L 13 R 4121/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 4180/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 4121/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. November 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1971 geborene Klägerin ist gelernte Verkäuferin. Zuletzt war sie im März 2017 versicherungspflichtig beschäftigt. Sie ist seit 2014 arbeitsunfähig und bezog deswegen bis zum 20. März 2017 Krankengeld. Sodann bezog sie von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt. Ferner ist bei ihr seit dem 5. Dezember 2016 das Merkzeichen der erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr („G") anerkannt.

Am 24. April 2017 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab an, trotz zweier Hüftoperationen nur kurze Strecken gehen zu können. Durch eine Rippenfraktur und eine Ruptur der Bizepssehne habe sich ihr gesundheitlicher Zustand zusätzlich verschlechtert. Sie könne, so die Klägerin, keiner Tätigkeit mehr nachgehen. Mit ihrem Antrag legte die Klägerin Befundberichte und Arztbrief der sie behandelnden Ärzte vor.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch B. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 14. November 2017 bei der Klägerin ein chronisch degeneratives Wirbelsäulenleiden, rezidivierende Lumbalgien, thorakaler NPP, eine beidseitige Schulterläsion (beginnende Omartrose), eine beidseitige Hüfttotalendoprothese nach Coxarthrose und Hüftdysplasie, eine Retropatellararthrose/Gonarthrose beidseits sowie Adipositas. B vertrat die Einschätzung, dass der Klägerin weder eine Tätigkeit als Verkäuferin, noch eine leichte Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von drei Stunden täglich zumutbar sei. Die Beklagte veranlasste des Weiteren eine Begutachtung der Klägerin durch ihren sozialmedizinischen Dienst, für den die K unter dem 27. Februar 2018 ausführte, dass bei der Klägerin eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Anpassungsstörung mit Schlafstörungen sowie ein chronisch degeneratives Wirbelsäulensyndrom vorliege. Die Fachärztin vertrat die Einschätzung, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne.

Nach einer sozialmedizinischen Überprüfung der medizinischen Unterlagen und Ermittlungen lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 27. April 2018 ab. Trotz der bestehenden Gesundheitsstörungen sei die Klägerin, so die Beklagte begründend, nicht erwerbsgemindert. Sie sei vielmehr noch in der Lage, minds. sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein.

Den hiergegen am 9. Mai 2018 erhobenen Widerspruch, mit dem sie eine Stellungnahme des behandelnden W sowie weitere ärztliche Unterlagen, u.a. den Entlassbericht der Klinik für Sportorthopädie und arthroskopische Chirurgie an der O Klinik M über eine dort am 4. Juli 2018 durchgeführte arthroskopische Operation der linken Schulter, vorlegte, wies die Beklagte nach einer erneuten sozialmedizinischen Überprüfung mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2018 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 17. Dezember 2018, einem Montag, Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, sie leide an einer Vielzahl an Erkrankungen, wegen derer sie, auch in Ansehung der bestehenden Schmerzproblematik, nicht mehr in der Lage sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten zu können. Sie sei seit mehr als drei Jahren mit einem Rollator versorgt. Sie, die Klägerin, sei deswegen zunehmend psychisch belastet. Zuletzt habe sie stationär wegen eines chronischen Schmerzsyndroms behandelt werden müssen. Aktuell sei im September 2020 eine Knie-TEP erfolgt. Die Klägerin hat ferner umfangreiche weitere ärztliche Berichte, zuletzt medizinische Unterlagen zur Implantation einer Knie-TEP rechts am 1. September 2020 (Entlassbericht Klinik M vom 4. September 2020) mit anschließender Rehabilitation in den W1-Kliniken vom 7. – 28. September 2020) vorgelegt.

Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid entgegengetreten. Während des Verfahrens hat sie eine sozialmedizinische Stellungnahme von B1 vom 15. Juli 2019 vorgelegt.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Der H gab unter dem 6. März 2019 an, die Leistungsfähigkeit der Klägerin könne nur durch eine Begutachtung evaluiert werden. G, berichtete in seiner Stellungnahme vom 14. März 2019, dass bei der Klägerin im Februar 2013 eine überaktive Harnblase diagnostiziert worden sei. Im Jahr 2018 sei die Klägerin dreimal bei ihm vorstellig geworden. Der S hat unter dem 14. März 2019 davon berichtet, dass die Klägerin zweimal bei ihm in Behandlung gestanden habe. Der T führte unter dem 25. April 2019 aus, bei der Klägerin stehe eindeutig die bestehende chronische Schmerzerkrankung im Vordergrund.

Das SG hat sodann R, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens unter Einbeziehung eines von R1 zu erstattenden Zusatzgutachtens beauftragt. R1, Facharzt für Orthopädie/Rheumatologie und für Physikalische und Rehabilitative Medizin diagnostizierte in seinem orthopädisch-rheumatologischen Zusatzgutachten bei der Klägerin chronische Dorsolumbalgien bei mäßigen degenerativen Veränderungen mit geringer bis mäßiger Einschränkung der Bewegungs-und Belastungsfunktion der Rumpfwirbelsäule mit pesudoradikulärer Schmerzausstrahlung in das linke Becken und das linke Bein, Brachialgien links mehr als rechts (Schulter-Arm-Syndrom) bei Schädigung der Rotatorenmanschette beidseits mit Z.n. Operation beider Schultern mit mäßigen Einschränkungen der Belastungsfunktion beider Schultern, links mehr als rechts, Radiusköpfchenfraktur linker Ellenbogen 7/14, knöchern fest verheilt ohne wesentliche Funktionseinschränkungen, Zervikalgien (Schmerzen der Halswirbelsäule) bei geringen degenerativen Veränderungen und Arthrosen der unteren Halswirbelsäule ohne nachweisbare Funktionseinschränkungen, beidseitig unzementierte Hüfttotalendoprothesen mit gutem funktionalem und radiologischem Ergebnis mit geringer Einschränkung der Bewegungs- und Belastungsfunktion beider Hüftgelenke, geringe mediale Arthrose und geringe retropatellare Arthrose beider Kniegelenke mit geringer Einschränkung der Bewegungs- und Belastungsfunktion beider Kniegelenke, eine leichte Arthrose der Großzehengrundgelenke beidseits ohne wesentliche Funktionseinschränkungen sowie massives Übergewicht (BMI 37 kg/m²). R1 vertrat die Einschätzung, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von minds. sechs Stunden täglich verrichten zu können. Sie sei auch in der Lage, eine Wegstrecke von 500m viermal täglich innerhalb von 20 min. bewältigen zu können. R diagnostizierte in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 9. September 2020 bei der Klägerin auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerstörung, eine Dysthymia sowie eine leichte Nervenwurzelschädigung S1 links. Die Klägerin sei, so R, in der Lage sei, leichte Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von minds. sechs Stunden täglich verrichten zu können.

Die Klägerin ist der gutachterlichen Einschätzung der R und R1entgegengetreten. Anders als von R1 angenommen, liege bei ihr nicht nur eine Schmerzstörung nach Stadium I nach Gerbershagen vor. Auch die Einschätzung betr. die Wegefähigkeit sei nicht zutreffend.

