L 1 U 3883/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 3198/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 3883/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. November 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Der Kläger begehrt - nach einer Konkretisierung seiner Anträge - die Erstattung von Aufwendungen bei der Heilbehandlung und die Gewährung eines Verletztengeld-Spitzbetrags.

Er ist 1962 geboren und wohnt im Inland. Er ist als Elektriker beschäftigt und in dieser Eigenschaft bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert. Während seiner Arbeit erlitt er am 16. Oktober 2017, einem Montag, gegen 21:00 Uhr einen Stromschlag an die linke Hand, zuckte zurück und schlug sich den linken Ellenbogen an einer Kante an. Er arbeitete weiter. D-Arzt Z diagnostizierte in seinem Bericht vom folgenden Tag eine Prellung des linken Ellenbogens. Eine MRT-Untersuchung bei W am 25. Oktober 2017 zeigte im Ellenbogengelenk vier freie Gelenkkörper, eine beginnende humeroradiale Arthrose und einen deutlichen Erguss.

Am 3. Januar 2018 stellte S, BG-Unfallklinik T, eine Arthrose in allen Kompartimenten des linken Ellenbogengelenks mit freiem Gelenkkörper und Impingement fest. Eine CT-Untersuchung bei S1 ergab keinen Nachweis einer frischen Läsion. Am 12. Februar 2018 teilte S mit, zwar fänden sich in der Bildgebung ausschließlich degenerativ bedingte Veränderungen, jedoch liege eine aktivierte Ellengelenksarthrose vor, wie der ausgeprägte Erguss zeige. Diese sei als vor­übergehende Verschlechterung des vorbestehenden Leidens zu werten. Bei einer Untersuchung am 12. März 2018 stellte S Zeichen einer postero-lateralen Instabilität fest und riet zu einer arthoskopischen Operation.

Am 1. Februar 2018 erlitt der Kläger während der Arbeit einen weiteren Unfall. Dazu liegt - nur -  Z D-Arzt-Bericht vom 8. Februar 2018 vor („V.a. zervikales Nervenwurzelreizsyndrom rechts, DD: Ulnariskompressionssymptomatik rechts“).

Die angeratene Arthroskopie wurde am 19. September 2018 durchgeführt. Hierbei konnte der Operateur, B, die freien Gelenkkörper und eine postero-laterale Rotationsinstabilität Grad II bestätigen. Die freien Gelenkkörper wurden geborgen, und es wurden eine LUCL-Plastik (Ersatz des lateralen ulnares Seitenbandes) mit Trizepssehnenstreifen eingesetzt und die Extensoren refixiert. Material für eine histologische Untersuchung wurde nicht entnommen.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 5. Oktober 2018 das Ereignis vom 16. Oktober 2017 als Arbeitsunfall sowie als daraus entstandenen Gesundheitsschaden eine folgenlos ausgeheilte Prellung des linken Ellenbogens an. Keine Unfallfolge seien die freien Gelenkkörper bei beginnender Arthrose. Ein Anspruch auf Leistungen, insbesondere auf Heilbehandlung oder Lohnersatzleistungen wie Verletztengeld, über den 12. November 2017 hinaus bestehe nicht.

S berichtete unter dem 12. November 2018, die Hauptfolge des Unfalls sei die postero-laterale Rotationsinstabilität wegen der Bandverletzung, die als unfallabhängig zu werten sei. Die freien Gelenkkörper seien nur als vorbestehende Nebendiagnose zu werten. Bei Zweifeln hieran sollte ein Zusammenhanggutachten eingeholt werden.

F meinte in seiner Stellungnahme vom 4. Februar 2019, weder die MRT- und CT-Befunde vom 25. Oktober 2017 und 3. Januar 2018 noch der „initiale genaue klinische Befund“ nach dem Unfall hätten eine ligamentäre Instabilität gezeigt. Der linke Ellenbogen sei massiv vorgeschädigt gewesen. Es hätten eine Arthrose in allen Teilbereichen des Gelenks und ein Befall mit freiem Gelenkkörper und daraus resultierendem massivem Gelenkserguss vorbestanden. Nur die ausgeheilte Prellung könne als Unfallfolge anerkannt werden.

