L 5 KR 448/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 63 KR 306/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 448/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.05.2017 geändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.809,21 € festgesetzt.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin ist Trägerin des R-Hospitals in S, ein zugelassenes Plankrankenhaus. Dort befand sich die 1933 geborene bei der Beklagten krankenversicherte B (im Folgenden: Versicherte) in der Zeit vom 11. bis 15.06.2015 in stationärer Krankenhausbehandlung. Die Aufnahme erfolgte notfallmäßig wegen Dyspnoe bei bekannter 3-Gefäß-KHK und progredienter kardialer Dekompensation. Zur Behandlung wurde zunächst (erfolglos) eine diuretische Therapie und dann (ebenfalls erfolglos) am 14.06.2015 eine Punktion des Herzens durchgeführt. Die Versicherte verstarb am Nachmittag des 15.06.2015 in der Klinik.

Unter dem 07.09.2015 stellte die Klägerin der Beklagten für die Behandlung der Versicherten einen Betrag i.H.v. 6.020,82 € in Rechnung (Nummer 01), wobei sie als Hauptdiagnose I31.9 (Krankheit des Perikards, nicht näher bezeichnet) kodierte und die DRG F75A (andere Krankheiten des Kreislaufsystems mit äußerst schweren CC) in Ansatz brachte.

Die Beklagte beglich die Rechnung durch Zahlung am 21.09.2015 vollständig. Ferner beauftragte sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK) mit einer Teilprüfung der Abrechnung (Prüfauftrag: Korrektheit der Kodierung der Hauptdiagnose I31.9). Der MDK kam in seinem Gutachten vom 11.12.2015 zu der Einschätzung, anstelle der Hauptdiagnose I31.9 sei die Hauptdiagnose I50.01 (sekundäre Rechtsherzinsuffizienz) zu kodieren gewesen. Im Ergebnis resultiere daraus die DRG F62B (Herzinsuffizienz und Schock ohne äußerst schwere CC, ohne Dialyse oder komplizierende Diagnose). Daraus ergebe sich eine Überzahlung i.H.v. 3.106,55 €. Die Beklagte leitete das Ergebnis der MDK-Prüfung an die Klägerin weiter und verlangte die Erstattung dieses ihrer Ansicht nach zu Unrecht gezahlten Betrages.

Nach telefonischer Erörterung des MDK-Gutachtens mit der Beklagten erstellte die Klägerin unter dem 30.12.2015 eine Stornorechnung (Nummer 02) zu der Rechnung vom 07.09.2015 (Nummer 01), in der weiterhin ein Rechnungsbetrag i.H.v. 6.020,82 € ausgewiesen wurde. Mit Datum vom 04.01.2016 nahm die Klägerin dann eine „Endabrechnung“ (Nummer 03) vor, in der sie unter Kodierung der Hauptdiagnose I50.01 und weiterer Nebendiagnosen (R09.2 – Atemstillstand sowie N17.91 – akutes Nierenversagen, nicht näher bezeichnet) die DRG F62A mit einem Rechnungsbetrag von 4.723,48 € auswies.

Die Beklagte verrechnete im Januar 2016 einen Betrag i.H.v. 3.106,55 € gegen andere Forderungen der Klägerin, worüber sie diese informierte (Schreiben vom 07.01.2016). Die Verrechnung selber wurde in einem Zahlungsavis vom 15.01.2016 dokumentiert. Per Datenträgeraustausch teilte die Beklagte der Klägerin bereits am 11.01.2016 mit, dass die Korrekturrechnung (vom 04.01.2016 – Nummer 03) nicht akzeptiert werden könne, weil die Prüfung bereits abgeschlossen sei. Der Fall sei verrechnet worden.

Dagegen vertrat die Klägerin in einer E-Mail vom 02.02.2016 unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.11.2012 – B 3 KR 1/12 R die Auffassung, dass die Nachkodierung (hier durch die Rechnung vom 04.01.2016 – Nummer 03) innerhalb des auf die erste Abrechnung folgenden Kalenderjahres zulässig sei.

Die Beklagte verblieb bei ihrer Auffassung.

Am 10.03.2016 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben, mit der sie eine Hauptforderung i.H.v. 1.809,21 € eingeklagt hat (Differenz zwischen dem abschließend in Rechnung gestellten Betrag <4.723,48 €> abzüglich der Differenz zwischen dem ursprünglich in Rechnung gestellten Betrag <6.020,82 €> und dem von der Beklagten verrechneten Betrag <3.106,55 €>).

