L 3 AS 1753/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 3622/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 1753/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.03.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Monat Juli 2016 sowie für die Monate Februar und März 2017.

Der 1974 geborene Kläger bezieht laufend SGB II-Leistungen von der Beklagten, die ihm vor dem hier streitigen Zeitraum zuletzt mit Bescheid vom 01.02.2016 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 11.02.2016 Leistungen in Höhe von monatlich 754,29 € für den Zeitraum von Januar bis Juni 2016 bewilligt hatte. Mit Schreiben vom 28.01.2016 bescheinigte die Beklagte dem Kläger den Bezug von SGB II-Leistungen und teilte mit, dass der aktuelle Bewilligungszeitraum zum 30.06.2016 ende.

Laut Posteingangsstempel der Beklagten beantragte der Kläger am 03.08.2016 mit einem undatierten Schreiben die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.07.2016. Aus den Nachrichten habe er erfahren, dass die Leistungen statt für sechs Monate für zwölf Monate gewährt würden. Er machte geltend, keine Weiterbewilligungsformulare erhalten zu haben, „obwohl dies sonst so üblich“ gewesen sei. Seit Anfang Juli 2016 sei das „ALG II“ ausgeblieben und sein Vermieter habe ihn schon wieder über die fehlende Miete informiert. Unter „Anlagen“ wurde u.a. ein „-WBA ab Juli 2016“ aufgeführt. Der dem Schreiben u.a. beigefügte Folgeantrag datierte vom 15.07.2016.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 04.10.2016 vorläufig Leistungen in Höhe von monatlich 754,29 € für den Zeitraum vom 01.08.2016 bis zum 31.12.2016 und in Höhe von 464,29 € (ohne Grundmiete und Nebenkosten) für den Monat Januar 2017. Eine Regelung über eine Leistungsablehnung oder -bewilligung für den Monat Juli 2016 enthielt der Bescheid nicht. Ein Bezug zu einem bestimmten oder bestimmbaren Antrag des Klägers auf Leistungen wurde in dem Bescheid nicht hergestellt. In den Erläuterungen zur Vorläufigkeit im Begründungsteil heißt es lediglich: „Sie erhalten erneut einen Bescheid, sobald über Ihren Antrag entschieden werden kann und Ihr Anspruch von dem bewilligten abweicht. […]“.

Mit Schreiben vom 04.04.2017 erinnerte der Kläger an die „ausstehende Antragsbearbeitung für die Leistungsberechnung ab 01.02.2017, zudem: ausstehende Widerspruchsbearbeitung für u.a. die Leistungen ab 01.07.2016 und Miete 01/2017.“ Er teilte der Beklagten u.a. mit, er habe am 22.01.2017 den Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab Februar 2017 eingereicht und keine Rückmeldung bekommen. Für den Fall, dass man sich nicht mehr erinnern könne, liege der vollständige Antrag inklusive Anlagen nochmals als Kopie unterschrieben dabei. Bereits bei seinem letzten Antrag, welcher ab 01.07.2016 habe laufen sollen, habe es massive Verzögerungen gegeben und bis heute fehlten Leistungen für Juli 2016. Er habe zunächst mündlich und später schriftlich Widerspruch erhoben. Als Anlagen übersandte er u.a. ein mit Datum 30.10.2016 versehenes Widerspruchsschreiben gegen den Bescheid vom 04.10.2016, ein mit Datum 22.01.2017 versehenes Schreiben mit Betreff „Antrag auf Weiterbewilligung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 01.02.2017“ sowie eine mit Datum 22.01.2017 versehene Kopie eines Folgeantrags.

Am 19.06.2017 wandte sich der Kläger wegen der ausstehenden Leistungsbewilligung für die Zeit ab Februar 2017 im Wege des einstweiligen Rechtschutzes an das Sozialgericht (SG) Karlsruhe (Az. S 14 AS 2026/17 ER).

Die Beklagte verwarf den Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.10.2016 durch Widerspruchsbescheid vom 22.06.2017 unter Hinweis auf den Ablauf der Widerspruchsfrist als unzulässig und bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 23.06.2017 SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 30.09.2017. Eine Regelung über eine Leistungsablehnung oder -bewilligung für den Zeitraum vom 01.02.2017 bis zum 31.03.2017 enthielt der Bescheid nicht. Ein Antrag des Klägers auf Leistungen fand in dem Bescheid keine Erwähnung.

