L 21 AS 590/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
21
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 40/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 AS 590/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 44/22 BH
Datum
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 15.03.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Kosten der Unterkunft i. H. v. 100 € pro Monat für die Zeit vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020.

Der im Haus seiner Eltern wohnende Kläger bezieht - mit geringfügigen Unterbrechungen - seit dem 01.01.2005 von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Eltern sind an dem Grundstück, auf dem sich das Haus befindet, erbbauberechtigt. Jedenfalls bis zum Jahr 2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in wechselnder Höhe von ca. 100 bis 130 €. Im weiteren Verlauf forderte die Beklagte vom Kläger mehrfach die Vorlage der Belege über die tatsächlich an seine Eltern zu zahlenden Neben- und Wärmekosten an. Der Kläger hatte vorgetragen, er trage die Heiz- und Nebenkosten des Hauses seiner Eltern zu einem Drittel.

Für die Zeit ab dem 01.01.2020 beantragte der Kläger am 14.11.2019 die Weitergewährung der Leistungen nach dem SGB II. In seinem Antrag gab er an, dass ihm monatliche Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft in Form von Nebenkosten in Höhe von ca. 60 € und Heizkosten in Höhe von ca. 40 € entstehen würden. Dem Antrag beigefügt war ein Schreiben des Klägers vom 13.11.2019 mit „Hinweisen zum SGB II Antrag vom 14.11.2019“. Darin verwies der Kläger für die Belege zu den Wohnungskosten auf die bereits eingereichten Unterlagen im Antrag auf Leistungen nach dem SGB II vom 30.06.2013. Da die Nachweise für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 für die tatsächliche Kosten erst im Jahr 2021 vorgelegt werden könnten und auf dieser Grundlage sowieso immer eine Neuberechnung wegen der schwankenden Verbräuche und der steigenden Energiekosten erfolgen müsse, könnten auch ältere Nachweise, z.B. aus dem Jahr 2010/2011 zum Ansatz gebracht werden. Das Jobcenter habe dies bereits in der Vergangenheit so praktiziert und – trotz der vorliegenden aktuellen Belege – die veralteten Belege von vor zwei Jahren zugrunde gelegt. Zudem könnten die Kosten der Unterkunft mittels einer vorläufigen Abschlagszahlung von monatlich 100 € erfolgen. Die etwaig zu viel gezahlten Leistungen könnten dann zurückgefordert werden.

Dem Antrag beigefügt war eine Bestätigung der Eltern des Klägers vom 13.11.2019, wonach zwischen ihnen und dem Kläger eine Vereinbarung nach § 550 BGB bestehe. Diese habe den Inhalt, dass der Kläger sich zu einem Drittel an den entstehenden Heiz- und Nebenkosten zu beteiligen habe. Es werde darüber hinaus bestätigt, dass diese anteiligen Kosten des Klägers seit dem 01.01.2017 gestundet würden, da die Beklagte diese nicht mit den entsprechenden Bescheiden bewilligt habe. Als Mitglieder der Gemeinschaft würden sie somit seit dem 01.01.2017 genötigt, den Anteil des Klägers mitzutragen und würden dementsprechend in Sippenhaft genommen. Der Kläger erhalte seit dem Jahr 2005 Leistungen nach dem SGB II. Von den Eltern seien mehrere Rentabilitätsberechnungen eingereicht und zuletzt durch die Beklagte mit Bescheid vom 25.4.2012 Leistungen i. H. v. 135,12 € endgültig bewilligt worden. Die von dem Kläger benannte Abschlagszahlung von 100 € könne daher ohne weiteres erfolgen. Nach Erhalt der Zahlungen würden die erst im Jahr 2021 zugehenden Nachweise über die tatsächlichen Kosten für das Jahr 2020 noch vorgelegt.

Mit Bescheid vom 28.11.2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs für die Zeit vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 in Höhe von damals 432 € pro Monat. In Bezug auf die Kosten der Unterkunft erfolgte keine Leistungsbewilligung.

