Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern (im Folgenden: ÄndVO) (BAnz AT 24. Februar 2022 V1). Die zeitliche Geltung der VO Schutzimpfung wurde damit zum 31. März 2023 verlängert. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Situation möglicher Lieferengpässe unverändert für die Grippesaison 2022/23 fortbestehe. Dies gelte auch in Hinblick auf die dynamische COVID-19-Pandemiesituation. Ein mögliches Zusammentreffen von Influenzawelle und Corona-Pandemie solle auch für Herbst/Winter 2022/23 unbedingt vermieden werden.

Die Antragstellerin hat am 17. März 2022 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Sie begründet ihren Antrag damit, dass die Weitergeltung der VO Schutzimpfung die Bedarfsplanung für die Herstellung von Efluelda® erheblich erschwere. Die Antragstellerin stelle den Hochdosis-Grippeimpfstoff für den gesamten Weltmarkt ausschließlich in den USA her, wobei der Produktions- und Vertriebsprozess etwa 30 Wochen in Anspruch nehme. Für die Grippesaison 2022/23 sei der deutschlandweite Bedarf an Hochdosis-Grippeimpfstoff auf ca. 12,2 Mio. Dosen durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geschätzt worden. Dies bedeute einen Umsatz von ca. 385 Mio. Euro. Zuzüglich der Auslieferung sog. Lagerware betrage der voraussichtliche Umsatz sogar ca. 410 Mio. Euro. Zugesagt werden könnten 13 Mio. Dosen Efluelda®. Bei Weitergeltung der VO Schutzimpfung sei der Bedarf wie im Vorjahr nur bei etwa 8 Mio. Dosen Efluelda® zu verorten, sodass, unter Berücksichtigung von ca. 1,3 Mio. Dosen sog. Lagerware, ein Absatzverlust von ca. 3,7 Mio. Dosen mit einem Umsatzverlust von 116 Mio. Euro bzw. 28% des Gesamtumsatzes der Antragstellerin mit Efluelda® in Deutschland zu erwarten sei. Da für vorbestellte Mengen ein Retourenrecht von 10% gelte, sei von weiteren 0,6 Mio. Dosen Absatzverlust (= 19 Mio. Euro) auszugehen. Der Absatzverlust betrage dann insgesamt ca. 4,3 Mio. Dosen, der Umsatzverlust ca. 135 Mio. Euro bzw. 33% des Gesamtumsatzes der Antragstellerin mit Efluelda® in Deutschland. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sei daher die Produktion zu verringern, was jedoch erst recht zu Lieferengpässen führen könne. Es sei zu erwarten, dass aufgrund der Weitergeltung der VO Schutzimpfung, wie in der Vorsaison, zu 41% Hochdosis-Grippeimpfstoffe und zu 59% standarddosierte Grippeimpfstoffe verimpft würden. Bei Außerkrafttreten der VO Schutzimpfung würde sich dieses Verhältnis voraussichtlich umkehren. Ärzte würden aus Wirtschaftlichkeitserwägungen weiterhin vor allem standarddosierte Impfstoffe verordnen, da diese kostengünstiger seien, was zu Lasten der Bestellung des Hochdosis-Grippeimpfstoffes gehe. Es sei bereits zu Stornierungen der Bestellungen von Hochdosis-Grippeimpfstoffen durch Ärzte gekommen. Sofern die VO Schutzimpfung außer Kraft trete gelte die SI-RL des G-BA und Versicherte ab 60 Jahren hätten grundsätzlich Anspruch auf einen Hochdosis-Grippeimpfstoff und nur im Fall eines Lieferengpasses Anspruch auf einen standarddosierten Grippeimpfstoff. Hierauf richte sich das Begehr der Antragstellerin. Sie werde unmittelbar in ihrer grundrechtlich geschützten Unternehmens- und Marktposition aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG), Art. 3 GG verletzt, indem ihr die erarbeitete Marktposition als einziger Hersteller eines Hochdosis-Grippeimpfstoffes in Deutschland genommen werde. Der Grundrechtseingriff durch die Antragsgegnerin sei unverhältnismäßig. Die Versorgungssicherheit werde nicht gewährleistet, da nicht mehr Grippeimpfstoffe zur Verfügung stünden, sondern sich lediglich das Verhältnis der bestellten Grippeimpfstoffe ändere, also hin zu (mehr) standarddosierten Grippeimpfstoffen. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Der Antragstellerin drohten schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile. Die Produktionsmenge von Efluelda® müsse erheblich reduziert werden mit den bereits dargelegten Umsatzeinbußen. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass ein Hauptverfahren vermutlich nicht bis zur Grippesaison 2022/23 abgeschlossen wäre. Trotz Vorwegnahme der Hauptsache sei einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, da die Umsatzverluste und die Grundrechtsverletzung mit Hilfe eines Hauptsachverfahrens nicht mehr zu beseitigen wären.

