Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27.01.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten aufgrund des Rentenantrags vom 14.12.2017 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1960 in der ehemaligen U geborene Kläger war dort im Bergbaubetrieb bis 17.08.1994 knappschaftlich erwerbstätig. Eine Ausbildung absolvierte er nicht. 1994 zog der Kläger in das Bundesgebiet und war ab Juni 1995 nicht knappschaftlich beschäftigt. Vom 04.10.1995 bis 31.01.2019 war der Kläger bei der A GmbH als Maschinenbediener tätig (siehe Auskunft des Arbeitgebers vom 27.06.2019). Für die Tätigkeit bedurfte es eine Anlernung/Einweisung von 2 Wochen (siehe Auskunft des Arbeitgebers vom 14.04.2014). Beim Kläger lag ein Prostatakarzinom vor, das im Dezember 2015 operativ behandelt wurde. Vom 02. bis 23.11.2016 befand sich der Kläger in stationärer medizinischer Rehabilitation in der P B. Im Entlassungsbericht vom 23.11.2016 gelangten die behandelnden Ärzte zu der Auffassung, dass der Kläger in seiner beruflichen Tätigkeit als Maschinenbediener nur noch unter 6 Stunden einsatzfähig sei; auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestünde aber ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Die Anträge auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 03.03.2014 und 02.05.2016 blieben erfolglos (Bescheide vom 05.06.2014 und 05.07.2016).
Am 14.12.2017 beantragte der Kläger erneut bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch S, die nach Aktenlage im Gutachten vom 20.02.2018 zu der Auffassung gelangte, der Kläger könne leichte körperliche Tätigkeiten in Wechselhaltung zwischen Stehen, Gehen und Sitzen in Tagesschicht vollschichtig verrichten. Zu vermeiden seien Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 8 kg, länger dauernde sitzende Tätigkeiten, häufige Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Knien, Hocken und Bücken, gehäufte Exposition gegenüber Erschütterungen und Vibrationen, Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr, inhalative Belastungen und Allergene, Nässe, Kälte und Zugluft, besonderer Zeit-, Leistung-und Erwartungsdruck und besondere Anforderungen an das Umstellung-und Anpassungsvermögen. Eine Toilette sollte in erreichbare Nähe sein.
Mit Bescheid vom 20.03.2018 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung oder auf eine Rente für Bergleute. Hiergegen erhob der Kläger am 20.04.2018 Widerspruch. Die Beklagte holte von der psychologischen H sowie von behandelnden Ärzten Befundberichte ein und veranlasste eine Begutachtung durch den K. Im Gutachten vom 19.10.2018 gelangte der Sachverständige zu der Auffassung, der Kläger könne leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig verrichten. Tätigkeiten in Horizontale und über Kopf, in Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und Arbeiten auf unebenen Böden sowie Tätigkeiten unter Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft seien zu vermeiden. Aus präventiven Gründen sei eine überwiegend sitzende Tätigkeit zu empfehlen. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2018 wies die Beklagte nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme der S vom 05.11.2018 den Widerspruch zurück. Der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Als Maschinenbediener sei der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, weshalb auch eine Berufsunfähigkeit nicht vorliege. Für einen Anspruch auf die Rente für Bergleute mangele es an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür.
Am 19.12.2018 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Das SG hat eine Auskunft des Arbeitgebers vom 27.06.2019 eingeholt und die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.
Der behandelnde S1 hat ausgeführt, dass dem Kläger ein leichte körperliche Tätigkeit vollschichtig möglich sei.
Die behandelnde H1 hat mitgeteilt, der Kläger sei nicht in der Lage, eine leichte Tätigkeit vollschichtig auszuüben. Der Kläger habe wiederholt versucht, Halbschicht mitzuarbeiten, was ihm kaum gelungen sei. Die Beschwerden hätten dabei massiv zugenommen. Der Kläger könne weder lange sitzen noch lange stehen noch in Zwangsposition arbeiten.
