Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.03.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50.
Bei der 1955 geborenen Klägerin, die zuletzt von 2002 bis zum 31.10.2020 als EDV-Sachbearbeiterin im Zentrallager eines Discounters vollzeitbeschäftigt war und seit dem 01.11.2020 Rentnerin ist, stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 04.08.2015 auf Grundlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von G vom 12.07.2015 einen GdB von 20 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest: Chronisches Schmerzsyndrom, Migräne, Seelische Störung.
Am 21.02.2017 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB und teilte zur Begründung mit, sie leide an Gelenkschmerzen an Händen und Knien, Rheuma, rheumatischer Arthritis und Arthrose, Kopfschmerzen, Schwindel und Blutdruck, Depressionen, Schlafstörungen, psychischer Nervosität und einer Anpassungsstörung.
Der Beklagte zog daraufhin medizinische Befundunterlagen bei D/P/K bei. Mit Befundbericht vom 02.08.2016 teilte S die Diagnosen „Akromioklavikulargelenksarthrose links, Partialruptur der Supraspinatussehne“ mit und berichtete von Belastungsschmerzen der großen Gelenke. Im weiteren Befundbericht vom 08.12.2016 teilte er die Diagnose einer Außenmeniskusläsion des Kniegelenks links mit, wo chronische Schmerzen bestünden. A stellte am 23.09.2016 eine muskuläre Dysbalance im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) fest. Ein von K durchgeführtes Schädel-MRT vom 11.08.2016 aufgrund unklarer Cephalgien und anamnestisch seit längerem bestehendem Schwindel ergab eine altersentsprechende Darstellung des Neurocraniums inklusive des Kleinhirnbrückenwinkels/Nervus verstibulocochlearis.
In ihren Befundberichten vom 26.07.2016 und vom 15.11.2016 äußerte R jeweils den Verdacht auf eine entzündliche rheumatische Systemerkrankung (DD seronegative rheumatoide Arthritis). Auf ihre Veranlassung wurden am 13.12.2016 eine 2-Phasenskelettszintigraphie und am 27.12.2016 eine Kernspintomographie des linken Fußes durchgeführt. R1 beurteilte den Befund in seinem Arztbrief vom 28.12.2016 als „Isoliert erosive Veränderungen proximal und medial am Os cuneiforme intermedium mit hier umschriebener Spongiosaödembildung und Spongiosahyperämie. Kein Generalisiertes arthritisches Geschehen.“ Auf Grundlage der erhobenen bildgebenden Befunde diagnostizierte R am 09.02.2017 eine Altersform der rheumatoiden Arthritis mit Fingergelenksarthrose, Rhizarthrose, aktivierter Retropatellararthrose, Adipositas, Polyarthrose, ACG-Arthrose rechts, deutlicher Tendinopathie der Supraspinatussehne mit transmuraler Sehnenruptur im Ansatzbereich 08/2014. Sie berichtete über von der Klägerin geklagte starke Schmerzen in den Hand-, Finger-, Schulter- und Fußgelenken, wegen derer diese nicht mehr schlafen und nicht mehr arbeiten könne (Befundbericht vom 14.02.2017).
Unter dem 10.04.2017 berichtete B von regelmäßigen Vorstellungen der Klägerin in ihrer Praxis. Diagnostisch lägen eine Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie eine depressive Anpassungsstörung vor. Die soziale Integration sei herabgesetzt, dennoch sei die Klägerin berufstätig, allerdings psychophysisch vermindert leistungsfähig. Therapeutisch erhalte sie nervenärztliche Gespräche und werde pharmakologisch therapiert mit Johanniskraut. Gleichgewichtsstörungen seien ihr nicht bekannt. Kopfschmerzen stünden im Zusammenhang mit der chronischen Schmerzstörung und seien Spannungskopfschmerzen zuzuordnen.
Mit Bescheid vom 22.05.2017 stellte die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.08.2015 bei der Klägerin seit dem 21.02.2017 einen GdB von 40 für die Funktionsbeeinträchtigungen „chronisches Schmerzsyndrom, Migräne, seelische Störung; entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke“ sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b EStG fest. Dem lag die versorgungsärztliche Stellungnahme von Z vom 11.05.2017 (Bl. 87 VA) zugrunde, wonach die Behinderung höher bewertet werden könne, nachdem sich die depressive Anpassungsstörung mit Kopfschmerzen und somatoformer Schmerzstörung sowie jetzt vorliegendem sozialem Rückzug verschlimmert habe. Zusätzlich anerkannt werden könne eine rheumatoide Arthritis unter Basistherapie mit MTX, wobei die Gelenkbeschwerden mitberücksichtigt seien. Ein chronisches Schmerzsyndrom, Migräne und seelische Störung sei mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Gleiches gelte für eine entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke. Kein Teil-GdB von wenigstens 10 entfalle auf eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, eine Gebrauchseinschränkung beider Hände und Bluthochdruck, weshalb diese, ebenso wie ein nicht nachgewiesener Schwindel, nicht zu berücksichtigen seien. Der Gesamt-GdB betrage 40 bei einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ab dem 21.02.2017.
Zur Begründung ihres Widerspruchs vom 06.06.2017 legte die Klägerin ein nervenärztliches Attest von B vom 27.06.2017 vor, worin diese ausführte, diagnostisch bestünden eine rezidivierende depressive Störung als Folge eines chronischen Überlastungssyndroms und eine somatoforme Schmerzstörung. Die körperlichen und psychischen Beschwerden nähmen in ihrer Intensität zu. Therapeutisch erhalte sie nervenärztliche Gespräche und physiotherapeutische Anwendungen und besuche regelmäßig die Wassergymnastik. Seit dem Tod der Mutter sei es zu einer erneuten Symptomverschlechterung gekommen. Die Klägerin sei noch berufstätig, jedoch als deutlich leistungsgemindert einzustufen. Die soziale Integration sei gestört.