Die Antragstellerin beantragt,

im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass Art. 1 Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern vom 24. Februar 2022 (BAnz AT 24. Februar 2022 V1) nichtig ist, soweit die Norm das Außerkrafttreten von § 1 Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern vom 10. März 2021 (Banz AZ`T 11. März 2021 V2) regelt,

hilfsweise,

im Wege der einstweiligen Anordnung Art. 1 Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern vom 24. Februar 2022 (BAnz AT 24. Februar 2022 V1) vorläufig bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren außer Vollzug zu setzen, soweit die Norm das Außerkrafttreten von § 1 Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern vom 10. März 2021 (BAnz AT 11. März 2021 V2) regelt.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie begründet dies damit, dass der Antrag bereits unzulässig sei. Der Erklärung der Nichtigkeit der VO Schutzimpfung stünde bereits das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Jedenfalls fehle es aber an einer Antragsbefugnis der Antragstellerin. § 20i Abs. 3 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei keine drittschützende Norm zugunsten der Antragstellerin und begründe damit bereits keine subjektiven Rechte der Antragstellerin, die verletzt seien könnten. Zweck der Verordnungsermächtigung sei allein die Sicherstellung der Versorgung der Versicherten mit Schutzimpfungen. Auch aus Grundrechten folge kein Abwehranspruch der Antragstellerin. Es werde durch die VO Schutzimpfung der Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausgestaltet ohne den Schutzbereich der Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmen zu berühren. Die Auswirkungen der Regelungen auf die pharmazeutischen Unternehmen seien ein bloßer Rechtsreflex. Es liege keine gleichheitswidrige Begünstigung eines Konkurrenzproduktes vor i.S.d. Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG vor, da ein gleichrangiger Anspruch auf die Grippeimpfstoffe beider Arten bestehe. Einen Schutz vor hinzutretendem Wettbewerb gewährleiste weder Art. 12 Abs. 1 GG noch Art. 14 Abs. 1 GG. Die Antragstellerin begehre letztlich eine Besserstellung, auf die kein (grund-)rechtlicher Anspruch bestehe. Durch die Anordnung der Wirtschaftlichkeit ihres Hochdosis-Grippeimpfstoffes sei sie im Übrigen bereits begünstigt, da andernfalls das Wirtschaftlichkeitsgebot einer Verordnung ihres Impfstoffes entgegenstehen würde. Die Verlängerung der VO Schutzimpfung sei verhältnismäßig, da sie einen Impfstoffmangel mit Influenza-Impfstoffen für Personen ab 60 Jahren in der Grippesaison 2022/23 verhindern solle und so dem staatlichen Schutzgebot für Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) diene. Die VO Schutzimpfung ermögliche die Bestellung weiterer Impfstoffe durch die Sicherstellung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Eine Verdrängung des Hochdosis-Grippeimpfstoffes sei damit nicht verbunden. Ferner sei auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Bloß künftig erwartete Umsatzverluste stellten keinen schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteil dar. Es handele sich um rein spekulative Schätzungen. Der Absatz des Hochdosis-Grippeimpfstoffes Efluelda® unterliege vielen unterschiedlichen Faktoren und nicht allein der Weitergeltung der VO Schutzimpfung. Die Antragstellerin habe es durch die Vermarktung von Efluelda® selbst in der Hand, die Verordnungszahlen und damit ihren Umsatz zu steigern. Ferner könne ein möglicher Schaden später im Rahmen eines Staatshaftungsverfahrens geltend gemacht werden, während die Folgen eines Impfstoffmangels in der Grippesaison irreversibel wären.