Der V hat ausgesagt, die Beschwerdesymptomatik habe sich schleichend verschlechtert, sodass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, auch nur einer geringfügigen Tätigkeit nachzugehen.
Der N hat mitgeteilt, als Folge der Prostataoperation liege beim Kläger eine persistierende Belastungsharninkontinenz vor, die das permanente Tragen von Einlagen erforderlich mache. Leichte körperliche Tätigkeiten seien unter Vermeidung von Kälte, Nässe und Zugluft unter vollschichtig möglich; dem Kläger müsste die Möglichkeit eingeräumt werden, die Einlagen in regelmäßigen Abständen zu wechseln.
Der behandelnde H2 hat ausgeführt, der Kläger könne körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen vollschichtig verrichten, wobei Tätigkeiten in kniender Stellung absolut zu vermeiden seien.
Der Kläger hat die Schweigepflichtsentbindungserklärung bezüglich B1 zurückgenommen.
Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme des W vom 06.08.2019 vorgelegt.
Das SG hat zunächst den W1 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Wegen einer -lediglich- angenommenen Vorbefassung und mangelnder Reisefähigkeit hat der Kläger um Bestellung eines Gutachters in V1 gebeten. Hierauf hat das SG S2 in V1 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Die behandelnde Psychologische H hat sich direkt an den Sachverständigen gewandt und den Sachverständigen im vitalen Interesse des Klägers gebeten, dessen Versehrtheit anzuerkennen und das Antragsverfahren zu unterstützen. Es gebe keine Alternative zur Berentung. Eine neuerliche Ablehnung würde das Leiden des Klägers wieder nur verlängern und sei deshalb auch in ethischer Hinsicht nicht vertretbar. Der gerichtliche Sachverständige S2 hat unter Übersendung des Schreibens das SG um Mitteilung gebeten, ob es berücksichtigt werden solle. Die versuchte Einflussnahme habe ihn irritiert. Aufgrund der Corona-Pandemie seien seine Begutachtungen momentan ausgesetzt. Auf Wunsch des Klägers hat der V ohne gerichtlichen Auftrag dem SG einen kurzen Zwischenbericht über den Gesundheitszustand des Klägers unter dem 02.04.2020 übersandt. Der Kläger hat aus dem Schreiben des Sachverständigen S2 auf dessen Befangenheit geschlossen. Der Sachverständige sei unter Einhaltung von Vorkehrungen trotz der Corona-Krise nicht daran gehindert, Gutachten durchzuführen. Der Kläger sei nicht bereit, zum bestellten Sachverständigen zu gehen. Das SG hat den Gutachtensauftrag an S2 zurückgenommen und auf Wunsch des Klägers L in U1 von Amts wegen zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt.
Im Gutachten vom 24.09.2020 hat der gerichtliche Sachverständige L eine rezidivierende depressive Störung und Angst, ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden, vertebragene Kopfschmerzen, Lumbalgien und Ischialgien (L5 Reizsymptomatik links), ein operiertes Prostatakarzinom und Folgen und eine Schlafapnoe diagnostiziert. Eine quantitative Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit sei nicht zu begründen. Die vorliegende leichte bis mittelschwere depressive Störung lasse Arbeiten unter Zeitdruck und unter hoher Verantwortung und mit besonderer Anforderung an das Auffassungs- und Umstellungsvermögen bzw. an die Konzentration nur in Teilen zu. Arbeiten im Kundenverkehr seien nur begrenzt möglich. Das Wirbelsäulensyndrom begründe das notwendige Vermeiden von schwerem Heben und Tragen von Lasten, Arbeiten in Nässe und Kälte, Überkopfarbeiten und Arbeiten in Zwangshaltung (ständiges Stehen oder Sitzen, ohne die Möglichkeit, umherzugehen). Die Inkontinenzproblematik erfordere die Verfügbarkeit einer Toilette. Aufgrund der Einengung des Mittelhandnerves sei das Hantieren mit schweren Gegenständen, das Halten und Montieren, wie auch feinmotorische Tätigkeiten beeinträchtigt. Der Kläger sei in der Lage, 500 m in 20 Minuten auch mehrfach täglich zurückzulegen. Er könne auch öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen. Der Gesundheitszustand lasse sich durch eine Anpassung der psychiatrischen, psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Intervention bessern.
