1. Die allgemeine Problematik, dass in ihrem Körper gefangene Menschen im Syndrom reaktionsloser Wachheit unter Umständen unerkannt mehr von ihrer Umwelt mitbekommen könnten, als erkennbar ist, steht der Überzeugungsbildung vom Zustand der Betroffenen anhand medizinischer Untersuchungen und Unterlagen nicht entgegen. Insoweit handelt es sich um bloße Restzweifel.
2. Gleiches gilt für in Deutschland ggf. bestehende Defizite in der Bewusstseinsforschung/-diagnostik.
3. Zur Kommunikation auf niedrigstem Niveau .
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.
Der Kläger ist 2009 geboren und erlitt am 10.07.2011 einen Unfall (Reanimationsereignis bei vorangehender Karottenaspiration).
Am 04.02.2012 beantragte der Kläger über seine Eltern beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld. Dieser wertete die vorliegenden medizinischen Unterlagen aus, insbesondere den Entlassungsbericht vom 19.12.2011 der S Klinik V. Darin finden sich als Diagnosen hypoxisch-ischämische Encephalopathie im minimally-conscious-state und aufgehobene Schutzreflexe, spastische Tetraparese mit Spitzfußstellung bds., Zustand nach Botolinumtoxin-Injektionen 9/2011, Vorhandensein eines Tracheostomas mit intermittierender PSV-Beatmung, Schluckstörung, Vorhandensein einer PEG-Sonde, Zustand nach Vorhofthrombosen im rechten Vorhof.
Im Auftrag des Beklagten erstellte die Augenärztin L am 14.09.2012 ein Gutachten, in dem sie die Angaben der Mutter des Klägers schilderte, dieser befinde sich im Wachkoma, seit einigen Wochen atme er spontan. Ein Schlaf-/Wachrhythmus sei vorhanden. Der Kläger erhalte wöchentlich dreimal Ergotherapie und einmal visuelle Frühförderung. Nach den Berichten der Mutter bestünden größere Schwankungen im Allgemeinzustand. Wegen der Schädigung der Sehrinde bestehe nach Auskunft der Mutter Rindenblindheit. In ihrer klinischen Untersuchung stellte die Augenärztin fest, dass die Reaktionsfähigkeit des Klägers auf taktile Reize hochgradig eingeschränkt sei. Auf akustische Reize liege keine Reaktion vor. Als Diagnose stellte die Augenärztin L "generalisierter hypoxischer Hirnschaden". Es lasse sich keine schlechtere visuelle Reaktionsfähigkeit ableiten, als es die Reaktionsfähigkeit auf andere Reizqualitäten sei. Es läge somit keine Blindheit im Sinne des Gesetzes vor.
In einem weiteren Entlassungsbericht der S Klinik V vom 06.02.2012 wurde festgestellt, der Kläger sei wach gewesen bei der Untersuchung, habe jedoch beim Untersucher keine Reaktion auf dessen Anwesenheit oder dessen Ansprache gezeigt. Während der gesamten Untersuchung sei Blickdeviation nach oben festgestellt worden, keine Ausrichtung des Blicks auf eine Reizquelle, bei akustischen Reizen nach mehrmaligen Lautreizen nur eine Schreckreaktion. Augenfolgebewegungen seien nicht bemerkt worden. Hinsichtlich des radiologischen Befundes wurde festgehalten, dass eine mit einem hypoxischen Hirnschaden vereinbare Hirnvolumenminderung mit betonter Erweiterung der inneren Liquorräume, Stamm- und Gangliendefekte bds., diskrete Beteiligung des linken Thalamus, des Messencephalons sowie Hippocampusatrophie bds. festgestellt worden sei.
Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Neurologen K lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19.11.2012 den Blindengeldantrag ab, da keine spezifische Sehstörung feststellbar sei.
Hiergegen erhob der Kläger über seine Bevollmächtigten Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2013 zurückgewiesen wurde, nachdem zuvor u.a. eine Stellungnahme der Blindeninstitutsstiftung O, Frühförderung Sehen, und ein orthoptisches Beobachtungsprotokoll vom 16.01.2013 ausgewertet worden waren.
Mit Schreiben vom 22.02.2016 stellte der Kläger über seine Bevollmächtigten Antrag auf Prüfung des o.g. Bescheids nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X). Dabei verwies er auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und die damit verbundene rückblickende "Erkenntnis, dass die bisher als zugrunde gelegte Gesetzesauslegung des BSG unzutreffend gewesen ist".
Dieser Antrag wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 07.07.2016 abgelehnt. Der o.g. Ablehnungsbescheid sei nicht zurückzunehmen, da auch nach dem Urteil des BSG vom 11.08.2015 beim Kläger die Voraussetzungen für Blindengeld weiterhin nicht bejaht werden könnten. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 25.01.2017 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 23.02.2017 beim Sozialgericht (SG) Bayreuth Klage erhoben, die dort unter dem gegenständlichen Az.: S 4 BL 3/17 erfasst worden ist. Nach Ermittlungen ist im Hinblick auf das beim BSG anhängige Revisionsverfahren Az.: B 9 BL 1/17 R am 24.04.2017 das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Auf den Antrag der Klägerseite vom 25.02.2019 hin ist das Verfahren wiederaufgenommen worden. Eine volle Blindengeldberechtigung sei rückwirkend zur Antragstellung am 30.01.2012 anzuerkennen, so der Antrag des Klägers. Dem Schreiben ist eine ärztliche Stellungnahme des Universitätsklinikums E, L1, Sozialpädiatrisches Zentrum, vom 26.05.2017 beigefügt gewesen. In dieser ist u.a. bestätigt, dass beim Kläger eine hochgradige Sehminderung, die einer Blindheit gleichkomme, bestehe. In den VEP-Ableitungen hätten keine Antworten reproduziert werden können. Die Übertragung zwischen Netzhaut und Sehrinde finde nicht statt. Es bestehe ein Wachkoma mit erheblich eingeschränkter Kommunikation. Es wäre fatal, so die Ärztin, hieraus abzuleiten, dass der Kläger nicht wahrnehmen könne. Könne er sehen, was aufgrund der negativen VEP nicht anzunehmen sei, bestünde die Möglichkeit einer Wahrnehmung visueller Reize. Dies würde seine Lebensqualität positiv verändern. Im Umkehrschluss könne festgehalten werden, dass das Fehlen dieser Sinnesqualität seine Lebensqualität verschlechtere. Deshalb sollte dem Kläger, wie anderen blinden Kindern auch, "Blindengeld gewährt werden". Es sei, so die Ärztin, nicht nachvollziehbar, warum eine anzunehmende, jedoch nicht sicher nachweisbare Beeinträchtigung anderer Sinnesqualitäten für einen Vorenthalt des Blindengelds genügen solle. Das Sehvermögen des Klägers sei, soweit objektiv messbar, wesentlich stärker beeinträchtigt als das Hörvermögen. Die tatsächliche Wahrnehmung könne aufgrund der mangelnden expressiven Möglichkeiten nicht sicher beurteilt werden. Im Sinne des Klägers müsse hier von einer möglichen auditiven Wahrnehmung ausgegangen und die mit Sicherheit fehlende visuelle Wahrnehmung (= komplette Blindheit) als gravierend beurteilt werden.
Im Schriftsatz vom 07.05.2019 hat der Beklagte festgestellt, dass beim Kläger ein Apallisches Syndrom bestehe. Nach den vorliegenden Unterlagen resultiere aufgrund des erlittenen hypoxischen Hirnschadens im Rahmen einer Aspiration eine schwerste Zerebralparese ("Wachkoma") mit erheblich eingeschränkter Kommunikation. Dieses Krankheitsbild schließe blindheitsbedingte Mehraufwendungen aus, so dass der Mangel an Sehvermögen durch bestimmte Maßnahmen (Assistenzleistungen, wie z.B. Vorlesen von Post, Hilfsmittel wie Lesegeräte, spezielle EDV etc.) nicht ausgeglichen werden könne. Der Beklagte hat den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung geltend gemacht.
Am 04.07.2019 hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten die Kommunikationsfähigkeit näher dargelegt. Schmerzen teile er beispielsweise dadurch mit, dass er dann einen erhöhten Puls habe bzw. zu zittern beginne. Wenn er abgesaugt werden wolle, fange er zu husten an, auch das sei eine Kommunikation, die der Vater des Klägers bemerke, der ihn zum größten Teil pflege. Zudem werde der Raum, in dem der Kläger wohne, mit enormem Mehraufwand für ihn hergerichtet. Der Vater des Klägers betreue und pflege diesen aufopferungsvoll und habe einen enormen zusätzlichen Mehraufwand. Aus der Blindheit heraus bestehe ein eigenständiger Mehraufwand zumindest in immaterieller Hinsicht, was bisher nicht berücksichtigt worden sei. In einer dem Schriftsatz beigefügten vom Vater des Klägers verfassten E-Mail ist u.a. aufgezeigt worden, dass der Kläger aufgrund seiner Behinderung keine Möglichkeit habe, eigene Bedürfnisse mitzuteilen. Wach- und Schlafzustand sowie Schmerzen und Erschöpfung müssten anhand der Vitalwerte wahrgenommen werden (Atemrhythmik, Muskeltonus sowie Pulsoxymeter), Bedürfnisse wie Hunger und Durst würden über PEG-Sonden bzw. Kontrollen versorgt. U.a. hat der Vater des Klägers weiter dargelegt, dass Kommunikation aus eigener Kraft bei alledem nicht wahrzunehmen sei.
Am 22.10.2019 hat ein Erörterungstermin der Kammer stattgefunden. In dem Termin haben die Eltern des Klägers nähere Angaben zu dessen Verhalten etc. gemacht; auch ist ein YouTube-Video auf dem Handy des Vaters des Klägers angesehen worden. Die Beteiligten haben im o.g. Erörterungstermin bzw. am 04.11.2019 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung per Gerichtsbescheid erklärt.
Sodann hat das SG mit gegenständlichem Gerichtsbescheid vom 20.01.2020 die Klage gegen den Bescheid vom 07.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2017 abgewiesen. Die Klage sei zulässig, so das SG, jedoch nicht begründet. Gegenstand sei der Bescheid im Zugunstenverfahren vom 07.07.2016 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2017) bezüglich des Bescheides vom 19.11.2012 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2013). Die Gewährung von Landesblindengeld sei mit letzterem Bescheid zutreffend abgelehnt worden. Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben liege zwar Blindheit beim Kläger vor, der Beklagte könne jedoch den Einwand der Zweckverfehlung erheben. Es stehe für das SG außer Frage, dass Patienten wie der Kläger die kognitiven Fähigkeiten verloren hätten und im Ergebnis nicht sehen könnten. Es stehe ebenfalls fest, dass der Kläger mit seiner Umwelt nicht kommunizieren könne.
