L 11 KR 2941/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 410/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2941/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.08.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Tatbestand

Streitig ist die Beachtung einer Vollmacht.

Die Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert. Ihr wurde seit 22.06.2020 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Die Beklagte gewährte Krankengeld. Mit Schreiben vom 15.12.2020 zeigte der Bevollmächtigte der Klägerin der Beklagten unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht seine Bevollmächtigung an und wies darauf hin, dass jeglicher Schriftwechsel „nur über die Kanzlei zu führen“ sei. Mit Bescheid vom 01.02.2021 schränkte die Beklagte die Klägerin in ihrer Dispositionsfreiheit bezüglich ihres Antrages bei dem Rentenversicherungsträger auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation ein. Der Bescheid war an die Klägerin adressiert und wurde an diese übersandt. Gegen den Bescheid vom 01.02.2021 legte der Bevollmächtigte der Klägerin am 10.02.2021 Widerspruch ein. Der Bescheid sei nichtig.

Bereits am 09.02.2021 hatte die Klägerin „Unterlassungsklage“ zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und die Verpflichtung der Beklagten begehrt, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500,00 € die Vollmacht nicht weiterhin zu missachten. Bevollmächtigter und Mandant seien eine Einheit und der Bevollmächtigte sei Nichtbeteiligter des Verfahrens. Die Missachtung der Bevollmächtigung sei nicht unter § 56a Sozialgerichtsgesetz (SGG) subsumierbar. Es sei nicht angezeigt, dass der Bevollmächtigte, in dessen Rechte mit eingegriffen werde, ein gesondertes Verfahren diesbezüglich orientiert zu führen habe. Das Unterlassen der Beachtung der Bevollmächtigung sei im Übrigen keine Verwaltungsmaßnahme im Einzelnen, sondern sie sei eine Missachtung eines Vertragswerks, denn die Bevollmächtigung sei ein einseitiges Rechtsgeschäft. Wiederholt habe er - der Bevollmächtigte - bereits ausgeführt, dass insoweit dieser leidvolle § 56a SGG nicht zur Anwendung kommen könne. Er sei über die Rechtsprechung diesbezüglich auch ehrlich gesagt verärgert. Er mache keinen Hehl daraus, dass er es leid sei und es satthabe, was sich in den letzten 1 ½ Jahren hier abspiele. Es werde zum Tagesgeschäft, die Vollmachten nicht zu beachten, und dies werde nicht nur den Unterzeichner betreffen. Es sei Aufgabe der Gerichtsbarkeit, sich dagegen zu stellen und nicht mit fadenscheinigen Ausflüchten sich dieser Verfahren zu entledigen. Gegenwärtig sehe er ein Versagen des Rechtssystems hier. Die Missachtung der Bevollmächtigung müsse ahndungsfähig und justiziabel sein. Bzgl des Bescheids vom 01.02.2021 werde ein gesondertes Verfahren geführt werden.

Mit an den Bevollmächtigten der Klägerin adressiertem Schreiben vom 11.02.2021 hat die Beklagte mitgeteilt, dass ihr mit dem Schreiben vom 01.02.2021 ein Fehler unterlaufen sei und sie dies bedauere. Die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen nicht vor. Das Schreiben vom 01.02.2021 sei hinfällig.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. In ihrer Verwaltungsakte sei eine Kontaktnotiz vom 18.12.2020 dokumentiert, dass sie die Vollmacht auch beachte. Gleichwohl sei es aufgrund eines Versehens im Einzelfall dazu gekommen, dass die Klägerin mit Schreiben vom 01.02.2021 selbst von der Beklagten angeschrieben wurde. Die Unterlassungsklage habe keinen Erfolg, da für das Begehren der Klägerin keine Anspruchsgrundlage bestehe. Auch bestehe keine Wiederholungsgefahr.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 16.08.2021 die Klage abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig. Nach der Vorschrift des § 56a Satz 1 SGG könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Unter den Begriff der behördlichen Verfahrenshandlungen falle dabei jegliches in Form des Verwaltungsakts oder als Realakt erfolgtes Handeln und Unterlassen einer Behörde iSd § 1 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) während eines Verwaltungsverfahrens iSd § 8 SGB X, sofern die Handlung das Verfahren nicht selbst abschließe (Hinweis auf Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Auflage 2020, § 56a Rn 4; Axer, in jurisPK-SGB X, § 56a Rn 16). Hier wende sich die Klägerin gegen die - in der Sache unstreitige, weil seitens der Beklagten eingeräumte - Nichtbeachtung einer Vollmacht durch die Beklagte, dh ein in Form eines Realakts erfolgtes Unterlassen, das das Verwaltungsverfahren nicht abschließe. Zwar müsse sich die Beklagte als Behörde grundsätzlich an den für das Verwaltungsverfahren nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB X bestellten Bevollmächtigten wenden (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> 26.07.2016, B 4 AS 47/15 R, BSGE 122, 25), ein Verstoß gegen diese „Kommunikationsverpflichtung“ könne der Versicherte nach § 56a Satz 1 SGG jedoch nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend machen (Hinweis auf Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B).

