L 12 AS 1872/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 87 AS 1233/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1872/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Der Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 03.11.2021 sowie des Bescheides vom 16.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2021 verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Verzinsung der Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 00.07.2005 bis 23.11.2005 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verzinsung von nachträglich ausgezahlten Leistungsansprüchen.

Die am 00.00.1987 geborene Klägerin stand im Jahr 2005 gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren zwei jüngeren Schwestern im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) beim Beklagten. Mit Bescheid vom 04.07.2005 bewilligte der Beklagte der Klägerin in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis zum 31.12.2005 unter Anrechnung des Erwerbseinkommens der Mutter sowie anteiligem Kindergeld.

Mit Änderungsbescheid vom 01.08.2005 und weiterem Bescheid vom 30.08.2005, die an die Mutter gerichtet waren und weder durch diese noch durch die Klägerin angefochten worden sind, hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Klägerin ab dem 00.07.2005 auf, da die Hilfebedürftigkeit weggefallen und die Klägerin ab dem 18. Geburtstag nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sei.

Am 24.11.2005 beantragte die Klägerin eigenständig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, woraufhin ihr diese auch mit Bescheid vom 19.12.2005 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24.02.2009 ab dem 24.11.2005 bewilligt wurden.

Die Klägerin beantragte durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 18.06.2008 die Überprüfung sämtlicher Bewilligungsbescheide gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Nachdem der Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 17.07.2008 abgelehnt und der diesbezügliche Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2009 zurückgewiesen worden war, erhob die Klägerin hiergegen Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund (Az.: S 40 (23, 28) AS 70/09). Das SG gab der Klage mit Urteil vom 31.03.2014 teilweise statt. Demnach sollte unter Aufhebung der Überprüfungsbescheide sowie des Bewilligungsbescheides vom 19.12.2005 für den Zeitraum vom 00.07.2005 bis zum 21.11.2005 über den Anspruch der Klägerin hinsichtlich des Regelbedarfes und der Kosten der Unterkunft ein neuer Bewilligungsbescheid erlassen werden. Denn ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes habe aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bestanden. Der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, auf die Notwendigkeit von Folgeanträgen hinzuweisen, so dass die Klägerin so zu stellen sei, als habe sie am 00.07.2005 (dem Tag der Volljährigkeit) einen eigenen Leistungsantrag gestellt.

Nachdem der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 28.01.2015 unter Fristsetzung eine Zwangsvollstreckung angedroht hatte, erließ der Beklagte zur Umsetzung des Urteils am 04.02.2015 einen Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 00.07.2005 bis 23.11.2005. Der bewilligte Geldbetrag i.H.v. 1551,82 € ging am 09.02.2015 auf dem Konto der Klägerin ein.

Am 05.07.2020 stellte die Klägerin beim Beklagten den Antrag auf Verzinsung des Nachzahlungsbetrages i.H.v. 1551,82 €.

Diesen Verzinsungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2020 ab, nachdem die Klägerin eine diesbezügliche Untätigkeitsklage vor dem SG Dortmund (Az.: S 87 AS 1588/21) erhoben hatte. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Anspruch auf Verzinsung verjährt sei.

Den gegen diesen Ablehnungsbescheid von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2021 als unbegründet zurück. Der Anspruch auf Verzinsung sei verjährt, da seit der Nachzahlung mehr als vier Jahre vergangen seien.

Daraufhin hat die Klägerin am 29.03.2021 Klage erhoben. Sie begründete diese mit der Auffassung, dass die vierjährige Verjährungsfrist des § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) hier nicht greife. Die vierjährige Verjährungsfrist beziehe sich auf Sozialleistungen, nicht aber auf Zinsen, die lediglich auf nicht rechtzeitig gezahlten Sozialleistungen beruhten. Darüber hinaus habe der Beklagte im Rahmen seiner pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen gehabt, dass langjährig Fehler auf seiner eigenen Seite erfolgt seien.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2021 zu verurteilen, die infolge des Urteils des Sozialgerichts Dortmund mit dem Aktenzeichen S 40 (28, 23) AS 70/09 bewilligten Leistungen ab dem 01.12.2005 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu verzinsen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verwies im Rahmen der Klageerwiderung auf sein bisheriges Vorbringen und vertrat die Auffassung, dass § 45 SGB I auch auf Zinsen anwendbar sei. Rein rechnerisch ergebe sich ein Zinsanspruch in Höhe von 540,80 €.

