L 10 R 1623/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2769/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1623/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 13.04.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1964 geborene Klägerin zog nach eigenen Angaben im Jahr 1979 aus der T kommend in das Bundesgebiet zu. Sie erlernte keinen Beruf und war von 1983 - mit Unterbrechungen - bis Ende 2012 sozialversicherungspflichtig als Montagearbeiterin tätig. Seither ist sie ohne Beschäftigung, arbeitsuchend und bezieht zwischenzeitlich Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 festgestellt.

Am 22.06.2017 beantragte die Klägerin (erneut) die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei und holte das Gutachten des S (Untersuchung im Oktober 2017) sowie das Gutachten der P (Untersuchung im Dezember 2017) ein. S diagnostizierte bei der Klägerin ein chronisches Wirbelsäulensyndrom ohne radikuläre Symptomatik, eine Funktionseinschränkung beider Schultergelenke ohne Impingementsymptomatik, eine Polyarthralgie ohne Funktionseinschränkung sowie eine somatoforme Schmerzstörung, P eine rezidivierende Anpassungsstörung ohne depressive Symptomatik bei bewusstseinsnaher Aggravationsneigung, ausgeprägten Verdeutlichungstendenzen und mit Hinweisen auf nicht authentische Beschwerdeschilderungen. Beide Gutachter erachteten die Klägerin noch für in der Lage, jedenfalls leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Darauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 08.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.08.2018 ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 06.09.2018 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen auf ihre langjährige psychische Erkrankung verwiesen. Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der K hat auf seinem Fachgebiet eine Osteoporose mit Schmerzzuständen als Diagnose genannt und die Einschätzung vertreten, dass der Klägerin leichte Tätigkeiten (ohne Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Zwangshaltungen und nicht in gebückter Haltung) im Umfang von sechs Stunden täglich zumutbar seien. Das maßgebliche Leiden liege auf nervenärztlichem Fachgebiet. Letzteres hat auch der L so gesehen und gemeint, dass die Klägerin wegen ihrer depressiven Erkrankung in Verbindung mit einem an Taubheit grenzenden Hörvermögen (bei Möglichkeit der Versorgung mit einem Cochlear Implant) nicht mehr arbeiten könne. Auch die F hat ein aufgehobenes Leistungsvermögen angenommen und dabei auf im Vordergrund stehende psychosomatische Leiden verwiesen (zu den genannten Diagnosen im Einzelnen s. Bl. 35 SG-Akte).

Nach sozialmedizinischer Stellungnahme der Beklagten durch die D, die u.a. darauf hingewiesen hat, dass sich L und F im Wesentlichen fachfremd geäußert und überdies die Beschwerdeangaben der Klägerin nicht auf Plausibilität und Konsistenz überprüft hätten, hat das SG von Amts wegen das Sachverständigengutachten des H (Chefarzt der Klinik für Suchttherapie des Klinikums am W) eingeholt, der die Klägerin Ende September 2019 untersucht hat. Der Sachverständige hat bei ihr eine Hypästhesie und Hypalgesie ohne relevante Funktionsbeeinträchtigungen sowie eine rezidivierende depressive Störung, aktuell mittelgradige Episode, diagnostiziert und Demonstrations- bzw. Aggravationstendenzen beschrieben. Es lasse sich weder eine Angsterkrankung, noch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) noch eine Erkrankung aus dem Spektrum der somatoformen Störungen nachweisen. Die Verständigung mit der Klägerin sei im Übrigen ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Leichte Tätigkeiten seien ihr noch mehr als sechs Stunden täglich möglich, wobei Arbeiten unter besonderem Zeitdruck (z.B. Akkord), Nachtarbeit sowie Arbeiten mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration bzw. mit besonders hoher Verantwortung respektive besonders hoher geistiger Beanspruchung zu vermeiden seien.

Die Klägerseite ist der Leistungsbeurteilung des Sachverständigen entgegengetreten, hat auf die abweichende Beurteilung der F (s. auch deren „Befundbericht“ von Anfang September 2019, Bl. 124 SG-Akte) verwiesen und mitgeteilt, dass die Klägerin sich nicht in fachpsychiatrischer Behandlung befinde. Das SG hat sodann F erneut schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Diese hat im Wesentlichen bekundet (Auskunft von Mitte Oktober 2019), dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit der letzten Auskunft (von Mitte November 2018) „nicht wesentlich verändert“ habe, „eher noch etwas verschlechtert“ (s. auch den o.a. „Befundbericht“: „leichte Tendenz zur Verschlechterung“).

