L 5 R 101/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 222/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 101/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 8/22 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

I.    Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. März 2019 werden zurückgewiesen.

II.    Die Beklagte hat der Klägerin für beide Instanzen die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.


Tatbestand
 

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente und Erstattung gewährter Leistungen in Höhe von 17.529,60 Euro.

Die Klägerin erhielt von der Beklagten ab dem 1. März 2005 (Ausgangsbescheid vom 18. Januar 2006) – jeweils zeitlich befristet – eine Erwerbsminderungsrente. In ihrem Rentenantrag, den Weiterbewilligungsanträgen sowie auf weiteren Formularen gab die Klägerin an, kein Beschäftigungsverhältnis zu haben bzw. keine selbständige Tätigkeit auszuüben.

Unter anderem bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 21. September 2006 der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Januar 2007 bis 30. September 2007 mit einem monatlichen Zahlbetrag von 549,10 Euro. Sodann bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit für die Zeit vom 1. Oktober 2007 bis 31. März 2010. Die monatliche Rente wurde festgesetzt mit einem Zahlbetrag von 552,04 Euro. Mit Bescheid vom 6. November 2008 stellte die Beklagte die Rente für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis 31. März 2010 mit einem monatlichen Zahlbetrag von 552,44 Euro (ab 1. Januar 2009) endgültig fest. Außerdem gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 2010 der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. April 2010 bis 30. April 2011, wobei sie verfügte, dass für die Berechnung der Rente der Bescheid vom 6. November 2018 gilt. 

Durch ein Schreiben der Polizeidirektion C-Stadt vom 5. Mai 2014 erhielt die Beklagte Kenntnis von einem laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen Betrugsverdachts. Darin heißt es, es bestehe zumindest der Anfangsverdacht, dass die Klägerin gewerbliche Einkünfte aus einem Sattel- und Reitsporthandel in den Jahren 2006 bis 2011 der Beklagten nicht mitgeteilt habe, obwohl sie in diesem Zeitraum auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen habe. Die Staatsanwaltschaft bitte um Klärung durch die Beklagte, ob die in der Anlage zu dem Schreiben aufgeführten Einkünfte (Umsatz von insges. 218.564,43 Euro; Gewinn von insges. 48.473,55 Euro) der Beklagten mitgeteilt worden seien. 

Daraufhin nahm die Beklagte ihre Ermittlungen auf.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 2. Juli 2014 (Az. 3 IK 79/14) wurde das Privatinsolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin am selben Tag eröffnet. Der Insolvenzbeschluss wurde am 31. August 2015 aufgehoben.

Ausweislich der Verwaltungsakte ging erstmals am 3. September 2015 bei der Beklagten eine Mitteilung betreffend das Privatinsolvenzverfahren ein. Mit an diesem Tag bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 31. August 2015 teilte der Rechtsanwalt und Notar von D. der Beklagten mit, das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin sei beendet. Sie befinde sich in der Wohlverhaltensperiode. Dem Schreiben war der Beschluss des Amtsgericht Eschwege vom 15. Juli 2015 beigefügt, wonach der Klägerin Restschuldbefreiung erteilt werde, wenn sie während der Laufzeit der Abtretungserklärung (Wohlverhaltensperiode) die Obliegenheiten gemäß § 295 Insolvenzordnung (InsO) erfülle und die Restschuldbefreiung nicht zuvor nach §§ 296 ff. InsO versagt werde. Zum Treuhänder werde Herr Rechtsanwalt von D. bestimmt. Die Laufzeit der Abtretung (Wohlverhaltensperiode) betrage 6 Jahre, beginnend mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2. Juli 2014. Die pfändbaren Forderungen der Klägerin auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge gingen nach Maßgabe der Abtretungserklärung auf den Treuhänder über.

Nach rechtskräftigem Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens vor dem Amtsgericht Eschwege, das die Klägerin durch Strafbefehl vom 13. Januar 2015 zu 90 Tagessätzen à 15 € verurteilte (wegen des Bezugs der Erwerbsminderungsrente ohne Mitteilung ihrer Einnahmen aus dem Reitsporthandel in der Zeit vom 21. Mai 2007 bis 31. März 2010), stellte die Beklagte eine Anfrage an das zuständige Finanzamt zu der konkreten Höhe der Einkünfte der Klägerin in den Jahren 2007 bis 2014. 
Das Finanzamt teilte mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 die jeweiligen gewerblichen Einkünfte der Klägerin mit (2007: 10.101 Euro; 2008: 13.508 Euro; 2009: 12.400 Euro; 2010: 7.027 Euro; 2011: 2.213 Euro; 2012: 0 Euro; 2013 und 2014: „steuerlich nicht geführt“). Die Höhe dieser Einkünfte ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.

In der Folge hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 4. Januar 2016 zu der beabsichtigten Aufhebung der Bewilligungsbescheide nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Jahre Januar 2007 bis Dezember 2010, das heißt des Bescheides vom 21. September 2006 für Januar bis September 2007, des Bescheides vom 24. August 2007 für Oktober 2007 bis März 2010 sowie des Bescheides vom 28. Januar 2010 für April bis Dezember 2010 und Rückforderung der Überzahlung in Höhe von 17.526,84 Euro an. 

Daraufhin wandte sich die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 20. Januar 2016 an die Beklagte. Das im Anhörungsschreiben beabsichtigte Vorgehen sei rechtswidrig. Bekanntermaßen sei mit Beschluss des Amtsgerichts Eschwege am 2. Juli 2014 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden, das mit Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 31. August 2015 rechtskräftig aufgehoben worden sei. Das Insolvenzverfahren sei der Beklagten auch bekannt gewesen. Der Insolvenzverwalter habe sich insoweit auch an sie gewandt. Bei den der Rückforderung zugrundeliegenden Forderungen handele es sich um Insolvenzforderungen. Gemäß § 87 InsO könnten Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dies erfolge im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens gemäß § 174 InsO dadurch, dass Forderungen beim Insolvenzverwalter anzumelden seien.

Mit Bescheid vom 6. April 2016 berechnete die Beklagte die bisherige Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Januar 2007 neu. Sie werde für die Zeit ab dem 1. Mai 2016 mit einem Zahlbetrag von 603,49 € laufend monatlich gezahlt. Für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 30. April 2016 ergebe sich eine Überzahlung von 17.529,60 €. In der Anlage „Weitere Bescheidaussagen“ heißt es, der Rentenbescheid vom 21. September 2006 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für die Monate Januar 2007 bis September 2007, der Bescheid vom 24. August 2007 für Oktober 2007 bis März 2010 sowie der Bescheid vom 28. Januar 2010 für April 2010 bis Dezember 2010 nach § 45 SGB X zurückgenommen. Die entstandene Überzahlung sei von der Klägerin nach § 50 SGB X dem Grunde nach zu erstatten. Die Rücknahme der Rentenbescheide sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sei zulässig, weil sich die Klägerin zum einen auf Vertrauen in den Bestand der Rentenbescheide nicht berufen könne (§ 45 Abs. 2 S. 3 SGB X) und zum anderen die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch die gebotene Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis. Im Rahmen der Anhörung habe die Klägerin nur darauf hingewiesen, dass wegen des Verbraucherinsolvenzverfahrens die Rückforderung der Leistungen nicht möglich sei. 