Mit ärztlichem Attest vom 25.06.2017 teilte R die Diagnosen einer entzündlich rheumatischen Systemerkrankung im Sinne einer seronegativen rheumatoiden Arthritis mit Befall der kleinen Hand- und Fingergelenke sowie Fußgelenke bei schmerzbedingter Kraftreduktion, einer degenerativen Gelenkerkrankung mit Befall insbesondere der Knie-, Daumensattel- und Acromioclaviculargelenke, wodurch es 2014 zu einer Supraspinatussehnenruptur gekommen sei, sowie eines chronischen Schmerzsyndroms mit generalisierten, chronischen Schmerzen in den Weichteilen und den Sehnenansätzen, die mit Schmerzmitteln, entzündungshemmenden Medikamenten oder Corticosteroiden nicht beeinflussbar seien, mit. Hierdurch bestünden einerseits erhebliche körperliche Einschränkungen und andererseits kämen seelische Belastungen (depressive Verstimmung wegen der chronischen Schmerzen, Angst vor den Erkrankungen und allgemeine Symptome) hinzu. Der GdB sei mit 40 daher zu niedrig angesetzt. Er betrage mindestens 60.
In Auswertung dieser ärztlichen Unterlagen bestätigte G mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 25.07.2017 die bisherige Bewertung und führte aus, eine Abhilfe sei nicht möglich. Die seelische Störung sei hoch bewertet. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit sei anerkannt, Berufstätigkeit sei möglich. Das Schmerzsyndrom sei mitberücksichtigt. Hierauf wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2017 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 05.10.2017 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und sich zur Begründung nochmals auf die vorgelegten ärztlichen Atteste und Befundunterlagen berufen. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat darauf verwiesen, dass diese bereits Gegenstand einer versorgungsärztlichen Überprüfung gewesen seien.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin als Zeugen gehört. B hat unter dem 14.11.2017 die Diagnosen einer chronischen depressiven Störung als Folge eines Überlastungssyndroms und einer somatoformen Schmerzstörung mitgeteilt. Diese bestünden kontinuierlich (kaum Schwankungen im Verlauf). S hat als sachverständiger Zeuge unter dem 16.11.2017 die Diagnosen einer schmerzmittelresistenten rheumatoiden Arthritis, einer Gelenkentzündung der Extremitäten beidseits unklarer Genese und einer Außenmeniskusläsion des Kniegelenks links mit chronischen Schmerzen und mäßiger Schwellung mitgeteilt. D hat mit schriftlicher sachverständiger Zeugenaussage vom 22.11.2017 von einer „Beschwerdesymptomatik eher wie Fibromyalgie“ (multiple Gelenkbeschwerden, aber ohne eindeutige Entzündungszeichen, gleichwohl massive Schmerzen) berichtet. Zwar bestünden keine Einschränkungen in den Bewegungsmaßen, aber schmerzbedingte Bewegungseinschränkungen und ein verlangsamter Bewegungsablauf. Daneben bestehe eine entzündlich rheumatische Erkrankung, die von den Fachärzten unterschiedlich gewertet werde. Während R eine entzündlich rheumatische Erkrankung annehme, habe die F-klinik B1 bei einem stationären Aufenthalt im Mai 2017 keine entzündlichen Komponenten nachweisen können und den Fokus ganz auf die Fibromyalgie gelegt. In den Auswirkungen sei diese vom Funktionsverlust als gering, vom empfundenen Schmerzempfinden als schwer einzustufen. Außerdem bestehe eine eher situative wie endogene psychische Störung. Die Klägerin wirke chronisch erschöpft und immer schmerzgeplagt, mache ihre Arbeit trotzdem gern. 1997 sei eine Migräne diagnostiziert worden. Diese verliere sich fast immer nach den Wechseljahren. Die Kopfschmerzen seien jetzt eher Spannungskopfschmerzen im Sinne der chronischen Schmerzstörung oder durch das rheumatische Geschehen zu erklären.
Gemäß dem Bericht der F-klinik B1 vom 19.05.2017 hat sich die Klägerin dort vom 09.05.2017 bis zum 16.05.2017 unter den Diagnosen „chronifiziert generalisiertes Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren vom Fibromyalgietyp, Heberden- und Rhizarthrosen bds. ohne entzündliche Situation, Kniegelenksarthrose re.-betont, kardiovaskuläres Risikoprofil: art. Hypertonus, Hypercholesterinämie, BMI 34, hyperthyreote Stoffwechsellage mit Substitution“ in stationärer Behandlung befunden. Gemäß der Epikrise hätten sich bei massiv ausgeprägtem Schmerzbild aller Muskel- und Sehnenverhältnisse weder klinisch noch hinsichtlich der entzündlich-humoralen Parameter noch bezüglich der immunologischen Werte Hinweise auf eine entzündliche Grunderkrankung feststellen lassen. Auch im Bereich der radiologischen Bildgebung der Hände und Vorfüße hätten sich keine Hinweise für erosiv-arthritische Veränderungen gefunden. Lediglich im Bereich der Hände habe sich der klinische Befund der Heberden’schen Endgelenksarthrosen bestätigt.
In ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 26.11.2017 hat R von einer Behandlung der Klägerin bis zum 23.06.2017 berichtet und dieselben Diagnosen wie bereits im ärztlichen Attest vom 25.06.2017 mitgeteilt. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass Schmerzen in der Wirbelsäule bei der Klägerin nicht im Vordergrund gestanden hätten, sondern diese im Rahmen des chronischen Schmerzsyndroms zu erklären seien. Die seronegative rheumatoide Arthritis stelle eine chronische Gelenkerkrankung mit mäßig ausgeprägten Auswirkungen dar. Daneben lägen andere Erkrankungen des Muskelskelettapparates vor, die zu erheblichen funktionellen Einschränkungen des Leistungsvermögens führten. Der Befund sei in den letzten Jahren konstant gewesen.
Mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 04.04.2018 hat B2 die vorangegangenen versorgungsärztlichen Einschätzungen des GdB bestätigt und zusätzlich noch einen Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 ohne Relevanz für den weiterhin mit 40 eingeschätzten Gesamt-GdB berücksichtigt.
