Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29.12.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist in diesem Verfahren die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Der Beklagte hatte bei dem im Jahr 1956 geborenen Kläger unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des W vom 04.03.2013, in der eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke und einer Großzehengrundgelenksarthrose rechts mit einem Einzel-GdB von 30, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 sowie Ohrgeräusche rechtsseitig mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 40 eingeschätzt worden waren, in Ausführung des hierauf beruhenden und vor dem Sozialgericht (SG) Freiburg in dem unter dem Aktenzeichen S 5 SB 267/12 geführten Verfahren geschlossenen Vergleichs vom 15.11.2013 mit Bescheid vom 02.01.2014 den GdB mit 40 seit 01.02.2011 festgestellt.
Der Kläger beantragte am 02.02.2017 die Heraufsetzung des GdB. Er legte dabei die Arztbriefe des SRH-Klinikums K vom 28.06.2013 mit den Diagnosen Gonarthrose sowie Retropatellararthrose beidseits rechts mehr als links und der B vom 25.06.2015, 17.09.2015 sowie 10.12.2015 mit den Diagnosen chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Tinnitus beidseits, mittelgradige depressive Episode, chronische Schmerzen der Kniegelenke bei Zustand nach arthroskopischen Operationen und Polyneuropathie der Beine vor. E berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.06.2017 als Behinderungen eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, eine Großzehengrundgelenksarthrose rechts, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine Polyneuropathie mit einem Einzel-GdB von 30, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20, Ohrgeräusche rechtsseitig mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine Depression mit einem Einzel-GdB von 10 und schätzte den Gesamt-GdB mit 40 ein. Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 06.06.2017 ab.
Hiergegen legte der Kläger am 10.07.2017 Widerspruch ein. Der Beklagte zog den Arztbrief der T-Klinik K1 vom 18.10.2017 mit den Diagnosen Zustand nach Implantation einer medialen Schlittenprothese am 05.09.2017 bei medialer Gonarthrose rechts, arterielle Hypertonie und Hyperlipidämie bei. F-B hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.11.2017 an der bisherigen GdB-Beurteilung fest. Sodann wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2017 den Widerspruch zurück.
Der Kläger hat am 14.12.2017 Klage zum SG Freiburg erhoben.
Das SG Freiburg hat diese Klage und die gegen den die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs für eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) ablehnenden Bescheid vom 11.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2018 gerichtete, am 24.04.2018 erhobene und unter dem Aktenzeichen S 17 SB 1909/18 geführte Klage mit Beschluss vom 12.06.2018 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Das SG Freiburg hat zunächst die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.
E1 hat unter dem 25.06.2018 über den postoperativen Befund nach der erfolgten endoprothetischen Versorgung des rechten Kniegelenks berichtet und ausgeführt, im April 2018 sei eine koronare 3-Gefäßerkrankung diagnostiziert worden. Aus den beigefügten Arztbriefen des MediClin Herzzentrums L/B vom 20.04.2018 und 12.06.2018 geht hervor, angiographisch habe sich eine koronare 3-Gefäßerkrankung gezeigt, woraufhin mit gutem Primärergebnis eine Perkutane Transluminale Coronare Angioplastie (PTCA) des Ramus circumflexus (RCX) mit Implantation von 2 beschichteten Stents durchgeführt worden sei. Die Intervention sei ohne Komplikationen verlaufen. Das Belastungs-Elektrokardiogramm (EKG) habe eine Belastbarkeit bis 125 Watt bei Abbruch wegen peripherer Erschöpfung ergeben. B hat in ihrer Auskunft vom 05.07.2018 unter Beifügung des Arztbriefs des O-Klinikums L-E vom 09.07.2015 mit der Diagnose vermehrte periodische Beinbewegungen die wiederkehrende Depression bei medikamentöser Behandlung mit einem GdB von 40, das chronische Schmerzsyndrom bei Polyneuropathie und Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule mit einem GdB von 30 und den Gesamt-GdB mit 50 eingeschätzt. In einer weiteren Arztauskunft vom 09.04.2019 hat E1 über die kardiologische sowie neurologisch-psychiatrische Entwicklung und die Gonarthrose rechts berichtet. Aus dem beigefügten Arztbrief des MediClin Herzzentrums L/B vom 19.03.2019 geht hervor, die aktuell durchgeführten Untersuchungen in Form einer transthorakalen Echokardiographie und einer Herzkatheteruntersuchung hätten gute Ergebnisse erbracht.