Das SG hat mit Urteil vom 03.11.2021 die Klage abgewiesen. Ein etwaiger Anspruch auf Verzinsung der verzögert ausgezahlten Leistungsbeträge sei nicht durchsetzbar, da er verjährt sei. § 45 SGB I sei auch auf Zinsansprüche anwendbar, da er als Annex zum ursprünglichen Leistungsanspruch der Sozialleistung zu verstehen sei. Der Beklagte habe auch ermessensfehlerfrei die Entscheidung getroffen sich auf Verjährung zu berufen, insbesondere sei nicht erkennbar, dass die Erhebung der Verjährungseinrede bei der Klägerin zu einem wirtschaftlichen Notstand geführt habe.

Gegen das ihr am 30.11.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.12.2021 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrags aus, ihr stehe die Schadenersatzleistung der Verzinsung zu, Verjährungsvorschriften seien nicht anzuwenden.

Die Klägerin beantragt,

den Berufungsbeklagten unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 03.11.2021 zu verurteilen, den Bescheid vom 16.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2021 aufzuheben und den Berufungsbeklagten zu verpflichten, die für den Zeitraum 00.07.2005 bis 23.11.2005 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu verzinsen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er beruft sich im Wesentlichen auf sein bisheriges Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakten des Beklagten, der beigezogenen Gerichtsakten des SG Dortmund S 87 AS 3425/20 und S 87 AS 1588/21 sowie auf die Sitzungsprotokolle und Urteile zu den Streitsachen S 40 (28, 23) AS 80/09, S 40 (28, 23) AS 81/09 und S 40 (28, 23) AS 70/09 Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.

A. Streitgegenstand des Rechtsstreits ist die Verzinsung der am 09.02.2015 i.H.v. 1551,82 € an die Klägerin ausgezahlten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 00.07.2005 bis 23.11.2005, deren Gewährung der Beklagte durch Bescheid vom 16.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2021 (s. § 95 Sozialgesetzbuch [SGG]) abgelehnt hat.

B. Die Berufung ist zulässig. Sie ist kraft Zulassung durch das SG gemäß § 144 Abs. 3 SGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Abs. 1 SGG.

C. Die Berufung ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen des Beklagten und der Verpflichtung zur Neubescheidung begründet. Der Bescheid vom 16.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Das SG hat die erhobene Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid zu Unrecht abgewiesen. Soweit die Klägerin darüber hinaus im Wege der Leistungsklage eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Zinsen bezogen auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 00.07.2005 bis 23.11.2005 begehrt, ist die Berufung unbegründet.

I. Die Klage ist zulässig. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, Abs. 4, § 56 SGG ist statthaft, denn über einen Zinsanspruch entscheidet die Behörde - wie hier mit Bescheid vom 16.12.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 12.03.2021 - durch eine eigenständige Verfügung im Sinne des § 31 SGB X (vgl. BSG Urteil vom 25.01.2011, B 5 R 14/10 R, Rn. 16, juris). Der Bescheid vom 04.02.2015, mit dem der Beklagte den Nachzahlungsanspruch i.H.v. 1551,82 € festgestellt hat, enthielt keine (konkludente) Ablehnung des Verzinsungsanspruchs der Klägerin. Dem Wortlaut des Bescheids vom 04.02.2015 ist keine ausdrückliche Aussage – weder positiv noch negativ – zu einer Verzinsung des Nachzahlungsbetrags zu entnehmen. Aus Sicht des Empfängerhorizonts eines objektiven, verständigen Beteiligten war darin auch keine stillschweigende Ablehnung des Zinsanspruchs enthalten. Bloßes Schweigen enthält grundsätzlich weder eine zustimmende noch eine ablehnende, sondern keinerlei Willensbetätigung. Etwas anderes gilt nur, wenn besondere Umstände vorliegen, aus denen sich aus Sicht des verständigen Beteiligten ein bestimmtes, unmissverständliches, konkludentes Verhalten ergibt (BSG Urteile vom 03.07.2020, B 8 SO 5/19 R, Rn. 16, juris m.w.N., und B 8 SO 15/19 R, Rn. 8, juris). Dafür fehlen jedoch jegliche Anhaltspunkte, insbesondere ist dem klägerischen Schriftsatz vom 28.01.2015 kein gesonderter Hinweis auf Zinsen und damit kein Zinsbegehren zu entnehmen.

