Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 04.04.2022 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Köln, das der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum 08.03.2022 bis 30.09.2022 zugesprochen hat.
Die am 00.00.1959 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsbürgerin. Sie ist mit dem am 00.00.1954 geborenen Y seit dem 00.00.1983 verheiratet. Aus der Ehe sind fünf, mittlerweile erwachsene Kinder hervorgegangen, die jedenfalls teilweise in Deutschland leben. Der Ehemann der Antragstellerin lebt nach deren Angaben in D.
In der Zeit vom 02.03.2015 bis 11.03.2019 war die Antragstellerin unter der Anschrift E-Straße 5, B, gemeldet. Am 11.03.2019 erfolgte eine Abmeldung von Amts wegen, da angenommen wurde, dass sie wieder nach D übergesiedelt sei. Zum 25.07.2019 meldete sich die Antragstellerin unter der Adresse N-Straße 92, F, an.
Am 21.12.2020 beantragte die Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Antragsgegner. Sie gab an, sie lebe mietfrei in der Wohnung von Herrn W in der N-Straße 92, F.
Nach Versagung von Leistungen mit Bescheid vom 22.03.2021 lehnte der Antragsgegner Leistungen mit Bescheid vom 26.04.2021 ab, da die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Der Ablehnungsbescheid wurde der Antragstellerin unter der Anschrift N-Straße 92, F, zugesandt.
Am 31.08.2021 wurde die Antragstellerin in Begleitung eines Sohnes und der Tochter in der Zentralen Notaufnahme der Kliniken F vorstellig. Es wurde bei ihr u.a. eine lebensbedrohliche COPD diagnostiziert. Die stationäre Aufnahme lehnte die Antragstellerin unter Verweis auf einen fehlenden Krankenversicherungsschutz ab.
Am 20.09.2021 stellte die Antragstellerin über ihre Prozessbevollmächtigte im Hinblick auf den Ablehnungsbescheid vom 26.04.2021 einen Überprüfungsantrag. Sie sei am 25.07.2019 von B nach F umgezogen und lebe bei einer „Freundin“ ihrer Tochter. Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 01.10.2021 eine Änderung seines Ablehnungsbescheides ab.
Am 28.10.2021 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Köln Leistungen vom Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung (S 28 AS 3422/21 ER). Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 10.11.2021 gab sie an, sie habe durchgehend seit März 2015 in B gelebt. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten sei sie lediglich „kurzfristig“ nach D gereist. Danach sei sie „in die Nähe ihrer Tochter“ gezogen. Mit Schriftsatz vom 18.11.2021 teilte sie abweichend von ihrer ersten Darstellung mit, sie habe „durchgehend“ in Deutschland gelebt, auch in der Zeit von März bis Juli 2019. Sie sei direkt von der E-Straße 5, B in die N-Straße 92, F, gezogen.
Mit Beschluss vom 21.12.2021 lehnte das Sozialgericht Köln den Eilantrag der Antragstellerin ab. Die Antragstellerin habe ein Daueraufenthaltsrecht nicht glaubhaft gemacht, halte sich allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland auf und sei deswegen vom SGB II-Leistungsbezug ausgeschlossen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde, in der die Antragstellerin mitteilte, sie sei mit ihrem Lebensgefährten, Herrn C, verheiratet gewesen, wisse wegen einer teilweisen Demenz aber nicht, wann dieser verstorben sei, wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 03.02.2022 (L 19 AS 1986/21 B ER) zurück. Die Antragstellerin habe gegen den ablehnenden Überprüfungsbescheid vom 01.10.2021 keinen Widerspruch eingelegt.
Die Antragstellerin beantragte daraufhin im Hinblick auf den ablehnenden Überprüfungsbescheid vom 01.10.2021 eine (erneute) Überprüfung nach § 44 SGB X und stellte am 15.02.2022 einen Neuantrag auf Leistungen ab dem 01.02.2022 unter Bezugnahm auf den Sachvortrag aus dem einstweiligen Rechtschutzverfahren.