Die Antragstellerin hat nochmals mit Schriftsatz vom 14. April 2022 vorgetragen, dass die Klagebefugnis daraus folge, dass sich die VO Schutzimpfung bzw. ihre Verlängerung durch die ÄndVO gegen allein gegen das Produkt Efluelda® der Antragstellerin richte („lex Efluelda®“). Eine berufsregelnde Tendenz sei gegeben. Schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile lägen entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch vor. Bei dem prognostizierten Bedarf von 12,2 Mio. Impfdosen liege die Vorbestellung derzeit bei 9,3 Mio. Dosen und damit bei 2,9 Mio. weniger als dem prognostizierten Bedarf ohne Weitergeltung der VO Schutzimpfung. Selbst wenn nur 90% des Bedarfs bestünden, so würde der Umsatzverlust immer noch ca. 53 Mio. Euro betragen. 

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.


II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist bereits unzulässig.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Soweit die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag begehrt, im Wege einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG festzustellen, dass Art. 1 ÄndVO nichtig ist, ist der Antrag bereits unzulässig. Der Antrag ist nicht statthaft, da insoweit das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegensteht. 

Der Antrag auf einstweilige Anordnung i.S.d. § 86b Abs. 2 SGG zwecks Sicherungs- bzw. Regelungsanordnung ist grundsätzlich nur zulässig, wenn eine andere Klageart als die Anfechtungsklage gegeben ist (Keller, in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 26). Bei der von der Antragstellerin angegriffenen ÄndVO i.V.m. der VO Schutzimpfung handelt es sich um eine Rechtsverordnung auf Grundlage von § 20i Abs. 3 S. 1 SGB V und damit eine untergesetzliche Rechtsnorm. Mangels Verwaltungsaktqualität kommt eine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGG nicht in Betracht. Die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs. 4 GG gebietet es aber, die Feststellungsklage gegen untergesetzliche Rechtsnormen als statthaft zuzulassen, wenn die Normbetroffenen ansonsten keinen effektiven Rechtsschutz erreichen können, etwa, weil ihnen nicht zuzumuten ist, Vollzugsakte zur Umsetzung der untergesetzlichen Norm abzuwarten oder die Wirkung der Norm ohne anfechtbare Vollzugsakte eintritt (stRspr. vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2012, B 1 KR 34/12 R, juris, m.w.Nw.). Das SGG ist insoweit lückenhaft, als es Rechtsschutz in Form der Normenkontrolle – mit Ausnahme von im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften nach § 55a SGG – nicht vorsieht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2011 – L 7 KA 79/10 KL ER, juris). Daher kann neben dem Hauptsachverfahren auch einstweiliger Rechtsschutz flankierend beantragt werden. Dieser hat die Aufgabe, die Entscheidung in der Hauptsache offen zu halten und muss auf Außervollzugsetzung der streitigen Regelung bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren gerichtet sein (LSG Berlin-Brandenburg aaO; sowie Beschluss vom 30. Oktober 2012 – L 9 KR 260/12 KL ER, juris; Keller, in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 29d). Der Rechtsnatur der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes widerspricht es, den Erlass oder die Änderung einer untergesetzlichen Regelung zu begehren (Keller, in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 29d). Endgültigen Regelungen steht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Februar 2016 - L 9 KR 495/15 KL ER, juris). Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist immer dann gegeben, wenn die Maßnahme nicht mehr für die Vergangenheit korrigierbar ist (Keller, in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 31). Dies wäre vorliegend der Fall. Entfiele die Geltung des ÄndVO durch Nichtigkeitserklärung, dann würde dann, wenn es zu dem von der Antragsgegnerin befürchteten und als Grund für den Erlass der ÄndVO angegebenen Lieferengpass bei dem Hochdosis-Grippeimpfstoff käme, der Mangel an Impfstoffen mangels der Möglichkeit einer Nachproduktion nicht mehr behebbar sein und eine Gefahr für Leib und Leben eintreten, da aufgrund eine Knappheit an Impfstoffen nicht alle Personen, die eine Grippeimpfung benötigen und wünschen, geimpft werden könnten. Mögliche Gesundheitsschäden wären nicht mehr nachträglich mehr zu beseitigen. Dem stehen Umsatzverluste der Antragstellerin gegenüber, die diese auch noch nachträglich, wie die Antragsgegnerin zu Recht vorträgt, im Wege eines Staatshaftungsverfahrens geltend machen könnte. 

