L 12 SB 1425/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 2630/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 SB 1425/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Die Klägerin wendet sich im Berufungsverfahren nur noch gegen den Entzug der Nachteilsausgleiche (Merkzeichen) B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) und H (Hilflosigkeit).

Die 1998 geborene Klägerin leidet an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beidseits, die links mit einem Cochlea-Implantat und rechts mit einem Hörgerät versorgt ist. Das Landratsamt Reutlingen (LRA) hatte für die Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 07.12.2011 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen G, Gl, B, H und RF festgestellt. Der Feststellung lag eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 12.10.2011 zugrunde, wonach bei der Klägerin Schwerhörigkeit mit Sprachstörung versorgt mit einem Cochlea-Implantat vorliege. Auf Anfrage des LRA teilten die Eltern der Klägerin im Februar 2015 mit, dass diese eine berufliche Erstausbildung an der kaufmännischen Berufsschule und bei der Stadtverwaltung T beginnen werde. Mit Bescheid vom 17.04.2015 teilte das LRA mit, dass derzeit weder eine Herabsetzung noch eine Entziehung der Merkzeichen beabsichtigt sei. Im Sommer 2018 schloss die Klägerin ihre Ausbildung ab. Sie ist mittlerweile bei der Stadtverwaltung B beschäftigt.

Mit Schreiben vom 24.07.2018 forderte der Beklagte die Klägerin auf, Angaben zu ihren gesundheitlichen Verhältnissen zu machen, um überprüfen zu können, ob diesbezüglich Änderungen eingetreten seien. Das LRA zog einen Befundbericht der S-S vom August 2018 bei und legte diesen dem versorgungsärztlichen Dienst vor, der die Voraussetzungen für die Merkzeichen H, G und B als nicht mehr gegeben ansah.

Mit Bescheid vom 31.01.2019 stellte das LRA nach Anhörung der Klägerin gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme fest, dass unter Abänderung der Bescheide vom 15.01.2002, 26.02.2003, 01.10.2008, 07.12.2011 und 17.04.2015 die Voraussetzungen für die Feststellungen der Merkzeichen G, B und H ab dem 05.02.2019 nicht mehr vorlägen. Die Merkzeichen Gl und RF seien hingegen festzustellen.

Im Widerspruchsverfahren zog das LRA weitere Befundunterlagen der S-S bei. Unter Berücksichtigung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des K vom 21.10.2019, der die Voraussetzungen der Merkzeichen G, B und H als nicht erfüllt ansah, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2019 zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat sich die Klägerin mit ihrer am 21.11.2019 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage gewandt, da weiterhin ein Anspruch auch auf Feststellung der Merkzeichen G, B und H bestehe. Die Hörhilfen der Klägerin seien nicht dauerhaft einsetzbar und es bestehe ein erhebliches Gefährdungspotential.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. S-S hat unter dem 03.06.2020 angegeben, dass bei der Klägerin seit Geburt eine hochgradige und an Taubheit grenzende Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits bestehe. Ohne apparative Hörhilfen sei bei 100 dB kein Sprachverstehen möglich. Auch mit Hörgerät rechts und Cochlea-Implantat links bestehe bei normaler Umgangssprachlautstärke (65 dB) in absoluter Ruhe ein Sprachverständnis von nur 80%. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen H lägen nicht mehr vor, da eine entsprechende notwendige Hilfebedürftigkeit nicht bestehe. Jedoch solle das Merkzeichen B weiterhin vergeben werden, da bei einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit oder Taubheit die Beeinträchtigung nicht nach den mit Hörhilfen versorgten Ohren, sondern an unversorgten Ohren bemessen werden müsse, da diese technischen Geräte jederzeit, insbesondere in Notfallsituationen, ausfallen könnten. Der Leiter der Sektion Phoniatrie/Pädaudiologie am Universitätsklinikum F, Universitätsklinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde, B, hat mit Schreiben vom 09.06.2020 mitgeteilt, dass bei der Klägerin, die er letztmals 2016 behandelt habe, eine Hörstörung im Sinne einer Taubheit beidseits bestehe. Mangels Kenntnis des Verlaufes könne das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen G, H und B nicht beurteilt werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.03.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Merkzeichen G und H seien sich die befragten behandelnden Ärzte S-S und B einig, dass die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Zwar empfehle S-S, das Merkzeichen B festzustellen, begründe dies jedoch damit, dass die Hilfen in Notfallsituationen ausfallen könnten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergebe sich bei einer erwachsenen gehörlosen Person jedoch nicht allein wegen dieser Behinderung ein Anspruch auf Feststellung der Notwendigkeit ständiger Begleitung.