Daraufhin erließ die Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2019, der am 5. März 2019 bekanntgegeben wurde.

Hiergegen hat der Kläger am 5. April 2019 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Er hat beantragt, die Beklagte zur Gewährung von „Leistungen“ über den 12. November 2017 hinaus zu verurteilen, insbesondere zu „Heilbehandlung und sonstigen Lohnersatzleistungen“.

Von Amts wegen hat das SG bei S2 das orthopädisch-unfallchirurgische Gutachten vom 4. Juli 2020 erhoben. Der Sachverständige hat ausgeführt, auf das Unfallgeschehen vom 16. Oktober 2017 sei allein eine folgenlos ausgeheilte Prellung des linken Ellenbogengelenks mit Arbeitsunfähigkeit von vier Wochen und notwendiger Heilbehandlung nicht über den 12. November 2017 hinaus zurückzuführen. Die degenerativen Veränderungen sowie die später diagnostizierte postero-laterale Instabilität des Ellenbogengelenks und die Chondromatose mit mehreren freien Gelenkkörpern seien nicht unfallbedingt.

In einem Attest vom 23. September 2020 hat der behandelnde N mitgeteilt, der Kläger habe einmalig 2003 an einer Epicondylitis ulnaris des rechten Ellenbogens gelitten, während am linken Ellenbogen seitdem niemals Beschwerden vorgelegen hätten. Das MRT am 25. Oktober 2017 zeige nur geringe Arthrosen. Wäre für die späteren Schäden die Degeneration ursächlich, müssten schon vor dem Unfall permanent Beschwerden bestanden haben.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG das unfallchirurgische Gutachten des B (der die OP am 18. September 2018 durchgeführt hatte) vom 2. Februar 2021 eingeholt. Dieser Sachverständige hat bekundet, auf den MRT-Aufnahmen vom 25. Oktober 2017 könne das LUCL nicht durchgängig festgestellt werden. Es sei daher retrospektiv nicht zu beweisen, dass der Unfall eine Ruptur des LUCL verursacht habe. Im weiteren Verlauf habe sich die postero-laterale Instabilität gezeigt. Diese habe zu einer richtunggebenden Verschlechterung der vorbestehenden Degeneration des linken Ellenbogengelenks, insbesondere einer Zunahme des Knorpelschadens, geführt. Hieraus resultiere weitere Arbeitsunfähigkeit vom 18. September 2018 bis 1. Juni 2019. Heilbehandlung sei über den 12. November 2017 hinaus erforderlich.

Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 10. November 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Sie sei sinngemäß auf Gewährung von Heilbehandlung und auf Zahlung von Verletztengeld gerichtet. Sie sei zulässig, aber unbegründet. Die Unfallfolgen seien ausgeheilt. Die weiteren Gesundheitsschäden, insbesondere die Entwicklung der postero-lateralen Instabilität des linken Ellenbogens, seien nicht auf den Unfall zurückzuführen.

Gegen dieses Urteil, das ihm am 18. November 2021 zugestellt worden ist, hat der Kläger am Montag, dem 20. Dezember 2021, Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Nachdem der Senat Zweifel an der Bestimmtheit der bisher gestellten Anträge geäußert und nachgefragt hat, ob der Kläger im Streitzeitraum Krankengeld erhalten habe, hat er seine Anträge konkretisiert. Er hat dabei mitgeteilt, keine Heilbehandlung für die Zukunft mehr zu begehren, weil er die von seinen Ärzten angeratene weitere Operation nicht durchführen wolle.

