L 10 U 4348/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 1906/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4348/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21.11.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.01.2015 streitig.

Die 1994 geborene Klägerin war zur Zeit des angeschuldigten Ereignisses bei der B, A K versicherungspflichtig beschäftigt. Am 05.01.2015 erlitt sie nach Dienstende auf dem Weg von ihrer Arbeitsstelle nach Hause kurz nach 18 Uhr einen Verkehrsunfall. Während ihrer Fahrt auf der Bundesstraße überfuhr sie die Mittellinie, geriet hierbei in den Gegenverkehr, streifte ein entgegenkommendes Fahrzeug, kam anschließend nach links von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum (Verkehrsunfallanzeige des Polizeipräsidiums K, Bl. 112 VA). Hierdurch wurden beide Front-Airbags ausgelöst. Nach dem Verkehrsunfallbericht der zuständigen Polizeidienststelle habe die Klägerin nach Zeugenaussagen unmittelbar nach dem Unfall, nachdem man zu ihr geeilt und sie aus dem Pkw ausgestiegen sei, leicht benommen gewirkt und ihnen gegenüber gesagt, dass sie etwas im Radio gesucht habe und deshalb in den Gegenverkehr geraten sei. Vor Ort machte die Klägerin keine Angaben zum Unfallhergang. Ausweislich des den Bericht erstattenden Polizeiobermeister K1 machte die Klägerin auf diesen einen sehr gefassten Eindruck und klagte nur über leichte Schmerzen an der Nase wegen der Auslösung des Airbags. Er dokumentierte eine leichte Verletzung in Form einer Prellung von Nase und Lippe.

Die Klägerin suchte noch am Unfalltag gegen 20 Uhr den V im H-Klinikum R auf, dem gegenüber sie angab, ihr sei der auslösende Airbag gegen die Nase geprallt. V diagnostizierte eine Prellung der „Lumbosakralgegend“ und des Beckens sowie eine oberflächliche Verletzung der Nase. Bei der Untersuchung war die Klägerin wach, ansprechbar, allseits orientiert und zeigte „weder klinisch noch anamnestisch eine Commotio-Symptomatik“. Sie gab einen Druckschmerz am Nasenrücken an und es bestand eine diskrete lokale Schwellung ohne Behinderung der Nasenatmung, Dyspnoe oder Achsabweichung. Im Bereich der mittleren und unteren Lendenwirbelsäule (LWS) gab die Klägerin einen Druck- und Bewegungsschmerz an, eine Prellmarke wurde nicht festgestellt. Die Wirbelsäulenbeweglichkeit war nicht eingeschränkt. Die Klägerin zeigte keine peripheren neurologischen Defizite, sie war kreislaufstabil und selbstständig mobil. Röntgenologisch zeigten sich keine Hinweise auf frische knöcherne Läsionen. Die sonographische Untersuchung ergab keinen Hinweis für intrathorakale oder intraabdominelle Organverletzungen.

Wegen seit dem Unfall bestehender Arbeitsunfähigkeit bezog die Klägerin nach Entgeltfortzahlung durch die Arbeitgeberin und nach entsprechendem Generalauftrag der Beklagten gegenüber der AOK Baden-Württemberg vom 17.02.2015 bis 10.03.2015 Verletztengeld.

Da in der Folgezeit keine weiteren ärztlichen Bescheinigungen bei der Beklagten eingingen, ging diese zunächst davon aus, dass die unfallbedingte Behandlung abgeschlossen sei.