Zur Begründung seines gegen den Bewilligungsbescheid vom 23.06.2017 erhobenen Widerspruchs mit Schreiben vom 23.06.2017, eingegangen bei der Beklagten am 26.07.2017, teilte der Kläger mit, er habe den Weiterbewilligungsantrag für die Leistungsgewährung ab Februar 2017 rechtzeitig am 26.01.2017 im Beisein eines Zeugen eingereicht. Das Schreiben vom 04.04.2017 sei lediglich die letzte Aufforderung gewesen, bevor rechtliche Schritte eingeleitet worden seien. Ergänzend machte er geltend, die Heizkosten seien erneut zu niedrig berücksichtigt worden.

Die Beklagte erließ am 15.08.2017 einen Bescheid, der mit „Überprüfung nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X)“ überschrieben war und in dem sie ausführte, der Kläger habe am 04.04.2017 die Überprüfung nach § 44 SGB X beantragt. Nach nochmaliger Überprüfung des Sachverhalts sei festgestellt worden, dass das Recht nicht unrichtig angewandt worden sei. Aus diesem Grund müsse es bei der getroffenen Entscheidung verbleiben. In der Begründung teilte die Beklagte mit, der Kläger habe den Folgeantrag für die Zeit ab 01.07.2016 am 03.08.3016 laut Poststempel beim Jobcenter eingereicht. Eine Antragstellung für Juli sei nicht fristgerecht erfolgt, so dass für diesen Monat keine Leistungen gewährt werden könnten. Den Folgeantrag für die Zeit ab 01.02.2017 habe er beim Jobcenter zusammen mit dem Schreiben vom 04.04.2017 am 12.04.2017 eingereicht. Eine Antragstellung für Februar und März sei daher nicht fristgerecht erfolgt. Mit Bescheid vom 23.06.2017 sei der Anspruch daher für den Zeitraum 4/2017 bis 9/2017 bewilligt worden. Die Heizkosten seien derzeit mangels Nachweise pauschal in Höhe von 51 € als Bedarf anerkannt. Eine neue Prüfung sei möglich, wenn der Kläger bestimmte, konkret benannte Unterlagen vorlege.

Mit ebenfalls vom 15.08.2017 datierendem Änderungsbescheid bewilligte die Beklagte dem Kläger höhere Leistungen für Januar 2017 unter Berücksichtigung der Miete sowie der Erhöhung der Regelleistung.

Mit zwei Schreiben vom 13.09.2017 erhob der Kläger Widerspruch gegen den jeweils vom 15.08.2017 datierenden Änderungsbescheid und „Überprüfungsbescheid“.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Az. L 3 AS 2939/17 ER-B) gegen den die Beklagte zu vorläufigen Leistungen verpflichtenden Beschluss des SG Karlsruhe vom 23.06.2017 (Az. S 14 AS 2026/17 ER) trug der Kläger in der nichtöffentlichen Sitzung am 13.09.2017 vor, den am 15.07.2016 erstellten Antrag am 18.07.2016 beim Jobcenter Pforzheim in den Briefkasten eingeworfen zu haben. Das Datum habe er sich notiert, er sei beim Einwurf des Antrags allein gewesen. Den Weiterbewilligungsantrag ab Februar 2017 habe er am 26.01.2017 gestellt. Er habe ihn ein paar Tage zuvor geschrieben, ganz genau könne er sich nicht mehr erinnern. Er meine aber, dass er ihn in den Briefkasten am Gebäude des Jobcenters eingeworfen habe. Er sei in Begleitung von Herrn M  (im Folgenden: Zeuge M.) gewesen. Dieser habe ihn gefahren. Der Zeuge M. sagte in dem Termin aus, er habe Anfang November einen Brief nach Pforzheim gebracht, da habe er oben am Parkplatz gewartet. Im Hinblick auf Januar 2017 erklärte der Zeuge M., er habe um den Geburtstag des Antragstellers (21.01.) herum mit diesem zusammen („wir“) einen Brief zum Jobcenter gebracht. Es sei mehr als nur ein Blatt im Kuvert gewesen. Er wisse es wirklich nicht mehr genau. Einmal sei es ein Weiterbewilligungsantrag und einmal ein Widerspruch gewesen. Er wisse sicher, dass es sich um Unterlagen für das Jobcenter gehandelt habe. Die Beteiligten schlossen im Rahmen des Eilverfahrens einen Vergleich, wonach die Beklagte dem Kläger ohne Anerkennung eines Rechtsgrundes darlehensweise die Monatsmiete für Juli 2016 sowie für Februar und März 2017 gewährte. Das Darlehen wurde bis zum rechtskräftigen Abschluss des Überprüfungsverfahrens gestundet.