In dem daraufhin auf Antrag der Klägerin nach § 109 Abs. 1 SGG eingeholten psychiatrischen Fachgutachten vom 23.08.2018 hat K die Klägerin als deutlich niedergestimmt, erschöpft, asthenisch, starr, klagend, kognitiv und psychomotorisch verlangsamt, mit deutlicher Hypomimie und Affektlabilität mit Weinen beschrieben. Ihre affektive Schwingungsfähigkeit sei stark eingeschränkt bei erschöpft-depressiver Grundstimmung. Demgegenüber seien die Aufmerksamkeit, Konzentration und Mnestik erhalten, das formale Denken geordnet, aber verlangsamt und verarmt. Es bestünden generalisierte Ängste mit innerer Unruhe, Anspannung bei reduziertem Antrieb und reduzierter Psychomotorik und depressiver, erschöpfter Stimmung. Die erreichten Scorewerte in den psychometrischen Testverfahren entsprächen einer mittelschweren Depression. K1 hat auf psychiatrischem Fachgebiet eine phasenhaft verlaufende Depression, aktuell mittelschwere Episode, eine intermittierende Dysthymia, eine generalisierte Angststörung, eine prolongierte Anpassungsstörung sowie ein chronisches Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Faktoren diagnostiziert. Auf orthopädischem und rheumatologischem Fachgebiet bestünden eine Polyarthrose mit AC-Gelenksarthrose links, eine Gonarthrose links, Heberden-Arthrosen der Fingergelenke, Rhizarthrosen der Daumensattelgelenke und eine seronegative rheumatoide Arthritis. Auf neurologischem Fachgebiet bestehe eine Fibromyalgie, auf internistischem Fachgebiet bestünden ein Zustand nach Thyreoidektomie 2003 mit Substitutionsbehandlung, eine Hypercholesterinämie und eine Hypertonie. Die phasenhaft verlaufende Depression, Dysthymia und Anpassungsstörung seien mit einem GdB von 30 zu bewerten, die generalisierte Angststörung mit einem GdB von 20 und das chronische Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Faktoren mit einem GdB von 40. Der Teil-GdB auf psychiatrischem Fachgebiet betrage 40. Unter Mitberücksichtigung eines Teil-GdB von 30 aufgrund der rheumatischen Erkrankung sei unter Berücksichtigung der Beschwerdeüberlagerungen ein Gesamt-GdB von 50 als leidensgemäß anzusehen, und zwar seit Antragstellung.
Mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 27.12.2018 ist H dieser Einschätzung entgegengetreten. Ausgehend von der Befundung im Gutachten sei eine stärker behindernde psychische Störung dokumentiert, die bei nicht ausgeprägter Symptomatik mit einem Teil-GdB von 30 weiterhin umfassend und sachgerecht bewertet sei.
Im Entlassbrief der R-Klinik, W vom 28.02.2019 über eine dort vom 07.02.2019 bis 26.02.2019 durchgeführte stationäre Behandlung wurde ein Fibromyalgiesyndrom als Hauptdiagnose genannt. Zusätzlich bestünden eine Altersform einer rheumatoiden Arthritis, anti-MCV-positiv, zurzeit nicht aktiv, Polyarthrose (u. a. Gonarthrose beidseits, Rhizarthrose beidseits, Fingerpolyarthrose), ein Verdacht auf analgetikainduzierte Hyperalgesie, ein Restless-legs-Syndrom, ein Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom beidseits (Brachialgia paraesthetica nocturna beidseits) und eine chronische Niereninsuffizienz Stadium III, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig.
Mit Urteil vom 28.03.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Gehe man mit dem Beklagten davon aus, dass bei der Klägerin eine entzündlich-rheumatische Grunderkrankung vorliege, welche indes in der F-klinik B1 nicht habe festgestellt werden können, sei diese nach Teil B, Nr. 18.2.1 der „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) zu bewerten. Angesichts der geringen feststellbaren Funktionseinschränkungen sei die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 30 durch den Beklagten nicht zu beanstanden. Gehe man stattdessen von einem Fibromyalgiesyndrom aus, richte sich die Bewertung nach den VG, Teil B, Nr. 18.4, so dass sich ausgehend von gering bis allenfalls mittelgradig ausgeprägten Funktionseinschränkungen in eng umgrenzten Körperregionen unter Berücksichtigung der damit verbundenen Schmerzen kein höherer Einzel-GdB als der für die entzündlich-rheumatische Erkrankung vom Beklagten zugrunde gelegte ergebe. Der Einschätzung des Sachverständigen K1, wonach der Teil-GdB auf psychiatrischem Fachgebiet mit insgesamt 40 zu bewerten sei, ist das SG nicht gefolgt. Dessen Einschätzung, dass die Klägerin durch die psychischen Erkrankungen hinsichtlich Antrieb, Konzentration und Durchhaltevermögen stark eingeschränkt sei, überzeuge nicht, nachdem er im psychopathologischen Befund die Aufmerksamkeit, Konzentration und Mnestik der Klägerin als erhalten beschrieben habe. Im Bereich der Wirbelsäule könne nach den VG, Teil B, Nr.18.9 ausgehend von den beschriebenen Funktionseinschränkungen allenfalls ein Teil-GdB von 10 zu Grunde gelegt werden. Da im Hinblick auf die degenerative Gelenkerkrankung mit Befall insbesondere der Knie- und Daumensattelgelenke und der Acromioclaviculargelenke wesentliche Bewegungsbeeinträchtigungen der Knie-, Hand- oder Schultergelenke nicht beschrieben seien, werde ein Teil-GdB von 10 insoweit nicht erreicht. Dasselbe gelte für den Blutdruck, der nach Einschätzung von D gut eingestellt sei. Die erstmals im Entlassungsbericht der R-klinik beschriebene Niereninsuffizienz könne bei der GdB-Bemessung nicht berücksichtigt werden, nachdem es sich um eine Erstdiagnose handele, die bislang noch nicht zu einer ärztlichen Behandlung geführt habe. Das SG hat aus einem Einzel-GdB von 30 für die entzündlich-rheumatische Erkrankung/Fibromyalgie und einem Einzel-GdB von 30 für die chronische Schmerzstörung, Migräne und seelische Störung einen Gesamt-GdB von 40 gebildet und ergänzend ausgeführt, selbst wenn man das chronische Schmerzsyndrom und die depressive Störung K1 folgend mit einem Einzel-GdB von 40 bewerte, werde ein Gesamt-GdB von 50 wegen der erheblichen Überschneidungen mit den Auswirkungen der entzündlich-rheumatischen Erkrankung/Fibromyalgie nicht erreicht.