Sodann hat das SG Freiburg den Kläger begutachten lassen.
L hat in seinem Gutachten vom 24.05.2019 ein Schmerzsyndrom der Wirbelsäule, betont der Lendenwirbelsäule, mit leichten Einschränkungen der Beweglichkeit und statischen Belastbarkeit bei verschleißbedingten Veränderungen ohne objektivierbares sensibles und motorisches Defizit diagnostiziert und mit einem GdB von 10 bewertet, ein Schmerzsyndrom beider Hüftgelenke mit objektivierbar leichten Einschränkungen der Beweglichkeit und Belastbarkeit und geringfügigen Einschränkungen der Gehfähigkeit diagnostiziert und mit einem GdB von 10 bewertet, ein Schmerzsyndrom beider Kniegelenke, rechts bei Zustand nach Teilersatz, links bei gesicherter Arthrose mit mittelgradiger Einschränkung der Belastbarkeit, Beweglichkeit und Gehfähigkeit diagnostiziert und mit einem GdB von 30 bewertet und eine Fußdeformität und Großzehengrundgelenksarthrose rechts mit eingeschränkter Streckbarkeit mit geringgradigem funktionellen Defizit diagnostiziert und mit einem GdB von unter 10 bewertet. Insgesamt sei, die zutreffende Bewertung auf den anderen Fachgebieten unterstellt, ein Gesamt-GdB von 40 festzustellen.
L1 hat in seinem Gutachten vom 16.09.2019 eine durch eine zwischenzeitlich erfolgte psychosomatische Rehabilitationsbehandlung bedingte geringe Restsymptomatik der vormals bestehenden Depressivität mit noch zu beobachtender Grundschwingung von Ängstlichkeit diagnostiziert und mit einem GdB von 10 bewertet. Der Gesamt-GdB betrage 40.
Ferner hat das SG Freiburg den Arztbrief des MediClin Herzzentrums L/B vom 25.06.2019, wonach das Belastungs-EKG eine Belastbarkeit bis 100 Watt bei Abbruch wegen peripherer Erschöpfung ohne Hinweis für eine neu aufgetretene belastungsinduzierte Koronarinsuffizienz oder Arrhythmie ergeben habe, und den Arztbrief des O-Klinikums L-E vom 23.08.2019, wonach der Kläger vom 09.07.2019 bis zum 20.08.2019 wegen einer mittelgradigen depressiven Episode und einer Panikstörung stationär behandelt worden sei, beigezogen.
Mit Gerichtsbescheid vom 29.12.2020 hat das SG Freiburg die Klagen abgewiesen. Der Gesamt-GdB betrage weniger als 50. Die Behinderung an den Kniegelenken rechtfertigten insgesamt einen GdB von 30. Es handele sich rechtsseitig um eine Teilendoprothese mit in gewissem Umfang eingeschränkter Versorgungsqualität, die unter Berücksichtigung der arthrotischen Beschwerden im linken Kniegelenk, jedoch ohne relevante Einschränkung der Beweglichkeit, insgesamt mit einem GdB von 30 bewertet werden könnten. Ferner sei der Wirbelsäulenschaden mit insgesamt geringen funktionellen Auswirkungen mit einem GdB von 10 zu bewerten. Auch das psychische Leiden rechtfertige einen GdB von 10. Die koronare Herzerkrankung im Sinne einer 3-Gefäßerkrankung rechtfertige keinen höheren GdB als 10.
Gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg hat der Kläger am 27.01.2021 in Bezug auf die Feststellung eines höheren GdB als 40 die hier streitgegenständliche Berufung und in Bezug auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G die unter dem Aktenzeichen L 3 SB 402/21 anhängige und mit Beschluss vom 14.04.2021 zum Ruhen gebrachte Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Er hat die Berufung nicht begründet.
Der Kläger hat folgenden Antrag gestellt:
„Es wird beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg unter dem AZ S 17 SB 4757/17 vom 30.12.2020, zugegangen am 09.01.2021 betreffs die Frage, insoweit aufzuheben, als es um die Aufhebung des Bescheides vom 06.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2017 ging, und beantragt wurde, dem Beklagten dazu zu verurteilen, bei dem Kläger ein GdB von 50% festzustellen.“
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist nicht begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ergangenen Gerichtsbescheides des SG Freiburg vom 29.12.2020 sowie des Bescheides des Beklagten vom 06.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2017 und die Verurteilung des Beklagten, einen höheren GdB als 40 festzustellen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 40.
