S 18 KR 352/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 352/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 522/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Der Bescheid vom 16. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2017 wird insoweit teilweise aufgehoben, als ein monatlicher Gesamtbeitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. August 2015 i.H.v. mehr als 248,10 €, ab 1. Januar 2016 i.H.v. mehr als 257,10 € festgesetzt worden ist.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berechnung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im Zeitraum 1. August 2015 bis 31. Mai 2016.

Der 1962 geborene Kläger war bis 31. August 2016 als selbstständig Tätiger freiwilliges Mitglied bei der Beklagten und dementsprechend Mitglied bei der Beigeladenen.

Mit Einkommensteuerbescheid vom 6. Juli 2015 legte das Finanzamt Bad Homburg der Berechnung der Einkommensteuer für das Jahr 2014 Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer i.H.v. 34.221,- € zugrunde. Mit Einkommensteuerbescheid vom 30. Mai 2016 legte das Finanzamt Bad Homburg der Berechnung der Einkommensteuer für das Jahr 2015 Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer i.H.v. 8.491,- € zugrunde. Der Kläger reichte beide Einkommenssteuerbescheide bei der Beklagten Anfang Juni 2016 ein.

Mit Bescheid vom 16. Juni 2016 setzte die Beklagte die monatlichen Beiträge ab 1. August 2015 zur Krankenversicherung i.H.v. 424,91 €, zur Pflegeversicherung i.H.v. 74,15 €, ab 1. Januar 2016 zur Krankenversicherung i.H.v. 430,61 €, zur Pflegeversicherung i.H.v. 74,15 € fest.

Der Kläger erhob Widerspruch. Seine Einkünfte hätten laut Einkommenssteuerbescheid deutlich weniger als der Mindestbeitrag betragen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2017 als unbegründet zurück. Maßgeblich sei das Datum des Erlasses des Einkommensteuerbescheids, weswegen der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 zu einer Änderung der Beiträge ab 1. August 2015 geführt habe. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 sei erst im Mai 2016 erlassen worden und könne daher erst ab 1. Juni 2016 der Berechnung zugrunde gelegt werden. Ab diesem Zeitpunkt sei sodann die monatliche Beitragsbemessungsgrundlage i.H.v. 1.452,50 € heranzuziehen, da die tatsächlichen Einnahmen unterhalb dieser Grenze gelegen hätten. Die Beitragsfestsetzung erfolge auch im Namen der Beigeladenen.

Hiergegen hat der Kläger am 27. Februar 2017 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2021 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 16. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2017, den der Kläger mit einer isolierten Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG angreift. Streitgegenständlicher Zeitraum ist ausschließlich derjenige vom 1. August 2015 bis 31. Mai 2016. Dies entspricht dem Begehr des Klägers, da die Beklagte ab 1. Juni 2016 bereits Beiträge ausschließlich nach dem Mindestbeitrag selbst festgesetzt hat. Zudem legt das Gericht den Klageantrag dahingehend aus, dass der Kläger lediglich die teilweise Aufhebung des Beitragsbescheids begehrt, soweit Beiträge oberhalb des anzusetzenden Mindestbeitrags festgesetzt worden sind. Das Gericht entscheidet gemäß § 123 SGG über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei der Auslegung ist der für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbare Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge heranzuziehen (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 92 Rn. 12 m.w.N.). Es gilt der sog. Grundsatz der Meistbegünstigung. Zur Bezeichnung genügt damit im Wesentlichen das, was für die Abgrenzung des Streitgegenstandes ausreicht. Dabei ist unter Streitgegenstand der prozessuale Anspruch zu verstehen, nämlich das vom Kläger auf Grund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13. Aufl. 2020, § 95 Rn. 4 und § 99 Rn. 2). Der Vortrag des Klägers zeigt offensichtlich, dass er nicht der Beitragspflicht dem Grunde nach entgegentritt, sondern vielmehr die Höhe der festgesetzten Beiträge, oberhalb der Mindestbeitragsgrenze, angreift.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 16. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2017 ist rechtswidrig, soweit ein monatlicher Gesamtbeitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. August 2015 i.H.v. mehr als 248,10 €, ab 1. Januar 2016 von mehr als 257,10 € festgesetzt worden ist. Der monatliche Beitrag zur Krankenversicherung betrug ab 1. August 2015 211,21 €, ab 1. Januar 2016 219,33 €, der monatliche Beitrag zur Pflegeversicherung ab 1. August 2015 36,89 €, ab 1. Januar 2016 37,77 €.

Als Beitragsbemessungsgrundlagen sind ab 1. August 2015 ein monatliches Einkommen i.H.v. 1.417,50 €, ab 1. Januar 2016 i.H.v. 1.452,50 € zugrunde zu legen.

