L 11 KR 2106/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KR 1108/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2106/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.04.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Streitgegenständlich ist ein Unterlassungsbegehren des Klägers.

Der 1960 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist seit dem 12.03.2018 wegen einer psychischen Erkrankung (schizoaffektive Störung) arbeitsunfähig in Bezug auf seine Tätigkeit als Hausmeister und bezieht Krankengeld. Mit Bescheid vom 30.08.2019 setzte die Beklagte ihm gemäß § 51 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine Frist, innerhalb der er einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Reha) zu stellen habe. Der Kläger übersandte den ausgefüllten Antrag an die Beklagte, die diesen an die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg weiterleitete. Die DRV gab dem Antrag statt und bewilligte die beantragte Maßnahme. Hiergegen legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 25.11.2019 beantragte der klägerisches Bevollmächtigte - unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht - bei der Beklagten gemäß § 44 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Aufhebung des Bescheides vom 30.08.2019 mit der Begründung, der Kläger sei nicht rehabilitationsfähig und dies sei der Beklagten bekannt gewesen, so dass ein Ermessensfehlgebrauch vorliege.

Am 07.04.2020 wandte sich der Kläger mit einer Unterlassungsklage an das Sozialgericht Freiburg (SG) und machte geltend, dass die Beklagte die bei ihr hinterlegte Vollmacht nicht beachtet habe. Eine Mitarbeiterin aus der Krankengeldabteilung habe sich am 31.03.2020 telefonisch direkt an die Ehefrau des Klägers gewandt und wissen wollen, ob der Kläger schon in der Reha sei bzw wann diese beginne. Diese direkte Kontaktaufnahme sei erfolgt, obwohl sich aus der Vollmacht unmissverständlich ergebe, dass jegliche Verhandlungen etc ausschließlich mit dem Bevollmächtigten stattzufinden hätten. Es sei eine systematische Vollmachtsmissachtung zu verzeichnen. Ergänzend ist ausgeführt worden, § 56a Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei nicht einschlägig. Der Bevollmächtigte sei nicht Beteiligter des Verfahrens, und das Rechtsverhältnis betreffe beide Personen. Die Missachtung der Vollmachten müsse justiziabel sein.

Nachdem die Beklagte mit an den Klägerbevollmächtigten gerichteten Bescheid vom 15.06.2020 den Bescheid vom 30.08.2019 aufgehoben hatte, hat sie im Klageverfahren erwidert, dass die Vertretungsvollmachten für jeden Vertretungsfall bzw Verwaltungsvorgang neu vorgelegt werden müssten. Ausnahme seien bestellte Betreuer, die für den Betreuten grundsätzlich alles zu regeln hätten. Werde eine Vertretungsvollmacht gemäß § 13 SGB X vorgelegt, sei diese grundsätzlich zu berücksichtigen. Mit entsprechender Arbeitsanweisung sei dies für alle Bereiche der Beklagten geregelt. Derzeit sei ein offenes Verwaltungsverfahren des Klägers anhängig, bei dem eine Vollmacht vorgelegt worden sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 06.04.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Sie sei bereits unzulässig. Nach der Vorschrift des § 56a Satz 1 SGG könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Es handele sich um eine eigenständig zu prüfende (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung für Rechtsbehelfe. Unter den Begriff der behördlichen Verfahrenshandlungen falle dabei jegliches in Form des Verwaltungsakts oder als Realakt erfolgtes Handeln und Unterlassen einer Behörde iSd § 1 Abs 2 SGB X während eines Verwaltungsverfahrens iSd § 8 SGB X, sofern die Handlung das Verfahren nicht selbst abschließe. Hier wende sich der Kläger gegen die vermeintliche Nichtbeachtung einer Vollmacht durch die Beklagte, dh ein in Form eines Realakts erfolgtes Unterlassen, das das Verwaltungsverfahren nicht abschließe. Ob und mit welcher Begründung die Beklagte möglicherweise zu Recht die streitgegenständliche Vollmacht nicht beachtet habe, sei vor diesem Hintergrund nicht relevant. Zwar müsse sich die Beklagte als Behörde grundsätzlich an den für das Verwaltungsverfahren nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB X bestellten Bevollmächtigten wenden, ein Verstoß gegen diese „Kommunikationsverpflichtung“ könne der Versicherte nach § 56a Satz 1 SGG jedoch nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend machen.

Gegen den ihm am 18.06.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Klägerbevollmächtigte am 21.06.2021 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht, ohne diese zu begründen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.04.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500,- Euro dazu zu verpflichten, die Vollmacht, die für den Kläger bei ihr hinterlegt worden ist, nicht weiterhin zu missachten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die frist- und formgerecht eingelegte und statthafte Berufung des Klägers, über die Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG), ist zulässig (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 151 SGG), jedoch nicht begründet.