Der Kläger hat das Gutachten aufgrund von Mängeln als nicht verwertbar erachtet. Der gerichtliche Sachverständige habe Gesundheitsstörungen, unter anderem das Asthma bronchiale, eine Bindegewebeschwäche und einen Bluthochdruck ignoriert.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.01.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei gerichtet auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, nicht auf eine Rente für Bergleute. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 20.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2018 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Er sei in der Lage, vollschichtig Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung benannter qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten. Das SG hat sich auf die Gutachten des K und des L gestützt. Auch die behandelnden S1 und H2 bestätigten ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Die Einschätzungen der behandelnden Psychologin und des V seien nicht überzeugend. Die internistischen und urologischen Diagnosen stünden einer leichten Tätigkeit nicht entgegen. Es liege weder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Die Wegefähigkeit des Klägers sei erhalten. Der Kläger benötige wegen der Inkontinenz auch keine betriebsunüblichen Pausen. Nach der Arbeitsstättenverordnung seien Sanitärräume zur Verfügung zu stellen. Der Kläger könne übliche leichte Tätigkeiten, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Telefonieren, Kopieren, Scannen, Faxen und Ablegen verrichten, weshalb keine Zweifel an der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestünden. Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht, da der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, da die verrichtete Tätigkeit lediglich eine Anlernzeit von 2 Wochen erfordert habe.
Gegen den dem Kläger am 03.02.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 02.03.2021 Berufung eingelegt und einen Bericht des H3 vom 20.01.2021, einen Bericht des Hautarztes vom 26.02.2021, einen Bericht der H4 vom 05.08.2021 an das Landratsamt W1, einen Bericht des H5-Klinikums vom 08.10.2021, einen Bericht vom 13.01.2022 über ein am 12.01.2022 durchgeführtes MRT sowie einen Bericht vom 09.02.2022 über ein am 08.02.2022 durchgeführtes MRT der linken Schulter vorgelegt. Er leide unter einer Vielzahl von Erkrankungen, weshalb er erwerbsgemindert sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27.01.2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Dezember 2017 zu gewähren,
hilfsweise ein Obergutachten von Amts wegen im neurologisch/psychiatrischen Fachbereich mit Nebengutachten Orthopädie zu veranlassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend. Sie hat beratungsärztliche Stellungnahmen der R vom 17.08.2021, 08.02.2022 und 24.02.2022 vorgelegt.
Der Senat hat nach § 109 SGG das Gutachten des N1 vom 22.07.2021 eingeholt. Der gerichtliche Sachverständige hat eine mittelgradige depressive Episode, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, ein chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule, degenerativen Veränderungen und operativ behandelter Rezessusstenose in Höhe LWK4/5 und ein chronisches Schmerzsyndrom der Halswirbelsäule mit Zervicobrachialgien beidseits diagnostiziert. Aufgrund der gravierenden depressiven Symptomatik i. V. m. dem chronischen Schmerzsyndrom und der bestehenden Harninkontinenz sei der Kläger nicht mehr in der Lage, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Auch leichte körperliche Tätigkeiten könne der Kläger nur noch weniger als 3 Stunden täglich an 5 Tagen in der Woche verrichten. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von über 500 m zu Fuß in jeweils 15 Minuten zurückzulegen.
Auf Antrag nach § 109 SGG hat der gerichtliche Sachverständige N1 eine ergänzende gutachtliche Äußerung vom 04.11.2021 abgegeben. Eine Validierung sei nicht erforderlich gewesen, da er ausreichend Belege für eine depressive Erkrankung gehabt habe. Es könne von verschiedenen stattgehabten Therapien ausgegangen werden; die Erkrankung sei chronisch. Er halte an seiner gutachterlichen Einschätzung fest.
