L 2 AS 993/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 2057/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 993/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 1. Juni 2020 bis 30. November 2020 umstritten.

Die Kläger leben alle zusammen in einer Wohnung in B und bilden eine Bedarfsgemeinschaft. Der Kläger zu 2 ging einer Erwerbstätigkeit mit schwankendem Einkommen nach. Er war zum Unterhalt gegenüber den Kindern W, W1 und W2 – Kinder aus seiner ersten Ehe, welche bei der Kindesmutter leben – im Jahre 2020 in Höhe von monatlich 213,00 € verpflichtet.

Auf Antrag bewilligte der Beklagte Leistungen für die Zeit von Juni 2020 bis November 2020 mit Bescheid vom 17. Mai 2020 und dem Änderungsbescheid vom 5. Oktober 2020 vorläufig. Hierbei gewährte der Beklagte den Klägern vorläufig für Juni bis August 2020 Leistungen in Höhe von 1.151,19 €, für September bis Oktober 2020 Leistungen in Höhe von 1.009,19 € und für November 2020 Leistungen in Höhe von 845,78 €. Im Rahmen der vorläufigen Bewilligung berücksichtigte der Beklagte die Unterhaltsverpflichtung des Klägers zu 2 als Absetzbetrag.

Mit Bescheid vom 16. März 2021 bewilligte der Beklagte den Klägern abschließend Leistungen für die Zeit von Juni bis November 2020. Hierbei gewährte der Beklagte den Klägern für Juni bis August 2020 Leistungen in Höhe von 124,29 €, für September 2020 Leistungen in Höhe von 904,97 €, für Oktober 2020 Leistungen in Höhe von 1.081,99 € und für November 2020 Leistungen in Höhe von 1.324,88 €.

Mit Erstattungsbescheid vom 16. März 2021 forderte der Beklagte von der Klägerin zu 1 und den Klägern zu 3 bis 7 zuviel gezahlte Leistungen in Höhe von insgesamt 2.492,75 € zurück. Dabei setzte er für die Klägerin zu 1 den Erstattungsbetrag auf 900,55 €, für den Kläger zu 3 auf 375,80 €, für die Klägerin zu 4 auf 375,80 €, für den Kläger zu 5 auf 280,20 €, für die Klägerin zu 6 auf 280,20 € und schließlich auch für den Kläger zu 7 auf 280,20 € fest. Mit weiterem Erstattungsbescheid vom 16. März 2021 forderte der Beklagte von dem Kläger zu 2 zuviel gezahlte Leistungen in Höhe von 900,55 € zurück. Der Betrag ergebe sich aus der Differenz zwischen der vorläufigen und der endgültigen Bewilligung für den Leistungszeitraum von Juni bis November 2020.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin zu 2 in ihrem und im Namen der Kläger zu 3 bis zu 7 mit Schreiben vom 12. April 2021 Widerspruch. Mit Schreiben vom 12. April 2021 erhob der Kläger zu 2 ebenfalls Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2021 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zu 2 als unbegründet zurück. Er habe im September 2020 bis November 2020 Einkommen aus Erwerbstätigkeit erlangt, welches den Betrag in Höhe von 400,00 € brutto übersteige. Er habe weiterhin im Juni, im Juli und August 2020 Arbeitslosengeld erhalten, welches im Bewilligungsbescheid mit monatlich 850,65 € anzurechnen sei. Das Einkommen des Klägers zu 2 sei nicht um den Unterhaltsbetrag zu mindern, da er seiner Unterhaltspflicht nach den Kontoauszügen tatsächlich nicht nachgekommen sei. Die Klägerin zu 1 habe weiterhin Elterngeld erhalten.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2021 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zu 1 und zu 3 bis zu 7 als unbegründet zurück. Er wiederholte die Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2021 gegenüber dem Kläger zu 2.