Mit Gerichtsbescheid vom 24. November 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, es sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Tätigkeiten von mehr als sechs
Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten könne. Es hat sich hierbei auf die gerichtlichen Sachverständigengutachten von R und R1 gestützt.  Maßgebend für die Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit seien die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet in Verbindung mit einer Schmerzerkrankung und Dysthymie. Die insoweit bestehenden Gesundheitsstörungen bedingten jedoch keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht, da keine maßgeblichen Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der betroffenen Bereiche bestehe. Die insoweit überlagernde Schmerzerkrankung sei nach den Ausführungen von R nur geringgradig ausgeprägt. Eine rezidivierende depressive Störung liege nicht vor, lediglich eine Dysthymie, die zu Beginn der Erkrankung auch als Anpassungsstörung gesehen worden sei. Maßgebliche funktionelle Beeinträchtigungen seien hierdurch nicht bedingt, wie der von R erhobene Tagesablauf zeige, der eine gut erhaltene Tagesstruktur aufzeige und vermittle, dass die Klägerin soziale Kontakte pflege und in der Lage sei, ihren Haushalt mit einem rollstuhlpflichtigen Partner zu führen. I.d.S. sei der psychische Befund bei der Untersuchung durch R nur geringfügig gestört gewesen, so habe sich klinisch lediglich ein subdepressives Bild gezeigt, mit dem sich eine Schmerzerkrankung im Stadium III nicht in Einklang bringen lasse. Ihre Alltagsaktivitäten zeigten vielmehr, dass sie in der Lage sei, die üblichen familiären, beruflichen und psychischen Anforderungen noch zu bewältigen. Die weiteren Gesundheitsstörungen (massive Adipositas, Lymphödem und Lipödem der unteren Extremitäten Stadium II, Schlafapnoe-Syndrom mit CPAP-Beatmung, Z.n. Schilddrüsenresektion, benigner Lagerungsschwindel, arterielle Hypertonie und eine Dranginkontinenz) seien für das berufliche Leistungsvermögen in qualitativer Hinsicht relevant. Die Klägerin sei auch, so das SG, wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Dies werde von R und R1 bestätigt. Bei einem im Rahmen der Begutachtung erfolgten begleiteten Spaziergang habe die Klägerin eine Gehstrecke von 500 m mit dem Rollator in zwölf Minuten zurücklegen können. Auch habe die Klägerin selbst mitgeteilt, dass sie regelmäßig derartige Strecken zu Fuß zurücklege, etwa beim regelmäßigen Gehen mit dem Hund. Im Rahmen der Untersuchung habe die Klägerin in unbeobachteten Momenten ein zügigeres Gehen mit flüssiger Schrittfolge gezeigt, als dies ansonsten demonstriert worden sei. Überdies fahre die Klägerin selbst Auto, wie sie gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen angegeben habe.

