Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.02.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Bei der 1986 geborene Klägerin besteht seit ihrem zehnten Lebensjahr eine Epilepsieerkrankung. Sie besuchte bis 2002 ohne Abschluss eine Sonderschule. Am 30.09.2003 erfolgte bei der Klägerin eine Gehirnoperation, bei der ein temporo-mesiales Gangliogliom rechts reseziert wurde.
Vom 17.11.2003 bis zum 31.08.2004 nahm sie an einem Förderungslehrgang beim „K e.V.“ teil, in dem auch ein Praktikum bei dem Friseur N in H absolviert wurde. Ab dem 16.08.2005 war die Klägerin arbeitslos. Durch den ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit, Dr. U, wurde die Klägerin am 14.03.2006 untersucht und begutachtet. Sie gelangte zu der Beurteilung, eine Integration der Klägerin in den allgemeinen Arbeitsmarkt sei nicht zumutbar, es werde die Integration in eine Werkstatt für Behinderte empfohlen.
Ab dem 04.09.2006 war die Klägerin bei der Diakonie A Werkstätten gemeinnützige GmbH „Werkstatt Z“ in einer Werkstatt für Behinderte tätig. Dabei war sie auch auf ausgelagerten Werkstattarbeitsplätzen, wie bei dem Friseur F in H ab dem 04.12.2008 und der Diakonie A Wohnen gemeinnützige GmbH ab dem 01.11.2009, dem 01.10.2014 und dem 06.02.2017 tätig. Ab November 2011 hat die Klägerin Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung zurückgelegt. Seit dem 21.09.2017 ist sie arbeitsunfähig krank.
Am 20.03.2017 beantragte die Klägerin die Gewährung von Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte holte eine Auskunft der Diakonie A Werkstätten gemeinnützige GmbH ein und zog die Schwerbehindertenakten über die Klägerin von der Stadt H bei. Weiterhin holte sie einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. S ein. In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 07.07.2017 gelangte Dr. E zu der Beurteilung, dass die Klägerin seit September 2003 auf Dauer nur unter drei Stunden tätig erwerbstätig sein könne.
Mit Bescheid vom 26.07.2017 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil die Klägerin die Mindestversicherungszeit von 60 Monaten nicht erfülle. Die Klägerin sei seit dem 01.09.2003 dauerhaft voll erwerbsgemindert. Das Versicherungskonto enthalte bis zu diesem Zeitpunkt jedoch keinen Wartezeitmonat.
Dagegen legte die Klägerin am 17.08.2017 Widerspruch ein. Sie übersandte Zusatzvereinbarungen zum Werkstattvertrag über die Einrichtung eines ausgelagerten Werkstattarbeitsplatzes vom 03.12.2008, 28.10.2009, 15.09.2014 und 19.01.2017.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei schon voll erwerbsgemindert gewesen, bevor sie die allgemeine Wartezeit erfüllt habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 11.06.2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben. Nach den übersandten Zusatzvereinbarungen zum Werkstattarbeitsplatz über die Einrichtung von ausgelagerten Werkstattarbeitsplätzen sei die Klägerin arbeitstäglich mehr als sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig gewesen. Ihren bisherigen Tätigkeiten in Behindertenwerkstätten könne sie nicht mehr nachgehen. Sie hat einen Bericht des Universitätsklinikums C vom 16.10.2018 vorgelegt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 26.07.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2018 Bezug genommen.
Das SG hat Behandlungs- und Befundberichte der Ärzte der Klägerin, des Universitätsklinikums B, Dr. S und des Neurologen Dr. D sowie die Schwerbehindertenakte der Klägerin bei der Stadt H beigezogen.
Weiterhin hat das SG Beweis erhoben durch die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. L vom 28.07.2020. Dieser ist zu der Beurteilung gelangt, dass kein Zweifel daran bestehe, dass das Leistungsvermögen der Klägerin im Hinblick auf den allgemeinen Arbeitsmarkt schon deutlich vor dem Zeitpunkt des Jahres 2009, vermutlich schon seit dem Jahr 2003 aufgehoben gewesen sei. Die Leistungsminderungen, die aktuell bestünden, seien im Wesentlichen auch schon im Jahre 2003 beschrieben worden. Damals sei wegen der Anfallshäufung die Läsionektomie veranlasst worden, eine Minderbegabung und psychische Beeinträchtigung sei seinerzeit schon beschrieben worden. Es sei davon auszugehen, dass ein Leistungsvermögen im Erwerbsleben für zumindest drei Stunden geistig einfache und körperlich leichte Arbeiten zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe.
Mit Urteil vom 16.02.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, nach dem schlüssigen Gutachten von Dr. L habe bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt ein Leistungsvermögen von drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorgelegen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt.