Dagegen legte die Klägerin am 28. April 2016 Widerspruch ein, soweit der Zeitraum vor dem 30. April 2016 und die Aufhebung der insoweit ergangenen Bescheide sowie das Erstattungsbegehren betroffen seien. Ihrer Auffassung nach bedürfe es im Hinblick auf den Bescheid vom 6. April 2016 insoweit noch nicht einmal eines Widerspruchs, da eine Forderung, die entgegen § 87 InsO geltend gemacht werde, nichtig sei.

Mit Schreiben vom 6. Mai 2016 teilte die Beklagte unter Bezugnahme auf den Widerspruch mit, dass es sich in der Tat bei der geltend gemachten Forderung um eine Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO handele, da die Forderung wegen überzahlter Rente einen Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffe. Das Insolvenzverfahren sei im vorliegenden Fall aber bereits rechtskräftig aufgehoben, so dass eine Anmeldung der Forderung im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht mehr erfolgen könne. Somit bestehe hinsichtlich der Forderung aus dem Bescheid vom 6. April 2016 bezogen auf das Insolvenz- bzw. Restschuldbefreiungsverfahren kein Handlungsbedarf. Eine Auswirkung auf das Aufhebungs- und Rückforderungsverfahren nach §§ 48, 50 SGB X ergebe sich nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dass der angefochtene Bescheid (erst) in der Wohlverhaltensphase des Insolvenzverfahrens erteilt worden sei, ändere nichts an der rechtlichen Beurteilung.

Dagegen erhob die Klägerin am 9. August 2016 Klage beim Sozialgericht Kassel. Die von der Beklagten zugrunde gelegten Einkünfte, die zur streitgegenständlichen Aufhebung und Rückforderung geführt hätten, seien unstreitig, ebenso wie die Berechnung des Rückforderungsbetrages. Der Bescheid vom 6. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2016 sei aber, soweit er die Aufhebung der Rentenbewilligung für den Zeitraum vor dem 30. April 2016 und die Erstattungsforderung betreffe, wegen des ab dem 2. Juli 2014 laufenden Verbraucherinsolvenzverfahrens rechtswidrig. Von diesem habe die Beklagte auch Kenntnis gehabt. Gleichwohl habe sie ihre Forderung nicht gemäß § 174 InsO zur Insolvenztabelle angemeldet. Bei dieser handele es sich um eine Insolvenzforderung. Insolvenzforderungen seien alle diejenigen Forderungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien. Dabei müssten die Insolvenzforderungen noch nicht einmal fällig sein, wie sich bereits aus § 41 InsO ergebe. Vielmehr sei es ausreichend, wenn die Forderung zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung „begründet“ sei, wozu es auch nicht notwendig sei, dass diese bereits vollständig entstanden sei. Vorliegend beziehe sich die Rückforderung evident auf Zeiträume, die vor der Insolvenzeröffnung lägen. Gemäß § 87 InsO könnten Insolvenzgläubiger ihre Insolvenzforderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. § 87 InsO treffe dabei insbesondere keine Unterscheidung zwischen privatrechtlichen, öffentlich-rechtlichen oder sonstigen Forderungen. Forderungen, die vor der Zeit der Insolvenzeröffnung entstanden seien, seien ausschließlich beim Insolvenzverwalter anzumelden. Dies sei unstreitig im vorliegenden Fall nicht geschehen, obwohl die Beklagte dazu ausreichend Zeit gehabt hätte. In diesem Zusammenhang verwies die Klägerin darauf, dass zwischen der Beklagten und der Staatsanwaltschaft Kassel diesbezüglich auch Korrespondenz erfolgt sei – sie bezog sich insoweit auf verschiedene Schreiben bezüglich der Fragestellung, ob vor dem Hintergrund der erzielten, aber nicht angegebenen Einkünfte die Erwerbsminderungsrente in der geschehenen Weise hätte gewährt werden dürfen. Daraus ergebe sich, dass die Beklagte seit Juli 2014 von der gesamten Situation Kenntnis gehabt habe. Sie habe mithin ausreichend Gelegenheit gehabt, ihre vermeintlichen Ansprüche den gesetzlichen Regeln entsprechend zu verfolgen. 

Die Beklagte machte dagegen geltend, sie habe die streitgegenständliche Forderung nicht mehr zur Tabelle anmelden können, weil der Bescheid vom 6. April 2016 erst nach Beendigung aller rentenrechtlich relevanten Ermittlungen und damit erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens habe erteilt werden können. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die „rechtswidrige“ Rentenzahlung durch die Bestandskraft des bisherigen Bescheides geschützt gewesen und habe nicht beseitigt werden können. Darauf komme es aber letztlich nicht an. Denn die Beklagte habe neben der insolvenzrechtlichen Möglichkeit der Durchsetzung einer Forderung auch noch die Möglichkeit, ihre Forderung mittels einer Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) außerhalb des Insolvenzverfahrens durchzusetzen. Denn in dem nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Bereich handele die Klägerin nicht als Insolvenzgläubigerin. Die insolvenzrechtlichen Vorschriften bezögen sich – nur – auf jene Vermögensgegenstände, die zur Insolvenzmasse zählten. Das Insolvenzverfahren erfasse das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehöre und das er während des Insolvenzverfahrens erlange (Insolvenzmasse). Hinsichtlich des insolvenzfreien Vermögens verbleibe es beim Verwaltungs- und Verfügungsrecht der Klägerin. 

Mit Urteil vom 21. März 2019 hob das Sozialgericht den Bescheid vom 6. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2016 insoweit auf, als hierin die Erstattung der Überzahlung in Höhe von 17.529,60 € gefordert wurde. Im Übrigen wies es die Klage ab. Der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsverfügung stehe nicht entgegen, dass über das Vermögen der Klägerin am 2. Juli 2014 ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden sei. Die Kammer schließe sich insoweit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt (vgl. Urteil vom 9. Oktober 2014, L 5 AS 673/13, juris) an, wonach zwischen der Aufhebungs- und der Erstattungsverfügung zu unterscheiden sei.