Da der Hauptantrag bereits unstatthaft und damit unzulässig ist, war über den Hilfsantrag zu entscheiden. Der Hilfsantrag konnte im Wege der Klagehäufung geltend gemacht werden (Keller, in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Auflage 2020, § 56 Rn. 7).

Der auf vorläufig bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren darauf gerichtete Hilfsantrag, die ÄndVO i.V.m. der VO Schutzimpfung außer Vollzug zu setzten, ist nach dem oben Stehenden als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung i.S.d. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG statthaft.

Der Antrag ist jedoch ebenfalls bereits unzulässig, da es an einer Antragsbefugnis der Antragstellerin für den gestellten Hilfsantrag fehlt. 

Antragsbefugt ist, wer im Hauptsacheverfahren klagebefugt ist (Keller, in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 8). Zur Vermeidung einer Popularklage ist auch bei der Feststellungsklage der Rechtsgedanke des § 54 Abs. 1 S. 2 SGG heranzuziehen, nach dem bei einer zulässigen Rechtsverfolgung „eigene“ Rechte betroffen sein müssen (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2012, B 1 KR 34/12 R, juris). Insoweit bedarf es einer Beschwer durch die angegriffene Regelung (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Januar 2011 – L 7 KA 79/10 KL ER, juris). Eine solche Beschwer bzw. eine Betroffenheit subjektiv-öffentlicher Rechte und damit eine Antragsbefugnis liegt bei der Antragstellerin nicht vor. Eine Betroffenheit der Grundrechte der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG kommt nicht in Betracht. Sie ist weder aufgrund einer unmittelbaren Betroffenheit antragsbefugt noch aufgrund der nach Rechtsprechung des BSG anerkannten eingeschränkten Klage- bzw. Antragsbefugnis i.S.d. eines Rechts auf gleiche Teilhabe an einem fairen Wettbewerb i.S.d. Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG

Anders als die Antragstellerin meint, ist sie nicht bereits unmittelbar durch die ÄndVO i.V.m. der VO Schutzimpfung betroffen. Es handelt sich nicht um eine, wie die Antragstellerin meint, „lex Efluelda®“. Die durch die ÄndVO in ihrer Geltung verlängerte VO Schutzimpfung regelt abstrakt-generell den Anspruch von Versicherten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, auf eine Schutzimpfung gegen Influenza mit einem inaktivierten, quadrivalenten Grippeimpfstoffen mit aktueller von der Weltgesundheitsorganisation empfohlener Antigenkombination. Diese Regelung war nötig, da der G-BA in der SI-RL lediglich eine Standardimpfung mit einem Hochdosis-Grippeimpfstoff vorsah. Ausweislich des § 1 der VO Schutzimpfung wird allerdings der Anspruch der Versicherten ab dem 60. Lebensjahr auf einen Hochdosis-Grippeimpfstoff gerade nicht berührt. Dabei betrifft die Verordnung jeden Hochdosis-Grippeimpfstoff. Da die Antragstellerin die einzige Zulassung eines Hochdosis-Grippeimpfstoffes besitzt, wird derzeit faktisch nur sie betroffen. Es ist aber denkbar, dass weitere Hochdosis-Grippeimpfstoffe auf den Markt kommen. Insoweit wären dann alle Hersteller von Hochdosis-Grippeimpfstoffen betroffen. Selbst in diesem Fall läge es in der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers, ob bei mehr als einem Anbieter eines Hochdosis-Grippeimpfstoffes die Gefahr von Lieferengpässen (weiter) bestünde. Es handelt sich damit insgesamt nur um eine mittelbare Wirkung der Regelung im Sinne eines Reflexes. Diese führt jedoch ebenfalls nicht zur Annahme einer Antragsbefugnis. Das BSG hat in seiner Rechtsprechung auch bei Regelungen, die pharmazeutische Unternehmer nur als Reflex treffen und nicht unmittelbar an dieser adressiert sind, eine eingeschränkte Klagebefugnis im Sinne eines aus den Grundrechten folgenden Rechts auf gleiche Teilhabe an einem fairen Wettbewerb gemäß Art. 12 Abs.1 i.V.m. Art. 3 Abs.1 GG eingeräumt (vgl. BSG, Urteil vom 3. Mai 2018 – B 3 KR 9/16 R, juris („Festbeträgen“)). Das BSG nahm insoweit Bezug auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Dezember 2002 (1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95, BVerfGE 106, 275) wonach das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG auch die Teilhabe von Unternehmen am Wettbewerb umfasst. Die Unternehmer haben aber keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleichbleiben. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb oder auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten. Vielmehr unterliegen die Wettbewerbspositionen und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen (BVerfG aaO). Danach ist eine Grundrechtsbetroffenheit nur in eng begrenzten Fällen denkbar. Hätte der Gesetzgeber den Arzneimittelherstellern insoweit eine umfassende Klagebefugnis einräumen wollen, wäre vor dem Hintergrund der diesbezüglich umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine gesetzliche Klarstellung zu erwarten gewesen (BSG, Urteil vom 3. Mai 2018 – B 3 KR 9/16 R, juris, m.w.Nw. zur Rechtsprechung). Grundrechte als Abwehrrechte schützen daher vor einer Benachteiligung gegenüber anderen Unternehmern, also auch vor einer sachlich nicht gerechtfertigten Begünstigung von Konkurrenten (BSG aaO). Nach dem dargelegten Sachverhalt und dem Begehr der Antragstellerin scheidet allerdings eine Betroffenheit des Rechts auf gleiche Teilhabe an einem fairen Wettbewerb i.S.d. Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG aus, da es der Antragstellerin nicht darum geht, sich gegen eine – aus ihrer Sicht nicht gerechtfertigte – Benachteiligung zu wehren. Sie begehrt vielmehr eine Besserstellung gegenüber ihren Konkurrenten, auf die nach dem Vorstehenden kein (grund-)rechtlicher Anspruch bestehen kann. Gemäß Anlage 1 der SI-RL des G-BA, mit dem dieser die Empfehlung der STIKO umgesetzt hat, haben Versicherte ab dem 60. Lebensjahr einen Anspruch auf eine Standardimpfung mit einem Hochdosis-Grippeimpfstoff. Diese Rechtslage wird die die ÄndVO i.V.m. der VO Schutzimpfung nicht geändert, da § 1 der VO Schutzimpfung ausdrücklich den Anspruch der Versicherten auf einen Hochdosis-Grippeimpfstoff unberührt lässt. Es tritt durch die erlassene VO Schutzimpfung lediglich ein gleichrangiger Anspruch auf eine Schutzimpfung mit quadrivalenten Grippeimpfstoffen hinzu. Da in diesem Fall nach § 12 SGB V das Wirtschaftlichkeitsgebot nunmehr der Verordnung des teureren Hochdosis-Grippeimpfstoffes entgegenstehen könnte, ist ausdrücklich geregelt, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot der Verordnung eines Hochdosis-Grippeimpfstoffes nicht entgegensteht bzw. diese als wirtschaftlich anzusehen ist. Damit wird die Rechtslage erhalten und lediglich zum Zwecke der Versorgungssicherheit der Anspruch der Versicherten erweitert. Die Antragstellerin begehrt hingegen, dass allein ein Anspruch auf Verordnung des Hochdosis-Grippeimpfstoffes bestehen soll und nur für den Fall eines Lieferengpasses auf den quadrivalenten Grippeimpfstoff bestehen soll. Benachteiligt wären in diesem Falle die Hersteller von quadrivalenten Grippeimpfstoffen während die Antragstellerin im Sinne einer „Monopolstellung“ begünstigt wäre. 