Hiergegen haben die Kläger zu 1 und die Kläger zu 3 bis zu 7 am 21. Juli 2021 unter dem Aktenzeichen S 3 AS 2057/21 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Der Kläger zu 2 habe den Kindesunterhalt aufgrund einer schwierigen finanziellen Lage nicht zahlen können. Daraufhin sei von der Stadt Pforzheim ein Unterhaltsvorschuss an die Kinder geleistet worden. Es bestünde ein Erstattungsausspruch der Stadt Pforzheim. Der Kläger zu 2 müsse den Unterhalt nunmehr später zahlen. Dies habe der Beklagte nicht berücksichtigt. Aufgrund des Arbeitsverlustes habe er den Unterhalt nicht mehr zahlen können.

Ebenfalls am 21. Juli 2021 hat der Kläger zu 2 unter dem Aktenzeichen S 9 AS 2058/21 Klage zum SG erhoben. Die Begründung war gleichlautend.

Der Beklagte ist den Klagen entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 18. Oktober 2021 hat das SG die beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 3 AS 2057/21 verbunden.

Mit Urteil vom 22. Februar 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erstattungsbescheide des Beklagten vom 16. März 2021 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22. Juni 2021 seien rechtmäßig und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie hätten keinen Anspruch auf höhere Leistungen für die Monate Juni bis November 2020 gehabt. Die Kläger erfüllten die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie seien im fraglichen Zeitraum auch nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen. Die abschließende Bewilligung beruhe auf § 41a Abs. 3, 4 SGB II. Der Beklagte sei zutreffend von einem Regelbedarf in Höhe von insgesamt 2.144,00 € für die Monate von Juni bis November 2020 ausgegangen. Der Beklagte habe das zu berücksichtigende Einkommen zutreffend nach § 41a Abs. 4 SGB II (i. d. F. bis 1. April 2021) ermittelt und die Kläger hätten diese Berechnung nicht bemängelt. Zu Recht habe der Beklagte keine Unterhaltszahlungen einkommensmindernd berücksichtigt. Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II seien Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen. Zahlungen auf Unterhaltsrückstände auch vom titulierten Unterhalt aus der Vergangenheit, könnten nicht als Absetzbeträge hiernach vom Einkommen abgesetzt werden. Unterhaltsrückstände seien nicht mehr von dem aktuell fälligen Titel erfasst. Insoweit sei das Monatsprinzip (§ 41 SGB II) zu beachten. Systematische Gründe würden ebenso nicht zu einer Berücksichtigung als Absetzbetrag zwingen. Als Einkommen seien im Grundsatz alle Einnahmen zu berücksichtigen. Ausnahmen seien für bestimmte Einnahmen und bestimmte Absetzbeträge gesetzlich geregelt. Ausgehend hiervon müsse eine Ausnahme auf einer klaren gesetzlichen Grundlage beruhen. Weiterhin würden im Rahmen der Leistungen nach dem SGB II nur ausnahmsweise die Übernahme von Schulden anerkannt. Die durch die Berücksichtigung von Zahlungen auf Unterhaltsschulden als Absetzbetrag von den Einnahmen bewirkte mittelbare Übernahme von solchen Schulden durch das Jobcenter sei damit nicht in Einklang zu bringen. Gemessen hieran habe der Beklagte rechtsfehlerfrei keine Unterhaltszahlungen in dem betreffenden Leistungszeitraum berücksichtigt. Der Kläger zu 2 sei – dies sei unstreitig – in den hier streitigen Monaten seiner Unterhaltsverpflichtung tatsächlich nicht nachgekommen. Eine Berücksichtigung aufgrund des Anspruchs der Stadt Pforzheim gegen den Kläger zu 2 aufgrund des geleisteten Unterhaltsvorschusses stelle keinen aktuellen Unterhaltsbedarf in dem oben genannten Sinn dar. Eine Berücksichtigung als Absetzbetrag nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II scheide aufgrund dessen aus.
 