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 10.07.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.07.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und sich zur Begründung auf das von K1 erstattete Gutachten sowie die Ausführungen von R berufen, woraus sich ein höherer GdB von 50 bzw. 60 ergebe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28.03.2019 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 22.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2017 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr ab dem 21.02.2017 einen GdB von wenigstens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für überzeugend und sieht die bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen als mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet an.
Die Klägerin hat den Entlassungsbericht der F-klinik B1 vom 09.10.2019 über eine dort vom 11.09.2019 bis 09.10.2019 auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme vorgelegt, in welchem als Hauptdiagnosen ein Wirbelsäulensyndrom, hauptsächlich cervical und lumbal mit entsprechender Bewegungseinschränkung, eine generalisierte Polyarthrose, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, und eine generalisierte Angststörung aufgeführt sind. Als weitere Diagnosen werden Adipositas, arterielle Hypertonie, rheumatischer Schmerz in Form einer Altersform einer rheumatoiden Arthritis, (anti-MCV positiv, letztes Labor nicht aktiv), eine intermittierende Dysthymia (im Sinne einer Double Depression) und eine prolongierte Anpassungsstörung genannt. Das Leistungsvermögen der Klägerin betrage in der Tätigkeit als EDV-Sachbearbeiterin sowie für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes 6 Stunden und mehr pro Arbeitstag, wenn auch ständig sitzende Tätigkeiten künftig vermieden werden sollten. Eine „Höherstellung“ des GdB werde befürwortet.
Der Senat hat ein Sachverständigengutachten bei N eingeholt, die in ihrem Gutachten vom 09.11.2020 folgende Diagnosen gestellt hat: Fibromyalgiesyndrom/chronische Schmerzstörung/seelische Störung (GdB 40); entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankung (seronegative rheumatoide Arthritis) (GdB 20) und Funktionsbehinderung der Hals- und Lendenwirbelsäule bei degenerativen Veränderungen, beginnende degenerative Veränderungen des Schultergelenkes bds. und der Fingergelenke bds (GdB 20). Das Fibromyalgiesyndrom stehe im Vordergrund der Beschwerdesymptomatik. Nachdem bei der Klägerin alle geprüften fibromyalgietypischen Tenderpoints druckschmerzhaft gewesen seien, sei davon auszugehen, dass ein ausgeprägtes Fibromyalgiesyndrom vorliege. Der Gesamt-GdB betrage 50.
W1 hat in seinem Gutachten vom 22.04.2021 auf seinem Fachgebiet eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode (ICD-Nr. F33.0), und Dysthymie (ICD-Nr. F34.1) im Sinne einer Double Depression und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren diagnostiziert. Er hat ausgeführt, die Schmerzen seien überwiegend durch rheumatologische und orthopädische Befunde erklärbar. Im Hinblick auf die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung müsse festgehalten werden, dass es sich definitionsgemäß um mindestens sechs Monate andauernde brennende Schmerzen handeln müsse, die nicht ausreichend durch eine körperliche Störung erklärt werden könnten und bei denen schwerwiegende emotionale und/oder psychosoziale Belastungen bzw. Konflikte in einem entscheidenden ursächlichen Zusammenhang zu deren Genese stünden. Dies sei aber bei der Klägerin sicherlich nicht der Fall, da hinreichende körperliche Störungen bzw. physiologische Prozesse bestünden, die den Schmerz überwiegend erklären könnten und schwerwiegende psychosoziale Probleme nicht eruierbar gewesen seien. In psychiatrischer Hinsicht bestehe bei der Klägerin insbesondere eine Double Depression mit zugrundeliegender Dysthymie und rezidivierender depressiver Störung, wobei letztere als allenfalls leichtgradig ausgeprägt angesehen werden müsse. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe zusammenfassend eine seelische Störung, die zu einer Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit führe, nicht jedoch verbunden sei mit mittelgradigen oder schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Im Hinblick auf die nur leichtgradig ausgeprägte Depressivität hat W1 den GdB auf seinem Fachgebiet mit „maximal 30“ eingeschätzt. Nehme man die GdB-Einschätzung im orthopädischen Gutachten von N mit 50 als gegeben an und berücksichtige man die Überschneidung zwischen Depressivität und Schmerzstörung, sei ein Gesamt-GdB von 60 angemessen.
Hierzu hat der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von H1 vom 19.08.2021 vorgelegt. Hiernach sei auch aus den vorgelegten Gutachten kein höherer Gesamt-GdB als 40 begründbar. Im Funktionssystem „Psyche“ liege eine stärker behindernde Störung vor, deren GdB-Rahmen 30-40 betrage. Gehe man an die untere Grenze des Ermessensspielraumes, könne man aufgrund der Auswirkungen der entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankung und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule den Gesamt-GdB auf 40 erhöhen. Gehe man, wie von N vorgeschlagen, im Funktionssystem „Psyche“ an die Obergrenze, weil man hier das chronische Schmerzsyndrom in besonderem Maße mitberücksichtige, sei von einer vollständigen Überschneidung mit dem orthopädischen Krankheitsbild auszugehen. In jedem Fall erscheine ein GdB von 40 zutreffend.
Die Klägerin hat Befundberichte des Bezirkskrankenhauses G1 vom 24.08.2021 über einen stationären Aufenthalt vom 19.08.2021 bis zum 24.08.2021 (CT-gestützte Zystensprengung der Facettenzyste auf Höhe LWK5/SWK1 links am 20.08.2021) und vom 17.09.2021 über einen weiteren stationären Aufenthalt der Klägerin dort vom 13.09.2021 bis zum 19.09.2021 (Resektion der Facettengelenkszyste auf Höhe LWK5/SWK1 links am 14.09.2021) vorgelegt.
Hierzu hat sich H1 in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.10.2021 dahingehend geäußert, zum derzeitigen Zeitpunkt werde empfohlen, an der bisherigen Einstufung festzuhalten.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet.