In dem o.g. Schreiben vom 22.02.2016 stellte der Kläger über seine Bevollmächtigten auch einen Antrag auf Taubblindengeld. Dieser wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 07.07.2016 abgelehnt. Eine Voraussetzung für das Vorliegen von Taubblindengeld sei das Vorliegen von Blindheit im Sinne des BayBlindG. Beim Kläger könne Blindheit nach den gesetzlichen Vorgaben aber auch weiterhin nicht nachgewiesen werden. Am 03.08.2016 erhob der Kläger über seine Bevollmächtigten auch gegen diesen Bescheid Widerspruch. Aus der beigefügten Bescheinigung des Universitätsklinikums E, so die Begründung, ergebe sich der Befund eines negativen Blitz-VEP. Somit finde keine Übertragung zwischen Netzhaut und Sehrinde statt, von Blindheit sei auszugehen. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von P vom 08.12.2016 ist festgehalten worden, es gebe weder an den Augen noch aus der Bildgebung des Gehirns ein morphologisches Substrat, das Blindheit belegen würde. Negative Blitz-VEP reichten alleine für den Blindheitsnachweis nicht aus.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Am 23.02.2017 hat der Kläger über seine Bevollmächtigten ebenfalls Klage zum SG Bayreuth erhoben, die unter dem Az.: S 4 BL 4/17 erfasst worden ist. In der Klagebegründung vom 24.03.2017 sind erneut fehlende Ermittlungen im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren moniert worden. Nach einem vorübergehenden Ruhen des Verfahrens und einem Erörterungstermin am 22.10.2019 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2020 (Az.: S 4 BL 4/17) (auch) die Klage gegen den Bescheid vom 07.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2017 abgewiesen. Die Gewährung von Taubblindengeld sei gegenüber dem Zugunstenverfahren nach der Rechtsprechung des BSG vom 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R - ein gesonderter Streitgegenstand. Nach den gesetzlichen Vorgaben liege zwar beim Kläger Blindheit vor. Der Beklagte könne aber den Einwand der Zweckverfehlung mit Erfolg erheben.
Am 20.02.2020 hat der Kläger über seine Bevollmächtigte beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) Berufung eingelegt. Dabei ist der Gerichtsbescheid aus dem Verfahren Az.: S 4 BL 3/17 beigefügt worden; beim LSG ist jedoch (zunächst) eine Berufung gegen den Gerichtsbescheid Az.: S 4 BL 4/17 eingetragen worden. Mit Schriftsatz vom 07.07.2020 und in der späteren mündlichen Verhandlung hat die Bevollmächtigte klargestellt, dass sich die Berufung gegen den Gerichtsbescheid im Verfahren Az.: S 4 BL 3/17 gerichtet hat. Zur Begründung hat die Bevollmächtigte sehr umfassend ausgeführt und u.a. darauf abgestellt, dass das SG mit dem Zweckverfehlungseinwand "unter völlig falscher Gewichtung umgegangen" sei. Auch verkenne es, dass Blindheit nicht nur durch vorhandene verbale Kommunikationsfähigkeit ausgeglichen werden könne. Das Training anderer Sinne und Wahrnehmungsmöglichkeiten sei zielgerichtet auch nonverbal möglich. Der Zweck des Blindengelds sei schon bei kleinen Fortschritten und Entwicklungspotenzialen erreicht. Hieran seien nicht so strenge Anforderungen zu stellen. Es genüge, wenn der Ausgleich der Blindheit deutlich den Kontakt zum Kläger beeinflusse und pflegerisches Handeln in nicht völlig untergeordneter nebensächlicher Weise hierauf ausgerichtet sei. Vorliegend dominiere die Blindheit des Klägers den Pflegealltag ganz erheblich. Man habe sich bzgl. der Pflege des Klägers nicht einen Patienten im Wachkoma vorzustellen, der zufällig auch blind sei, sondern einen Blinden, der wegen des Wachkomas umso mehr Hilfestellungen brauche, da er Blindheit nicht mit weiteren Fertigkeiten ausgleichen könne. Letztendlich müsse die Blindheit ausgeglichen werden, vor allem deshalb, um adäquate weitere Pflege zu ermöglichen. Maßgeblich sei die Gegenüberstellung "Betreuungssituation des Klägers jetzt" mit "Betreuungssituation des Klägers ohne Erblinden". Die Differenz ergebe den Mehraufwand.
Weiter hat die Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass gerade bei Minderjährigen die Schulung eines sehr geringen Wahrnehmungsvermögens noch besonders gut möglich sei. Der Gedanke der Zweckverfehlung bedeute nicht, dass sich das Blindengeld in jeder Hinsicht zur Förderung lohnen müsse, es genüge, wenn der blinden Person weitere Entwicklungsmöglichkeiten eingeräumt würden. Vorliegend erreiche das Blindengeld bereits bei der Möglichkeit zu kleinsten Fortschritten, auf Reize zu reagieren und sich nonverbal zu äußern, seinen Zweck, wenn dadurch das Entwicklungspotenzial des Klägers in einem Umfang erweitert werde, den ein Gesunder üblicherweise durch Orientierung und visuelle Wahrnehmung erreiche. Es bestehe aber die Besonderheit, dass der Kläger zwar an weiteren Einschränkungen leide, aufgrund seiner taktilen und olfaktorischen Entwicklungspotenziale aber durchaus in der Lage sei, sich gegenüber vertrauten Personen nonverbal zu äußern. Damit werde auch das Grundbedürfnis des Erschließens eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums betroffen, das die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasse. Die Notwendigkeit des Blindengelds ergebe sich vorliegend nicht nur aus der rein quantitativen Erweiterung von Wahrnehmungs- und Kommunikationsmöglichkeiten, sondern auch aus dem Gesichtspunkt der Integration behinderter Jugendlicher in das Lebensumfeld nicht behinderter Gleichaltriger.
Die Kommunikation über andere Sinneskanäle sei wesentlich erschwert und mit erhöhtem Zeitaufwand verbunden, wenn der Hauptsinn des Menschen, nämlich das Sehen, wegfalle. Hinzu komme, dass Betreuungspersonen des Klägers ohne dessen Blindheit z.B. durch Zeigen von Bildern oder durch kurze Zeiten des Fernsehens entlastet werden könnten.
Im Übrigen könne keinesfalls davon ausgegangen werden, dass Menschen mit Apallischem Syndrom keinerlei Wahrnehmungsfähigkeiten mehr hätten. Dies stimme gemäß neuerer Erkenntnisse nicht.
Das Gericht hat B zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem neurologischen Gutachten vom 18.01.2021 u.a. die Angaben des Vaters des Klägers bei der ambulanten Untersuchung wiedergegeben, der Kläger lasse täglich mehrfach Zeichen der Anspannung und des Unwohlseins bzw. Stress erkennen; eine Kommunikationsfähigkeit bestehe jedoch nicht. Der Kläger reagiere auch noch in anderer Form teilweise auf die Umwelt, insbesondere durch Blinzeln und Wegdrehen des Kopfes, wenn ihm beim Spazierengehen das grelle Sonnenlicht direkt in die Augen scheine. Er zeige wenig emotionale Schwingungsfähigkeit.
Die diffuse Schädigung von Großhirn und Hirnstamm habe klinisch zu einer schweren Bewusstseinsstörung, Tetraspastik sowie zu einer Schluckstörung mit Notwendigkeit zur Anlage einer Trachealkanüle und einer PEG-Sonde und zu einer Stuhl- und Urininkontinenz geführt, so B. Die Schwere der Hirnschädigung habe sich auch in mehrfach durchgeführten Schnittbilduntersuchungen des Gehirns (cCT und cMRT) gezeigt, in denen sich eine zunehmende Hirnvolumenminderung (Atrophie) sowie strukturelle Hirnläsionen u.a. in den Basalganglien wie auch in den für das Sehen relevanten okzipitalen Hirnarealen objektivieren ließen. Auch auf funktionaler Ebene habe eine erhebliche Störung der Sehfunktion objektiviert werden können.
In der aktuellen neurologischen Befunderhebung komme auch weiterhin die schwere Bewusstseinsstörung zum Ausdruck. U.a. hat hier der Gutachter neben den eben genannten Befunden auf die Ergebnisse der standardisierten klinischen Untersuchung mit der Coma- Recovery-Scale-Revised (CRS-r) verwiesen. Hier habe sich als diagnostische Kategorie ein Syndrom der reaktionslosen Wachheit (SRW, früher: Apallisches Syndrom, vegetativ state, Wachkoma) bei einem Punktwert von 6 Punkten von max. 23 ergeben. Diese Untersuchung sei der internationale "Goldstandard" zur Beurteilung des Bewusstseinszustands und werde von internationalen Fachgesellschaften für die Beurteilung von Patienten nach akuter Hirnschädigung empfohlen.
Aussagen hinsichtlich der Sehschärfe und einer der Sehschärfe von nicht mehr als 1/50 gleichzuachtenden Sehbeeinträchtigung i.S. des BayBlindG seien beim Kläger nicht möglich. Aufgrund der zerebralen Störung sei die Weiterleitung der vom Sehapparat aufgenommenen optischen Reize mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgehoben bzw. gemindert. Sowohl 2016 in E wie auch von ihm, B, hätten keine reproduzierbaren kortikalen Reizantworten abgeleitet werden können. An welcher Stelle im System der optischen Reizweiterleitung im Gehirn die hierfür maßgebliche Schädigung aufgetreten sei, vermöge er als Gutachter nicht zu sagen; die positive Pupillenlichtreaktion belege jedoch objektivierbar, dass eine Reizweiterleitung bis in den Hirnstammbereich vorhanden sein müsse. Medizinisch wissenschaftlich müsse davon ausgegangen werden, dass diese Funktionsstörung mit Entstehen der diffusen Hirnschädigung im Sinne der hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie (HIE) im Rahmen der Aspiration 2011 aufgetreten sei und seither bestehe. Formal nachgewiesen sei sie mit den erstmals am 19.07.2016 in der Universitätsklinik E durchgeführten Blitz-VEP.
Der Kläger befinde sich klinisch wie auch elektrophysiologisch im Syndrom der reaktionslosen Wachheit. Zwar ergäben sich klinisch Hinweise für eine einfache reflexartige Reizverarbeitung (im Sinne von Blinzeln) auf akustische Aversivreize (Klatschen) und auf optische Reizen (Augen wegdrehen und Blinzeln auf starken Lichtreiz). Es fänden sich jedoch weder in der standardisierten klinischen Untersuchung mittels CRS-r noch mittels elektrophysiologischer Methoden Hinweise auf eine bewusste Reizverarbeitung. Somit müsse gutachterlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer aufgehobenen bewussten optischen Reizverarbeitung ausgegangen werden.