Im Januar 2016 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und teilte mit, dass sie seit dem Unfall Anfälle habe, die lange als Trauma behandelt worden seien. Im Uklinikum F sei im November 2015 festgestellt worden, dass durch den unfallbedingten Aufprall des Airbags im Gesicht der rechte Frontallappen des Gehirns verletzt worden sei. Wegen dieser Anfälle sei sie seit dem Unfall durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Aus den daraufhin von der Beklagten beigezogenen Unterlagen ergibt sich Folgendes:

Die Klägerin wurde am 23.01.2015 von dem P untersucht, der eine psychogene Reaktion diagnostizierte und ein Schädel-Hirn-Trauma ausschloss. Die Klägerin gab dort an, als Kleinkind einen Fieberkrampf gehabt zu haben. Die Klägerin befand sich im Juli 2015 ambulant und sodann vom 08.09.2015 bis 24.09.2015 zur stationären Behandlung in der Akutabteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Lklinik, in der eine Agoraphobie mit Panikstörung diagnostiziert wurde und der Verdacht auf (V.a.) eine dissoziative Störung und auf eine histrionische Persönlichkeitsakzentuierung geäußert wurde (Anamnese: Fieberkrämpfe mit 9 Monaten, deswegen stationärer Aufenthalt). Im Oktober und November 2015 wurde die Klägerin von dem Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie G behandelt, der „Z. B. dissoziative Amnesie, Z. B. dissoziative Fugue“ diagnostizierte. Vom 06. bis 13.11.2015 war die Klägerin zur stationären Akutbehandlung in der V1 Klinik, Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, in der eine Panikstörung diagnostiziert, der V. a. dissoziative Anfälle geäußert und als Differentialdiagnose (DD) eine Frontallappenepilepsie (EEG vom 09. und 11.11.2015: Normalbefund) erwogen wurde.

Die Klägerin wurde in der Klinik für Neurochirurgie, Abteilung für Prächirurgische Epilepsiediagnostik des Uklinikums F behandelt, in der am 15.10.2015 der V.a. dissoziative Anfälle geäußert und die DD strukturelle Epilepsie mit vegetativer Aura und dyskognititven Anfällen mit ambulatorischem Verhalten geäußert wurde und in der während der stationären Behandlung vom 30.11. bis 11.12.2015 die Diagnosen einer strukturellen Epilepsie mit hypermotorischen Anfällen und Hippokampussklerose rechts (MRT vom 07.12.2015; Video-EEG-Monitoring vom 30.11. bis 03.12.2015: drei Anfälle, am ehesten als Frontallappen-Anfälle einzuordnen) gesichert wurden. Bei der ambulanten Kontrolluntersuchung am 03.03.2016 führten die Ärzte der Klinik aus, dass es durch Beginn einer antikonvulsiven Therapie zu einem Rückgang der Anfallsfrequenz und
-intensität gekommen sei, die Klägerin jedoch kognitive Einbußen verspüre. Die Klägerin befand sich dort erneut vom 04. bis 26.08.2016 zur Optimierung der antiepileptischen Medikation in stationärer Behandlung, nach der die von dort bisher gestellten Diagnosen bestätigt (HirnPET/CT vom 05.08.2016: geringer bis moderater, etwas rechtsbetonter Hypometabolismus der rostralen Temporallappen beidseits) und die Diagnose nicht-epileptischer, dissoziativer Anfälle gestellt wurden.

Vom 05. bis 18.11.2016 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung der Neurologischen Klinik des H-Klinikums, in dem die Diagnosen dyskognitive und hypermotorische Anfälle bei symptomatischer Epilepsie, Hippokampussklerose rechts, aktuell infektgetriggerte Anfallshäufung im Rahmen einer Pyelonephritis beidseits sowie einer Harnwegsinfektion und dissoziative Anfälle gestellt wurden.

In dem von der Beklagten beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse sind Arbeitsunfähigkeitszeiten im April 2012 und im September 2014 wegen Synkope und Kollaps sowie im November 2014 wegen einer Kopfprellung dokumentiert.