1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist neben dem erstinstanzlichen Urteil der Bescheid des Beklagten vom 22.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2017, mit dem dieser bei der Klägerin einen GdB von 40 ab dem 21.02.2017 festgestellt hat. Die Klägerin begehrt im Wege der zulässigen (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 14.06.2018 – B 9 SB 2/16 R – juris, Rn. 18) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Abänderung des Bescheides und die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines höheren GdB von 50.
2. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht durch Urteil vom 28.03.2019 abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 22.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.
a) Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Höherbewertung ihres GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 2 Abs. 1 SGB IX in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese, da Übergangsregelungen fehlen, nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – juris, Rn. 10; BSG, Urteil vom 04.09.2013 – B 10 EG 6/12 R – juris, Rn. 37; Stölting/Greiser in: SGb 2015, S. 135-143).
Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. BSG, Urteil vom 11.11.2004 – B 9 SB 1/03 R – juris, Rn. 12).
b) Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der vom 01.07.2001 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX in der vom 01.07.2001 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen im Sinne des Teils 2 des SGB IX (in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung) schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX in der vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen im Sinne des Teils 3 des SGB IX (in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung) schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX haben.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der vom 30.12.2016 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der Fassung ab dem 01.01.2018 stellen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der vom 30.12.2016 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.
Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der vom 30.12.2016 bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), vom 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), vom 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), vom 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und vom 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie die Gesetze vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) und 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris, Rn. 28).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB sowohl nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung als auch nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris, Rn. 29). Nach den VG, Teil A, Nr. 3, c) ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3, d), ee) von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte; auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3, b) bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.
Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris, Rn. 30).
c) Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze hat die Klägerin auf ihren Änderungsantrag vom 21.02.2017 keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.
aa) Für die Behinderungen im Funktionssystem „Rumpf“ ist der Einzel-GdB mit 20 zu bewerten, wie von N – unter Einbeziehung der Auswirkungen der beginnenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Schultergelenke und Fingergelenke beidseits – vorgeschlagen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) beträgt der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40. Ausgehend von einer bei der Seitneigung mit 30/0/40 Grad (Normwert 45/0/45 Grad) und beim Vorneigen mit 75/0/75 Grad eingeschränkten Halswirbelsäulenbeweglichkeit bei mit normwertigen 70/0/70 Grad nicht eingeschränkter Seitwärtsdrehung und einem Kinn-Brustbein-Abstand beim Vor-/Rückneigen von 3-15 cm sowie einer eingeschränkten Vorneigung (Schober’sches Maß: 13/10/10 <Normwert 15/10/9 cm>) an der Lendenwirbelsäule bei normwertigen Bewegungsmaßen bei der Seitneigung und Rotation um die Rumpfachse von je 30/0/30 Grad hat N die funktionellen Auswirkungen als insgesamt „mittelschwer“ bezeichnet und mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Dem schließt sich der Senat an. Das von ihr ermittelte Schober’sche Maß von 13/10/10 cm weicht zwar vom Normwert von 15/10/9 cm ab, aber vor dem Hintergrund, dass die weiteren erhobenen Bewegungsmaße normwertig sind, besteht im Bereich der Lendenwirbelsäule insgesamt nur eine geringgradige Bewegungseinschränkung. Neurologische Defizite hat N nicht festgestellt. Ausgehend von den daneben bestehenden gering- bis mittelgradigen Bewegungseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule ist die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 zutreffend. Ein höherer Einzel-GdB ergibt sich auch nicht aus den Berichten des Bezirkskrankenhauses G1 vom 24.08.2021 über eine dort am 20.08.2021 durchgeführte CT-gestützte Zystensprengung der Facettenzyste auf Höhe LWK5/SWK1 links und vom 17.09.2021 über eine Resektion der Facettengelenkszyste auf Höhe LWK5/SWK1 links am 14.09.2021. Denn es handelt sich hierbei um eine akute Erkrankung, nachdem Anlass für die Behandlung ausweislich der Anamnese seit zwei Wochen vor der stationären Aufnahme am 19.08.2021 bestehende starke Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein gewesen sind, und sich die Beschwerdesymptomatik nach der Zystensprengung bis zur Entlassung am 24.08.2021 deutlich zurückgebildet hat und nach der schließlich erfolgten Resektion der Facettengelenkszyste am 14.09.2021 die radikuläre Schmerzsymptomatik mit Ausstrahlung in das linke Bein regredient war. Somit ist es nicht als wahrscheinlich anzusehen, dass die Klägerin durch diese Erkrankung länger als sechs Monate beeinträchtigt wird.
bb) Die im Funktionssystem „Arme“ bestehenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet bedingen keinen Einzel-GdB von 10. Zwar hat die orthopädisch-rheumatologische Sachverständige N radiologisch nachgewiesene degenerative Veränderungen der Schultereckgelenke (Acromioclavikulargelenke) und am Humeruskopf rechts beschrieben, ebenfalls degenerative Veränderungen aller Mittel- und Endgelenke der Langfinger, besonders am Endgelenk des 2. Fingers links. Da hieraus jedoch keine funktionellen Einschränkungen resultieren, kommt dem für die Bemessung des GdB keine entscheidende Bedeutung zu. Nur bei Bewegungseinschränkungen, Versteifung oder Instabilität des Schultergelenks sehen die VG, Teil B, Nr. 18.13 einen GdB vor; Voraussetzung für einen GdB von 10 etwa ist eine Einschränkung der Armhebung auf bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit. Gleiches gilt für die Fingergelenke. Selbst bei Versteifung eines Fingers in mittlerer Gebrauchsstellung sehen die VG, Teil B, Nr. 18.13 nur einen GdB von 0 bis 10 vor. Demgegenüber hat N beide Schultergelenke als frei beweglich und die Fingergelenke als reizlos und frei beweglich beschrieben.