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13.04.2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Es hat sich dabei in psychiatrischer Hinsicht auf das Sachverständigengutachten des H und das Gutachten der P und in orthopädischer Hinsicht auf das Gutachten des S“ sowie auf die Auskunft des K gestützt. Die abweichende Leistungseinschätzung des L sei nicht nachvollziehbar, zumal er Leiden berücksichtigt habe, die nicht in sein medizinisches Fachgebiet fielen. Nicht nachvollziehbar sei auch die von ihm behauptete Einschränkung der Kommunikationsfähigkeit, nachdem namentlich sowohl S als auch H über eine ungestörte Verständigung mit der Klägerin berichtet hätten. Auch der Leistungseinschätzung der F könne nicht gefolgt werden, denn diese sei durch das fachärztliche Sachverständigengutachten des H und das Gutachten der P widerlegt.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 23.04.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.05.2020 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen erneut auf die Einschätzung der F berufen, auf ihre langjährige, schwerwiegende rezidivierende Depression verwiesen und geltend gemacht, dass der Sachverständige H zu Unrecht von Aggravationstendenzen ausgegangen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 13.04.2020 sowie den Bescheid vom 08.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.08.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Auf entsprechende Nachfrage des Senats hat die Klägerseite angegeben, dass sich die Klägerin vom 12.08. bis 28.09.2020 in der T (seinerzeit als sog. SARS-CoV-2-Risikogebiet eingestuft) aufgehalten hat und anschließend als Kontaktperson eines „Corona-Infizierten“ in Quarantäne gewesen ist.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat ein Sachverständigengutachten bei dem V eingeholt, der die Klägerin Anfang Mai 2021 untersucht hat. V hat bei ihr eine rezidivierende depressive Störung, derzeit schwer ausgeprägte Episode mit psychotischen Symptomen, eine PTBS sowie eine anhaltende Schmerzstörung diagnostiziert. Seiner Auffassung nach sei die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin aufgehoben.

Zu dem Sachverständigengutachten hat sich die Beklagte durch D geäußert. Diese hat in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme von Dezember 2021 (u.a.) darauf hingewiesen, dass V keinerlei Plausibilitäts- und Konsistenzprüfung der Beschwerdeangaben, insbesondere auch hinsichtlich des geltend gemachten Stimmenhörens, durchgeführt habe. Auch beruhe namentlich die Annahme einer PTBS allein auf den subjektiven Angaben der Klägerin. Einen Beschwerdevalidierungstest habe der Sachverständige ebenfalls nicht durchgeführt, obgleich bereits P (namentlich: 54 Punkte im strukturierten Fragebogen für simulierte Symptome - SFSS - bei einem sog. Cut-off-Wert von >17 Punkte) - und später auch H - deutliche Hinweise auf nicht authentische Beschwerdeschilderungen und ausgeprägte Verdeutlichungstendenzen dokumentiert hätten. Die Leistungseinschätzung des V überzeuge nicht und sein Gutachten sei nicht geeignet, die Leistungsbeurteilung der P und des H in Zweifel zu ziehen.
         
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 08.02.2018 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 02.08.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn sie ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (§ 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGV VI -) weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weswegen ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht zusteht.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für den hier von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 und 1 SGB VI dargelegt und im Wesentlichen gestützt auf das Sachverständigengutachten des H sowie auf das (urkundbeweislich verwertbare) Gutachten der P - in psychiatrischer Hinsicht - und das (urkundbeweislich verwertbare) Gutachten des S sowie die Auskunft des K - in orthopädischer Hinsicht - zutreffend ausgeführt und begründet, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil ihr Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der von den genannten Ärzten beschriebenen - oben im Tatbestand festgestellten - qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich beträgt. Weiter hat es zutreffend dargelegt, warum der Leistungseinschätzung des HNO-Arztes L bzw. der F nicht zu folgen ist. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Das Berufungsvorbringen, mit dem die Klägerin ihre psychischen Leiden ganz in den Vordergrund gerückt hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung, ebenso wenig wie das im Rechtsmittelverfahren eingeholte Sachverständigengutachten des V.