Auf Anforderung der Beklagten und nach Auswertung der medizinischen Unterlagen führte der Facharzt für Nervenheilkunde und Chefarzt der Neurologischen Abteilung der Klinik A1, B1, W in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 17.01.2017 aus, dass bei der Klägerin keine amnestische Störung nach dem Unfallhergang vom 05.01.2015 vorgelegen habe. Vielmehr sei die Klägerin nachweislich im Stande gewesen, dem Durchgangsarzt alle Angaben zum Unfallablauf zu tätigen, sie sei ansprechbar, allseits orientiert, kreislaufstabil und selbstständig mobil gewesen. Insofern könne von einer unfallbedingten dissoziativen Amnesie keine Rede sein. Auch habe die Versicherte nach dem durchgangsärztlichen Befund keinerlei Hinweise auf eine Gehirnerschütterung oder gar schwererwiegende Schädel-Hirn-Verletzung geboten. Lediglich der Nasenrücken habe sich leicht geschwollen gefunden. Hierzu habe die Klägerin auch den Grund angeben können, nämlich das Aufgehen des Airbags. Es gebe daher keinerlei Hinweise auf eine unfallbedingte Hirnschädigung oder psychische Primärschädigung im zeitlichen Anschluss an den Unfall. Im Kindesalter hätten schon Fieberkrämpfe stattgefunden und stellten ein unfallunabhängiges Leiden dar, ebenso wie die von den Neurochirurgen in der Uklinik F beschriebenen MRT-Veränderungen im Sinne einer Hippokampussklerose. Insofern seien auch die epileptischen Anfälle nicht mit Unfallfolgen zu begründen. Als Unfallfolgen seien daher zu bezeichnen: eine oberflächliche Prellung der Nase ohne begleitendes Schädel-Hirn-Trauma, Prellung der Lumbosakralregion und des Beckens. Unfallunabhängig bestünden epileptische Anfälle bei anamnestisch bekannten Fieberkrämpfen im Kindesalter und sklerotischen Veränderungen der Hippokampushirnregion rechts.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2017 die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles ab.

Hiergegen hat die Klägerin am 07.08.2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Reutlingen mit dem Begehren der Gewährung einer Verletztenrente ab 28.01.2016 erhoben.

Das SG hat den die Klägerin behandelnden G1 schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat mitgeteilt, die Klägerin habe am 13.11.2014 angegeben, dass sie am Vortag gestürzt sei und sich eine kleine Prellung am Kopf zugezogen habe. Lokal habe sich rechts frontal eine ca. 2 Eurostück große Hämatomschwellung gezeigt, ohne weitere Verletzungszeichen. Eine Sturzursache habe die Klägerin nicht nennen können. Danach hätten sich zunächst keine körperlichen oder neurologischen Defizite gezeigt. Inwieweit dieses Ereignis bereits als Erstmanifestation des Krampfleidens gewertet werden könne, sei - so G1 - im Nachhinein wohl nicht mehr zu evaluieren. Die Klägerin sei nach dem Unfall vom Januar 2015 „erneut auffällig“ geworden. Im Epilepsiezentrum des Uklinikums F sei retrospektiv der Verdacht geäußert worden, dass das Unfallereignis mit einem epileptischen Anfall in Verbindung gestanden habe. Unter adäquater medikamentöser Therapie sei es dann Ende des Jahres 2015 zu einer deutlichen Verbesserung des Allgemeinzustandes gekommen.

Das SG hat von Amts wegen das Gutachten des L1 mit Schwerpunkt Epileptologie des Uklinikums T, vom 05.04.2018 eingeholt, der nach Untersuchung der Klägerin am 26.03.2018 (bei der sie angegeben hat, dass der erste Anfall ca. 14 Tage nach dem Unfallereignis aufgetreten sei) eine fokale Epilepsie mit Déjà vu-Auren, hypomotorischen Anfällen und V. a. generalisierte tonisch-klonische Anfälle sowie dissoziative Anfälle diagnostiziert und ausgeführt hat, dass die dokumentierten und erhobenen Befunde im Wesentlichen zu einer Sklerose im Hippokampus passten. Diese Diagnose sei beim Video-EEG-Monitoring gesichert worden und nicht auf das Unfallereignis wesentlich ursächlich zurückzuführen. Für einen solchen Zusammenhang hätte - so L1 - ein höhergradiges Schädel-Hirn-Trauma vorliegen müssen. Hierfür würden sich jedoch weder aus den Unterlagen noch aus der Schilderung der Klägerin Hinweise ergeben. Darüber hinaus seien mehrere MRT-Untersuchungen erfolgt, welche keine posttraumatischen Veränderungen gezeigt hätten, wie dies im Rahmen einer posttraumatischen Epilepsie zu fordern sei. Im Gegenteil finde sich im MRT eine Hippokampussklerose rechts und im PET-CT ein Hypometabolismus in beiden Temporallappen. Diese Befunde seien nicht mit einer posttraumatischen Genese der Epilepsie vereinbar, sondern deuteten vielmehr auf eine klassische Temporallappenepilepsie hin, deren Ursache - wie auch hier - häufig ungeklärt bleibe. Passend hierzu seien auch die Merkfähigkeitsstörungen bei ansonsten normgerechter Testung. Im Hinblick auf die dissoziativen Anfallsereignisse ergebe sich ebenfalls kein Kausalzusammenhang zu dem Unfallgeschehen. Die primären Unfallfolgen, eine oberflächliche Verletzung der Nase sowie Druck- und Bewegungsschmerzen im Bereich der LWS, seien folgenlos abgeheilt. Sekundäre Unfallfolgen ergäben sich nicht. Daher ergebe sich auch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch Unfallfolgen.