Weiter hat der Sachverständige dargelegt, dass der Kläger keinen verbalen Aufforderungen folge, nicht fixiere, nicht mit dem Blick folge und keine in die Hand gegebenen Alltagsgegenstände zielgerichtet nutze. Er zeige lediglich auf akustische, optische und taktile Reize reproduzierbare, reflexartige Reaktionen, die jedoch diagnostisch nicht die Schwelle zur bewussten Reaktion auf die Umwelt überschreiten würden. Eine Kommunikation mit dem Kläger sei, so B, nicht möglich; auch der Vater habe angegeben, keinen Kommunikationskanal mit dem Sohn zu haben. Lediglich z.B. durch Streicheln lasse sich eine Entspannungsreaktion beim Kläger erkennen.
Soweit mit den aktuell vorhandenen und eingesetzten Untersuchungsverfahren der modernen Komadiagnostik beurteilbar, stünden dem Kläger keine bewussten Reaktionsfähigkeiten zur Verfügung. Dies schließe prinzipiell nicht aus, dass diese auf einer subklinischen Ebene vorhanden sein könnten. Trotz Einsatzes standardisierter klinischer Untersuchungstechniken und moderner elektrophysiologischer Methoden habe allerdings gutachterlich kein Hinweis geführt werden können, dass der Kläger ein zumindest erhaltenes Minimalbewusstsein habe. Einschränkend hat B betont, dass es sich hierbei nur um eine Momentaufnahme für den Zeitpunkt der Begutachtungssituation handle. Es sei bekannt, dass der Bewusstseinszustand bei Probanden nach schwerer Hirnschädigung starken zeitlichen Schwankungen unterliegen könne. Er, B, finde gutachterlich aufgrund der medizinischen Unterlagen zur bisherigen Krankengeschichte, aufgrund der Angaben des Vaters und aufgrund der Befunderhebungen im Rahmen der aktuellen Begutachtung keine Hinweise dafür, dass dem Kläger seit der Hirnschädigung 2011 mehr als nur unbewusste, reflexartige Fähigkeiten verblieben seien. Eine Begutachtung auf einem anderen Fachgebiet sei nicht erforderlich.
Im Schriftsatz vom 16.04.2021 hat die Bevollmächtigte die Auffassung vertreten, dass nach ihrer Auffassung weitere Ermittlungen des Gerichts von Amts wegen erforderlich seien. Zur Begründung hat die Bevollmächtigte zunächst darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung zwischen dem Syndrom reaktionsloser Wachheit und dem Minimally-Conscious-State (MCS) schwierig sei und eine erschreckend hohe Fehldiagnosenrate aufweise. Gegebenenfalls seien noch weitere Diagnosemöglichkeiten erforderlich, um den vom Gutachter diagnostizierten Zustand zu bestätigen. Weiter hat die Bevollmächtigte auf Diagnosegrundsätze des Royal College of Physicians, London, hingewiesen sowie auf die Möglichkeiten des Einflusses der Medikation, die Notwendigkeit für eine Untersuchung im bestmöglichen klinischen Zustand und einer mehrfachen Untersuchung (durch einen weiteren, erfahrenen und unabhängigen Arzt). Zudem hat die Bevollmächtigte eine Reihe von sonstigen Feststellungen bzw. Behauptungen dargelegt (vgl. S. 7 ff. des Schriftsatzes). Insbesondere werde von Klägerseite ein Gutachten auf dem Gebiet der Logopädie für sinnvoll erachtet.
Im Auftrag des Senats hat hierzu B am 16.05.2021 Stellung genommen. Hinsichtlich der schwierigen Abgrenzung und der hohen Fehldiagnosenrate (s.o.) hat B darauf hingewiesen, die hohe Rate beruhe maßgeblich darauf, dass die Patienten oft nicht mit einem standardisierten klinischen Untersuchungsverfahren wie z.B. der CRS-r untersucht würden. Richtig sei, dass es eine Gruppe von Patienten zu geben scheine, die trotz einer klinisch sicheren Diagnose eines Syndroms reaktionslose Wachheit in hochaufwendigen technischen Zusatzuntersuchungen Hinweise auf eine bewusste Reizverarbeitung und sogar Kommunikationsfähigkeit zeigen würden. Für diese Patienten sei der Begriff kognitiv-motorische Dissoziation (ZMD) geprägt worden, da sie zwar bei Bewusstsein seien, aber über keine motorischen Handlungsoptionen verfügen würden, um dieses Bewusstsein für Außenstehende erkennbar zum Ausdruck zu bringen.
Unverständlich sei ihm, wie die Bevollmächtigte zur Einschätzung gelangt sei, er habe keine CRS-r verwendet. Die Durchführung eines MRT/fMRT sei beim Kläger nicht möglich, da dieser bei der Untersuchung in F-Stadt immer wieder motorisch unruhig gewesen sei, Strecksynergismen geboten habe und über das Tracheostoma abgesaugt habe werden müssen. Eine solche Untersuchung zum Zwecke der Bewusstseinsdiagnostik sei nach seiner, B´s, gutachterlichen Überzeugung beim Probanden medizinisch nicht durchführbar, was im Übrigen kein Einzelfall sei, denn es kämen wohl nur 25 % der Patienten im Syndrom reaktionsloser Wachheit überhaupt für eine solche Untersuchung methodisch in Frage. B hat weiter darauf hingewiesen, dass kein FDG-PET durchgeführt worden sei, wobei die gleichen methodischen Einschränkungen bzgl. der motorischen Unruhe beim Kläger wie oben gelten würden. Nach seinem Kenntnisstand würde ein solches optimiertes Verfahren in Deutschland derzeit auch nicht angeboten. Weitere technische Untersuchungsmethoden seien entgegen der Auffassung der Klägerseite beim Kläger unabhängig von der fehlenden Verfügbarkeit medizinisch nicht durchführbar; es seien die CRS-r als Goldstandard und zusätzlich ein HD-qEEG sowie ERP durchgeführt worden. Im Hinblick auf die Liste der von den Leitlinien empfohlenen Untersuchungen, die länger sei als die von B vorliegend durchgeführten, hat der Gutachter darauf hingewiesen, als einziger Vertreter aus Deutschland bei der Erstellung der EAN-Leitlinien beteiligt gewesen zu sein. Voller Überzeugung dürfe er zudem darauf hinweisen, dass ihm keine Institution oder Arbeitsgruppe in Deutschland bekannt sei, die angesichts der Fragestellung einen größeren Methoden- bzw. Untersuchungsumfang hätte anbieten können. Im Folgenden hat der Sachverständige zu den einzelnen Punkten Stellung genommen und dargelegt, dass die angeführten Punkte zum einen von ihm durchgeführt worden oder nicht angezeigt seien (vgl. S. 6 ff der Stellungnahme).
Zum Einfluss der Medikation hat B darauf hingewiesen, dass sedierende Medikamente prinzipiell die Diagnostik eines Restbewusstseins erschweren könnten. Eine zu hohe Dosierung sei durch Schläfrigkeit gekennzeichnet; der Kläger sei jedoch während der Untersuchung wach gewesen, so dass ein maßgeblicher Effekt sehr unwahrscheinlich sei. Hinsichtlich der Forderung nach einer Untersuchung im bestmöglichen klinischen Zustand hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass der Kläger sowohl von ihm, B, als Neurologen als auch von dem Psychologen und zertifizierten CRS-r-Untersucher R klinisch untersucht worden. Sicher wäre es wünschenswert, so der Sachverständige, die klinische CRS-r-Untersuchung mehrfach durchzuführen. Dies sei allerdings nach seiner Überzeugung insbesondere dann indiziert, wenn die Einschätzungen von Angehörigen und medizinischem Untersuchungspersonal zum Bewusstseinszustand diskrepant seien und wenn die CRS-r grenzwertige Befunde zwischen Syndrom reaktionsloser Wachheit und Minimally-Conscious-State erbringen würden. Beides sei vorliegend aber nicht der Fall.
Festzustellen bleibe im Hinblick auf das geforderte Gutachten auf dem Gebiet der Logopädie, dass die reproduzierbaren Reaktionen auf Reize und Aufforderungen Kernmerkmal der CRS-r seien und dass nicht jede reproduzierbare Reaktion gleichbedeutend mit einem Beweis oder Hinweis für Bewusstsein sei sowie dass selbstverständlich viele Reaktionen automatisiert oder reflexartig seien. Ein Gutachten durch einen Gutachter mit der Berufsbezeichnung Logopädie oder Sprachtherapie halte er nicht für erforderlich.
Sollten sich aus der weiteren Verlaufsbeurteilung Hinweise darauf ergeben, dass der Kläger bewusste und nicht nur reflexhafte Reaktionen zeige, würde eine erneute neurologische Begutachtung mit den dann verfügbaren technischen Zusatzuntersuchungen für sinnvoll gehalten. Entsprechend den Angaben des Vaters des Klägers sei keine Kommunikationsfähigkeit anzunehmen; es würden auch von der Logopädin keine Befunde vorliegen, die eine Kommunikationsfähigkeit auch nur andeuten würden. Etwa ein Entspannen durch streichelnde Berührung erfordere nach der zumindest aktuell gültigen Lehrmeinung kein erhaltendes Bewusstsein.
Er habe keine Zweifel daran, dass es eine Gruppe von betroffenen Patienten gebe, die ein erhaltenes Bewusstsein bis hin zur Kommunikationsfähigkeit hätten, das man aber nur mittels technischer Diagnostik entdecken könne (vgl. die Arbeiten von Monti et Al.). Im Falle des Klägers halte er, B, weitere Untersuchungsverfahren wegen der o.g. Probleme aber prinzipiell für nicht durchführbar, selbst wenn sie verfügbar wären. Sie seien demnach aus methodischen Gründen nicht möglich. Gleichermaßen würde er im Falle des Klägers jedoch auch keinen "Mehrwert" erwarten, da bereits das HD-qEEG keinen Befund erbracht habe, der auf ein erhaltenes Minimalbewusstsein hinweisen würde. Der Kläger falle nicht in die Gruppe der Patienten, bei der die Diagnose in Richtung Minimally-Conscious-State oder gar Überwinden dieses Zustands (bei nachgewiesener technischer Kommunikationsmöglichkeit) zu ändern sei.
Mit Schriftsatz vom 10.09.2021 hat die Bevollmächtigte betont, dass zwischenzeitlich feststehe, dass der Kläger blind sei. Die Zweckverfehlungsrechtsprechung des BSG habe noch nicht Stellung zur besonderen Situation von Kindern und Jugendlichen genommen. Die Frage sei auch nicht ausermittelt. Ob das konstitutive Charakteristikum des Apallischen Syndroms, dass dort kein Bewusstsein vorhanden sei, tatsächlich valide sei, sei in den letzten Jahren bezweifelt worden. Es gebe empirische Untersuchungen dazu, dass Menschen im Koma und Wachkoma über elementare Wahrnehmungen und Empfindungen sowie über einfache Lernformen verfügen würden. Es gebe Hinweise darauf, dass auch im Koma Empfindungen und propriorezeptive Körperpositionen gespeichert würden. Es gebe keinen Grund, weshalb nicht auch beim Kläger Entwicklung und Aufbau einer Körperidentität möglich sein sollte, spätestens dann erfülle das Blindengeld auch beim Kläger den vorgesehenen Zweck. Für die Erreichung des Zwecks des Blindengelds müsse es in der Situation des Klägers schon genügen, dass er verbesserte Lebens- und Rehachancen habe und sich kleine Freiräume erschließen könne. Dem Kläger werde durch das Blindengeld auch ermöglicht, altersgerechte Erfahrungen zu machen.