cc) Die im Funktionssystem „Beine“ nachgewiesenen orthopädischen Gesundheitsstörungen bedingen ebenfalls keinen Einzel-GdB von wenigstens 10. Zwar hat K im MRT-Befund des linken Kniegelenks vom 18.03.2019 laut der Auswertung durch den Versorgungsarzt R2 (vgl. dessen Stellungnahme vom 27.08.2019, die der Senat im Urkundsbeweis verwertet) eine Schädigung des Innenmeniskushinterhorns und eine Degeneration des vorderen Kreuzbandes in Verbindung mit einer Arthrose der Kniescheibenrückseite beschrieben und hat S als sachverständiger Zeuge in seinem Schreiben vom 16.11.2017 die Diagnose einer Außenmeniskusläsion des linken Kniegelenks mitgeteilt. Zudem sind in einem MRT des rechten Kniegelenks vom 07.08.2019 dort ebenfalls arthrotische Veränderungen sowie ein Zustand nach Zerrung/Teilruptur des vorderen Kreuzbandes und ein älterer Unterflächenriss des Innenmeniskushinterhorns mit mucoider Degeneration beschrieben. Jedoch hat die Sachverständige N bei ihrer Untersuchung der Klägerin am 04.11.2020 mit beidseits 150/0/5 Grad uneingeschränkte, normwertige Bewegungsmaße beider Kniegelenke erhoben und die Kniegelenke als unauffällig konturiert, ohne Kapselschwellung, Ergussbildung, Rötung oder Erwärmung, mit festem Bandapparat und freiem Kniescheibenspiel beschrieben. Nachdem die Beweglichkeit beider Hüftgelenke mit jeweils 130/0/10 Grad (Beugung/Streckung), 50/0/30 Grad (Auswärts-/Einwärtsdrehung bei um 90 Grad gebeugtem Hüftgelenk) und 40/0/30 Grad (Abspreizen/Anspreizen) sowie des oberen Sprunggelenks (beidseits 20/0/50 Grad) ebenfalls den von N mitgeteilten Normwerten entsprochen hat, das untere Sprunggelenk bei ihrer Untersuchung ebenfalls frei beweglich gewesen ist, und die Sprunggelenke als unauffällig konturiert, ohne Ergussbildung, Kapselschwellung, Rötung oder Überwärmung beschrieben worden sind, sind mit einem GdB zu bewertende orthopädische Funktionseinschränkungen der unteren Extremitäten nicht feststellbar.
dd) Die Auswirkungen der bei der Klägerin darüber hinaus ebenfalls noch bestehenden seronegativen rheumatoiden Arthritis, nach Angabe der R in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 26.11.2017 mit Befall der kleinen Gelenke der Hand- und Fingergelenke und der Fußgelenke, nicht aber der Wirbelsäule, betrifft ebenfalls die Funktionssysteme „Arme“ und „Beine“. Sie ist mit einem GdB von 20 zu bewerten, wie R überzeugend dargelegt hat. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 sind bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben der strukturellen und funktionellen Einbuße die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.2.1 beträgt bei entzündlich-rheumatischen Krankheiten der Gelenke und/oder der Wirbelsäule (z.B. Bechterew-Krankheit) ohne wesentliche Funktionseinschränkung mit leichten Beschwerden der GdB 10, mit geringen Auswirkungen (leichtgradige Funktionseinbußen und Beschwerden, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringe Krankheitsaktivität) der GdB 20 bis 40, mit mittelgradigen Auswirkungen (dauernde erhebliche Funktionseinbußen und Beschwerden, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität) der GdB 50 bis 70 und mit schweren Auswirkungen (irreversible Funktionseinbußen, hochgradige Progredienz) der GdB 80 bis 100. Es handelt sich, wie die rheumatologische Sachverständige N dargelegt hat, um eine entzündliche Gelenkerkrankung mit entzündlichen und schmerzhaften Gelenksymptomen, die in der Regel keine dauernden Gelenkschäden verursachen und schubförmig verlaufen. Bei der Untersuchung am 04.11.2020 waren keine wesentlichen Entzündungssymptome erkennbar und alle Extremitätengelenke waren frei beweglich. Entzündliche Aktivität war ebenfalls weder während des stationären Aufenthalts der Klägerin in der R-Klinik vom 07.02.2019 bis zum 26.02.2019 feststellbar noch während des Aufenthalts der Klägerin in der F-klinik vom 09.05.2017 bis zum 16.05.2017, wo ausweislich des Berichts vom 19.05.2017 sogar jegliche Hinweise für das Vorliegen einer entzündlichen Grunderkrankung verneint worden sind. Anhaltspunkte für einen entzündlichen Schub im Zeitraum seit Eingang des Änderungsantrages beim Beklagten am 21.02.2017 hat der Senat nicht. Angesichts der von N an den oberen und unteren Extremitäten erhobenen uneingeschränkten Bewegungsmaße und der seitengleichen kräftigen Bemuskelung der Ober- und Unterschenkel ist es überzeugend, dass die Sachverständige eine Bewertung mit einem GdB von 20, entsprechend den festgestellten nur geringen Auswirkungen, vorgeschlagen hat.
ee) Der Einzel-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ beträgt 40. Im Vordergrund der Beschwerden der Klägerin stehen chronifizierte Schmerzen im Bereich der Muskulatur und Gelenke, die von der orthopädisch-rheumatologischen Sachverständigen diagnostisch als „Fibromyalgiesyndrom/chronische Schmerzstörung/seelische Störung“ eingeordnet worden sind. Es handelt sich um Ganzkörperschmerzen, bei denen ausgehend von den Reha-Entlassungsberichten der R-Klinik vom 28.02.2019 und der F-klinik vom 09.10.2019 Beschwerden der Schulter-Nacken-Region und Wirbelsäulenbeschwerden im Vordergrund stehen. Gleichwohl erhöhen die Auswirkungen der Fibromyalgie den Einzel-GdB weder für das Funktionssystem „Rumpf“ noch für die Funktionssysteme „Arme“ und „Beine“. Vielmehr sind die Beschwerden dem Funktionssystem „Gehirn und Psyche“ zuzuordnen.