Den vom Kläger gegen den ablehnenden Überprüfungsbescheid hinsichtlich der Leistungen für Juli 2016 sowie für Februar und März 2017 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 20.09.2017 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 23.10.2017 Klage zum SG Karlsruhe erhoben (Az. S 14 AS 3622/17) und sich mit einer weiteren Klage (S 14 AS 3621/17) gegen die mit Änderungsbescheid vom 15.08.2017 festgesetzte Leistungshöhe für den Monat Januar 2017 gewandt. Mit Änderungsbescheid vom 19.01.2018 hat die Beklagte dem Kläger höhere Leistungen für Januar 2017 (Anrechnung Stromabschlag als Bedarf an Heizkosten) bewilligt und den am 13.09.2017 gegen den Änderungsbescheid vom 15.08.2017 erhobenen Widerspruch im Übrigen durch Widerspruchsbescheid vom selben Tag als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beklagte hat im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 23.06.2017 für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 30.09.2017 den Änderungsbescheid vom 26.10.2017 (Teil-Abhilfe wegen höherer Heizkosten) erlassen und den Widerspruch des Klägers vom 26.07.2017 im Übrigen durch Widerspruchsbescheid vom 02.11.2017 zurückgewiesen.

In einem Erörterungstermin vom 24.04.2018 haben sich die Beteiligten darauf verglichen, dass die Beklagte dem Kläger höhere Heizkosten für August bis Dezember 2016 gewährt, der Kläger auf weitere Heizkosten für Januar 2017 verzichtet und das Klageverfahren hinsichtlich der Leistungen für die Monate Juli 2016 sowie Februar und März 2017 weitergeführt werden soll. 

Zur Begründung hat der Kläger u.a. vorgetragen, den Weiterbewilligungsantrag für Juli 2016 am 18.07.2016 in den Briefkasten geworfen zu haben. Es sei bis heute nicht nachvollziehbar, warum ein Tagesstempel mit Datum vom 03.08.2016 auf den Weiterbewilligungsantrag gekommen sei. Anfang August habe er bei der Beklagten vorgesprochen, da bereits 14 Tage nach Abgabe vergangen seien und das Geld knapper geworden sei. Eine Sachbearbeiterin habe seine Akte unter vielen anderen hervorgeholt. Er vermute, dass hier der Stempel angebracht worden sei. Die Akte der Beklagten sei nachweislich lückenhaft. Die Beklagte habe in Bezug auf beide Leistungszeiträume keinen Weiterbewilligungsantrag an ihn verschickt. Sie könne sich daher nicht darauf berufen, die Unterlagen nicht rechtzeitig erhalten zu haben. Er verweise auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), Az. B 14 AS 56/08 R, und den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Die Beklagte hat auf Nachfrage des Gerichts vorgetragen, der Briefkasten am Haupteingang werde zweimal täglich geleert. Der Inhalt werde im Regelfall von den Mitarbeitern der Infothek gesichtet, geöffnet und mit einem Eingangsstempel versehen. Nach Zuständigkeitsklärung erfolge eine interne Weiterleitung an den zuständigen Sachbearbeiter.

In Ausführung des Vergleichs vom 24.04.2018 hat die Beklagte dem Kläger durch zwei Änderungsbescheide vom 23.05.2018 höhere Leistungen für den Zeitraum von August bis Dezember 2016 und höhere Leistungen für April bis September 2017 bewilligt.

Das SG Karlsruhe hat den Zeugen M. im Rahmen eines Verhandlungstermins am 09.01.2019 befragt. Dieser hat ausgeführt, er wisse nur noch, dass er einmal um den Geburtstag des Klägers herum mit diesem beim Jobcenter gewesen sei. Ansonsten könne er sich an genaue Daten nicht mehr erinnern. Er sei laufend mit dem Kläger beim Jobcenter, um Briefe abzugeben. Er habe vor kurzem einen Schlaganfall gehabt und erinnere sich seitdem an viele Dinge nicht mehr so genau. Erneut auf die Leistungen für Juli 2016 angesprochen meine er, dass dort auch mal ein Antrag dabei gewesen sei. Grundsätzlich frage er aber auch gar nicht so genau nach, da ihn die persönlichen Inhalte nicht interessierten. Er glaube, der Antrag von Juli 2016 sei in den Briefkasten eingeworfen worden. Ganz sicher, ob dieser Antrag im Juli 2016 abgegeben worden sei, sei er sich nicht. Angesprochen auf die Leistungen Februar/März 2017 sei er sich sicher, dass sie den Antrag dort abgegeben hätten.