Der Senat hat vom Chefarzt der H5-Kliniken K1 eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage vom 14.12.2021 eingeholt, wonach beim Kläger aufgrund einer diagnostischen Koronarangiografie eine koronare Herzerkrankung ausgeschlossen werden konnte. Trotz einer globalen Herzinsuffizienz mit nur leichtgradiger Beeinträchtigung der Herzleistung seien dem Kläger leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig zumutbar. Unter dem 17. 02.2022 hat er ausgesagt, aufgrund des Cardio-MRT-Befundes vom 12.01.2022 ergebe sich das Bild einer primär hypertrophen Cardiomyophatie einhergehend mit den schon beschriebenen leichtgradig eingeschränkten linksventrikulären Funktion. Zur Objektivierung werde eine Spiroergometrie empfohlen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143, 144 und 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund des Rentenantrages vom 14.12.2017. Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert.
Nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist eine von der Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid ebenfalls abgelehnte Rente für Bergleute. Bereits die Klage zum SG hat sich nur noch auf die Rente wegen Erwerbsminderung bezogen, was angesichts der knappschaftlichen Tätigkeiten nur bis 17.08.1994 und der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch nachvollziehbar ist.
Der Senat verweist hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen für den geltend gemachten Anspruch sowie wegen der Beweiswürdigung auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid und sieht von einer erneuten Darlegung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.
Ergänzend ist auszuführen, dass auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren eine Erwerbsminderung des Klägers nicht nachgewiesen hat.
Nicht folgen konnte der Senat dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen N1. Zwar hat der gerichtliche Sachverständige eine mittelgradige depressive Episode, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, ein chronisches Schmerzsyndrom der Lenden und der Halswirbelsäule diagnostiziert und wegen der gravierenden depressiven Symptomatik i. V. m. dem chronischen Schmerzsyndrom und der bestehenden Harninkontinenz den Kläger nicht mehr in der Lage gesehen, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies überzeugt aber nicht. Der gerichtliche Sachverständige N1 hat die angenommene gravierende depressive Symptomatik und das Schmerzsyndrom in ihrem Ausmaß nicht zur Überzeugung des Senats darlegen können. So fehlt bereits eine überzeugende Begründung dafür, weshalb der gerichtliche Sachverständige im psychischen Befund von einer erheblichen Antriebsstörung und einer ausgeprägten depressiven Verstimmung mit reduziertem affektiven Schwingungsvermögen ausgehen konnte. Die Angaben des Klägers haben zwar auf eine ausgeprägte Antriebsstörung i. V. m. einer Interessen- bzw. Motivationslosigkeit, soziale Rückzugstendenzen, eine Anhedonie sowie Ein- und Durchschlafstörungen schließen lassen. Eine kritische Prüfung dieser Angaben findet sich aber nicht. Es finden sich auch keine begründenden Ausführungen dazu, weshalb eine mittelgradige depressive Episode nachgewiesen sein soll, obwohl das Selbstbeurteilungsinstrument des Beck-Depressions-Inventars (BDI) mit 42 Punkten eine schwere depressive Störung und die Fremdbeurteilungsskala Hamilton Depression Rating Scale (HDRS) lediglich eine leichte Störung ergeben hat. Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, dass der gerichtliche Sachverständige N1 zwei psychometrische Tests zur Diagnostik durchgeführt, aber auf Beschwerdevalidierungstests verzichtet hat, obwohl bereits aus den Beweisfragen hervorgeht, dass der Einfluss der Gesundheitsstörungen auf das Leistungsvermögen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (Nachweis) erwiesen sein muss. Hierfür reicht es nicht aus, sich auf die Angaben des Versicherten zu verlassen, zumal L bereits schlüssig und nachvollziehbar darauf hingewiesen hat, dass seine Ergebnisse der Selbstbeurteilungsskalen nicht mit der Verhaltensbeobachtung, dem Beschwerdevortrag und der Aktenlage vereinbar gewesen sind. Der Cut-Off-Wert des Strukturierten Fragebogens Simulierter Symptome (SIMS) war bei L deutlich überschritten, sodass sehr wohl Anlass dafür bestanden hat, die Angaben des Klägers kritisch zu prüfen und