Zum Umfang der Mitwirkungspflichten im Bereich der Sozialhilfe (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung); Rechtmäßigkeit einer Versagungsentscheidung.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
T a t b e s t a n d :
Die Klage richtet sich gegen die Versagung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Die 1941 und 1948 geborenen Kläger sind ein Ehepaar. Sie leben (zusammen mit dem erwachsenen Sohn der Klägerin) zur Miete in einem Haus in O1.-Stadt im Landkreis T. und beziehen jeweils eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Am 05.11.2018 reichten sie einen Antrag auf (ergänzende) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beim Rentenversicherungsträger ein, der von diesem an den Beklagten weitergeleitet wurde. Mit Schreiben vom 12.11.2018 forderte der Beklagte diverse Angaben und Unterlagen von den Klägern an; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Blatt 10f der elektronischen Akte des Beklagten Bezug genommen. Da innerhalb der dort gesetzten Frist keine Reaktion der Kläger erfolgte, wies der Beklagte die Kläger mit Schreiben vom 18.12.2018 auf ihre Mitwirkungspflichten und auf die möglichen Folgen einer unterlassenen Mitwirkung hin und setzte eine erneute Frist bis zum 11.01.2019. Mit Schreiben vom 11.01.2019, eingegangen am 14.01.2019, wandte sich die Klägerin gegen die "pauschale Aufforderung zur Erteilung von Auskünften" und bat darum, diese auf den erforderlichen Umfang zu beschränken. Der Beklagte übersandte ein weiteres Informationsschreiben vom 06.02.2019 (mit Fristsetzung bis zum 22.02.2019) an die Kläger und erließ dann den Versagungsbescheid vom 05.03.2019. Aufgrund der fehlenden Angaben bzw. Unterlagen könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob und ggf. in welcher Höhe ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen bestehe. Die vollständige Versagung der Leistungen entspreche somit pflichtgemäßem Ermessen. Dieser Entscheidung widersprachen die Kläger mit am 08.04.2019 eingegangenem Schreiben. Mit Bescheid vom 15.05.2019, zugestellt am 17.05.2019, wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch zurück.
Dagegen richtet sich die am 17.06.2019 beim Sozialgericht München (SG) eingegangene Klage, zu deren Begründung die Kläger insbesondere vorgebracht haben, alle erforderlichen Auskünfte zum Antrag auf Grundsicherung seien erteilt worden. Es sei für sie nicht zu erkennen, welche Nachweise und Unterlagen, die für die Bewilligung der Sozialleistung notwendig wären, noch fehlten. Ohnehin sei der Antrag auf Grundsicherung nur deshalb gestellt worden, weil Unklarheiten hinsichtlich der Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung bestünden. Dies bedeutet für den Kläger eine Halbierung seiner Rente, weil rentenrechtliche Zeiten nicht anerkannt würden. Der Beklagte habe den Rentenversicherungsträger nicht über die Antragstellung auf Grundsicherung informiert. Dies müsse er jedoch tun, weil dann eine Kürzung der Rente unterbleiben würde und Sozialleistungen nicht mehr erforderlich wären.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Versagungsbescheid des Beklagten vom 05.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 15.05.2019 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zu den in der Klageschrift aufgeführten Problemen hinsichtlich der Beitragszahlung an die Krankenkasse lägen dem Beklagten keine Informationen vor. Sofern der Rentenversicherungsträger einen Teil der Rente abzweige, hätten die Betroffenen die Möglichkeit, sich an den zuständigen Sozialhilfeträger zu wenden, der dann zur Vorlage beim Rentenversicherungsträger eine Bescheinigung über den sozialhilferechtlich notwendigen Bedarf ausstellen könne. Eine solche Berechnung könne jedoch im Falle der Kläger aufgrund der fehlenden Angaben und Nachweise nicht erstellt werden.
Mit Beschluss vom 22.10.2019 hat das SG die Deutsche Rentenversicherung Bund zum Rechtsstreit beigeladen. Diese hat mit Schriftsätzen vom 29.10.2019 und vom 08.01.2020 zur Sache Stellung genommen; insoweit wird auf Blatt 23f, 40f der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Beschluss vom 24.01.2020 sind die Beteiligten vor den Güterichter verwiesen worden. In der Güteverhandlung am 13.10.2020 (S 17 SF 82/20 GR) ist ein gerichtlicher Vergleich geschlossen worden, durch den das Klageverfahren allerdings nicht erledigt werden konnte; insoweit wird auf Blatt 57ff der Gerichtsakte Bezug genommen. Bereits mit Schreiben vom 22.06.2020, beim Beklagten eingegangen am 30.07.2020, hatten die Kläger einen erneuten Leistungsantrag gestellt. Am 20.10.2020 haben die Kläger eine Vermögenserklärung sowie diverse weitere Unterlagen beim Beklagten eingereicht; insoweit wird auf Blatt 166ff der in Kopie vorgelegten elektronischen Akte des Beklagten Bezug genommen.
Mit am 01.12.2020 eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger eine Untätigkeitsklage erhoben; diese war unter dem Aktenzeichen S 48 SO 581/20 beim SG anhängig. Mit Beschluss vom 27.01.2021 (S 48 SO 7/21 ER) hat das SG den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Kläger ab dem 07.01.2021, vorläufig bis zum 30.06.2021, Leistungen der Grundsicherung in Höhe von 373,19 EUR monatlich zu gewähren; den Antrag der Klägerin hat es abgelehnt.