In psychiatrischer Hinsicht leidet die Klägerin an den vom Sachverständigen H diagnostizierten Gesundheitsstörungen (s. dazu oben im Tatbestand), die indes lediglich zu qualitativen Einschränkungen führen, nicht jedoch zu einer zeitlichen Leistungslimitierung. Dies hat der Sachverständige auch für den Senat überzeugend auf der Grundlage des von ihm erhobenen klinischen Befunds dargelegt und begründet.

Bei der Untersuchung durch H, zu der die Klägerin gepflegt gekleidet und pünktlich erschienen ist, haben ihre Auffassung, ihre Konzentration und ihr Durchhaltevermögen keine Einschränkungen gezeigt (s. dazu Bl. 114 ff., 117, 119 SG-Akte, auch zum Nachfolgenden). Sie ist bewusstseinsklar und allseits orientiert gewesen und mnestische Störungen (etwa Merkfähigkeits- oder Gedächtnisstörungen) haben sich nicht objektivieren lassen. Die Klägerin ist in der Lage gewesen, ausreichend flüssig und präzise ihre Lebensgeschichte (s. dazu Bl. 104 ff. SG-Akte) zu berichten. Der formale Gedankengang ist geordnet und nicht verlangsamt gewesen, inhaltliche Denkstörungen sowie Beeinträchtigungs- und Verfolgungsideen haben sich nicht gezeigt, ebenso wenig wie Anhaltspunkte für Ich-Störungen oder Halluzinationen im eigentlichen Sinn. Zwar ist die Stimmungslage der Klägerin mäßig gedrückt, ihre Schwingungsfähigkeit mäßig reduziert und ihr Antrieb leicht reduziert gewesen, gleichwohl hat sich aber themenabhängig auch eine gewisse Auflockerung bei etwas starrer Psychomotorik gezeigt, ohne dass distanzlose Tendenzen aufgetreten sind. Auch hat die Klägerin zwar in vager Form - so der Sachverständige - Ängste beklagt, eine entsprechende klinische Symptomatik hat sich indes nicht eruieren lassen, genauso wenig wie eine spezifische PTBS-Symptomatik bzw. eine Erkrankung aus dem Spektrum der somatoformen Störungen bei im Wesentlichen klinisch unauffälligem körperlichem Befund (s. dazu Bl. 112 ff. SG-Akte).

Dass der Sachverständige in Ansehung all dessen, der klägerischen Angaben zu den noch möglichen Alltagsaktivitäten (s. dazu Bl. 106 f. SG-Akte: Fernsehen, wenn auch „nicht so viel“, wenngleich gegenüber P noch angegeben „4 Stunden am Tag“, s. S. 17 ihres Gutachtens; Kontakt mit den Kindern und mit der Familie in der T, u.a. via „WhatsApp“; Spazierengehen; Einkaufen; Handarbeit, wenn auch „schwierig“; vier Wochen Taufenthalt im August 2019 mit Besuchen in D1, A und A1) sowie der niedrigen Behandlungsfrequenz („nicht so oft“ zum Hausarzt, „etwa alle ein bis zwei Monate, manchmal mehr und manchmal weniger“, Bl. 109 SG-Akte; „beim Nervenarzt seit zwei Jahren nicht mehr gewesen“, Bl. 110 SG-Akte) keine höhergradigen seelischen Funktionsbeeinträchtigungen mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen zu objektivieren vermocht hat, ist für den Senat ohne weiteres schlüssig und nachvollziehbar. Ebenso schlüssig und nachvollziehbar hat der Sachverständige auf Grund seiner Verhaltensbeobachtung in der Untersuchungssituation demonstrative bzw. Aggravations-Tendenzen aufgezeigt, nachdem die Klägerin einfache Fragen teilweise zunächst nicht, dann später aber doch beantwortet hat und ihre anamnestischen Angaben teilweise nicht nachvollziehbar gewesen sind, ohne dass - wie bereits oben dargelegt - kognitive Defizite vorgelegen haben.