Gegen das ihr am 11.03.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08.04.2021 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, ihre Erwerbsminderung bestehe nicht bereits seit 2003. Das Gutachten von Dr. L sei zu kritisieren. Die Beweisfrage 10 werde überhaupt nicht, die Beweisfrage 9 mit einer Vermutung (Aufhebung des Leistungsvermögens vermutlich ab 2003) beantwortet. Eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass sie nachweislich über Jahre auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig gewesen sei, erfolge überhaupt nicht. Sie übersendet eine Abschlussbescheinigung des „K e.V.“ über einen Förderungslehrgang vom 17.11.2003 bis zum 31.08.2004.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.02.2021 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2018 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.
Der Senat hat die Beteiligten – dem Bevollmächtigten der Klägerin mit Empfangsbekenntnis vom 22.10.2021 zugestellt - zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angehört.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat weist die Berufung nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch Beschluss zurück, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, § 153 Abs. 4 S. 1 SGG.
Die zulässige Berufung ist aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht begründet, § 153 Abs. 2 SGG analog.
Soweit die Klägerin mit der Berufung geltend macht, ihre Erwerbsminderung bestehe nicht schon seit dem Jahre 2003, ist dem entgegenzuhalten, dass nach dem schlüssigen und überzeugenden erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. L vom 28.07.2020 unter Berücksichtigung der Berichte der behandelnden Ärzte der Klägerin aufgrund der geistigen und seelischen Beeinträchtigung und der Häufigkeit der Epilepsieanfälle bei dieser schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit nach §§ 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 51 Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) von 60 Monaten im Mai 2009 ein Zustand der vollen Erwerbsminderung eingetreten ist. Demzufolge besteht gem. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI kein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, weil vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt sein muss.
Wie Dr. L in der Leistungseinschätzung seines Gutachtens ausgeführt hat, war die Klägerin zu keinem Zeitpunkt in der Lage, für zumindest drei Stunden arbeitstäglich geistig einfache und körperlich leichte Arbeiten auszuführen. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin stimmt im Wesentlichen auch überein mit dem Gutachten der Dr. U für die Agentur für Arbeit vom 14.03.2006, wonach eine Integration der Klägerin in den allgemeinen Arbeitsmarkt auch unterhalb Facharbeiterinnen-Niveau nicht zumutbar gewesen und eine Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt empfohlen worden ist. Weiterhin stimmt die Klägerin dieser Einschätzung mit ihrer Selbstbeurteilung bei der Rentenantragstellung vom 20.03.2017 im Wesentlichen selbst zu, in der sie angegeben hat, sich seit 2005 für erwerbsgemindert zu halten. Soweit Dr. L bei der Beantwortung der Beweisfrage 9 ausgeführt hat, dass das Leistungsvermögen der Klägerin ohne Zweifel schon deutlich vor dem Jahre 2009, „vermutlich schon mindestens seit dem Jahr 2003“ aufgehoben gewesen sei, ergibt sich hieraus nichts rechtlich relevantes Anderes. Denn die Klägerin hat aufgrund ihrer Tätigkeiten in einer Werkstatt für Behinderte und des Sozialleistungsbezuges erst im Mai 2009 die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten erfüllt. Bereits vor diesem Zeitpunkt war die Klägerin jedoch schon mit Sicherheit voll erwerbsgemindert, da ihr Leistungsvermögen – wie Dr. L nachvollziehbar ausgeführt hat – schon deutlich vor dem Jahre 2009 ohne Zweifel aufgehoben gewesen ist.
Hiergegen spricht auch nicht der Beweiswert der tatsächlich ausgeführten Arbeiten (vgl. BSG, Urteil vom 26.09.1975, - 12 RJ 208/74 – Rn. 14) der Klägerin. Denn die Klägerin ist zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen tätig zu sein und hat auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich niemals Tätigkeiten ausgeübt. Sie hat lediglich vom 17.11.2003 bis zum 31.08.2004 an einem Förderungslehrgang beim „K e.V.“ mit Praktikum bei einem Friseur teilgenommen und ist anschließend ausschließlich in einer Werkstatt für Behinderte tätig gewesen. Auch die Tätigkeiten bei dem Friseur F in H ab dem 04.12.2008 und der Diakonie A Wohnen gemeinnützige GmbH ab dem 01.11.2009, dem 01.10.2014 und dem 06.02.2017 sind auf (ausgelagerten) Werkstattarbeitsplätzen durchgeführt worden, wie sich aus den diesbezüglichen Zusatzvereinbarungen zum Werkstattarbeitsplatz über die Einrichtung von ausgelagerten Werkstattarbeitsplätzen ergibt. Hiernach bleibt die Werkstattmitarbeiterin Mitarbeiterin der Behindertenwerkstatt „Z“ und unterliegt weiterhin dem für Werkstätten für behinderte Menschen geltenden arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis.
Die (fehlende) Beantwortung der Beweisfrage 10 durch Dr. L hinsichtlich einer möglichen Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin ist nicht entscheidungserheblich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor, § 153 Abs. 4 S. 3 i.V.m. § 158 S. 3 SGG.