Zur Frage des tatsächlichen Aufenthalts bei einem Wechsel ins betreute Wohnen im Zusammenhang mit § 98 Abs. 5 SGB XII
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. September 2021 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 11.973,45 € zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auf 11.973,45 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Sozialhilfeaufwendungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von 11.973,45 €, die der Kläger für R (nachfolgend: R) in dem Zeitraum 15. Oktober 2018 bis 31. Januar 2020 erbracht hat.
Die 1997 geborene R leidet nach der ärztlichen Bescheinigung der E vom 23. September 2018 an einer mittelgradigen Intelligenzminderung ohne oder mit geringfügiger Verhaltensstörung, einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Angst und depressiven Störung gemischt und einer ängstlichen Persönlichkeitsstörung. Auf der Grundlage dieser Diagnosen ging B in ihrer amtsärztlichen Stellungnahme (Landratsamt Z) vom 15. Oktober 2018 von einer geistigen und gleichzeitig seelischen Behinderung der R aus. R befinde sich in schwierigen und komplexen Familienverhältnissen. Es sei zwingend notwendig, dass R im Rahmen des Betreuten Wohnens oder in einem Wohnheim unterstützt werde, um weitere Übergriffe und Traumatisierungen aus der „persönlichen Urfamilie“ zu vermeiden.
Im Dezember 2017 wurde der Beklagte von einem Integrationsunternehmen, bei dem R eine Maßnahme des Jobcenters absolvierte, auf einen Eingliederungshilfebedarf (Aufnahme in einer Wohngruppe) hingewiesen. Einen entsprechenden schriftlichen Antrag stellte R im Januar 2018 beim Kläger. Im März 2018 fand zwischen dem Kläger und R ein Gespräch statt. Es ergab sich, dass sich R damals abwechselnd bei ihrer Mutter und einer Schwester in B (Zkreis) aufhielt und gelegentlich ihren in G (Landkreis S) lebenden Vater besuchte. Im Zusammenhang mit einer neuen Partnerschaft bestand der Wunsch der R, Abstand von ihrer Familie zu gewinnen und nach O zu ziehen. In dem am 16. September 2018 erstellten integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplan (IBRP) wurde ausgeführt, R wohne mit einem ihrer Brüder seit „Anfang August“ in der Wohnung ihres Vaters, der nach D verzogen sei. Die Finanzierung sei unklar. Sie wolle den Kontakt zur Familie möglichst weiter reduzieren; sie wolle nichts mit ihnen zu tun haben“. In einem „Zusatzbogen“ zum IBRP ist vermerkt, R „wohne seit Mitte August nach Konflikten mit der Mutter in der aktuell leer stehenden Mietwohnung ihres Vaters, der nach D gezogen sei; sie sei noch bei ihrer Mutter gemeldet“.
Gemäß dem Aktenvermerk des Klägers vom 30. September 2019 bestanden für R laut Einwohnermeldeauskunft folgende Meldeadressen: Bis 15. Dezember 2017 Hauptwohnsitz in B1 in der P-straße 15,vom 15. Dezember 2017 bis 25. April 2018 Hauptwohnsitz in B1, E-Straße 112, vom 25. April bis 22. November 2018 Hauptwohnsitz in B1, P-straße 15, vom 22. November 2018 bis aktuell Hauptwohnsitz in B2, S-straße 22 und vom 27. September 2018 bis aktuell Nebenwohnsitz in G, M-straße 38.
Durch den Verein für Gemeindenahe Psychiatrie in B2 begann am 15. Oktober 2018 die Betreuung der R. Ein „Probewohnen“ begann in einer Wohnung dieses Vereins am 22. Oktober 2018 (Wohnung in der S-straße 22 in B2); ein Umzug mit Begründung des Mietverhältnisses mit dem Verein begann am 22. November 2018. Die Betreuung durch diesen Verein endete mit dem 31. Januar 2020.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 2019 bewilligte der Kläger R Sozialhilfe für die begleitende Betreuung im ambulant betreuten Wohnen nach § 54 SGB XII i.V.m. § 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) durch den Verein für Gemeindenahe Psychiatrie vom 15. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2019. Gemäß § 43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) erfolgte die Gewährung der Leistungen vorläufig; ein Antrag auf Erstattung der Kosten sei beim zuständigen Leistungsträger – dem Beklagten – erfolgt. Mit weiterem Bewilligungsbescheid vom 9. Januar 2020 bewilligte der Kläger R die Übernahme der Kosten für das ambulant betreute Wohnen als Leistung zur sozialen Teilhabe nach § 102 SGB IV i.V.m. § 113 SGB IX für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2020, längstens jedoch für die Dauer der tatsächlichen Betreuung durch den Leistungserbringer – den Verein für Gemeindenahe Psychiatrie B2.