Er beantragt demnach,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. November 2021 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die von ihm für die Heilbehandlung verauslagten Kosten in Höhe von € 2.114,05 zu erstatten sowie ihm für die Zeit vom 30. Oktober 2018 bis zum 25. Februar 2019 und vom 8. Mai 2019 bis zum 8. Juni 2019 Verletztengeld abzüglich des bezogenen Krankengeldes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hat diverse Unterlagen betreffend seine Aufwendungen für Heilbehandlung sowie Bescheinigungen seiner Krankenkasse über den Bezug von Krankengeld (30. Oktober bis 21. Dezember 2018, 22. Dezember 2018 bis 25. Februar 2019, 8. Mai bis 8. Juni 2019) vorgelegt.

Der Senat hat mit Schreiben vom 15. Juli 2022 Hinweise zu den Anträgen und zu einzelnen der Erstattungspositionen, gegeben. Dabei hat er angekündigt, durch Beschluss über die Berufung entscheiden zu wollen, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis Mitte August gegeben. Beide Beteiligte haben sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt.

Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf die aktenkundigen medizinischen Unterlagen, insbesondere die Gutachten von S2 und B, das Attest von N und auf die beratungsärztliche Stellungnahme von F Bezug genommen.


II.

Der Senat entscheidet nach § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richterinnen und Richter durch Beschluss. Das Verfahren weist keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die in mündlicher Verhandlung erörtert werden müssen. Der Senat entscheidet einstimmig. Die Beteiligten sind zur Verfahrensweise gehört worden.

Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG). Sie war insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG zulassungsbedürftig. Der Kläger ist bereits mit seinem Erstattungsanspruch um mehr als 750,00 Euro beschwert; hinzu kommt der Spitzbetrag des Verletztengeldes. Auch im Übrigen ist die Berufung zulässig, insbesondere hat sie der Kläger form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Satz 1 SGG). Sie ist aber nicht begründet.

Dabei ist die Klage zulässig. Insbesondere sind die zuletzt gestellten Anträge ausreichend bestimmt (§ 92 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Kläger hat klargestellt, dass er nur noch Kostenerstattung für bereits entstandene Aufwendungen für Heilbehandlungsmaßnahmen und nur den Spitzbetrag des Verletztengeldes begehrt. Den Erstattungsanspruch hat er ferner beziffert. Diese Konkretisierungen waren nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG noch im Berufungsverfahren zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 2015 – B 3 KR 3/14 R –, Rn. 9, juris). Ebenso hat die Beklagte durch Verwaltungsakt (§ 54 Abs. 1 SGG) und durch Widerspruchsbescheid (§ 78 Abs. 1 SGG) über diese Forderungen entschieden. Verletztengeld hatte sie selbst in dem Bescheid vom 5. Oktober 2018 genannt, wenn auch nur als Beispiel für nicht näher bestimmte „Leistungen“. Und Aufwendungsersatz in Geld kann der Kläger verlangen, weil der angefochtene Bescheid über den Sachleistungsanspruch entschieden hat, der dem jetzigen Erstattungsanspruch zu Grunde liegt.

Die Klage ist aber nicht begründet. Die beiden geltend gemachten Ansprüche bestehen nicht. Der angegriffene Bescheid der Beklagten erweist sich als rechtmäßig.

Mit seiner bezifferten Erstattungsforderung begehrt der Kläger Ersatz für diverse Aufwendungen, die er für Heilbehandlungsmaßnahmen in Folge des Arbeitsunfalls vom 16. Oktober 2017 gehabt habe. Es handelt sich überwiegend um Kosten für Fahrten zu Ärzten, Kliniken, Apotheken und einem Reha-Zentrum, daneben um eine Zuzahlung zu einem stationären Aufenthalt in der BG-Klinik Tübingen (Arthroskopie am 18. September 2018) sowie um die (vollen) Kosten privat beschaffter Medikamente (Ostenil 20 mg, Synvisc Spritzampullen). Ansprüche auf Reisekosten der genannten Art können sich aus § 43 Abs. 1 SGB VII ergeben. Kosten für eigene Aufwendungen für Maßnahmen der Heilbehandlung kann ein Versicherter in analoger Anwendung des § 13 Abs. 3 SGB V verlangen, wenn ein Unfallversicherungsträger die eigentlich geschuldete Sachleistung (§ 26 Abs. 1 SGB VII) zu Unrecht abgelehnt hat. Dies gilt auch für Zuzahlungen, die bei einer Heilbehandlung zu Lasten des Unfallversicherungsträgers nicht angefallen wären.