Mit Urteil vom 21.03.2019 hat das SG Karlsruhe die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des Leistungszeitraums ab Juli 2016 sei lediglich eine Antragstellung am 03.08.2016 nachgewiesen. Bei der angeblichen Antragstellung im Juli 2016 sei für das Gericht widersprüchlich, dass der Kläger am 13.09.2017 vor dem LSG angegeben habe, beim Einwerfen in den Briefkasten allein gewesen zu sein, während der Zeuge M. im Termin am 09.01.2019 angegeben habe, es sei auch mal ein Antrag für Juli 2016 dabei gewesen. Auch die Angabe des Klägers, den Antrag für Februar und März 2017 am 26.01.2017 beim Beklagten eingeworfen zu haben, könne dieser nicht durch den Zeugen M. beweisen. Der Kläger sei auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er die SGB II-Leistungen für Juli 2016 sowie Februar und März 2017 rechtzeitig beantragt. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, ihm nach Ablauf des vorherigen Bewilligungsabschnittes einen Weiterbewilligungsantrag zu übersenden. Die Entscheidung des BSG (Urteil vom 28.10.2009, Az. B 14 AS 56/08 R) betreffe einen anderen Fall, da dem Kläger dort bei einer persönlichen Vorsprache ein Antragsformular ausgehändigt worden sei, auf welchem ein konkretes Datum als Antragstellung vermerkt worden sei. Das Urteil des SG Karlsruhe ist dem Kläger am 25.04.2019 zugestellt worden.

Hiergegen hat der Kläger am 27.05.2019 Berufung zum LSG eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, das Urteil sei parteiergreifend und fehlerhaft abgefasst. Es habe zu keinem Zeitpunkt eine Schutzbehauptung des Klägers gegeben. Er wisse noch sicher, dass er zwei Wochen nach Einreichung des Antrags bei der Beklagten gewesen sei und aus einem Stapel von Akten irgendwo ganz unten seine Akte herausgezogen worden sei. Daher liege die Vermutung nahe, dass es sich um einen Tagesstempel vom besagten Tag seiner Vorsprache und nicht um einen Eingangsstempel handele. Dies sei keine Schutzbehauptung, sondern der Versuch zu rekonstruieren, wie der Stempel mit diesem Datum draufgekommen sein könne. Er wolle der Beklagten nicht bewusstes Lügen oder Dokumentenfälschung unterstellen. Er habe die Leistungsanträge rechtzeitig gestellt. Die Beklagte habe ihn nicht auf das Ende des jeweiligen Bewilligungszeitraums hingewiesen und ihm auch keinen Weiterbewilligungsantrag übersandt. Nach der Rechtsprechung des BSG (Az. B 4 AS 29/10 R) gehe dieses Beratungsverschulden zulasten der Beklagten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.03.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2017 zu verurteilen, ihm für die Monate Juli 2016, Februar 2017 und März 2017 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Nachweislich seien die Unterlagen nicht vorhanden und die Angaben des Berufungsklägers und die Aussage des Zeugen könnten nicht herangezogen werden. Der Zeuge habe zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärt, er könne sich seit seinem Schlaganfall an viele Dinge nicht mehr erinnern. Was bei diesem Termin um den Geburtstag des Klägers passiert sei, werde nicht erklärt. Diese Aussagen widersprächen sich in Bezug auf den Antrag für Juli 2016.

Der Senat hat die Verfahrensakte L 3 AS 2939/17 ER-B beigezogen. Am 13.11.2019 hat ein Erörterungstermin mit den Beteiligten stattgefunden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2021 hat der Senat den Kläger persönlich angehört und M. nochmals als Zeugen gehört. Für die Angaben des Klägers und die Aussage des Zeugen wird auf das Protokoll Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

1. Gegenstand des Verfahrens sind das Urteil des SG Karlsruhe vom 21.03.2019 und der Bescheid der Beklagten vom 15.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2017, mit dem die Beklagte (erstmals) SGB II-Leistungen für die Monate Juli 2016 sowie Februar und März 2017 abgelehnt hat. Die Beklagte hat durch den mit „Überprüfung nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X)“ überschriebenen Bescheid vom 15.08.2017 erstmals über den Antrag des Klägers auf Leistungen für Juli 2016 sowie über den Antrag auf Leistungen ab Februar 2017 entschieden und die Gewährung von Leistungen für die Monate Juli 2016, Februar 2017 und März 2017 abgelehnt.

Die Auslegung eines Verwaltungsaktes hat ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der Behörde ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die dem Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (BSG, Urteil vom 28.06.2018 – B 5 RE 2/17 R, juris Rn. 18; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 07.02.2019 – L 25 AS 835/18, juris Rn. 20).