Die von der Klägerin erhobene und mit ihrem Antrag weiter verfolgte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist auch statthaft, soweit die Entscheidung des Beklagten, sich bezüglich des Anspruchs auf Verzinsung auf Verjährung zu berufen, eine Ermessensentscheidung ist. Die grundsätzlich richtige Klageart im Falle nicht gebundener Entscheidungen ist zwar die Verpflichtungsklage (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 54 Rn. 20b). Geht die Klägerin – wie hier – jedoch davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Verjährung nicht vorliegen oder das Ermessen der Behörde, sich auf Verjährung zu berufen, auf Null reduziert ist, ist die Beantragung der Leistung selbst zulässig (vgl. BSG Urteil vom 19.08.2010, B 14 AS 36/09 R, Rn. 13, juris; Böttiger in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Auflage 2020, § 54 Rn. 80a).

Die Klagefrist nach § 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG ist gewahrt. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.03.2021 hat die Klägerin am 29.03.2021 und damit innerhalb der Monatsfrist Klage erhoben.

II. Die Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 16.12.2020 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 12.03.2021 beschwert, da dieser rechtswidrig ist, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Beklagte hat sich bei der Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Zinsen bezogen auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 00.07.2005 bis 23.11.2005 in ermessensfehlerhafter Weise auf die Einrede der Verjährung berufen. Ein Anspruch auf die von der Klägerin begehrte Verzinsung der Nachzahlung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum 00.07.2005 bis 23.11.2005 besteht, ob dieser durchsetzbar ist, hat der Beklagte neu zu bescheiden.

1. Der Beklagte ist für die Entscheidung über den Zinsanspruch zuständig. Die Zuständigkeit richtet sich nach der Hauptleistung, für die der Beklagte örtlich und sachlich zuständig ist. Denn Zinsen sind als Nebenleistung akzessorisch zu dieser (vgl. BSG Urteil vom 28.05.1997, 8 RKn 2/96, Rn. 16, juris; Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 44 (Stand: 17.11.2021) Rn. 48; KassKomm/Schifferdecker, Sozialversicherungsrecht, 117. Ergänzungslieferung, § 44 SGB I (Stand Dezember 2021) Rn. 3).

2. Gemäß § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber die Nachteile verspäteter Zahlung ausgleichen (vgl. BT-Drucks. 7/868, S. 30), sie dient unter fiskalischen Gesichtspunkten zudem der Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens (vgl. KassKomm/Schifferdecker, Sozialversicherungsrecht, 117. Ergänzungslieferung, § 44 SGB I (Stand Dezember 2021) Rn. 3).

a. Bei der der Klägerin gewährten Nachzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II handelt es sich um eine Geldleistung i.S.v. § 44 Abs. 1 SGB I. Geldleistungen im Sinne dieser Vorschrift sind diejenigen in Geld bezifferten Leistungen, die dem Einzelnen als Sozialleistungen im Sinne des § 11 SGB I zustehen (Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 44 (Stand: 17.11.2021) Rn. 16; Hänlein in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Auflage 2021, § 44 Rn. 2; Rolfs in Hauck/Noftz SGB I, Werkstand 48. Ergänzungslieferung, § 44 (Stand November 2021) Rn. 5; Bigge in Eichenhofer/v.Koppenfels-Spies/Wenner, Kommentar zum SGB I, 2. Auflage 2018, § 44 Rn. 7; Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 11 SGB I (Stand: 28.04.2022) Rn. 10.1), also Leistungen, die in einem der Bücher des Sozialgesetzbuchs aufgeführt sind, deren Gegenstand soziale Rechte sind. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sind im zweiten Titel des zweiten Abschnitts des SGB I als einzelne Sozialleistung gemäß § 19a Abs. 1 Nr. 2 SGB I aufgeführt.