(a) Bei einem Fibromyalgiesyndrom handelt es sich um ein Somatisierungs-Syndrom (ggl. BSG, Beschluss vom 16.03.2016 – B 9 SB 85/15 B, Rn. 8, juris), dessen Ursache nach den überzeugenden Darlegungen der N in ihrem Gutachten nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, wobei affektive Störungen jedenfalls Risikofaktoren für die Entwicklung und Aufrechterhaltung eines Fibromyalgiesyndroms darstellen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.4 sind die Fibromyalgie und ähnliche Syndrome jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Nachdem es sich ausweislich der insoweit überzeugenden Darlegungen von N bei der Klägerin um ausgedehnte, mechanisch nicht erklärbare Schmerzsyndrome an stark druckschmerzhaften Sehnenansätzen und Muskeln ohne hinreichenden somatischen Befund handelt, ist für die Bemessung des GdB hier auf den Maßstab der VG, Teil B, Nr. 3.7 abzustellen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2012 – L 6 SB 4838/10, Rn. 33, juris). Dafür spricht auch, dass N synonym die Diagnose „Fibromyalgiesyndrom“ zusammen mit den Diagnosen „chronische Schmerzstörung/seelische Störung“ aufgeführt hat.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem solchen von 30 bis 40 und schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) im Falle mittelgradiger sozialer Anpassungsstörungen mit einem solchen von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem solchen von 80 bis 100 zu bewerten.
(b) Ausgehend davon ist die von N vorgeschlagene Bewertung für ein „Fibromyalgiesyndrom/chronische Schmerzstörung/seelische Störung“ mit einem GdB von 40 zwar am oberen Rand des Bemessungsrahmens, aber noch vertretbar. Für eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit entsprechend einer ausgeprägteren somatoformen Störung spricht, dass bei der Untersuchung durch N alle 18 Tenderpoints bei der Klägerin druckschmerzhaft waren und sie wegen schmerzhafter Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden in relativ kurzer Folge, vom 09.05.2017 bis zum 16.05.2017 in der F-klinik B1, vom 07.02.2019 bis zum 26.02.2019 in der R-Klinik in W und vom 11.09.2019 bis zum 09.10.2019 wiederum in der F-Klinik, mehrere stationäre Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt hat. Demgegenüber ist die Klägerin bis zum regulären Eintritt in die Altersrente im November 2020 einer vollschichtigen Berufstätigkeit als EDV-Sachbearbeiterin im Zentrallager eines Lebensmittel-Discounters nachgegangen, deren weitere Ausübung sie sich ausweislich des Reha-Entlassungsberichts der F-klinik vom 09.10.2019 mit ihrer Erkrankung auch selbst zugetraut hat, wenngleich sie nach ihren Angaben gegenüber W1 zuletzt zwischen Oktober 2019 und November 2020 arbeitsunfähig krank gewesen ist. Zwar hat W1 die Klägerin als bei der körperlich-neurologisch Untersuchung „ersichtlich eingeschränkt“ bezeichnet und im körperlichen Untersuchungsbefund von einer deutlichen Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule beim An- und Auskleiden berichtet. Indes hat N bei ihrer orthopädisch-rheumatologischen Begutachtung der Klägerin nur geringe bis mäßige Bewegungseinschränkungen an der Wirbelsäule feststellen können. Außerdem hat W1 Defizite bezüglich Hirnnerven, Reflexen, Sensibilität, Motorik und Koordination nicht erkennen können. Soweit die Klägerin gegenüber N über Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit geklagt hat, ist dies durch die nachfolgende psychiatrische Begutachtung nicht bestätigt worden. Die Aufmerksamkeit und Konzentration waren bei der Untersuchung durch W1 am 20.04.2021 bei regelrechter Auffassungsgabe ungestört, relevante Störungen der Gedächtnisfunktion waren nicht eruierbar. Schmerzmittel (Ibuprofen, Novaminsulfon) nimmt die Klägerin ausweislich ihrer Angaben gegenüber W1 nur bei Bedarf ein; eine regelmäßige Schmerztherapie führt sie nicht durch.
(c) Die daneben noch bestehende rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, (ICD-Nr. F33.0), und Dysthymie (ICD-Nr. F34.1) im Sinne einer Double Depression, ist ausweislich der insoweit überzeugenden Darlegungen von W1 „allenfalls leichtgradig ausgeprägt“. Sie ist ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben mit einem GdB von 20 zu bewerten. Soweit W1 darüber hinaus auch die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren gestellt hat, sieht der Senat den Nachweis einer weiteren Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet, die in ihren Auswirkungen über diejenige der von N mit „Fibromyalgiesyndrom/chronische Schmerzstörung/seelische Störung“ bezeichnete Erkrankung hinausgeht, als nicht erbracht an. Denn W1 hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass es sich bei einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung definitionsgemäß um mindestens sechs Monate andauernde intensive und brennende Schmerzen handeln müsste, die nicht ausreichend durch eine körperliche Störung erklärt werden können und bei denen schwerwiegende emotionale und/oder psychosoziale Belastungen bzw. Konflikte in einem entscheidenden Zusammenhang zu deren Genese stehen, um dann selbst einzuräumen, dass dies bei der Klägerin „sicherlich nicht der Fall“ ist. Ihren Schmerz hat er als durch physiologische Prozesse überwiegend erklärbar angesehen, schwerwiegende emotionale und/oder psychosoziale Probleme nicht eruieren können und schließlich die Einschätzung geäußert, dass bei der Klägerin „gewisse psychische Faktoren“ die Schmerzsymptomatik zwar überlagern, aber diese psychischen Faktoren die körperlichen Bedingungen nicht deutlich übertreffen.