Ausgerichtet an diesen Maßstäben sind in dem undatierten Schreiben des Klägers mit Eingangsstempel vom 03.08.2016 sowie in seinem Schreiben vom 04.04.2017 Leistungsanträge für die hier streitigen Zeiträume gestellt worden. Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 04.10.2016 jedoch nur den Zeitraum vom 01.08.2016 bis zum 31.01.2017 beschieden und darin keine Regelung für Juli 2016 getroffen. Ebenso verhält es sich mit dem Bescheid vom 23.06.2017, in dem eine Bewilligung von SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 30.09.2017 erfolgt, aber trotz des eindeutigen Wortlauts des Schreibens vom 04.04.2017 („ausstehende Antragsbearbeitung für die Leistungsberechnung ab 01.02.2017“) keine Regelung bezüglich der beantragen Leistungen für die Monate Februar und März 2017 getroffen worden ist. Erst im Bescheid vom 15.08.2017 hat die Beklagte ausgeführt, dass es „bei der getroffenen Entscheidung verbleiben“ müsse. In der Bestätigung des Beginns der Leistungsbewilligung erst ab dem 01.08.2016 bzw. dem 01.04.2017 durch die Bescheide vom 04.10.2016 sowie 23.06.2017 liegt folglich die erstmalige Ablehnung der Leistungsgewährung für Juli 2016 sowie für Februar und März 2017, die in der Begründung dann mit dem Hinweis auf eine verfristete Antragstellung erläutert wird.

Soweit der Bescheid vom 15.08.2017 auch auf die pauschale Anerkennung von Heizkosten eingeht und damit gleichzeitig auch eine Überprüfung der erfolgten Bewilligung für die hier nicht streitgegenständlichen Zeiträume vom 01.08.2016 bis zum 31.01.2017 und vom 01.04.2017 bis zum 30.09.2017 vorgenommen hat, ist diese nach dem gerichtlichen Vergleich vom 24.04.2018 im erstinstanzlichen Verfahren hier nicht Streitgegenstand.

2. Die Berufung ist zulässig. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG), da das Begehren des Klägers auf die Auszahlung von Leistungen für die Monate Juli 2016 sowie Februar und März 2017 gerichtet ist. Die Berufung ist auch innerhalb der Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG erhoben worden, da das Ende der Monatsfrist gem. § 64 Abs. 2 SGG auf einen Sonnabend (25.05.2019) gefallen ist und die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (vgl. § 64 Abs. 3 SGG) am Montag, den 27.05.2019, geendet hat.

3. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG Karlsruhe hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 15.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2017 ist, soweit darin die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die hier streitgegenständlichen Zeiträume vom 01.07.2016 bis zum 31.07.2016 und vom 01.02.2017 bis zum 31.03.2017 abgelehnt worden ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat in diesen Zeiträumen keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen.

a. In den streitigen Monaten erfüllte der Kläger die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II, da er das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht hatte, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte und erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II war. Er war auch hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und § 9 Abs. 1 SGB II, da er über kein bedarfsdeckendes Einkommen im Sinne von § 11 SGB II verfügte. Ebenfalls war kein zu berücksichtigendes Vermögen im Sinne von § 12 SGB II vorhanden. Die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 S. 2, Abs. 4, Abs. 4a und 5 SGB II greifen nicht zu Ungunsten des Klägers ein.

Es fehlte aber an einem rechtzeitigen Leistungsantrag für die streitigen Monate. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden (nur) auf Antrag (§ 37 Abs. 1 SGB II in der Fassung vom 01.08.2013 bis 31.07.2016 sowie in der Fassung vom 01.08.2016 bis 31.07.2019) und nicht für Zeiten vor der Antragstellung (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II) erbracht. Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den Ersten des Monats zurück (§ 37 Abs. 2 S. 2 SGB II). Entscheidend für den Leistungsbeginn ist somit grundsätzlich das Datum der Antragstellung.

Der Antrag auf Gewährung von Leistungen gem. § 37 Abs. 1 SGB II hat –
ohne Differenzierung zwischen Erst- und Fortzahlungsbegehren – konstitutive Wirkung für einen Leistungsanspruch (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 62; vgl. auch BSG, Urteil vom 11.07.2019 – B 14 AS 51/18 R, juris Rn. 25; BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 99/10 R, juris Rn. 16). Der Antrag nach dem SGB II ist eine einseitige, empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Das SGB enthält keine Regelung über das Wirksamwerden von Willenserklärungen im Bereich des öffentlichen Rechts. Mangels besonderer Vorschriften sind deswegen die Vorschriften des bürgerlichen Rechts entsprechend anwendbar, soweit eine solche entsprechende Anwendung der Eigenart des Sozialrechts gerecht wird. Dies gilt auch im Hinblick auf einen Antrag nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 11.07.2019 – B 14 AS 51/18 R, juris Rn. 19 m.w.N.)

Nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Diese Vorschrift findet auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist (vgl. § 130 Abs. 3 BGB).

Eine Willenserklärung ist nach allgemeinen Grundsätzen in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem normalerweise bei einem der Lebenserfahrung entsprechenden Verlauf der Dinge davon ausgegangen werden kann, dass der Empfänger von ihr Notiz nimmt. Geht eine amtsempfangsbedürftige Willenserklärung bei der Behörde außerhalb der Dienstzeit ein, ist sie demnach im Grundsatz erst am nächsten Tag der Dienstbereitschaft im Sinne des § 130 Abs. 1, 3 BGB zugegangen (BSG, Urteil vom 11.07.2019 – B 14 AS 51/18 R, juris Rn. 21 m.w.N.).

b. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Beklagte zu Recht von einer Antragstellung am 03.08.2016 (hierzu unter aa.) sowie einer Antragstellung am 04.04.2017 (hierzu unter bb.) ausgegangen. Ein früherer, vom Kläger geltend gemachter Antragszeitpunkt ist jeweils nicht nachgewiesen. Der Senat stützt sich für diese Überzeugung auf die vorliegenden Unterlagen, den Vortrag des Klägers, die protokollierten Aussagen des Zeugen M. in der nichtöffentlichen Sitzung des LSG am 13.09.2017 (Az. L 3 AS 2939/17 ER-B), im Verhandlungstermin des SG Karlsruhe am 24.04.2018 sowie auf das Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung des Senats am 13.12.2021.

aa. Ein früherer Zugang des vom 15.07.2016 datierenden Weiterbewilligungsantrages als am Mittwoch, den 03.08.2016 (Eingangsstempel) ist nicht nachgewiesen. Der vom 15.07.2016 datierende Weiterbewilligungsantrag kann den Nachweis für die vorgetragene frühere Antragsabgabe nicht erbringen, da es für eine wirksame Antragstellung nicht auf das auf dem Antrag aufgebrachte Datum, sondern auf den Eingang des Antrags bei der Beklagten ankommt. Allein die vom Kläger gemachten Ausführungen reichen nicht aus, um den Senat davon zu überzeugen, dass der von ihm geltend gemachte Einwurf des Weiterbewilligungsantrages in den Briefkasten des Jobcenters am 18.07.2016 (Angabe im Klageverfahren vor dem SG) oder an einem späteren Zeitpunkt im Monat Juli (Angabe in der mündlichen Verhandlung am 13.12.2021: „Mitte/Ende Juli“) erfolgt ist. Die von der Beklagten dargestellte Posteingangsbearbeitung (Briefkasten am Haupteingang werde zweimal täglich geleert und der Inhalt von den Mitarbeitern der Infothek gesichtet, geöffnet und mit einem Eingangsstempel versehen) lässt eine Verspätung der Bearbeitung um mehrere Tage (ausgehend von Ende Juli) oder um sogar mehr als zwei Wochen (ausgehend vom 18.07.2016) unwahrscheinlich erscheinen, zumal es sich bei dem 03.08.2016 um einen Mittwoch gehandelt hat und eine Verzögerung durch Schließzeiten des Jobcenters am Wochenende ausgeschlossen werden kann. Die vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vor dem SG Karlsruhe vorgetragene Vermutung, die Sachbearbeiterin könne bei seiner Vorsprache Anfang August den Datumsstempel nachträglich angebracht haben, stellt auch aus Sicht des Klägers nur einen Erklärungsversuch dar und ist ohne weitere stützende Anhaltspunkte nicht geeignet, die frühere Abgabe des Antrags zu beweisen. Allein das von ihm beschriebene Hervorholen seiner Leistungsakte aus einem Stapel und die bis dahin noch nicht erfolgte Bewilligung lassen nicht mit der erforderlichen Sicherheit darauf schließen, dass der Posteingangsstempel nicht angebracht worden ist. Der Kläger hat auch nie behauptet, dass er gesehen hätte, wie die Sachbearbeiterin Unterlagen gestempelt habe.

Nach seinen eigenen Angaben im Eilverfahren vor dem LSG (Az. L 3 AS 2939/17 ER-B) sowie in der mündlichen Verhandlung des Senats am 13.12.2021 war er allein, als er den Antrag in den Briefkasten geworfen haben will, so dass ein Nachweis nicht erbracht werden kann. 