Hiergegen legte der Kläger am 17.12.2019 Widerspruch ein und verwies auf die seinem Antrag beigefügten Unterlagen. Durch den angefochtenen Bescheid werde er in seinen und seine Eltern in ihren Rechten verletzt. Er verweise dazu auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 R - und auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16. Regelleistungen dürften danach nur um max. 30% gesenkt werden und Dritte nicht von Leistungskürzungen berührt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.01.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger wohne im Eigenheim seiner Eltern. Er habe bislang keinen Mietvertrag vorgelegt und mache auch keine Mietzahlungen geltend. Vielmehr müsse sich der Kläger offenbar lediglich an den anteiligen Kosten für Nebenkosten und Heizkosten beteiligen. Hierzu habe der Kläger eine Bestätigung vorgelegt, wonach er sich zu 1/3 an den anfallenden Kosten zu beteiligen habe. Diese Kosten würden seit dem 01.01.2017 gestundet. Es sei jedoch ein Nachweis erforderlich, welche Abschläge gezahlt werden müssen, um dies dann anteilig zu bewilligen. Eine pauschale Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung komme nicht in Betracht, da dies gesetzlich nicht vorgesehen sei. Die Beklagte sei nur verpflichtet, die tatsächlich nachgewiesenen Kosten zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund komme der Kläger nicht umhin, die tatsächlich angefallenen Kosten des Hauses nachzuweisen. Bereits in der Vergangenheit sei er regelmäßig aufgefordert worden, diese Nachweise zu erbringen oder eine Genehmigung zu erteilen, damit die Beklagte die Kosten bei seinen Eltern selbst erfragen könne. Bisher seien weder Nachweise vorgelegen noch eine Genehmigung erteilt worden. Aus dem Widerspruch, insbesondere aus den Hinweisen auf die Rechtsprechung, werde geschlossen, dass auch weiterhin keine Bereitschaft dazu bestehe. Es werde daher aufgrund der konsequenten Nichtvorlage der ohne Probleme erreichbaren Unterlagen, der damit verbundenen Inkaufnahme der Leistungsversagung/-ablehnung und der fehlenden Konsequenzen aus der ausbleibenden Kostenbeteiligung davon ausgegangen, dass seinen Eltern gegenüber keine ernsthafte Zahlungsverpflichtung hinsichtlich der geltend gemachten Kosten der Unterkunft bestehe.

Hiergegen hat der Kläger am 17.01.2020 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Münster erhoben und vorgetragen, der Leistungsbezug sei hinreichend sicher und die Höhe der Bedarfe für Unterkunft und Heizung von 100 € nachvollziehbar. Dies ergebe sich auch aus der „Bestätigung“ seiner Eltern vom 13.11.2019 sowie aus seinem Schreiben vom selben Tag überschrieben mit „Hinweise zum SGB II Antrag vom 14.11.2019“. Diese Unterlagen seien von der Beklagten nicht hinreichend berücksichtigt worden. Auch auf die von ihm genannten Entscheidung des BSG und des BVerfG sei der Widerspruchsbescheid nicht eingegangen.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2020 zu verurteilen, ihm Kosten der Unterkunft und Heizung für das Jahr 2020 in Höhe von monatlich 100 € zu gewähren.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat die Beklagte auf die Ausführungen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Schon im Hinblick auf gleichlautende Anträge in vergangenen Zeiträumen seien die entsprechenden Klagen des Klägers abgewiesen worden. Der Sachverhalt habe sich seither nicht geändert.

Nach Anhörung der Beteiligten mit Schreiben vom 06.01.2021 hat das SG Münster die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.03.2021 abgewiesen. Solange der Kläger sich weigere, belastbare und nachvollziehbare Unterlagen und Belege über die angeblich von seinen Eltern getätigten Aufwendung vorzulegen, sei von einer anderweitigen Bedarfsdeckung auszugehen.

Gegen den Gerichtsbescheid, dem Kläger zugestellt am 18.03.2021, hat der Kläger am 16.04.2021 Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf die Bestätigung seiner Eltern. Diese würden durch die Ablehnung der Übernahme der monatlichen Abschlagszahlung in Sippenhaft genommen, was vor dem Hintergrund der genannten Rechtsprechung des BSG und des BVerfG nicht zulässig sei. Vor dem Bescheid vom 28.11.2019 seien zudem weder Aufforderungen, rechtliche Hinweise noch eine Anhörung erfolgt. Er beantrage neben der Zahlung auch die gesonderte Feststellung, dass die Weigerung der Beklagten, die Abschlagszahlungen zu übernehmen, rechtswidrig sei. Ein Feststellungsinteresse ergebe sich, weil die Beklagte mit gleicher Begründung auch die Übernahme für 2021 abgelehnt habe und er zudem eine Schadensersatzklage gegen die Beklagte plane.