Dass der Nachzahlungsanspruch auf einem im Wege des Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch beruht, ändert an dem Charakter der Zahlung als Geldleistung im Sinne von § 11 SGB I nichts. Denn gemäß § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X richtet sich die rückwirkende Leistungserbringung nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB (hier des SGB II). § 44 SGB X selbst regelt demgegenüber allein die Durchbrechung der Bestandskraft von Verwaltungsakten; ein eigenständiger materiell-rechtlicher Leistungsanspruch ergibt sich aus der Vorschrift hingegen nicht (LSG NRW Urteil vom 10.06.2013, L 20 SO 479/12, Rn. 33, juris).

b. Der Anspruch der Klägerin auf die bewilligte Nachzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 00.07.2005 bis 23.11.2005 ist jeweils zum Monatsanfang des Bewilligungsmonats gemäß § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl. I S. 2954) fällig gewesen.

Ansprüche auf Sozialleistungen werden gemäß § 41 SGB I mit ihrem Entstehen fällig, soweit die besonderen Teile dieses Gesetzbuchs keine Regelungen enthalten. Sie entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen, vgl. § 40 Abs. 1 SGB I. Wann die Verwaltung tätig wird, ist nicht entscheidend, sondern nur, wann die im Gesetz bestimmten materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 03.07.2020, B 8 SO 15/19 R, Rn. 10, juris; Urteil vom 08.11.2007, 9/9a VG 3/05 R, Rn. 16, juris; BT-Drucks 7/868, S. 29).

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes werden gemäß § 37 SGB II auf Antrag erbracht, den die Klägerin durch ihre für den Zeitraum der Minderjährigkeit gemäß § 1629 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sie gesetzlich vertretende Mutter gestellt hat. Ab ihrer Volljährigkeit gehörte sie aufgrund § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 30.07.2004, BGBl. I S. 2014 [a.F.]), der zur Bedarfsgemeinschaft nur die dem Haushalt angehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder zählte, nicht mehr zur mütterlichen Bedarfsgemeinschaft, so dass diese auch nicht mehr wirksam für sie einen Antrag gemäß § 38 S. 1 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 24.12.2003, BGBl. I S. 2954 [a.F.]) stellen konnte. Denn danach wird vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen, nicht jedoch für sonstige im Haushalt lebende Personen. Allerdings ist die Klägerin aufgrund des rechtskräftigen Urteils des SG vom 31.03.2014 (Az.: S 40 (23, 28) AS 70/09) im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie tatsächlich am 00.07.2005 mit Erreichen der Volljährigkeit einen Antrag gestellt. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes an die Klägerin lagen damit bereits ab dem 00.07.2005 und für jeden Kalendermonat vor.

c. Die Verzinsung beginnt gemäß § 44 Abs. 2 SGB I frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung. Vollständig ist der Antrag, mit dem der Sachverhalt so dargelegt wird, dass die im Gesetz bestimmten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Sozialleistungen überprüft und sein Entstehen festgestellt werden kann (vgl. BSG Urteil vom 17.11.1981, 9 RV 26/81, Rn. 18, juris; BT-Drucks. 7/868 S. 30), wenn also alle Tatsachen angegeben wurden, die zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen notwendig sind (vgl. Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 44 (Stand: 17.11.2021) Rn. 32; Rolfs in Hauck/Noftz SGB I, Werkstand 48. Ergänzungslieferung, § 44 (Stand November 2021) Rn. 25; Bigge in Eichenhofer/v.Koppenfels-Spies/Wenner, Kommentar zum SGB I, 2. Auflage 2018, § 44 Rn. 17).

Ein vollständiger Leistungsantrag in oben genanntem Sinne lag mit dem aufgrund des bestandskräftigen Urteils vom 31.03.2014 fingierten Antrag vom 00.07.2005 in Verbindung mit dem ursprünglichen Weiterbewilligungsantrag aus dem Jahr 2005 vor, denn der Beklagte hat mit Bescheid vom 04.07.2005 über den ursprünglichen Antrag zusprechend entschieden, so dass alle entscheidungserheblichen Tatsachen vorgelegen haben. So lagen damals bereits die Schulbescheinigung, Kontoauszüge und Kopien des Sparbuchs der Klägerin vor. Zudem ist aus der vorliegenden Verwaltungsakte nicht ersichtlich, dass zur Bearbeitung weitere Unterlagen oder Angaben erforderlich gewesen wären, jedenfalls wurden keine Unterlagen ergänzend von dem Beklagten angefordert. Auch nach Zustellung des Urteils des SG vom 31.03.2014 wurden keine Unterlagen angefordert, um den nachfolgend mit Bescheid vom 04.02.2015 festgesetzten Leistungsanspruch zu berechnen.