Gegen den am 23.03.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 21.04.2021 beim SG eingelegten Berufung. Es bestünden tagtäglich Gefahrensituationen, sowohl tagsüber als auch nachts. Sie könne keine Lautsprecherdurchsagen hören. Nachts habe sie keine Hörhilfen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.03.2021 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 31.01.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 25.10.2019 insoweit aufzuheben, als ihr darin die Merkzeichen B und H entzogen wurden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 25.10.2021 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte des Senats und des SG sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung, über die der Senat aufgrund des übereinstimmenden Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Gegenstand der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist der Bescheid vom 31.01.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 25.10.2019 insoweit, als der Beklagte u.a. die die Merkzeichen H und B feststellenden Bescheide vom 15.01.2002, 26.02.2003, 01.10.2008, 07.12.2011 und 17.04.2015 abgeändert hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.1996, 9 RVs 5/95, juris). Der Änderungsbescheid vom 31.01.2019 (in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 25.10.2019) erweist sich vor diesem Hintergrund als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in subjektiven Rechten; der Beklagte hat die Merkzeichen B und H zu Recht nicht weiter festgestellt.

Rechtsgrundlage für die vom Beklagten verfügte Änderung der Bescheide vom 15.01.2002, 26.02.2003, 01.10.2008, 07.12.2011 und 17.04.2015 ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert oder die Voraussetzungen für Merkzeichen hinzutreten oder entfallen. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.1986, 9a RVs 55/85, juris m.w.N.). Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss damit durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Die Frage, ob eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X wesentlich ist, richtet sich, ebenso wie die Feststellung der Merkzeichen nach materiellem Recht, vorliegend nach § 2 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 69 Abs. 4 und 5, § 145 Abs. 1 sowie § 146 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie die Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Nach § 152 Abs. 4 SGB IX treffen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen. Nach § 152 Abs. 5 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus.

Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist durch das Erreichen des 16. Lebensjahres verbunden mit dem Abschluss der Berufsausbildung eingetreten, da einem gehörlosen Menschen ab diesem Zeitpunkt im Regelfall kein Anspruch auf die Merkzeichen G (hier nicht mehr streitgegenständlich) und B mehr zusteht (BSG, Urteile vom 12.11.1996, 9 RVs 5/95 und 9 RVs 18/94, beide juris).

1. Merkzeichen B

Die Klägerin hat keinen Anspruch (mehr) auf Feststellung des Merkzeichens B. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens B ist § 152 Absatz 1 und 4 SGB IX i.V.m. § 229 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Zur Mitnahme einer Begleitperson sind gemäß § 229 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Menschen berechtigt, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind. Nach den VG, Teil D, Nr. 2 Buchst. b ist eine Berechtigung für eine ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen, bei denen die Voraussetzungen u.a. für das Merkzeichen Gl vorliegen, gegeben, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z.B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind (hierzu a.). Die Berechtigung für eine ständige Begleitung ist ferner nach den VG, Teil D, Nr. 2 Buchst. c anzunehmen bei Querschnittgelähmten, Ohnhändern, Blinden und Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist (hierzu b.).

a.
Zwar liegt bei der Klägerin das Merkzeichen Gl vor, wie der Beklagte im angegriffenen Bescheid festgestellt hat. Jedoch vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen oder dass Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z.B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind. Zwar empfiehlt S-S, das Merkzeichen B weiterhin festzustellen, begründet dies jedoch damit, dass die Hilfen in Notfallsituationen notwendig sein könnten. Dabei berücksichtigt sie nicht, dass Voraussetzung für das Merkzeichen B ein regelmäßiges Angewiesensein auf fremde Hilfe voraussetzt, wobei ein- bis zweimal wöchentlich auftretende Hilfesituationen hierfür noch nicht ausreichen (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2019, L 8 SB 3550/18, juris). Die seitens der Ärztin angegebenen möglicherweise eintretenden Notfallsituationen vermögen vor diesem Hintergrund keine Regelmäßigkeit zu begründen. Die Klägerin selbst trägt hauptsächlich vor, dass sie nachts ohne die Hörgeräte auf Hilfe angewiesen ist, dies beeinträchtigt jedoch nicht die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Hierzu hat sie lediglich angegeben, Angst zu haben, dass die Hörgeräte ausfallen könnten und sie dann auf Hilfe angewiesen ist, dass ein solcher Ausfall regelmäßig passierte, trägt sie nicht vor.
 
