L 9 U 2760/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 493/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2760/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. Juli 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.


Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Kniegelenkserkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV – im Folgenden: BK 2112) streitig.

Der 1954 geborene Kläger ist gelernter Installateur und Spengler, schloss den Meister 1978 ab und arbeitete bis Juni 1981 im Ausbildungsbetrieb, den Stadtwerken M. Er machte sich sodann im Bereich Blechnerei und Installationen selbstständig und war Mitglied der Beklagten. Im Rahmen der Unternehmerversicherung war er von Juni 1981 bis 21.12.2011 bei der Beklagten versichert. Der Kläger bezieht seit dem 01.01.2008 eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (vgl. Urteil des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 09.10.2013 [S 4 R 3311/12] unter Berücksichtigung einer Herzerkrankung, Bluthochdruck, Atemwegserkrankung und Wirbelsäulenbeschwerden).

Mit Bescheid vom 10.02.2010 und Widerspruchsbescheid vom 18.08.2010 lehnte die Beklagte unter Berücksichtigung einer Stellungnahme ihres F, der u.a. darauf hinwies, dass es wegen einer isolierten retropatellaren Arthrose ohne Veränderungen im Kniehauptgelenk an einem zu Kniebelastungen passenden Kniebinnenschaden fehle, sowohl die Anerkennung einer Meniskuserkrankung als Listen-Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV als auch eine Gonarthrose als „Wie-Berufskrankheit“ nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) ab. Die Kniegelenksarthrose könne nicht anerkannt werden, da dies nur bei degenerativen Veränderungen des 2. bis 4. Grades nach Kellgren in Betracht komme. Zuvor hatte die Beklagte mit Bescheid vom 18.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2008 die Anerkennung einer Asbeststaub-Lungenerkrankung abgelehnt. Mit Bescheid vom 30.10.2013 stellte die Beklagte zudem fest, dass keine BK 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule) besteht. Auf den Antrag des Klägers, diese Entscheidung zu überprüfen, lehnte die Beklagte die Rücknahme der Bescheide und die Anerkennung einer BK 2108 erneut mit Bescheid vom 27.01.2016 und Widerspruchsbescheid vom 14.09.2016 ab. Die Klage (Gerichtsbescheid des SG vom 14.06.2019 [S 14 U 3820/16]) und Berufung (Urteil des erkennenden Senats vom 06.10.2020 [L 9 U 2451/19]) blieben ohne Erfolg.

Am 31.01.2012 erkundigte sich der Kläger nach Rechtsmitteln gegen den Bescheid vom 18.08.2010, nachdem ein Arzt ihm mitgeteilt habe, dass seine Kniebeschwerden auf jeden Fall auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien. Im daraufhin von der Beklagten eingeleiteten Überprüfungsverfahren bezogen auf die Anerkennung einer Berufskrankheit im Bereich der Kniegelenke legte die Bevollmächtigte Befundberichte und Gutachten aus einem Verfahren auf Anerkennung einer Rente wegen Erwerbsminderung vor (vgl. u.a. Bl. 216- 241, 289- 332, 350-359, 423-434, 441 der Akten), zog die Beklagte Befundberichte (vgl. Bl. 190-199 der Akten) und bildgebende Befunde bei und lehnte unter Berücksichtigung einer beratungsärztlichen Stellungnahme von K die Rücknahme des Bescheides vom 10.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2010 mit Bescheid vom 12.05.2015 ab. Die Überprüfung habe ergeben, dass die damalige fachärztliche Beurteilung nach wie vor Bestand habe.

Im Widerspruchsverfahren ließ sich die Beklagte erneut fachärztlich beraten (Stellungnahme des K vom 12.01.2016) und beauftragte sodann S mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 13.06.2016 am rechten Kniegelenk eine Gonarthrose Stadium 2 nach Kellgren fest, welches erstmals 2015 erreicht worden sei. Sämtliche Aufnahmen zuvor wiesen ein Stadium 1 nach Kellgren auf. Ferner bestehe rechts schon seit 2006 ein viertgradiger Knorpelschaden im Femoropatellargelenk mit einer Fläche von über 2 cm2 gemäß ICRS Grad 4 im Bereich der lateralen Patellafacette. Auch am linken Kniegelenk bestehe eine großflächige Knorpelschädigung gemäß ICRS Grad 4 im Bereich der lateralen Facette bei unauffälligem Hauptgelenk. In den Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 2015 zeige sich eine Verschmälerung der Gelenkspalten im Hauptgelenk. Zum Zeitpunkt der Untersuchung seien die Gelenkspalten jedoch normal weit, so dass im Hauptgelenk nur eine Gonarthrose im Stadium 1 (Kellgren) bestätigt werden könne. Konkurrierende außerberufliche Ursachen könnten nicht festgestellt werden. Berücksichtige man, dass der Kläger bei der erstmaligen Dokumentation schwerster Knorpelschädigungen im Bereich der lateralen Facette beider Scheibenrückflächen erst 51 Jahre alt gewesen sei und wohl eine hinreichende berufliche Belastung der Kniegelenke vorliege, sehe er die Voraussetzungen einer BK 2112 als erfüllt an. Die diesbezügliche Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätze er auf 20 %.