Ab 22. Januar 2020 erfolgte eine Leistungsgewährung an R in Form einer gemeinsamen Wohnform für Mütter und Kinder gemäß § 19 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Der Verein für Gemeindenahe Psychiatrie im Zkreis e.V. teilte mit Schreiben vom 17. Januar 2020 mit, dass das ambulant betreute Wohnen durch sie am 31. Januar 2020 beendet werde.
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2019 meldete der Kläger beim Beklagten einen Erstattungsanspruch gemäß § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zeit ab dem 15. Oktober 2018 an. R werde seit 15. Oktober 2018 im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens betreut. Zum Zeitpunkt der Antragstellung sei sie in B1 wohnhaft gewesen. Bereits im August 2018 sei sie jedoch nach G in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten verzogen. Gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII bestehe die örtliche Zuständigkeit des Beklagten. Gemäß § 98 Abs. 1 SGB XII richte sich ausgehend von der „unbetreuten“ Wohnsituation der R in G die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt von R Unmittelbar vor Beginn der Maßnahme im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens habe R diesen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt.
Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 15. Januar 2020 den Antrag auf Kostenerstattung ab. Von der ersten Kontaktaufnahme durch R am 20. Dezember 2017 habe es bis zum 3. Dezember 2019 gedauert, bis der Kläger eine schriftliche Kostenzusage für das ambulant betreute Wohnen erteilt habe. Bereits im März 2018 sei durch den Kläger die Einschätzung getroffen worden, dass bei R eine wesentliche Behinderung im seelischen Bereich vorliege. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum es von der Antragstellung am 25. Januar 2018 bis 23. Oktober 2018 gedauert habe, bis für R schließlich anerkannt worden sei, dass ein ambulant betreutes Wohnen die geeignete Leistung darstelle. Bis zur tatsächlichen schriftlichen Kostenzusage habe es weitere 14 Monate gedauert. Aus den gegebenen Tatsachen sei nicht ableitbar, dass R ihren gewöhnlichen Aufenthalt in B1 aufgegeben habe. Sie habe sich zum 27. September 2018 lediglich mit Nebenwohnsitz in G angemeldet. Bei einer zügigeren Bearbeitung und zeitnäheren Prüfung hätte bereits viel früher festgestellt werden können, dass bei R eine wesentliche Behinderung vorliege und somit hätte das beantragte ambulante betreute Wohnen bereits im Sommer starten können. Schließlich richte sich bei R die Zuständigkeit nicht nach dem tatsächlichen Aufenthalt; dieser richte sich bei § 98 Abs. 5 SGB XII nach dem gewöhnlichen Aufenthalt, der in B1 und damit im Zuständigkeitsbereich des Klägers gelegen habe.
Deswegen hat der Kläger am 15. Dezember 2020 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. R habe mit Schreiben vom 24. Januar 2018 einen Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für ein ambulant betreutes Wohnen gestellt; der Formularantrag sei am 8. Mai 2018 beim Kläger eingegangen. Zum damaligen Zeitpunkt habe R ihren gewöhnlichen Aufenthalt in B1 gehabt. Eine wesentliche Behinderung im Sinne des § 53 SGB XII habe vorgelegen. Dem IBRP vom 27. September 2018 sei zu entnehmen, dass R Anfang August 2018 in die leerstehende Mietwohnung ihres Vaters in G umgezogen sei. Die entsprechende polizeiliche Meldung beim Einwohnermeldeamt sei am 27. September 2018 erfolgt. Grund für den Umzug sei ein anhaltender massiver Konflikt mit der Mutter gewesen. Die Betreuung im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens habe am 15. Oktober 2018 begonnen. Bereits Anfang August 2018 sei R nach G verzogen. Vor Beginn der Maßnahme habe somit eine unbetreute Wohnsituation in G vorgelegen. Die „hypothetische“ Zuständigkeit für diesen Lebenssachverhalt richte sich gemäß § 98 Abs. 1 SGB XII nach dem tatsächlichen Aufenthalt. An diese Zuständigkeit knüpfe § 98 Abs. 5 SGB XII an. Es sei somit der Beklagte örtlich zuständig gewesen. Weder der Zeitpunkt der formalen Anmeldung bei der Stadt G noch die Tatsache, dass R weiterhin (zusätzlich) mit Hauptwohnsitz im Zkreis polizeilich gemeldet gewesen sei noch der Tag der Antragstellung seien für die örtliche Zuständigkeit ausschlaggebend.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Kläger habe für die Antragsbearbeitung rund zwei Jahre gebraucht. Der mit Bescheid vom 3. Dezember 2019 festgestellte Leistungsbedarf habe bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung und vor dem 29. September 2018 vorgelegen. Diese örtliche Zuständigkeit des Klägers könne nicht durch eine mehrjährige Bearbeitungszeit umgangen werden.