Letztlich ergibt sich bei einer erwachsenen gehörlosen Person nicht allein wegen der Gehörlosigkeit ein Anspruch auf Feststellung der Notwendigkeit ständiger Begleitung (vgl. BSG, a.a.O., LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Vielmehr kann beim Personenkreis der Gehörlosen nach Abschluss der Gehörlosenschule und jedenfalls nach Abschluss einer Ausbildung nicht aufgrund typischer Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere Beeinträchtigung der Kommunikationsfähigkeit vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen B ausgegangen werden (vgl. BSG, a.a.O., LSG, a.a.O.). Die Klägerin hat nicht nur ihre Berufsausbildung mit kaufmännischer Berufsschule erfolgreich abgeschlossen, sondern im Anschluss daran auch eine neue Beschäftigung (ebenfalls in der öffentlichen Verwaltung) gefunden. Darüber hinaus hat sich auch im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes keine wesentliche Einschränkung der Kommunikationsfähigkeit gezeigt. Insgesamt vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass die Klägerin bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist.

b.
Zwar gehört die Klägerin als Hörbehinderte zu den in VG, Teil D, Nr. 2 Buchst. c explizit aufgezählten Menschen mit Behinderung, jedoch ist die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) nicht gerechtfertigt. Anhaltspunkte hierfür sind weder vorgetragen noch ersichtlich, zumal die Klägerin sich in der Berufung nur noch gegen den Entzug der Merkzeichen B und H wendet, nicht gegen den Entzug des Merkzeichens G. Im Übrigen wird ergänzend auf die zutreffenden Ausführungen des SG zur Frage des Merkzeichens G Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

2. Merkzeichen H

Das Merkzeichen H ist in den Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos i.S.d. des § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung). Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG (in der hier anwendbaren bis 14.12.2020 geltenden Fassung – a.F.) ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 Satz 4 EStG a.F.).

Bei den gemäß § 33 Abs. 6 EStG a.F. zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst auch die bis zum 31.12.2016 von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI a.F.) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche wurden unter dem Begriff der sog. Grundpflege zusammengefasst (§ 15 Abs. 2 bis 7 SGB XI). Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des BSG Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (zum Ganzen vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2003, B 9 SB 1/02 R, juris sowie VG, Teil A, Nr. 4 Buchst. d Satz 4). Hilflosigkeit kann jedoch nicht angenommen werden, wenn schwerbehinderte Menschen nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen sind. Der tägliche Zeitaufwand ist erst dann hinreichend erheblich, wenn sich dieser auf mindestens zwei Stunden beläuft. Erreicht der tägliche Hilfebedarf einen Aufwand von mehr als einer, jedoch unter zwei Stunden, ist Hilflosigkeit anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw. ungünstiger zeitlicher Verteilung der) besonders hoch ist (BSG, a.a.O.). Ebenso müssen gemäß VG, Teil A, Nr. 4 Buchst. d einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf immer wieder vorkommen (z.B. Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, Begleitung bei Spaziergängen oder Hilfen im Straßenverkehr) außer Betracht bleiben.

Ergänzend bestimmen die VG, Teil A, Nr. 5 Buchst. d ee, dass bei Taubheit und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit Hilflosigkeit ab Beginn der Frühförderung und dann – insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs – in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen ist. Da die Klägerin ihre Ausbildung erfolgreich beendet hat und nach Auswertung der beigezogenen Unterlagen im Verwaltungs- und Klageverfahren nicht mehr hilflos ist, hat der Beklagte das Merkzeichen H zu Recht entzogen. Weder B1 noch S-S bestätigen das Vorliegen das Vorliegen von Hilflosigkeit oder benennen Beeinträchtigungen der Klägerin, die die o.g. Kriterien erfüllen könnten. Auch die Klägerin selbst, die an keiner der in den VG, Teil A, Nr. 4 Buchst. e und f explizit genannten Behinderungen leidet, trägt nichts vor, was auf eine Hilflosigkeit i.S. der VG, Teil A, Nr. 4 schließen lässt. Weder trägt sie vor oder geben ihre Ärzte an, dass sie Hilfe bedarf beim An- und Auskleiden, der Nahrungsaufnahme, der Körperpflege oder dem Verrichten der Notdurft noch sind hierfür irgendwelche Anhaltspunkte ersichtlich.

Nach alldem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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