Die Beklagte ließ sich hierauf von dem S1 fachärztlich beraten. Dieser vertrat in seiner Stellungnahme vom 20.06.2016 die Auffassung, dass eine isolierte Retropatellararthrose keine Listenerkrankung sei und eine Meniskuserkrankung nicht vorliege.

Die Beklagte wies hierauf den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2017 zurück. Eine Auswertung der gutachterlich dokumentierten Befunde habe ergeben, dass keine Hinweise auf das Vorliegen einer BK 2112 und 2102 gegeben seien. Der Bescheid vom 10.02.2010 erweise sich daher nicht als rechtswidrig.

Gegen den am 16.01.2017 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 17.02.2017 Klage zum SG erhoben, den Antrag auf die Anerkennung einer BK 2112 beschränkt und geltend gemacht, er komme auf mindestens 40 Berufsjahre und gehe von mindestens 30.575,70 kniebelastenden Arbeitsstunden (bei einer Mindesteinwirkungsdauer von jeweils mehr als einer Stunde) aus. Die gesetzlich vorgesehene Mindesteinwirkungsdauer sei damit erheblich überschritten. Im Übrigen habe S die Anerkennung befürwortet.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat die ergänzende arbeitstechnische Stellungnahme des A vom 04.12.2017 mit einer Berechnung der kniebelastenden Tätigkeiten in Mitgliedsbetrieben der Beklagten im Zeitraum von 22.06.1981 bis 15.07.2002, vom 03.08.2002 bis 31.12.2005 mit 13.347 Stunden vorgelegt. Im Zeitraum vom 01.01.2006 bis 29.08.2012 habe eine unternehmerische Tätigkeit ohne Kniebelastung vorgelegen. Die Beklagte hat ferner mitgeteilt, dass vom 16.07.2002 bis 02.08.2002 und 17.07.2007 bis 16.11.2007 kein Versicherungsschutz bestanden habe. Für die Beschäftigung des Klägers in der Zeit von Juli 1969 bis Juni 1981 hat die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro eine Einwirkdauer von 2.405 Stunden errechnet (Stellungnahme vom 30.01.2018).

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen eines Sachverständigengutachtens beim C, H. Dieser hat in seinem Gutachten vom 20.04.2018 ausgeführt, dass er nach Auswertung der aktenkundigen Befunde und unter Berücksichtigung der radiologischen Befunde davon ausgehe, dass der Kläger die gesetzlich vorgesehene kumulative Einwirkungsdauer von 13.000 Stunden etwa im Jahr 2000 erreicht habe, womit sich ein prinzipiell plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen kniebelastender Tätigkeit und erstmaligem Auftreten von Kniegelenksbeschwerden begründen lasse. Die Anerkennung der BK 2112 setze allerdings voraus, dass die Kniegelenksarthrose einen Schweregrad nach Kellgren und Lawrence Grad 2 bis 4 erreicht habe. Kernspintomografisch und/oder arthroskopisch nachgewiesene Knorpelschäden seien auch ohne pathologischen Röntgenbefund als Gonarthrose analog Kellgren >2 zu werten, wenn der Knorpelschaden mindestens einen Grad IIIb (nach ICRS) und innerhalb des betroffenen Kompartiments eine großflächige Ausdehnung (mindestens eine Fläche von >2 cm2) aufweise. Zudem sollte ein entsprechender Schaden an der korrespondierenden Gelenkfläche nachweisbar und müsse ein traumatischer Knorpelschaden ausgeschlossen sein. Ferner stellten weder eine Chondropathia patellae noch eine Chondromalazie patellae, welche in schweren Fällen in eine Retropatellararthrose übergehen könne, eine Erkrankung im Sinne der BK 2112 dar. Nach Auswertung der ersten ihm zur Auswertung zur Verfügung stehenden Röntgenbilder der Kniegelenke von Mai 2012 (rechts) und Juli 2012 (links) könnten arthrotische Veränderungen in beiden Kniegelenken allenfalls nach dem Schweregrad 1 nach Kellgren und Lawrence festgestellt werden, weil Osteophyten am Schienbeinkopf und an der Oberschenkelrolle nicht erkennbar seien. Dies werde durch die nachfolgenden radiologischen Befunde bestätigt. Damit lägen keine Knorpelschäden vor, welche ohne pathologischen Röntgenbefund als Gonarthrose analog Kellgren Grad 2 zu werten seien. Nach Lage der Dinge und nach klinischer Erfahrung beruhe die Retropatellararthrose auf einer Dysplasie des Kniescheibengleitlagers, verbunden mit einer Seitausweichungstendenz der Kniescheibe. Diese Veränderung müsse als schicksalsmäßig und aus innerer Ursache heraus entstanden gesehen werden. Eine primäre berufsbedingte Gonarthrose könne nicht wahrscheinlich gemacht werden, denn die Retropatellararthrose werde vom Tatbestand der BK 2112 nicht erfasst. S, der seine Auffassung im Wesentlichen mit der ausgeprägten Retropatellararthrose rechts begründe, könne daher nicht gefolgt werden.

