S 4 AS 347/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 4 AS 347/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 97/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Der Bescheid vom 13.01.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2017 wird aufgehoben.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch - SGB II - und die Erstattung von insgesamt 543,86 €. 

Die 1993 geborene Klägerin bezieht seit Mai 2011 fortlaufend SGB II-Leistungen von dem Beklagten. Bereits im Erstantrag vom 24.5.2011 gab sie an, dass sie Vermögen in Form von Fondsanteilen besitze. Sie besaß zu diesem Zeitpunkt 62,299 Anteile an dem Fonds "Invest Euroland" in einem Depot der C. Bank AG. Der damalige Wert dieser Anteile betrug 2.619,67 €. 

Im hier streitbefangenen Zeitraum bewilligte der Beklagte der Klägerin auf deren Antrag vom 23.4.2015 mit Bescheid vom 27.4.2015 SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1.5.2015 bis 30.4.2016. Mit Änderungsbescheid vom 26.5.2015 hob der Beklagte für die Zeit vom 1.7.2015 bis 30.4.2016 den vorangegangenen Bescheid teilweise auf und gewährte höhere SGB II-Leistungen. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 25.6.2015 wurden ebenfalls die vorangegangenen Bescheide teilweise aufgehoben und für die Zeit vom 1.7.2015 bis 30.4.2016 erneut höhere SGB II-Leistungen gewährt. Letztendlich wurden der Klägerin mit Bescheid vom 1.7.2015 unter Aufhebung der vorangegangenen Bescheide für die Zeit vom 1.5.2015 bis 30.4.2016 höhere SGB II-Leistungen gewährt.

Aufgrund eines Datenabgleichs nach § 52 SGB II erfuhr der Beklagte am 14.9.2016, dass die Klägerin im Jahr 2015 einen Kapitalertrag in Höhe von 776 € erzielt habe. Auf Nachfrage des Beklagten nach einem Nachweis für diesen Kapitalertrag, reichte die Klägerin eine Abrechnung der C. AG vom 6.5.2015 ein, woraus der Verkauf von 44,5 Anteilen mit einem Erlös von 2.500 € hervorging. Der Restbestand (9,676 Anteile) verblieb in dem Depot und wurde mit 543,60 € bewertet. Ferner reichte sie eine Steuerbescheinigung der C. Bank AG für das Kalenderjahr 2015 ein, worin Kapitalerträge i.H. v. 776,99 € angegeben waren. In einem weiteren Schreiben der Bank vom 28.11.2016, welches die Klägerin bei dem Beklagten einreichte, ging hervor, dass es sich bei dem Kapitalertrag i.H.v. 776,99 € um den realisierten Gewinn der Anteile handele, die die Klägerin am 6.5.2015 veräußert habe.

Daraufhin hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 12.12.2016 zur Überzahlung von SGB II-Leistungen an: Die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1.5. bis 30.9.2015 sei in Höhe von insgesamt 543,86 € gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) aufzuheben. Die Klägerin habe Einkommen erzielt, dies jedoch dem Beklagten nicht mitgeteilt. Die überzahlten Leistungen seien zu erstatten.

Die Klägerin nahm dazu Stellung und führte aus, dass die Summe von 776,99 € lediglich die Wertsteigerung der Fondsanteile darstelle, ihr diese Summe jedoch nicht in Geld zugeflossen, sondern in dem Verkaufserlös von 2.500 € enthalten sei, den sie für den Verkauf von Fondsanteilen am 6.5.2015 erzielt habe.

Mit Bescheid vom 13.1.2017 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1.5. bis 30.9.2015 in Höhe von insgesamt 543,86 € auf. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin im Mai 2015 aus dem Verkauf von Fondsanteilen 2.500 € erhalten habe. Die in diesem Betrag enthaltenen Kapitalerträge i.H.v. 776,99 € seien auf die die zu gewährenden SGB II-Leistungen anzurechnen. Die Klägerin habe den Erhalt der Einnahme dem Beklagten nicht mitgeteilt, so dass der Bewilligungsbescheid gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X teilweise aufzuheben sei und die Klägerin überzahlte Leistungen zu erstatten habe. 