Sie hat die Auffassung vertreten, ausgehend von den Kodierrichtlinien (DKR D003i) sei bei unterstellter Hauptdiagnose I50.01 die (Nach-) Kodierung der Nebendiagnosen (R09.2 und N17.91) zulässig und demzufolge die Abrechnung der DRG F62A korrekt gewesen. Dem Pflegebericht lasse sich am 14.06.2015 eine die Kodierung des ICD R09.2 rechtfertigende mangelnde Sauerstoffsättigung entnehmen. Aus dem Verlegungsbericht ergebe sich ein akutes Nierenversagen.

Die Möglichkeit zur Nachkodierung werde durch § 7 Abs. 5 der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) nicht eingeschränkt. Dies stehe auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 18.07.2013 – B 3 KR 22/12 R Rn. 25 f., vom 13.11.2012 – B 1 KR 6/12 R und vom 22.11.2012 – B 3 KR 1/12 R), die bereits zum Zeitpunkt der Einführung der PrüfvV vorgelegen habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.806,21 € nebst Zinsen i.H.v. 2 % über dem Basiszinssatz seit dem 19.01.2016 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin habe fehlerhaft kodiert und auch noch falsch abgerechnet. In solchen Fällen sei eine Nachforderung ausgeschlossen (BSG, Urteile vom 08.09.2009 – B 1 KR 11/09 R und vom 17.12.2009 – B 3 KR 12/08 R). Nachberechnungen bzw. Korrekturen seien nicht möglich, weil der Prüfvorgang mit der Vorlage des Gutachtens zur stationären Leistung ende. Im Übrigen könnten nach § 7 Abs. 5 PrüfvV später eingehende Korrekturen oder Ergänzungen nicht mehr berücksichtigt werden, wenn der MDK die Begutachtung bereits abgeschlossen habe. Die Krankenhäuser seien nach der PrüfvV gehalten, möglichst zeitnah die einmalige Möglichkeit der Korrektur oder Ergänzung nutzen, um von einer sicheren Berücksichtigung durch den MDK ausgehen zu können.

Mit Urteil vom 24.05.2017 – dem Beklagtenbevollmächtigten zugestellt am 26.06.2017 – hat das Sozialgericht Dortmund der Klage stattgegeben:

Nach § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 S. 1 Nr. 1 KHEntgG stehe der Klägerin für die stationäre Behandlung der Versicherten ein Anspruch auf die mit Rechnung vom 04.01.2016 bezifferte Krankenhausvergütung grundsätzlich in voller Höhe von 4,723,48 € und damit hier in Höhe des noch offenen von der Klägerin geltend gemachten Teilbetrages von 1.806,21 € zu. Die Forderung sei zutreffend berechnet worden und nicht durch Erfüllung erloschen. Die Klägerin habe zwar eine Zahlung i.H.v. 6.020,82 € auf die zwischenzeitlich stornierte Rechnung vom 07.09.2015 erhalten. Die Beklagte habe jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Tilgungsbestimmung dahin gehend abgegeben, dass diese Zahlung auf die Rechnung vom 04.01.2016 verrechnet werden solle, sondern sie habe die Rechnung vom 04.01.2016 nicht akzeptiert und die Forderung bestritten. Die Klägerin könne volle Bezahlung aus der Rechnung vom 04.01.2016 verlangen. Darüber hinaus stünden ihr ggf. Forderungen aus den anderen unstreitigen Behandlungsfällen zu, gegen die die Beklagte ihren vermeintlichen Erstattungsanspruch verrechnet habe. Allerdings habe die Klägerin durch die Zahlung der Beklagten einen Betrag i.H.v. 6.020,82 € rechtsgrundlos erhalten und wäre hier ggf. einem entsprechenden Bereicherungsanspruch ausgesetzt. Der Anspruch sei auch nicht nach der PrüfvV nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen.

Dagegen richtet sich die am 04.07.2017 von der Beklagten eingelegte Berufung, die sie im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen stützt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.05.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat den Beteiligten seine Bedenken gegen die Auffassung des Sozialgerichts mitgeteilt, dass sich die Forderung aus der noch nicht beglichenen Korrekturrechnung zu dem Behandlungsfall der Versicherten ergeben könnte (Schreiben vom 22.12.2017). Maßgebend dürfe vielmehr die Hauptforderung sein, gegen die die Beklagte aufgerechnet habe. Die Klägerin hat daraufhin noch einmal den chronologischen Ablauf der Abrechnung des in Rede stehenden Behandlungsfalles aus ihrer Sicht dargestellt. Ferner hat sie eine Kopie des Sammelavis vom 15.01.2016 vorgelegt. Neue Gesichtspunkte ergäben sich im Übrigen nicht.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe:

A) Die zulässige Berufung ist begründet.