In dem sodann auf Antrag und Kosten des Klägers eingeholten Gutachten des Orthopäden C1 vom 12.02.2019 hat dieser im Bereich des rechten Kniegelenkes eine Gonarthrose nach Kellgren Stadium II, im Bereich des linken Kniegelenkes eine beginnende Gonarthrose im Stadium Kellgren Stadium I sowie eine fortgeschrittene Retropatellararthrose beidseits rechts mehr als links mit viertgradigem Knorpelschaden nach ICRS und Funktionsdefizit mit Schwellneigung, Schmerzen und Bewegungseinschränkung beider Kniegelenke festgestellt. Konkurrierende außerberufliche Faktoren der Verursachung könnten nicht im Vollbeweis festgestellt werden. Auch medizinische Negativkriterien, die eine berufsbedingte Verursachung als unwahrscheinlich erscheinen lassen könnten, lägen nicht vor. Berücksichtige man, dass der Kläger im Jahr 2006 erst 51 Jahre alt gewesen sei und Konkurrenzbedingungen nicht vorliegen, gehe er davon aus, dass der Gesundheitsschaden, auch wenn er nicht im eigentlichen Sinn eine Listenerkrankung darstelle, der beruflichen Exposition zugeordnet werden müsse. Soweit S1 davon ausgehe, eine isolierte Retropatellararthrose sei führend, müsse dem widersprochen werden. Eine solche sei zwar erstmals 2006 beschrieben worden, seit 2015 liege aber auch eine Gonarthrose im Stadium Kell-gren II vor. Bezogen auf das Gutachten von C empfehle er die Beiziehung der Originale der radiologischen Untersuchungsbefunde und Auswertung durch einen radiologischen Fachgutachter.

Mit Urteil vom 09.07.2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beklagte bei Erteilung des bestandskräftigen Bescheides vom 10.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2010 das Recht unrichtig angewandt oder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei. Die Rücknahmevoraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) lägen nicht vor. Der Kläger habe zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen von mindestens 13.000 Stunden kniebelastender Tätigkeiten erfüllt. Unter Berücksichtigung näher ausgeführter medizinischer Voraussetzungen sei festzuhalten, dass sämtliche Gutachter mit Blick auf das linke Kniegelenk lediglich von einem Krankheitsstadium Grad 1 ausgingen. Insoweit bestehe kein Krankheitsbild, das den dargestellten Kriterien einer BK 2112 entspreche. Im Gegensatz hierzu verträten S und auch C1 die Auffassung, am rechten Kniegelenk sei von einem Krankheitsstadium Grad 2 auszugehen, während C hier ebenfalls ein Krankheitsbild im Stadium 2 ausgeschlossen habe. Diese Frage könne offenbleiben, weil aufgrund der aktenkundigen Befundunterlagen feststehe, dass der Kläger an beiden Kniegelenken an einem schwerwiegenden viertgradigen Knorpelschaden im Bereich der Rückseiten der Kniescheiben leide (Chondromalazie bzw. Retropatellararthrose). Dieses Krankheitsbild erfülle jedoch nach gängiger schulmedizinischer bzw. unfallmedizinischer Auffassung nicht die diagnostischen Kriterien einer Gonarthrose. Vielmehr handele es sich ein eigenständiges Krankheitsbild, welches im Rahmen der BK 2112 keine Berücksichtigung finden könne.

