Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 21.06.2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Der im Jahr 1957 geborene Kläger beantragte am 07.04.2015 die Feststellung des GdB. Der Beklagte zog über die Chirurgen S, R und R1 diverse ärztliche Unterlagen bei und holte den Befundbericht der G und W vom 22.05.2015 ein. Diese beschrieben unter Vorlage diverser ärztlicher Unterlagen mit Schmerzmittel gut beherrschbare rezidivierende Hals- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden, eine Arthrose des linken Sprunggelenks ohne bedeutende Beschwerden sowie eine unter Kompressionsbehandlung keine Symptome zeigende, diskrete Unterschenkelvarikosis. S1 berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 24.06.2015 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 sowie Krampfadern mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 10. Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 21.07.2015 ab. Hiergegen legte der Kläger am 28.07.2015 Widerspruch ein. Der Beklagte zog über W1 und H diverse ärztliche Unterlagen bei. Der Versorgungsarzt D berücksichtigte in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.10.2015 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, einen Bandscheibenschaden und Nervenwurzelreizerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 20, eine Funktionsbehinderung des linken Sprunggelenks mit einem Einzel-GdB von 20 sowie Krampfadern mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 30. Daraufhin stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 19.11.2015 den GdB mit 30 seit 07.04.2015 fest und wies den darüberhinausgehenden Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2015 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20.12.2015 Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben. W1 hat in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 18.02.2016 das degenerative Cervical- und Lumbalsyndrom als leicht- bis mittelgradig sowie die Arthrose des linken unteren Sprunggelenks als schwergradig und diese jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet sowie den Gesamt-GdB mit 30 für angemessen erachtet. Der Kläger hat weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt. Sodann hat das SG Heilbronn auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten des H1 vom 04.04.2017 eingeholt. Dieser hat die schmerzhafte Funktionsstörung der Halswirbelsäule bei Bandscheibenvorfällen C2/C3 und C5/C6 mit Einengung des rechten Nervenwurzelkanals C5/C6 und chronischen ausstrahlenden Schmerzen in die rechte obere Gliedmaße mit kribbelnden Missempfindungen im rechten Daumen als mittelgradig und mit einem Einzel-GdB von 30 sowie die schmerzhafte Funktionsstörung des linken unteren Sprunggelenks bei fortgeschrittener Arthrose als mittelgradig und mit einem Einzel-GdB von 20 eingeschätzt sowie den Gesamt-GdB mit 40 beurteilt. R2 hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.07.2017 an der bisherigen versorgungsärztlichen GdB-Beurteilung festgehalten. Daraufhin hat das SG Heilbronn von Amts wegen das Gutachten des P vom 19.12.2017 eingeholt. Der Sachverständige hat das degenerative Halswirbelsäulensyndrom in Form einer Cervicocephalgie/Cervicobrachialgie – belastungsabhängig mit Sensibilitätsstörung des rechten Daumens – mit einem Einzel-GdB von 20, das degenerative Lumbalsyndrom mit einem Einzel-GdB von 10, die Arthrose des linken unteren Sprunggelenks mit Belastungseinschränkung mit einem Einzel-GdB von 20 und den Gesamt-GdB auf orthopädischem Fachgebiet mit 30 beurteilt.
Das SG Heilbronn hat mit Gerichtsbescheid vom 21.06.2018 die Klage abgewiesen. Für die Behinderungen in den Funktionssystemen „Rumpf“ und „Beine“ betrage nach der sachverständigen Zeugenaussage des W1 und dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des P der Einzel-GdB jeweils 20, woraus sich ein Gesamt-GdB von maximal 30 ergebe.