Am 08.03.2022 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Köln erneut einen Antrag auf Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung ab dem 01.01.2022 gestellt, den sie später auf Hinweis des Sozialgerichts auf den Zeitraum ab dem 08.03.2022 geändert hat. Sie sei chronisch krank und nicht krankenversichert. Ein Leistungsausschluss greife nicht, da sie sich mehr als fünf Jahre durchgängig in Deutschland aufhalte. Es habe ab März 2019 nicht einmal einen kurzen urlaubsbedingten Aufenthalt in D gegeben. Sie habe zu keinem Zeitpunkt ihren Lebensmittelpunkt verschoben und wäre hierzu finanziell gar nicht in der Lage gewesen. Soweit ihre Prozessbevollmächtigte hierzu andere Ausführungen gemacht habe, sei dies auf Sprachschwierigkeiten und Übersetzungsfehler zurückzuführen. Die Tochter der Antragstellerin, die mit ihren Kindern Leistungen nach dem SGB II beziehe, sei finanziell nicht in der Lage, ihre medizinische Versorgung sicherzustellen. Sie versorge die Antragstellerin mit Lebensmitteln und bezahle im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Arztrechnungen. Herr W, der keine staatlichen Transferleistungen beziehe, sei der Freund der Tochter. Dieser stelle der Antragstellerin kostenfrei das Wohnzimmer in seiner Zweizimmerwohnung zur Verfügung. Die Antragstellerin verfüge über kein eigenes Konto oder finanzielle Mittel. Ihr letztes Konto bei der Postbank sei 2019 mangels Geldeingang gesperrt worden. In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 17.03.2022 hat sie ergänzend angegeben, nach ihrem Umzug von B nach F nicht in D gewesen zu sein. Sie wohne überwiegend bei Herrn W. Manchmal schlafe sie bei ihrer Tochter. Dort sei wegen deren Kinder aber noch weniger Platz als bei Herrn W.
Das Sozialgericht hat den Mietvertrag von Herrn W für die Wohnung N-Straße 92, F, angefordert. Diesem ist zu entnehmen, dass es sich bei der Wohnung um eine 36 m² große Einzimmerunterkunft mit offener Kochnische handelt.
Mit Bescheid vom 16.03.2022 hat der Antragsgegner den Leistungsantrag der Antragstellerin vom 15.02.2022 abgelehnt. Hiergegen hat die Antragstellerin am 23.03.2022 Widerspruch eingelegt, den der Antragsgegner mit Widerspruchbescheid vom 12.04.2022 als unbegründet zurückgewiesen hat. Hiergegen hat die Klägerin beim Sozialgericht fristgerecht Klage erhoben, die derzeit anhängig ist.
Mit Beschluss vom 04.04.2022 hat das Sozialgericht der Antragstellerin Leistungen in Höhe des Regelbedarfs im Wege der einstweiligen Anordnung für die Zeit vom 08.03.2022 bis 30.09.2022, längstens bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Neuantrag vom 15.02.2022, zugesprochen. Die Antragstellerin habe einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet nachgewiesen. Dabei sei unschädlich, dass dieser Zeitraum nicht durchgehend einwohnermelderechtlich dokumentiert sei. Zwar sprächen gegen einen fünfjährigen durchgängigen Aufenthalt die von der Antragstellerin getätigten widersprüchlichen Angaben, jedoch könnten die Sprachschwierigkeiten diese erklären. Der Zeuge W habe einen lückenlosen Aufenthalt der Antragstellerin auch schriftlich bestätigt. Die Antragstellerin habe hierzu auch weitere Zeugen benannt. Etwaige Sachverhaltsunklarheiten seien nicht im gerichtlichen Eilverfahren aufzuklären. Jedenfalls aufgrund einer Folgenabwägung seien der Antragstellerin Leistungen zuzusprechen
Gegen den ihr am 05.04.2022 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 21.04.2022 Beschwerde eingelegt. Für ein Daueraufenthaltsrecht sei eine lückenlose melderechtliche Bescheinigung erforderlich. Die Antragstellerin sei in der Zeit vom 11.03.2019 bis zum 25.07.2019 in Deutschland nicht gemeldet gewesen. Ungeachtet dessen sei ein lückenloser mindestens fünfjähriger Aufenthalt in Deutschland nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Da auch kein anderweitiges Aufenthaltsrecht mit Ausnahme des Aufenthalts zum Zwecke der Arbeitsuche gegeben sei, sei die Antragstellerin vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Außerdem sei nicht dargelegt, wovon die Antragstellerin seit März 2019 lebe, zumal die Tochter der Antragstellerin im Leistungsbezug steht. Angesichts der Erkrankungshistorie und der geltend gemachten Demenz sei zudem nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin erwerbsfähig ist. Am 06.04.2022 hat der Antragsgegner im Hinblick auf den Beschluss des Sozialgerichts einen Ausführungsbescheid für die Zeit vom 08.03.2022 bis 30.09.2022 erlassen.