Die Beklagte sei durch die Vorschriften der InsO nicht gehindert gewesen, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Leistungsbewilligung nach § 45 SGB X aufzuheben. Dies gelte selbst dann, wenn die daraus entstehende Forderung als Insolvenzforderung anzusehen sei. Zwar könnten die Insolvenzgläubiger nach § 87 InsO ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Nach § 174 Abs. 1 Satz 1 InsO hätten die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen beim Insolvenzverwalter anzumelden. Diese Vorschriften hinderten die Leistungsträger jedoch nicht, einen Verwaltungsakt aufzuheben, mit dem einem Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Leistungen gewährt worden seien. Die Aufhebung sei ein rechtsgestaltender Akt, der den Erstattungsanspruch durch Beseitigung des Rechtsgrundes für die ursprüngliche Leistung erst entstehen lasse. Die Aufhebungsverfügung stelle als solche nicht die Verfolgung einer Forderung auf Befriedigung aus der Insolvenzmasse dar. Dass die verwaltungsverfahrensrechtliche Aufhebung eines Leistungsbescheides auch insolvenzrechtlich zulässig sei, ergebe sich schon daraus, dass anderenfalls ein gegenüber der Insolvenzmasse anzumeldender Rückforderungs- oder Erstattungsanspruch überhaupt nicht entstehen könnte. Eine der Anmeldung zugängliche Forderung sei nämlich bis zur Aufhebung der Leistungsbewilligung noch nicht existent, weil der Leistung der Rechtsgrund der ursprünglichen Bewilligung zugrunde liege. Die Aufhebung sei damit zwingende Voraussetzung für das Entstehen einer im Insolvenzverfahren berücksichtigungsfähigen Forderung.

Hingegen sei die Erstattungsentscheidung der Beklagten rechtswidrig und insoweit die Klage begründet. Rechtsgrundlage für das Erstattungsverlangen sei § 50 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SGB X. Zwar seien dessen Voraussetzungen aufgrund der Aufhebung der maßgeblichen Rentenbescheide für den Zeitraum Januar 2007 bis Dezember 2010 erfüllt. Die Beklagte sei jedoch nicht berechtigt gewesen, einen Erstattungsbescheid zu erlassen. Denn es handele sich vorliegend um eine Insolvenzforderung und die Beklagte habe keine Befugnis, eine solche durch Verwaltungsakt festzustellen.

Insolvenzgläubiger könnten ihre Forderungen nach § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Insolvenzforderungen seien nach Maßgabe der §§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle anzumelden. Diese Vorschriften enthielten nicht nur ein Vollstreckungsverbot. Sondern sie hinderten die Insolvenzgläubiger schon daran, sich außerhalb des Insolvenzverfahrens einen Titel wegen einer Insolvenzforderung zu verschaffen. Ein Leistungsträger habe deshalb keine Befugnis, zur Durchsetzung einer Insolvenzforderung einen Verwaltungsakt zu erlassen, mit dem eine Forderung festgestellt oder eine Erstattung verlangt werde (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2001, B 12 KR 32/00 R, juris Rnr. 14). Insolvenzforderungen seien vielmehr ohne vorherige Bescheiderteilung zur Insolvenztabelle anzumelden. Etwas anderes gelte nur dann, wenn es sich um Masseforderungen i.S.d. § 55 InsO handele. Der Leistungsträger dürfe eine Insolvenzforderung nach § 185 Satz 1 InsO erst dann durch Verwaltungsakt feststellen, wenn diese im Prüfungstermin bestritten worden sei. 

Eine Insolvenzforderung liege nach § 38 InsO vor, wenn – wie hier – zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein begründeter Vermögensanspruch gegen den Schuldner bestanden habe. Dies sei der Fall, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen worden sei (BGH, Beschluss vom 7. April 2005, IX ZB 129/03, juris Rnr. 15). Die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen bestimme sich danach, ob der den Anspruch begründende Tatbestand nach den Vorschriften des materiellen Rechts bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht worden sei. Bei öffentlich-rechtlichen Forderungen, die auf einer Rückabwicklung einer Leistungsbewilligung beruhten, sei die Forderung regelmäßig begründet, sobald die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufhebung des Verwaltungsakts vorlägen. Unerheblich sei, zu welchem Zeitpunkt der Aufhebungsbescheid bekannt gegeben worden sei. Hebe die Verwaltung nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einen Bescheid auf, mit dem für die Zeit vor der Verfahrenseröffnung Leistungen bewilligt und ausgezahlt wurden und fordere sie die Erstattung derselben, handele es sich damit um eine Insolvenzforderung (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2011, B 11 AL 22/19 R, juris Rnr. 13, 15 und 17; BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2003 - 3 C 21/02, juris Rnr. 15). 

Im Ergebnis sei die Beklagte gemessen an diesen Grundsätzen zum Erlass des Erstattungsbescheides nach Insolvenzeröffnung nicht mehr befugt gewesen. Über die von der Beklagten angeführte Möglichkeit der Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I außerhalb des Insolvenzverfahrens müsse vorliegend nicht entschieden werden, da durch die Beklagte eine Aufrechnung nie erklärt worden sei.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 27. März 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. April 2019 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Gleichfalls hat am 24. April 2019 auch die Beklagte gegen das ihr am 29. März 2019 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.

Die Klägerin macht geltend, nicht nur die im Bescheid vom 6. April 2016 enthaltene Erstattungsentscheidung sei rechtswidrig, sondern auch die Aufhebungsentscheidung. Richtig sei, dass sie Einkünfte erzielt habe, die sie der Beklagten gegenüber nicht angegeben habe und die auch dazu geführt hätten, dass Rentenleistungen nicht zu bewilligen gewesen wären. Ihr Vertrauen in den Behalt der erbrachten Leistungen sei entsprechend auch nicht im Sinne des § 45 Abs. 2 SGB X schutzwürdig. Die Beklagte habe aber die Jahresfrist für die Aufhebung gem. § 45 Abs. 4 SGB X versäumt. Sie habe nämlich bereits im Jahr 2014 (Mai) aufgrund des Strafverfahrens vollständig Kenntnis von den eine Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen gehabt. Auf subjektive Elemente komme es für die Rückforderung im vorliegenden Fall nicht an. Gleichwohl sei die Beklagte erst im Januar 2016 mit einer Anhörung tätig geworden und habe erst im April 2016 den Aufhebungsbescheid erlassen. Innerhalb der Jahresfrist habe die Beklagte auch keinerlei weitergehende und neue Erkenntnisse gesammelt, die sie erst in die Lage versetzt hätten, das Aufhebungs- und Erstattungsverfahren zu veranlassen. 