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den Angaben des Zeugen M. Der Zeuge M. hat sich in der nichtöffentlichen Sitzung am 13.09.2017 vor dem LSG nur an Fahrten zum Jobcenter im November und Januar erinnert. Zwar hat er im Rahmen des Verhandlungstermins am 09.01.2019 vor dem SG Karlsruhe auf ausdrückliche Nachfrage ausgesagt, es sei auch ein Antrag für Juli 2016 dabei gewesen. Diese Aussage ist jedoch nicht nur widersprüchlich in Bezug auf die Angaben des Klägers, sondern wurde bereits während des Verhandlungstermins am 09.01.2019 auch durch den Zeugen selbst relativiert, indem er auf seinen Schlaganfall verwiesen und ausgeführt hat, er erinnere sich seitdem an viele Dinge nicht mehr so genau. Zudem hat er explizit ausgeführt, dass er sich nicht ganz sicher sei, ob dieser Antrag im Juli 2016 abgegeben worden sei. Auch in der mündlichen Verhandlung des Senats am 13.12.2021 hat der Zeuge in Bezug auf den Zeitraum Sommer 2016 ausgesagt, er wisse es nicht mehr, aber es (Abgaben beim Jobcenter) sei beim Kläger schon ziemlich oft gewesen - im Vergleich zu anderen, wo mal alle dreiviertel Jahre was sei.

Ausgehend von den Angaben des Klägers und nach Überzeugung des Senats war der Zeuge M. bei der geltend gemachten Antragstellung am 18.07.2016 bzw. an einem sonstigen Tag im Juli 2016 nicht dabei. Der Zeuge M. hat auch erst auf wiederholte Nachfrage Ausführungen zu einer Fahrt zum Jobcenter im Juli 2016 gemacht und gleichzeitig deutlich gemacht, dass er sich selbst nicht sicher sei, ob die Erinnerung stimmt. Damit ist bereits der Inhalt der Zeugenaussage des M. nicht geeignet, den erforderlichen unzweifelhaften Beweis für eine Antragstellung im Juli 2016 zu erbringen.

bb. Auch im Hinblick auf den Weiterbewilligungsantrag ab Februar 2017 ist nach Überzeugung des Senats eine Antragstellung vor dem 04.04.2017 nicht nachgewiesen. Hier gilt ebenfalls, dass die nachträglich vom Kläger eingereichten Unterlagen sowie die Kopie eines auf den 22.01.2017 datierten Leistungsantrags keinen Zugang im Januar 2017 nachweisen können. Zudem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats angegeben, er meine, der Zeuge M. habe auf dem Parkplatz gewartet und zugeschaut wie er rüber laufe, er sei nicht mitgegangen. Der Zeuge M. war sich bei seinen Aussagen vor dem LSG und dem SG Karlsruhe zwar sicher, um den Geburtstag des Klägers herum mit diesem zusammen einen Brief zum Jobcenter gebracht zu haben, hat aber auch mehrfach betont, dass er es „wirklich nicht mehr genau“ wisse, sich „an genaue Daten“ nicht mehr erinnere, vor kurzem einen Schlaganfall gehabt habe und sich seitdem an viele Dinge nicht mehr so genau erinnere. Grundsätzlich frage er aber auch gar nicht so genau nach, da ihn die persönlichen Inhalte nicht interessierten. In der mündlichen Verhandlung des Senats am 13.12.2021 konnte sich der Zeuge nicht mehr an das genaue Jahr erinnern, in dem er mit dem Kläger um dessen Geburtstag herum beim Jobcenter gewesen ist. Er konnte nur noch definitiv sagen, dass es schon ein paar Jahre her sei, nicht erst letztes Jahr. Eine Erinnerung an den Inhalt des Briefes hatte der Zeuge ebenfalls nicht und er war sich nicht sicher, ob er zum Briefkasten mitgegangen ist oder woanders gewartet hat. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich in den Akten der Beklagten keine im Januar 2017 eingegangenen Unterlagen befinden, reichen die Angaben des Zeugen nicht aus, um eine Antragstellung im Januar 2017 nachzuweisen. Aufgrund des Schlaganfalls sowie des Zeitablaufs ist es für den Senat nachvollziehbar, dass eine genaue Erinnerung im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht mehr geschildert werden konnte. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass bereits die ersten Angaben des Zeugen in der nichtöffentlichen Sitzung des LSG am 13.09.2017 (Az. L 3 AS 2939/17 ER-B) wenig konkret waren. Nach einer Gesamtwürdigung der Aussagen des Zeugen ist festzustellen, dass der Zeuge nicht sagen konnte, welchen Inhalt der Briefumschlag hatte und sich nicht einmal sicher war, dass es sich um Antragsunterlagen gehandelt hat. Aufgrund seiner Aussage, dass er häufig mit dem Kläger zum Jobcenter fahre, sind zeitliche Verwechslungen nicht ausgeschlossen. Selbst wenn die Angaben des Zeugen der Beweiswürdigung unkritisch zugrunde gelegt würden, verbliebe nicht mehr als eine nachgewiesene Fahrt mit dem Kläger zum Jobcenter irgendwann um den 21.01.2017 herum.

