Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 30. September 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1964 geborene Klägerin hat nach dem Abitur ein BWL-Studium begonnen (ohne Abschluss) und war von 1986 bis November 2001 als technische Angestellte, von April 2008 bis März 2012 und von August 2012 bis Oktober 2012 als Büroangestellte und im November 2012 als Verkäuferin versicherungspflichtig beschäftigt. Von Januar 2013 bis Juli 2016 ist im Versicherungsverlauf eine Pflegetätigkeit ohne Beihilfe vermerkt.
Seit 23. Mai 2019 ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt (Bescheid des Landratsamtes Rhein-Neckar-Kreis vom 29. August 2019).
Am 18. Dezember 2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den L. Dieser untersuchte die Klägerin am 15. Juni 2018 ambulant und nannte im Gutachten vom 22. Juni 2018 folgende Diagnosen: Schmerzen im Bereich der Kniegelenke beidseits bei degenerativen Veränderungen im Sinne einer Chondropathie (durch MRT gesichert); Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule bei kernspintomographisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Sinne von Spondylarthrose und Bandscheibenverschleiß; Anamnestisch lumbale Rückenschmerzen; Z.n. Thrombose bzw. Lungenembolie 2012 nach Meniskusoperation, daraus resultierende Herz-Kreislauf-Beschwerden, Erschöpfungszustände, Schwellungszustände, Apnoe. Die Klägerin könne die letzte Tätigkeit als Verwaltungsangestellte sowie leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten in wechselnd sitzender, stehender und gehender Körperhaltung sechs Stunden und mehr täglich ausüben.
Ferner holte die Beklagte das internistische Gutachten des B vom 29. Juni 2018 (aufgrund der ambulanten Untersuchung am 25. Juni 2018) ein. Dieser diagnostizierte ein Schlafapnoesyndrom, eine Refluxkrankheit der Speiseröhre und eine Hypertonie. Aus internistischer Sicht seien leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich möglich.
Die Beklagte holte hierzu eine Stellungnahme ihrer K ein und lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 10. September 2018 ab, weil die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nicht erfülle.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die Beklagte habe das bei ihr vorliegende Krankheitsbild fehlerhaft erfasst und wesentliche physische und psychische Beeinträchtigungen unberücksichtigt gelassen. Sie leide u.a. noch unter einer Depression, einem Barrett-Syndrom, Adipositas, Herzrhythmusstörungen, Fructoseintoleranz, Neuralgie, Schlafapnoe, Karpaltunnelsyndrom sowie Arthrose im Knie- und Handbereich. Sie leide außerdem an Nebenwirkungen, wie z.B. Gewichtszunahme, durch die Einnahme vieler Medikamente.
Die Beklagte holte einen Befundbericht des S vom 29. April2019 sowie das Gutachten des H vom 22. Juli 2019 (aufgrund der ambulanten Untersuchung vom 17. Juli 2019) ein. H diagnostizierte ein degeneratives Zervikalsyndrom, eine Rhizarthrose beidseits, eine Gonarthrose beidseits, einen Z.n. Arthroskopie des linken Kniegelenks mit nachfolgender tiefer Beinvenenthrombose und Lungenembolie, einen Z.n. Operation eines Karpaltunnelsyndroms bds., Senk-Spreizfuß beidseits, Hallux valgus rechts, beginnend links und Krallenzehe II rechts sowie Lipödem beide Beine. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Tätigkeiten in gebückter, vorgeneigter, kniender oder hockender Körperhaltung, Tätigkeiten mit verstärkter manueller Belastung sowie Tätigkeiten in Form von Überkopfarbeiten, Begehen von Treppen, Leitern und Gerüsten. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien liege eine Einsetzbarkeit von sechs Stunden und mehr täglich sowie im zuletzt ausgeübten Beruf als Büroangestellte vor.
Ferner ließ die Beklagte die Klägerin von dem K1 begutachten. Dieser untersuchte die Klägerin am 22. August 2019 und diagnostizierte in seinem Gutachten vom selben Tag leichtgradige Anpassungsstörungen, reaktiv auf situative Belastungen (definierte körperliche Erkrankungen). Aufgrund des rein psychiatrischen Befunds bestehe keine wesentliche Einschränkung der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Klägerin sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und für leichte Tätigkeiten im Bürobereich einsatzfähig für sechs Stunden und mehr pro Tag.