Im Übrigen werde auf das erstinstanzliche Vorbringen verwiesen. Es liege eine Insolvenzforderung vor, die nur nach den Regeln der InsO geltend gemacht werden könne. Ob die Beklagte von dem Insolvenzverfahren Kenntnis gehabt habe, spiele wie bei jedem anderen Insolvenzgläubiger keine Rolle. Im Übrigen sei auch für die Aufrechnung eines Sozialleistungsträgers nach § 51 Abs. 2 SGB I die Anmeldung der Forderung im Insolvenzverfahren zur Insolvenztabelle zwingend. Der Insolvenzverwalter prüfe dann die Forderung und stelle sie gegebenenfalls zur Insolvenztabelle fest. Der Auszug aus der Insolvenztabelle stelle einen Titel dar, der dann auch ohne Erstattungsbescheid die Grundlage einer etwaigen Aufrechnung sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. März 2019 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 6. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2016 insgesamt aufzuheben sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, 
hilfsweise die Revision zuzulassen. 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. März 2019 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen. 

Sie ist der Auffassung, dass sie sowohl einen Aufhebungs- als auch einen Erstattungsbescheid habe erteilen dürfen. Zur Begründung trägt sie nun vor, der festgestellte Erstattungsanspruch (§ 50 Abs. 1 SGB X) stelle keine Insolvenzforderung, sondern eine Neugläubigerforderung dar. Dies ergebe sich daraus, dass bei Erstattungsansprüchen wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen – anders als bei Beitragsansprüchen – ein Vermögensanspruch erst mit der Bekanntgabe des entsprechenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheides begründet werde. Erst dieser beseitige den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der ursprünglichen Leistung. Da der streitgegenständliche Bescheid am 6. April 2016 und damit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2. Juli 2014 ergangen sei, handele es sich bei der Erstattungsforderung um eine Neugläubigerforderung, auch wenn der Zeitraum der Überzahlung vor Insolvenzeröffnung liege. Diese Rechtsauffassung werde auch durch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 17. Dezember 2013, L 15 AS 376/10) sowie das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20. September 2017, L 4 R 186/17) vertreten. Die gegenteilige Auffassung, wonach es allein auf den Abschluss des die Rückforderung begründenden Tatbestandes vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ankomme, überzeuge dagegen nicht. Denn dann könnten Sozialleistungsträger ihre Forderungen insolvenzrechtlich nur verfolgen, wenn sie vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Lage wären, Bewilligungsbescheide unter Beachtung der sozialrechtlichen Bestimmungen aufzuheben, damit sie einen Vermögensanspruch gegenüber dem Schuldner erwerben. Das sei aber regelmäßig nicht möglich. Erlange ein Sozialleistungsträger erst nach Aufhebung eines Insolvenzverfahrens Kenntnis davon, dass eine Sozialleistung für Zeiten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu Unrecht bezogen worden sei und sehe er sich somit erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens veranlasst, einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zu erteilen, sei es folgerichtig, dass eine Insolvenzforderung auch erst mit der Erteilung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides entstehe. Andernfalls könnten in solchen Fällen die Sozialleistungsträger ihre Forderung weder durch Anmeldung zur Tabelle noch als Neugläubigerforderung geltend machen. Der Schuldner, der weder den Insolvenzverwalter noch den Sozialleistungsträger über seine, nicht selten in betrügerischer Weise erschlichene, zu Unrecht gezahlte Leistung informiert habe, würde hiervon profitieren. Dies könne seitens des Gesetzgebers, der den Sozialleistungsträgern selbst im Insolvenzverfahren eine Privilegierung nach § 51 Abs. 2 SGB I eingeräumt habe, nicht gewollt sein. Außerdem bestehe für einen Sozialleistungsträger im Unterschied zu anderen Gläubigern in Fällen, in denen er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch gar keine Kenntnis davon habe, dass er Leistungen zu Unrecht erbracht habe, keine Veranlassung, nach der Veröffentlichung des Eröffnungsbeschlusses eines Insolvenzverfahrens Ausschau zu halten. Deshalb müssten insoweit andere Regeln gelten. Weiter weist die Beklagte darauf hin, dass es diesbezüglich noch keine Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gebe. Soweit das Bundessozialgericht in seinen Entscheidungen ausführe, dass Insolvenzforderungen durch die Leistungsträger ohne vorherige Bescheiderteilung zur Insolvenztabelle anzumelden seien (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Mai 2001 – B 12 KR 32/00 R, juris Rnr. 14 zu Säumniszuschlägen), betreffe dies lediglich Verwaltungsakte, mit denen die Behörde Ansprüche gegenüber der Insolvenzmasse geltend mache oder feststelle. Für die hier zu beurteilende Zulässigkeit der Aufhebung von bewilligten Leistungen lasse sich daraus nichts ableiten.

Außerdem macht die Beklagte geltend, dass selbst dann, wenn es sich bei der Rückforderung um eine Insolvenzforderung handeln sollte, sie auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowohl einen Aufhebungs- als auch einen Erstattungsbescheid habe erteilen dürfen. Denn neben der insolvenzrechtlichen Möglichkeit der Durchsetzung von Forderungen hätten die Sozialleistungsträger die Möglichkeit, ihre Forderungen mittels einer Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I außerhalb des Insolvenzverfahrens durchzusetzen. Dies setze naturgemäß die Feststellung eines Anspruchs auf Erstattung von zu Unrecht erbrachten Leistungen (Aufhebungs- und Erstattungsbescheid) gegenüber dem Schuldner voraus. Daher stünden die Regelungen der Insolvenzordnung der Erteilung eines Erstattungsbescheides, der ausschließlich der Durchsetzung einer Forderung aus dem unpfändbaren, d.h. nicht von dem Insolvenzbeschlag erfassten Teil einer Rente dienen solle, nicht entgegen.

Schließlich sei auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bei Erteilung des Bescheides vom 6. April 2016 nicht verstrichen gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wie auch des Bundesverwaltungsgerichts könne die Jahresfrist erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen. Die Anhörung sei im vorliegenden Fall mit Schreiben von 4. Januar 2016 erfolgt. Sie sei im vorliegenden Fall insbesondere auch deshalb erforderlich gewesen, weil die Rücknahme der Rentenbescheide nur nach Maßgabe der § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3 SGB X unter Berücksichtigung subjektiver Komponenten zulässig gewesen sei. Es könne auch keine Rede von einer Verzögerung der Anhörung sein. Da die Beweislast für die Rechtswidrigkeit der in der Vergangenheit erteilten Rentenbescheide bei der Beklagten liege, sei eine Bescheidrücknahme erst nach gesicherter Kenntnis der Höhe der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit möglich gewesen. Dazu habe es der Ermittlungen beim Finanzamt bedurft, das mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 geantwortet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegte Rentenakte betreffend die Klägerin sowie die beigezogene Insolvenzakte des Amtsgerichts Eschwege (Az.: 3 IK 79/14) Bezug genommen. Deren Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Berufungen der Beteiligten sind zulässig (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG), aber sachlich unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. März 2019 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 6. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2016 (§ 95 SGG) ist rechtswidrig ergangen und beschwert die Klägerin daher im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, soweit die Überzahlung in Höhe von 17.529,60 Euro zurückgefordert wird. Im Übrigen ist der Bescheid aber nicht zu beanstanden.