I. Gegenstand des Klage- und damit auch des Berufungsverfahrens ist die Frage, ob die Beklagte der Klägerin einen weiteren Betrag zur Vergütung der stationären Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 11. bis 15.06.2015 schuldet. Dabei steht ausgehend von dem insoweit eindeutigen Vorbringen der Klägerin im Klageverfahren allein die Vergütung dieses Behandlungsfalles im Raum. Es geht nicht um andere Vergütungsforderungen etwa aus den in dem Sammelavis vom 15.01.2016 genannten Behandlungsfällen, gegen die die Beklagte die Aufrechnung erklärt hat. Denn die Klägerin hat ihr Begehren auch nach dem rechtlichen Hinweis des Senats im Berufungsverfahren nicht entsprechend umgestellt oder nach Maßgabe des § 99 SGG zulässigerweise geändert.

II. Davon ausgehend ist das Begehren der Klägerin zwar als (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthaft und im Übrigen zulässig. Die Klage ist aber sowohl hinsichtlich der Haupt- als auch hinsichtlich der Nebenforderung unbegründet. Denn selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass die Vergütungsforderung aus dem Behandlungsfall der Versicherten – in der ursprünglich oder in der jetzt beanspruchten Höhe von 6.020,82 € bzw. 4.723,48 € – bestanden hat, steht einer Restforderung hieraus der Erfüllungseinwand entgegen.

Die Klägerin hat der Beklagten für den Behandlungsfall der Versicherten ursprünglich einen Betrag i.H.v. 6.020,82 € in Rechnung gestellt, den die Beklagte am 21.09.2015 beglichen hat. Dadurch ist die Erfüllungswirkung (§ 362 Abs. 1 BGB) eingetreten. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst aus den Akten ersichtlich, dass die Beklagte diese Zahlung nur vorläufig oder unter Vorbehalt vorgenommen hätte (vgl. zu dieser Möglichkeit im Einzelnen BSG, Urteil vom 30.06.2009 – B 1 KR 24/08 R Rn. 36 f.; LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 25.01.2017 – L 9 KR 164/14 Rn. 15). Allein die der Beklagten eingeräumte Möglichkeit, auch nach sofortiger Begleichung einer Krankenhausrechnung Beanstandungen sachlicher und rechnerischer Art geltend zu machen und Differenzbeträge ggf. zu verrechnen, führt nicht dazu, dass die Zahlung auch ohne ausdrückliche Erklärung als mit einem Vorbehalt versehen zu qualifizieren wäre (vgl. LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 17.12.2014 – L 9 KR 324/12 Rn. 13 m.w.N.). Ebenso fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das Schuldverhältnis nachträglich wiederaufgelebt wäre (dazu LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 25.01.2017 – L 9 KR 164/14 Rn. 16).

Der Auffassung des Sozialgerichts, eine Erfüllungswirkung sei nicht eingetreten, weil die Beklagte mit der Zahlung (am 21.09.2015) keine Tilgungsbestimmung für die am 04.01.2016 gestellte Rechnung verbunden habe, teilt der Senat nicht. Es ist zwar richtig, dass die Rechnung vom 04.01.2016 am 21.09.2015 noch nicht beglichen werden konnte, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte. Daraus ergibt sich aber noch nicht automatisch, dass die Klägerin – wie das Sozialgericht offenbar meint – ohne weiteres aus der nachträglich am 04.01.2016 erstellten Rechnung nochmals in Höhe des dort ausgewiesenen Betrages gegen die Beklagte vorgehen konnte. Durch die Zahlung am 21.09.2015 war auch insoweit schon Erfüllung eingetreten, weil sich die Erfüllungswirkung nicht auf eine Rechnung, sondern – wie sich schon aus dem Wortlaut des § 362 Abs. 1 BGB ergibt – auf das dahinter stehende Schuldverhältnis bzw. den materiell-rechtlichen Anspruch (§ 194 Abs. 1 BGB) bezieht (vgl. zu Einzelheiten z.B. Kerwer in jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, § 362 Rn. 1 ff. m.w.N.).

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der materiell-rechtliche Anspruch der Klägerin in Höhe des gezahlten Betrages (6.020,82 €) erfüllt ist und bleibt. Der Umstand, dass die Klägerin nachträglich noch weitere Rechnungen gestellt hat, ist insoweit nicht relevant. Dies gilt jedenfalls solange die Klägerin – wie hier – keine höhere Rechnung stellt und sich damit nicht eines Anspruches berühmt, der über den bereits gezahlten Betrag hinausgeht (vgl. zu einer solchen Konstellation vgl. SG Reutlingen, Urteil vom 08.11.2017 – S 1 KR 364/17).

B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

C) Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

D) Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 1. HS SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1, 47 Abs.1 GKG sowie § 202 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 2. HS ZPO.

 

 

Rechtskraft
Aus
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