Neue Studien besagten, so die Bevollmächtigte weiter, dass der Schweregrad der Krankheit und die Gesamtprognose positiv beeinflusst werden könnten, wenn geeignete Stimulationsmaßnahmen und Förderprogramme von einem interdisziplinären Team früh, umfassend und individuell adaptiert eingesetzt würden. In einem beigefügten Bericht gehe es, so die Bevollmächtigte, darum, dass eine Jugendliche im Wachkoma erhebliche Entwicklungschancen gehabt habe, allein dadurch, dass pädagogische und kompensatorische Maßnahmen zu erheblichen Fortschritten in der Wahrnehmungsfähigkeit geführt hätten. Gerade deshalb sollten dem Kläger umfangreiche Sinneswahrnehmungen zur Kompensation der Blindheit ermöglicht werden. Abzustellen sei hierbei auf das vorhandene Potenzial, nicht nur auf vorhandene Fähigkeiten.
Wenn nun die visuelle Stimulation als Ressource wegfalle, sei es umso wichtiger, dass in barrierefreier Weise auch im Rahmen der Therapien und pädagogischen Bemühungen die Blindheit im besonderen Maße berücksichtigt werde. Jegliche Komatherapie sei blindengerecht durchzuführen, was den Zweck des Blindengelds erfülle. Gerade bei Kindern und Jugendlichen sollten an die Zweckbindung keine allzu hohe Anforderungen gestellt werden.
Am 26.08.2021 ist L1 mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragt worden. In ihrem Gutachten vom 30.01.2022, das auf einer neuropädiatrischen Untersuchung vom 01.12.2021 beruht, hat die Ärztin zunächst festgestellt, dass sie den Kläger bereits seit Februar 2012 in der Ambulanz des Sozialpädiatrischen Zentrums der Universitätsklinik E betreue. Eine Aussage über das tatsächliche Sehvermögen des Klägers könne durch die klinische Untersuchung nicht sicher getroffen werden. Es sei im Hinblick auf die negative Ableitung von VEP am 19.07.2016 und am 08.01.2021 von einer fehlenden Signalübertragung zwischen Netzhaut und Sehrinde auszugehen, womit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Blindheit angenommen werden könne. Auch die klinische Untersuchung lege Blindheit nahe. Der Kläger befinde sich in einem Zustand reaktionsloser Wachheit ("Synonyme Apallisches Syndrom, Wachkoma, vegetative-state"). Auf akustische Reize reagiere der Kläger eindeutig und reproduzierbar mit einer Tonuserhöhung der Extremitäten und des Rumpfes; dies habe beim Klatschen in die Hände und beim Läuten einer Glocke wiederholt und jeweils in gleicher Weise reproduzierbar beobachtet werden können. Eine Hinwendung des Kopfes zur Geräuschquelle erfolge nicht. Bei der Prüfung der Geschmackswahrnehmung habe keine eindeutige Reaktion beobachtet werden können. Auf Berührung reagiere der Kläger eindeutig und reproduzierbar. Nach Reizen, die nach beobachtender Einschätzung unerwartet oder unangenehm für den Kläger seien, könne jeweils eine nach gleichem Muster ablaufende Reaktion beobachtet werden, die von der Sachverständigen im Einzelnen beschrieben worden ist.
Weiter hat L1 festgestellt, dass keine erkennbaren Reaktionen des Klägers auf an ihn gerichtete Fragen beobachtet werden könnten. Die Ausdrucksfähigkeit des Klägers sei erheblich eingeschränkt. Es könne für einen Beobachter lediglich zwischen entspannter Wachheit, angespannter Wachheit und Schlaf unterschieden werden.
Der Kläger verfüge, so die Sachverständige weiter, über keine differenzierte Spontanmotorik, weder im Gesicht noch im Bereich der Augen oder am Körper. Insofern habe er keine Möglichkeit, sich durch Willkürmotorik seiner Umgebung mitzuteilen. Auch könne er sich nicht durch Lautieren äußern.
L1 hat zusammenfassend festgestellt, dass die Kommunikation mit dem Kläger durch seine erhebliche motorische Einschränkung extrem begrenzt sei. Eine differenzierte Kommunikation sei ihm nicht möglich. Deshalb könne von einem Beobachter keine sinnvolle Reaktion auf Ansprache oder Berührung erkannt werden. Auch sei es dem Kläger nicht möglich, von sich aus erkennbaren Kontakt zur Umwelt aufzunehmen.
Die Gutachterin hat jedoch hervorgehoben, dass hieraus nicht automatisch geschlossen werden dürfe, dass der Kläger über kein Bewusstsein verfüge. Fehlende Ausdrucksmöglichkeit dürften nicht mit fehlendem Bewusstsein und Reaktionslosigkeit nicht mit Erlebnislosigkeit gleichgestellt werden. Es sei denkbar, dass ein Patient zwar über ein vorhandenes Bewusstsein verfüge und Aufforderungen verstehen, sich aber nicht mitteilen könne, weil bei ihm die motorischen Voraussetzungen hierfür fehlen würden. In einer solchen Situation sei es naheliegend, dass ein Untersucher den Bewusstseinszustand des Patienten falsch einschätze. Durch das fehlende Sehvermögen bleibe dem Kläger eine mögliche Ausdrucksmöglichkeit - nämlich visuelles Wahrnehmen und Fixieren - vorenthalten, ein wesentlicher Kanal, über den er mit seiner Umwelt Kontakt aufnehmen könnte. Daraus ergebe sich, dass die Beurteilung eines blinden Menschen im Zustand der reaktionslosen Wachheit hinsichtlich seines Bewusstseins zusätzlich erschwert sei. Studien verschiedener Arbeitsgruppen hätten nachgewiesen, dass Wachkomapatienten nachweisbare Aktivitäten in den verschiedenen zuständigen Hirnarealen beim Anblick vertrauter Gesichter oder Stimmen zeigen würden. Folglich müssten diese für jene Empfindungen wichtigen Hirnareale noch intakt sein. Hieraus ergebe sich zum einen, so L1, die Fähigkeit zur Wahrnehmung bei Patienten im Wachkoma, zum anderen werde ersichtlich, dass die fehlende Sinnesqualität des Sehens einen Verlust von Fähigkeiten bedeute, der den Kläger zusätzlich beeinträchtige.
Den pflegenden Angehörigen sei es im Fall des Klägers nach eigenen Aussagen möglich zu erkennen, ob dem Kläger etwas gefalle oder nicht. Es stelle sich die Frage, inwiefern Entspannung eine sinnvolle Reaktion auf Berührung darstelle und inwiefern eine Tonuserhöhung eine sinnvolle Reaktion auf Unangenehmes. Diese Reaktionen könnten von einem Beobachter oder Pflegenden durchaus als sinnvoll eingestuft werden, da es nicht schwerfalle, sie zu interpretieren. Der Pflegende werde dann seine Handlungen so gestalten, dass beim Kläger ein Zustand der Entspannung eintrete. Insofern könne diese Art der Reaktion durchaus als eine Form der Kommunikation zwischen Kläger und Außenwelt verstanden werden, da die Reaktion des Klägers das Handeln des Pflegenden beeinflusse.
Inwieweit sich das Gehirn des Klägers durch die anstehende Pubertät neu strukturiere, könne nicht beurteilt werden. In der Annahme, dass Sinneswahrnehmungen stattfänden und im Gehirn des Klägers zumindest teilweise verarbeitet werden könnten - bewusst oder unbewusst - müsse davon ausgegangen werden, dass eine gewisse Plastizität auch des geschädigten Gehirns möglich sei. Bei allen Reizen, die dem Kläger aus seiner Umwelt zuteil werden könnten, fehle ein wesentlicher Sinnesreiz, nämlich der des Sehens, wodurch der Kläger sowohl in seinen Wahrnehmungs- als auch in seinen Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkt sei. Auch wenn alle Wahrnehmungsmöglichkeiten in allen Qualitäten nur in erheblich reduziertem Ausmaß bestünden, bedeute dies nicht, dass das Fehlen einer Sinnesqualität ohne Bedeutung bleibe. Es sollte vielmehr im Sinne des Klägers "davon ausgegangen werden", dass seine Wahrnehmung um eine wesentliche Sinnesqualität reduziert sei, die durch die anderen Sinnesqualitäten nicht ausgeglichen werden könne. Die Tatsache, dass der Kläger blind sei, bedeute für ihn und die ihn Pflegenden, dass Wege gefunden werden müssten, das fehlende Sehen zu kompensieren. Dies treffe auf einen Menschen in reaktionsloser Wachheit ebenso zu wie auf andere blinde Menschen. Auch wenn die Qualität der Kommunikation mit dem Kläger und die erreichbaren Ziele anders als bei gesunden blinden Menschen seien, dürfe nicht als unerheblich angesehen werden, ob ein Mensch in reaktionsloser Wachheit sehe oder nicht, was einer Anmaßung gleichkäme.
Mit Schriftsatz vom 22.02.2022 hat der Beklagte den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung aufrechterhalten. Unter anderem hat er auch auf die einschlägigen Feststellungen der Sachverständigen L1 zu den dem Kläger verbliebenen Möglichkeiten verwiesen, insbesondere darauf, dass nicht beurteilt werden könne, inwieweit der Kläger im Falle eines erhaltenen Sehvermögens tatsächlich anders mit seiner Umwelt in Kontakt treten könne. Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass beim Kläger das bestehende generalisierte Leiden und multimorbide Krankheitsbild die Blindheit weit überlagere, sodass es nach der Rechtsauffassung des Beklagten nicht vorstellbar sei, dass der Mangel des Sehvermögens ausgeglichen werden könne, um eine selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu erreichen. Der Beklagte hat auf die bisherige Rechtsprechung des Senats verwiesen. Soweit es um die von L1 angesprochene Form der Kommunikation zwischen Kläger und Außenwelt, nämlich den Eintritt eines Zustandes von Entspannung des Klägers durch entsprechende Handlungen des Pflegenden gehe, reiche dies nicht aus. Maßnahmen nur des psychischen Beistands seien nach der Rechtsprechung des Senats keine Betreuungsleistungen im weiteren Sinne.