Gegen den ihr am 27. November 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. Dezember 2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung bringt sie vor, das SG habe seine Entscheidung maßgeblich auf die Gutachten des R und des R1 gestützt. Deren Leistungseinschätzung sei jedoch fehlerhaft. Die behandelnden Ärzte hätten bei ihr eine Schmerzstörung im Stadium III nach Gerbershagen diagnostiziert, während R lediglich eine solche im Stadium I angenommen habe. Überdies habe das SG nicht berücksichtigt, dass es nach der Begutachtung zu einer Verschlechterung im Gesundheitszustand gekommen sei. Auch sei die Einschätzung des SG betr. die Weefähigkeit fehlerhaft. Sie, die Klägerin, könne sich lediglich mit dem Rollator (max. 500m) fortbewegen, hierfür benötige sie jedoch über 30 min. Auch sei zu berücksichtigen, dass aufgrund der Gonarthrose Ende August 2020 eine Kniegelenksendoprothese implantiert worden sei. Auch habe das SG die bestehende Inkontinenz und die dadurch bedingten Einschränkungen ausreichend berücksichtigt. Auch träten bei ihr plötzliche Schwindelanfälle auf. Zuletzt sei sie deswegen im Januar 2021 gestürzt, wobei sie sich eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung zugezogen habe. In der Gesamtschau aller bestehenden Erkrankungen und Einschränkungen sei bei ihr von einer zumindest teilweisen Erwerbsminderung auszugehen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. November 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2018 zu verurteilen, ihre eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf ihren bisherigen Vortrag und die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat H1 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem orthopädischen Gutachten vom 14. Mai 2021 hat H1, Facharzt für Orthopädie, bei der Klägerin ein chronifiziertes Zervikalsyndrom bei gering ausgeprägten degenerativen Veränderungen in den unteren Segmenten mit paravertebralen muskulären Verspannungen (auch im Bereich des Schultergürtels) ohne wesentliche Funktionseinschränkungen und ohne neurologische Ausfälle, eine chronifizierte Dorsalgie (degenerative Veränderungen der Bandscheibenfächer im Bereich des thorako-lumbalen Überganges) mit paravertebralen Verspannungen ohne wesentliche Funktionseinschränkungen und ohne neurologische Ausfälle, ein chronifiziertes Lumbalsyndrom mit degenerativen Veränderungen im Bereich der Segmente L 4 bis S 1 mit paravertebralen muskulären Verspannungen ohne wesentliche Funktionseinschränkungen und ohne neurologische Ausfälle, eine Periarthropathie im Bereich des rechten Schultergelenkes (Z.n. Arthroskopie mit Naht der Rotatorenmanschette und Tenotomie der langen Bizepssehne) mit anhaltend mäßiger Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit, Periarthropathie im Bereich des linken Schultergelenkes bei Z.n. nach Arthroskopie mit Naht der Rotatorenmanschette und Tenotomie der langen Bizepssehne mit anhaltend mäßigen Einschränkungen der Beweglichkeit und Belastbarkeit, einen Z.n. Radiusköpfchen-Meißelfraktur des linken Ellenbogens und Osteosynthese, einen Z.n. intertrochantärer varisierender Umstellungsosteotomie im Bereich des linken Hüftgelenkes und nach Metallentfernung und zementfreier Implantation einer Hüftgelenkstotalendprothese, einen Z.n. zementfreier Implantation einer Hüftgelenkstotalendprothese rechts, einen Z.n. zementfixierter Implantation einer Oberflächenersatzprothese am rechten Kniegelenk, eine initiale Varusgonarthrose des linken Kniegelenks, Senk-Spreizfuß beidseits, kleiner plantarer Fersensporn rechts, Hallux valgus, geringe arthrotische Veränderungen im Bereich beider Großzehengrundgelenke, ein Lymphödem der unteren Extremitäten Stadium II beidseits, Lipödem Stadium II beidseits sowie Adipositas diagnostiziert. Auf nichtorthopädischem Gebiet bestehe eine depressive Verstimmung, Dysthymia, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, eine Schilddrüsenstoffwechselstörung, Z. n. Schilddrüsenoperation, ein schwergradiges obstruktives Schlafapnoesyndrom (beatmungspflichtig) sowie eine Mischinkontinenz mit Urge-Problematik bei kleinkapazitärer, hypersensitiver Harnblase. H1 hat die Einschätzung vertreten, dass der Klägerin unter Berücksichtigung der auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen leichte körperliche Tätigkeiten im selbstbestimmten Wechsel zwischen sitzen, gehen und stehen vollschichtig - mindestens sechs Stunden arbeitstäglich – zuzumuten seien. Eine zeitliche Einschränkung lasse sich nicht ableiten. Die Wegefähigkeit sei nicht relevant eingeschränkt. Wegstrecken von mehr als 500 m könnten jeweils in einem Zeitaufwand von maximal 20 Minuten zurückgelegt werden, wobei dies wegen der Schwindelsymptomatik ggf. mit einem Rollator oder Gehstützen zu erfolgen habe.

Die Klägerin hat, nachdem ihr das Gutachten des H1 übersandt worden ist, weitere Arztberichte vorgelegt.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) zugestimmt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Leistungsakte verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, insb. statthaft (vgl. § 143 SGG), führt jedoch für diese inhaltlich nicht zum Erfolg.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der den Antrag der Klägerin ablehnende Bescheid der Beklagten vom 27. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer - unabhängig von der Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus folgt, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag, hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu begründen vermag.

