L 1 KR 155/22 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 42 KR 66/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 155/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 13. April 2022 wird aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 29. September 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerinnen vom 26. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2020 sowie des Bescheides vom 7. Dezember 2021 wird angeordnet.

 

Die Antragsgegnerinnen haben die dem Antragsteller entstandenen außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens zu tragen.

 

Gründe

 

Die am 5. Mai 2022 eingegangene Beschwerde des Antragstellers gegen den genannten Beschluss des Sozialgerichts Cottbus (SG) vom 13. April 2022 ist zulässig und begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerinnen vom 26. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2020 sowie des Bescheides vom 7. Dezember 2021 ist anzuordnen.

 

Der Senat geht zunächst davon aus, dass sich der Antrag vor dem SG sowie die Beschwerde von Anfang an auch gegen die Pflegekasse der Antragsgegnerin zu 1) (nachfolgend nur noch: „Antragsgegnerin“) richtet, weil die angegriffenen Bescheide auch im Namen der Pflegekasse ergangen sind und im Streit auch Beiträge zur Pflegeversicherung stehen. Der Antragssteller hat dies mit Schriftsatz vom 24. Juni 2022 auch bestätigt.

 

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch und die Klage gegen den Bescheid hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil er Beiträge festsetzt. Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung einer Klage in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 20. August 2018 - L 1 KR 215/18 B ER -, juris-Rdnr. 32, vom 23. Oktober 2017 - L 1 KR 421/17 B ER). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Im Übrigen gibt der Gesetzgeber in § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich vor, nach welchen Maßstäben über die Aussetzung einer sofortigen Vollziehung zu entscheiden ist. Hat der Gesetzgeber aber - wie es § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG voraussetzt - an anderer Stelle bereits grundsätzlich die sofortige Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung angeordnet, nimmt er damit in Kauf, dass eine angefochtene Entscheidung wirksam bleibt, obwohl über ihre Rechtmäßigkeit noch nicht abschließend entschieden worden ist. Von diesem Grundsatz ermöglicht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG eine Ausnahme. Jedenfalls in den Fällen einer mutmaßlichen Rechtswidrigkeit ist die Vollziehbarkeit auszusetzen, weil dann kein öffentliches Interesse an einer Vollziehung erkennbar ist. Unterbleiben muss die Aussetzung dagegen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist. Hier gibt es keine Veranlassung, von dem vom Gesetzgeber für richtig gehaltenen Grundsatz abzuweichen. In den übrigen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht klar erkennbar ist, kommt es auf eine Interessenabwägung an (BT-Drs 11/3480, S. 54). Je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, desto mehr muss für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, damit trotz bloßer Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Maßnahme entgegen der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers die aufschiebende Wirkung angeordnet werden kann (vgl. zum ganzen Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rdnr. 12e ff mit weit. Nachw.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist allerdings ganz allgemein für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts immer ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die dem Einzelnen auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Geltung und Inhalt dieser Leitlinien sind nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen oder einer behördlichen Anordnung entspringt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. April 2001 – 1 BvR 1577/00 –, juris-Rdnr. 13 mit Bezugnahme auf BVerfGE 69, 220, 228 f).

Bei Beachtung dieser Maßstäbe muss der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Erfolg haben.

Nach dem derzeitigen Sach- und Ermittlungsstand ist im Hauptsacheverfahren (SG Cottbus Az. S 42 KR 414/20) ein Erfolg wahrscheinlicher als eine Niederlage:

 

Der angefochtene Beitragsbescheid ist nur rechtmäßig, wenn der Antragssteller ab 1. Juni 2019 bis 24. Januar 2020 freiwillig versichertes Mitglied der Antragsgegnerin und damit entsprechend beitragspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und der Pflegeversicherung war.

Es steht außer Streit, dass der Antragssteller bis 31. Mai 2019 als abhängig Beschäftigter der B S und H-J S GbR A O Pflichtversicherter nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gewesen ist. Der Arbeitsplatz befand sich in G in der dortigen S-T. Der Insolvenzverwalter dieser GbR meldete den Antragssteller zum 31. Mai 2019 ab.

Eine freiwillige Versicherung schlösse sich nach § 188 Abs. 4 SGB V nur an, wenn anschließend kein Beschäftigungsverhältnis mehr bestanden hätte.

Der Antragsteller trägt hierzu unter Einreichung eines Arbeitsvertrages vor, ab 1. Juni bei dem mittlerweile verstorbenen B S weiter vor Ort in der T als Arbeitnehmer tätig gewesen zu sein (vgl. GA Bl. 16ff: 1020,-- € brutto monatlich bei 25 Stunden wöchentlich).

Die Antragsgegnerin geht mangels Arbeitgebermeldungen nicht von einem gelebten Beschäftigungsverhältnis aus. Zweifel an einem solchen bestehen auch, weil der Antragsteller Lohnnachweise oder ähnliches trotz Aufforderung nicht eingereicht hat.

Der Antragsteller beruft sich allerdings zur Tatsache des fortbestehenden A-Unternehmens und seiner Arbeitnehmertätigkeit für diese in G auf das Zeugnis des Tankstellenpächters Z. Dass er keine Lohnüberweisungen oder Lohnquittungen vorlegen kann, kann dem Umstand geschuldet sein, dass sich der Verstorbene mutmaßlich nicht um die Filiale in G gekümmert hat und der Antragsteller weitgehend alleine agiert haben könnte.

Entscheidendes Indiz für eine Beschäftigung ist jedoch, dass die Bundesagentur für Arbeit dem Antragsteller ausweislich der vom Senat beigezogenen Insolvenzgeld-Akte auf seinen Antrag vom 14. Dezember 2020 hin mit Bescheid vom 6. September 2021 für die Zeit vom 1. Dezember 2019 bis zum 24. Januar 2020 Insolvenzgeld in Höhe von 1.479,72 € bewilligt und ausgezahlt hat. Insolventer Arbeitgeber war danach der Verstorbene unter seiner Firma A A & F B-M. Obwohl dieses Insolvenzverfahren bereits am 10. Dezember 2014 eröffnet worden war, ist die Bundesagentur davon ausgegangen, dass der Antragsteller von diesem Insolvenzverfahren nichts gewusst hat und das Arbeitsverhältnis fortbestanden hat.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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