Vom 10. bis 16.09.2018 hat sich die Klägerin in der Epilepsie-Monitoringeinheit der Klinik für Neurochirurgie des Uklinikums T zur invasiven Video-EEG-Ableitung mit stereotaktisch implantierten Tiefenelektroden befunden, wo die Diagnosen fokale Epilepsie mit emotionalen Auren und komplex-motorischen Anfällen mit Bewusstseinseinschränkung - Medikamentenresistenz -, MR-tomographisch Hippokampussklerose rechts und V.a. fokale Hirnaufbaustörung im rechten G. temporalis superior, Z.n. Verkehrsunfällen mit Airbag-Kontakt 01/2015 und 11/2013 gestellt wurden. R1 hat in dem Entlassungsbericht vom 17.09.2018 „angesichts der überwältigenden Mehrzahl der Anfälle mit Ursprung aus dem rechten Hippokampus“, der bildgebend auch verändert aussehe, eine rechtsseitige Amygdalo-Hippokampektomie einschließlich der Resektion des rechten Temporalpols empfohlen und zugleich einen unabhängigen linksseitigen Anfallsursprung in der Zukunft nicht sicher ausschließen können. Die empfohlene Operation ist am 26.11.2018 komplikationslos durchgeführt worden. Die Histologie hat den Befund einer Hippokampussklerose Typ 1 nach ILAE erbracht. Die Entlassung aus der stationären Behandlung ist am 04.12.2018 unter unveränderter antikonvulsiver Medikation erfolgt. Ende April/Anfang Mai 2019 hat eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in den SKliniken G2 stattgefunden. Die Klägerin ist von dort mit den Diagnosen psychogene Dyspnoe und Anpassungsstörung entlassen worden.