Nach Einholung einer Stellungnahme des Beratungsarztes Groß wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2019 zurück. Es liege keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vor. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts tätig sein. Auch finde die Übergangsregelung des § 240 SGB VI keine Anwendung, da die Klägerin nach dem 1. Januar 1961 geboren sei und daher nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre.
Dagegen hat die Klägerin am 23. Dezember 2019 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben.
Die Beklagte habe ihre Leiden nicht ausreichend berücksichtigt. Sie hat unter anderem einen Karteieintrag des Medizinischen Versorgungszentrums W vom 3. Juli 2020 sowie einen Befundbericht des B1 vom 8. Juli 2020 vorgelegt.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen.
Der S1 hat über eine einmalige Vorstellung der Klägerin am 8. April 2019 berichtet. Die Klägerin habe über seit vielen Jahren bestehende Schmerzen an unterschiedlichen Körperregionen geklagt, vor allem über Rückenschmerzen sowie Schmerzen der Hände. Bei manuellen Tätigkeiten habe sie darüber hinaus über eine Verkrampfung der Muskulatur der Hände geklagt. Aufgrund der Schmerzen habe sie über eine deutliche Einschränkung der Mobilität berichtet. Bei der Untersuchung sei die Klägerin niedergestimmt und emotional eingeschränkt schwingungsfähig gewesen. Ein neurologisches Defizit im Sinne einer Lähmung oder Gefühlsstörung habe sich nicht gefunden. Das Gangbild sei schmerzbedingt unrhythmisch gewesen, die sog. Schmerz-Triggerpunkte, die für das Krankheitsbild einer Fibromyalgie typisch seien, seien positiv gewesen.
Die R hat über die Vorstellungen der Klägerin am 20. Juni 2018 und am 11. Januar 2019 berichtet. Sie hat die Untersuchungsbefunde mitgeteilt. Danach lag für die Lunge ein Normalbefund vor. Es zeigte sich bei der letzten Vorstellung bei der Lungenfunktionsanalyse lediglich weiterhin ein Nachweis einer diskreten peripheren Flusslimitierung ohne weitere relevante Auffälligkeit.
Der S hat mitgeteilt, die Klägerin sei 2017 wegen multifokalen Schmerzen vorstellig geworden. Sie habe über Schmerzen der LWS und HWS mit pseudoradikulärer Symptomatik geklagt sowie über zunehmende Schmerzen v.a. des linken Kniegelenks. Die Szintigraphie habe den Verdacht auf ein rheumatologisches Geschehen eher ausschließen können. Bis Februar 2020 sei es trotz Schmerzmedikation und Kompressionstherapie zu einer Zunahme des Befundes gekommen. Im Februar 2020 hätten die Schmerzen beider Hände weiter zugenommen bei diagnostizierter Rhizarthrose.
Die E vom Medizinischen Versorgungszentrum W hat bezüglich der erhobenen Befunde Auszüge aus der Patientenakte vorgelegt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. September 2020 abgewiesen.
Die Klägerin verfüge auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche. Bei ihr lägen leichtgradige Anpassungsstörungen, reaktiv auf situative Belastungen (definierte körperliche Belastungen), ein degeneratives Zervikalsyndrom, Rhizarthrose beidseitig, Gonarthrose beidseitig, Zustand nach Arthroskopie des linken Kniegelenks mit nachfolgender tiefer Beinvenenthrombose und Lungenembolie, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Zustand nach Operation eines Karpaltunnelsyndroms beidseitig, Senk-Spreizfuß beidseitig, Hallux valgus rechts und beginnend links, Krallenzehe II rechts, Lipödem im Bereich beider Beine sowie Hypertonie vor. Die Beeinträchtigungen führten jedoch nur zur Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin in qualitativer, nicht jedoch in quantitativer Hinsicht. Hierbei hat sich das SG auf die gutachtlichen Feststellungen des L, des H und des K1 gestützt. Danach könne die Klägerin noch täglich mindestens sechs