Jedenfalls fehlt es aber für einen Erfolg des Eilantrags am erforderlichen Eilbedürfnis (Anordnungsgrund). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss insoweit für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d. h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung des Gerichts erfordert (LSG Hessen, Beschluss vom 22. Juni 2011 – L 7 AS 700/10 B ER, juris). Eine solche Notlage ist nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat vorgetragen, dass die Bedarfsplanung für die Herstellung ihres Impfstoffes durch die ÄndVO, d.h. die Weitergeltung der VO Schutzimpfung, erschwert wäre. Diese Argumentation überzeugt deshalb nicht, weil die VO Schutzimpfung bereits seit März 2021 in Kraft ist und die Antragstellerin somit bereits in einer Grippesaison deren Geltung ausgesetzt war. Entsprechend trägt sie auch vor, wie sich die VO Schutzimpfung auf die Bestellung und Verordnung von Efluelda® ausgewirkt hat. Sie kann daher ihre weitere Planung entsprechend den Erfahrungen aus dem Vorjahr gestalten. Die Unwägbarkeiten bei der Planbarkeit der Herstellung von Grippeimpfstoffen liegen hauptsächlich daran, dass diese in einem länger dauernden Prozess vorproduziert und nicht mehr – im Falle eines höheren Bedarfes – nachproduziert werden können. Dies ist aber nicht der VO Schutzimpfung geschuldet, sondern der generellen Problematik bei der Herstellung von Grippeimpfstoffen, die alle Hersteller betrifft. Ferner beruhen die angegebenen Zahlen der Antragstellerin zu einem möglichen Umsatzverlust auf reinen Schätzungen für das Vorjahr. So übertrifft die Vorbestellung von derzeit 9,3 Mio. Impfdosen Efluelda® bereits die von der Antragstellerin zunächst erwarteten 8 Mio. Impfdosen. Letztlich ist nicht glaubhaft gemacht, dass der befürchtete Umsatzverlust auch tatsächlich eintreffen wird. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.

Der Streitwert ist gemäß § 197a SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 2,5 Mio. Euro festzusetzen. In streitwertabhängigen Prozessen ist gemäß § 52 Abs. 1 GKG die Höhe des Streitwerts nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache zu bestimmen. Der Antrag und die zu seiner Begründung angeführten Tatsachen bestimmen das Begehren und damit den prozessualen Streitgegenstand (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – B 10 ÜG 4/16 R, juris). Vorliegend war der Streitwert i.H. des Maximalwertes nach § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG i.H.v. 2.500.000,00 Euro (2,5 Mio. Euro) festzusetzen, da das sich nach dem Begehren der Antragstellerin ergebende Interesse diesen Wert überstieg. Die Antragstellerin hat zunächst vorgetragen, dass sich durch die ÄndVO ihr Absatz an Impfdosen Efluelda® verringere und so prognostisch ein Umsatzverlust eintrete. Dabei hatte sie diesen in der Antragsschrift noch auf 116 Mio. bzw. bis zu 135 Mio. geschätzt. Nach den mit Schriftsatz vom 14. April 2022 dargelegten Zahlen zur Vorbestellung für Efluelda® von 9,2 Mio. Impfdosen schätzte sie den Umsatzverlust immer noch auf jedenfalls 53 Mio. Euro bzw. auf einen „Umsatzverlust in deutlich zweistelliger Millionenhöhe“. Ob dieses Interesse im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren war kann dahinstehen, da es hierauf aufgrund des gesetzlich vorgesehen Maximalwertes i.H.v. 2,5 Mio. Euro gemäß § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG nicht ankommt.

Rechtskraft
Aus
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