Ermächtigungsgrundlage für die vom Kläger begehrte Neufeststellung des GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 2 Abs. 1 SGB IX in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, juris; vergleiche Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-1).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Von einer solchen ist bei einer Änderung im Gesundheitszustand auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt.
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen stellen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.
Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie die Gesetze vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) und 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.
Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 40.
Für die Behinderungen im Funktionssystem „Beine“ lässt sich kein höherer Einzel-GdB als 30 rechtfertigen. Nach dem überzeugenden Gutachten des L leidet der Kläger an einem Schmerzsyndrom beider Hüftgelenke mit leichten Einschränkungen der Beweglichkeit und Belastbarkeit und geringfügigen Einschränkungen der Gehfähigkeit, an einem Schmerzsyndrom beider Kniegelenke, rechts bei Zustand nach Teilersatz, links bei Arthrose mit mittelgradiger Einschränkung der Belastbarkeit, Beweglichkeit und Gehfähigkeit sowie an einer Fußdeformität und einer Großzehengrundgelenksarthrose rechts mit eingeschränkter Streckbarkeit mit geringgradigem funktionellen Defizit. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 beträgt bei einer Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) einseitig der GdB 10 bis 20 und beidseitig der GdB 20 bis 30. Mithin rechtfertigen die vom Sachverständigen beschriebenen Bewegungsmaße für die Hüftgelenke beim Strecken/Beugen von 0-0-110° rechts und 0-0-110° links keinen GdB. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.12 beträgt bei einseitiger Teilendoprothese bei bestmöglichem Behandlungsergebnis der GdB mindestens 10, wobei die üblicherweise gebotenen Beschränkungen eingeschlossen und bei eingeschränkter Versorgungsqualität insbesondere durch Beweglichkeits- und Belastungseinschränkung, Nervenschädigung, deutliche Muskelminderung oder ausgeprägte Narbenbildung höhere Werte angemessen sind. Es lassen sich zwar keine über das übliche Maß hinausgehenden Einschränkungen feststellen, zumal das vom Sachverständigen dokumentierte Bewegungsmaß für das rechte Kniegelenk für die Streckung/Beugung von 0-0-110°, das nach den VG, Teil B, Nr. 18.14, die erst ab einer Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung bis 0-0-90°) einen GdB ab 10 vorsehen, keinen Einzel-GdB bedingt. Allerdings ist es aufgrund der vom Sachverständigen beschriebenen Patellaanpress- und verschiebeschmerzen und vermehrter medialen Aufklappbarkeit mit Druckschmerz über dem inneren Gelenkspalt gerechtfertigt, von einer einen GdB von 20 bis 30 bedingenden eingeschränkten Versorgungsqualität auszugehen. Die Arthrose des linken Kniegelenks rechtfertigt keinen GdB, da die VG, Teil B, Nr. 18.14 nur für ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (zum Beispiel Chondromalacia patellae Stadium II bis IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen einen GdB vorsehen, ein solcher Schweregrad aber vorliegend nicht beschrieben ist und sich ein Erguss nicht hat feststellen lassen. Im Übrigen hat der Sachverständige für das linke Kniegelenk ein keinen GdB rechtfertigendes Bewegungsmaß für die Streckung/Beugung von 0-0-120° angegeben. Die Fußdeformität und Großzehengrundgelenksarthrose rechts bedingen keine weitere GdB-Erhöhung, zumal der Sachverständige lediglich eine eingeschränkte Streckbarkeit mit geringgradigem funktionellen Defizit beschrieben hat. Im Übrigen sind nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 Fußdeformitäten ohne wesentliche statische Auswirkungen (zum Beispiel Senk-Spreizfuß, Hohlfuß, Knickfuß, auch posttraumatisch) mit einem GdB von 0 zu bewerten und wesentliche statische Auswirkungen nicht aktenkundig.