Beschwerdevalidierungstests durchzuführen. Nicht in Übereinstimmung zu bringen ist auch die Annahme einer gravierenden psychischen Erkrankung mit der nur unzureichenden Behandlung. So war der Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen zuletzt 2009 in stationärer, allerdings nur psychosomatischer Behandlung (s. Bl. 75 der Akten des Landessozialgerichts Baden-Württemberg [LSG]) und bei der Psychologischen H lediglich von 2012-2019 in Behandlung gewesen (s. Bl. 80 der Akten des LSG). Der gerichtliche Sachverständige gibt zwar an, dass der Kläger seit April 2009 wegen depressiver Beschwerden bei V in Behandlung gewesen sei. Nähere Angaben zu Behandlungsintensität finden sich aber nicht. Aus der sachverständigen Zeugenaussage des V vom 08.07.2019 ergibt sich allerdings, dass der Kläger seit Rentenantragstellung lediglich viermal dort vorstellig geworden ist. Aus den beigefügten Befundberichten ergibt sich kein gravierender psychischer Befund. Die Untersuchung am 18.05.2018 erfolgte lediglich wegen eines Kapitaltunnelsyndroms. Der psychische Befund (am 27.06.2018: Wach, orientiert, Stimmung etwas gedrückt, Antrieb gemindert, Grübelneigung; am 12.10.2018: Wach, orientiert, Stimmung gedrückt, dysthym, enttäuscht, Antrieb gemindert, ängstlich, nicht psychotisch, Versterbewünsche, aber glaubhaft nicht akut suizidal, erschöpft wirkend - eine antidepressive Medikation wurde vom Kläger abgelehnt; zuletzt am 01.07.2019: Wach, orientiert, Stimmung gedrückt, enttäuscht, angespannt - eine antidepressive Therapie, z.B. mit Elontril solle wenn überhaupt regelmäßig eingenommen werden) war nicht schwerwiegend und sogar rückläufig. Soweit der gerichtliche Sachverständige davon ausgeht, dass der Kläger das Antidepressivum Escitalopram einnimmt, verlässt er sich lediglich auf die Angaben des Klägers, ohne dies zu überprüfen. Beim gerichtlichen Sachverständigen L konnte der Kläger kein Antidepressivum benennen, das er einnimmt. Dann wäre eine pharmakologische Testung angezeigt gewesen, zumal der Kläger die fehlende pharmakologische Testung bei L gerügt hat (Schriftsatz vom 10.11.2020).
Auch auf anderen Fachgebieten lässt sich ein untervollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten nicht nachweisen. Das SG hat überzeugend dargelegt, dass trotz der orthopädischen und neurologischen Erkrankungen, aber auch trotz des Zustandes nach Prostatakrebsoperation mit Belastungsharninkontinenz, des Asthma bronchiale und des Schlafapnoesyndroms leichte Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen vollschichtig zumutbar sind. Auch die globale Herzinsuffizienz steht einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit des Klägers für leichte körperliche Tätigkeiten nicht entgegen. Der sachverständige Zeuge K1 vom H5-Klinikum hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die diagnostische Koronarangiografie eine koronare Herzkrankheit ausschließen konnte. Da die Untersuchung nur eine leichte Beeinträchtigung der Herzleistung ergeben hat, hat der sachverständige Zeuge schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig zumutbar sind. Der Bericht vom 13.01.2022 über das MRT ergab lediglich das Bild einer hypertrophen Kardiomyopathie. Die R hat unter dem 08.02.2022 und 24.02.2022 schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass hieraus nur eine leichte Einschränkung der Herzfunktion resultiert, die keine Einschränkung für leichten Tätigkeiten mit sich bringt. Zu vermeiden sind Nacht- und Wechselschichttätigkeiten, hohe Anforderungen an die Stresstoleranz, Verantwortung für Personen und Maschinen, Überwachungsarbeiten und Tätigkeiten mit häufigem Gehen. Aus dem Bericht der H4 vom 5.08.2021 ergibt sich eine medikamentös gut eingestellte Hypertonie. Die behandelnde Ärztin hat die Koronarangiografie (s. o.) empfohlen, da der Kläger bei ihr die Ergometrie vorzeitig abgebrochen hat. Die Exzision des knotigen Basalioms an der rechten Wange durch den L1 (s. Bericht vom 26.02.2021) ist komplikationslos verlaufen und erfordert lediglich eine halbjährliche Kontrolle, sodass Leistungseinschränkungen hieraus nicht folgen. Die von H3 im Bericht vom 20.01.2021 attestierte Arbeitsunfähigkeit ist rentenrechtlich irrelevant. Eine Einschränkung für vollschichtige leichte körperliche Tätigkeit unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen lässt sich hieraus nicht ableiten.