Die Höhe des Beitrags zur Krankenversicherung ergibt sich für den Kläger als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich aus § 240 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (i.d.F. v. 21.7.2014, gültig vom 1.1.2015 bis 31.12.2017; SGB V aF). Nach dessen Absatz 1 Satz 1 wird für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt; sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Nach § 240 Abs. 2 SGB V aF sind bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind.

Diesen gesetzlichen Auftrag hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen in den Einheitlichen Grundsätzen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (BVSzGs) umgesetzt (zu deren Verfassungsmäßigkeit vgl. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 21/14 R; Urt. v. 19.8.2015 – B 12 KR 8/14 R; Urt. v. 28.5.2015 – B 12 KR 10/12 R).

Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte ursprünglich den Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung zutreffend im streitgegenständlichen Zeitraum festgesetzt.

Heranzuziehen ist jedoch zwischenzeitlich der durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Beitragsentlastung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versichertenentlastungsgesetz – GKV-VEG; v. 11.12.2018, BGBl. 2018 I 2387) mit Wirkung zum 15. Dezember 2018 eingeführte und sodann durch Art. 1 Nr. 89a des Gesetzes für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVGG, v. 6.5.2019 BGBl. 2019 I 646) mit Wirkung zum 11. Mai 2019 abgeänderte § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V. Danach hat die Krankenkasse für Zeiträume, für die ihr hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die jeweils anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten, die Beiträge des Mitglieds neu festzusetzen.

Die Regelung ist auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Dem steht zum einen nicht entgegen, dass die Regelung erst nach dem maßgeblichen streitgegenständlichen Beitragszeitraum In-Kraft getreten ist. Denn die Regelung entfaltet Rückwirkung. Zum anderen ist die Regelung des § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V zudem auch auf Fälle anzuwenden, in denen kein Höchstbeitrag als Sanktion nach § 240 Abs. 1 S. 2 a.E. SGB V festgesetzt worden ist. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der Regelung im Hinblick auf den Wortlaut, die Systematik, die Historie und den Sinn und Zweck, sowie verfassungsrechtlichen Grundsätzen.

Aus dem Wortlaut der Regelung ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass eine Rückwirkung auf Fallgestaltungen, die vor dem 15. Dezember 2018 lagen, ausgeschlossen sein sollte. Der Wortlaut ist vielmehr offen, sowohl für eine Auslegung, dass die Regelung erst auf Beitragszeiträume ab In-Kraft-Treten gelten sollte, als auch für eine solche Auslegung, dass die Regelung auch für vergangene Zeiträume heranzuziehen ist. Die systematische Stellung der Regelung bedingt keine zwingende Auslegung der Regelung in der einen oder anderen Hinsicht. 
Für eine rückwirkende Anwendung spricht in wesentlichem Maße der Sinn und Zweck der Regelung, wie er sich aus der begleitenden Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 24. September 2018 (BT-DrS 19/5554) ergibt. In der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Beitragsentlastung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versichertenentlastungsgesetz – GKV-VEG) wird als allgemeines Ausgangsproblem und Regelungsziel dargestellt, dass aufgrund der Entwicklung der finanziellen Reserven der Krankenkassen Möglichkeiten bestünden, Mitglieder hinsichtlich der Beiträge zu entlasten. Der Entwurf zielte u.a. darauf ab, dass die Beitragsbelastung der Selbständigen mit geringem Einkommen spürbar gesenkt werden sollte. Zu der Änderung des § 240 SGB V führt die Begründung aus, dass für den Fall der Sanktionierung flexiblere Anpassungsmöglichkeiten geschaffen würden. Im Gegensatz zu § 240 Abs. 1 S. 3 SGB V ermögliche Absatz 4 „darüber hinaus“ die rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung auf den Höchstbetrag in den Fällen, in denen aufgrund hinreichender Anhaltspunkte klar sei, dass die Einnahmen die Mindestbeitragsbemessungsgrenze nicht übersteigen. Die Regelung gelte zeitlich unbeschränkt und beziehe sich auf alle vergangenen Zeiträume der Zwangseinstufung. 

Auch verfassungsrechtlich ist eine rückwirkende Anwendung unbedenklich. Es handelt sich zunächst nicht um einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, da die Rückwirkung für den betroffenen Kläger begünstigend ist. Denn durch die Anwendung werden Beiträge in niedrigerer Höhe begründet. Gesetze, die dem Bürger rückwirkend eine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht gegenüber dem Staat auferlegen oder erhöhen, sind zwar grundsätzlich unzulässig, da sie dem Rechtsstaatsprinzip, zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit und der daraus abzuleitende Vertrauensschutz des Bürgers gehören, widersprechen (st.Rspr.; vgl. BVerfG v. 25.3.2021 – 2 BvL 1/11). Die Zulässigkeit der Rückwirkung begünstigender Gesetze ist dagegen unbestritten (vgl. BVerfG v. 7.2.1968 – 1 BvR 628/66). Die rückwirkende Anwendung des § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V hat insofern begünstigenden Charakter, als das Gesetz die Neufestsetzung der Mitgliedbeiträge in all den Fällen vorschreibt, in denen hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die jeweils anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschritten haben (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg v. 21.5.2021 – L 4 KR 1203/19 m.w.N.). 