Stunden leichte körperliche Tätigkeiten ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg und ohne Überkopfarbeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen in Tagesschicht zu ebener Erde ohne widrige klimatische Bedingungen wie Zugluft und Kälte verrichten. Nicht leidensgerecht seien Tätigkeiten in gebückter, vorgeneigter, kniender und hockender Position, mit verstärkter manueller Belastung sowie mit Begehen von Treppen, Leitern und Gerüsten. Überzeugend sei vor diesem Hintergrund auch, dass eine rentenrelevante Minderung der Wegefähigkeit nicht festzustellen sei. Den Beeinträchtigungen könne demnach hinreichend durch qualitative Leistungseinschränkungen Rechnung getragen werden. Mithin hätten gutachtlich sowohl K1, als auch L und H eine rentenrelevante quantitative Leistungsminderung der Klägerin nachvollziehbar nicht feststellen können. Mit diesem Ergebnis stünden auch alle sachverständigen Zeugenauskünfte im Einklang. So sei bereits der Auskunft des S1 für sein Fachgebiet zu entnehmen, dass sich ein neurologisches Defizit im Sinne einer Lähmung oder Gefühlsstörung nicht finde. Ferner habe die Ärztin für R mitgeteilt, dass für die Lunge ein Normalbefund vorliege, bei der Lungenfunktionsanalyse habe sich weiterhin lediglich ein Nachweis einer diskreten peripheren Flusslimitierung ohne weitere relevante Auffälligkeit gefunden. Auch der Auskunft des R seien im Wesentlichen lediglich die Klagen der Klägerin über Schmerzen zu entnehmen, wobei ab Februar 2020 die Schmerzen beider Hände weiter zugenommen hätten, so dass sich auch insofern allenfalls qualitative Leistungseinschränkungen ergäben. Auch der Auskunft der E seien keine eine rentenrelevante quantitative Leistungsminderung stützenden Befunde zu entnehmen, was ebenfalls für den Karteieintrag des Medizinischen Versorgungszentrums W vom 3. Juli 2020 für den 29. Juni 2020 sowie den Befundbericht des B1 vom 8. Juli 2020 gelte, abgesehen davon, dass insofern noch keine sechs Monate vergangen wären (vgl. auch § 101 Abs. 1 SGB VI). Da die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren sei, scheide im Übrigen bereits deshalb auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI aus.
Gegen den ihrer Prozessbevollmächtigten am 7. Oktober 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 20. Oktober 2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Das SG habe nicht berücksichtigt, dass ihr die Schwerbehinderteneigenschaft zugesprochen worden sei und hätte die ärztlichen Stellungnahmen der behandelnden Ärzte hinterfragen müssen. Ihr machten vor allem die Spinalstenose, die Lähmungserscheinungen, die Beeinträchtigungen der Knie, die Taubheit und die Schmerzgefühle in Händen und Füßen, verbunden mit Schwellungen, der Darm, Durchfall, Herz- und Atemprobleme zu schaffen. Sie sei schon bei alltäglichen Tätigkeiten wie Kochen, Putzen, Aufstehen, Hinsetzen, Schreiben, Greifen und Festhalten gesundheitlich überfordert. Sie hat einen Arztbrief des B1 vom 15. April 2021 vorgelegt (Diagnosen: Ausschluss von Rheuma (01/21), Gonalgie beide Seiten), zeitnahe Wiedervorstellung vereinbart zur Anpassung der (Schmerz-)Medikation (Gabapentineindosierungsversuch). Weiterhin psychosomatische Tagesklinik empfohlen).
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 30. September 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. November 2019 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise zum Beweis der Tatsache, dass ihr zeitliches Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf weniger als sechs Stunden täglich gesunken ist, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sowie auf orthopädischem Fachgebiet einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat an ihrem Rechtsstandpunkt festgehalten.