Auch der bei der Untersuchung durch P waren die anamnestischen Angaben der Klägerin und ihre Beschwerdeschilderungen teilweise widersprüchlich, unplausibel und nicht nachvollziehbar (s. S. 8 ff., 19, 22 f. des Gutachtens, auch zum Nachfolgenden). So gab die Klägerin dort etwa (u.a.) an, täglich ihre Tochter aus E sowie ihre andere Tochter mit Enkelkind - mit denen sie zusammen in einem Haus wohne - zu sehen und sich darüber zu freuen, mit zwei Freundinnen regelmäßigen Kontakt zu pflegen sowie in die T zu gehen, wo sie keine psychischen Probleme habe (Tbesuch seinerzeit vom 08.08. bis 08.09.2017, weswegen die Untersuchung bei P verschoben werden musste, s. S. 8 des Gutachtens). Zugleich machte die Klägerin bei P einen damit - so die Gutachterin - nicht in Einklang stehenden sozialen Rückzug („will niemanden mehr sehen“) geltend. Nicht nachvollziehbar war auch - so wiederum P - die demonstrierte Rollstuhlpflichtigkeit der Klägerin, nachdem sich der genutzte Rollstuhl nicht als alltagstauglich erwies (s. die Beschreibung S. 8 des Gutachtens; im Übrigen: Schieben mit angezogener Handbremse), die Tochter der Klägerin angab, der Rollstuhl werde „sonst ja auch nicht verwendet“, die Klägerin mitteilte, eine Stunde am Tag spazieren zu gehen (wenn auch „am Arm der Tochter“) und sich auch ansonsten kein klinischer Anhalt (namentlich kein beeinträchtigendes Sitzverhalten während der Untersuchung, s. S. 24 des Gutachtens) für eine entsprechende Beeinträchtigung ergab. Auch demonstrierte die Klägerin während der Untersuchung multiple psychische Symptome („Stimmenhören“), die indes während der Dauer der zweieinhalbstündigen Exploration nicht durchgehend auftraten, und relativierte ihre entsprechenden, zuvor gemachten Angaben auf gutachterliche Nachfrage bzw. demonstrierte auf entsprechenden Vorhalt der Gutachterin „schlagartig“ eine deutliche Besserung der dargestellten Psychopathologie, was P überzeugend als Aggravation qualifizierte. Auch die SFSS-Testung der Klägerin war auffällig, nachdem sie dort einen Punktwert erreichte (s. dazu schon oben im Tatbestand), der auf eine nicht authentische Beschwerdeschilderung hindeutete. Zudem konnten die von der Klägerin angegebenen Opiate bzw. Trizyklika nicht im Urin nachgewiesen werden (s. S. 23 des Gutachtens).

Dass P in Ansehung all dessen, des von ihr erhobenen klinischen Befunds (gepflegt, zunehmend kohärenter und schneller ohne kognitive Störungen bzw. ohne formale oder inhaltliche Denkstörungen, zunehmend euthymer, deutlich schwingungsfähig, keine Hinweise auf Wahrnehmungs- oder Ich-Störungen, keine Wahnideen, voll orientiert und bewusstseinsklar, keine objektivierbaren psychovegetativen Symptome, s. S. 19, 24 des Gutachtens) sowie der von der Klägerin ihr gegenüber im Übrigen gemachten Angaben (namentlich s. S. 9 ff., 12 f., 15, 17 des Gutachtens: „wolle das Leben genießen“; „Depressionen seit vielen, vielen Jahren, vielleicht mehr als 20 Jahre“; YouTube-Videos anschauen, in denen der Koran vorgelesen wird, was ihr ein Gefühl von Sicherheit vermittele; könne sich keine 200 km entfernen, sonst „drangsaliere“ sie das Jobcenter; wolle das Jobcenter loswerden, dann komme die Lebensfreude auch wieder und sie könne dann einen schönen Urlaub machen; gehe in den Garten, wo sie besondere Bäume aus der T eingepflanzt habe; pflanze Gemüse in Töpfen; wenn sie Rente habe, könne sie zu ihren Leuten in die T gehen; lange Zeit nicht mehr beim Psychiater gewesen; freue sich, wenn sie Blumen sehe und wenn die Kinder glücklich seien; wolle mit den Kindern Urlaub machen, wobei sie „wegen dem Jobcenter und dem Finanziellen“ nicht öfter in die T könne; stricke kleine Sachen, z.B. eine Puppenweste für ihre Enkelin; interessiere sich für Kinderbetreuung und den Garten; spiele und bastele mit den Enkelkindern und lese ihnen Geschichten vor; mache Gymnastik daheim; vier Stunden am Tag fernsehen; über WhatsApp schreiben mit Bekannten; Freudinnen alle zwei Wochen sehen; wolle ein Auto von der Beklagten) von einem zielorientierten, bewusstseinsnahen und der willentlichen Steuerung unterliegendem Beschwerdeverhalten mit ausgeprägter Verdeutlichung und Aggravation ausging, überzeugt den Senat in jeglicher Hinsicht. Bereits im Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg von Dezember 2016 wurde Nämliches dokumentiert (namentlich: „komplett fehlende Handkraft nicht nachvollziehbar“, während der Untersuchung unbewusstes Greifen auf den Kopf trotz geklagter und demonstrierter Armbeweglichkeitsstörung) und der Sachverständige H hat - wie bereits oben dargelegt - ebenfalls ein nicht authentisches und aggravierendes Beschwerdeverdeutlichungsverhalten beschrieben.