Gegen das seiner Bevollmächtigten am 16.07.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.08.2019 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegen lassen.

In der Berufungsbegründung vom 10.07.2020 hat die Bevollmächtigte auf die Empfehlung des C1 verwiesen, die radiologischen Befunde einem radiologischen Fachgutachter vorzulegen. C1 habe sich gegenüber dem Kläger auch überrascht gezeigt, dass die BK 2112 nicht anerkannt worden sei. Sie hat die ergänzende Stellungnahme des C1 vom 10.07.2020 vorgelegt, worin dieser an seiner Beurteilung festgehalten hat. Der Literatur seien darüber hinaus keine hilfreichen Informationen zu entnehmen, wie mit einer zunächst isolierten Retropatellararthrose zu verfahren sei, denn diese sei ja bereits während der beruflichen Exposition aufgetreten. Seines Erachtens liege ein belastungskonformes Schadensbild vor. Er sehe daher die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer BK 2112 beidseits für gegeben an.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. Juli 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 10. Februar 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2010 zurückzunehmen und festzustellen, dass die Schädigung beider Kniegelenke Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält mit Blick auf die widerstreitende Gutachtenlage die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens für geboten.
Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen eines Gutachtens beim Facharzt für S2, Universitätsklinikum H. In seinem Gutachten vom 10.08.2021 hat dieser nach persönlicher Untersuchung des Klägers und nach Auswertung der vorliegenden klinischen und radiologischen Befunde eine Kniescheibenrückflächenarthrose Grad IV beidseits, eine Arthrose Kniehauptgelenk Kellgren Grad 1 beidseits und Verkalkungen des Innen- und Außenmeniskus beidseits festgestellt. Er gehe nicht von einer BK 2112 aus. Es sprächen zwei Kriterien gegen die Annahme einer BK 2112: Einmal die frühe Realisierung der Beschwerden, die der Kläger mit Beginn in den 1990er Jahren mit Schmerzen und Schwellneigung im Bereich beider Kniegelenke angegeben habe. Die notwendigen kniegelenksbelastenden Tätigkeiten mit 13.000 Stunden kniebelastender Tätigkeiten seien nach Auswertung des Präventionsdienstes im Jahr 2004 erreicht worden. Zum Zweiten seien beim Kläger die Kniescheibenrückflächen beidseits wesentlich durch Arthrose betroffen ohne wesentlichen Aufbruch der Kniehauptgelenke. Sowohl links als auch rechts zeigten die Hauptgelenke einen Arthrosegrad I nach Kellgren und Lawrence. Eine solche Konstellation sei als Folge der beruflichen Belastung mit vor allem Knien nicht plausibel, da hierbei das Kniescheibengelenk nicht belastet werde. Des Weiteren sei die Kniescheibenrückflächenarthrose bereits auf den ältesten vorliegenden MRT-Bildern in starker Ausprägung nachweisbar. Bei einer beruflichen Ursache wäre eine Betroffenheit der Hauptgelenke zu fordern, welche jedoch ausgeblieben sei.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 06.12.2021 hat das Gericht die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz hingewiesen.


II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG – nach vorheriger, hier erfolgter Anhörung der Beteiligten – die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 06.12.2021 (welches der Bevollmächtigten des Klägers am 10.12.2021, der Beklagten am 09.12.2021 zugestellt wurde) hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 10.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2010 sowie auf Anerkennung einer BK 2112 hat.
 
Gegenstand des Rechtsstreits ist die vom Kläger begehrte Anerkennung einer Gonarthrose als BK 2112. Dieser Anerkennung steht entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG jedoch nicht bereits die bestandskräftige Ablehnung im Bescheid vom 10.02.2010 und Widerspruchsbescheid vom 18.08.2010 entgegen. Denn dort wurde die Anerkennung von „Kniebeschwerden des Klägers“ ausdrücklich nur nach § 9 Abs. 2 SGB VII als sog. „Wie-Berufskrankheit“ abgelehnt und nicht bereits auch nach der am 01.07.2009 in Kraft getretenen BK 2112. Die Klagen auf Anerkennung einer Listen-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m der Anlage 1 zur BKV einerseits und einer Wie-Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII andererseits sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen auf verschiedene Streitgegenstände gerichtet (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2016 - B 2 U 4/15 R -, Rn. 16, juris, m.w.N.). Damit war mit diesen Bescheiden eine BK 2112 nicht bestandskräftig abgelehnt.

