L 3 U 4278/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 74/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 4278/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 09.10.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 02.08.2010 streitig.

Der 1961 geborene Kläger erlitt im Laufe der vergangenen Jahre wiederholt Unfälle mit Schädel- bzw. Halswirbelsäulen-(HWS)-Beteiligung, so 1976 (damalige Diagnosen u.a. Commotio cerebri, Nasenbeinfraktur, vgl. D-Arztbericht des P), 1984 (Diagnose: leichte Schädelprellung mit Platzwunde, D-Arztbericht des D) und 1997 (Diagnose: u.a. Platzwunde am Kinn, kein Anhalt für Commotio cerebri, D-Arztbericht des R).

Am 02.08.2010 stieß der Kläger im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit bei der Firma G AG, während er einen Luftverteiler reinigen wollte, mit dem Kopf an eine Metallverstrebung (Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 06.08.2010). Der D-Arzt R im Krankenhaus E diagnostizierte im Zuge der Erstversorgung am 02.08.2010 beim Kläger eine Commotio cerebri sowie eine Schürfwunde links parietal (D-Arztbericht vom 03.08.2010). Im Bericht über die am 02.08.2010 durchgeführte Computertomographie des Schädels wurde von einem unauffälligen Schädel-CT, insbesondere ohne Hinweis für Blutungen oder Infarktzeichen, berichtet. Während der stationären Krankenhausbehandlung des Klägers erfolgte am 04.08.2010 eine nervenärztliche Untersuchung durch W mit MRT-Bildgebung. W berichtete von einem neurologisch unauffälligen Befund mit Ausnahme einer Bewegungseinschränkung der HWS bei schon seit längerer Zeit eingeschränkter Beweglichkeit der HWS und einer fraglichen Aggravation. Insgesamt, so W, bestehe beim Kläger ein Zustand nach leichtgradiger Commotio cerebri ohne Hinweise auf gravierendere Traumafolgen auf neurologischem Fachgebiet. Eine am 11.08.2010 durchgeführte Untersuchung in der HNO-Klinik des Universitätsklinikums H ergab keinen Anhalt für einen peripher-vestibulären Schwindel oder für eine Contusio labyrinthi.  B veranlasste am 18.08.2010 unter der Verdachtsdiagnose einer organischen Hirnschädigung eine Vorstellung beim Neurochirurgen der Notfallambulanz in H. O stellte einen – abgesehen von einer diskreten Gangunsicherheit ohne Fallneigung – unauffälligen neurologischen Befund fest. In psychischer Hinsicht könne er eine Aggravation, Simulation oder ein hirnorganisches Psychosyndrom nicht sicher ausschließen. Er stellte die Diagnosen einer Schädelprellung und Commotio labyrinthi. Ein schwerwiegendes Schädelhirntrauma liege nicht vor, mit Folgeschäden sei nicht zu rechnen. Eine neurochirurgische Behandlungsindikation bestehe nicht. Im Oktober 2010 erfolgte eine weitere radiologische Untersuchung des Klägers im Radiologiezentrum K durch F. Der Kläger sei als Fahrer im Zuge eines Frontalunfalls mit einem PKW vom Typ Kombi zusammengestoßen und habe dabei seinen Kopf im Fahrzeuginneren angeschlagen. Mit den in der Funktions-CT nachgewiesenen Bewegungseinschränkungen sei die Existenz einer sogenannten funktionellen Kopfgelenksstörung erwiesen. Dies sei nach einem durchgemachten Beschleunigungstrauma der HWS auch kein Einzelfall. In zwei beigezogenen Stellungnahmen berichteten die A-W und der S über Konsultationen des Klägers im Oktober 2009 (A-W) bzw. in 2005, 2008 und 2009 (S) u.a.aufgrund eines beidseitigen Tinnitus. Dabei berichtete der Kläger gegenüber S über eine sehr hohe Belastung durch den Tinnitus; S diagnostiziere einen Tinnitus Grad II im oberen Bereich. Gestützt auf eine ambulante Untersuchung des Klägers im Januar 2011 erstattete H1, einen hno-ärztlichen Untersuchungsbericht. Für die vorgebrachten Schwindelbeschwerden, so H1, habe sich kein morphologisches Korrelat gefunden. Insgesamt erscheine die Untersuchung durch Verdeutlichungstendenzen des Klägers erheblich verfälscht, welche ihre Ursache in einer psychosomatisch-psychiatrischen Erkrankung haben könnten.

Gestützt auf eine ambulante Untersuchung des Klägers im Mai 2011 erstattete dann H2, ein  Fachgutachten. In der Zusammenschau der Vorgeschichte sei festzuhalten, dass beim Kläger bereits seit vielen Jahren immer wieder psychische Befindlichkeitsstörungen aufgetreten seien. Nach ihrer Einschätzung liege beim Kläger eine Konversionsstörung vor, die sich auf dem Boden einer primär erhöhten psychischen Vulnerabilität entwickelt habe. Die vorliegende Symptomatik habe sich aufgrund wunschbedingter unbewusster Vorstellungen des Klägers entwickelt, weshalb ein überzeugender Ursachenzusammenhang mit dem Unfallereignis nicht angenommen werden könne. Eine substantielle Hirnläsion habe ausgeschlossen werden können. Es bestünden keinerlei Hinweise für eine organische Hirnschädigung.