Die mit dem streitgegenständlichen Bescheid erfolgte Rücknahme der ursprünglich für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2010 festgestellten Rentenhöhe ist rechtmäßig. 

Unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen ein nach Maßgabe von § 77 SGG in der Sache bindend gewordener Verwaltungsakt aufgehoben werden kann, ist in §§ 44 ff. SGB X geregelt. Vorliegend stützt die Beklagte ihre Aufhebungsentscheidung zurecht auf § 45 SGB X, da die Rentenbewilligung angesichts der von der Klägerin verschwiegenen Einkünfte von Anfang an rechtswidrig war. 

Das Verwaltungsverfahren ist ordnungsgemäß durchgeführt worden, auch wenn der Bescheid vom 6. November 2008 (endgültige Rentenfeststellung für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis 31. März 2010) nicht ausdrücklich zurückgenommen worden ist, sondern statt seiner die Bescheide vom 21. September 2006 und 24. August 2007. Denn die Klägerin als Adressatin des Bescheides vom 6. April 2016 durfte diesen unter verständiger Würdigung aller bekannten Umstände des Einzelfalls nach Treu und Glauben (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 29. Juni 1984, 12 RK 38/82, juris; BSG, Urteil vom 16. Mai 1985, 9b RU 48/82 = SozR 2200 § 622 Nr. 23) nur dahingehend verstehen, dass die Beklagte damit die ursprünglich für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2010 festgestellte Rentenhöhe wegen zunächst unberücksichtigt gebliebener Hinzuverdienste korrigiert hat. Diese Korrektur geht zweifelsfrei aus der Anlage „Weitere Bescheidaussagen“ hervor, die die Neuberechnung der Rente ab 1. Januar 2007 konkretisiert. Bei vernünftiger Betrachtung ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte bereits auf sonstige Weise erledigte und damit unwirksam gewordene Verwaltungsakte (§ 39 Abs. 2 SGB X) hat zurücknehmen wollen. Es liegt auf der Hand, dass es der Rücknahme unwirksamer Verwaltungsakte nicht bedarf, um eine Erstattung überzahlter Rentenleistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) feststellen zu können. Aufgrund derselben Erwägungen ist der Bescheid vom 6. April 2016 auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit (§ 33 Abs. 1 SGB X) zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 2013, B 4 AS 89/12 R, juris Rnr. 15 f.).

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist - auch nachdem er unanfechtbar geworden ist - nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein solcher Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Versicherte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte unter anderem nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X). Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird der Verwaltungsakt (nur) in den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 und des Absatzes 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss den Verwaltungsakt innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, die die Zurücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes rechtfertigen, zurücknehmen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X).

Die Voraussetzungen des § 45 SGB X, insbesondere auch des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X, sind im Falle der Klägerin erfüllt, so dass die Rentenbewilligungsbescheide für die Vergangenheit zurückzunehmen waren. Sie hat vorsätzlich ihre Einnahmen aus dem Reitsporthandel verschwiegen, was auch zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hat. Ihr Vertrauen in den Bestand der Rentenbewilligungsbescheide war nicht schutzwürdig. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und wird insbesondere auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist aber auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten worden. Nach dieser Vorschrift muss die Behörde bei einer Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit den Verwaltungsakt innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen aufheben, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Von einer umfassenden Kenntnis der Behörde von den für eine Rücknahme erforderlichen Tatsachen kann grundsätzlich erst nach Abschluss der gebotenen Ermittlungen zur Einsichtsfähigkeit des Begünstigten ausgegangen werden. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X kann daher regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen (BSG, Urteil vom 27. Juli 2000, B 7 AL 88/99 R, juris Rnr. 24; LSG Hamburg, Urteil vom 28. April 2021, L 3 R 4/20, juris Rnr. 42; Padé, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 45 SGB X (Stand: 08.06.2020), Rnr. 112). Gerade im vorliegenden Fall, in dem wegen des Bezugs der Erwerbsminderungsrente unter Verschweigen des Einkommens aus dem Reitsporthandel ein Strafverfahren lief, war es auch insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den Ausgang dieses Verfahrens zunächst abgewartet, dann die notwendigen sozialrechtlichen Ermittlungen angestellt und nach deren Abschluss – Mitteilung des Finanzamts vom 1. Dezember 2015 – die Klägerin mit Schreiben vom 4. Januar 2016 zu der beabsichtigten Rücknahme der Bewilligungsbescheide und Rückforderung der Rentenleistungen angehört hat. Ergänzend sei angemerkt, dass die Beklagte nach der Aktenlage von dem Insolvenzverfahren vor dessen Aufhebung keine Kenntnis hatte. Entgegen dem Vortrag der Klägerin hatte sich der Insolvenzverwalter seinerzeit nicht an die Beklagte gewandt und zur Anmeldung ihrer Forderung zur Insolvenztabelle aufgefordert. Das erste aktenkundige Schreiben des Insolvenzverwalters datiert vom 31. August 2015 (eingegangen bei der Beklagten am 3. September 2015) und enthält die Mitteilung über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Im Ergebnis ist jedenfalls die Jahresfrist eingehalten.

Der streitgegenständlichen Rücknahme der Rentenbewilligungsbescheide stehen auch nicht die Regelungen des Insolvenzverfahrensrechts entgegen. Zwar ist der Bescheid vom 6. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2016 nach Eröffnung (und sogar nach Aufhebung) des Insolvenzverfahrens (während der Wohlverhaltensphase) ergangen. Das Sozialgericht hat aber zurecht ausgeführt, dass die Aufhebung bzw. Rücknahme einer Leistungsbewilligung nach Verfahrenseröffnung – anders als der Erstattungsbescheid – auch dann zulässig ist, wenn sie eine Insolvenzforderung betrifft (so etwa LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. April 2013, L 5 AS 673/13). Dies folgt daraus, dass die Aufhebung zwingende Voraussetzung für das Entstehen der Erstattungsforderung ist, die im Insolvenzverfahren angemeldet wird bzw. angemeldet werde kann. Ohne Aufhebung der Leistungsbewilligung, die bis zu ihrer Rücknahme den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung darstellt, könnte die Erstattungsforderung andernfalls von vornherein im Insolvenzverfahren nicht berücksichtigt werden (dazu etwa Rein, NJW-Spezial 2020, S. 661).