In der mündlichen Verhandlung des Senats am 17.05.2022 ist auch der Kläger anwesend gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.01.2020 (S 4 BL 3/17) aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 07.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 19.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2013 zurückzunehmen und dem Kläger Blindengeld für blinde Menschen ab 01.02.2012 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG im vorliegenden Klageverfahren und im Klageverfahren Az.: S 4 BL 4/17 beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG), aber nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X im Ergebnis streitig, ob der Kläger blind im Sinne des BayBlindG ist und ihm deshalb (unter Beachtung von § 44 Abs. 4 SGB X) ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld für blinde Menschen zusteht.
Letzteres hat das SG zu Recht verneint. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Ablehnungsentscheidung des Beklagten vom 19.11.2012 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2013), weil diese zutreffend ist. Der Bescheid vom 07.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist ausschließlich der Bescheid vom 07.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2017 und somit das Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X; es geht es nicht um den oben genannten Antrag des Klägers auf Taubblindengeld.
Das Berufungsgericht hat vorliegend im Rahmen von § 44 SGB X vollumfänglich zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen nach dem BayBlindG gegeben sind. Dies folgt bereits daraus, dass der Beklagte in seinem Überprüfungsbescheid in die Sachprüfung eingestiegen ist (so schon die langjährige Rspr. des Senats, s. z.B. die Urteile vom 27.03.2015 - L 15 VK 12/13 - und 26.09.2017 - L 15 VS 14/14). Auch mit Blick auf § 44 Abs. 4 SGB X ist der Prüfungsrahmen nicht begrenzt, da der Antrag vom Februar 2012 herrührt.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,
1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,
2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und
1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder
2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):
aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,
ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,
ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,
gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14 -, 20.12.2018 - L 15 BL 6/17 - und 06.10.2020 - L 15 BL 6/19) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92, Beschluss vom 29.01.2018 - B 9 V 39/17 B, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.).
Dies gilt ausdrücklich auch für die Verfahren bezüglich des BayBlindG, was das BSG in den Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klargestellt hat. Eine andere Situation hinsichtlich der Beweislast gilt nach dieser Rechtsprechung nur für den im vorliegenden Verfahren strittigen Zweckverfehlungseinwand, der in Fällen von die Blindheit überlagernden Krankheitsbildern vom Leistungsträger erhoben werden kann.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Blindengeld.
Er ist zwar blind im Sinne des BayBlindG. Der Beklagte hat jedoch mit Erfolg den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung des BayBlindG erhoben, da das konkrete Krankheitsbild des Klägers blindheitsbedingte Aufwendungen (in seiner Situation) von vornherein ausschließt.
1. Bei dem Kläger liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung der Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. bereits die Entscheidungen v. 31.01.1995 - 1 RS 1/93 - und 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R; zuletzt Urteil v. 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) stehen auch zerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist die bei dem Kläger vorliegende Einschränkung von Sinnesfunktionen hochgradig. Dies folgt aus den sämtlich nachvollziehbaren und aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, v.a. auch aus dem plausiblen Sachverständigengutachten von B und auch aus dem Gutachten von L1, und ist auch zwischen den Beteiligten grundsätzlich nicht streitig. Streitig ist jedoch, ob der Kläger unerkannt über ein Bewusstsein verfügen könnte und welche Auswirkungen diese Annahme bzw. Unsicherheit hat.
Darauf, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten, kommt es nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es im Urteil v. 11.08.2015 (a.a.O.) hieran nicht mehr festgehalten. Zur Aufgabe dieser Rechtsprechung hat sich das BSG aufgrund von Erkenntnisschwierigkeiten sowie unter dem Aspekt der Gleichbehandlung veranlasst gesehen (vgl. näher a.a.O.). Ebenfalls aufgegeben in der genannten Entscheidung hat das BSG die in der früheren Rechtsprechung getroffene Unterscheidung zwischen dem "Erkennen" und dem "Benennen" als so verstandene Teilaspekte bzw. Teilphasen des Sehvorgangs, da die Differenzierung gerade bei zerebral geschädigten Menschen vielfach medizinisch kaum nachvollzogen, d.h. die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - a.a.O. - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist" (BSG, a.a.O.). Der Senat fühlt sich an diese (neuere) Rechtsprechung des BSG gebunden, wie er bereits in zahlreichen Urteilen ausdrücklich klargestellt hat (vgl. bereits das Urteil v. 19.12.2016 - L 15 BL 9/14).
Der Kläger ist blind im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG. Es ist zur Gewissheit des Senats nachgewiesen, dass bei ihm eine Störung bei der Weiterleitung optischer Reize und eine Verarbeitungsstörung vorliegt, so dass er die Signale der (auch) visuellen Sinnesmodalität nicht identifizieren, mit früheren Erinnerungen nicht vergleichen und nicht benennen kann. Die Blindheit ist aufgrund des fundierten und in jeder Hinsicht plausiblen Gutachtens von B nachgewiesen. Der Kläger ist durch seine schwere Behinderung höchstgradig eingeschränkt. Wie auch die gem. § 109 SGG beauftragte Sachverständige L1 festgestellt hat, können Bedürfnisse oder Wahrnehmungen vom Kläger nicht anders als durch eine vermutlich unwillkürliche Anpassung der Muskulatur angezeigt werden. Eine differenzierte Kommunikation mit ihm ist nicht möglich. Ebenso kann der Kläger nicht von sich aus Kontakt zur Umwelt aufnehmen, der von einem Beobachter sicher als solcher erkannt werden könnte.
a. Durch die neuere Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - B 9 BL 1/14 R - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) hat sich an der Erforderlichkeit der Prüfung, ob die visuellen Fähigkeiten des Betroffenen (nun: optische Reizaufnahme und Verarbeitung etc.) unterhalb der vom BayBlindG vorgegebenen Blindheitsschwelle liegen, nichts geändert (vgl. bereits die frühere Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der es schon bisher in den Fällen umfangreicher zerebraler Schäden auf das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht mehr ankam, wenn bereits Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestanden, z.B. Urteil v. 27.11.2013 - L 15 BL 4/11; so auch die Lit., vgl. Braun, Neue Regeln für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2016, 134 <135>: keine allgemeine "Entwarnung"). Der Blindheitsnachweis muss somit auch weiterhin erbracht werden.
b. Hinsichtlich des Klägers ist, wie das SG zutreffend entschieden hat, der Blindheitsnachweis erbracht.
In dem genannten Urteil vom 11.08.2015 hat das BSG, wie bereits dargelegt, den Sehvorgang im Sinne des BayBlindG (neu) definiert und im Urteil vom 14.06.2018 (a.a.O.) dies bestätigt. Im Rahmen eines umfassenden Verständnisses des Sehvorgangs sieht das BSG nicht nur die optische Reizaufnahme - und wohl ebenfalls die Reizweiterleitung, ohne dass dies in der genannten Entscheidung ausdrücklich festgehalten worden wäre -, sondern auch die weitere Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein des Menschen als vom Begriff des Sehens im rechtlichen Sinne mit umfasst an; dabei hat das BSG insoweit keine weitere Einschränkung gemacht. Es ist daher im Hinblick auf die Verarbeitungsvorgänge von einem weiten Begriffsverständnis auszugehen (s.u.). Dieses erklärt sich auch mit Blick auf die nach der neuen Rechtsprechung des BSG nun entfallende (in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderungen früher vorzunehmende), in Problemfällen äußerst schwierige und kaum zu leistende Differenzierung, ob das Sehvermögen (Sehen- bzw. Erkennen-Können) beeinträchtigt war, oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine Störung des visuellen Benennens vorlag, sodass das Gesehene nicht richtig benannt werden konnte. Der Senat hat im Urteil vom 19.12.2016 (a.a.O.) bereits dargestellt, dass die Aufgabe dieser schwierigen Differenzierung von der Literatur denn auch als sachgerecht begrüßt und als gewisse Vereinfachung auf dem Weg zum Blindheitsnachweis verstanden worden ist (vgl. Braun, a.a.O.), und hat hervorgehoben, dass er diese Auffassung teilt.
Somit ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG (Urteile v. 11.08.2015 - B 9 BL 1/14 R - und 14.06.2018 - B 9 BL 1/17 R) jedenfalls in den Fällen zerebraler Schäden auch zu prüfen, ob die Fähigkeit zur "Verarbeitung im Bewusstsein" des sehbehinderten Menschen beeinträchtigt bzw. aufgehoben ist.
Eine solche (auch) visuelle Verarbeitungsstörung bzw. bereits eine Reizweiterleitungsstörung ist vorliegend zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme und ist zuletzt auch vom Beklagten nicht bestritten worden. Schließlich kommt es auf Blindheit vorliegend auch nicht entscheidend an (s.u. 2.).
Seine Überzeugung hat der Senat insbesondere aufgrund des fundierten und plausiblen Sachverständigengutachtens von B gewonnen. Dieser hat in jeder Hinsicht nachvollziehbar dargestellt, dass Blindheit im vorgenannten Sinn vorliegt.
Diesem Ergebnis stehen im Übrigen auch nicht die Festlegungen des Senats in seinem Urteil vom 28.07.2020 (L 15 BL 2/17) entgegen, dass ein pauschaler Rückschluss darauf, Betroffene seien zu weiteren visuellen Leistungen nicht (mehr) in der Lage gewesen, in den Fällen nur grob orientierender Untersuchungen und Prüfungen regelmäßig unzulässig ist und dass eine fehlende oder nicht adäquate Reaktion auf optische Reize "nur dann als Beleg für Blindheit gewertet werden [kann], wenn bei erhaltener - teilweiser - Untersuchbarkeit eine zuverlässige reproduzierbare Kommunikation mit dem sehbehinderten Menschen möglich ist". Denn maßgeblich sind hierbei die konkreten Umstände des Einzelfalls und insbesondere Umfang und Qualität der vorgenommenen Untersuchungen. Hierzu kann vollumfänglich auf die Darlegungen des Senats im Urteil vom 08.02.2022 (L 15 BL 9/20) verwiesen werden.
2. Ein Anspruch des Klägers auf Blindengeld nach dem BayBlindG besteht jedoch nicht, da der Beklagte zutreffend den Einwand der Zweckverfehlung erhoben hat.
Wie das BSG in dem genannten Urteil vom 14.06.2018 dargelegt hat, stellt die in Art. 1 Abs. 1 BayBlindG enthaltene Formulierung des Gesetzgebers hinsichtlich des Ausgleichs blindheitsbedingter Mehraufwendungen keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung. Dennoch bleibe, so das BSG (a.a.O.), der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen ausdrücklich das erklärte Ziel der Regelung, was sich auch an anderer Stelle aus dem Gesetz erschließe. So sehe das BayBlindG Regelungen zur Vermeidung einer Überversorgung des blinden Menschen vor (Art. 4 Abs. 3 BayBlindG). Der Zweck des Blindengelds werde aber, so das BSG in der genannten Entscheidung, auch dann verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbilds des Betroffenen gar nicht erst ent- bzw. bestehen könne. Das BSG hat in der Entscheidung vom 14.06.2018 im Einzelnen Folgendes festgestellt:
"Hieran anknüpfend führt der Senat seine Rechtsprechung fort und räumt der Versorgungsverwaltung den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung ein, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen (auch nicht anteilig) ausgeglichen werden kann. [...].