d. Die Verzinsung endet gemäß § 44 Abs. 1 SGB I mit dem Kalendermonat vor der Zahlung. Geldleistungen werden gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 SGB I im Regelfall auf das angegebene Konto bei einem Geldinstitut überwiesen. Bedient sich die Behörde – wie – hier der Überweisung, ist unter Zahlung im Sinne der Vorschrift der Tag der Gutschrift auf dem Konto der Leistungsberechtigten zu verstehen, denn dann kann der Empfänger über den Geldbetrag verfügen (Rolfs in Hauck/Noftz, SGB I, Werkstand 48. Ergänzungslieferung, § 44 (Stand November 2021) Rn. 40; KassKomm/Schifferdecker, Sozialversicherungsrecht, 117. Ergänzungslieferung, § 44 SGB I (Stand Dezember 2021) Rn. 19). Die Nachzahlung ist am 09.02.2015 dem Konto der Klägerin gutgeschrieben worden. Die Verzinsung endet damit am 31.01.2015.

3. Der Durchsetzung des Anspruchs auf Verzinsung gemäß § 44 Abs. 1 SGB I steht vorliegend entgegen der Auffassung des Beklagten jedoch die Einrede der Verjährung nicht entgegen. Zwar ist Verjährung eingetreten, so dass der Beklagte zur Verweigerung der Verzinsung berechtigt war, er hat jedoch die Einrede der Verjährung fehlerhaft erhoben.

Der Anspruch auf Verzinsung unterliegt der vierjährigen Verjährung. Das SGB regelt zwar an keiner Stelle ausdrücklich die Verjährung des Verzinsungsanspruchs, § 45 Abs. 1 SGB I ist aber (zumindest entsprechend) anzuwenden.

a. Nach § 45 Abs. 1 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind.

Sozialleistungen sind gemäß der Legaldefinition in § 11 SGB I die in diesem Gesetzbuch vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen, deren Gegenstand soziale Rechte sind. Ob eine Leistung der Verwirklichung der sozialen Rechte einzelner dienen muss (so beispielsweise Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 11 SGB I (Stand: 28.04.2022) Rn. 17; Ross in Hauck/Noftz SGB I, Werkstand 48. Ergänzungslieferung, § 11 (Stand Juli 2017) Rn. 9 ff.; Gutzler in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Auflage 2019, § 11 Rn. 11; KassKomm/Spellbrink, Sozialversicherungsrecht, 117. Ergänzungslieferung, § 11 SGB I (Stand Dezember 2021) Rn. 10; Reinhardt in Krahmer/Trenk-Hinterberger, SGB I, 4. Auflage 2020, § 11 Rn. 6; BSG Urteil vom 24.03.1983, 1 RJ 92/81, Rn. 22, juris; Urteil vom 24.07.1986, 7 RAr 86/84, Rn. 24, juris; Urteil vom 23.07.1992, 7 RAr 98/90, Rn. 29, 31) oder sie lediglich im Sozialgesetzbuch vorgesehen sein muss (so Mrozynski SGB I, 6. Auflage 2019, SGB I § 11 Rn. 2, 6, 10; BSG Urteil vom 13.10.1983, 11 RA 49/82, Rn. 10 ff., juris; Urteil vom 25.07.1985, 7 RAr 33/84, Rn. 24, juris), ist bislang umstritten.

Der Wortlaut des § 11 SGB II nimmt Bezug auf den Gegenstand sozialer Rechte, die in § 2 SGB I als nachfolgend im ersten Abschnitt des SGB I geregelt benannt sind und im zweiten Titel des zweiten Abschnitts des SGB I aufgelistet sind, so dass daraus eine Begrenzung auf die dort genannten Rechte folgt. Gegen die Annahme, es komme auf die Verwirklichung der sozialen Rechte des Einzelnen bei dem Begriff Sozialleistung nicht an, sprechen systematische Erwägungen. So hätte es beispielsweise keiner besonderen Regelung zur Verzinsung in § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) bedurft, wenn der Begriff der Geldleistung in § 44 SGB I unter Bezugnahme auf § 11 SGB I nicht einschränkend auf Leistungen zur Verwirklichung der sozialen Rechte zu beziehen wäre (vgl. Rolfs in Hauck/Noftz SGB I, Werkstand 48. Ergänzungslieferung, § 44 (Stand November 2021) Rn. 6). Bezogen auf die nicht im zweiten, sondern dem dritten Abschnitt des SGB I aufgeführten Zinsansprüche ist zu berücksichtigen, dass diese nur unselbständige Nebenkosten sind, deren Zweck der Ausgleich für verspätete Zahlungen in Erfüllung des Hauptanspruchs ist, jedoch primär nicht der sozialrechtlichen Bedarfserfüllung dienen (vgl. Schäfer in SGB I Onlinekommentar, § 11 (Stand: 03.03.2021) Rn. 2; Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 11 SGB I (Stand: 28.04.2022) Rn. 35; Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 44 SGB I (Stand: 17.11.2021) Rn. 46).