Die Antragstellerin hat angegeben, sie sei nach dem Tod ihres Lebensgefährten, mit dem sie nicht verheiratet gewesen sei, von B nach F gezogen. Auf Nachfrage des Senats, wann Herr C gestorben sei, hat die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie dies nicht exakt angeben könne, da sich die Tochter von Herrn C um diesen gekümmert habe. Herr C sei geschätzt im „Frühjahr 2019“ gestorben. Später hat die Antragstellerin eine von C unterschriebene Erklärung aus Oktober 2015 vorgelegt, wonach die Antragstellerin von ihm für „allgemeine Haushaltsaufgaben“ 150 € im Monat sowie ein Wohnrecht in seiner Wohnung erhalten habe. Auf weitere Nachfrage hat die Antragstellerin angegeben, ihr Sohn G beziehe in A Leistungen vom Jobcenter Kreis O.
Auf Anfrage des Senats hat die Hausverwaltung der Liegenschaft N-Straße 92 mitgeteilt, dass in der Wohnung von Herrn W seit August 2019 zwei Personen lebten, Herr W und dessen „Freundin“ Frau H. Von einem Aufenthalt der Antragstellerin in der Wohnung von Herrn W sei der Hausverwaltung nichts bekannt. Weitere Ermittlungen des Senats haben ergeben, dass es sich bei Frau H um die Schwester der Antragstellerin handelt, die ausweislich einer Meldeportalabfrage in der Zeit vom 25.07.2019 bis 11.10.2019 in der N-Straße 92, F gemeldet war und seitdem in J gemeldet ist.
Der Senat hat die Ausländerakte der Antragstellerin beigezogen, auf die Bezug genommen wird.
Ferner hat der Senat den Vermieter der Wohnung E-Straße 5, B, den Zeugen L befragt. Dieser hat per E-Mail vom 27.06.2022 angegeben, sein früherer Mieter C habe bis zum 31.08.2016 in der Wohnung E-Straße 5, B gelebt. Die letzte Mietzahlung "C Nachlass z.Hd. M " sei auf seinem Konto am 03.08.2016 eingegangen. Er habe nach Angaben von Herrn C die Antragstellerin zum Miteinzug am 02.03.2015 als Wohnungsgeber bestätigt. Aus dem vorgelegten Mieter-Stammblatt ist zu entnehmen, dass Herr C am 00.00.1945 geboren und am 00.07.2016 verstorben ist.
Der Senat hat die Antragstellerin befragt und den Zeugen W als Zeugen vernommen. Insoweit wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 30.06.2022 Bezug genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, sowie der Verwaltungsakte der Ausländerbehörde Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung zugesprochen. Der Antrag der Antragstellerin war von Anfang an abzulehnen.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.09.2017 - L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).
Die Antragstellerin hat in diesem Sinne weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch iSd § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft gemacht, noch sind Leistungen im Wege der Folgenabwägung zuzusprechen.
Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ob und in welchem Umfang die Antragstellerin diese Voraussetzungen erfüllt, konnte trotz zweier einstweiliger Rechtsschutzverfahren nicht zweifelsfrei ermittelt werden, weil die Antragstellerin – bis zu ihrer Widerlegung – falsche Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftliche Verhältnissen gemacht hat. So hat sie lange Zeit behauptet, sie hätte bis 2019 bei Herrn C gelebt, den sie zeitweise als Ehemann, später als Lebensgefährten und zuletzt als von ihr zu pflegende Person beschrieben hat. Dieser sei ca. 2019 verstorben. Ermittlungen des Senats beim früheren Vermieter des Herrn C und die Beiziehung der Ausländerakte brachten aber zu Tage, dass Herr C bereits am 08.07.2016 verstorben ist, das Mietverhältnis in B zum 31.08.2016 endete und die Antragstellerin zu keiner Zeit in einem partnerschaftlichen Verhältnis zu Herrn C stand. Tatsächlich war und ist die Antragstellerin mit Herrn Y verheiratet, über dessen wirtschaftliche Verhältnisse nichts bekannt ist. Angesichts des Lebensalters von Herrn Y (Jahrgang 1954) ist nicht ausgeschlossen, dass dieser in D eine Rente bezieht und die Antragstellerin hierüber (mindestens) in D krankenversichert ist. Vor diesem Hintergrund kann derzeit nicht eingeschätzt werden, ob die Antragstellerin seit Antragstellung hilfebedürftig iSv §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II ist. Überdies ist offen, ob die Antragstellerin erwerbsfähig iSv § 8 Abs. 1 SGB II ist. Im bereits anhängigen Klageverfahren beim Sozialgericht wird dies weiter aufzuklären sein.