Demgegenüber ist der angegriffene Bescheid der Beklagten insoweit rechtswidrig, als darin neben der Rücknahme der ursprünglich festgestellten Rentenhöhe auch ein Erstattungsverlangen geregelt ist. 

Bei dem streitgegenständlichen Erstattungsbegehren handelt es sich um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO. Eine solche ist gegeben, wenn der Anspruch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens „begründet“ war. Das bedeutet nicht, dass die Forderung bereits durchsetzbar gewesen sein muss, wie sich aus §§ 41, 191 InsO ergibt. Erforderlich ist nur, dass vor Insolvenzeröffnung die Grundlage des Schuldverhältnisses besteht, aus dem sich der Anspruch ergibt. Deshalb gewähren künftige Ansprüche, bei denen erst ein sogenannter „Rechtsboden“ besteht, keine Insolvenzforderung. Nach Eröffnung „begründete“ Ansprüche sind sog. Neuforderungen (HK-InsO-Eickmann, 4. Aufl., 2005, § 38 Rn. 16).

Im vorliegenden Fall war die Forderung auf Rückzahlung der bewilligten Rente zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in diesem Sinne bereits begründet. Auch wenn der Bescheid vom 6. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2016 erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (am 2. Juli 2014) ergangen ist, gründet die Rückzahlungsverpflichtung wegen der rechtswidrigen Rentengewährung aus dem Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2010 und damit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Zwar weist die Beklagte zurecht darauf hin, dass der Rückforderungsanspruch erst mit der Aufhebung der Leistungsbewilligung und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, ist von einer Anspruchsbegründung im Sinne des § 38 InsO aber bereits dann auszugehen, wenn der Rechtsgrund für das Entstehen des Anspruchs – hier also die rechtswidrige Leistungsgewährung – bereits vor Insolvenzeröffnung gelegt war (BSG, Urteil vom 17. Mai 2001, B 12 KR 32/00 R, juris). Das Bundessozialgericht führt in einem auf Säumniszuschläge bezogenen Verfahren ausdrücklich aus: „Die Feststellung von Säumniszuschlägen als Konkursforderungen ist nicht nach § 3 Abs. 1 KO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind Konkursgläubiger alle persönlichen Gläubiger, welche einen zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens begründeten Vermögensanspruch an den Gemeinschuldner haben. Begründet i.S. dieser Vorschrift ist ein Anspruch, wenn der Rechtsgrund für sein Entstehen bereits vor Konkurseröffnung gelegt war, mag die Forderung auch erst nach Konkurseröffnung entstehen (vgl Kilger/Schmidt, Konkursordnung, 16. Aufl, § 3 RdNr 4). Dies trifft für Säumniszuschläge zu.“ (BSG, a.a.O., juris Rnr. 21). Diese Entscheidung, die auch von der Beklagten in Bezug genommen wird, bezieht sich entgegen der Darstellung der Beklagten ganz offensichtlich und ausdrücklich nicht auf Masse-, sondern auf Insolvenzforderungen, und ist auch im Nachgang durch das BSG nochmals bestätigt worden (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003, B 11 AL 37/03 R, juris Rnr. 17; vgl. zur Rechtsprechung des BSG auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. März 2003, L 8 AL 278/02, juris Rnr. 19). Soweit die Beklagte unter Hinweis auf die von ihr in Bezug genommene Rechtsprechung davon ausgeht, dass eine Insolvenzforderung erst begründet ist, wenn dem Schuldner der die Leistungsbewilligung aufhebende Verwaltungsakt bekanntgegeben ist, kann dieser Auffassung bzw. dieser Rechtsprechung schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sie sich mit der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht auseinandersetzt. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist auch allein überzeugend, da sie sich in das Gesamtrechtssystem und insbesondere die Grundsätze des Insolvenzrechts einfügt. Das Insolvenzrecht selbst sieht keine Privilegierung der öffentlichen Hand vor – eine Privilegierung ergibt sich allein aus der Aufrechnungsmöglichkeit nach § 51 SGB I, die aber nur das nicht dem Insolvenzverfahren bzw. Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen betrifft. Im Rahmen des Insolvenzrechts gilt generell, dass eine Insolvenzforderung dann vorliegt, wenn der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung vor Verfahrenseröffnung bereits gelegt war (MünchKommInsO-Ehricke, 3. Aufl. 2013, § 38 Rn. 16 m. w. N.). Dies gilt für privat- und öffentlich-rechtliche Forderungen gleichermaßen und ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, durch das möglichst weitgehende Erfassen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegender Lebenssachverhalte dem Insolvenzschuldner unter den gesetzlich geregelten Voraussetzungen einen weitgehenden wirtschaftlichen „Neustart“ zu ermöglichen. Würde man der Rechtsauffassung der Beklagten folgen, ergäbe sich eine nicht zu rechtfertigende und mangels erkennbarer Sonderregeln durch den Gesetzgeber auch nicht beabsichtigte Privilegierung der öffentlichen Hand dahingehend, dass diese viel weitergehend als privatrechtliche Gläubiger ihre Forderungen trotz der Durchführung eines Insolvenzverfahrens durchsetzen könnte. Dies wäre ganz offensichtlich nicht systemgerecht. Stattdessen kommt dem Insolvenzrecht ein die übrige Rechtsordnung überlagernder Vorrang zu, der auch in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts anerkannt wird. Entsprechend wird etwa eine Steuerforderung als eine Fallgruppe öffentlich-rechtlicher Forderungen dann als Insolvenzforderung mit den entsprechenden Folgen für ihre Durchsetzbarkeit angesehen, wenn der zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung der Steuerforderung führt, vor Verfahrenseröffnung verwirklicht worden ist (BFH, Urteil vom 21. September 1993, NJW 1995, 80; BFH, Beschluss vom 13. November 2002, NZI 2003, 169). Nach denselben Grundsätzen wird etwa auch der Anspruch auf Rückzahlung überzahlten Elterngeldes beurteilt (dazu Busch, Anm. zum Urteil des SG München vom 25. Februar 2014, S 33 EG 54/12, VuR 2014, S. 477, 479). Basiert dieser auf vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzieltem Einkommen, stellt dies den abgrenzungsrelevanten Sachverhalt dar und handelt es sich folglich bei der Rückforderung um eine Insolvenzforderung. Der Zeitpunkt, in dem die öffentlich-rechtliche Forderung entsteht, für den das Fachrecht maßgeblich ist, ist insofern unerheblich (Busch, Anm. zum Urteil des SG München vom 25. Februar 2014, S 33 EG 54/12, VuR 2014, S. 477, 479). In diese Grundsätze fügt sich beispielsweise auch die Rechtsprechung zu Ansprüchen der Staatskasse auf Rückzahlung von Prozesskostenhilfe ein. Bei einer ratenfreien Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und späterer Auferlegung von Raten (nach Verfahrenseröffnung) handelt es sich bei der Ratenforderung um eine Insolvenzforderung, weil der Anspruch auf Ratenzahlung bereits mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe dem Grunde nach vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden war (OLG Bamberg, Beschluss vom 24. November 2003, 2 WF 163/03, juris Rnr. 2; Busch, Anm. zum Urteil des SG München vom 25. Februar 2014, S 33 EG 54/12, VuR 2014, S. 477, 479).