Ebenfalls überzeugend ist, dass P - wie später auch H - auf der Grundlage der obigen Ausführungen höhergradige seelische Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu objektivieren vermochte und die Klägerin noch für in der Lage erachtete, jedenfalls leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Diese zeitliche Leistungseinschätzung hat der gerichtliche Sachverständige H bestätigt und lediglich qualitative Einschränkungen angenommen.

Soweit H die bei der Klägerin bestehenden respektive objektivierbaren (s.o.) Leiden diagnostisch abweichend von P eigeordnet hat, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Denn im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung kommt es nicht entscheidend auf eine bestimmte Diagnosestellung, die Art oder Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 28.02.2017, B 13 R 37/16 BH, in juris), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen, sodass auch die Ursachen der Gesundheitsstörung nicht maßgeblich sind (BSG, a.a.O.). Derartige Funktionsstörungen anhand objektiv-klinischer Befunde, die geeignet wären, eine rentenrechtlich relevante zeitliche Leistungseinschränkung („auf nicht absehbare Zeit“, vgl. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) zu begründen, hat H ebenso wie P gerade nicht zu objektivieren vermocht und der Sachverständige hat auch ausdrücklich darauf hingewiesen (vgl. Bl. 119 f. SG-Akte), dass er die Leistungsbeurteilung der P teilt und dass auch die zusätzliche Annahme einer Anpassungsstörung zu keiner abweichenden Bewertung führen würde.

Soweit die Klägerseite gemeint hat, die Annahme einer ausgeprägten Beschwerdeverdeutlichung durch H sei nicht nachvollziehbar, ist das Gegenteil der Fall. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Ohnehin ändert das Rechtsmittelvorbringen auch nichts an dem von ihm erhobenen klinischen Befund (s.o.) und auch nichts daran, dass bereits P ein nicht authentisches, unplausibles und aggravierendes Beschwerdeverhalten dokumentierte.

Das Gutachten des Sachverständigen V rechtfertigt ebenfalls keine andere Bewertung.

Es überzeugt den Senat bereits deshalb nicht - worauf D in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme (die als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar ist) von Dezember 2021 (Bl. 112 ff. Senats-Akte) zu Recht hingewiesen hat -, weil V sowohl seine Diagnose höhergradiger seelischer Störungen als auch seine darauf beruhende Leistungseinschätzung maßgeblich aus den Beschwerdeangaben der Klägerin abgeleitet hat, ohne diese kritisch zu hinterfragen und einer entsprechenden Validierung respektive Konsistenzprüfung zu unterziehen. So hat er beispielsweise die Angaben der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Beschwerdevorbringen, zuletzt „vor 2 Jahren“ in der T und „seit der Corona-Pandemie“ aus Angst nicht mehr in einem Geschäft gewesen zu sein (Bl. 99 Senats-Akte), nicht hinterfragt und erst recht nicht kritisch gewürdigt, obgleich dieses Vorbringen widerlegt ist, nachdem die Klägerin während des Berufungsverfahrens nach eigener Angabe gegenüber dem Senat (vgl. Bl. 72 Senats-Akte) in der Zeit vom 12.08. bis 28.09.2020 in der T (seinerzeit als sog. SARS-CoV-2-Risikogebiet eingestuft) weilte. D hat zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass ein kritisches Hinterfragen und eine Validierung des Beschwerdevorbringens - ohnehin die ureigene Aufgabe eines ärztlichen Sachverständigen in einem Erwerbsminderungsrentenverfahren - umso mehr angezeigt gewesen ist, nachdem bereits die Vorgutachter deutliche Hinweise auf ein nicht authentisches und aggravierendes Beschwerdeverhalten dokumentiert haben (s.o.). Soweit V - indes nur pauschal - gemeint hat, in seiner Untersuchungssituation hätten sich keine Hinweise für Aggravation oder Simulation ergeben, ist dies schon deshalb nicht brauchbar, weil er eine entsprechende Überprüfung - wie aufgezeigt - gar nicht vorgenommen hat. Auch ansonsten macht sich der Senat die von D in ihrer o.a. Stellungnahme angebrachten Einwände gegen die Einschätzung des V zu eigen und nimmt darauf in vollem Umfang Bezug.