Das SG hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten der R1 vom 10.09.2019 (Tag der Untersuchung 08.05.2019) eingeholt. Diese hat eine fokale Epilepsie mit emotionalen Auren und nicht bewusst erlebten komplex-motorischen Anfällen diagnostiziert mit seit dem Eingriff am 26.11.2018 unter antikonvulsiver Therapie bestehender Anfallsfreiheit. Der rechte Hippokampus sei als Ursache der bis dato bestehenden epileptischen Anfälle anzusehen. Da aber auch ein epilepsietypisches Muster im linken Hippokampus aufgezeichnet worden sei, könne ein unabhängiger linksseitiger Anfallsursprung in der Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Es bestehe ein mittelschweres Defizit der Langzeitgedächtnisleistungen. Daneben bestehe eine Angststörung mit Zustand nach psychogener Dyspnoe und möglichen psychogenen Anfällen, aktuell in Remission, sowie eine Anpassungsstörung nach neurochirurgischem Eingriff am Gehirn, aktuell rückläufig. Postoperativ bestünden noch Narben der Kopfhaut nach Elektrodenimplantation und Kraniotomie. Bezüglich der Gesundheitserstschäden gehe sie - so R1 -, obwohl laut Durchgangsarztbericht eine Commotio-Symptomatik nicht habe festgestellt werden können, wegen der von der Klägerin berichteten und auch von Zeugen bereits am Unfallort bemerkten Amnesie für den Unfallhergang dennoch vom Vorliegen einer Commotio cerebri als primärer Gesundheitsstörung aus. Sie sehe daher die von ihr diagnostizierten Störungen allesamt als wesentlich ursächlich auf den Unfall zurückzuführen an. Vor dem Unfall seien keine dauerhaften Gesundheitsstörungen bekannt gewesen. Es seien weder epileptische Anfälle noch kognitive oder psychische Auffälligkeiten berichtet worden. Die bei der Klägerin festgestellte Hippokampussklerose sei eine der häufigsten Ursachen fokaler Epilepsien und könne verschiedene Ursachen haben. Der bei der Klägerin im Säuglingsalter aufgetretene Fieberkrampf stelle einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Epilepsie dar, wobei es bei unkomplizierten Fieberkrämpfen keine Evidenz für ein erhöhtes Risiko einer Hippokampussklerose gebe. Die von der Klägerin geschilderte Epilepsie der Schwester sei ein Hinweis auf eine familiäre genetische Prädisposition, wobei sich das hieraus resultierende Risiko ebenfalls nicht genau quantifizieren lasse. Auch Schädel-Hirn-Traumata könnten zu einer Epilepsie sowie zu einer Hippokampussklerose führen. Der Zeitpunkt des Auftretens der Epilepsie unmittelbar nach dem Schädel-Hirn-Trauma spreche am ehesten für eine „Second-Hit-Hypothese“, die besage, dass durch den Fieberkrampf und eine mögliche genetische Veranlagung eine Schadensanlage bestanden habe, die aber einer zusätzlichen Schadenseinwirkung, in diesem Fall in Form eines Schädel-Hirn-Traumas, bedurft habe, um den Schaden zu manifestieren. Bei der am 06.02.2015 durchgeführten MRT des Schädels sei im Übrigen noch keine Hippokampussklerose festgestellt worden, welche sich erst bei einer Untersuchung im Dezember 2015 gezeigt habe, was ein Hinweis für eine sekundäre Schädigung durch das Trauma sein könne. R1 hat die MdE analog des Grades der Behinderung eingeschätzt und für die bis zur OP am 26.11.2018 mit mindestens mittlerer Häufigkeit aufgetretenen epileptischen Anfälle eine MdE um 80 v.H., für die Zeit vom 27.11.2018 bis 19.05.2019 (Rekonvaleszenz nach Hirn-OP, mittelschwere Gedächtnisstörung, postoperative Anpassungsstörung, latente Epilepsie unter antikonvulsiver Therapie) eine MdE um 70 v.H. und ab 20.05.2019 (Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit; mittelschwere Gedächtnisstörungen, latente Epilepsie unter antikonvulsiver Therapie) eine MdE um 50 v.H. angesetzt.