Die damit entsprechend dem geltend gemachten Begehren sachdienlich als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auszulegende Klage des Klägers ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung der streitigen Berufskrankheit ablehnenden Verwaltungsentscheidung. Nach der Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 46/03 R -, juris) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung einer Berufskrankheit als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R -, juris).

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind und denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.

Für die Anerkennung einer Berufskrankheit muss die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen oder ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen müssen weiterhin die betreffende Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).
Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit, Verrichtung, Einwirkungen und Krankheit müssen im sogenannten Vollbeweis vorliegen. Hierfür ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 27.03.1958 - 8 RV 387/55 -, juris Rn. 16). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d.h. eine Wahrscheinlichkeit besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG, Urteil vom 27.04.1972 - 2 RU 147/71 -, juris Rn. 30; Keller in MKLS, 13. Aufl., § 128 Rn. 3b, m.w.N.).

Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt dagegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen ihn spricht und ernsthafte Zweifel hinsichtlich einer anderen Ursache ausscheiden (BSG, Urteile vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B -, juris Rn. 4 m.w.N. und vom 02.02.1978 - 8 RU 66/77 -, juris Rn. 13). „Wesentlich“ ist dabei nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches einschließlich Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem schädigenden Ereignis, den Befunden und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie der gesamten Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung an dem konkreten Versicherten ist der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und Gesundheitsschäden zugrunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 06.10.2020 - B 2 U 10/18 -, juris Rn. 27 m.w.N.).

Die BK 2112 ist durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11.06.2009 (BGBl I S. 1273) mit Wirkung zum 01.07.2009 als Nr. 2112 in die Liste der Berufskrankheiten (§ 1 BKV i.V.m. Anlage 1) aufgenommen worden. Sie ist bezeichnet als „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“. Eine rückwirkende Anerkennung ist möglich, wenn der Versicherungsfall nach dem 30.09.2002 eingetreten ist (§ 6 Abs. 3 BKV).

Bei der Feststellung einer BK 2112 sind die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verursachung einer Gonarthrose zu berücksichtigen. Zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist – als Interpretationshilfe – das Merkblatt zur BK 2112 (Bekanntmachung BMAS v. 30.12.2009, GMBl 2010, 98) heranzuziehen, auch wenn es kein antizipiertes Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft darstellt. Die Ausführungen im Merkblatt zur BK 2112 werden insoweit ergänzt durch eine „wissenschaftliche Stellungnahme zur BK 2112 der Anlage 1 zur BKV“ (veröffentlicht in der Bekanntmachung des BMAS vom 24. Oktober 2010 – GMBl. 2011, Seite 983). Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist es nicht möglich, ein spezifisches Schadensbild einer beruflich induzierten Gonarthrose auch nur theoretisch zu beschreiben oder gar als bewiesene Tatsache zu unterstellen, ein „belastungskonformes Schadensbild“ konnte nicht erarbeitet werden (Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur Berufskrankheitenverordnung, M 2112 Anmerkung 4; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. (2017), Seite 673 ff.). Ferner berücksichtigt der Senat die Begutachtungsempfehlungen für die BK 2112 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (Stand 3. Juli 2014) bei der Beurteilung der Kausalität, wonach anhand gewisser Kriterien ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich bzw. nicht wahrscheinlich ist (siehe hierzu auch Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 682).

Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger im Zeitraum von 22.06.1981 bis 31.12.2012 (mit Ausnahme des Zeitraumes vom 17.07.2007 bis 06.11.2007, in dem keine Unternehmerversicherung bestand) gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII freiwillig versichert war. Wie sich aus der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 04.12.2017, der der Senat folgt, ergibt, und auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, sind im Zeitraum vom 22.06.1981 bis 31.12.2005 kniebelastende Tätigkeiten im Sinne der BK 2112 angefallen, die sich auf insgesamt 13.347 Stunden aufaddieren. Ab dem 01.01.2006 waren aufgrund der vom Kläger ausgeführten unternehmerischen Tätigkeiten die arbeitstechnischen Voraussetzungen (Mindesteinwirkungsdauer von 1 Stunde pro Schicht) nicht mehr erfüllt. Die von Nr. 2112 der Anlage zur BKV geforderten 13.000 Stunden Belastung waren nach den Einlassungen von Dipl. Ing. (FH) Tabel im Jahr 2004 erreicht.
Schließlich sind Zeiten einer gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten abhängigen Beschäftigung bei den Stadtwerken M zu berücksichtigen, die vom Präventionsdienst der zuständigen Berufsgenossenschaft E mit insgesamt 2.405 Stunden angegeben wurde.