Verletztengeld kann ein Versicherter für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit nach § 45 Abs. 1 SGB VII verlangen. Soweit er stattdessen für diese Zeiträume Krankengeld (§ 44 Abs. 1 SGB V) bezogen hat, kann zumindest ein Anspruch auf die Differenz zwischen diesem Krankengeld (70 vH des Regelentgelts, vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und dem Verletztengeld (80 vH des Regelentgelts, vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII) bestehen, also auf den sogenannten Spitzbetrag.

Der Senat lässt offen, ob die streitigen Aufwendungen im Einzelnen überhaupt der Behandlung möglicher Unfallfolgen dienten und den übrigen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs genügen. So verweisen die nach § 43 Abs. 5 SGB VII erlassenen Richtlinien der Unfallversicherungsträger zu den Reisekosten auf § 5 Abs. 1 BReisekG. Danach sind die erstattungsfähigen Kosten auf € 0,20 je km pauschaliert und auf insgesamt € 130,00 für eine Hin- und Rückfahrt gedeckelt. Der Kläger macht aber höhere Aufwendungen geltend. Ferner diente zumindest die Fahrt in die BG-Unfallklinik T am 12. Januar 2021 keiner Behandlung, sondern der Untersuchung für das Wahlgutachten, das auf Antrag des Klägers das SG bei B in Auftrag gegeben hatte. Ebenso kann offen bleiben, ob und ggfs. mit welchen Diagnosen der Kläger für die Zeiträume ärztliche AU-Bescheinigungen erhalten hat, für die er jetzt Verletztengeld begehrt. Auf diese beiden zweifelhaften Punkte hatte der Senat am 15. Juli 2020 hingewiesen.

Unabhängig von diesen Erwägungen bestehen die geltend gemachten Ansprüche schon deswegen nicht, weil die Behandlungen und die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, die ihnen zu Grunde liegen, nicht Folgen des Arbeitsunfalls vom 16. Oktober 2017 waren.

Dieses rechtliche Erfordernis, dass die Unfallversicherungsträger nur für die Folgen eines Versicherungsfalls zuständig sind, ergibt sich für Heilbehandlungen aus § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII („den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden…“) und für das Verletztengeld aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII („infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig“).

Der hier geforderte Kausalzusammenhang (bei einem Arbeitsunfall zwischen der von außen kommenden Einwirkung auf den Körper und dem Gesundheitserstschaden sowie zwischen solchen Schäden und den ggfs. später aufgetretenen Gesundheitsfolgeschäden) setzt zum einen voraus, dass der Unfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für die Gesundheitsschäden einen Ursachenbeitrag im natürlichen Sinne gesetzt hat. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus. „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht, d.h. dass den für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründen ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286 und BSG SozR 1300 § 45 Nr. 49). Sofern an der Entstehung eines Gesundheitsschadens neben dem Arbeitsunfall weitere Ursachen mitgewirkt haben, setzt eine Zurechnung zum anderen voraus, dass der der Arbeitsunfall für den Erfolg „wesentlich“ war. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründenden Norm zu beurteilen (SG Karlsruhe, Urteil vom 29. Juni 2018 - S 1 U 4293/16 -, Rn. 20 ff., juris).