Das Gesetz geht in Art 1 Abs 1 BayBlindG ausdrücklich vom Vorliegen der Blindheit und von bestehenden Mehraufwendungen aus. Es setzt typisierend voraus, dass überhaupt ein "Mehraufwand" aufgrund der Blindheit bestehen kann. Mit dem Blindengeld soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden. Das BVerwG hat hierzu zur früheren Blindenhilfe nach § 67 Abs 1 BSHG bereits ausgeführt, dass Aufwendungen, die einem Blinden durch Kontaktpflege und Teilnahme am kulturellen Leben entstehen, nur einen Teil dessen ausmachen, was ein Blinder bedingt durch sein Leiden im Verhältnis zu einem Sehenden vermehrt aufwenden muss (so BVerwG Urteil vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 287). Das Blindengeld dient in erster Linie als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen [...]. Eine Eingliederung blinder Menschen in die Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn ein Ausgleich für die dauernden blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile erfolgt (vgl Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S 35), weil diese in der zunehmend visualisierten Umwelt besonderen Beeinträchtigungen unterliegen (vgl Braun, MedSach 3/2016, 134, 135 mwN). So geht der Bayerische Landesgesetzgeber nach wie vor davon aus, dass ua blinde Menschen einen außergewöhnlich großen Bedarf an Assistenzleistungen zur Kommunikation und an Unterstützungsleistungen zur Bewältigung des Alltags haben und dass finanzielle Ausgleichsleistungen die selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördern (vgl Bayerisches LSG, aaO; BayLT-Drucks 17/17055 S 1 zu A und 17/21510 S 1 zu A).
Orientiert am vorgenannten Regelungszweck des Gesetzes ist es sachgerecht, im Fall eines objektiv nicht möglichen blindheitsbedingten Mehraufwands den Anwendungsbereich für die Blindengeldleistung einzuschränken. Steht fest, dass aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand im oben genannten Sinne speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht (zB dauerhafte Bewusstlosigkeit), dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Denn deren Zweck wird verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst ent- bzw bestehen kann."
Vorliegend hat der Beklagte den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung wirksam erhoben. Der Mangel an Sehvermögen bei dem Kläger kann krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden.
Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere der Auswertung aller vorliegenden einschlägigen medizinischen und pflegerischen Unterlagen. Der Senat beruft sich hier vor allem auf die o.g. sachverständigen Feststellungen des von ihm beauftragten Sachverständigen B und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen. Vor allem die weiteren Unterlagen und auch die Angaben der Klägerseite selbst zeigen aber daneben ebenfalls deutlich, dass aufgrund seines Gesundheitszustands dem Kläger ein Ausgleich des Mangels an Sehvermögen im Sinne der Rechtsprechung nicht möglich ist.
Bei dem Kläger liegt ein Syndrom der reaktionslosen Wachheit, Blindheit durch wesentliche Beeinträchtigung der optischen Reizverarbeitung im Bewusstsein, spastische Tetraparese, Dysphagie versorgt mit Tracheostoma und geblockter Trachealkanüle, PEG-Ernährungssonde, Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz und generalisierte Epilepsie vor.
1. Maßgeblich für den Zweckverfehlungseinwand sind die tatsächlichen beim Kläger bestehenden Verhältnisse (vgl. bereits das Urteil des Senats v. 12.11.2019 - L 15 BL 1/12; jüngst Urteil des Senats vom 22.03.2022 - L 15 BL 12/20). Auch wenn in dem o.g. Urteil des BSG von einer "näheren Bestimmung aller relevanten Krankheitsbilder ..., welche blindheitsbedingte Aufwendungen ausschließen" die Rede ist, würde es nicht genügen, wenn der Beklagte abstrakt alle insoweit einschlägigen Krankheitsbilder auflisten würde. Aus naheliegenden Gründen ist ein Verweis auf die jeweilige Diagnose nicht ausreichend, um dem Einzelfall gerecht zu werden (vgl. bereits das Urteil des erkennenden Senats v. 17.07.2012 - L 15 BL 11/08, in dem im Einzelnen dargelegt worden ist, dass auch bei der Diagnose eines "vollständigen Apallischen Syndroms" die individuellen Verhältnisse mit Blick auf die der Feststellung immanenten diagnostischen Unsicherheit und der Begrenztheit medizinischer Erfahrungssätze im Einzelnen untersucht werden müssen); es sind die Voraussetzungen zu überprüfen, ob bei der konkreten Ausprägung des Krankheitsbildes blindheitsbedingte Mehraufwendungen in Betracht kommen (so auch Braun, Die neuen Kriterien für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 3/2019, 94 <97>).
2. Mit dem BSG geht der Senat davon aus, dass der Begriff der blindheitsbedingten Mehraufwendungen weit auszulegen ist (vgl. bereits das Urteil des Senats v. 12.11.2019, a.a.O.). Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus den Darlegungen des BSG (s.o.) sowie aus den vom BSG ebenfalls genannten Motiven des Landesgesetzgebers (s.o.) (so auch Braun, a.a.O.).
Inwieweit es genügt, wenn nur ganz geringfügiger Mehraufwand im Raum steht, muss vorliegend nicht entschieden werden, da vorliegend keinerlei Mehraufwand ermittelt bzw. letztlich auch von Klägerseite nicht benannt werden konnte.
3. Wie vom Senat bereits entscheiden worden ist (vgl. z.B. die Urteile v. 12.11.2019, a.a.O., und 26.11.2019 - L 15 BL 2/19), stellen - entgegen einer in der Literatur geäußerten Auffassung (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 9/2019 Anm. 4) - Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung, wie sie hier ausschließlich bestehen, keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. Im Einzelnen wird an dieser Stelle auf die ausführlichen Darlegungen in den genannten Urteilen verwiesen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn wegen der Blindheit spezielle Maßnahmen bei der Pflege erforderlich wären. Dies ist aber vorliegend nicht ersichtlich. Die Klägerseite ist einen Beleg für ihre Behauptung (s. Berufungsbegründung), im Pflegealltag ließen sich Handlungen identifizieren, die wegen der Blindheit des Klägers stattfinden und die Pflege wegen der anderen Behinderungen deutlich verändern würden, schuldig geblieben. Es ist lediglich die allgemeine Betreuung des Klägers geschildert worden. Wenn in diesem Zusammenhang dargelegt worden ist, dass der ausschließlich blindheitsbedingt erhöhte Pflegebedarf daraus resultiere, dass andere Sinne intensiv geschult werden müssten, um die Blindheit des Klägers zu kompensieren und eine Kommunikation mit diesen überhaupt aufnehmen zu können, so geht es um Förderung (siehe hierzu näher unten) und nicht um Pflegeleistungen.
4. Für den gerichtlich überprüfbaren Einwand der Zweckverfehlung trägt nach der Entscheidung des BSG die Behörde die Darlegungs- und die Beweislast (vgl. z.B. auch jüngst das Urteil des Senats vom 22.03.2022 - L 15 BL 12/20). Dabei ist sie verpflichtet, soweit möglich den - wie oben dargelegt individuellen - Sachverhalt zu ermitteln, steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass sie die Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich einer negativen Tatsache trifft, eben hinsichtlich des Nichtvorhandenseins blindheitsbedingter Mehraufwendungen. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass zur Ermittlung neben den medizinischen / pflegerischen Unterlagen daher vor allem die Angaben der Personen heranzuziehen sind, welche die Verhältnisse hinsichtlich des betroffenen blinden Menschen aufgrund der Sach- und Ortsnähe zutreffend beurteilen können. Den Kläger trifft dabei eine Mitwirkungsobliegenheit.
Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz; so kann unnötiger Aufwand o.ä. keine Berücksichtigung finden.
Entscheidend nach der Rechtsprechung des BSG ist, dass der Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden kann. In der konkreten Situation des Betroffenen objektiv nicht möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand muss außer Betracht bleiben (siehe im vorliegenden Fall hierzu im Einzelnen unten).
5. Es wäre nicht ausreichend, wenn eine Zweckverfehlung des Blindengelds aufgrund der schweren (geistigen) Behinderung des Klägers ohne weitere Prüfung angenommen würde. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Aufgrund der durchgeführten Prüfung der dem Kläger verbleibenden Möglichkeiten durch den Senat, der sich auch hier vor allem auf das Sachverständigengutachten von B stützt, ergibt sich vielmehr, dass wegen den plausiblen medizinischen Unterlagen und weiteren vorliegenden Angaben davon ausgegangen werden muss, dass es das schwere Krankheitsbild des Klägers ausschließt, den Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen (auch nur teilweise) auszugleichen.
Wie sich aufgrund der vorliegenden medizinischen Befunde ergibt, leidet der Kläger an einer gravierenden Gesundheitsstörung (s.o.). Der Senat geht davon aus, dass der Kläger in jeder Hinsicht schwerstpflegebedürftig und in allen Verrichtungen des täglichen Lebens vollständig von fremder Hilfe abhängig ist. Auf die zur Überzeugung des Senats nachgewiesenen und zwischen den Beteiligten grundsätzlich auch nicht streitigen schweren Einschränkungen dem Kläger wird verwiesen (s.o.)
Im Übrigen kommt es nicht entscheidend darauf an, ob bei dem Kläger ein Restkommunikationsvermögen vorhanden ist. Dieses steht dem Kläger vorliegend nicht mehr zur Verfügung (siehe hierzu näher unten). Selbst wenn ein solches jedoch bestehen würde, wäre nicht ohne Weiteres ausgeschlossen, wie sich aus den Darlegungen des BSG im o.g. Urteil vom 14.06.2018 (a.a.O.) ohne Weiteres ergibt, dass das Krankheitsbild des Klägers von vornherein blindheitsbedingte Aufwendungen nicht entstehen lässt, da der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden kann. Denn ein solcher Ausschluss ist, wie das BSG ausdrücklich formuliert hat und wie sich aus medizinischer, pflegerischer und realistischer Sichtweise ergibt, keineswegs ausschließlich bei dauernder Bewusstlosigkeit oder Koma möglich. Dies muss an dieser Stelle jedoch nicht vertieft werden, da vorliegend sogar eine solche Fallgestaltung gegeben ist.
Entsprechend der zutreffenden Annahme des SG und der Klägerseite besteht keine Nachweispflicht des Betroffenen, welche blindheitsbedingten Mehraufwendungen im Einzelnen entstanden sind. Dies folgt aus Sicht des Senats aufgrund der vom BSG vorgenommenen Beweislastverteilung, an die er sich gebunden fühlt (vgl. z.B. jüngst das Urteil des Senats vom 22.03.2022 - L 15 BL 12/20).