Der Senat konnte die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II offenlassen, weil die Antragstellerin bei der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarische Prüfung jedenfalls nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a, 2b SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, a) die kein Aufenthaltsrecht haben oder b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. So verhält es sich vorliegend bei der Antragstellerin. Entweder hat die Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht oder ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich ausschließlich aus dem Zweck der Arbeitssuche. In beiden Fällen ist sie vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgenommen. Dies bestreitet die Antragstellerin auch nicht. Insbesondere macht die Antragstellerin, die keine Sozialversicherungsnummer vorgelegt hat und deren deutsche Erwerbsbiographie – soweit ersichtlich – leer ist, nicht geltend, dass sie als Arbeitnehmerin oder Selbständige ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU oder (nachgelagert) nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU hat. Auch sonstige Aufenthaltsrechte, etwa nach dem AufenthG (vgl. § 11 Abs. 14 Satz 1 AufenthG) macht die Antragstellerin nicht geltend, die auch nicht ersichtlich sind.
Die Antragstellerin trägt lediglich vor, dass der Leistungsausschluss bei ihr aufgrund eines Daueraufenthaltsrechts nicht greife. Dies hat die Antragstellerin aber nicht glaubhaft gemacht. Zwar erhalten Ausländerinnen und Ausländer nach § 7 Abs. 1 Satz 4, 1. Halbsatz SGB II abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Es spricht aber mehr dagegen, als dafür, dass die Antragstellerin seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.
Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat eine Person den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Einen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sinne hat die Antragstellerin aber nur in der Zeit vom 02.03.2015 bis 31.08.2016 bzw. ab dem 25.07.2019 glaubhaft gemacht. Wo sich die Antragstellerin in der Zeit vom 01.09.2016 bis 24.07.2019 aufgehalten hat, ist völlig unklar. Die Antragstellerin hat zunächst (wahrheitswidrig) behauptet, sie habe vom 02.03.2015 bis März 2019 in der E-Straße 5, B gewohnt und sei dann (nahtlos) nach B in die Wohnung von Herrn W gezogen. Erst auf Vorhalt der Mitteilung des Vermieters der Wohnung E-Straße 5 durch den Senat, räumte die Antragstellerin ein, dass sie vor ca. fünf Jahren aus B weggezogen sei und behauptete fortan, kurzzeitig, auf konkrete Nachfrage des Senats für ca. zwei Jahre bei ihrer Tochter gelebt zu haben. Dieser Sachvortrag ist nicht nur wegen seiner Inkonsistenz unglaubhaft, denn er widerspricht auch dem stereotypen (vorherigen) Sachvortrag der Antragstellerin, die Wohnung der Tochter sei derart beengt, dass sie dort nicht leben könne und deswegen zu dem Freund (zunächst „Freundin“) der Tochter (dem Zeugen W) gezogen sei. Wenn die Wohnverhältnisse in der Unterkunft der Tochter derart beengt sind, wie die Antragstellerin, ohne dies näher zu substantiieren, wiederholt vorgetragen hat, erschließt sich nicht, wie sie dort zwei Jahre untergekommen ist. Tatsächlich beträgt die Zeitspanne zwischen der Kündigung der Wohnung E-Straße 5 und der Anmeldung in der Wohnung N-Straße 92 sogar fast drei Jahre. Aber nicht nur deswegen ist die Aufnahme der Antragstellerin in der Wohnung ihrer Tochter unglaubhaft. Die Tochter der Antragstellerin, eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, bezieht selbst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Es ist schon unwahrscheinlich, dass die (kostenlose) Aufnahme und Versorgung einer weiteren Person aus dem Budget eines Hartz-IV-Haushalts finanziert wird. Vollends unwahrscheinlich ist dies aber vor dem Hintergrund der Krankheitsgeschichte der Antragstellerin, die allein in 2021 wegen ihrer zahlreichen Erkrankungen zweifach notfallmäßig im Krankenhaus behandelt werden musste. Es ist nicht überzeugend, dass eine multimorbide und ältere Person derart „geräuschlos“ in einen SGB II-Haushalt eingebunden wird, ohne dass dies mittels Anschaffungen von Medikamenten, ärztlichen Bescheinigungen, höheren Lebensmittel- und Energieanschaffungen etc. dokumentiert werden könnte. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin jedenfalls als Haushaltsmitglied beim Antragsgegner hätte gemeldet werden müssen, da die Unterkunftsbedarfe in der Bedarfsgemeinschaft der Tochter – auch bei BG-fremden Personen – kopfanteilig bemessen werden, was hier aber nicht geschehen ist. Unglaubhaft ist auch, dass die Antragstellerin in der Wohnung der Tochter aufgenommen wurde, ohne dass dies melderechtlich registriert wurde, dies zumal der Familie der Antragstellerin (neben der Tochter bezieht auch ihr Sohn in A SGB II-Leistungen) die melderechtliche Bedeutung für den Leistungsausschluss bekannt sein dürfte. Es ist auch wenig glaubhaft, dass die Schwester der Antragstellerin, die angeblich nur die Antragstellerin besuchen wollte, für einen kurzen Aufenthalt bei dem Zeugen W gemeldet wurde, die Antragstellerin hingegen trotz jahrelangem Aufenthalt in der Wohnung der Tochter nicht. Ins Bild passt, dass die Schwester der Antragstellerin nunmehr in J gemeldet ist, weil sie dort ihren Sohn besuche. Es ist völlig ungewöhnlich, dass derartige Verwandtschaftsbesuche beim Einwohnermeldeamt gemeldet werden, langjährige Aufenthalte hingegen nicht.