(d) Soweit W1 wegen der rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode (ICD-Nr. F33.0), und Dysthymie (ICD-Nr. F34.1) im Sinne einer Double Depression, unter Mitberücksichtigung einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren den GdB auf seinem Fachgebiet mit „maximal 30“ eingeschätzt hat, wird diese Einschätzung vom Senat nicht geteilt. Zutreffend ist insoweit ein GdB von 20, wodurch der GdB von 40 für ein „Fibromyalgiesyndrom/chronische Schmerzstörung/seelische Störung“ nicht erhöht wird, so dass der Einzel-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ mit 40 zu bemessen ist. Der Senat stützt sich bei seiner Einschätzung auf die im Urkundsbeweis verwertete Stellungnahme von H1 vom 19.08.2021. Weder der Tagesablauf der Klägerin noch die vollständig erhaltenen Alltagskompetenzen rechtfertigen eine höhere GdB-Bewertung. Die Klägerin hat gegenüber W1 einen geregelten Tagesablauf geschildert. Ihr Interessenspektrum ist erhalten, sie geht spazieren, macht Reha-Sport, hört Musik, kocht gern, liest viel und hört Predigten. Sie führt ihren Haushalt weitgehend selbständig. Ein sozialer Rückzug war nicht eruierbar; die Klägerin pflegt soziale Kontakte innerhalb ihrer Kirchengemeinde und zu ihren Kindern und Enkeln. Auch die Medikation (Therapie mit einem Johanniskrautpräparat <Laif 900> sowie Duloxetin 30mg) und die niedrige Behandlungsfrequenz (Besuche bei der Psychiaterin etwa alle drei Monate, seit Beginn der Corona-Pandemie keine Psychotherapie mehr) sprechen gegen einen höheren GdB.
Aus dem Gutachten von K1 ergibt sich ebenfalls kein höherer Einzel-GdB als 40 für alle das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ betreffenden Gesundheitsstörungen, nachdem dieser den GdB für alle Erkrankungen des psychischen Fachgebietes mit 40 eingeschätzt hat.
ff) Im Funktionssystem „Harnorgane“ ist ein Einzel-GdB nicht festzustellen. Soweit in der R-klinik während des stationären Aufenthaltes der Klägerin dort im Februar 2019 wegen eines einmalig leicht erhöhten Kreatininwertes von 1,0 mg/dl und eines ebenfalls nur einmalig leicht erhöhten GFR-Wertes von 60 ml/min die Diagnose einer chronischen Niereninsuffizienz Stadium III gestellt worden ist, ist eine mindestens sechs Monate andauernde Einschränkung der Nierenfunktion im Sinne der VG, Teil B, Nr. 12.1.3 nicht erwiesen. Denn ausweislich des Entlassungsberichts der R-klinik vom 28.02.2019 lagen die Kontrollwerte mit einem Kreatininwert von 0,8 mg/dl und einem GFR-Wert von 78 ml/min im Normbereich, was ebenfalls für die übrigen Parameter galt, die im oder am Normbereich lagen. Auch die in der F-klinik am 10.05.2017 erhobenen diesbezüglichen Laborwerte lagen mit 0,9 mg/dl (Normbereich 0,50-0,95 mg/dl) und 63 ml/min (Normbereich >60 ml/min) im Normbereich. Im Entlassungsbericht der F-klinik vom 09.10.2019 wurde die Diagnose einer Niereninsuffizienz trotz ausdrücklicher Kenntnis der in der R-klinik gestellten Diagnose nicht erneut genannt.
gg) Auch im Funktionssystem „Herz-Kreislauf“ besteht kein Einzel-GdB von wenigstens 10, da der Blutdruck der Klägerin laut Auskunft des sachverständigen Zeugen D vom 22.11.2017 medikamentös gut eingestellt ist (vgl. VG, Teil B, Nr. 9.3). Insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen im Urteil des SG an (§ 153 Abs. 2 SGG).
d) Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 40 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, Einzel-GdB 20 für die seronegative rheumatoide Arthritis mit Auswirkungen auf die Funktionssysteme „Arme“ und „Beine“, Einzel-GdB 20 im Funktionssystem „Rumpf“) lässt sich der Gesamt-GdB nicht höher als mit 40 feststellen. Denn bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr. 2 und 3 von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und ist dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen von Ausnahmefällen abgesehen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Die Einzel-GdB-Werte von einmal 40 und zweimal 20 sind nicht geeignet, einen Gesamt-GdB von mehr als 40 zu rechtfertigen. Umstände wie etwa das besonders ungünstige Zusammenwirken von Behinderungen, die eine Ausnahme zulassen könnten, liegen bei der Klägerin nicht vor. Vielmehr überschneiden sich die von N diagnostisch als „Fibromyalgiesyndrom/chronische Schmerzstörung/seelische Störung“ eingeordneten Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin in Form von Ganzkörperschmerzen bzw. schmerzhaften Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule, der Schulter-Nacken-Region und der sonstigen Gelenke mit den Auswirkungen der orthopädischen und rheumatologischen Erkrankungen des Bewegungsapparates nahezu vollumfänglich. Der Senat stützt sich bei seiner Einschätzung auch auf die Äußerung des Sachverständigen W1, wonach bei der Klägerin „gewisse psychische Faktoren“ die Schmerzsymptomatik zwar überlagern, aber diese psychischen Faktoren die körperlichen Bedingungen nicht deutlich übertreffen. Ergänzend stützt sich der Senat auch auf die im Urkundsbeweis verwertete überzeugende Stellungnahme von H1 vom 19.08.2021. Zu berücksichtigen ist hiernach bei der Bemessung des Gesamt-GdB auch, dass N bei ihrer GdB-Bemessung den für stärker behindernde Störungen eröffneten GdB-Rahmen zwischen 30 und 40 nach oben ausgeschöpft hat, obwohl die geklagten Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit durch die nachfolgende psychiatrische Begutachtung nicht bestätigt worden sind, eine regelmäßige Schmerztherapie nicht durchgeführt wird, Schmerzmittel nur bei Bedarf eingenommen werden, der Haushalt im Wesentlichen von der Klägerin selbst geführt wird und ein sozialer Rückzug nicht feststellbar ist. Deshalb und da die Sachverständigen K1, N und W1 teilweise schon von zu hohen Einzel-GdB-Werten ausgegangen sind, war deren Einschätzung des Gesamt-GdB mit 50 oder gar 60 nicht zu folgen. Dass der Gesamt-GdB der Klägerin zutreffend mit 40 einzuschätzen ist, ergibt sich auch daraus, dass bei der Bemessung des Gesamt-GdB ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen ist. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. So ist ein GdB von 50 beispielsweise nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 oder 18.14 bei Verlust eines Armes im Unterarm oder Verlust eines Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke anzunehmen. Hinter einer solchen doch gravierenden Funktionsbehinderung bleiben die bei der Klägerin dokumentierten Einschränkungen zurück.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 3016/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2282/19
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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