Mit Urteil vom 21.11.2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 05.01.2015 keinen Anspruch auf Verletztenrente habe, da auf diesen Unfall keine dauerhaften Gesundheitsstörungen zurückzuführen seien. Die Klägerin habe durch den Unfall mittlerweile abgeheilte Prellungen im Bereich des Gesichtes und der Lumbal- und Beckenregion erlitten. Die bestehende Epilepsieerkrankung sei indes nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. Das SG hat sich insoweit nicht der Einschätzung der Sachverständigen R1 angeschlossen. Dies hat es ausführlich damit begründet, dass deren Gutachten nicht schlüssig sei, da sie von falschen Anknüpfungstatsachen ausgehe, wenn sie - fälschlicher Weise - annehme, dass bei der Klägerin durch den Unfall eine Commotio cerebri im Sinne einer strukturellen Verletzung des Gehirns (von ihr wie auch von L1 bezeichnet als notwendige Voraussetzung für die Entstehung einer Epilepsieerkrankung durch einen Verkehrsunfall) verursacht worden sei. Eine solche Erkrankung als Gesundheitserstschaden sei jedoch - so das SG - nicht im Vollbeweis gesichert. Im Gegenteil sei den zeitnah nach dem Unfall erhobenen Unterlagen keine Amnesie der Klägerin bezüglich des Unfalles zu entnehmen. Dem D-Arzt-Bericht des V sei zu entnehmen, dass die Klägerin bei der Untersuchung wach, ansprechbar, allseits orientiert gewesen sei und weder klinisch noch anamnestisch Zeichen einer Commotio-Symptomatik gezeigt habe. Die Klägerin habe dem Arzt gegenüber auch Angaben zum Unfallhergang machen können. Außerdem sei den Zeugenaussagen aus dem Polizeibericht zu entnehmen, dass die Klägerin wach und ansprechbar gewesen sei. Der Polizeibeamte habe einen eindeutig gefassten Eindruck der Klägerin vermerkt. Auch insoweit gebe es keine Anhaltspunkte für eine Bewusstlosigkeit. Zudem habe der Neurologe Pluto im Rahmen der zeitnah erfolgten Untersuchung am 23.01.2015 ein Schädel-Hirn-Trauma ebenso ausgeschlossen wie der Radiologe Dr. Nägele im MRT vom 06.02.2015. Das SG hat sich den Ausführungen von W angeschlossen und dargelegt, dass er zu Recht darauf hingewiesen habe, dass ein Fieberkrampf in der Kindheit und eine familiäre Disposition (Epilepsie-Erkrankung der Schwester) als Konkurrenzursache in Betracht zu ziehen seien. Mangels einer vollbeweislich gesicherten strukturellen Hirnverletzung greife in diesem Zusammenhang auch die von R1 geäußerte Second-Hit-Hypothese nicht. In der gesetzlichen Unfallversicherung sei ein Rückschluss von der Art und Schwere des Unfallereignisses auf den Gesundheitserstschaden nicht zulässig. Darüber hinaus hat sich das SG den Ausführungen des Sachverständigen L1 angeschlossen, wonach die bildgebenden Aufnahmen keine posttraumatischen Veränderungen des Hirns zeigten und der Befund einer Hippokampussklerose und eines Hypermetabolismus in beiden Temporallappen nicht mit einer posttraumatischen Genese der Epilepsie vereinbar seien. Ergänzend hat das SG auf die im Vorerkrankungsverzeichnis dokumentierten Kollapse und Synkopen vor dem Unfall verwiesen. Der zwischen dem Auftreten der Epilepsie und dem Verkehrsunfall allein bestehende zeitliche Zusammenhang reiche, so das SG, für die Begründung der Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung allein nicht aus. Soweit bei der Bewertung der Anfälle mit Bewusstseinsverlust und inadäquatem Verhalten Uneinigkeit bestehe - L1 werte diese als dissoziative Anfälle im Sinne einer psychiatrischen Erkrankung, R1 ordne diese Anfälle der Epilepsie zu - könne eine Einordnung dahingestellt bleiben, da als Gesundheitserstschaden weder eine strukturelle Hirnverletzung noch eine psychiatrische Erkrankung gesichert sei und daher ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang mit dem Unfall in keinem Fall gegeben sei.

Die Klägerin hat am 20.12.2019 gegen das, ihren Prozessbevollmächtigten am 02.12.2019 zugestellte, Urteil Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21.11.2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente ab 28.01.2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.


II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 08.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2017, mit dem die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ablehnte.

Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die auf die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Verletztenrente gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist zulässig, aber unbegründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 08.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, da die Klägerin keinen Anspruch auf Verletztenrente hat.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die Rechtsgrundlage für eine Verletztenrente - § 56 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) - und die geltenden Kausalitätskriterien und sonstigen Grundsätze dargelegt sowie - gestützt auf das Sachverständigengutachten des L1 und die beratungsärztliche Stellungnahme des W - zutreffend ausgeführt und begründet, dass die Klägerin die Voraussetzungen für diese Leistung nicht erfüllt, weil durch den Arbeitsunfall vom 05.01.2015 über die 26. Woche hinaus keine Unfallfolgen verblieben sind und die bei der Klägerin zeitlich nach dem Arbeitsunfall diagnostizierte Epilepsieerkrankung nicht rechtlich wesentlich durch den Arbeitsunfall verursacht wurde. Das SG hat zudem zutreffend ausgeführt und begründet, dass und warum es dem Sachverständigengutachten der R1 nicht folgt. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragen hat, dass im Hinblick auf die klinisch erhobenen Befunde und der amnestischen Feststellungen für sie hinreichend gesichert sei, dass sie unfallbedingt „jedenfalls nachvollziehbar eine Gehirnerschütterung oder gar schwerwiegendere Schädelhirnverletzung“ erlitten habe, wodurch im zeitlichen Anschluss an das Unfallereignis wiederholt epileptische Anfälle verursacht worden seien, weist der Senat - wie bereits vom SG im angefochtenen Urteil dargelegt - darauf hin, dass der von V - im Tatbestand festgestellte - klinisch erhobene Erstbefund nebst Anamnese gut zwei Stunden nach dem Unfall gerade keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gehirnerschütterung (commotio cerebri) ergab, sondern eine solche vielmehr ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Klinisch zeigten sich gerade nicht Bewusstseinsstörung, Benommenheit, Amnesie, Kopfschmerz, Schwindel, Kreislaufstörung, Übelkeit und Erbrechen (als mögliche klinische Symptome einer commotio cerebri, vgl. Pschyrembel, 268. Auflage, S. 321), sondern die Klägerin war wach, ansprechbar, allseits orientiert und zeigte - nach den ausdrücklichen Ausführungen des V - auch sonst klinisch und anamnestisch keine Commotio-Symptomatik. Die Behauptung der Klägerin, in dem entsprechenden Arztbericht sei „ausdrücklich eine Schädelprellung und offene Verletzung im Gesicht (…) festgestellt“ worden, ist unzutreffend, so dass auch ihre weitere Argumentation dahingehend, dass es sich „bei einer Schädelprellung schlechthin um eine Gehirnerschütterung (…) und um ein Schädel-Hirn-Trauma“ handele und es diesbezüglich an einer Klassifikation des Schweregrades durch den Erstbehandler und den erstinstanzlich im gerichtlichen Auftrag beurteilenden Sachverständigen (gemeint: L1) fehle, ins Leere geht. Soweit die Klägerin ausgeführt hat, dass „ganz offenkundig“ im „erstmaligen Durchgangsarztbericht (…) der Hinweis und Rückschluss auf eine Commotio-Symptomatik schlicht versehentlich oder redaktionell nicht ausdrücklich mit aufgenommen“ worden sei, ist auch dies für den Senat in Anbetracht des ausdrücklichen Ausschlusses einer Commotio-Symptomatik durch V nicht nachvollziehbar. Der Erstschaden einer Gehirnerschütterung ist gerade nicht - wie vom SG zutreffend dargelegt - im Vollbeweis gesichert und hat daher auch nicht - wie die Klägerin meint - „unzweifelhaft“ bestanden. Auch die bloß hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Erstschadens reicht entgegen der Annahme der Klägerin nicht aus.

Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass (auch) im Hinblick auf die unmittelbar nach dem Unfallereignis vernommenen Augenzeugen und Ersthelfer vom Vorliegen einer Commotio-Symptomatik auszugehen sei (diese hätten berichtet, dass sie desorientiert gewirkt habe, benommen gewesen sei und keinerlei Angaben zum Unfallhergang habe machen können), stehen dem zum einen die Beobachtungen des POM K1 entgegen. Zum anderen wurde eine solche Symptomatik gerade nicht - wie dargelegt - ärztlicherseits bestätigt.