Der Senat hat B1 ergänzend als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat folgende Diagnosen mitgeteilt: 7. Juli 2020: chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren; Zustand nach Ulcus ventriculi, Reizdarm; Zustand nach Thrombose; Zustand nach Lungenembolie; abnormer Leberwert; Barrett-Syndrom; Zervikalgie; Lumbalgie; Dystonie (fokal); Verdacht auf Fibromyalgie; Schlafapnoe; Hypertonus; Gonalgie beide Seiten; Polyarthrose; Osteochondrose (HWS); Neuroforamenstenose beide Seiten (HVVK 4/5); Gonarthrose links; Lipödem; Depression; Schlafstörung; 17. August 20: Lumbalgie; 19. Oktober 20: Lumbalgie; 23. November 20: Spinalkanalstenose (L4-S1); Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren; Lumbalgie; Verdacht auf Fibromyalgie; Gonarthrose links; 15. April 21: Ausschluss von Rheuma (01/21); Gonalgie beide Seiten. Er hat außerdem die Untersuchungsbefunde und den Behandlungsplan (7. Juli 20: Anpassung der (Schmerz-)Medikation (Ibuprofen absetzen); Beratung zu ergänzend-alternativen Behandlungsmöglichkeiten (z.B. Magnesium, Curcuma, Wobenzym, Teufelskralle); TENS (einschließlich ggf. erneuter ausführlicher Einweisung/Demonstration); Akupunktur- und Wärmebehandlungen; ggf. Wassergymnastik-/Rehasport-Verordnung (seitens Pat. derzeit aus logistischen Gründen nicht durchführbar); Anregung zu leichten Ausdauertrainingsmaßnahmen (z.B. Nordic Walking); Vermittlung von Selbsthilfegruppen; Wiedervorstellung zeitnah vereinbart; Psychotherapeutische Anbindung; 23. November 20: Fortführung TENS-Anwendung. Wiedervorstellung zeitnah vereinbart; Empfehlung zur psychosomatischen Mitbehandlung; 15. April 21: Wiedervorstellung zeitnah vereinbart; Anpassung der (Schmerz-)Medikation (Gabapentineindosierungsversuch). Weiterhin psychosomatische Tagesklinik empfohlen) mitgeteilt und die bei ihm vorhandenen Fremdbefunde vorgelegt.
Auf Antrag und eigenes Kostenrisiko der Klägerin gemäß § 109 SGG hat der Senat schließlich das nervenfachärztliche Gutachten des S2 vom 8.November 2021 eingeholt. Dieser hat die Klägerin am 28. September 2021 ambulant untersucht und eine anhaltende Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und somatoforme autonome Funktionsstörung des Verdauungstraktes, des Atmungssystemes bei Angst und depressiver Störung in der zweiten Lebenshälfte diagnostiziert.
Die Beschwerden der Untersuchten seien ausgesprochen vielfältig und beträfen sowohl den Körper als auch die Psyche. Die Klägerin könne noch leichte bis in Spitzen mittelschwere körperliche Arbeiten im Wechsel von Stehen, Sitzen und Gehen, ohne Wirbelsäulenzwangshaltung, ohne häufiges Bücken, ohne längerfristige Tätigkeiten überkopf oder in Armvorhalte, ohne Heben und Tragen von Gegenständen mit mehr als 7 kg Gewicht ohne Hilfsmittel, ohne häufiges Treppensteigen, ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten, in Tagschicht, Früh- oder Spätschicht - ohne Nahtarbeit, ohne Tätigkeiten unter erhöhtem Zeitdruck, ohne Akkord- oder Fließbandarbeiten, ohne Tätigkeiten unter nervlicher Belastung, ohne Tätigkeiten mit erhöhter Anforderung an Aufmerksamkeit und Konzentration, ohne Übernahme von Verantwortung für Menschen oder Maschinen, unter Beachtung der qualitativen Beeinträchtigungen, wie sie in dem orthopädischen Gutachten genannt wurden, aus nervenärztlicher Sicht ohne Tätigkeiten unter erhöhter Stressbelastung, erhöhtem Zeitdruck, erhöhter Anforderung an Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit oder Verantwortungsübernahme nach wie vor sechs Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche ausüben. Besonders gestaltete Arbeitsbedingungen seien aus nervenärztlicher Sicht nicht erforderlich. Es bestünden wegen der auf nervenfachärztlichem Gebiet nachgewiesenen Gesundheitsstörungen keine Beeinträchtigungen der Wegefähigkeit. Es sei der Klägerin nach wie vor zumutbar, täglich viermal die Wegstrecke von etwa 500 Metern zu Fuß in etwa 15 Minuten zurückzulegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten sowie ein Kfz zu benutzen.
Die Klägerin hat sich hierzu ausführlich geäußert und an der Berufung festgehalten. Das Gutachten des S2 sei nicht schlüssig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 5. Januar 2022 Bezug genommen.
Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
teilweise erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie
voll erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
Das Vorliegen einer rentenberechtigenden Leistungsminderung und auch der weiteren Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung muss im Vollbeweis objektiv nachgewiesen sein. Dies erfordert, dass die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen müssen (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteile vom 15. Januar 2009 – L 14 R 111/07 und vom 8. Juli 2010 – L 14 R 112/09). Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsache – hier der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung begründenden Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens – als erbracht angesehen werden kann. Eine bloße gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Kann das Gericht das Vorliegen der den Anspruch begründenden Tatsachen trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten nicht feststellen, geht dieser Umstand zu Lasten desjenigen, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten will, hier also zu Lasten der Klägerin.
Gemessen hieran ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert.
Das SG hat unter Zugrundelegung der vorgenannten Anspruchsvoraussetzungen zutreffend dargelegt, dass die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist, weil ihr Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich beträgt. Dabei hat sich das SG im Wesentlichen auf die aus seiner Sicht nachvollziehbaren gutachtlichen Feststellungen des L, des H und des K1 gestützt. Auch eine Einschränkung der Wegefähigkeit hat das SG unter Bezugnahme auf die genannten Gutachten zu Recht verneint.
Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die von H erhobenen Untersuchungsbefunde bezüglich des orthopädischen Fachgebiets eine geringgradige Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule und keine wesentlichen Bewegungsschmerzen ergeben haben, die Beweglichkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule frei war sowie der Fingerbodenabstand 0 cm betragen hat, die Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenke sowie die Hüft-, Knie- und Sprunggelenke unauffällig und frei beweglich waren. Lediglich das Daumensattelgelenk war an beiden Händen aufgetrieben und geschwollen mit kräftigem Druckschmerz, ansonsten waren die Fingergelenke unauffällig und frei beweglich. An den Füßen fand sich beidseits ein kräftiger Senk-Spreizfuß, auf der rechten Seite ein fortgeschrittener Hallux valgus, beginnend auch links, die Großzehengrundgelenke waren aufgetrieben mit endgradig schmerzhafter Beweglichkeit. Auf der rechten Seite lag zudem eine beginnende Krallenzehe II vor. Diese Untersuchungsbefunde führen nach schlüssiger Einschätzung des Sachverständigen nur zu gering ausgeprägten Funktionseinschränkungen, die mit den von ihm dargelegten qualitativen Einschränkungen angemessen berücksichtigt werden.
Bei der Begutachtung durch K1 ergaben sich im Rahmen des psychischen Befunds nur geringe Auffälligkeiten (kommunikativ etwas eingeengt, affektiv möglicherweise reduziert schwingungsfähig im Vergleich zum Habitualbefund, emotionale Resonanz reaktiv bezogen auf die körperlichen Beschwerden und Schmerzen besorgt, Stimmungshintergrund etwas herabgestimmt, nicht eigentlich depressiv, Wahrnehmung, Denkabläufe und psychische Reaktionen normvariant, nicht gestört oder wesentlich verlangsamt, kognitive Einschränkungen bezüglich Merkfähigkeit, Rückgang in den letzten drei Jahren, anamnestisch etwas erhöhte Neigung zur Weinerlichkeit als früher und erhöhte Irritabilität), die von ihm nachvollziehbar entsprechend einer leichtgradigen Anpassungsstörung bei chronischer situativer Belastung durch definierte körperliche Erkrankungen beurteilt wurden und zu den von ihm genannten qualitativen Einschränkungen, aber keiner zeitlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf unter sechs Stunden täglich führt.
Im Berufungsverfahren ist das vollschichtige Leistungsvermögen der Klägerin durch das gemäß § 109 SGG erstellte Gutachten des S2 bestätigt worden.