Die Diagnose einer Gonarthrose im Sinne der BK 2112 setzt nach der wissenschaftlichen Begründung (vgl. Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu BK Nr. 2112 veröffentlicht in der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 30.12.2009, GMBl 2010 Seite 98 ff.) u.a. voraus:

- chronische Kniegelenksbeschwerden,
- Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Gelenk,
- die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend Grad II-IV der Klassifikation nach Kellgren et al.

In einer weiteren wissenschaftlichen Stellungnahme (veröffentlicht in der Bekanntmachung des BMAS vom 24.10.2011, GMBl. 2011, 983) wird die als Funktionsstörung genannte Bewegungseinschränkung in Form einer eingeschränkten Streckung und/oder Beugung im Kniegelenk um fünf weitere Funktionsstörungen ergänzt:

1. Kniegelenkserguss,
2. Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplombung der Gelenkskontur,
3. Krepitation bei der Gelenksbewegung,
4. hinkendes Gangbild,
5. Atrophie der Oberschenkelmuskulatur.

Nach den Begutachtungsempfehlungen für diese Berufskrankheit muss mindestens eine der sechs Funktionsstörungen für die Diagnose einer Gonarthrose vorliegen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt der Senat fest, dass bei durch die Gutachten nachgewiesenen chronischen Kniegelenksbeschwerden und Funktionsstörungen in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Gelenk nicht nachgewiesen ist, dass beim Kläger eine Gonarthrose in einem geforderten Ausprägungsgrad von Kellgren und Lawrence Grad II besteht.

Der Senat stützt sich dabei im Wesentlichen auf die Gutachten von S2 und C.

So hat S2 in dem vom Senat veranlassten Gutachten nach klinischer Untersuchung und in Auswertung der ihm zur Verfügung gestellten Röntgenaufnahmen an den Kniegelenken eine beidseits eingeschränkte Beweglichkeit (0-10-80 rechts, 0-0-110 links), einen Kompressionsschmerz der Kniescheibe bei Kniescheibenrückenflächenarthrose mit Knorpelschäden nach Valloton (Grad IV rechts, Grad III-IV links) und bei Verkalkungen des Innen- und Außenmeniskus – ebenfalls beidseits – eine beginnende Arthrose der Kniehauptgelenke im Ausmaß Kellgren Grad 1 festgestellt. Diese Einschätzung beruhte auf der Auswertung der im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung angefertigten Röntgenbilder vom 27.07.2021 sowie der ihm zur Verfügung gestellten Bilder vom 11.08.2015 und vom 29.05.2012, die ihm nicht nur als Papierausdruck zur Verfügung standen. Soweit Papierausdrucke vorgelegt worden sind, sind sie vom Sachverständigen gekennzeichnet worden und, was das Röntgenbild vom 19.07.2012 anbelangt, als aufgrund der schlechten Qualität nicht zu befunden, gewürdigt worden. Ferner beruht die Einschätzung (insbesondere zum Ausmaß der Arthrose an den Kniescheibenrückflächen) auf der Auswertung der vorliegenden MRT-Bilder. Das Gutachten bestätigt damit das Gutachten von C vom 20.04.2018, der ebenfalls eine lediglich beginnende Arthrose an beiden Kniehauptgelenken im Stadium I nach Kellgren festzustellen vermochte. Insoweit ist zudem darauf hinzuweisen, dass dieser seine Beurteilung nicht nur lediglich auf die in auf Papierausdrucken vorliegenden Röntgenaufnahmen vom 29.05.2012 (rechtes Knie) und vom 19.07.2012 (linkes Knie) gestützt hat, sondern auch auf die ihm vorliegenden Röntgenbilder vom 11.08.2015, 09.06.2016 sowie die von ihm am 17.04.2018 veranlassten Röntgenbilder (jeweils beider Knie). Insoweit haben sowohl C als auch S2 die von S vertretene Auffassung, erstmals 2015 seien relevante chronische Veränderungen an den Hauptgelenken (Arthrose Grad II nach Kellgren, vgl. 1.6 seines Gutachtens) nachweisbar gewesen, nicht bestätigt können. Unabhängig davon, dass die Beurteilung – Arthrose Grad II nach Kellgren – von ihm tatsächlich nur für das rechte Knie angenommen wurde, haben sowohl C (in Beurteilung der Reihe der Röntgenbilder 29.05.2012, 19.07.2012, 11.08.2015 und 09.06.2016, die er in Abhängigkeit der ersten Bilder als ohne wesentliche Änderung beschrieb) als auch S2 darauf hingewiesen, dass der für die Annahme von Grad II nach Kellgren und Lawrence erforderliche Nachweis einer Verschmälerung des Kniegelenksspaltes bzw. von „definitiven Osteophyten“ sich aus den Röntgenbildern nicht in einem Ausmaß entnehmen lässt, der über den Grad I nach Kellgren hinausgeht (vgl. Gutachten C, dort Seite 16, Gutachten von S2, dort Seite 22f. und 27, insbesondere für die 2015 angefertigten Röntgenbilder). Soweit S in seinem Gutachten (lediglich) für das rechte Kniegelenk aufgrund der 2015 angefertigten Röntgenbilder von einem Stadium Kellgren II ausgegangen ist, ist dem nach Auswertung der Bilder durch C und S2 nicht zu folgen, da sich diesen ein gut erhaltener medialer Gelenkspalt entnehmen lässt und keine Osteophyten.