Dem Gericht lagen die Behördenakten des Beklagten bei seiner Entscheidung vor.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Das Gericht konnte auch in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Kläger mündlich verhandeln und entscheiden, da die Kläger in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurden (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2, § 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 126 Rn. 4).
Die als "reine" Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 (Alt. 1) SGG statthafte und auch sonst zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt (oder erhält), seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, so "kann" der Leistungsträger gem. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen (oder entziehen), soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies setzt allerdings gem. § 66 Abs. 3 SGB I voraus, dass der Antragsteller (bzw. Leistungsempfänger) auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Wird die Mitwirkung nachgeholt und liegen die Leistungsvoraussetzungen vor, so "kann" der Leistungsträger gem. § 67 SGB I Sozialleistungen, die er nach § 66 SGB I versagt hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen.
Vorliegend haben die Kläger ihre gesetzlichen Mitwirkungspflichten gem. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 3 SGB I verletzt, da sie es unterlassen haben, die mit Schreiben des Beklagten vom 12.11.2018 von ihnen geforderten Angaben und Unterlagen zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen beizubringen. Diese Angaben und Unterlagen waren (zu einem großen Teil) für die Entscheidung über die beantragte Leistung erheblich. Denn Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit §§ 41ff SGB XII nur solchen Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Höhe der monatlichen Geldleistung im Einzelfall (monatlicher Zahlungsanspruch) ergibt sich gem. § 43a Abs. 2 SGB XII aus dem Gesamtbedarf nach § 43a Abs. 1 SGB XII (zuzüglich Nachzahlungen und) abzüglich des nach § 43 Abs. 1 bis 4 SGB XII einzusetzenden Einkommens und Vermögens (sowie abzüglich von Aufrechnungen und Verrechnungen nach § 44b SGB XII).
Im Bereich der Sozialhilfe ist insbesondere eine Überprüfung von Kontenständen und -bewegungen durch den Leistungsträger vor der Entscheidung über eine erstmalige Bewilligung der Leistungen - auch ohne besondere Anhaltspunkte oder Verdachtsmomente - für einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten rückwirkend grundsätzlich zulässig. Die Obliegenheit zur Vorlage von Kontoauszügen ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB I und erstreckt sich auch auf Kontobewegungen, die in der Vergangenheit liegen (siehe Mrozynski in: Mrozynski, SGB I, Kommentar, 6. Aufl. 2019, § 60 Rn. 29). Auch die mit Schreiben vom 12.11.2018 verlangten Angaben zu den tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung (welche gem. § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SGB XII Bestandteil des zu berücksichtigenden Gesamtbedarfs sind) und zu eventuell vorhandenem Vermögen (insbesondere Lebens- oder Rentenversicherungen, Sparbücher, Kraftfahrzeuge) sind entscheidungserheblich; ihre Anforderung durch den Beklagten war somit zulässig. Die gesetzlichen Grenzen der Mitwirkung (§ 65 SGB I) wurden insoweit jeweils eingehalten.
Dahinstehen kann, ob die Anforderung sämtlicher im Schreiben vom 12.11.2018 genannter Angaben und Unterlagen entscheidungserheblich war, weil nicht jedes über das unbedingt notwendige Maß der Mitwirkung hinausgehende Mitwirkungsverlangen die Anforderung insgesamt rechtswidrig und somit unwirksam macht; allerdings rechtfertigt die Nichtvorlage von nicht entscheidungserheblichen Unterlagen für sich genommen (natürlich) eine Versagung von Leistungen nicht. Hier wurden jedoch, wie oben näher ausgeführt, diverse entscheidungserhebliche Unterlagen trotz entsprechender konkreter Anforderung nicht vorgelegt. Wie die Kläger nach dem oben Gesagten behaupten können, sie hätten nicht gewusst, welche Angaben und Unterlagen von ihnen gefordert würden, erschließt sich dem Gericht nicht.
Auch die Anforderungen des § 66 Abs. 3 SGB I sind erfüllt. Spätestens mit Schreiben vom 18.12.2018 wurde den Klägern ein konkreter fallbezogener Hinweis erteilt, wonach sie mit einer Versagung von Leistungen rechnen müssten, wenn sie die mit Schreiben vom 12.11.2018 angeforderten Unterlagen nicht vorlegten. Die dort gesetzte Frist (bis zum 11.01.2019) wurde mit dem weiteren Hinweisschreiben vom 06.02.2019 nochmals (bis zum 22.02.2019) verlängert. Zusätzlich wurde in diesem Schreiben nochmals erläutert, warum welche Angaben und Unterlagen von den Klägern gefordert wurden.
Die vom Beklagten im Versagungsbescheid vom 05.03.2019 getroffene Ermessensentscheidung gem. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I (im Sinne einer vollständigen Versagung von Leistungen) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Mitwirkungspflichten wurden bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2019 nicht erfüllt; dies ist der Zeitpunkt, bis zu dem eine Erfüllung dieser Pflichten (im Gegensatz zur Nachholung der Mitwirkung) noch möglich ist (siehe Mrozynski, a.a.O., § 66 SGB I, Rn. 26).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; das Klageverfahren ist gerichtskostenfrei (§ 183 SGG).