Vorliegend ist jedoch zur Überzeugung des Senats, die dieser aufgrund der plausiblen und fundierten medizinischen Befunde gewonnen hat, ausgeschlossen, dass ein blindheitsbedingter Mehraufwand bei dem Kläger im Hinblick auf sein schweres Behinderungsbild besteht, da der Kläger keine Mehraufwendungen haben kann, "die aufgrund der Unfähigkeit, selbst etwas in gleicher Weise zu tun, wie bei vorhandenem Sehvermögen, entstehen, so dass entweder die Tätigkeiten von Anderen ausgeführt werden müssen oder die Unterstützung durch Andere notwendig ist bzw. spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden müssen" (vgl. Braun, a.a.O., S. 97, mit Verweis auf Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S. 239).
Wie der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen hat, sind keinerlei Assistenzleistungen etc. - blindheitsbedingte Mehraufwendungen klassischen Sinn - beim Kläger denkbar. An dieser Stelle kann auf die überzeugenden Darlegungen des Beklagten in seinen Schriftsätzen vom 07.05.2019 und 22.02.2022 (s.o.) verwiesen werden.
a. Etwas anderes folgt vor allem auch nicht aus den Darlegungen der gemäß § 109 SGG beauftragten Sachverständigen L1 bzw. der Bevollmächtigten in ihrem oben genannten Schriftsatz.
Das Gutachten der Fachärztin ist in entscheidenden Teilen nicht überzeugend.
Grundsätzlich gilt bereits, dass L1 die Distanz einer gerichtlich bestellten Gutachterin fehlt. Dies wäre aber erforderlich dafür, dass das Gericht seine Überzeugung auf das Gutachten stützen könnte. Die ärztliche Sachverständige - auch die nach § 109 SGG beauftragte - muss bei der Untersuchung eines Probanden, anders als in der fürsorglichen Nähe eines behandelnden Arztes, diesem gegenüber die Distanz einer Gerichtsperson einnehmen (vgl. Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Auflage 2011, S. 23). Dies ist hier ganz offensichtlich nicht gegeben. Das Gutachten ist daher zur Überzeugungsbildung nicht geeignet. Dem stehen nicht nur grundlegende "Verdachtsmomente" entgegen, weil L1 die Behandlerin des Klägers und diesem wohl aufgrund langjährigen Kontakts verbunden ist, sondern weil sich in dem Gutachten gerade auch mehrere Anzeichen für mangelnde Distanz und Neutralität wiederfinden.
So hat die Fachärztin z.B. vorgeschlagen, es solle im Sinne des Klägers davon ausgegangen werden, dass seine Wahrnehmung um eine wesentliche Sinnesqualität reduziert sei, was durch die anderen Sinne nicht ausgeglichen werden könne, obwohl die Einschätzung, in welchem Ausmaß das Fehlen der Sinnesqualität Sehen für den Kläger relevant ist, nach ihren eigenen Angaben nicht sicher beurteilt werden kann: Für eine neutrale, den gerichtlichen Auftrag erfüllende Gutachtenserstellung hätte es beim Hinweis darauf bleiben müssen, dass auch Patienten in reaktionsloser Wachheit zu Wahrnehmungen fähig sind, die von Außenstehenden nicht unbedingt erkannt werden könnten. Auch der ausdrückliche Hinweis auf die Patienten als "lebende und empfindsame Menschen, deren Leben konsequent gefördert oder begleitet werden" müsse - völlig außer Zweifel stehende Tatsachen -, lässt die mangelnde Distanz erkennen. U.a. zeigt dies auch weiter die von L1 wohl vorgenommene "Beweislastverteilung", die sie zu der Feststellung veranlasst haben dürfte, es lasse sich nicht beweisen, dass das Fehlen des Sehens den Kläger nicht beeinträchtigt. Gleiches gilt, wenn die Gutachterin zwar feststellt, dass nicht beurteilbar sei, inwieweit der Kläger im Falle eines erhaltenen Sehvermögens tatsächlich anders mit seiner Umwelt in Kontakt treten könnte, dann aber vorschlägt, es sei "im Sinne des Klägers" anzuerkennen, dass ihm eine wesentliche Sinnesqualität abhandengekommen sei und es sollte "in seinem Sinne" davon ausgegangen werden, dass er bei Vorhandensein der Sinnesqualität Sehen über einen wesentlichen Kanal zur Wahrnehmung seiner Umwelt verfügen würde, was sich "möglicherweise" positiv auf seine Lebensqualität und seine Fähigkeit zur Kommunikation auswirken könnte. Schließlich zeigt auch allein die Formulierung, es "sollte" unabhängig vom Gesundheitszustand des Klägers die Blindheit als wesentliche Behinderung "vorbehaltlos anerkannt werden", dass Zweifel an der Neutralität der Gutachterin angebracht sind.
Vor allem aber überzeugen sowohl das Gutachten als auch die Argumentation der Klägerseite, die von Ersterem ja unterstützt wird, inhaltlich nicht.
Wie die gem. § 109 SGG beauftragte Sachverständige L1 selbst festgestellt hat, können Bedürfnisse oder Wahrnehmungen vom Kläger nicht anders als durch eine unwillkürliche Anpassung der Muskulatur angezeigt werden. Ebenso kann der Kläger nicht von sich aus erkennbaren Kontakt zur Umwelt aufnehmen. Von der Fähigkeit zu einer differenzierten Kommunikation ist der Kläger weit entfernt.
Aufgrund dieses Zustands kann der Senat mangels konkreter Darlegungen nicht nachvollziehen, weshalb die ihn Pflegenden Wege zu finden hätten, wie L1 geschrieben hat, das fehlende Sehen zu kompensieren. Diese hat ebenso wenig wie die Klägerseite darlegen können, weshalb es beim Kläger erheblich sei, ob er im Hinblick auf Aufwendungen sehe oder nicht. Dem o.g. jederzeit zuzustimmenden, aber pauschalen Ansatz, auch bei Wachkomapatienten handle es sich um empfindsame Menschen, deren Leben konsequent gefördert oder begleitet werden müsse, ist nichts in dieser Richtung Konkretes zu entnehmen. Der Senat kann auch nicht folgen, wenn angenommen wird, dass dem Kläger mit dem Verlust des Sehens eine wesentliche Möglichkeit fehle, mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten, weil dem Kläger in seinem Zustand diese Möglichkeit ohnehin verwehrt bleibt.
Letztlich bleiben die Annahmen von L1 bloße Spekulation, was die über den erkennbaren Bereich hinausgehenden Möglichkeiten betrifft. Es gibt keine belastbaren Hinweise auf eine bessere Situation des Klägers als von B festgestellt, insbesondere nicht auf ein erhaltenes Bewusstsein. Solche lassen sich den gesamten, sehr zahlreichen Unterlagen nicht entnehmen, obwohl gerade diese Frage Kernpunkt der Ermittlungen und Untersuchungen gewesen ist.
Zwar ist der Beklagte für die den Zweckverfehlungseinwand tragenden Sachverhaltsfeststellungen darlegungs- und beweispflichtig. Dies gilt nicht nur für die Möglichkeiten des Ausgleichs der Blindheit durch entsprechende Maßnahme etc., sondern gerade auch für die medizinischen Grundlagen, letztlich also für die dem Kläger verbliebenen Möglichkeiten. Die Feststellungen von L1 führen aber nicht zur berechtigten Annahme, es sei möglich, dass dem Kläger eine wesentliche Sinnesqualität "dergestalt abhandengekommen" wäre, so dass er bei Vorhandensein dieser Sinnesqualität über einen wesentlichen Kanal zur Wahrnehmung seiner Umwelt verfügen würde, was sich positiv auf seine Lebensqualität und seine Fähigkeit zur Kommunikation auswirken könnte (wie L1 ausdrücklich festgestellt hat). Es ist vom Senat vorliegend also keine Beweislastentscheidung zu treffen.
Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass es entgegen der Feststellung von L1 für den Kläger letztlich nicht darauf ankommt, ob er in seiner konkreten Situation - nicht wie von der Gutachterin allgemein für einen "Menschen in reaktionsloser Wachheit" festgestellt - sehen kann oder nicht. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger im Falle eines erhaltenen Sehvermögens nicht tatsächlich anders mit seiner Umwelt in Kontakt treten würde. Denn außer bloßen Vermutungen gibt es im Fall des Klägers - und nur hierauf kommt es im vorliegenden Verfahren an (somit nicht auf die allgemeine Problematik der begrenzten Diagnosemöglichkeiten von Menschen im Wachkoma) -, keinerlei Belege dafür, dass das Sehen dem Kläger eine Verbesserung seiner ohne jeden Zweifel tragischen Gesamtsituation bringen würde. Die bloß theoretische Möglichkeit, dass dies anders sein könnte, genügt insoweit nicht. Insoweit handelt es sich lediglich um bloße Restzweifel, die der Überzeugungsbildung des Senats nicht entgegenstehen. Mit anderen Worten es kann die allgemeine Problematik, dass "in ihrem Körper gefangene" Menschen im Syndrom reaktionsloser Wachheit unter Umständen doch unerkannt mehr von ihrer Umwelt mitbekommen könnten, nicht ausreichen, um der Annahme des Senats entgegenzustehen.
Im Übrigen würden einem solchen Ergebnis, dass also blindheitsbedingte Mehraufwendungen im Rahmen des Wachkomas doch entstehen könnten, auch die grundsätzlichen Annahmen des BSG in seinem Urteil vom 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) entgegenstehen. Dieses hat bekanntlich dort eindeutig geäußert, dass eine Zweckverfehlung hinsichtlich des Blindengelds dann vorliegt, wenn der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen (auch nicht anteilig) ausgeglichen werden kann (s.o.), was am ehesten auf generalisierte Leiden wie z.B. dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma zutreffen kann.
Dafür, dass gerade beim Kläger andere Möglichkeiten bestehen würden, gibt es keine Anhaltspunkte.
Im Übrigen geht auch aus dem Sachverständigengutachten von B für den Senat in jeder Hinsicht plausibel hervor, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem Kläger keine weiteren Möglichkeiten verblieben sind, als die von dem Sachverständigen ausführlich beschriebenen. Eine solche Darlegung der dem Kläger verbliebenen Möglichkeiten hätte B, der auf diesem Gebiet ein ausgewiesener Fachmann und Spezialist mit internationaler Anerkennung ist (s.o.), ohne Weiteres getroffen bzw. darauf hingewiesen, dass sie stets unter dem generellen Vorbehalt der Unsicherheit gewählten Methoden stehe.