Z erstattete anschließend aufgrund ambulanter Untersuchung im Juli 2011 ein Gutachten auf hno-ärztlichem Gebiet. Der Kläger klage posttraumatisch über die Zunahme eines Ohrgeräusches und insbesondere über Schwindelbeschwerden. Allerdings lasse sich einem vom Kläger zur Untersuchung mitgeführten Krankheitsbericht der B1 entnehmen, dass der Kläger seit Juli 2005 über einen zunehmenden Tinnitus, zunehmende Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen klage. Für die vom Kläger behauptete posttraumatische Zunahme des Tinnitus fehle es an einem fassbaren morphologischen Korrelat. Folge man dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten der H2, seien die demonstrierten Beschwerden psychischer Natur. Eine unfallbedingte Verschlimmerung könne hno-ärztlich daher nicht festgestellt werden.

Mit Bescheid vom 07.10.2011 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 02.08.2010 als Arbeitsunfall. Dabei habe sich der Kläger eine Gehirnerschütterung sowie eine Schürfwunde am Kopf zugezogen. Diese Verletzungen seien nach 3 Wochen ausgeheilt gewesen. Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht. Als Folgen des Arbeitsunfalls nicht anerkannt würden, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung, eine Hörminderung beidseits, ein Tinnitus beidseits, Sehstörungen, Schwindelbeschwerden mit Gangstörung und eine Konversionsstörung. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012 zurück.

Die hiergegen zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage (Az. S 12 U 1824/12), mit welcher der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente begehrte, wies das SG gestützt im Wesentlichen auf die Beurteilungen durch die beiden Gutachter H2 und Z mit Urteil vom 17.12.2013 ab.

Im unter dem Az. L 10 U 341/14 vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg geführten Berufungsverfahren verfolgte der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 02.08.2010 weiter. M diagnostizierte gemäß seinem auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachten vom 02.12.2014 nach einer ambulanten Untersuchung eine Somatisierungsstörung, die „sicherlich nicht“ durch das Kopf-Anprall-Trauma im Rahmen des Unfalls vom 02.08.2010 verursacht worden sei. Nachdem der Kläger gegen dieses Gutachten Einwände erhoben und eine „Gegendarstellung“ des K1 vom 26.01.2015 vorgelegt hatte, wies das LSG Baden-Württemberg mit Beschluss vom 30.11.2015 die Berufung gegen das Urteil des SG zurück und begründete dies im Wesentlichen damit, dass aufgrund insoweit bestandskräftiger Entscheidung der Beklagten vom 07.10.2011 feststehe, dass der Kläger am 02.08.2010 einen Arbeitsunfall erlitten habe, jedoch sei seine Erwerbsfähigkeit infolge dieses Arbeitsunfalls nicht über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 vom Hundert (v. H.) gemindert gewesen. Er habe sich nämlich bei dem Arbeitsunfall (lediglich) eine leichte Gehirnerschütterung mit einer Schürfwunde am Kopf zugezogen, die binnen weniger Wochen ausgeheilt gewesen sei und keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) begründe. Die von ihm geltend gemachten umfangreichen weiteren Beschwerden seien nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, wie sich aus den Gutachten von H2 und Z ergebe. Die mangels eines morphologischen Korrelats, insbesondere einer fehlenden organischen Hirnläsion als Ursache für die Beschwerden bzw. deren Verstärkung, einzig in Frage kommende psychische Erkrankung könne nicht wesentlich auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden. H2 sei schlüssig und nachvollziehbar zur Diagnose einer Konversionsstörung, die sich auf dem Boden einer primär erhöhten psychischen Vulnerabilität entwickelt habe, gelangt. Das Unfallereignis habe danach das bereits jahrelang vorliegende fragile psychische Gleichgewicht des Klägers zur Dekompensation gebracht; gleichzeitig – so H2 – habe der Unfall ihm eine umfassende Regressionsmöglichkeit gegeben. Wenngleich das Unfallereignis im naturwissenschaftlichen Sinne ursächlich für eine neuerliche psychische Dekompensation des Klägers sei, könne die Konversionsstörung dennoch nicht wesentlich auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Es seien wunschbedingte Vorstellungen des Klägers neben den eigentlichen Arbeitsunfall als gleichermaßen naturwissenschaftliche Ursache dieser Gesundheitsstörung getreten. Diese wunschbedingten Vorstellungen seien deshalb als konkurrierende Ursache anzusehen. Allerdings könnten derartige wunschbedingte Vorstellungen des Versicherten nach einem Arbeitsunfall keinen wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und nun bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen begründen. Sie stünden vielmehr der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen versichertem Arbeitsunfall und der psychischen Störung entgegen. Denn nach dem Unfall seien vorliegend tatsächlich keine dauerhaften körperlichen Unfallfolgen verblieben. Der Ursachenbeitrag des versicherten Unfalls am Entstehen der Konversionsstörung beschränke sich somit auf die Tatsache, dass überhaupt ein Arbeitsunfall passiert sei. Es sei dann die Vorstellung des Klägers entstanden, all seine Beschwerden seien unfallbedingt und müssten entschädigt werden. Bloße Vorstellungen über das Vorliegen von zu entschädigenden Unfallfolgen seien aber keine versicherte Ursache in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die sich hieraus entwickelnde psychische Störung habe dann – so H2 – wesentlich auf diesen Wunschvorstellungen beruht, so dass eine Entschädigung hierfür ausgeschlossen sei. Dem Unfallereignis komme vor diesem Hintergrund nur die Qualität einer Gelegenheitsursache zu. Eine hiervon abweichende Beurteilung ergebe sich auch nicht aufgrund des auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholten neurologischen Gutachtens des M. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 30.11.2015, welcher den Beteiligten (auch den Prozessbevollmächtigten des Klägers) bekannt ist, Bezug genommen.    