Hiergegen hat der Kläger am 26.06.2018 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Er hat vorgetragen, sein Bandscheibenschaden sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, zumal er deswegen hinke. Insbesondere sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass H1 zu einer höheren GdB-Bewertung gekommen sei und zu dem von W1 beschriebenen Halswirbelsäulenleiden P noch ein Lumbalsyndrom festgestellt habe, so dass es sich um funktionelle Störungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten handele. Außerdem habe sich die Sprunggelenksarthrose verbösert, weswegen eine Operation durchgeführt werden müsse.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 21.06.2018 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 21.07.2015 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 19.11.2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2015 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit 50 seit 07.04.2015 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach dem Gutachten des P bestünden von Seiten der Halswirbelsäule lediglich eine endgradige Bewegungseinschränkung mit belastungsabhängigen Beschwerden sowie einer Sensibilitätsstörung des rechten Daumens und seitens der Lendenwirbelsäule lediglich geringe funktionelle Auswirkungen, weshalb ein Einzel-GdB von 30 für den Wirbelsäulenschaden nicht erreicht werde. Hinsichtlich des unteren und oberen linken Sprunggelenks sei von P eine geringe Bewegungseinschränkung bei entzündlichem Reizzustand festgestellt worden, der nur bei großzügiger Betrachtungsweise mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet werden könne. In der Gesamtschau sei der bislang festgestellte Gesamt-GdB von 30 durchaus ausreichend bis großzügig bemessen.
Der Senat hat die sachverständige Zeugenauskunft des W1 vom 07.11.2018 eingeholt. Dieser hat unter Vorlage diverser ärztlicher Unterlagen das degenerative Cervical- und Dorsalsyndrom als leicht- bis mittelgradig sowie mit einem Einzel-GdB von 10 und die Rückfußarthrose als schwergradig sowie mit einem Einzel-GdB von 20 beurteilt und ausgeführt, seit Februar 2016 sei keine wesentliche Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers eingetreten.
Die ehemalige Berichterstatterin hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 11.02.2019 erörtert.
Der Senat hat den Arztbrief des B vom 26.04.2019 beigezogen. Darin sind für das linke obere Sprunggelenk unter anderem ein Rückfußvalgus, eine Abflachung des Längsgewölbes, eine Extension/Flexion von 5-0-40 Grad sowie eine schmerzfreie Inversion, Eversion, Pronation und Supination beschrieben und aufgrund der vom Kläger angegeben Beschwerden in Form von Schmerzen, Schwellungen und Instabilitätsgefühl die Durchführung einer magnetresonanztomografischen Untersuchung vorgeschlagen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 21.06.2018 und die Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 21.07.2015 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 19.11.2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2015 und die Verpflichtung des Beklagten, den GdB mit 50 seit 07.04.2015 festzustellen. Dieses Ziel verfolgt der Kläger zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB ist § 2 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, juris; vergleiche Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).
Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.
Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie das Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.
Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30.
Die Behinderungen im Funktionssystem „Rumpf“ in Form eines Halswirbelsäulensyndroms mit belastungsabhängiger Sensibilitätsstörung des rechten Daumens und eines Lumbalsyndroms sind mit einem Einzel-GdB von 20 ausreichend bewertet. Der Senat stützt sich auf das überzeugende Gutachten des P. Die von ihm erhobenen Befunde im Bereich der Halswirbelsäule mit einer aktiv endgradigen Bewegungseinschränkung in allen Bewegungsrichtungen, einer passiv endgradigen Bewegungseinschränkung bei einer Reklination von 30 Grad (Mindest-Normalmaß 40 bis 50 Grad), einer Rechts-/Linksneigung von 30-0-30 Grad (Mindest-Normalmaß 30-0-30 Grad), einer Rechts-/Linksdrehung von 70-0-80 Grad (Mindest-Normalmaß 60-0-60 Grad) sowie im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule mit einem Vornüberneigen ohne Ausweichbewegung bis circa 70 Grad, einer Rückneigung von 30 Grad, einer Rechts-/Linksneigung von 30-0-30 Grad (Mindest-Normalmaß 30-0-30 Grad), einer Rechts-/Linksdrehung im Sitzen von 40-0-40 Grad (Mindest-Normalmaß 30-0-30 Grad) und einer Entfaltung nach Schober von 10/14,5 cm (Mindest-Normalmaß 10/14-15 cm) und nach Ott von 30/31/27 cm (Mindest-Normalmaß 30/32 cm) rechtfertigen die Annahme von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in der Halswirbelsäule und von leichtgradigen funktionellen Auswirkungen in der Brust- und Lendenwirbelsäule und damit nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 lediglich einen GdB von 20 bedingende mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt. Die von H1 in seinem Gutachten vorgenommene Einschätzung, die funktionellen Auswirkungen in der Halswirbelsäule seien schwergradig, ist nicht nachvollziehbar, zumal H1 im Bereich der Halswirbelsäule ein Vorneigen/Rückneigen von 20-0-20 Grad, ein Seitneigen von 30-0-30 Grad sowie eine Kopfdrehung von 60-0-60 Grad angegeben und damit diesbezüglich folgerichtig die Halswirbelsäule und Kopfgelenke als nach allen Seiten altersentsprechend beweglich beschrieben hat. Zutreffend hat daher R2 in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.07.2017 dargelegt, dass die von H1 objektivierten Messwerte der Halswirbelsäule einen höheren Einzel-GdB als 20 nicht stützen, da danach zwar die Vor-/Rückneigung mittelgradig, die Seitneigung und die Drehbewegung aber nur leichtgradig eingeschränkt ist. Er hat ferner nachvollziehbar dargelegt, dass eine außergewöhnliche Schmerzsituation oder eine schwergradige Funktionsbehinderung nicht ableitbar sind und Nervenwurzelreizerscheinungen nicht vorliegen.