Mit Urteil vom 8. September 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, alle in Frage kommenden Rechtsgrundlagen für einen Erstattungsanspruch des Klägers setzten voraus, dass der Kläger für die Übernahme der Kosten nicht zuständig gewesen sei; dies sei jedoch nicht der Fall, der Kläger sei zuständig gewesen. Rechtsgrundlage der Zuständigkeitsabgrenzung sei § 98 Abs. 5 SGB XII. Danach sei für die Leistung in Form ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig gewesen sei oder gewesen wäre. Vorliegend sei für die vorzunehmende Zuständigkeitsabgrenzung auf die fiktive Leistungszuständigkeit unmittelbar vor Eintritt in die Wohnform abzustellen, da R im Vorfeld des ambulant betreuten Wohnens keine solchen Leistungen erhalten habe. Eintrittszeitpunkt im Sinne des § 98 Abs. 5 SGB XII sei der 15. Oktober 2018. Es stelle sich dann die Frage, ob die „unbetreute“ Zeit vom August 2018 bis 15. Oktober 2018 dazu führe, dass der Beklagte als zuständiger Träger anzusehen sei, da sich R vor Beginn der Betreuung in seinem Zuständigkeitsbereich aufgehalten habe oder ob die bis August 2018 gegebene Zuständigkeit des Klägers, aus dessen Zuständigkeitsbereich R gekommen sei, fortwirke. Es komme also darauf an, ob die eingetretene Verzögerung des Beginns des ambulant betreuten Wohnens im Zusammenspiel mit dem Aufenthaltswechsel der R einen Zuständigkeitsübergang vom Kläger auf den Beklagten mit sich bringe. Die Bedeutung derartiger Lücken, Unterbrechungen bzw. Verzögerungen bei gleichzeitigem Wechsel des Aufenthaltsorts werde in Rechtsprechung und Kommentarliteratur verschieden diskutiert. Einhellige Meinung sei, dass kurze Lücken unschädlich seien, d.h. dass ein nahtloser Übergang nicht zwingend sei. § 98 Abs. 5 SGB XII diene dem Schutz der Sozialhilfeträger am Ort derartiger Wohnmöglichkeiten bzw. Einrichtungen vor überproportionaler Belastung durch „Zuzügler“. Die Regelung verhindere ein gezieltes „Verschieben“ von teuren Leistungsfällen aus der eigenen örtlichen Zuständigkeit. Unproblematisch sei bei der Anwendung von § 98 Abs. 5 SGB XII der nahtlose Übergang oder der nahtlose Eintritt in das ambulant betreute Wohnen. Da jedoch ein nahtloser Übergang häufig aus rein praktischen und organisatorischen Gründen nicht zu bewerkstelligen sei, gebiete der Schutzzweck der Norm, nicht jede Lücke als relevante Unterbrechung bzw. Verzögerung anzusehen. Insbesondere dann nicht, wenn der Wechsel in das ambulant betreute Wohnen von Anfang klar auf der Hand gelegen habe. Andererseits gebiete der Schutzzweck des § 98 Abs. 5 SGB XII nicht, die Zuständigkeit des „Ursprungsozialhilfeträgers“ ohne Rücksicht auf die Dauer der Unterbrechung oder Verzögerung unbegrenzt aufrechtzuerhalten und zwar selbst dann nicht, wenn für die Dauer der Unterbrechung auch organisatorische Gründe etc. maßgeblich seien. Die Grundaussage des § 98 Abs. 1 SGB XII sei die Zuständigkeitsbestimmung anhand des aktuellen Aufenthalts und nicht die Zuständigkeitsbestimmung anhand der Herkunft. Für eine Abgrenzung relevanter Unterbrechungen oder Verzögerungen von nicht relevanten Unterbrechungen oder Verzögerungen böte sich die entsprechende Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII an, der bei der Aufnahme in eine stationäre Einrichtung auf die Zuständigkeit bis zu zwei Monaten vor der Aufnahme abstelle. Die Kammer gehe daher erst bei Zeiträumen von über zwei Monaten von einer zuständigkeitsrelevanten Unterbrechung oder Verzögerung aus. Unter Anwendung dieser Kriterien sei der Aufenthaltswechsel der R nach G nicht zuständigkeitsrelevant. Damit bleibe der Kläger trotz der eingetretenen Verzögerung des Beginns des ambulant betreuten Wohnens zuständig. Der Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels nach G stehe nicht genau fest. In den Akten sei von Anfang und Mitte August die Rede. Gleichzeitig sei bekannt, dass sich R schon zuvor immer wieder beim Vater aufgehalten habe. Daraus sei zu schließen, dass es nach dem dokumentierten Wechsel nach G jedenfalls nicht gleich zu einem „endgültigen“ Abbruch von Aufenthalten in B1 gekommen sei. Dafür sprächen die unklaren Angaben zum Beginn des Wechsels und der Umstand, dass erst zum 27. September 2018 ein Wohnsitz in G angemeldet worden sei, dazuhin nur noch ein Nebenwohnsitz bei Fortbestand des Hauptwohnsitzes in B1. Zudem habe ab August 2018 die Betreuung der R durch das Integrationsunternehmen und die Anbahnung des ambulant betreuten Wohnens (weiter) allein im Zuständigkeitsbereich des Klägers stattgefunden. In der Gesamtschau sei daher ein Verzögerungszeitraum von über zwei Monaten, in dem R die Anknüpfung an den Zkreis verloren hätte, nicht belegt.