Im Ergebnis hat das die übrigen Rechtsgebiete überlagernde Insolvenzrecht (vgl. dazu BFH, Beschluss vom 13. November 2002, I B 147/02, juris Rnr. 14) für das öffentliche Recht – wie für alle anderen auch – zur Folge, dass Rückforderungen, die auf Sachverhalten vor Verfahrenseröffnung beruhen, Insolvenzforderungen und damit grundsätzlich nicht auf der Grundlage eines Verwaltungsaktes zu realisieren, sondern im Insolvenzverfahren nach § 87 InsO zu verfolgen sind.

Auch der Einwand der Beklagten, wonach die dargestellte Sichtweise zu dem unpraktikablen und vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen würde, dass Sozialleistungsträger ihre Forderungen insolvenzrechtlich nur verfolgen könnten, wenn sie vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Lage wären, Bewilligungsbescheide unter Beachtung der sozialrechtlichen Bestimmungen aufzuheben, damit sie einen Vermögensanspruch gegenüber dem Schuldner erwerben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen ist der Erlass eines Aufhebungsbescheides während des Insolvenzverfahrens – wie dargestellt – zulässig. Zum anderen stehen – worauf die Klägerin zurecht hinweist – alle übrigen Gläubiger vor ähnlichen Herausforderungen. Insbesondere kann auch ein Gläubiger, der einen zivilrechtlichen Anspruch gegenüber dem Schuldner hat, Gefahr laufen, dass er erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens Kenntnis von seinem Anspruch bzw. den den Anspruch begründenden Tatsachen erlangt. Insoweit sieht das die übrigen Gesetze überlagernde Insolvenzrecht eine Gleichbehandlung aller Gläubiger und insbesondere keine Privilegierung der öffentlichen Hand vor. Die Privilegierung der öffentlichen Hand in bestimmten, von § 51 Abs. 2 SGB I erfassten Fällen in Gestalt der Aufrechnungsmöglichkeit führt zu keiner anderen Auslegung bzw. Handhabung der insolvenzrechtlichen Vorgaben, sondern verschafft den Leistungsträgern nur in den geregelten besonderen Ausnahmefällen eine Möglichkeit der – zumindest teilweisen – Durchsetzung ihrer Ansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens. Dies stellt schon deshalb keinen Widerspruch dar, weil sich die Möglichkeit der Aufrechnung nicht auf das dem Insolvenzbeschlag unterliegende, sondern nur auf das pfändungsfreie Vermögen bezieht.

Im Ergebnis handelt es sich nach dem Vorstehenden zur Überzeugung des Senats bei der streitgegenständlichen Rückforderung um eine Insolvenzforderung. Es durfte daher kein entsprechender Erstattungsbescheid ergehen.

Ergeht während eines laufenden Insolvenzverfahrens ein Erstattungsbescheid über eine Insolvenzforderung, ist dieser rechtswidrig (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. März 2019, L 13 AS 234/17, BeckRS 2019, 6633 Rnr. 35 ff.), weil § 87 InsO nicht beachtet worden ist (Rein, NJW-Spezial 2020, S. 661, 662). Nach § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dies gilt gleichermaßen für privatrechtliche wie auch öffentlich-rechtliche Forderungen. Das bedeutet, dass die Befugnis der Beklagten, die Rückzahlung der Überzahlung durch Verwaltungsakt geltend zu machen, von der InsO überlagert wird. Soweit über eine Insolvenzforderung nicht bereits vor Insolvenzeröffnung ein entsprechender Verwaltungsakt ergangen ist, darf er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Anmeldung der Forderung zur Tabelle und Prüfung der Forderung nicht erlassen werden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. März 2003, L 8 AL 278/02; SG Berlin, Urteil vom 14. Februar 2003, S 86 KR 2117/00; zum früherem Recht: BSG, Urteil vom 17. Mai 2001, B 12 KR 32/00 R). Nur bei bestrittenen Forderungen kann ein Verwaltungsakt ergehen (§ 185 i. V. m. §§ 180 Abs. 2, 181 InsO), dann allerdings gegenüber dem Insolvenzverwalter in seiner Funktion als Vermögensverwalter (vgl. SG Marburg, Urteil vom 11. Juli 2007, S 12 KA 711/06). Dementsprechend dürfen beispielsweise nach der ständigen Rechtsprechung des BFH nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerpflichtigen keine Steuerbescheide und auch keine Haftungsbescheide mehr gegen diesen erlassen werden. Das Finanzamt muss seine Steuerforderungen vielmehr nach den Regeln der InsO geltend machen (s. zum Vorstehenden etwa SG München, Urteil vom 25. Februar 2014, S 33 EG 54/12). 

Die Beklagte war entgegen ihrer Annahme auch nicht deshalb befugt, einen Erstattungsbescheid zu erlassen, weil zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe das Insolvenzverfahren bereits abgeschlossen war und sich die Klägerin in der Wohlverhaltensphase im Rahmen des Restschuldbefreiungsverfahrens befunden hat. Während der Wohlverhaltensphase bestehen die Vollstreckungsverbote nach §§ 89, 294 Abs. 1 InsO fort. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch nach Abschluss des Restschuldbefreiungsverfahrens der Erlass eines Erstattungsbescheides nicht zulässig gewesen wäre, da die Erstattungsforderung als Insolvenzforderung von der Restschuldbefreiung erfasst ist. Zwar sind von der Restschuldbefreiung nach § 302 InsO bestimmte Forderungen ausgenommen, und zu diesen zählen insbesondere auch Verbindlichkeiten wie die vorliegende aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Voraussetzung dafür, dass diese die Restschuldbefreiung „überleben“, ist allerdings unter anderem, dass die Forderung zur Tabelle unter Angabe des Rechtsgrundes und der Tatsache, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zugrunde liegt, angemeldet worden war (MüKoInsO/Stephan, 4. Aufl. 2020, InsO § 302 Rnr. 78 ff.). Dies ist vorliegend nicht geschehen. Gleichfalls hat die Beklagte keinen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 InsO gestellt (vgl. zum Vorstehenden LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. März 2018, L 19 AS 1286/17, juris Rnr. 27 ff.; Löbner, Erstattungsansprüche aus Überzahlung von Elterngeld im Insolvenzfall, SRa 2016, 220, 230).