Bei dem tatbestandlichen Merkmal der Erwerbsminderung handelt es sich um ein positives, den Anspruch begründendes Element. Dies bedeutet, dass der Versicherte, vorliegend die Klägerin, die Folgen trägt, wenn, trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten, eine rentenberechtigende Leistungsminderung nicht im Vollbeweis belegt ist. D.h. es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass das Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt ist. Bloße Zweifel genügt nicht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Mai 2020 - L 5 R 3680/17 -, in juris, dort Rn. 30).

In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon überzeugt, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachgehen zu können. Das SG ist in Würdigung der dortigen Beweisaufnahme zu der nicht zu beanstandenden Einschätzung gelangt, dass die Klägerin trotz der bestehenden Gesundheitsstörungen noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von minds. sechs Stunden täglich verrichten zu können. Es hat sich hierbei auf die vorliegenden medizinischen Unterlagen, zuvorderst auf das neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinische Gutachten des R vom 9. September 2020 sowie auf das orthopädisch-rheumatologische Zusatzgutachten des R1 vom 10. Juni 2020 gestützt. Die zutreffende und umfängliche Beweisaufnahme hat insb. zutreffend berücksichtigt, dass die Gutachter auf ihren jeweiligen Fachgebieten jeweils keine gravierenden objektiv bestehenden funktionellen Einschränkungen bekundet haben. Der Senat verweist daher auf die zutreffende Beweiswürdigung des SG und sieht insofern von einer weiteren Begründung seiner Entscheidung nach § 153 Abs. 2 SGG ab. Im Hinblick auf die Begründung der Berufung und das Vorbringen, R habe fälschlicherweise nur ein Schmerzsyndrom nach Stadium I nach Gerbershagen angenommen, obschon die behandelnden Ärzte ein solches der Stufe III diagnostiziert hätten, ist darauf hinzuweisen, dass im Kontext der Frage des Vorliegens einer Erwerbsminderung nicht maßgebend ist, ob und welche Gesundheitsstörung mit welcher Graduierung vorliegt; entscheidend ist einzig, ob Leistungseinschränkungen bestehen, die der Ausübung einer Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich entgegenstehen. I.d.S. kommt es (bei Rentenbegutachtungen) weniger auf die Diagnosestellung sondern auf die Leistungseinschränkungen an (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 30. Juni 2015 - L 6 R 166/08 ZVW -, in juris), ob diese gesichert bestehen und ggf. überwunden werden können. Da indes die in Zusammenhang mit dem bestehenden Schmerzsyndrom relevanten (psychopathologischen) Befunde eine quantitative Leistungsreduzierung nicht begründen, ist es nicht entscheidungsrelevant, ob bei der Klägerin ein Schmerzsyndrom im Stadium I oder III (nach Gerbershagen) vorliegt.

Ergänzend ist weiter auszuführen, dass auch der im zweitinstanzlichen Verfahren gutachterlich gehörte H1 eine quantitative Leistungsreduzierung der Klägerin nicht bestätigt hat.

Mithin ist die quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht eingeschränkt; die Klägerin ist nicht erwerbsgemindert.

Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist). Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG u.a. dann als verschlossen, wenn der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann. Eine Fallkonstellation i.d.S. liegt vorliegend nicht vor. Die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats insb. in der Lage, eine Wegstrecke von 500m in 20 min bewältigen zu können. Der Senat folgt auch insofern der Einschätzung des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid, das seine Einschätzung wiederum auf die gutachterliche Einschätzung des R gestützt hat. Dessen Einschätzung ist auch von H1 geteilt worden.

Da der Klägerin der Arbeitsmarkt hiernach nicht verschlossen ist, kann der geltend gemachte Anspruch auch nicht hierauf gestützt werden. Die Klägerin hat mithin keinen Anspruch auf die Gewährung einer vollen oder einer teilweisen Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI), da sie nicht, wie gesetzlich gefordert, vor dem 2. Januar 1961 geboren ist.

Der Bescheid der Beklagten vom 27. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; die Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 24. November 2020 ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
Saved