Allein die Möglichkeit, dass aufgrund der von ihm selbst gesehenen, jedenfalls in Deutschland bestehenden Defizite in der Bewusstseinsforschung/-diagnostik auch im Fall des Klägers andere Ergebnisse denkbar sein könnten, begründet aber bloße theoretische Möglichkeiten bzw. unbedeutende Restzweifel im Sinne der obigen Rechtsprechung. Andernfalls müsste auch in methodischer Hinsicht davon ausgegangen werden, dass bei medizinisch anspruchsvolleren Problematiken niemals Gewissheit hergestellt werden könnte, weil (gegebenenfalls in der Zukunft) denkbare bessere Diagnosemöglichkeiten zu anderen Ergebnissen führen könnten. Dies wäre jedoch gewissermaßen das Ende jeder Überzeugungsbildung in medizinischer Hinsicht.
Weiter kann im Hinblick auf die schweren Beeinträchtigungen des Klägers die Schulung der anderen Sinne - obwohl Solches der Rechtsprechung des Senats im Grundsatz nicht entgegenstünde (vgl. jüngst das Urteil des Senats vom 22.03.2022 - L 15 BL 12/20) - zu keinem anzunehmenden blindheitsbedingten Mehraufwand führen. Entsprechendes gilt auch für die Annahme von L1, dass bei dem blinden Kläger "Wege gefunden werden müssten, das fehlende Sehen zu kompensieren". Davon abgesehen, dass aufgrund der pauschalen Angabe hier völlig offenbleibt, welche Aufwendungen hieraus erwachsen sollten - aus den Angaben sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich -, ist auch in keiner Weise aufgezeigt, auf welche Weise das fehlende Sehen kompensiert werden sollte bei dem Kläger, mit dem keine sinngebende Kommunikation möglich ist. Dass eine solche sinngebende Kommunikation unmöglich ist, steht außer jedem Zweifel. Dies ergibt sich nicht nur aus dem plausiblen Sachverständigengutachten von B, sondern wird auch von der auf Wunsch des Klägers gem. § 109 SGG beauftragten Ärztin L1 so bestätigt, die, wie mehrfach darauf hingewiesen, ebenfalls davon ausgeht, dass der Kläger nicht mit einer willkürlichen Aktion reagieren kann und nicht von sich aus (erkennbaren) Kontakt zur Umwelt aufzunehmen vermag.
Insbesondere genügt hier nicht die bei der Klägerseite bzw. auch bei L1 anklingende "Kommunikation auf niedrigstem Niveau" (s. u.a. die Schilderung vom 04.07.2019), die nicht als Kommunikation im eigentlichen Sinne bezeichnet werden kann. Dies folgt aus methodischen Erwägungen und rechtlichen Wertungen. Wie der Senat bereits im Einzelnen entschieden hat (Urteil vom 27.03.2014 - L 15 BL 5/11), sind bei der Beurteilung einer Wahrnehmungsmodalität nur die bewussten Funktionen des jeweiligen Sinnes relevant. "Die unbewussten Funktionen, die überwiegend auf der Ebene des Hirnstammes oder Rückenmarks verschaltet sind und ein funktionierendes Großhirn dabei nicht benötigen, lassen ... hinsichtlich der einzelnen Sinne keine Angaben zum Ausmaß möglicher Beeinträchtigungen zu. Daher lassen sich zum Beispiel mit sog. Startle-Reaktionen (im Sinne einer raschen, schützenden Reflexantwort der Muskulatur auf überraschende Reize) keine Anhaltspunkte für das Funktionieren eines Sinns finden; insbesondere kann eine "visuelle" Schreckreflexreaktion auch bei blinden Personen ausgelöst werden (vgl. hierzu die Entscheidungen des Senats vom 01.08.2006, Az.: L 15 BL 13/05, und vom 17.07.2012, Az.: L 15 BL 11/08). Startle-Reaktionen dürfen nicht als reizspezifische Antworten bzw. willkürliche motorische Reaktionen fehlgedeutet werden. Wie ebenfalls aufgrund der Darlegungen der vom Senat in dem o.g. Berufungsverfahren (Az.: L 15 BL 4/10) beauftragten neuropsychologischen / neurologischen Sachverständigen zur Überzeugung des Senats feststeht, umfasst Wahrnehmung nämlich alle Aktivitäten der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung, einschließlich der daran beteiligten kognitiven, motorischen und emotionalen Komponenten. Wahrnehmen und somit auch das Sehen findet nicht unabhängig von den anderen kognitiven Funktionssystemen (Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit etc.) statt, sondern "im Konzert" mit diesen" (a.a.O.; vgl. Braun/Zihl, MedSach 2015, 81 <83>).
Der Senat hat zudem ausdrücklich entschieden, dass diese (natur)wissen-schaftlich-methodischen Erwägungen gerade in Einklang mit der rechtlichen Wertung stehen, dass nämlich mit Blick auf die Zielsetzung des BayBlindG, blindheitsbedingte Mehraufwendungen auszugleichen, nur die Verhaltens- und Erlebnisebene beim betroffenen blinden Menschen relevant sein kann" (Urteil vom 27.03.2014 - L 15 BL 5/11).
b. Aus dem Vorgenannten ergibt sich damit bereits, dass die von der Klägerseite bzw. von L1 in ihrem Gutachten pauschal genannten Aufwendungen, die über den pflegerischen Aufwand hinausgehen, nicht zur Annahme blindheitsbedingten Mehraufwands führen können. Im Übrigen besteht wegen des schweren Behinderungsbilds des Klägers jedoch auch kein weiterer Mehraufwand, unabhängig davon, dass die Klägerseite einen solchen auch nicht geschildert hat, was zwar nicht von entscheidender Bedeutung, jedoch logische Konsequenz der schwersten Behinderung des Klägers ist und die Auffassung des Senats unterstreicht.
Weiterer blindheitsbedingter Mehraufwand besteht nicht. Mit Blick auf die Situation des Klägers wäre dabei z.B. an den erheblich erhöhten Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens zu denken. Wie der Senat jedoch bereits entschieden hat, stellen Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung und die damit verbundenen Hilfestellungen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar, weil es sich nicht um blindheitsspezifischen Mehraufwand - bzw. diesen allenfalls in ganz untergeordnetem Umfang - handelt (s.o.; vgl. näher das Urteil vom 12.11.2019 - L 15 BL 1/12).
Gleiches gilt für die sehr naheliegende erhebliche zeitintensive Beschäftigung mit dem Kläger. Dieser Bedarf ist, was sich auch in diesem Fall als offensichtlich darstellt, der allgemeinen Problematik der schwersten Beeinträchtigung des Klägers, nicht jedoch speziell seiner Blindheit geschuldet (vgl. hierzu z.B. das Urteil des Senats vom 10.12.2019 - L 15 BL 5/16). Zusätzliche abschätzbare, auch nur ansatzweise quantifizierbare Erschwernisse bei der Beschäftigung des Klägers kommen nicht hinzu und wurden im Verfahren von der Klägerseite auch nicht benannt. Dass der Kläger mit Blick auf sein Sehvermögen nicht in der Lage sein dürfte, zum Zeitvertreib Bilder, Filme oder Ähnliches anzusehen, ist dabei nicht von Relevanz, da dies wegen der geistigen Behinderung bzw. der nicht möglichen Inhaltserfassung keine oder jedenfalls nur eine äußerst untergeordnete Rolle spielen dürfte.
Auch die in anderen Verfahren thematisierte, durchaus nicht fernliegende Möglichkeit, dass für den Kläger eine externe Vorlesekraft tätig wird, die unter Umständen finanziellen Aufwand erzeugt, führt nicht zu blindheitsbedingten Mehraufwendungen. Denn wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 26.11.2019 - L 15 BL 2/19), ist der Einsatz einer Vorlesekraft zur Entlastung von Betreuungspersonen und zur direkten Betreuung des Betroffenen hinsichtlich jeder Behinderung und Erkrankung denkbar; somit könnte der Einwand der Zweckverfehlung nie erhoben werden. Zum anderen würde es sich hinsichtlich einer Vorlesekraft im vorliegenden Fall gerade nicht um blindheitsbedingten Mehrbedarf handeln, was auch allgemein im Falle ernsthaft erkrankter bzw. anderweitig behinderter Menschen gilt. Soweit es beim Vorlesen um die inhaltliche Wiedergabe des schriftlich Verfassten (z.B. "einer Geschichte") gehen sollte, wäre dieses beim Kläger nicht wegen der Sehbehinderung, sondern wegen der allgemeinen behinderungsbedingten Leseunfähigkeit erforderlich; die Wiedergabe des Verfassten spielt hier aber wohl ohnehin wegen der geistigen Behinderung der Klägerin bzw. der nicht möglichen Inhaltserfassung keine Rolle (siehe oben).
Der Zweckverfehlungseinwand kann auch nicht damit entkräftet werden, dass Maßnahmen zur Herstellung von Nähe oder Beruhigung etc. des Klägers - also z.B. um das Hören einer (vertrauten) Stimme zu ermöglichen - in Betracht kommen und fraglos sinnvoll und angezeigt sind. Dies reicht auch unter Berücksichtigung mangelnden Sehvermögens aber nicht aus (vgl. das genannte Urteil des Senats vom 26.11.2019). Wie der Senat früher bereits entschieden hat (Urteil vom 27.11.2013 - L 15 BL 4/12), stellen diese und andere denkbaren Maßnahmen nur des psychischen Beistands etc. keinen blindheitsbedingten Aufwand dar, da insoweit keine Betreuungsleistungen (im weiteren Sinn) betroffen sind. Schließlich gleicht auch die Herstellung von Nähe keine blindheitsspezifischen Nachteile aus (vgl. die therapeutisch empfohlene Ansprache etc. bewusstloser Menschen).
Für weitere Ermittlungen besteht keine Veranlassung und erst recht keine verfahrensrechtliche Pflicht. Zwar geht der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durchaus davon aus, dass grundsätzlich Bedarf besteht für eine weitere Aufklärung der dem Kläger exakt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, insbesondere im Bereich seiner Sinnesmodalitäten. Auch folgt der Senat den plausiblen Darlegungen von B in diesem Zusammenhang, dass die Bewusstseinsdiagnostik in Deutschland durchaus noch optimierungsfähig ist. Es steht jedoch zur Überzeugung des Senats fest, dass im Falle des Klägers in allererster Linie aufgrund seiner gesundheitlichen Situation und auch der zur Verfügung stehenden Bewusstseinsdiagnostik keine weiteren Möglichkeiten zu weiterer Aufklärung bestehen. Dies folgt aus den fundierten und nachvollziehbaren Darlegungen von B, der auf diesem Fachgebiet ein ausgewiesener Spezialist ist. Der Senat macht sich auch diese sachverständigen Feststellungen nach eigener Prüfung zu eigen. Im Übrigen bestätigt auch die gemäß § 109 SGG beauftragte Sachverständige L1, dass keine Möglichkeit besteht, ein eventuell vorhandenes Bewusstsein des Klägers mit apparativen Untersuchungen zu untersuchen.
Die Berufung hat somit keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten und auf Rücknahme des Ablehnungsbescheids. Die Berufung ist damit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).