Letztlich kann es aber offen bleiben, ob Zinsansprüche Sozialleistungen i.S.d. § 11 SGB I sind und daher unmittelbar der Verjährung nach § 45 Abs. 1 SGB I unterliegen, denn das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die in § 45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient (vgl. nur BSG Urteil vom 28.11.2013, B 3 KR 27/12 R, Rn. 43, juris m.w.N.). Mit dem Rechtsinstitut der Verjährung soll Rechtssicherheit und Rechtsfrieden verwirklicht werden, indem es Ansprüche, die geraume Zeit nicht geltend gemacht werden, dem Streit entzieht (vgl. BSG a.a.O., Rn. 45, juris). Das BSG hat sich insoweit darauf gestützt, dass die vierjährige Verjährungsfrist nicht nur in § 45 Abs. 1 SGB I für Ansprüche auf Sozialleistungen, sondern etwa auch in § 25 Abs. 1 SGB IV für Beitragsansprüche, in § 27 Abs. 2 SGB IV für Erstattungsansprüche, in § 118 Abs. 4a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) und § 96 Abs. 4a Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) für Rücküberweisungs- und Rückforderungsansprüche sowie in § 50 Abs. 4 SGB X und § 113 Abs. 1 SGB X für Erstattungsansprüche enthalten ist (an diesem allgemeinen Prinzip dürfte sich auch mit der Einführung der verkürzten Verjährungsfrist in § 109 Abs. 5 SGB V nichts geändert haben). Zu einer Änderung dieser allgemeinen vierjährigen Verjährungsfrist ist es im Sinne eines Gleichlaufs auch nach der Änderung der zivilrechtlichen allgemeinen Verjährungsfrist auf drei Jahre in § 195 BGB nicht gekommen (vgl. BSG Urteil vom 12.12.2019, B 14 AS 45/18 R, Rn. 16, juris; Urteil vom 28.11.2013, B 3 KR 27/12 R, Rn. 44, juris). Die Entscheidung, inwiefern das neue Regelungssystem auf spezialgesetzlich geregelte Materien zu übertragen ist und welche Sonderregelungen zu treffen sind, wurde in dem Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 09.12.2004 (BGBl I S. 3214) getroffen. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst gegen eine entsprechende Anpassung des öffentlichen Rechts entschieden, da im öffentlichen Recht grundsätzlich eigenständige Verjährungsregelungen gelten würden und auf die zivilrechtlichen Verjährungsbestimmungen nur hilfsweise entsprechend zurückgegriffen werden könne (BT-Drucks. 15/3653 S. 10). Ein Rückgriff auf bürgerlich-rechtliche Verjährungsvorschriften ist aufgrund der sachnäheren Regelung im Sozialrecht damit ausgeschlossen (dazu BSG Urteil vom 01.08.1991, 6 RKa 9/89, Rn. 19, juris; Urteil vom 10.05.1995, 6 RKa 17/94, Rn. 15, juris; vgl. Reinhardt in Krahmer/Trenk-Hinterberger, SGB I, 4. Auflage 2020, § 11 Rn. 8; Schäfer in SGB I Onlinekommentar § 45 (Stand: 05.04.2021) Rn. 5), im Übrigen führte dies angesichts der kürzeren regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren in § 195 BGB nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist in § 197 BGB liegen bezogen auf den streitigen Sachverhalt ersichtlich nicht vor.