Mehrere Ursachen liegen auch vor, wenn der Unfall auf einen bereits bestehenden Gesundheitsschaden trifft und (lediglich) zu einer Verschlimmerung führt. Diese Fallgruppe setzt voraus, dass vor dem Unfallereignis bereits eine Gesundheitsstörung im Sinne eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes vorhanden war. Es müssen also schon zuvor - beweisbar - klinisch erfassbare Beschwerden, Funktionsstörungen oder Belastungseinschränkungen vorgelegen haben. Wenn dies nicht der Fall ist, dann kommt nur die Auslösung einer ruhenden Krankheits- oder Schadensanlage in Betracht, die sich durch den Unfall - erstmals - manifestiert hat (vgl. G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 8 SGB VII, Rn. 180). In diesen Fällen gilt das „Alles-oder-nichts-Prinzip“. Es kann dann nur die gesamte Gesundheitsstörung entschädigt werden, dies allerdings nur dann, wenn sie insgesamt auf den Unfall als wesentliche Ursache zurückgeführt werden kann. Ferner setzt die Entschädigung einer Verschlimmerung voraus, dass diese abgrenzbar ist.

Vor diesem Hintergrund liegen über die bereits durch Bescheid vom 5. Oktober 2018 anerkannte folgenlos ausgeheilte Prellung des linken Ellenbogens keine weiteren unfallursächlichen Gesundheitsstörungen vor. Insbesondere kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die arthrotischen Veränderungen und die postero-laterale Instabilität, die in der Zeit nach dem Unfall festgestellt wurden, mit Wahrscheinlichkeit auf dem Unfall als wesentlicher Ursache beruhen, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne einer Verschlimmerung. Nur diese Gesundheitsschäden waren aber Grund der Behandlungen und der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, auf die der Kläger seine jetzigen Ansprüche stützt.

Zu dieser Einschätzung gelangt der Senat - wie schon das SG - überwiegend auf Grund der Feststellungen und Einschätzungen in dem Gutachten S2 vom 4. Juli 2020. Danach stellt die postero-laterale Instabilität des linken Ellenbogengelenks keine Folge des Unfalls vom 16. Oktober 2017 dar, sondern beruht im Wesentlichen auf degenerativen Veränderungen sowie der beim Kläger vorhandenen Chondromatose des linken Ellenbogengelenks.

Der Unfall des Klägers wirkte auf ein bereits vorgeschädigtes und degenerativ verändertes Gelenk. Die Chondromatose mit mehreren freien Gelenkkörpern im Bereich des linken Ellenbogens lag bereits unfallunabhängig zum Zeitpunkt des Unfallereignisses vor. Dies folgt insbesondere daraus, dass diese Schädigungen schon bei der MRT-Untersuchung am 25. Oktober 2017 erkannt werden konnten, worauf schon F in seiner Stellungnahme vom 4. Februar 2019 hingewiesen hat. Der Senat kann der Einschätzung S2 folgen, dass eine derart massive degenerative Veränderung, wie sie sich am 25. Oktober 2017 gezeigt hat, nicht posttraumatisch binnen neun Tagen nach einem Unfall entstanden sein kann, sondern vorbestanden haben muss.

Ferner zeigten das MRT vom 25. Oktober 2017 und auch die späteren bildgebenden Untersuchungen keine sicheren Zeichen dafür, dass überhaupt traumatisch verursachte Schäden vorhanden waren. So war auf keinem der Bilder ein sekundäres Bone Bruise als Zeichen initialer Gewalt- und fortlaufender Kraft­einwirkung in den Knochen selbst erkennbar. Des Weiteren fehlen Hinweise auf Einblutungen oder größere Ödembildungen im Bereich der Seitenbänder oder des Trizepssehnenansatzes.

Eine histologische Untersuchung hat nicht stattgefunden, sodass aus diesem Bereich weder für noch gegen einen Ursachenzusammenhang Indizien vorliegen. Bei der Arthroskopie am 19. September 2018 hatte B kein Material entnommen, wohl auch deswegen, weil eine histologische Untersuchung so lang nach dem Unfall voraussichtlich nicht aussagekräftig gewesen wäre.