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist die Klage wegen § 56a Satz 1 SGG bereits unzulässig. Hiernach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Die Vorschrift dient so der Verfahrensökonomie, indem sie einer Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch Verfahrens- und Formfehler entgegenwirkt (Gesetzesbegründung BT-Drs. 17/12297, 65), und der Prozessökonomie, indem eine Zersplitterung des Rechtsschutzes vermieden wird (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Auflage 2020, SGG, § 56a Rn 2 mwN). Eine Definition der Verfahrenshandlung oder eine nähere Eingrenzung, welche Verfahrenshandlungen erfasst sein sollen, enthält das Gesetz nicht. Verfahrenshandlung iSd § 56a Satz 1 ist damit jede behördliche Maßnahme, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahrens ist und eine Sachentscheidung vorbereitet (BeckOGK/Scholz, Stand 01.05.2021, SGG § 56a Rn 6; vgl hierzu auch LSG Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B, Rn 16, juris). Da hier eine Mitarbeiterin der Beklagten während des Krankengeldbezuges und im Zusammenhang mit der Beantragung einer Rehabilitation nach § 51 SGB V beim Kläger angerufen hat, um zu fragen, ob die Rehamaßnahme schon begonnen habe, liegt eine solche Vorbereitungshandlung zur Sachentscheidung (Einstellung des Krankengeldes während der Rehamaßnahme) vor. Der Klägerbevollmächtigte hat hier die Sachentscheidung nicht abgewartet, sondern isoliert die Missachtung der Vollmacht angegriffen - dies ist nach § 56a SGG nicht erlaubt.

Ein Ausnahmefall im Sinne des § 56a Satz 2 SGG liegt nicht vor. Hiernach gilt Satz 1 nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Ein Fall von Vollstreckbarkeit ist offenkundig nicht gegeben. Entgegen dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten liegt in der Missachtung der Vollmacht aber auch keine Verfahrenshandlung gegen einen Nichtbeteiligten, nämlich den Klägerbevollmächtigten. Nichtbeteiligte sind Dritte, denen das Gesetz eine eigene verfahrensrechtliche Position einräumt, die aber nicht zur gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung berechtigt sind, zB Zeugen und Sachverständige wegen ihrer Entschädigung oder gesetzliche Vertreter bzw Bevollmächtigte, die in dieser Eigenschaft von der Behörde zurückgewiesen wurden (Keller aaO § 56a Rn 11 mwN). Vorliegend liegt der hier gerügte Verfahrensmangel indes in der Missachtung der Vollmacht, indem sich eine Mitarbeiterin der Beklagten direkt telefonisch mit dem Kläger bzw dessen Ehefrau in Verbindung gesetzt hat. Eine Verfahrenshandlung gegenüber dem Klägerbevollmächtigten ist somit gerade nicht erfolgt, da er nicht am Telefonat beteiligt war. Erst recht fehlt es an einer förmlichen Zurückweisung des Klägerbevollmächtigten. Da § 56 Satz 2 SGG somit nicht einschlägig ist, verbleibt es bei der Regelung in § 56a Satz 1 SGG mit Folge, dass die Klage bereits unzulässig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Eine Kostentragung durch die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Veranlassung (s hierzu nur Schmidt in Meyer-Ladewig ua, aaO, § 193 Rn 12b) scheidet aus. Anders als in dem vom Senat am 20.11.2020 entschiedenen Fall (L 11 KR 2616/20 ER-B), in dem sich die dort verklagte Krankenkasse (und zwar eine andere Krankenkasse als die Beklagte im hiesigen Verfahren) wiederholt unter Nichtbeachtung der Vollmacht sogar noch während des Beschwerdeverfahrens direkt an den dortigen Kläger gewandt hatte, ist hier die Vollmacht nach dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten lediglich einmalig am 31.03.2020 missachtet worden. Der Abhilfebescheid vom 15.06.2020 wiederum wurde ordnungsgemäß an den Bevollmächtigten gerichtet, weitere Vollmachtsmissachtungen im Anschluss wurden nicht vorgetragen. Eine systematische Vollmachtsmissachtung, wie sie der Bevollmächtigte behauptet, ist für den Senat daher nicht erkennbar. Dies gilt umso mehr angesichts der Erklärung der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren, eine Vertretungsvollmacht gemäß § 13 SGB X sei grundsätzlich zu berücksichtigen und dies sei mit entsprechender Arbeitsanweisung für alle Bereiche der Beklagten geregelt. Insofern war eine Wiederholung direkter Kontaktaufnahme nicht zu erwarten bzw hätte es nach Überzeugung des Senats ausgereicht, die Beklagte nach dem Telefonat vom 31.03.2020 auf die Beachtung der Vollmacht hinzuweisen. Gerichtlicher Schutz wäre nicht nötig gewesen.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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