Daher unterfällt der Anspruch auf Verzinsung nach § 44 SGB I der sozialrechtlichen Verjährung nach § 45 Abs. 1 SGB I jedenfalls entsprechend (ebenso der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 63 SGB X vgl. BSG Urteil vom 12.12.2019, B 14 AS 45/18 R, Rn. 17, juris m.w.N.; auch der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch vgl. BSG Urteil vom 11.09.2019, B 6 KA 13/18 R, Rn. 24, juris; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 07.07.2016, L 7 AS 1359/14, Rn. 25, juris; für den Honoraranspruch eines Vertragsarztes BSG Beschluss vom 29.11.2017, B 6 KA 51/17 B, Rn. 11, juris).

Der Anspruch auf Verzinsung verjährt damit in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist. Ansprüche auf Verzinsung entstehen gemäß § 40 Abs. 1 SGB I, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Aus den oben genannten Ausführungen folgt, dass die Verzinsung nach Ablauf von sechs Monaten nach dem vollständigen Leistungsantrag (hier am 00.07.2005) am 01.02.2006 begann und mit dem Kalendermonat vor der Zahlung am 31.01.2015 endete. Die Verjährung tritt damit gem. § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 BGB selbst für den letzten vollen zu verzinsenden Kalendermonat (Januar 2015) vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres 2015 am 01.01.2020 ein, so dass der am 05.07.2020 gestellte Antrag der Klägerin auf Verzinsung die Verjährung auch nicht mehr gemäß § 45 Abs. 3 S. 1 SGB I entsprechend hemmen konnte.

b. Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung jedoch nicht ohne Rechtsfehler erhoben. Vielmehr hat er von dem ihm eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht. § 45 Abs. 2 SGB I verweist hinsichtlich der Wirkung der Verjährung auf das BGB. Nach § 214 Abs. 1 BGB ist der Schuldner nach Eintritt der Verjährung berechtigt, die Leistung zu verweigern. Die Verjährung ist damit – im Sozialrecht ebenso wie im Zivilrecht – mit einer Einrede geltend zu machen. Da es sich um eine Berechtigung handelt, steht die Erhebung dieser Einrede im Ermessen des Leistungsträgers (vgl. Mrozynski SGB I, 6. Auflage 2019, § 45 Rn. 3; Hänlein in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Auflage 2021, § 45 Rn. 14; Markovic/Timme in Krahmer/Trenk-Hinterberger, Sozialgesetzbuch I, 4. Auflage 2020, § 45 Rn. 14; Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 45 (Stand: 17.11.2021) Rn. 44; KassKomm/Schifferdecker, Sozialversicherungsrecht, 117. Ergänzungslieferung, § 45 SGB I (Stand Dezember 2021) Rn. 60; Rolfs in Hauck/Noftz SGB I Werkstand 48. Ergänzungslieferung, § 45 (Stand Juli 2017) Rn. 34; Lilge in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Auflage 2019, § 45 Rn. 40; Bigge in Eichenhofer/v.Koppenfels-Spies/Wenner, Kommentar zum SGB I, 2. Auflage 2018, § 45 Rn. 21; vgl. auch Spiolek, „Ermessen bei Erheben der Verjährungseinrede im Sozialrecht“ BB 1998, S. 533 ff. mit Nachweis der Entwicklung der BSG Rechtsprechung dazu). Insofern sind die Grenzen des § 39 Abs. 1 SGB I zu beachten, so dass der Beklagte sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten muss. Zudem ist die Entscheidung gemäß § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X zu begründen.

Der Bescheid vom 16.12.2020 enthält keinerlei Ermessenerwägungen, sondern die Formulierung „Der Zinsanspruch ist gemäß § 45 SGB I verjährt“. Der Widerspruchsbescheid vom 12.03.2021 lässt ebenfalls keine Ermessenserwägungen erkennen, sondern formuliert „… ist der Anspruch verjährt. Denn seit der im Antrag genannten Nachzahlung am 05.02.2015 sind mehr als vier Jahre vergangen. Nach dieser Sach- und Rechtslage musste der Widerspruch erfolglos bleiben.“ Auch im sozialgerichtlichen Verfahren sind den Schriftsätzen keine Ermessensgesichtspunkte zu entnehmen. Insofern ist schon fraglich, ob der Beklagte überhaupt seine Pflicht erkannt hat, eine Ermessensentscheidung über die Erhebung der Verjährungseinrede treffen zu müssen. Dass er aber eine solche Ermessensentscheidung tatsächlich getroffen hat, ist jedenfalls nicht ersichtlich.