cc. Der Sachverhalt lässt sich daher trotz aller gebotenen Ermittlungen nicht vollständig aufklären. Nach den allgemeinen Regeln zur objektiven Beweislast gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. MKLS/B. Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG § 103 Rn. 19a). Für den Zeitpunkt des Einganges des konstitutiv wirkenden Leistungsantrages trägt danach der Kläger die objektive Beweislast. Somit hat die Nichterweislichkeit des Antragseinganges vor dem 03.08.2016 (für Juli 2016) sowie vor dem 04.04.2017 (für Februar und März 2017) zur Folge, dass wegen der Regelungen in § 37 Abs. 1 und 2 S. 1 SGB II der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Monate Juli 2016 sowie Februar und März 2017 nicht besteht.

c. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X kann dem Kläger nicht gewährt werden (vgl. BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 99/10 R, juris Rn. 23; Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 29/10 R, juris Rn. 11). Nach § 27 Abs. 1 SGB X ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. In § 37 SGB II wird aber keine Frist festgesetzt, sondern das Verhältnis zwischen Leistungsbeginn und Antragstellung geregelt. Die Antragstellung ist nicht an eine Frist gebunden und der Ausschluss der Leistungsgewährung vor dem Tag der Antragstellung stellt keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist dar (vgl. BSG, a. a. O.). Vorliegend stünde einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Übrigen entgegen, dass von dem Kläger gerade die rechtzeitige Antragstellung behauptet wird. Die Nichterweislichkeit einer behaupteten rechtzeitigen Antragstellung begründet aber nicht Versäumung einer Antragsfrist.

d. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die streitbefangenen Zeiträume unter Anwendung des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 99/10 R, juris Rn. 24).

Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch des Klägers fehlt es hier bereits an einer kausalen Pflichtverletzung durch die Beklagte. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Urteil des SG Karlsruhe nimmt der Senat entsprechend 
§ 153 Abs. 2 SGG ergänzend Bezug. Zwar kann es eine sich aus dem speziellen Sozialrechtsverhältnis des SGB II ergebende Pflicht des Grundsicherungsträgers sein, den Hilfebedürftigen vor dem Ablauf des letzten Bewilligungszeitraums über das Erfordernis eines Fortzahlungsantrags zu beraten (vgl. BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 29/10 R, juris Rn. 13). Voraussetzung wäre jedoch, dass der Kläger nicht bereits über die Erforderlichkeit einer Antragstellung informiert gewesen wäre, so dass der unterlassene Hinweis dazu geführt hätte, dass der Kläger von einer Weitergewährung der Leistungen ohne Antrag hätte ausgehen dürfen. Nach Überzeugung des Senats hatte der Kläger aufgrund seines bereits bestehenden Leistungsbezugs jedoch Kenntnis von dem Erfordernis einer Antragstellung. Soweit er in seinem undatierten Schreiben mit Eingangsstempel vom 03.08.2016 ausführt, er habe aus den Nachrichten davon erfahren, dass Leistungen für zwölf statt sechs Monate bewilligt würden, fällt diese irrtümliche Annahme nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Im Hinblick auf die Leistungsgewährung für Juli 2016 hatte die Beklagte den Kläger mit der Bescheinigung vom 28.01.2016 ausdrücklich informiert, dass der aktuelle Bewilligungszeitraum bis zum 30.06.2016 dauert. Im Hinblick auf die Leistungsgewährung für Juli 2016 sowie für Februar und März 2017 wäre selbst das Vorliegen einer Pflichtverletzung aufgrund der vom Kläger geltend gemachten Antragstellung noch im Juli 2016 (durch die Rückwirkung auf den Ersten des Monats, § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB II) und noch im Januar 2017 (noch vor Ablauf des aktuellen Bewilligungszeitraumes) nicht ursächlich für die unterbliebene Leistungsbewilligung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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