S2 hat sich mit der medizinischen Vorgeschichte und den von der Klägerin angegebenen Beschwerden auseinandergesetzt und ausführliche Untersuchungsbefunde erhoben. Im Rahmen der neurologischen Untersuchung ergaben sich lediglich Anhaltspunkte für eine leichte Polyneuropathie. Im Rahmen des psychiatrischen Untersuchungsbefunds machte die Klägerin einen gepflegten Eindruck. Sie wirkte etwas fahrig-unruhig-aufgeregt in ihrem Verhalten, zugleich lebhaft und vital. Der Bewegungsablauf stellte sich unauffällig dar. Die Klägerin zeigte ein unauffälliges Gangbild, stand rasch und behände auf, setzte sich auch ohne auffällige Schonhaltung. Sie ließ über die gesamte Zeit der mehr als eine Stunde währenden Exploration keine Schmerzäußerungen erkennen, auch nicht während der körperlichen Untersuchung. Im Gespräch machte die Klägerin einen eher ungeduldigen, drängenden Eindruck. Sie neigte sehr stark dazu, draufloszureden, erschien dabei sprunghaft und auch weitschweifig, musste immer wieder vom Untersucher strukturiert werden, blieb aber stets freundlich und umgänglich. Sie war ausreichend aufmerksam, in der Konzentrationsfähigkeit aber sehr wechselhaft. Es ließen sich keine auffälligen mnestischen Defizite im explorativen Gespräch erkennen. Allerdings bestand eine Neigung zum Pauschalieren bzw. zu allgemein gehaltenen eher nichtssagenden Aussagen z.B. hinsichtlich der biographischen Angaben, der sozialen Lebensumstände. Das Kontaktverhalten war ausgesprochen freundlich, die Klägerin wirkte offen, Blickkontakt war jederzeit möglich und die Klägerin erzählte locker von der Leber weg, blieb dabei aber eher oberflächlich, insbesondere was psychosoziale Faktoren ihres Leidens angehen könnte. Das formale Denken war z.T. sprunghaft, oft drängend, dann auch wieder weitschweifig werdend. Inhaltlich war die Klägerin in erster Linie mit den verschiedenartigen schmerzbedingten Einschränkungen und ihrem Nicht-mehr-können befasst. Unplausible, unmögliche Denkinhalte lagen nicht vor, ebenso fanden sich keine Hinweise auf Trugwahrnehmungen oder Wahnbildung. Die Stimmungslage der Untersuchten war zum Untersuchungszeitpunkt ausgeglichen, freundlich. Die Klägerin zeigte eine unauffällige Schwingungs- und Resonanzfähigkeit. Das Antriebsverhalten war in der Untersuchungssituation unauffällig. Demnach ergibt sich ein ähnliches Bild – mit nur geringen Auffälligkeiten im psychischen Befunde -wie bei der Begutachtung durch K1.
Auch der im Rahmen der Begutachtung durch S2 geschilderte Tagesablauf verläuft trotz
subjektiv beeinträchtigender Beschwerden und trotz (im Vergleich zu früher) reduzierter Aktivitäten und Sozialkontakte noch gut strukturiert (regelmäßiges Aufstehen mit dem Ehemann, Hausarbeit, Versorgen des Hundes, abends regelmäßig kochen, regelmäßige Kontakte mit der Schwester, gemeinsam mit der Schwester einkaufen gehen).
Im Hinblick auf die Angaben der Klägerin in den Fragebögen hat S2 festgestellt, dass sich die Scores für Depression in der DAS-Scala gebessert haben, während die Stressbelastung und die Ängstlichkeit (Zukunftsängste) sich seit Juli 2020 nicht nennenswert verändert haben. Er hat allerdings darauf hingewiesen, dass bislang – trotz der angegebenen Beschwerden - keine psychiatrisch-psychotherapeutische Mitbehandlung erfolgte.
Zu den Angaben der Klägerin in den Schmerzfragebogen hat S2 angemerkt, dass sich danach seit Beginn der Behandlung in der Schmerzpraxis im Juli 2020 weder hinsichtlich der Schmerzlokalisationen der multilokulären Schmerzen, noch der Schmerzintensität oder des schmerzbedingten Ausmaßes der Beeinträchtigungen im Alltag eine wesentliche Änderung ergeben hat, dies aber in einem gewissen Gegensatz zu der derzeitigen Schmerzmedikation (es werden nahezu keine analgetisch wirksamen Medikamente mehr eingenommen) und zu dem Verhalten der Klägerin (die Klägerin zeigte ein unauffälliges Gangbild, stand rasch und behände auf, setzte sich auch ohne auffällige Schonhaltung, ließ über die gesamte Zeit der mehr als eine Stunde währenden Exploration keine Schmerzäußerungen erkennen, auch nicht während der körperlichen Untersuchung) steht. Er hat außerdem eine im Beschwerdevalidierungsfragebogen SFSS festgestellte Neigung der Klägerin zur Aggravierung der Beschwerden angesprochen.
Insgesamt hat S2 schlüssig begründet – übereinstimmend mit der Einschätzung des K1 – dass die Beschwerden auf nervenärztlichem Fachgebiet eher leichtgradig ausgeprägt sind und somit keine Einschränkung der zeitlichen Leistungsfähigkeit begründen können.