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 23.08.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 13.09.2021 beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Die Vorschrift des § 56a Satz 1 SGG sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da es sich um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung handele. Die Drittwirkung richte sich gegen einen Nichtbeteiligten des Verfahrens, nämlich den Bevollmächtigten, und vor diesem Hintergrund sei der Rechtsbehelf immer zulässig. Die Norm des § 56a SGG sei keine irgendwie geartete immer rechtfertigende Norm. Wenig hilfreich sei es, die ebenso wenig zutreffende Entscheidung des LSG Baden-Württemberg zu zitieren. Diese sei schon deshalb unzutreffend, weil aus logischen Gesichtspunkten heraus die Bevollmächtigtenfrage im Verfahren geklärt werden müsse und nicht erst mit der Sachentscheidung. Im Übrigen weise er - der Bevollmächtigte - darauf hin, dass die Verfahren zumindest dazu geführt hätten, dass die DRV Baden-Württemberg, von der diese Verfahren ausgegangen seien wie ein Virus, sich zumindest jetzt aufs Äußerste bemühe, die Vollmachten einzuhalten. Dafür grassiere dieser Virus bei den Krankenkassen jetzt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.08.2021 aufzuheben und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), hat keinen Erfolg.

Die frist- und formgerecht eingelegte und statthafte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144 Abs 1, 151 SGG), jedoch nicht begründet.

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist die Klage wegen § 56a Satz 1 SGG bereits unzulässig. Hiernach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Die Vorschrift dient so der Verfahrensökonomie, indem sie einer Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch Verfahrens- und Formfehler entgegenwirkt (Gesetzesbegründung BT-Drs 17/12297, 65), und der Prozessökonomie, indem eine Zersplitterung des Rechtsschutzes vermieden wird (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Auflage 2020, SGG § 56a Rn 2 mwN). Verfahrenshandlung iSd § 56a Satz 1 SGG ist jede behördliche Maßnahme, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahrens ist und eine Sachentscheidung vorbereitet (BeckOGK/Scholz, Stand 01.05.2021, SGG § 56a Rn 6; vgl hierzu auch LSG Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B, Rn 16, juris). § 56a Satz 1 SGG normiert eine eigenständig zu prüfende (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung für Rechtsbehelfe, ua für alle Klagearten. Liegen die Voraussetzungen des § 56a Satz 1 SGG vor, ist der Rechtsbehelf unzulässig (LSG Baden-Württemberg 19.10.2021, L 9 R 1944/21, Rn 25, juris mwN). So ein Fall ist hier gegeben. Vorliegend wendet sich die Klägerin nicht gegen den Bescheid der Beklagten vom 01.02.2021 und die darin getroffene Sachentscheidung selbst, sondern moniert eine „Missachtung“ der „hinterlegten“ Vollmacht (vgl im Übrigen zur „Unbestimmtheit“ dieses Begehrens LSG Baden-Württemberg 19.10.2021, L 9 R 1944/21, Rn 31, juris). Sie wendet sich gegen die Nichtbeachtung der von ihrem Bevollmächtigten am 15.12.2020 bei der Beklagten eingereichten Vollmacht, mithin nicht gegen eine ein konkretes Verwaltungsverfahren abschließende Sachentscheidung.

Ein Ausnahmefall im Sinne des § 56a Satz 2 SGG liegt nicht vor. Hiernach gilt Satz 1 nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Ein Fall von Vollstreckbarkeit ist offenkundig nicht gegeben. Entgegen dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten liegt in der Missachtung der Vollmacht aber auch keine Verfahrenshandlung gegen einen Nichtbeteiligten, nämlich den Bevollmächtigten der Klägerin vor. Nichtbeteiligte sind Dritte, denen das Gesetz eine eigene verfahrensrechtliche Position einräumt, die aber nicht zur gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung berechtigt sind, zB Zeugen und Sachverständige wegen ihrer Entschädigung oder gesetzliche Vertreter bzw Bevollmächtigte, die in dieser Eigenschaft von der Behörde zurückgewiesen wurden (Keller aaO § 56a Rn 11 mwN). Vorliegend liegt der hier gerügte Verfahrensmangel indes in der behaupteten Nichtbeachtung der Vollmacht (vgl § 37 Abs 1 Satz 2 SGB X), indem die Beklagte ihr Schreiben vom 01.02.2020 direkt an die Klägerin versandt hat. Eine Verfahrenshandlung gegenüber dem Klägerbevollmächtigten ist nicht erfolgt, insbesondere hat die Beklagte dessen förmliche Zurückweisung nicht verfügt (LSG Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B, Rn 16, juris). Da § 56 Satz 2 SGG somit nicht einschlägig ist, verbleibt es bei der Regelung in § 56a Satz 1 SGG mit Folge, dass die Klage bereits unzulässig ist.

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es auch an dem für das formulierte Unterlassungsbegehren erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl dazu LSG Baden-Württemberg 15.10.2021, L 4 KR 645/21, Rn 24, juris), weil keine Wiederholung droht. Die Beklagte hat nach Einreichung der Vollmacht am 15.12.2020 ausweislich des Aktenvermerks vom 18.12.2020 die Bevollmächtigung in ihrem System vermerkt. Sie hat einmal das Schreiben vom 01.02.2021 direkt an die Klägerin gerichtet, dies als Versehen bezeichnet und sich ausdrücklich dafür entschuldigt. Ihr Schreiben vom 11.02.2021, mit dem sie dem Sachbegehren der Klägerin entsprochen hat, hat sie direkt an den Bevollmächtigten der Klägerin gerichtet.   

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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