L 11 KR 1075/21 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 68 KR 58/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 1075/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Klägers gegen den Aussetzungsbeschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 9. November 2021 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

A. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 9. November 2021, mit dem das SG den vorliegenden Rechtsstreit, in dem es um die Beitragspflicht des Klägers zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum 1. Oktober 2019 bis 30. November 2020 aufgrund einer freiwilligen Weiterversicherung i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geht, bis zum Abschluss der beim SG Dortmund anhängigen Verfahren S 86 AS 5725/19, S 86 AS 3132/20 und S 86 AS 4768/20 ausgesetzt hat, in denen zwischen dem Kläger und dem Jobcenter Kreis N über den Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum ab 1.Oktober 2019 gestritten wird, ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.

Der Beschluss des SG über die Aussetzung des Verfahrens ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach der allein denkbaren Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG sind vorliegend erfüllt. Die vor dem SG Dortmund anhängigen Verfahren S 86 AS 5725/19, S 86 AS 3132/20 und S 86 AS 4768/20, in denen die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 1. Oktober 2019 streitgegenständlich ist, sind für die Entscheidung über die Frage, ob der Kläger als freiwillig Versicherter ab dem 1. Oktober 2019 betragspflichtig ist, vorgreiflich.

Vorgreiflichkeit i.S.d. § 114 Abs. 2 S. 1 SGG liegt vor, wenn die Entscheidung des Gerichts vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt. Sie ist nicht nur dann zu bejahen, wenn das angerufene Gericht gehindert ist, über eine Vorfrage selbst zu entscheiden. Ausreichend ist vielmehr auch ein tatsächlicher Einfluss durch das andere Verfahren. Das (Nicht-)Bestehen eines Rechtsverhältnisses muss für den vorliegenden Rechtsstreit präjudizielle Bedeutung haben (vgl. Landessozialgericht <LSG> Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Januar 2018 – L 20 SO 467/17 B – juris m.w.N.).

Nach dieser Maßgabe ist eine Vorgreiflichkeit zu bejahen. In den aufgeführten Verfahren der 86. Kammer des SG Dortmund wird um die Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II im hier streitgegenständlichen Zeitraum gestritten. Sollte dem Kläger ein solcher Leistungsanspruch nach dem SGB II zustehen, wäre er gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V versicherungspflichtig. Die Beiträge trüge gemäß § 251 Abs. 4 SGB V der Bund; gezahlt würden sie von der Bundesagentur für Arbeit oder den kommunalen Trägern (§ 252 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V stünde einer freiwilligen Versicherung i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V mit den entsprechenden Beitragsforderungen, deren Schuldner der Kläger wäre (§§ 250 Abs. 2, 252 Satz 1 SGB V), entgegen, da letztere nur eingreift, wenn der Kläger aus einer Versicherungspflicht ausgeschieden ist.

Soweit der Kläger in seiner Beschwerdeschrift vom 28. November 2021 Einwände gegen seine Beitragspflicht erhebt und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht fordert, ist der Senat als Beschwerdegericht vor Abschluss der ersten Instanz nicht zu einer Prüfung befugt. Der Senat als Beschwerdegericht prüft nicht, ob die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des SG zu den Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren, auf deren Grundlage das SG den Aussetzungsbeschluss erlassen hat, zutreffend ist. Die Ansicht des aussetzenden Gerichts hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit eines anderweitigen Rechtsverhältnisses für die bei ihm zugrunde zu legende Rechtsfrage ist bindend, es sei denn, der Mangel der Entscheidungserheblichkeit ist offensichtlich (vgl. Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 114 SGG <Stand: 15.7.2017>, Rn. 53; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG, § 114 Rn. 9; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Mai 2014 - L 4 KR 553/14 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juni 2021 – L 1 KR 275/21 B; jeweils juris). Für Letzteres sind Anhaltspunkte durch den Kläger weder benannt worden noch im Übrigen ersichtlich. Insbesondere ist die Klage gegen den Bescheid vom 18. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2020 nicht offensichtlich verfristet (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGG). Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2020 – beim Amtsgericht eingegangen am 19. Mai 2020 - hat der Kläger ausdrücklich beantragt, die Beklagte auf Rückzahlung der „irrtümlich“ gezahlten 188,97 € zu verurteilen. Er hat sinngemäß ausgeführt, er wäre bei Kenntnis der von der Beklagten angenommenen Rechtslage dieser nicht freiwillig beigetreten („[…] dass ich wenn dich diese Belehrung vorher erhalten hätte, wie es auch vorgeschrieben ist, es meinerseits keine weiteren Verhandlungen oder Zahlungen gegeben hätte“). Ausgehend von dem Zusammenhang zwischen Mitgliedschaft und Rückzahlungsanspruch ist es jedenfalls nicht von vornherein abwegig, den Schriftsatz vom 17. Mai 2020 als Klageschrift gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. April 2020 anzusehen, die in diesem Fall fristgemäß erhoben worden und vom Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts umfasst wäre.

Die Entscheidung des SG ist nicht deshalb aufzuheben, weil sie keine Ermessensentscheidung erkennen lässt. Soweit die Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 SGG vorliegen, darf das SG den Rechtsstreit nicht ohne Weiteres aussetzen, sondern hat in Ausübung seines Ermessens abzuwägen, ob die Aussetzung unter Beachtung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten und eines rationellen Einsatzes der gerichtlichen Ressourcen zweck- und verhältnismäßig ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. August 2009 – L 11 AS 379/09 B). Hier hat das SG – wenn auch in sehr kurzer Form („Nach allem ist die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens zweckmäßig“) – sein Ermessen zu erkennen gegeben. Dass es hierbei ermessensfehlerhaft handelte, ist nicht ersichtlich. Auch wurden nach der am 25. Oktober 2021 getroffenen Anhörung der Beteiligten von diesen keine Einwände vorgetragen, die das SG in seine Abwägung hätte einstellen müssen.

B. Eine Kostenentscheidung ergeht nicht, weil die Ausgangsentscheidung des SG über die Aussetzung des Verfahrens als Teil der Hauptsache keine Kostenentscheidung enthält und das Beschwerdeverfahren nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens darstellt (vgl. Bundesgerichtshof – BGH –, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. August 2014 – L 9 KR 289/14 B).

C. Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

 

Rechtskraft
Aus
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