Der Senat vermochte sich auch der Einschätzung von C1 nicht anzuschließen. Es ist insoweit allein schon aufgrund einer nur mangelhaften Beurteilung der bildgebenden Befunde nur eingeschränkt verwertbar. Denn C1 bezieht sich zur Beurteilung im Wesentlichen nur auf die in der Akte enthaltenen schriftlichen Befundungen der Röntgen- und MRT-Bilder, ohne sie selbst ausgewertet zu haben. Ferner weist er auf die nur unzureichend beurteilbaren Papierausdrucke hin, ohne sich die entsprechenden Bilder selbst oder über das Gericht beschafft zu haben. Soweit er auf der Grundlage der – ihm ebenfalls nur als Papierausdruck zur Verfügung stehenden – Röntgenbilder vom 09.06.2016 zum Ergebnis kommt, rechts sei von einer Gonarthrose im Stadium II nach Kellgren auszugehen (links bestätigt er einen Grad I), sieht der Senat diese Einschätzung ebenfalls durch die Gutachten von C und S2 als widerlegt.

Soweit S und C auch eine isolierte Kniescheibenrückflächenarthrose als anspruchsbegründend beurteilen, vermag sich der Senat dem aus den von S2 genannten Gründen nicht anzuschließen. Zwar beruht die Kniescheibenrückflächenarthrose nicht auf einer Kniescheibenfehlbildung, wie C angenommen hat, sie lässt sich aber nicht mit der hierfür erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Einwirkung zurückführen. So spricht schon gegen einen beruflichen Zusammenhang die Angabe des Klägers, bereits seit den 1990iger Jahren an Kniebeschwerden beidseits, rechts mehr als links (vgl. die Angaben des Klägers bei C: „erstmals ca. vor 15 Jahren“, wodurch eine Eingrenzung auf etwa 1994 vorgenommen werden konnte) zu leiden. Der für die Begründung eines ursächlichen Zusammenhangs geforderte Beginn der Beschwerden nach einer kniebelastenden Tätigkeit von mindestens 13.000 Stunden bei einer Mindesteinwirkungsdauer von wenigstens 1 Stunde pro Schicht ist damit bei Beginn der Beschwerden noch nicht erreicht gewesen (vgl. hierzu Mehrtens/Brandenburg, a.a.O. M 2112 Anmerkung 4, Seite 18). Hierfür spricht im Übrigen auch der radiologisch bereits 2006 festgestellte Knorpelschaden retropatellar, den S als großflächig, ausgedehnt und mit einem Stadium 4 nach ICRS beschrieben hat. Mit dem Stadium IV (der vier Stufen umfassenden Skala) wird ein kompletter Defekt umschrieben (Grad I = Erweichung bzw. oberflächliche Fissur, Grad II = Riss bis etwa zur Hälfte der Knorpelschicht ohne den subchondralen Knochen zu erreichen, Grad III = Rissbildung innerhalb der kompletten Knorpelschicht bis zum Knochen – vgl. Begutachtungsempfehlung, a.a.O., S. 34), weswegen davon ausgegangen werden kann, dass sich die 2006 in der höchsten Stufe ausgebildete Arthrose über Jahre entwickelt haben muss. Dabei ließen S2 und auch C keinen Zweifel, dass die Beschwerden des Klägers auf diesen Veränderungen beruhten. Dies ist auch nachvollziehbar deswegen, weil andere Ursachen nicht festgestellt sind.