Gegen das dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 17. September 2021 zugestellte Urteil hat er am 14. Oktober 2020 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung erhoben. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen zur Begründung der Klage. Für die Anwendung des § 98 SGB XII sei auf den 15. Oktober 2018 abzustellen, nachdem das ambulant betreute Wohnen an diesem Tag begonnen habe. Das Sozialgericht gehe erst bei Zeiträumen von über zwei Monaten von einer zuständigkeitsrelevanten Unterbrechung oder Verzögerung aus. Hierfür nehme das Sozialgericht eine entsprechende Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII vor, der bei der Aufnahme in eine stationäre Einrichtung auf die Zuständigkeit bis zu zwei Monaten vor der Aufnahme abstelle. Zur Frage der Anwendbarkeit des § 98 Abs. 2 SGB XII bei der Prüfung der Zuständigkeit für eine ambulante Maßnahme habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden, dass § 98 SGB XII schon tatbestandlich zwischen der Zuständigkeit in Fällen stationärer Unterbringung und in Fällen des ambulant betreuten Wohnens unterscheide. Für ambulante Betreuungen sei mit § 98 Abs. 5 SGB XII eine der Bestimmung für stationäre Leistungen vergleichbare Regelung getroffen worden. Eine analoge Anwendung des § 98 Abs. 2 SGB XII könne nur bei einer Regelungslücke erfolgen, an einer solchen fehle es jedoch. Grundsätzlich richte sich die örtliche Zuständigkeit gemäß § 98 Abs. 1 SGB XII nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort des Leistungsberechtigten. Die Bestimmung des § 98 Abs. 5 SGB XII verweise nicht auf die Abs. 1 und 2 des § 98 SGB XII, sondern sei von § 98 Abs. 2 SGB XII erkennbar abweichend formuliert. Eine analoge Anwendung des § 98 Abs. 2 SGB XII könne daher bei der Prüfung der Zuständigkeit für die Leistungsgewährung an R nicht erfolgen. Diese sei nach den vorliegenden Berichten aufgrund eines anhaltenden massiven Konflikts mit ihrer Mutter im August 2018 nach G (Kreis S) in die Wohnung ihres Vaters verzogen und habe dadurch ihren gewöhnlichen Aufenthalt am bisherigen Wohnort in B1 aufgegeben. Bereits davor im Rahmen ihrer Antragstellung habe R angegeben, dass sie ein neues Leben ohne ihre Familie beginnen wolle. Erst nach Beginn der Betreuung im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens sei ein Umzug in eine Wohngemeinschaft des Vereins für Gemeindenahe Psychiatrienach B2 erfolgt. Für die „unbetreute“ Wohnsituation vor Beginn der Maßnahme des ambulant betreuten Wohnens am 15. Oktober 2018 richte sich die „hypothetische“ Zuständigkeit gemäß § 98 Abs. 1 SGB XII nach dem tatsächlichen Aufenthalt, hier in G. An diese Zuständigkeit knüpfe sodann § 98 Abs. 5 SGB XII an. Bereits ab Anfang August 2018 habe sich R tatsächlich im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufgehalten und dort auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 8. September 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 11.973,45 € zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Akten der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte auf Grund der Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie bedurfte auch nicht der Zulassung, da der Kläger einen Erstattungsanspruch von 11.973,45 € und damit einen Betrag von mehr als 10.000,00 (vgl.§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) geltend gemacht hat.
Einer Beiladung der Leistungsempfängerin bedurfte es nicht.
Gemäß § 75 Abs. 2 1. Alternative SGG sind Dritte beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derartig beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Im Erstattungsstreit zwischen zwei Leistungsträgern bedarf es der Beiladung des Leistungsempfängers nur, wenn sich die Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X auf weitere Rechte des Leistungsempfängers auswirkt (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 1 KR 12/14 – Juris Rn. 9 m.w.N.). Hat der Berechtigte die Leistung aber bereits erhalten, kann er diese nicht noch einmal beanspruchen. Hat die Entscheidung über die Erstattungsforderung keine Auswirkung auf seine Rechtsposition, ist eine notwendige Beiladung nicht erforderlich. So liegt der Fall hier. Die Leistungsempfängerin hat von dem Kläger bereits Sozialhilfeleistungen erhalten und kann diese Leistungen – unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Erstattungsrechtsstreits – weder nochmals von den hier Beteiligten beanspruchen noch kommt in Betracht, dass sie dem Kläger die erbrachten Leistungen erstatten müsste. Vorliegend geht es lediglich noch um die Verteilung leistungsrechtlicher Verpflichtungen zwischen Leistungsträgern (vgl. auch BSG, Urteil vom 25. April 2013 – B 8 SO 6/12 R – juris Rn. 10).
Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist zulässig. Die richtige Klageart ist die allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG ohne vorherige Durchführung eines Vorverfahrens, weil aufgrund des zwischen den Beteiligten bestehenden Gleichordnungsverhältnisses ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert.
Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte war für die Erbringung der Leistungen, deren Erstattung der Kläger begehrt, zuständig. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ergibt sich aus §102 SGB X.
§ 16 Abs. 1 SGB IX scheidet als Anspruchsgrundlage aus.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX hat der Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe beantragt sind, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages festzustellen, ob er für die Leistung zuständig ist; stellt er seine Unzuständigkeit fest, hat er nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Träger zuzuleiten. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, hat der angegangene Träger gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX den Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen.
Aus den genannten Bestimmungen folgt nach der Rechtsprechung des BSG, dass der erstangegangene Träger, der den Antrag nicht nach den Vorgaben des § 14 Abs. 1 SGB IX weiterleitet, verpflichtet ist, Leistungen aufgrund aller Rechtsgrundlagen zu erbringen, die in der konkreten Bedarfssituation vorgesehen sind (BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 – B 10 SF 1/14 R – juris Rn. 15 m.w.N.).
Hat ein leistender Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 4 Leistungen erbracht, für die ein anderer Rehabilitationsträger insgesamt zuständig ist, erstattet der zuständige Rehabilitationsträger die Aufwendungen des leistenden Rehabilitationsträgers nach den für den leistenden Rehabilitationsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 16 Abs. 1 SGB IX). Sinn und Zweck dieser Regelungen ist die möglichst schnelle Leistungsgewährung durch den zuerst angegangenen Rehabilitationsträger gegenüber dem Leistungsberechtigten mit anschließendem Ausgleich der Kosten zwischen den Trägern (BSG, Urteil vom 10. Juli 2014, a.a.O.). Der Leistungsberechtigte soll keinem Zuständigkeitsstreit zwischen den Rehabilitationsträgern ausgesetzt werden. Dementsprechend regelt § 16 Abs. 1 SGB IX einen Erstattungsanspruch, wenn nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach §14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX festgestellt wird, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist. Dies setzt jedoch eine Bewilligung der Leistung nach § 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX durch einen zweitangegangenen Rehabilitationsträger voraus, an den der Antrag von dem sich selbst für unzuständig haltenden erstangegangenen Rehabilitationsträger weitergeleitet worden ist. Dieser ist dann – wie oben bereits ausgeführt – im (Außen-)Verhältnis zum Versicherten endgültig und umfassend leistungspflichtig, auch wenn er nach den geltenden Normen außerhalb des SGB IX nicht für die beanspruchte Rehabilitationsleistung des Versicherten zuständig ist.
Zwar handelt es sich bei den erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 19 Abs. 3, §§ 53 ff. SGB XII (a.F.) um Rehabilitationsleistungen im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Vorliegend war der Kläger aber der erstangegangene Leistungsträger im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und hat über die Leistungsbewilligung entschieden. Es fehlt also bereits an einer Weiterleitung des zunächst gestellten Antrags durch den erstangegangenen Träger und damit an einer in § 16 Abs. 1 SGB IX vorausgesetzten aufgedrängten Zuständigkeit (vgl. Ulrich in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 22).
Der geltend gemachte Erstattungsanspruch folgt hinsichtlich der geleisteten Eingliederungshilfe an R aus § 102 Abs. 1 SGB X. Hat ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig.
Vorliegend hat der Kläger die an R gewährte Eingliederungshilfe vorläufig erbracht. Eine vorläufige Leistungsgewährung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Leistungsträger zwar zunächst zur Leistung verpflichtet ist, wobei jedoch Unklarheit über die Zuständigkeit für die endgültige Leistungserbringung oder ein negativer Kompetenzkonflikt besteht. Dabei muss der Wille des die Erstattung begehrenden Leistungsträgers, im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen erkennbar sein (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juli 2014, a.a.O., Rn. 17 m.w.N.). Eine vorläufige Leistungsgewährung liegt nicht vor, wenn ein Träger der Sozialhilfe nach außen erkennbar Leistungen als eigene gewährt. Vorliegend hat der Kläger seinen Willen, die Leistungen vorläufig erbringen zu wollen, nach außen erkennbar erklärt. Der Kläger hat in seinem Bewilligungsbescheid vom 3. Dezember 2019 – gerichtet an die damalige Betreuerin von R – ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass gemäß § 43 SGB I die Gewährung der Leistung vorläufig erfolge und ein Antrag auf Erstattung der Kosten beim zuständigen Leistungsträger, dem Landkreis S, erfolgt sei. An der vorläufigen Leistungsgewährung im Sinne dieser Vorschrift ändert sich auch nichts durch den folgenden Bewilligungsbescheid des Klägers vom 9. Januar 2020, mit welchem Eingliederungshilfe für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2020 – tatsächlich dann nur erbracht für Januar 2020 – bewilligt wurde. Zwar fehlt in diesem Bewilligungsbescheid der Hinweis auf die vorläufige Leistungserbringung, wie sie noch im Bewilligungsbescheid vom 3. Dezember 2019 enthalten war. Allerdings hat sich an den Gesamtumständen zwischen den Beteiligten in dem sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis – der Kläger als Sozialhilfeträger, R als Hilfebedürftige und der Verein für Gemeindenahe Psychiatrie im Zkreis e.V. als Leistungserbringer nichts geändert. Gerade aus Sicht des Klägers wie R hatte sich zwischen dem Erlass des Bewilligungsbescheids vom 3. Dezember 2019 und Erlass des Bewilligungsbescheides vom 9. Januar 2020 – ca. ein Monat – keiner der die vorläufige Leistungserbringung begründende Umstände geändert, sodass R davon ausgehen musste, dass auch die mit Bewilligungsbescheid vom 9. Januar 2020 bewilligte Sozialhilfe nur vorläufigen Charakters war.