Die gegen das Gutachten des S2 vorgebrachten Kritikpunkte der Klägerin sind nicht geeignet, diese Leistungsbeurteilung in Frage zu stellen. So kommt es für den hier zu entscheidenden Rentenantrag von Dezember 2017 nicht entscheidend darauf an, ob die Beschwerden der Klägerin schon vor 2012 begonnen haben und die Kritik an der vom Sachverständigen angenommen Aggravation vermag vor dem Hintergrund des objektiven Ergebnisses des Beschwerdevalidierungsfragebogens nicht zu überzeugen. Der Hinweis auf die lange Wartezeit auf eine schmerztherapeutische Behandlung hat keinen Bezug zur fehlenden psychiatrischen/psychotherapeutischen Behandlung und obwohl zu Recht eingewandt wird, dass bei Fachärzten und Therapeuten üblicherweise längere Wartezeiten bestehen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass – trotz der nach eigenem Vortrag seit vielen Jahren bestehenden ausgeprägten Beschwerden – intensive Bemühungen um eine psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung jahrelang gänzlich ohne Erfolg geblieben sein sollen.
Wesentlich neue Gesichtspunkte ergeben sich auch nicht aus der im Berufungsverfahren eingeholten sachverständigen Zeugenauskunft des B1. Dieser hat eine Rheumaerkrankung ausgeschlossen und der Klägerin alternative Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt bzw. die Schmerzmedikation angepasst sowie TENS-Behandlung, Akupunktur- und Wärmebehandlungen, ggf. Wassergymnastik, Rehasport und leichte Ausdauertrainingsmaßnahmen empfohlen. Jedoch ergeben sich aus seinen Angaben keine Befunde oder Diagnosen, die wesentlich von denjenigen abweichen, die H, K1 und S2 im Rahmen ihrer Begutachtungen berücksichtigt haben, so dass auch keine Anhaltspunkte für eine hiervon abweichende Leistungsbeurteilung vorliegen. Vielmehr zeigen die von B1 empfohlenen alternativen Behandlungsmethoden, dass die Klägerin sogar teilweise ohne Schmerzmedikamente bzw. mit reduzierter Dosis der Schmerzmedikamente eine Verbesserung ihrer Beschwerden erreichen konnte. Auch im Zeitpunkt der Untersuchung durch S2 nahm die Klägerin nahezu keine analgetisch wirkenden Medikamente ein, was eher für eine Besserung als für eine Verschlechterung der Beschwerden spricht.
Soweit die Klägerin zuletzt vorgebracht hat, sie könne u.a. nicht längere Zeit am PC arbeiten, keine längeren handschriftlichen Ausführungen machen oder über längere Zeit Gegenstände tragen, keine Drehbewegungen des Handgelenks und keine monotonen Bewegungsabläufe durchführen und nicht längere Zeit sitzen, bewegt sich dies im Wesentlichen im Rahmen der von H, L und S2 genannten qualitativen Einschränkungen. Neue Anhaltspunkte für eine zeitliche Leistungseinschränkung ergeben sich daraus jedoch nicht.
Weitere Beweiserhebung von Amts wegen war nicht erforderlich. Der medizinische Sachverhalt auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet ist ausreichend aufgeklärt und erfordert keine weitere Begutachtung von Amts wegen. Auf psychiatrischem Fachgebiet wurde die gutachterliche Einschätzung des K1 durch S2 aktuell ausdrücklich bestätigt und eine regelmäßige fachpsychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung, die Anhaltspunkte auf besonders ausgeprägte Beschwerden auf diesem Fachgebiet geben könnte, wurde und wird nicht durchgeführt.
Auf orthopädischem Fachgebiet ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Gesundheitszustands seit der Begutachtung durch H. Aus der sachverständigen Zeugenauskunft des B1 lassen sich – wie bereits dargelegt - keine Rückschlüsse auf eine Veränderung des Gesundheitszustandes ziehen und es wurden keine Befundberichte über aktuelle fachorthopädische Vorstellungen vorgelegt sowie keine Verschlechterung auf orthopädischem Fachgebiet konkret geltend gemacht, sondern unsubstantiiert darauf hingewiesen, dass die Begutachtungen bereits länger zurückliegen. Im Übrigen waren auch bei der aktuellen Untersuchung durch S2 keine nennenswerten Bewegungsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und der großen Gelenke sowie des Gangbildes zu erkennen.