Die Behinderungen im Funktionssystem „Beine“ in Form der Arthrose des linken unteren Sprunggelenks mit funktioneller Belastungseinschränkung, eines Rückfußvalgus und einer Senk-/Spreizfußdeformität sind mit einem Einzel-GdB von ebenfalls 20 einzustufen. Auch diesbezüglich stützt sich der Senat auf das schlüssige und in sich widerspruchsfreie – sowie insoweit mit der Einschätzung des H1 übereinstimmende – Gutachten des P. Der von ihm für das linke untere Sprunggelenk erhobene Befund in Form einer Gesamtbeweglichkeit von 2/3 des Normwertes rechtfertigt keine höhere GdB-Beurteilung. Denn nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 ist eine Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk lediglich mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Lediglich unter zusätzlicher Berücksichtigung der geklagten Belastungsschmerzen und des beginnenden Senk-/Spreizfußes ist der Einzel-GdB von 20 überhaupt gerechtfertigt, zumal nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 andere Fußdeformitäten ohne wesentliche statische Auswirkungen (zum Beispiel Senk-Spreizfuß, Hohlfuß, Knickfuß, auch posttraumatisch) mit einem GdB von 0 und nur mit statischer Auswirkung je nach Funktionsstörung geringen Grades mit einem GdB von 10 zu bewerten sind. In Bezug auf das von B beschriebene Bewegungsmaß für das linke obere Sprunggelenk für die Extension/Flexion (Streckung/Beugung) von 5-0-40 Grad weist der Senat darauf hin, dass insoweit angesichts des Normalmaßes von 20-0-40 Grad nur eine Einschränkung der Streckfähigkeit um 15 Grad vorliegt und nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 eine einen GdB von 10 bedingende Bewegungseinschränkung mittleren Grades erst bei einem Bewegungsmaß für das Heben/Senken von 0-0-30 Grad gegeben ist.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 20 im Funktionssystem „Rumpf“, Einzel-GdB 20 im Funktionssystem „Beine“) lässt sich der Gesamt-GdB nicht höher als mit 30 feststellen. Denn bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den VG, Teil A, Nr. 2 und 3 von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und ist dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Umstände, wie etwa das besonders ungünstige Zusammenwirken von Behinderungen, die eine Ausnahme zulassen, liegen beim Kläger nicht vor. Nach alledem waren die Einzel-GdB-Werte von zweimal 20 nicht geeignet, einen Gesamt-GdB von mehr als 30 zu rechtfertigen. Dass der Gesamt-GdB des Klägers zutreffend mit 30 bewertet ist, ergibt sich auch daraus, dass bei der Bemessung des Gesamt-GdB ein Vergleich mit anderen schwerwiegenden Erkrankungsbildern anzustellen ist. Denn nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b sind bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind. So ist ein GdB von 50 beispielsweise nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 oder 18.14 bei Verlust eines Armes im Unterarm oder Verlust eines Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke anzunehmen. Hinter einer solchen doch gravierenden Funktionsbehinderung bleiben die beim Kläger dokumentierten Einschränkungen zurück, so dass die von ihm begehrte Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht in Betracht kommt.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht erkennbar. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch weicht das Urteil des Senats von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 4273/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2257/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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