Der Beklagte war auch der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger, denn nicht der Kläger, sondern der Beklagte war für die Leistungserbringung im Innen- und Außenverhältnis zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bestimmt sich nach § 98 SGB XII. Nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Sonderregelungen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bestehen u.a. für Leistungen des ambulant betreuten Wohnens (§ 98 Abs. 5 SGB XII).
Nach § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ist für Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem 6. bis 8. Kapitel in Form ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Diese besondere Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII bezieht sich auf alle Sozialhilfeleistungen, die während des betreuten Wohnens zu erbringen sind, also nicht nur auf die Kosten für die hierauf gerichtete Eingliederungshilfe (BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 7/10 R -, juris Rn. 13).
Vorliegend war der Beklagte gemäß § 98 Abs. 5 SGB XII (in der bis 31. Dezember 2019 geltenden Fassung) für den gesamten Zeitraum, in dem R Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens erbracht wurde, nämlich vom 15. Oktober 2018 bis 31. Januar 2020, der örtlich zuständige Sozialhilfeträger, wobei diese Zuständigkeit gemäß § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB IX auch für den Leistungserbringungszeitraum Januar 2020 – seit 1. Januar 2020 ist das Recht der Eingliederungshilfe im Teil 2 des SGB IX geregelt – fortgilt.
Die vorgenannte besondere örtliche Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ist nur dann anzuwenden, wenn die genannten Hilfen in der Form einer „ambulanten betreuten Wohnmöglichkeit“ erbracht werden.
Der Begriff „betreute Wohnmöglichkeiten“ wird im Gesetz nicht näher definiert, hat sich allerdings über den Verweis in § 54 Abs. 1 SGB XII und § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX zu orientieren (BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 7/10 R -, juris Rn. 15). Die Eingrenzung der von dieser Leistungsform umfassten Hilfen hat deshalb in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfen zu erfolgen. Sinn der Betreuungsleistungen beim betreuten Wohnen ist die Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung (BSG, Urteil vom 25. August 2011, a.a.O.). Genau dem entspricht der im IBRP vom 16. September 2018 für R erstellte Betreuungsbedarf. Dieser wurde R ab 15. Oktober 2018 mit ersten Betreuungskontakten, ab 22. Oktober 2018 mit einem Probewohnen in einer Wohnung des Vereins für Gemeindenahe Psychiatrie im Zkreis e.V. und ab 22. Oktober 2018 in der gleichen Wohnung mit einem dauerhaften Mietverhältnis mit diesem Verein inForm des ambulanten betreuten Wohnens erbracht. In beiden Bewilligungsbescheiden des Klägers wurde R Eingliederungshilfe für behinderte Menschen als begleitende Betreuung im ambulant betreuten Wohnen bewilligt. Zwischen den Beteiligten ist auch nicht im Streit, dass R die Sozialhilfe nicht in Form des ambulant betreuten Wohnens gewährt worden wäre. Hier steht für den Senat fest, dass bezüglich der R gewährten Eingliederungshilfe die für ein betreutes Wohnen charakteristische Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung in der von der Leistungsberechtigten genutzten Wohnform unter Betreuung des Vereins für Gemeindenahe Psychiatrie im Zkreis e.V. maßgeblich war.
Damit steht für den Senat auch fest, dass R die Sozialhilfe sowohl dem Grund nach als auch in der Höhe rechtmäßig gewährt worden ist. Dies sehen die Beteiligten im Übrigen nicht anders.