Ohne die Hinzurechnung der Zeit vom 01.09.2016 bis 10.03.2019 (angebliches Einzugsdatum beim Zeugen W) kann sich die Antragstellerin nicht auf ein fünfjährigen Aufenthalt nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II berufen. Der ungeklärte Zeitraum von fast zweieinhalb Jahren kann auch nicht als „unwesentliche Unterbrechung des Aufenthaltes - zum Beispiel ein kurzer Heimatbesuch“ (vgl. zur „Unschädlichkeit“ derartiger Unterbrechungen: BSG, Urteil vom 29.03.2022 – B 4 AS 2/21 R, juris-Rn. 26; BT-Dr. 18/10211, Seite 14; Becker, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 7 Rn. 54; Leopold, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn.) angesehen werden. Der Senat konnte daher offenlassen, ob die Antragstellerin seit März 2019 wirklich bei dem Zeugen W lebt. Hieran bestehen nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Senats aber ebenfalls zahlreiche Zweifel. So ist nicht erklärlich, warum die Antragstellerin, eine ältere Dame und fünffache Mutter erwachsener Kinder, ausgerechnet in dem 36 m² großen Einzimmerapartment des Zeugen W untergekommen sein soll. Dass die angeblich beengten, aber völlig unsubstantiiert vorgetragenen, Wohnverhältnisse in der Wohnung der Tochter jedenfalls einer jahrelangen Aufnahme der Antragstellerin nicht entgegenstanden, musste die Antragstellerin auf Vorhalt des Senats einräumen. Ungeachtet dessen ist nicht klar, warum die Antragstellerin nicht bei ihrem Sohn G in A oder bei einem ihrer drei weiteren Kinder untergekommen ist. Auch ist unklar, warum der Zeuge W die Antragstellerin über eine so lange Zeit (mietfrei) aufnehmen sollte, obwohl er selbst nur über eine Einzimmerunterkunft verfügt. Die behauptete Trennwand in der Wohnung N-Straße, von der der Vermieter nicht berichtet hat, mag mittels Lichtbildern oder einem genehmigten Besuch durch den Außendienst im Laufe des bereits anhängigen Hauptsacheverfahrens glaubhaft gemacht werden. Jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt hält der Senat die Angaben der Antragstellerin und des Zeugen W für unglaubhaft. Die Antragstellerin hatte während der Befragung im Erörterungstermin (anders als angeblich ihre Tochter) keine Schlüssel zu der Wohnung N-Straße, F, obwohl sie von dort komme und dort seit Jahren lebe. Sie konnte die Wohn- und Größenverhältnisse in der Wohnung auch nur sehr schwerfällig im Erörterungstermin beschreiben. Es ist auch wenig glaubhaft, dass sich zwei entfernt bekannte Personen, die sich – mangels deutscher Sprachkenntnisse der Antragstellerin – nicht unterhalten können und die aus einem unterschiedlichen Alters- und Kulturkreis stammen über mehrere Jahre ein 36 m² großes Apartment mit offener Küche und einem Bad teilen. Für den Senat ist es wenig glaubhaft, dass sich die Antragstellerin und der Zeuge W u.a. während der Coronazeit auf solch engen Wohnverhältnissen arrangiert haben, zumal – ausweislich der Meldeauskunft – in der Zeit vom 25.07.2019 bis 11.10.2019 zusätzlich noch die Schwester der Antragstellerin, Frau H in dieser Wohnung gelebt haben soll. Wenig lebensnah ist auch, dass der Zeuge W nach seinen Nachtschichten gegen 5 Uhr morgens seinen Schlafbereich nur durch den Wohnbereich der Antragstellerin (zwischenzeitlich auch ihrer Schwester) erreichen konnte. Umgekehrt musste die Antragstellerin (auch nach den Nachtschichten des Zeugen) durch den Schlafbereich des Antragstellers gehen, wenn sie in das Bad oder in die Küche wollte.