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und wies erneut darauf hin, dass sie lediglich Einnahmen aus Verkauf der Fondsanteile erzielt habe, jedoch kein darüber hinausgehendes Einkommen. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.6.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er führte aus, dass er den Ausgangsbescheid, der sich auf § 48 SGB X stützte, in einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid nach § 45 SGB X umdeute. Der Bewilligungsbescheid sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Die Klägerin habe nicht angezeigt, dass sie im Mai 2015 Kapitalerträge in nicht unerheblicher Höhe erhalten habe. Die Rücknahme erfolge gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3. SGB X. Der Klägerin stehe kein Vertrauensschutz zu, da sie grob fahrlässig unvollständige bzw. falsche Angaben gemacht habe, die für die Leistungsbewilligung erheblich gewesen seien. Auch habe ihr klar sein müssen, dass vorhandenes Einkommen im Rahmen der Leistungsgewährung erheblich sei; die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung habe sich ihr aufdrängen müssen. 

Die Klägerin hat am 5.7.2017 beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben. Sie trägt vor, dass die Kapitalerträge i.H.v. 776,99 € nicht im Jahr 2015 erwirtschaftet worden seien, sondern über den gesamten Zeitraum der Geldanlage hinweg. Der Wert der Fondsanteile habe zum Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung innerhalb des Vermögenfreibetrages gelegen. Es dürfe lediglich das realisierte Einkommen aus Kapitalerträgen als Einnahme berücksichtigt werden, das nach erstmaliger Antragstellung auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II angefallen sei. Im Übrigen habe sie (die Klägerin) die aus dem Verkauf erzielten 2.500 € für die Deckung des Lebensunterhaltes verbraucht. Sie habe eine Einbauküche erworben und die für die Wohnung angefallene Mietkaution i.H.v. 702 € an den Vermieter geleistet.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.1.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.6.2017 aufzuheben. 

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,

Der Beklagte bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. 


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet 

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 13.1.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.6.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er war daher aufzuheben.

Entgegen der Auffassung des Beklagten war der von ihm teilweise aufgehobene Bewilligungsbescheid vom 1.7.2015 nicht rechtswidrig, so dass seine Teilaufhebung durch den angefochtenen Bescheid seinerseits rechtswidrig war. Auf den Bewilligungszeitraum vom 1.5. bis 30.9.2015 waren keine Einnahmen der Klägerin aus dem Verkauf der Fondsanteile anzurechnen.

1. Als Rechtsgrundlage für die von dem Beklagten vorgenommene Teilaufhebung kommt nach der gegebenen Sachlage vorliegend nur noch § 45 SGB X in Betracht. Der Beklagte hat sich im Ausgangsbescheid zwar zunächst auf § 48 SGB X, im Widerspruchsbescheid jedoch allein auf § 45 SGB X berufen. Während § 48 SGB X den Fall regelt, dass während des laufenden Bezuges von Leistungen eine Änderung eintritt und hierdurch der Verwaltungsakt rechtswidrig wird, betrifft § 45 SGB X den Fall, dass bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und der Begünstigte aufgrund dessen (höhere) Sozialleistungen bezogen hat.

Vorliegend ist § 45 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) grundsätzlich die richtigerweise anzuwendende Norm, denn maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung in der Zeit vom 1.5. bis 30.9.2015 ist der Bescheid vom 1.7.2015. Dieser Bescheid hob den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 27.4.2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26.5. und 25.6.2015 hinsichtlich des streitbefangenen Zeitraums auf und traf über den anteiligen Bewilligungszeitraum 1.5. bis 30.9.2015 eine neue, die Leistung erhöhende Entscheidung. Nach Auffassung des Beklagten sei dieser zum Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides vom 1.7.2015 bereits rechtswidrig gewesen, weil der Zufluss des Kapitalertrages in Höhe von 776,99 € im Mai 2015 erfolgt sei und damit die (hier unterbliebene) Anrechnung auf die gewährten SGB II-Leistungen auch bereits im Mai 2015 habe erfolgen müssen. Dem folgt die Kammer nicht.