Schließlich ergibt sich entgegen ihrem Vortrag die Befugnis der Beklagten zum Erlass eines Erstattungsbescheides nicht aus ihrer Möglichkeit, nach § 51 Abs. 2 SGB I aufzurechnen, unter dem Aspekt, dass die Aufrechnung notwendigerweise einen Erstattungsbescheid voraussetze. Bei den Vorschriften der §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I handelt es sich um besondere Regelungen, die unabhängig vom Insolvenzrecht und wegen des fehlenden Zugriffs auf die Insolvenzmasse ohne dessen Berührung nur in zwei Ausnahmefällen, nämlich der Nichtentrichtung von Beiträgen und bei zu Unrecht bezogenen Sozialleistungen, einen erweiterten Zugriff der Sozialleistungsträger auf das nichtpfändbare Vermögen des Betroffenen gestatten, unter dem weiteren Vorbehalt, dass der Betroffene dadurch nicht hilfebedürftig wird. Beide Fallkonstellationen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Finanzgrundlagen der gesetzlichen Sozialversicherungsträger, die durch die Aufrechnung bzw. Verrechnung vom Gesetzgeber dazu ermächtigt wurden, wenigstens einen Teil der Beträge, nämlich max. bis zur Hälfte der laufenden Sozialleistung, vom Betroffenen zurückzuholen. Dies stellt eine gewisse Privilegierung der Sozialleistungsträger gegenüber "normalen" Gläubigern dar, die § 394 BGB zu beachten haben, die aber vom Gesetzgeber aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen so gewollt war (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Oktober 2013, L 6 R 163/13, juris Rnr. 31; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. März 2015, L 1 R 425/14 B ER, juris Rnr. 38). Eine Änderung oder Einschränkung dieser Möglichkeit ist weder durch die am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung noch durch spätere Änderungen vorgenommen worden (dazu auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008, IX ZB 51/07, juris Rnr. 28). Den wirtschaftlichen Interessen der Schuldner kann dabei ausreichend im Rahmen der Prüfung der Hilfebedürftigkeit und der den Sozialversicherungsträgern obliegenden Ermessensausübung im Rahmen der §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I Rechnung getragen werden (vgl. dazu Bayerisches LSG, Urteil vom 23. April 2013, L 20 R 819/09, juris Rnr. 22; s. zum Vorstehenden den Beschluss des erkennenden Senats vom 3. August 2016, L 5 R 123/15). § 89 Abs. 1 InsO bedingt ebenfalls kein Verbot der Aufrechnung bzw. Verrechnung, da es sich bei der Aufrechnung bzw. Verrechnung nicht um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung handelt und eine analoge Anwendung der Norm über deren Wortlaut hinaus ausscheidet (vgl. BSG, Beschluss vom 19. April 2012, B 5 R 36/11 BH unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 26. Mai 1971, VIII ZR 137/70, NJW 1971, 1563). Anders herum kann aber aus § 51 Abs. 2 SGB I nicht abgeleitet werden, dass die Beklagte zwecks Schaffung der Voraussetzungen der Aufrechnung entgegen § 89 InsO doch berechtigt wäre, einen Erstattungsbescheid zu erlassen. Denn wie bereits dargestellt überlagert das Insolvenzrecht die übrigen rechtlichen Vorgaben und nicht umgekehrt. Nach dem Insolvenzrecht war der Erlass eines Erstattungsbescheides für die im Streit stehende Insolvenzforderung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr zulässig. Würde aus der für Ausnahmefälle (u.a. Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen) vorgesehenen Möglichkeit der Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I geschlossen, dass ein Erstattungsbescheid in diesen Fällen doch zulässig sein soll, würde letztlich § 51 Abs. 2 SGB I das Insolvenzrecht überlagern, was so aber gerade durch den Gesetzgeber nicht vorgesehen worden ist. Nicht zulässig ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch der Erlass eines Erstattungsbescheides, der nur der Aufrechnung beziehungsweise dem Zugriff auf das nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen und insoweit als Rechtsgrundlage der Aufrechnung dient. Ein entsprechender Erstattungsbescheid würde nämlich auch als Titel zur Vollstreckung im Rahmen der Vollstreckungsgesetze bezogen auf die Insolvenzmasse dienen können, was wie dargestellt nicht zulässig ist. Im Ergebnis wäre die Beklagte, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen (Aufhebungs- und) Erstattungsbescheid erlassen hätte, dazu berechtigt gewesen – neben einem Vorgehen im Rahmen der Insolvenzordnung, das heißt neben der Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle, nach § 51 Abs. 2 SGB I gegen laufende Leistungen aufzurechnen – eine Anmeldung zur Insolvenztabelle wäre dafür entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht erforderlich gewesen. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann sie aus § 51 Abs. 2 SGB I aber keine Befugnis ableiten, einen Erstattungsbescheid zu erlassen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheides – wie erfolgt – im Wege des Widerspruchs gemäß § 84 SGG gegenüber dem Sozialleistungsträger geltend zu machen ist. Sie führt dagegen nicht – wie die Klägerin geltend gemacht hat – zur Nichtigkeit des Bescheides. Dies ist nur im Steuerrecht der Fall. Im Sozialverwaltungsverfahren ist ein Verwaltungsakt nur dann nichtig (s. § 40 Abs. 1 SGB X), soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Davon ist beim Erlass eines Erstattungsbescheides nach Insolvenzverfahrenseröffnung nicht auszugehen, da ein Fehler nur dann offensichtlich ist, wenn er für jeden ohne besondere Sachkenntnis erkennbar ist (BSG, Urteil vom 4. September 2013, B 10 EG 7/12 R, BeckRS 2013, 73420 Rnr. 31).
Nach alledem ist die Entscheidung des Sozialgerichts Kassel, das die Rücknahme der Rentenbewilligungsbescheide bestätigt und den Erstattungsbescheid aufgehoben hat, nicht zu beanstanden. Die Berufungen der Beteiligten konnten demnach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Aufhebung der Rentenbewilligungsbescheide, hinsichtlich derer die Klägerin im Ergebnis unterliegt, und der Erstattungsbescheid, hinsichtlich dessen sie obsiegt, haben jeweils eigenständige Bedeutung, so dass die Übernahme der Hälfte der Kosten durch die Beklagte angemessen ist.

Die Revision war für die Beklagte zuzulassen, da insoweit die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vorliegen. Der Senat misst den für das Unterliegen der Beklagten entscheidenden Rechtsfragen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Handhabung durch die Landessozialgerichte und angesichts der unbestimmten Anzahl betroffener Fälle, die nach einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts verlangen, grundsätzliche Bedeutung zu. Für die Klägerin sind demgegenüber die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt.

Rechtskraft
Aus
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