Der Kläger beantragt nunmehr mit Schriftsatz vom 12.04.2021 sinngemäß,

1. die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheides des SG Münster vom 15.03.2021 und unter Aufhebung des Bescheides vom 28.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2020 zu verpflichten, ihm die beantragten und von den Vermietern geforderten Abschlagszahlungen in Höhe von monatlich 100 € für Unterkunft und Heizung zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagte die von den Vermietern geforderten Abschlagszahlungen von monatlich 100 € für Unterkunft und Heizung zu zahlen hatte und die damit verbundenen Weigerungen der Beklagten rechtswidrig waren,

3. der Beklagten seine außergerichtlichen Kosten für alle eingelegten Rechtmittel und Rechtsbehelfe (Widersprüche, Klagen usw.) aufzuerlegen,

4. sämtliche Zahlungen an ihn bzw. an den Vermieter mit 5% über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,           

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass Kosten der Unterkunft nicht nachgewiesen worden seien und verweist auf die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16.04.2021.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen sowie auf die ebenfalls beigezogenen Vorprozessakten L 21 AS 1012/18, L 21 ASA 939/18 und L 21 AS 1206/19. Diese Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Streitsache entscheiden, obwohl für den Kläger niemand zum Termin erschienen ist, denn der Kläger ist mit Postzustellungsurkunde, die am 29.12.2021 in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt wurde, geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG Münster hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 28.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2020 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Er hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung eines Abschlags von monatlich 100 € für Heiz- und Nebenkosten.

I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 1. Fall, § 54 Abs. 4, § 56 SGG) statthaft. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit müssen nach § 123 SGG über den (wirklich) erhobenen Anspruch entscheiden, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein.

1. Der Senat geht nach dem Vortrag des Klägers und Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes mit dem SG davon aus, dass der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren zumindest sinngemäß nicht nur die Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide, sondern auch die Zahlung der von ihm geltend gemachten 100 € als Kosten der Unterkunft und Heizung im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend gemacht hat. Daran ändert nichts, dass der Kläger in der Klageschrift vom 17.01.2020 den Antrag zunächst nur auf die Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide beschränkt hatte. Der Kläger hat in seiner Klage weiter ausgeführt, dass „die begehrte Höhe der Leistung von 100 €“ nachvollziehbar sei. Der damit einhergehende Leistungsantrag war damit hinreichend konkretisiert, so dass die erhobene Klage als zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage zu verstehen und statthaft ist.

2. Die sodann im Berufungsverfahren gestellten Anträge des Klägers waren dabei weiterhin im Wege der Auslegung als statthafte Anfechtungs- und Leistungsklage zu verstehen.

Soweit der Kläger mit seinem Antrag zu 2. zudem die „Feststellung“ begehrt, dass die Beklagte die von den Vermietern geforderten Abschlagszahlungen zu zahlen hatte und „die damit verbundenen Weigerungen rechtswidrig waren“, ist darin kein über den Antrag zu 1. hinausgehendes Begehren erkennbar. Der Senat musste daher hierüber – auch im Hinblick auf eine etwaige Feststellungsklage – nicht gesondert entscheiden. Vielmehr geht mit der Prüfung des zu Ziff. 1 gestellten Leistungsantrags auf Gewährung höherer Leistungen zwangsläufig die Prüfung einher, ob die Leistungsfestsetzung der Beklagten den gesetzlichen Vorgaben entsprach. Somit ist die vom Kläger im Antrag zu 2. gesondert aufgeführten „Feststellung“ zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben bzw. zur Rechtswidrigkeit der Bescheide schon in der Prüfung des Antrags zu 1. enthalten bzw. Teil der Prüfung des Antrags zu Ziff. 1. Einer gesonderten „Feststellung“ einer etwaigen Rechtswidrigkeit bedurfte es daher nicht mehr, so dass die gestellten Anträge bei verständiger Würdigung insgesamt als (zulässige) Anfechtungs- und Leistungsklage auszulegen waren. Einer gesonderten Entscheidung bedurfte es auch nicht vor dem Hintergrund, dass die Beklagte die Übernahme von monatlich 100 € als Kosten der Unterkunft und Heizung auch für den Leistungszeitraum 2021 abgelehnt hat und der Kläger eine Schadensersatzklage beabsichtigt. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte eine vom Gericht im Rahmen der Prüfung der Anfechtungs- und Leistungsklage festgestellte Rechtswidrigkeit der Ablehnung für die Zukunft nicht beachten würde. Auch für die Vorbereitung einer Schadensersatzklage wäre dem Kläger mit einer im Rahmen des Antrags zu 1. angenommenen Rechtswidrigkeit der Ablehnung bereits gedient.