2. Die Voraussetzungen für eine auf § 45 SGB X gestützte Aufhebung der durch den Bescheid vom 1.7.2015 erfolgten Leistungsbewilligung durch die im vorliegenden Klageverfahren angefochtenen Bescheide lagen nicht vor.

a) Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder unter nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3 SGB X nicht berufen, soweit

-    der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
-    er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Wegen § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III ist diese Rechtsfolge bei § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X zwingend. Danach gilt für Angelegenheiten nach dem SGB II, dass dann, wenn die in § 45 Abs. 2 S 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. 

b) Zur Überzeugung der Kammer greifen die vorgenannten Regelungen jedoch nicht zu Lasten der Klägerin ein, weil der maßgebende Bewilligungsbescheid vom 1.7.2015 nicht rechtswidrig ist; denn die von der Klägerin durch den Verkauf der Fondsanteile erzielten Einnahmen - und hier insbesondere die Kapitalerträge i.H.v. 776,99 € - sind aus Rechtsgründen nicht als Einkommen anzurechnen.

aa) Gemäß § 11 Abs. 1 SGB II sind Einnahmen in Geld - abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme und der in § 11a genannten Einnahmen - als Einkommen zu berücksichtigen. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift sind einmalige Einnahmen in dem Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. § 4 Nr. 3 Alg II-V stellt insoweit heraus, dass als Einkommen insbesondere auch Einnahmen aus Kapitalvermögen anzurechnen sind. Dass Kapitalerträge an sich als Einnahmen bei der Gewährung von SGB II Leistungen anzurechnen sind, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

So geht aus den Steuerbescheinigungen der C. AG über die Kapitalertragssteuer für die Jahre 2012 bis 2014 hervor, dass die Klägerin durch die von ihr innegehaltenen Fondsanteile Kapitalerträge in Höhe von 36,84 € (2012), 31,51 € (2013) und 27,46 € (2014) erwirtschaftet hat. Diese von der Klägerin erzielten Kapitalerträge sind unstreitig Einnahmen im Sinne von § 11 SGB II, sie waren jedoch in der Vergangenheit nicht anzurechnen, da gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 Alg II-V Einnahmen aus Kapitalvermögen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit sie 100 € kalenderjährlich nicht übersteigen. Das war hier der Fall.

Im Unterschied zu den zuvor benannten von der C. AG erteilten Bescheinigungen über die "jährlich erwirtschafteten Kapitalerträge" bei gleichbleibendem Vermögensstamm in Form der Fondsanteilen, resultieren die hier streitbefangenen Kapitalerträge nämlich aus dem Verkauf von Fondsanteilen, d.h. aus dem Vermögensstamm selbst. Es handelt sich insoweit nur um eine bloße Vermögensumschichtung von Fondsanteilen in Geldbeträge, so dass die Erlöse aus dem Verkauf dem Vermögensfreibetrag unterfallen und von daher nicht anzurechnen sind.

Grundsätzlich ist es so, dass im Bewilligungszeitraum erzielte Erlöse aus der Veräußerung von Gegenständen, die bereits vor Antragstellung zum Sach- und Rechtsbestand des Betroffenen gehörten, mangels wertmäßigen Zuwachses i. d. R. kein zu berücksichtigendes Einkommen i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II darstellen. Zwar fließen sie dem Veräußerer rein tatsächlich zu. Sie verändern aber nicht seine Vermögenslage, sondern treten lediglich als bloßes Surrogat an die Stelle des Gegenstandes, der sich bereits vorher in derselben Werthöhe im Vermögen befunden hatte. Es erfolgt damit lediglich eine Vermögensumschichtung. Wäre diese Vermögensumschichtung als Einkommen im Sinne des SGB II zu qualifizieren, so ergäbe sich die unbillige und vom Gesetz auch nicht gewollte Rechtsfolge, dass nunmehr auf einmal zuvor gem. § 12 Abs. 2 und 3 SGB II anrechnungsfreies geschütztes Schonvermögen dennoch zur Bestreitung des Lebensunterhalts einzusetzen wäre. Ob mit der Veräußerung eine Wertsteigerung (z. B. Spekulationsgewinn; Versteigerungsgewinn bei ebay) realisiert wird, ist - ungeachtet einer möglicherweise abweichenden steuerrechtlichen Behandlung - grundsätzlich unerheblich (Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB, Stand 1/16, § 12 SGB II, Rn 196, juris). Die Kammer schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Hessischen LSG an. Dieses führt in seinem Urteil vom 29.10.2012 – L 9 AS 357/10 – Rn 34, juris) dazu aus:

„Bei der Veräußerung dieser Vermögensgegenstände handelt es sich um eine Vermögensumschichtung. Ursprünglich handelte es sich um ein nicht selbst genutztes Hausgrundstück und damit um grundsätzlich zu berücksichtigendes Vermögen (vgl. § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II), dessen Surrogat die spätere Kaufpreisforderung wurde. Die Veräußerung eines Vermögensgegenstandes verändert normalerweise nicht den Vermögensbestand des Veräußerers. Der Kaufpreis stellt lediglich den Gegenwert für den Vermögensgegenstand dar, der sich bereits vorher in derselben Werthöhe im Vermögen des Veräußerers befunden hat. Es tritt mit anderen Worten lediglich eine Umschichtung unter den aktiven Vermögensbestandteilen ein (vgl. zur Arbeitslosenhilfe BSG, Urteil vom 20. Juni 1978 - 7 RAr 47/77 - BSGE 46, 271). Eine andere Beurteilung kann sich ergeben, wenn für eine Sache oder ein Recht ein Kaufpreis erlangt wird, der über dem Wert des veräußerten Gegenstandes liegt. In einem solchen Falle würde mit der Veräußerung ein Vermögenszufluss stattfinden, und zwar in der Höhe der Differenz zwischen dem wahren Wert des veräußerten Gegenstandes und dem (überhöhten) erzielten Preis. Da aber der Wert eines Gegenstandes sich danach bestimmt, was im Verkehr ggf. für ihn zu erlangen ist (Verkehrswert), könnte von einem solchen Gewinn nur dann ausgegangen werden, wenn der erzielte Preis für den Gegenstand außerhalb jeglicher normalen Schätzung liegt. Von einem solchen Fall kann bei der Prüfung, ob der Verkauf eines Gegenstandes einen Vermögenszufluss in dem oben gekennzeichneten Sinne bewirkt hat, nur dann ausgegangen werden, wenn für einen derartigen Sachverhalt ein gewichtiger Anhalt gegeben ist“.

bb) Dies zugrunde legend ist zunächst festzuhalten, dass der von der Klägerin erlangte Erlös aus dem Verkauf von Fondsanteilen i.H.v. 2.500 € als Ganzer unter dem Gesichtspunkt der Vermögensumschichtung nicht als Einnahme i.S.d. § 11 SGB II zu werten und demnach nicht anzurechnen ist.

Bei den Fondsanteilen, die die Klägerin besitzt bzw. besaß, handelt es sich um Schonvermögen im Sinne von § 12 Abs. 2 SGB II. Bereits zum Zeitpunkt des Beginns des Bezuges von SGB II-Leistungen, Mai 2011, besaß die Klägerin 62,299 Fondsanteile, die sie bei Antragstellung dem Beklagten bekannt gab und die mit einem damals aktuellen Wert von 2.619,67 € und weiteren Guthaben von Konten mit insgesamt 2.975,03 € (Bl. 33 Rs) in den Grenzen des Schonvermögens lagen. Der Grundfreibetrag betrug für die damals noch minderjährige Klägerin, die im Haushalt ihrer Mutter lebte, gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1a SGB II, als hilfebedürftiges minderjähriges Kind, 3.100 €. Zum Zeitpunkt der Weiterbewilligung ab 1.5.2015 besaß die Klägerin noch insgesamt 53,61 Fondsanteile. Durch den Verkauf von 44,5 Anteilen am 6.5.2015 erlangte sie 2.500 €. Insoweit fand eine Umschichtung des Vermögens statt und die erzielten 2.500 € sind als Surrogat vor der Verwertung geschützt.