Soweit die Klägerin unter Vorlage des Berichtes über die MRT der HWS vom 06.03.2015, der bereits im Klageverfahren vorgelegt worden ist, vorgetragen hat, dass die dort befundete deutliche Steilstellung der HWS ein „weiterer“ Hinweis auf ein unfallbedingtes Schädel-Hirn-Trauma sei, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Denn zum einen erschließt sich schon nicht, warum aus einer Steilstellung - also einer Fehlstellung - der HWS eine (traumatische) Verletzung des Schädel-Hirn-Bereiches abzuleiten sein soll. Zum anderen haben weder die beiden gerichtlichen Sachverständigen noch die behandelnden Ärzte der Klinik für Neurochirurgie des Uklinikums T bei der ambulanten Untersuchung im Oktober 2015 in Kenntnis des MRT-Befundes der HWS darin Anhaltspunkte für eine unfallbedingte Schädigung der HWS oder des Schädel-Hirn-Bereiches (Bericht vom 15.10.2015, Bl. 75 ff. VA) gesehen.

Soweit sich die Klägerin schließlich auf das Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen R1 gestützt und vorgetragen hat, lediglich diese sei unter Darlegung verschiedener - von der Klägerin näher genannter - Aspekte nachvollziehbar zu der Einschätzung gelangt, dass sie durch den Unfall eine Gehirnerschütterung erlitten habe, die wiederum die wesentliche Ursache für die epileptischen Anfälle sei, überzeugt das Gutachten der R1 auch den Senat aus den vom SG dargelegten Gründen nicht. Soweit R1 ausgeführt hat, dass weder W noch L1 bei Annahme eines fehlenden Kausalzusammenhangs zwischen der Epilepsie und dem Unfallereignis „eine Erklärung dafür anbieten, warum sich die Epilepsie erstmals in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall“ manifestiert habe, verkennt sie - und auch die Klägerin - Folgendes:

Für die Begründung eines ursächlichen Zusammenhangs nach der vom SG dargelegten und angewandten Theorie der wesentlichen Bedingung reicht es nicht aus, dass die angeschuldigten Beschwerden erst zeitlich nach dem Unfall auftraten. Denn der ursächliche Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn kann nicht rein zeitlich begründet werden, sondern muss sachlich-inhaltlich nachvollziehbar sein. Dem entsprechend kann im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung auch nicht im Sinne eines Anscheinsbeweises aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung auf die berufliche Verursachung der Erkrankung geschlossen werden (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 34/03 R). Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Unfallfolgen positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R). Insbesondere gibt es noch nicht einmal die Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache und einem rein zeitlichen Zusammenhang die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG, a.a.O.). Hier stehen aber derartige Alternativursachen - die Fieberkrämpfe im Säuglingsalter, die genetische Veranlagung (Epilepsie der Schwester seit deren 9. Lebensjahr) - für die Epilepsieerkrankung der Klägerin im Raum (so sowohl W als auch grundsätzlich R1). Aktenkundig sind außerdem Synkopen der Klägerin vor dem hier streitigen Unfallereignis im April 2012 und September 2014 sowie Sturzereignisse ohne klare Ursache im Jahr 2009 (die Mutter der Klägerin gab gegenüber G im Oktober 2015 an, dass die Klägerin im Alter von 15 Jahren umgefallen und bewusstlos gewesen sei, vgl. Befundbericht G vom 15.03.2016) und im November 2014 (vgl. Auskunft G1). Zudem hat L1 schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die bildgebenden Befunde der Hippokampussklerose rechts und des Hypometabolismus in beiden Temporallappen gerade nicht mit einer posttraumatischen Genese der Epilepsie vereinbar sind. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren das Bestehen eines Fieberkrampfes im Kindesalter bestritten hat, weist der Senat darauf hin, dass ein solcher von ihr jedenfalls bei der Vorstellung bei dem P im Januar 2015 (Bl. 64 f. VA) als auch bei der Behandlung in der Lklinik im September 2015 (Bl. 82 ff. VA) angegeben wurden.

Schließlich ergibt sich auch aus dem im Berufungsverfahren vorgelegten Befundbericht der Klinik für Neurochirurgie des Uklinikums T über die jährliche Kontrolluntersuchung vom 10.06.2020 (Bl. 45 ff. der Senatsakte) keine andere Beurteilung, da darin nur der aktuelle Zustand beschrieben wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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