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG Münster hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 28.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.01.2020 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Er hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung eines Abschlags von 100 € für Heiz- und Nebenkosten im Jahr 2020.

Leistungsberechtigte Personen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II – wie der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum - erhalten gemäß § 22 Abs. 1 SGB II auch Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Bedarfe für Unterkunft und Heizung bestehen, wenn die leistungsberechtigte Person einem rechtlich wirksamen und ernsthaften Zahlungsverlangen des Vermieters ausgesetzt ist. Grundsätzlich ohne Bedeutung ist die Person des Vermieters. Auch unter engen Verwandten können rechtlich wirksam Mietverträge geschlossen und damit vertragliche Verpflichtungen, wie beispielsweise die Mietzahlungspflicht, begründet werden. Die mietvertraglichen Vereinbarungen müssen auch nicht in jeder Hinsicht einem sogenannten "Fremdvergleich" standhalten, d.h. den zwischen Fremden üblichen mietvertraglichen Vereinbarungen entsprechen. Eine wegen verwandtschaftlicher Verbundenheit beispielsweise verbilligte Wohnraumüberlassung an Angehörige hindert deshalb nicht das Entstehen von Bedarfen für Unterkunft und Heizung. Entscheidend ist aber, dass trotz verwandtschaftlicher Verbundenheit der Mieter einer ernsthaften und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung des Vermieters ausgesetzt ist (BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R).

Der Kläger ist jedoch zur Überzeugung des Senats gegenüber seinen Eltern in dem hier streitigen Zeitraum nicht einem wirksamen und ernsthaften Zahlungsverlangen in Bezug auf die geltend gemachten Nebenkosten ausgesetzt gewesen. Dies ließ sich jedenfalls nicht nachweisen.


Für den hier streitigen Zeitraum fehlen – ebenso wie für vergangene Zeiträume in den Parallelverfahren L 21 AS 1206/19, L 21 AS 1012/18 und L 21 AS 939/18 – hinreichende Belege oder Nachweise für die tatsächliche Entstehung dieser Kosten im Sinne einer ernsthaften und nicht dauerhaft gestundeten Zahlungsverpflichtung des Klägers gegenüber seinen Eltern.

Neben der Frage, ob und in welcher Höhe die Kosten überhaupt entstanden sind, erfolgte nach den Angaben der Eltern des Klägers im Schreiben vom 13.11.2019 eine Stundung der anteiligen Kosten seit dem 01.01.2017, „da“ die Beklagte diese Kosten mit den entsprechenden Bescheiden nicht bewilligt habe. Ein solches Entgegenkommen – mittlerweile über einen Zeitraum von vielen Jahren -  ist als unüblich anzusehen, selbst wenn man hierbei die gelockerten Maßstäbe ansetzt, die nicht in jeder Hinsicht einem sogenannten "Fremdvergleich" mit nicht verbundenen Dritten entsprechen müssen. Insbesondere wird auf diese Weise eine direkte Verknüpfung zwischen einem privatrechtlichen Anspruch auf Zahlung der Nebenkosten und dem Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hergestellt, obwohl der etwaige Anspruch auf Zahlungen privatrechtlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den Leistungen des Jobcenters steht. Zudem bleibt unklar, unter welchen weiteren, konkreten Bedingungen eine Stundung vereinbart oder gewährt worden sein soll, z.B. ob hierzu weitere Kosten in Ansatz gebracht werden oder über welche Dauer eine solche Stundung, ggf. einseitig oder durch eine zweiseitige Abrede, vereinbart worden ist. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich hinsichtlich der Stundung Änderungen gegenüber dem Vorjahr 2019 ergeben haben. In dem beigezogenen Verfahren L 21 AS 1206/19 hatten die Eltern des Klägers im Schreiben vom 06.04.2021 mitgeteilt, dass „die anteilig zu zahlenden Kosten gestundet werden“. Dies war und ist so zu verstehen, dass eine Stundung weiterhin und damit nach wie vor ohne zeitliche Befristung gewährt wird. Ausgehend von diesen Angaben hat sich der Senat auch in diesem Verfahren nicht gedrängt gesehen, die Eltern des Klägers noch als Zeugen zu hören. Vielmehr konnte der Senat diesen schriftsätzlichen Vortrag der Eltern zum Sachverhalt als wahr unterstellen, zumal auch der Kläger das Bestehen einer Stundungsabrede nicht in Abrede gestellt hat. Im Gegensatz dazu ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R) aber gerade entscheidend, dass der Mieter trotz verwandtschaftlicher Verbundenheit einer ernsthaften und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist. Die Eltern des Klägers dürften aber aufgrund der aktuell fortbestehenden Stundung rechtlich gegenüber dem Kläger auf unabsehbare Zeit kaum in der Lage sein, diese Forderung einzufordern. Darüber hinaus wäre im Sinne eines Fremdvergleichs im o.g. Sinne zumindest zu erwarten gewesen, dass eine gewisse Aktivität zur Beitreibung oder jedenfalls Sicherung oder Dokumentation der über Jahre aufgelaufenen Forderungen entfaltet worden wäre, wie z.B. die Vereinbarung einer Ratenzahlung oder die Vereinbarung zur Zahlung eines gewissen Anzahlungsbetrages.