Damit ergeben sich weder auf orthopädischem, noch auf psychiatrischem Fachgebiet konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich sein könnte.
Auch S2 hat ausdrücklich bestätigt, dass sich seine Beurteilung der Leistungsfähigkeit weitestgehend mit den beiden orthopädischen Gutachten sowie dem psychiatrischen Gutachten, die von der Beklagten eingeholt wurden, deckt und nach seiner Ansicht keine weiteren Ermittlungen auf anderem Fachgebiet erforderlich sind.
Den Anträgen der Klägerin auf Einholung eines orthopädischen sowie eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen war somit nicht zu folgen.
Es sind auch keine sonstigen Gesundheitsstörungen ersichtlich, die geeignet wären, das Leistungsvermögen der Klägerin zeitlich auf unter sechs Stunden arbeitstäglich einzuschränken.
Die Klägerin ist demnach in der Lage, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes – unter Beachtung qualitativer Einschränkungen – sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.
Eine Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit besteht nicht. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris) liegen bei der Klägerin nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht vor.
Die von den Sachverständigen genannten qualitativen Einschränkungen sind in ihrer Art oder Summe nicht geeignet, die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen.
Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der - wie die Klägerin - nach dem verbliebenen Restleistungsvermögen noch zumindest körperlich leichte Tätigkeiten (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - BSGE 109, 189).
Der Senat hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin eine Tätigkeit nicht unter den in Betrieben üblichen Bedingungen ausüben kann, weil kein Sachverständiger solche betriebsunüblichen Bedingungen für erforderlich angesehen hat.
Auch ergeben sich keine Hinweise für eine Einschränkung der Wegefähigkeit, weil im Bereich der LWS und der unteren Gliedmaßen keine stärker ausgeprägten Beeinträchtigungen mit möglicher Auswirkung auf die Gehfähigkeit festgestellt wurden. Durch die im Gutachten des H beschriebene Behinderung des Zehenspitzenstands und des Zehenspitzengangs und die geringgradig ausgeprägten Funktionsbehinderungen durch die Senk-Spreizfüße, den Hallux valgus und die Krallenzehe rechts ergeben sich keine relevanten Auswirkungen auf die Gehfähigkeit. Bei der Untersuchung durch S2 stellte sich der Bewegungsablauf unauffällig dar. Die Klägerin zeigte ein unauffälliges Gangbild. Die Klägerin ist demnach in der Lage, wie von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gefordert (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991, 13/5 RJ 73/90, juris), eine Wegstecke von viermal täglich etwa 500 Meter in jeweils etwa 20 Minuten zurückzulegen und zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen, was S2 auch ausdrücklich bejaht hat. Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände im Hinblick auf die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln vermögen vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen. Zum einen sind die vorgebrachten Probleme (Wartezeiten, häufiges Umsteigen, Haltestellen im Freien, fehlende Sitzmöglichkeiten) durchaus üblich bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zu Hauptverkehrszeiten und können daher unter Berücksichtigung der unauffälligen orthopädischen Befunde - auch im Zusammenhang mit der Gehfähigkeit der Klägerin - deren Befähigung, den Arbeitsweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen, nicht in Frage stellen. Darüber hinaus handelt es sich bei der Wegefähigkeit im Rentenversicherungsrecht auch um einen abstrakten Arbeitsweg (BSG, Urteil vom 5. Februar 1987, 5b RJ 22/86, Urteil vom 17. Dezember 1991, 13/5 RJ 73/90, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 79/11 R, alle juris), so dass besondere Einschränkungen hinsichtlich der Beschaffenheit eines konkreten Weges (Unebenheiten, Steigungen, Glatteis, aber auch unübersichtliche Straßenverhältnisse und viel Verkehr etc.) nicht zu berücksichtigen sind. Auf individuelle Besonderheiten des Arbeitsweges der Klägerin kann es deshalb von vornherein nicht ankommen. Da die Klägerin den Arbeitsweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen kann, kommt es auch auf den von ihr vorgebrachten Einwand, dass ihr kein Kfz zur Verfügung stehe bzw. die vorgebrachten Probleme bei der Nutzung eines Kfz nicht entscheidend an.
Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 13. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 3668/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3303/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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