Ebenso ergibt die Auslegung, dass die Regelung des § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V auch auf Fallgestaltungen anzuwenden ist, in denen sich ergibt, dass die Beiträge von zu hohen Einnahmen aus berechnet worden sind, jedoch keine Höchstbeiträge nach § 240 Abs. 1 S. 2 a.E. SGB V festgesetzt worden sind. Eine derartige Auslegung der Regelung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.

Weder der Wortlaut, noch aus systematischen Zusammenhängen ergibt sich ein zwingendes Verständnis des § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V in der einen oder anderen Art. Die Regelung ist Teil des § 240 Abs. 1 SGB V, der grundsätzlich die Beitragserhebung bei freiwilligen Mitgliedern regelt. Der Regelungsabsatz ist in nunmehr fünf Sätze unterteilt, wobei der erste den Grundsatz der Regelungshoheit des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen bestimmt. Satz 2 führt weiter aus, wie die Beitragsbelastung ausgestaltet sein soll und schließt mit einer Sanktionsvorschrift für diejenigen Mitglieder, die keine Nachweise vorlegen. Der ebenfalls am 15. Dezember 2018 neu eingefügte Satz 3 bietet eine nachträgliche Neufeststellung der Beiträge für den Fall, dass von der Sanktionsmöglichkeit des Satzes 2 Gebrauch gemacht wurde unter zeitlicher Beschränkung von zwölf Monaten. Hierauf folgt sodann als weitere Möglichkeit der Neuberechnung der Beiträge Satz 4. Diese Abfolge der Regelungen kann zum einen bedeuten, das Satz 4 lediglich dann zur Anwendung kommt, wenn im Rahmen der Sanktion des Satzes 2 Höchstbeiträge festgesetzt wurden. Andererseits unterscheidet sich jedoch § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V im Vergleich zu Satz 3 elementar im Wortlaut, indem er weder auf Satz 2, wie Satz 3, verweist, noch eine zeitliche Beschränkung vorsieht. Auch ist der Verfahrensmechanismus anders ausgestaltet: Während Satz 3 eine Vorlage des Betroffenen innerhalb einer zwölfmonatigen Frist verlangt, was im Gegenzug bedeutet, dass danach Nachweise nicht mehr vorgelegt werden können, sieht Satz 4 einen weiteren Regelungsrahmen vor, indem keine zeitliche Begrenzung vorgesehen ist und es ausreicht, wenn die Krankenkasse (auf irgendeine Art und Weise) Anhaltspunkte erlangt, dass die zugrunde gelegten Einnahmen unzutreffend hoch waren.

Lediglich der gesetzgeberische Wille, wie er sich in der Gesetzesbegründung niederschlägt, deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber bei der „Neuberechnung“ lediglich die Fälle einbezogen hat, in denen die Höchstbeiträge nach § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V festgesetzt worden sind. So legt die Begründung zu § 240 dar, dass es um die rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung auf den Höchstbeitrag gehen soll (BT-DrS. 19/4454, S. 27). Demgegenüber benennt die Begründung jedoch den Zweck, dass hiermit die rückwirkende Anpassung der Beiträge auf den Mindestbeitrag dem Abbau fiktiver Beitragsschulden diene und für den Betroffenen Anreize setze, den korrigierten Beitragspflichten nachzukommen. Dieser Sinn und Zweck wird mit einer Anwendung der Regelung auf jedwede „zu hohe“ Beitragsfestsetzung ebenso erfüllt. Zudem hat sich dieser gesetzgeberische Wille nicht maßgeblich im Wortlaut niedergeschlagen, wie oben ausgeführt.
Maßgeblich für eine Auslegung des § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V dahingehend, dass nicht nur die Fallgestaltungen der Höchstbeiträge nach § 240 Abs. 1 S. 2 a.E. SGB V erfasst sein sollen, sprechen jedoch verfassungsrechtliche Gründe. Denn eine Anwendung des § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V nur auf die Personen, bei denen Höchstbeiträge festgesetzt worden sind, würde zu einer ungerechtfertigten Besserstellung dieser Personen gegenüber anderen Personen, wie den Kläger, führen. Es läge eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG vor. Zugrunde zu legen ist hierbei, dass Personen, bei denen nach § 240 Abs. 1 S. 2 a.E. SGB V die Höchstbeiträge festgesetzt wurden, hierbei für die Nichtbeibringung von Nachweisen sanktioniert werden sollen. Es handelt sich mithin um Personen, die ihren sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nach §§ 60 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) nicht nachgekommen sind. Demgegenüber sind Personen, wie der Kläger, ihren Pflichten durch Vorlage des Einkommenssteuerbescheids nachgekommen, woraufhin die Krankenkasse sodann die Beiträge nach den zuletzt vorgelegten Einkommenssteuerbescheiden festgesetzt haben. Würde man nunmehr nur diejenigen, bei denen Höchstbeiträge festgesetzt wurden, durch § 240 Abs. 1 S. 4 SGB V privilegieren, demgegenüber diejenigen, die ihren Vorlagepflichten ordnungsgemäß nachgekommen sind, nicht, würde man schlussendlich diejenigen besserstellen, die ihren sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nicht nachgekommen sind. Es wäre daher für Mitglieder, bei denen die Beiträge nach § 240 SGB V festzusetzen sind, günstiger, keine Nachweise vorzulegen.