Neben diesen an sich untypischen und wenig glaubhaften Lebensverhältnissen in der N-Straße kommen weitere Auffälligkeiten hinzu: Insbesondere die Aussage des Zeugen W sind dabei im Besonderen fragwürdig. Mag die Antragstellerin noch aus der Not heraus, derart beengte Wohnverhältnisse in der N-Straße erduldet haben, ist die Interessenlage des Zeugen W nicht recht nachvollziehbar. Für den Senat ist unvorstellbar, dass ein alleinstehender und berufstätiger Mann eine (bzw. zeitweise zwei) ältere bulgarische Frauen bei sich aufnimmt, mit denen er sich nicht unterhalten kann. Dass er die Antragstellerin aus Verbundenheit zu seiner Freundin, mit der er aber nicht zusammen wohnt und mit der er auch nicht verlobt ist, aufgenommen haben will, mag noch hingenommen werden. Unklar ist aber, warum er dann noch eine zweite bulgarische Frau (zusätzlich) für fast drei Monate in seine (sehr kleine) Wohnung aufnimmt. Dubios erscheint dabei, dass der Zeuge W nur Frau H, also nur die Dame, die angeblich nur vorrübergehend zu Besuch weilte, als Mitbewohnerin gegenüber seinem Vermieter angegeben und diese noch dazu als „Freundin“ bezeichnet und bis zuletzt suggeriert hat, diese würde noch bei ihm als seine Partnerin wohnen. Zu diesem Komplex können im Hauptsacheverfahren weitere Zeugen gehört werden, etwa die Vermieterin und deren Verwalterin. Dort können auch die weiteren von der Antragstellerin genannten Zeugen angehört werden, etwa der zuletzt genannte Zeuge P, den die Antragstellerin trotz der seit Monaten bekannten Problematik erst jüngst benannte.
Aus den dargelegten Gründen kam auch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU in Betracht. Ein solches haben Unionsbürger nur, wenn sie sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Die Antragstellerin hält sich nach summarischer Prüfung allenfalls seit 2019 im Bundesgebiet auf. Der frühere Aufenthalt der Antragstellerin in B (2015 bis 2016) ist nicht zu berücksichtigen, weil die anschließende Unterbrechung einem ständigen Aufenthalt entgegensteht (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2022 – B 4 AS 2/21 R, juris-Rn.25); die in § 4a Abs. 6 FreizügG/EU (vgl. Art 16 Abs. 3 Freizügigkeitsrichtlinie) normierten Ausnahmen von diesen Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Voraussetzungen des § 4a Abs. 2 FreizügG/EU sind bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht erfüllt. Letzteres macht auch die Antragstellerin nicht geltend.
Der Senat sieht sich nicht veranlasst, der Antragstellerin Leistungen im Wege einer Folgenabwägung zuzusprechen. Die Antragstellerin hat es selbst in der Hand im mittlerweile anhängigen Klageverfahren, widerspruchsfrei und wahrheitsgemäß vorzutragen (vgl. auch hierzu Senatsbeschlüsse vom 21.04.2021 – L 7 AS 1626/20 B ER und vom 13.07.2020 - L 7 AS 123/20 B ER). Irreversible Nachteile sind für die Antragstellerin, die nach ihren eigenen Angaben seit Jahren mietfrei bei unterschiedlichen Personen untergekommen ist und dort versorgt wird, nicht zu erwarten. Dass ihr Versicherungsschutz bei der AOK nach § 16 Abs. 3a SGB V ruht, hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, auch nicht durch das Schreiben der AOK vom 14.06.2022. Unabhängig davon ist die Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen auch bei ruhenden Krankenversicherungsverhältnissen nach § 16 Abs. 3a SGB V sichergestellt. Ob die Klägerin über eine etwaige Rentenversicherung ihres Ehemanns (jedenfalls in D) krankenversichert ist, konnte der Senat deshalb offenlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).