Anhaltspunkte dafür, dass die Erhebung der Einrede wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB insbesondere in der Ausprägung des Rechtsinstituts der unzulässigen Rechtsausübung wegen Rechtsmissbrauchs auf Seiten des Beklagten verwirkt sein könnte (dazu vgl. nur BSG Urteil vom 22.10.1996, 13 RJ 17/96, Rn. 31, juris; Urteil vom 31.05.2016, B 1 AS 1/16 KL, Rn. 23, juris; Urteil vom 13.07.2017, B 8 SO 1/16 R, Rn. 33), liegen nicht vor. Rechtsmissbrauch liegt etwa dann vor, wenn der Leistungsträger die Verjährung arglistig oder durch rechtswidrige Maßnahmen herbeigeführt hat, indem er den Berechtigten durch Irreführung von einer rechtzeitigen verjährungshemmenden Geltendmachung seiner Ansprüche abgehalten hat oder die Erhebung der an sich gerechtfertigten Einrede zu einer groben Unbilligkeit führen oder einen wirtschaftlichen Notstand auslösen würde. Angesichts der Ausführungen zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im Urteil des SG vom 31.03.2014 dürfte es hier zwar naheliegen, dass seitens des Beklagten in der Vergangenheit grobe Pflichtverletzungen in Bezug auf die Beratung der Klägerin mit Erreichen der Volljährigkeit vorlagen. Diese haben jedoch die Klägerin nicht von der rechtzeitigen Geltendmachung der Verzinsungsansprüche abgehalten, denn nach Erlass des Bescheides vom 04.02.2015 hat genügend Zeit bestanden, die Verzinsung zu beantragen. Auch der Umstand, dass der Beklagte es unterlassen hat, von Amts wegen über den Verzinsungsanspruch zu entscheiden (vgl. Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage 2018, § 45 (Stand: 17.11.2021) Rn. 49), war für den Eintritt der Verjährung nicht ursächlich. Denn der Klägerin war es unbenommen, ihren Anspruch innerhalb der Verjährungsfrist geltend zu machen, nachdem der Beklagte aus Sicht der Klägerin hierüber nicht rechtzeitig von Amts wegen entschieden hatte. Schließlich ist eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten der Klägerin nicht erkennbar. Ein solcher Fall kann eintreten, wenn die Gesamtheit der Umstände das Absehen von der Verjährungseinrede gebietet. Solche Umstände sind hier jedoch aus den oben genannten Gründen nicht ersichtlich.

Genügt eine Verjährungseinrede den formellen Voraussetzungen der Ermessensausübung nicht, ist sie rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des dem Beklagten obliegenden Ermessens, vgl. § 39 Abs. 1 SGB I. Der diesbezügliche Bescheid ist daher aufzuheben.

Da der aufzuhebende Bescheid einen Anspruch auf eine Sozialleistung betrifft, deren Gewährung im Ermessen der Behörde steht und kein Fall einer Ermessensreduzierung auf Null besteht, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Leistung, sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung. Denn das Gericht kann nicht selbst sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen und damit Spruchreife herbeiführen, was zur Folge hat, dass nur eine Verurteilung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Betracht kommt (vgl. §§ 54 Abs. 2 S. 2, 131 Abs. 3 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 54 Rn. 28, § 131 Rn. 12 f.). Dieser Verpflichtungsanspruch ist als ein Minus in der Leistungsklage enthalten (BSG Urteil vom 06.04.2011, B 4 AS 119/10 R, Rn. 21 m.w.N., juris; Urteil vom 10.05.2011, B 4 AS 139/10 R, Rn. 16, juris; Urteil vom 19.08.2015, B 14 AS 13/14 R, Rn. 10, juris), so dass der Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Verzinsung erneut zu entscheiden und bezüglich der Einrede der Verjährung sein Ermessen auszuüben hat.

Vor diesem Hintergrund hat die weitergehende Klage der Klägerin auf Leistung keinen Erfolg und ist die Berufung insoweit zurückzuweisen.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG und auf der Erwägung, dass Klage und Berufung nur bezüglich der Anfechtungsklage Erfolg haben, die Klägerin mit ihrem eigentlichen Leistungsbegehren aber erfolglos geblieben ist.

E. Für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG besteht vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung auf einer fehlerhaften Ermessensausübung im Einzelfall beruht, kein Anlass.

 

Rechtskraft
Aus
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