Die Behinderungen im Funktionssystem „Rumpf“ sind nur mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Nach dem Gutachten des L leidet der Kläger an einem Schmerzsyndrom der Wirbelsäule, betont der Lendenwirbelsäule, mit leichten Einschränkungen der Beweglichkeit und statischen Belastbarkeit bei verschleißbedingten Veränderungen ohne objektivierbares sensibles und motorisches Defizit. Hierbei handelt es sich lediglich um einen nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 mit einem GdB von 10 zu bewertenden Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome), zumal der Sachverständige nur eine in allen Ebenen endständig eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule, eine schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der Brustwirbelsäule und eine eingeschränkte Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule beschrieben und in seiner abschließenden Bewertung die Einschränkungen der Beweglichkeit nur als leicht umschrieben hat. Ein nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 einen GdB von 20 bedingender Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome), ein nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 einen GdB von 30 bedingender Wirbelsäulenschaden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) oder ein nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 einen GdB von 30 bis 40 bedingender Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten liegt damit nicht vor.
Die Behinderungen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ bedingen einen Einzel-GdB von 10. Nach dem überzeugenden Gutachten des L1 leidet der Kläger an einer geringen Restsymptomatik einer Depressivität mit einer Grundschwingung von Ängstlichkeit. Dabei handelt es sich nur um nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 mit einem GdB von 0 bis 20 zu bewertende leichtere psychovegetative oder psychische Störungen und nicht um nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewertende stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen). Anhaltspunkte, den Bewertungskorridor nach oben auszuschöpfen, hat der Senat nicht, zumal der Sachverständige eine unauffällige Psychomotorik und Mimik, eine nicht eingeschränkte Schwingungsfähigkeit, einen nicht reduzierten Antrieb sowie unbeeinträchtigte mnestische Funktionen beschrieben und keinen Hinweis auf eine psychotische Symptomatik gesehen hat, sich eine posttraumatische Belastungsstörung nicht feststellen lässt und beim Kläger seit seinem Aufenthalt in der psychosomatischen Klinik nach eigenen Angaben keine Angstattacken mehr aufgetreten sind.
Ferner hat das SG Freiburg überzeugend dargelegt, dass und warum die Behinderungen im Funktionssystem „Herz-Kreislauf“ in Form einer koronaren Herzerkrankung im Sinne einer 3-Gefäßerkrankung keinen höheren Einzel-GdB als 10 rechtfertigen, zumal ausweislich des Arztbriefs des Herzzentrums L-E vom 25.06.2019 eine kardiale Belastbarkeit im Belastungs-EKG bis 100 Watt ohne Hinweis auf eine neu aufgetretene Koronarinsuffizienz aktenkundig ist, aber nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.1 bei einer Einschränkung der Herzleistung erst ab einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (zum Beispiel forsches Gehen [5 bis 6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten) ein GdB ab 20 in Betracht kommt.
Des Weiteren gibt es keine Anhaltspunkte dafür, den versorgungsärztlich im Funktionssystem „Ohren“ für die Ohrgeräusche angenommenen Einzel-GdB von 10 zu erhöhen, zumal der Kläger gegenüber L1 nicht über Ohrgeräusche geklagt hat.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB nicht höher als 30 im Funktionssystem „Beine“, Einzel-GdB 10 im Funktionssystem „Rumpf“, Einzel-GdB 10 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, Einzel-GdB 10 im Funktionssystem „Herz-Kreislauf“ und Einzel-GdB 10 im Funktionssystem „Ohren“) lässt sich kein höherer Gesamt-GdB als 40 feststellen. Denn bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr. 2 und 3 von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und ist dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen von Ausnahmefällen abgesehen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Umstände, wie etwa das besonders ungünstige Zusammenwirken von Behinderungen, die eine Ausnahme zulassen, liegen beim Kläger nicht vor. Nach alledem waren die Einzel-GdB-Werte von einmal höchstens 30 und viermal 10 nicht geeignet, einen Gesamt-GdB von mehr als 40 zu rechtfertigen. Dass der Gesamt-GdB des Klägers zutreffend nicht höher als mit 40 einzuschätzen ist, ergibt sich auch daraus, dass bei der Bemessung des Gesamt-GdB ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen ist. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. So ist ein GdB von 50 beispielsweise nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 oder 18.14 bei Verlust eines Armes im Unterarm oder Verlust eines Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke anzunehmen. Hinter einer solchen doch gravierenden Funktionsbehinderung sind die beim Kläger dokumentierten Einschränkungen zurückgeblieben.
Nach alledem ist die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 29.12.2020 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.