Dass und warum auch die Leistungseinschätzungen der L und F nicht überzeugen, hat bereits das SG dargelegt. Darauf wird hier verwiesen, zumal beide Ärzte (in ihren jeweiligen Auskünften gegenüber dem SG) maßgeblich auf das psychiatrische Fachgebiet abgestellt haben, ohne dass bei ihnen eine besondere Kompetenz auf diesem Fachgebiet ersichtlich ist. Ihre Einschätzungen sind vielmehr durch die Gutachten der P und H widerlegt. Nämliches gilt hinsichtlich des „Befundberichts“ der F von Anfang September 2019, zumal die Klägerin nur wenig später von H untersucht worden ist. Unabhängig davon beruht auch die Einschätzung der F - worauf D hingewiesen hat - maßgeblich auf den Beschwerdeschilderungen der Klägerin, die indes mangels Authentizität, Plausibilität und Konsistenz (s.o.) nicht zu Grunde gelegt werden können.

Die übrigen bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen - soweit objektiviert -, namentlich auf orthopädischem Fachgebiet (s. dazu oben im Tatbestand), führen lediglich zu qualitativen Einschränkungen, nicht jedoch zu einer zeitlichen Leistungslimitierung. Auch dies hat bereits das SG zutreffend auf der Grundlage des Gutachtens des S und der Auskunft des K (der ein sechsstündiges Leistungsvermögen bejaht hat, was Erwerbsminderung ausschließt, s. § 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI: „mindestens“, also einschließlich sechs Stunden) dargelegt. Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen.

Unter Zugrundelegung all dessen steht mithin auch zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass sie weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI). Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in einem solchen Fall regelmäßig nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94, in juris). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie der Klägerin mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des BSG sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80, in juris). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein. So liegt der Fall bei der Klägerin. Auch bei ihr wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihr nur noch leichte Arbeiten ohne Überkopfarbeiten zugemutet werden. Weder der Ausschluss von dauerhaften Überkopfarbeiten noch der Ausschluss von mittelschweren und schweren Tätigkeiten und somit von Tätigkeiten, die mit einem Heben und Bewegen von Lasten über 5 kg verbunden sind, stellen eine „ungewöhnliche“ Leistungseinschränkung dar und zwar auch dann nicht, wenn beides zusammen vorliegt, denn diese Einschränkungen sind - wie bereits dargelegt - vom Begriff „leichte Tätigkeiten“ umfasst (BSG, Urteil vom 24.03.1998, B 4 RA 44/96 R, in juris). Auf der Grundlage namentlich der Gutachten der S und P sowie des Sachverständigengutachtens des H hat der Senat vorliegend ohnehin keine ernsten Zweifel an der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt „unter den üblichen Bedingungen“.

Namentlich ist zur Überzeugung des Senats auch nicht nachgewiesen, dass die sog. Wegefähigkeit der Klägerin in einem rentenrechtlich relevanten Ausmaß eingeschränkt ist. Zur Wegefähigkeit gehört u.a. die Fähigkeit eines Versicherten, für den Weg zur Arbeitsstelle zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zu absolvieren (BSG, Urteil vom 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, in juris, m.w.N.). Dass die Klägerin dazu nicht mehr in der Lage wäre, ist nicht objektiv-klinisch belegt. Weder die Gutachter S und P noch der gerichtliche Sachverständige H haben entsprechende Einschränkungen bestätigt; auch der Facharzt K hat nichts dergleichen bekundet. Warum der Einschätzung des V insgesamt nicht gefolgt werden kann, ist bereits oben dargelegt worden.

Schließlich weist der Senat noch darauf hin, dass auch der Umstand, dass bei der Klägerin ein GdB festgestellt ist, keine andere Bewertung rechtfertigt. Denn der Schwerbehinderteneigenschaft eines Versicherten kommt hinsichtlich seiner zumutbaren beruflichen Einsetzbarkeit keinerlei Aussagekraft zu (BSG, Beschluss vom 19.09.2015, B 13 R 290/15 B, in juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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