Letztlich spricht auch der große zeitliche Abstand zwischen dem Unfall und der Manifestation der streitigen Schädigung stark gegen einen Ursachenzusammenhang. Die letzte und damit unmittelbare Ursache der Instabilität des Ellenbogengelenks, die Läsion des und lateralen ulnaren Seitenbandes (LUCL), wurde positiv erst bei der Operation am 19. September 2018 festgestellt, also gut ein Jahr nach dem Unfall. Und auch die zu Grunde liegende Symptomatik war erst etwa ein halbes Jahr nach dem Unfall beschrieben worden: Erstmals am 12. März 2018 hatte S eine Instabilität festgestellt, eine LUCL gemutmaßt und zu einer Operation geraten. Es kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass diese Symptomatik lediglich so spät entdeckt worden ist. Der Kläger wurde nach dem Unfall zeitnah und dann regelmäßig (bei S) untersucht. Dabei wurden keine relevanten Symptome (Aufklappbarkeit, Blockierungserscheinungen oder sonstige Einschränkungen der Beweglichkeit) festgestellt. Es erscheint überzeugend, wenn S2 deswegen zu der Einschätzung gelangt, dass nicht der Unfall, sondern die weitere Entwicklung (sei es das Voranschreiten der degenerativen Veränderungen, sei es ein weiterer Unfall) die Ursache war.

Dass der Kläger, wie es insbesondere N in seinem Attest vom 23. September 2020 hervorhebt, vor dem Unfall beschwerdefrei war, ändert im Ergebnis nichts. Das rein zeitliche Zusammenfallen eines Unfalls und der Manifestation von Beschwerden ist nur ein Indiz unter mehreren. Auch eine bislang klinisch stumme Schadensanlage kann die wesentliche Ursache für einen Gesundheitsschaden sein, wenn dieser anlässlich eines Unfalls erstmals auftritt. Der Unfall ist in diesen Fällen nur als Auslöser einzustufen.

Der Senat konnte sich auch nicht den Ausführungen des Gutachtens von B (Gutachten vom 2. Februar 2021) anschließen.

Dieser Sachverständige räumt selbst ein, dass die von ihm als letzte Ursache der freien Gelenkkörper und des Fortschreitens der (auch aus seiner Sicht vorbestandenen) Arthrose angenommene Instabilität (Läsion des LUCL-Bandes) „retrospektiv nicht bewiesen werden kann“. Auch er verweist darauf, dass die späteren Schäden bildgebend nicht zeitnah festgestellt worden sind, insbesondere nicht auf dem MRT vom 25. Oktober 2017. Es ist nicht nachvollziehbar, dass er gleichwohl die Instabilität und sogar die (weitere) Degeneration im Sinne einer durch den Unfall richtungsgebenden Verschlechterung auf das Unfallereignis zurückführt. Seine Ausführung, ein Schaden wie die Ruptur am Außenband des Ellenbogens werde oft übersehen, mag zutreffen. Dies führt aber wegen der Beweislastverteilung bei der Feststellung von Unfallfolgen dazu, dass eine solche Schädigung nicht angenommen werden kann.

Auch B - rechtlicher - Einordnung, die Instabilität sei als Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens einzustufen, kann der Senat nicht folgen. Sie träfe selbst dann nicht zu, wenn zwischen dem Unfall und zumindest einem Teil der später diagnostizierten Gesundheitsschäden ein Ursachenzusammenhang im natürlichen Sinne bestände. Der Kläger war vor dem Unfall unstreitig beschwerdefrei, dies trägt auch er selbst so vor. Wie ausgeführt, kommt in diesen Fällen die Figur der Verschlimmerung aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Es bleibt bei den allgemeinen Grundsätzen der Lehre von der wesentlichen Bedingung.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.

Rechtskraft
Aus
Saved