In der Gesamtschau genügen daher die zwischen dem Kläger und seinen Eltern getroffenen Vereinbarungen nicht den Anforderungen an eine ernsthafte Zahlungsverpflichtung im o.g. Sinne. Vor diesem Hintergrund war die Beklagte auch nicht zu der Gewährung der geltend gemachten Kosten für Unterkunft und Heizung im Jahr 2020 verpflichtet.

Auch aus der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des BSG und des BVerfG ergibt sich keine andere rechtliche Bewertung. Das BSG hat in dem Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 67/12 – entschieden, dass eine Abweichung vom „Kopfteilprinzip“ und höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft an die weiteren Bedarfsgemeinschaftsmitglieder gerechtfertigt sein können, wenn die Sanktion eines SGB II-Trägers gegen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit dem Wegfall der Leistungen für Unterkunftsaufwendungen verbunden ist. Parallelen zu dem hier vorliegenden Fall sind nicht erkennbar. Weder lebt der Kläger mit seinen Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft noch hat er seinen Kopfteil an Unterkunftskosten durch eine Sanktion verloren. Vielmehr fehlt es hier nach den obigen Ausführungen bereits an der ernsthaften Zahlungsverpflichtung, die einen solchen Anspruch überhaupt erst begründen könnte.

Gleiches gilt für die Entscheidung des BVerfG vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16. Das Vorlageverfahren betraf die Frage, ob die Minderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund der Verletzung der in § 31 Abs. 1 SGB II normierten Mitwirkungsanforderungen nach § 31a Abs. 1, § 31b SGB II mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Schwerpunkt der Entscheidung war die Frage der Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung der dort geregelten Sanktionen. Im vorliegenden Verfahren ist jedoch keine Sanktion zur Durchsetzung der Mitwirkungspflichten des § 31 Abs. 1 SGB II streitig. Vielmehr ist der Anspruch des Klägers auf Kosten der Unterkunft und Heizung abgelehnt worden, weil die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen – hier insbesondere die ernsthafte Zahlungsverpflichtung - nicht nachgewiesen sind. Der Grundsatz der objektiven Beweislast, der auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, § 103 Rn. 19a mwN), gilt, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht aufklären kann. Dann trägt derjenige die Beweislast, zu dessen Gunsten das Tatbestandsmerkmal im Prozess wirkt. Dieser Grundsatz begegnet keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken und war nicht Gegenstand der Entscheidung des BVerfG.

III. Das Begehren des Klägers zu Ziff. 4 seines Antrags, die Beklagte zu einer Verzinsung etwaiger rückständiger Leistungen zu verpflichten, ist bereits – unabhängig von dem nicht bestehenden Zahlungsanspruch – unstatthaft. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Verzinsung eines Nachzahlungsbetrages kann sich allenfalls aus § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ergeben, da in Verfahren betreffend Sozialleistungsansprüche vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit keine Prozesszinsen entsprechend § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfallen (vgl. BSG Urteil vom 13.07.2010 - B 8 SO 10/10 R). Eine Entscheidung der Beklagten über einen Zinsanspruch des Klägers nach § 44 SGB I ist bislang nicht ergangen. Damit ist die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 2 und 4 SGG wegen des Fehlens eines Verwaltungsaktes unzulässig. Der Kläger kann sein Begehren auch nicht in Form einer reinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG verfolgen, da zwischen ihm und der Beklagten hinsichtlich des Zinsanspruchs aus § 44 SGB I kein Gleichordnungsverhältnis besteht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 12.01.2012 – L 19 AS 1473/11).

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

V. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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