Die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage ergibt sich aus § 240 Abs. 4 SGB V (i.d.F. v. 10.12.2008, gültig seit 16.12.2008). Danach gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, gilt als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste, für freiwillige Mitglieder, die einen monatlichen Gründungszuschuss nach § 93 des Dritten Buches oder eine entsprechende Leistung nach § 16b des Zweiten Buches erhalten, der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestimmt, unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus der Beitragsbemessung hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger niedrigere Einnahmen, mindestens jedoch der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße, zugrunde gelegt werden. Von dieser Möglichkeit ist durch § 7 Abs. 4 BVSzGs (i.d.F. 27.10.2008 – seitdem unverändert) Gebrauch gemacht worden. Danach sind auf Antrag die Beiträge für Mitglieder, deren beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag 1/40 der monatlichen Bezugsgröße unterschreiten, nach den tatsächlichen Einnahmen, mindestens jedoch i.H.v. 1/60 der monatlichen Bezugsgröße für den Kalendertag zu bemessen, soweit keine Ausnahmeindikation vorliegt.

Die täglich zugrunde zu legende Mindesteinnahme ab 1. August 2015 betrug demnach 47,25 €, 1/60 der Bezugsgröße West i.H.v. 2.835,- € (§ 240 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 4 BVSzGs i.V.m. § 18 Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 2 Abs. 1 der Sozialversicherungs-Rechengrößen-Verordnung 2015), monatlich 1.417,50 €, ab 1. Januar 2016 48,42 €, 1/60 der Bezugsgröße West i.H.v. 2.906,- € (§ 240 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 4 BVSzGs i.V.m. § 18 Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 2 Abs. 1 der Sozialversicherungs-Rechengrößen-Verordnung 2016), monatlich 1.452,50 €.

Die Höhe des Beitragssatzes in der Gesetzlichen Krankenversicherung bezüglich der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit ergibt sich aus § 7 Abs. 6 S. 1 Nr. 1, S. 2 BVSzGs i.d.F. der Zweiten Änderung v. 17.2.2010 i.V.m. § 243 S. 1 Fünftes Sozialgesetzbuch und beträgt für den streitgegenständlichen Zeitraum 14,0 %. Nach § 7 Abs. 6 S. 3 BVSzGs (i.d.F. der Sechsten Änderung v. 10.12.2014) ist ebenfalls der Zusatzbeitrag nach § 242 Abs. 1 SGB V aF (i.d.F. v. 21.7.2014, gültig vom 1.1.2015 bis 17.10.2018) i.V.m. § 40 der jeweils gültigen Satzung der Beklagten ab 1. August 2015 i.H.v. 0,9 %, ab 1. Januar 2016 i.H.v. 1,1 % zu erheben.

Der Bemessung der Beiträge zur Gesetzlichen Pflegeversicherung ist ebenfalls als Bemessungsgrundlage ab 1. August 2015 ein monatliches Einkommen i.H.v. 1.417,50 €, ab 1. Januar 2016 i.H.v. 1.452,50 € zugrunde zu legen. Die Beitragsbemessung in der Gesetzlichen Pflegeversicherung ergibt sich aus § 57 Abs. 4 S. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) i.V.m. § 240 SGB V. Die Höhe des Beitragssatzes in der Gesetzlichen Pflegeversicherung bezüglich der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit ergibt sich aus § 55 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 SGB XI (i.d.F. v. 17.12.2014; gültig v. 1.1.2015 bis 31.12.2016) und beträgt ab 1. August 2015 durchgehend 2,6 %.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Das Gericht sieht aus Billigkeitsgründen von einer Kostentragungspflicht der Beklagten hinsichtlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ab, die selbst keinen Antrag gestellt hat (vgl. BSG Urt. v. 1.3.2011 – B 1 KR 10/10 R).

Das statthafte Rechtsmittel der Berufung folgt aus §§ 143 ff. SGG.
 

Rechtskraft
Aus
Saved