Gegen das der Bevollmächtigten der Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 7. März 2022 zugestellte Urteil hat diese für die Kläger schriftlich am 4. April 2022 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, bei der vorläufigen Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum Juni bis November 2020 seien die anstehenden Zahlungsverpflichtungen des Klägers zu 2 für seine Kinder W, W1 und W2 berücksichtigt worden. Es seien Kinder des Klägers zu 2 aus seiner ersten Ehe, welche bei deren Kindesmutter lebten. Wegen des Arbeitsverlustes und darauffolgender schwieriger finanzieller Lage hätte der Kläger zu 2 keinen Kindesunterhalt gezahlt. Die Stadt Pforzheim habe daraufhin einen Unterhaltsvorschuss an diese Kinder geleistet. Mit der Auszahlung seien deren Forderungen an die Stadt Pforzheim übergegangen. Das SG habe außer Acht gelassen, dass dieser Erstattungsanspruch der Stadt Pforzheim nach wie vor bestehe. Der Kläger zu 2 werde weiterhin auf Erstattung der Unterhaltsvorschusszahlungen in Anspruch genommen. Die Rückstände würden von ihm lediglich zu einem späteren Zeitpunkt beglichen werden müssen. Da die Kläger die Beträge in der Höhe der Unterhaltsforderungen an das Jobcenter erstatten müssten, würden die Kläger die Unterhaltszahlungen für den streitgegenständlichen Zeitraum doppelt erbringen. Ferner habe das SG unberücksichtigt gelassen, dass sich die Familie des Klägers während des streitgegenständlichen Zeitraums in einer finanziellen Notlage befunden habe.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Februar 2022 und die Bescheide des Beklagten vom 16. März 2022 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22. Juni 2021 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere könnten Aufwendungen für Unterhaltsrückstände nicht vom Einkommen abgesetzt werden. Im Rahmen der vorläufigen Bewilligung habe der Beklagte monatlich 691,80 € vom Einkommen des Klägers zu 2 abgesetzt, damit er seiner Unterhaltspflicht nachkommen könne. Bei der abschließenden Festsetzung sei festgestellt worden, dass tatsächlich keine Unterhaltszahlungen erfolgt seien.

Mit Schreiben vom 3. Juni 2022 hat der Berichterstatter auf die Absicht des Senats hingewiesen, gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter mit Beschluss zu entscheiden. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die zulässige Berufung der Kläger durch Beschluss zurückweisen können, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist nicht begründet. Die Kläger hatten im streitgegenständlichen Zeitraum Juni 2020 bis November 2020 keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Sicherung zum Lebensunterhalt nach dem SGB II; der Beklagte hat mit den angefochtenen Erstattungsbescheiden vom 16. März 2021 insgesamt von den Klägern zu Recht 3.393,30 € an zu viel gezahlten Leistungen zurückgefordert. Dabei hat der Beklagte im Sinne einer Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Erstattungsbescheide auch beachtet, dass für jeden einzelnen Kläger der zu viel gezahlte Betrag im Sinne der Rückforderung festzusetzen ist. Dabei hat der Beklagte bezüglich der Einkommensberücksichtigung des Einkommens des Klägers zu 2 und insbesondere bezüglich des im streitgegenständlichen Zeitraums tatsächlich nicht gezahlten Unterhalts an seine Kinder aus erster Ehe (W, W1 und W2) keinen Rechtsfehler begangen. Der Senat ist diesbezüglich derselben Rechtsauffassung wie das SG und verweist auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Wegen des Vorbringens der Kläger im Berufungsverfahren ist jedoch seitens des Senats nochmals zu betonen, dass Aufwendungen – also tatsächlich ausgeführte Leistungen – zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Vereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen absetzbar sind. Nur tatsächlich erfolgte Zahlungen auf aktuell zu erfüllende Unterhaltsverpflichtungen können nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II von zu berücksichtigendem Einkommen abgesetzt werden. Vorliegend steht jedoch fest, dass der Kläger zu 2 im streitgegenständlichen Zeitraum Dezember 2019 bis Mai 2020 an seine drei Kinder aus erster Ehe keinen Unterhalt gezahlt hat. Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen in der Berufungsbegründung, wonach aufgrund des Forderungsübergangs bezüglich der Unterhaltsansprüche dieser drei Kinder an die Stadt Pforzheim aufgrund der von ihr für diese drei Kinder gewährten Unterhaltsvorschüsse eine „doppelte“ Belastung der Kläger festzustellen sei, nicht nachvollziehbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.  

 

Rechtskraft
Aus
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