Maßgeblich für die Bestimmung des örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers ist damit vorliegend die Sonderregelung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung, die dem Schutz der Leistungsorte dient, die Form eines betreuten Wohnens anbieten (BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 7/10 R -, juris Rn. 17). § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII setzt nicht voraus, dass vor Eintritt des Leistungsberechtigten in dieser Wohnform Sozialhilfe geleistet worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011, a.a.O.). Dies ergibt sich schon aus der Ergänzung des § 98 Abs. 5 SGB XII um die Formulierung „zuständig gewesen wäre“ mit Wirkung zum 7. Dezember 2006, unabhängig davon, ob es sich nur um eine Klarstellung des Gewollten (so BSG, a.a.O. unter Hinweis auf die entsprechende Begründung des Gesetzesentwurfs auf BT-Drucks. 16/2711, S. 13 zu Nr. 19) oder eine konstitutive Neuregelung gehandelt hat. Vielmehr ist bei fehlendem vorhergehendem Sozialhilfebezug gemäß § 98 Abs. 5 Satz 1 2. Alternative SGB XII darauf abzustellen, welcher Träger zuletzt hypothetisch zuständig gewesen wäre (BSG, Urteil vom 25. August 2011, a.a.O.; BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R -, Juris Rn. 14). Maßgeblich ist insoweit nur eine objektiv-rechtlich bestehende Zuständigkeit, nicht die irrtümlich angenommene. Für die (hypothetische) Zuständigkeitsbestimmung ist auf die Regelungen des § 98 Abs. 1 bis 4 SGB XII abzustellen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2017 – L 7 SO 2669/15 -, juris Rn. 39).
Entgegen der Auffassung des SG und des Beklagten ist für die Anwendung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII unerheblich, ob es – objektiv betrachtet – zu einer Verzögerung der Leistungsgewährung und des Eintritts in die ambulant betreute Wohnform gekommen ist, wer für diese Verzögerung – etwa der (ursprünglich) örtlich zuständig gewesene Leistungsträger - verantwortlich ist und wie lange diese eventuelle Verzögerung eines Eintritts in die ambulant betreute Wohnform verbunden mit der Leistungsgewährung gedauert hat. Die zum Zeitpunkt des Eintritts in diese Wohnform bestehende örtliche Zuständigkeit wird nicht dadurch beseitigt, dass ein früherer Zeitpunkt des Eintritts in diese Wohnform möglich gewesen wäre oder dass gegebenenfalls zu diesem früheren Zeitpunkt ein anderer Leistungsträger örtlich zuständig gewesen wäre. Für eine gegenteilige Auffassung fehlt es an einer Rechtsgrundlage. § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII stellt gerade nicht darauf ab, wer vor Beginn des Sozialhilfebezugs örtlich zuständig gewesen wäre, sondern auf den Zeitpunkt des Eintritts in diese Wohnform.
Keinen Raum sieht der Senat dabei für die Rechtsauffassung des SG, dass bezogen auf diesen Zeitpunkt des Eintritts in die ambulant betreute Wohnform entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ein Zweimonatszeitraum vor dem Eintrittszeitpunkt liegend herangezogen wird, verbunden mit der Fragestellung, ob es in diesem Zwei-Monats-Zeitraum zu einem sich auf die örtliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers auswirkenden Ortswechsel i. S. d. tatsächlichen Aufenthalts des Hilfebedürftigen gekommen ist. Auch unter Berücksichtigung des Zwecks von § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII kann eine entsprechende Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bei § 98 Abs. 5 Satz 1 SGBXII nicht erfolgen. Der Normzweck des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII allein rechtfertigt es nicht, losgelöst von seinem Wortlaut, wonach für die örtliche Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers auf den Zeitpunkt des Eintritts in die ambulant betreute Wohnform abgestellt wird, auf einen Zeitraum von zwei Monaten vor dem Zeitpunkt des Eintritts in diese Wohnform abzustellen. § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII legt fest, dass sich die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort des Leistungsberechtigten richtet. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass vor allem der ortsnahe Träger eine effektive und schnelle Beseitigung der gegenwärtigen Notlage ermöglichen kann. Davon abweichend regeln § 98 Abs. 2 SGB XII für Leistungen in stationären Einrichtungen sowie § 98 Abs. 5 SGB XII für Leistungen des Ambulant-Betreuten-Wohnens Sonderzuständigkeiten nach dem sogenannten Herkunftsprinzip. Damit stellt § 98 SGB XII selbst unterschiedliche Regelungen für die örtliche Zuständigkeit bei stationären Leistungsfällen und bei solchen des Ambulant-Betreuten-Wohnens auf. Anders als § 98 Abs. 4 SGB XII (für die örtliche Zuständigkeit bei Aufenthalt in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung) verweist § 98 Abs. 5 SGB XII nicht umfassend auf die Abs. 1 und 2 des § 98 SGB XII, sondern ist von § 98 Abs. 2 SGB XII erkennbar abweichend formuliert (so bereits BSG, Urteil vom 25. April 2013 – B 8 SO 6/12 R -, Juris Rn. 15). Eine vollständige Gleichstellung mit den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit für Einrichtungen hat der Gesetzgeber daher normintern gerade nicht gewählt.