Es sind auch nicht Teile des Verkaufserlöses bei der Leistungsgewährung anzurechnen. Stellt man zum einen darauf ab, dass die Fondsanteile im Laufe der Jahre eine Wertsteigerung erfahren haben, so ist dies unerheblich, wenn sich dies im „normalen Rahmen“ hält. Exorbitante Wertsteigerungen der Fondsanteile, die außerhalb jeglicher normalen Schätzung und Erwartbarkeit liegen, liegen hier – bei einem Vergleich des Wertes der im Mai 2011 vorhandenen Fondsanteilen mit den Werten zum Verkaufszeitpunkt - offensichtlich nicht vor. Darüber hinaus ist trotz Verkaufs der Fondanteile mit Wertsteigerung ein Überschreiten des in § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II genannten Grundfreibetrages nicht ersichtlich; denn die verbleibenden Fondsanteile haben lediglich einen Wert von 543,60 €, was zusammen mit dem Verkaufserlös von 2.500 € den Grundfreibetrag von 3.100 € noch nicht übersteigt.

Allein die Ausweisung eines Teil des Verkaufserlöses (= 776,99 €) als „Kapitalerträge“ begründet nicht die Rechtmäßigkeit der Anrechnung durch den Beklagten. Insoweit darf § 4 Nr. 3 Alg II-V nicht schematisch angewandt werden, nur weil formal „Kapitalerträge“ ausgewiesen werden. Der Beklagte hat bei Anrechnung der ausgewiesenen Kapitalerträge außer Acht gelassen, dass eine bloße Vermögensumschichtung stattgefunden hat und dass insoweit auch die Kapitalerträge ein Surrogat des geschützten Vermögens darstellen und sich deshalb eine Anrechnung verbietet. 

Ferner ist ergänzend zu beachten, dass bei jedem Weiterbewilligungsantrag, dass dann zu diesem Zeitpunkt bestehende Vermögen - sofern es die entsprechenden Grundfreibeträge nicht überschreitet - als solches anzuerkennen ist. Die Kapitalerträge, die mit dem Vermögen der Klägerin, den thesaurierenden Fondsanteilen, in den Jahren des SGB II-Bezuges erzielt wurden, wurden jährlich ausgewiesen. Sie betrugen zwischen 27 und 36 €. Aufgrund ihrer geringen Höhe wurden sie auf die SGB II-Leistungen nicht angerechnet. Dies bedeutet, dass bereits in den zurückliegenden Jahren erzielte Kapitalerträge während des SGB II-Bezuges mitberücksichtigt wurden, wenn auch nicht angerechnet. Die Ausweisung von 776,99 € des Erlöses als Kapitalerträge bezieht sich nun jedoch auf den gesamten Zeitraum des Innehabens dieser Fondsanteile seit ihrem Erwerb. Beachtet man dies und sieht die jährlich angefallenen um die 30 € liegenden Kapitalerträge ist klar ersichtlich, dass eine solche Summe nicht während des SGB II-Bezuges mit den Fondsanteilen der Klägerin erzielt werden kann. Als Kapitalertrag wäre allenfalls der zwischen dem 1.1.2015 und dem Zeitpunkt des Verkaufs der Anteile am 6.5.2015, erwirtschafteten Kapitalertrag bei der Leistungsgewährung zu berücksichtigen, der jedoch im Hinblick auf die für die letzten Jahre bescheinigten Kapitalerträge deutlich unter 100 € liegen würde und damit anrechnungsfrei wäre.

cc) Mithin sind die „Kapitalerträge“ i.H.v. 776,99 € nicht auf die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1.5. bis 30.9.2015 anzurechnen. Eine Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 1.7.2015 ist nicht gegeben.

Der Klage war daher in vollem Umfang zu entsprechen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.
 

Rechtskraft
Aus
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