Ergänzend zu den überzeugenden Ausführungen des SG ist noch anzumerken, dass eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit auch durch die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen N1 nicht erwiesen ist. Der gerichtliche Sachverständige hat keine Begründung für die Annahme gegeben, dass der Kläger nicht in der Lage sei, viermal täglich eine Wegstrecke von über 500 m zu Fuß jeweils 15 Minuten zurückzulegen. Sollte sich der gerichtliche Sachverständige insoweit auf die Angaben des Klägers verlassen haben, die Rückenschmerzen würden in die Arme und in die Beine ausstrahlen, seien täglich vorhanden und die Schmerzintensität betrage 8/10, ist auch diesbezüglich eine Beschwerdevalidierung, z. B. durch einen begleiteten Gehtest, nicht erfolgt. Die Beratungsärztin der Beklagten Rückert hat unter dem 17. August 2021 schlüssig ausgeführt, dass die vom Sachverständigen angegebene schmerzbedingte leichte Einschränkung der Gehfähigkeit auch in Anbetracht der Anamnese die Leistungsbeurteilung nicht plausibel ableitet. Der Sachverständige K sowie der gerichtliche Sachverständige L haben für den Senat anhand der erhobenen Befunde überzeugend dargelegt, dass die rentenrelevante Wegefähigkeit des Klägers erhalten ist.
Das SG hat auch zutreffend dargelegt, dass weder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt und eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bereits daran scheitert, dass der Kläger keinen sogenannten Berufsschutz genießt.
Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nicht erforderlich. Weder die vom Kläger beantragte Einholung eines Obergutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet noch die Einholung eines Gutachtens auf orthopädischem Fachgebiet waren erforderlich. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet liegt ein überzeugendes Gutachten des L vor, der vom Kläger sogar als gerichtlicher Sachverständiger vorgeschlagen worden ist. Weder der Umstand, dass N1 von der Beurteilung des L abweicht noch der Umstand, dass die beratungsärztliche Stellungnahme der R vom 17.08.2021 dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen N1 nicht folgen konnte, erfordert, dass ein Obergutachten einzuholen ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, § 103 Rdnr. 11c). Im Übrigen hat auch der gerichtliche Sachverständige N1 weitere Ermittlungen nicht für erforderlich gehalten und das orthopädische Gutachten des K für überzeugend erachtet. Nachdem der Senat vom Chefarzt des H5-Klinikums sachverständige Zeugenaussagen eingeholt hat, wonach dem Kläger schlüssig und nachvollziehbar leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig zumutbar sind, ist auch die Einholung eines internistisch-kardiologischen Gutachtens mit Spiroergometrie von Amts wegen nicht erforderlich. Die R auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die Herzerkrankung leichten Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen nicht entgegensteht; hierfür bedarf es keiner Spiroergometrie.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Berchtold, Kommentar zum SGG, 6. Auflage, § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a. A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 13. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 5948/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 805/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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