Gemäß § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ist für die (hypothetische) Zuständigkeitsbestimmung abzustellen auf die Regelung des § 98 Abs. 1 bis 4 SGB XII, sodass für die örtliche Zuständigkeit beim ambulant betreuten Wohnen in Fällen ohne vorherige Betreuung auf § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zurückzugreifen ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 8/10 R -, juris Rn. 13; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. September 2018 – L 7 SO 3470/15 -, juris Rn. 47). Nach dieser Bestimmung ist für die Sozialhilfe örtlich zuständig der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufgehalten hat. Mit Beginn der Betreuung im Sinne des ambulant betreuten Wohnens am 15. Oktober 2018 bzw. mit Beginn des Probewohnens in einer Wohnung des Vereins für Gemeindenahe Psychiatrie im Zkreis e.V. hatte die R ihren tatsächlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Für den tatsächlichen Aufenthalt ist maßgeblich die physische Anwesenheit im räumlichen Bereich eines Hilfeträgers. Bei wechselnden tatsächlichen Aufenthalten ist die örtliche Zuständigkeit an den Ort zu knüpfen, der die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Leistungsberechtigten maßgeblich bestimmt und seinen Lebensmittelpunkt bildet (vgl. Deckers in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl., § 98 Rn. 9 m.w.N.). In Anwendung dessen geht der Senat davon aus, dass R ihren tatsächlichen Aufenthalt im Oktober 2018 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten hatte. Fest steht, dass R, die (ursprünglich) im Zuständigkeitsbereich des Klägers in B1 bei ihrer Mutter und einem Teil ihrer Geschwister lebte, im August 2018 in die durch den Wegzug ihres Vaters nach D frei gewordene Wohnung in G im Zuständigkeitsbereich des Beklagten umgezogen ist. Dort wohnte sie zusammen mit einem Bruder. Der Grund für diesen Umzug nach G war, dass es zwischen R und ihrer Mutter massive Konflikte gegeben hat. Die Absicht der R bestand darin, „unabhängig von der Familie zu wohnen“, da sie wegen“ anhaltender und massiver Konflikte“ nicht bei einem Elternteil wohnen konnte. R hatte die Absicht, „den Kontakt zur Familie möglichst weiter zu reduzieren; sie wollte nichts mehr mit der Familie zu tun haben“. Diese „Motivlage“ der R, die sie zum Umzug nach G im August 2018 bewogen hat, entnimmt der Senat insbesondere dem IBRP vom 16. September 2018. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass – wenn auch nicht auszuschließen ist, dass auch noch in dem Zeitraum nach Umzug nach G bis zum Eintritt in die ambulant betreute Wohnform Besuche der R bei ihrer Familie (Mutter) in B1 stattgefunden haben – R ihren persönlichen Lebensmittelpunkt in Trennung von ihrer Familie in G gefunden hatte. Damit war ein tatsächlicher Aufenthalt von R im Sinne von § 98 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 98 Abs. 5 SGBXII im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten vor Eintritt in die ambulant betreute Wohnform gegeben.
Der Beklagte ist auch sachlich zuständig gewesen.
Gemäß § 97 Abs. 1 SGB XII ist für die Sozialhilfe der örtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird nach Landesrecht bestimmt (§ 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Soweit Landesrecht keine Bestimmung enthält, ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe gemäß § 97 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den §§ 53 bis 60 SGB XII (a. F.) zuständig gewesen. Der Gesetzgeber des Landes Baden-Württemberg hat mit der Verwaltungsstrukturreform im Jahre 2004 die örtliche Zuständigkeit für die Sozialhilfe neu geregelt und vom überörtlichen Träger – den Landeswohlfahrtsverbänden – auf die örtlich zuständigen Stadt- und Landkreise übertragen (Art. 177 Verwaltungsstruktur-Reformgesetz [VRG] vom 1. Juli 2004, GBl. S. 469). Nach § 2 des Ausführungsgesetzes zum SGB XII (verkündet als Art. 122 VRG) sind die örtlichen Träger für die in § 8 SGB XII genannten Hilfen, darunter auch die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, sachlich zuständig (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2017 – L 7 SO 2669/15 – juris Rn. 34; Urteil des Senats vom 16. März 2016 – L 2 SO 67/14 – juris Rn. 33). Gem. § 94 Abs. 1 SGB IX i. V. m. § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes Baden-Württemberg vom 20. April 2018 ist der Beklagte auch ab 1. Januar 2020 als Träger der Eingliederungshilfe sachlich zuständig.
Der Erstattungsanspruch des Klägers ist auch im begehrten Umfang in Höhe von 11.973,45 € gegeben (vgl. § 102 Abs. 2 SGB X); in diesem Umfang hat der Kläger R Eingliederungshilfe in der Form des ambulant betreuten Wohnens gewährt. Dies wird vom Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.
Dem Erstattungsanspruch steht auch § 111 SGB X nicht entgegen.
Gemäß § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht hat. Diese Frist hat der Kläger mit in seinem Schreiben vom 3. Dezember 2019, mit dem er Kostenerstattung begehrt hat, gewahrt.
Dieses Schreiben des Klägers genügt auch inhaltlich den Anforderungen an ein „Geltendmachen“ im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Der Streitwert war entsprechend dem Erstattungsbegehren auf 11.973,45 € festzusetzen.