Aufgrund dieses Stadiums und des angegebenen Beschwerdebeginns (und des trotz dieser Ausprägung zu diesem Zeitpunkt noch nicht betroffenen Hauptgelenkes) spricht zudem vieles dafür, dass der Versicherungsfall nicht erst nach dem Stichtag 30.09.2002 eingetreten ist und der Anerkennung ebenfalls entgegensteht. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV setzt die Anerkennung der mit Wirkung zum 01.07.2009 in die Anlage zur BKV aufgenommenen BK Nr. 2112 voraus, dass der Versicherungsfall nach dem 30.09.2002 eingetreten ist. Unter „Versicherungsfall“ ist in diesem Zusammenhang nicht der Begriff eines „Versicherungsfalls“ im gesetzlichen Sinn von § 7 SGB VII gemeint. Vielmehr hat die Verordnungsgeberin den Begriff „Versicherungsfall“ untechnisch und gleichbedeutend mit „Erkrankung" verwendet (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.2011 - B 2 U 19/10 R -, juris, Rn. 15). Unter „Versicherungsfall" i. S. des § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV ist also der „Erkrankungsfall" zu verstehen, der hier mit dem Beschwerdebeginn deutlich vor dem 30.09.2002 eingetreten ist.

Selbst wenn man dem nicht folgen wollte, lässt sich die isolierte Kniescheibenrückflächenarthrose nach den Ausführungen von S2 nicht kausal mit der vom Kläger ausgeübten hauptsächlich knienden Tätigkeit erklären. Er widerspricht insoweit der Auffassung von S, der diesen Zusammenhang aus einem Kniescheibenanpressdruck gefolgert hat, der aber nach Auffassung von S2 bei Tätigkeiten, die in Hockstellung ausgeführt werden, auftritt, nicht aber beim Knien, da hierbei das Kniescheibengelenk nicht belastet wird. Damit liegt für eine berufliche Ursache der bereits 2006 nachweisbaren Kniescheibenrückflächenarthrose kein plausibles Schadensbild vor. Dies gilt zudem auch deswegen, weil eine Mitbetroffenheit der Hauptgelenke trotz starker Betroffenheit der Kniescheibenrückfläche, wie S2 dargelegt hat, nicht eingetreten ist. Dies wäre aber bei einer beruflichen Verursachung zu erwarten gewesen. Damit lässt sich für die in ihrer Ausprägung dominierende Schädigung an der Kniescheibenrückfläche bei fehlender Betroffenheit der Hauptgelenke eine hinreichend wahrscheinliche Verursachung nicht begründen.

Insoweit vermag der Senat auch keine wesentliche Abweichung von der Beurteilung des C1 festzustellen. Denn auch dieser stellte im Wesentlichen auf ausgeprägte Knorpelschäden retropatellar beidseits bereits im Jahr 2006 ab, legte seiner Beurteilung aber eine sich in den Aufnahmen nicht bestätigte Arthrose nach Kellgren Stadium II im femorotibialen Gelenk, wenn auch erst ab 2015 zugrunde, und ging davon aus, dass die retropatellare Arthrose, auch wenn diese im eigentlichen Sinne keine Listenberufskrankheit darstelle (so ausdrücklich, vgl. Bl. 19 seines Gutachtens) der beruflichen Exposition zuzuordnen ist. Damit legte er zur Begründung seiner Kausalüberlegungen eine Schädigung der Hauptgelenke zugrunde, die von S2 als belastungskonform angesehen worden ist (Grad II nach Kellgren auch im Hauptgelenk), die sich aber unter Berücksichtigung der vorliegenden Bilder nicht bestätigt hat.

Auf die Frage (vgl. Schreiben der Beklagten vom 19.10.2020), ob oder inwieweit eine Chondropathia patellae und/oder eine Chondromalazia patellae vorliegt, die nach der Literatur dahingehend beurteilt werden, dass diese keine Erkrankungen im Sinne der BK 2112 sind (siehe zu dem Ganzen: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Seite 673 f., und Begutachtungsempfehlungen für die BK 2112, Stand 03.06.2014, Seite 8), kommt es vorliegend daher nicht entscheidungserheblich an.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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