Bereits mit Schreiben vom 27.01.2016 stellte der Kläger bei der Beklagten unter Bezugnahme auf den vorgenannten Beschluss vom 30.11.2015 einen Überprüfungsantrag. Mit Bescheid vom 18.07.2016 lehnte die Beklagte die Überprüfung des Bescheids vom 07.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2012 mit erneuter Entscheidung in der Sache gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab, weil sich aus dem Schreiben vom 27.01.2016 keine Hinweise ergäben, die geeignet wären, Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Bescheide zu begründen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2016 zurück und bekräftigte, dass für eine Überprüfung nach § 44 SGB X keine Veranlassung bestehe. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Widerspruchsbescheid wurde gemäß dem in dem Aktenexemplar enthaltenen Vermerk am 10.11.2016 zur Post gegeben.

Mit der am 09.01.2017 zum SG erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 02.08.2010 im Zugunstenverfahren weiterverfolgt und zunächst vorgetragen, dass der Widerspruchsbescheid vom 09.11.2016 bei ihm erst am 02.01.2017 eingegangen sei. Des Weiteren hat er gerügt, dass die Beklagte die Durchführung einer Überprüfung abgelehnt habe, denn eine solche müsse auch ohne neuen Tatsachenvortrag erfolgen. Der schwere Arbeitsunfall vom 02.08.2010 habe zu einer schweren Gehirnerschütterung und neurologischen Störungen geführt. Zwischenzeitlich habe sich der Gesundheitszustand durch diverse weitere Stürze verschlechtert. Aufgrund des schweren Unfallereignisses bestehe eine Gangunsicherheit. Es sei zu einer Fraktur an Lenden- und Brustwirbel gekommen. Der Kläger hat den Bericht über die MRT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule vom 28.10.2015, den Bericht über die MRT-Untersuchung der Brustwirbelsäule vom 01.09.2016, die Ärztliche Bescheinigung des Arztes B vom 03.11.2015 sowie den Bericht des Arztes K2 vom 12.05.2016 vorgelegt. Wegen der Einzelheiten der vorgenannten Unterlagen wird auf Bl. 23/27 der SG-Akte Bezug genommen. Auf Anforderung des SG hat der Kläger das Kuvert, mit welchem ihm der Widerspruchsbescheid vom 09.11.2016 übersandt worden ist, vorgelegt (Datum bei der Frankierung „10.11.16“). Außerdem ist der Ausdruck einer E-Mail vom 03.01.2017 an die Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Akte gereicht worden, worin unter anderem ausgeführt wird: „Gestern ist mit verspätetem Posteingang der Widerspruchsbescheid bez. dem Unfall vom 02.08.2010 hier eingegangen. Unter Schock haben wir festgestellt, dass er schon am 09.11.2016 ausgestellt wurde … .“ Der Kläger hat erneut darauf hingewiesen, dass sich sein Zustand weiter verschlimmert habe. Diese Verschlimmerung solle die Beklagte prüfen.

Nachdem der Kläger auf seinen Antrag auf Einholung von Gutachten nach § 109 SGG lediglich den Kostenvorschuss eingezahlt, jedoch die Kostenverpflichtungserklärung nicht vorgelegt hatte, hat das SG nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 09.10.2017 abgewiesen. Zwar sei die Klage zulässig, denn ausgehend von dem unwiderlegbaren Vortrag, dass der Kläger den Widerspruchsbescheid vom 09.11.2016 erst am 09.01.2017 (gemeint wohl: 02.01.2017) erhalten habe, sei von der Wahrung der Klagefrist auszugehen. Die Klage sei jedoch unbegründet, weil die Beklagte zu Recht die Durchführung eines Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 SGB X abgelehnt habe. Hierbei finde ein dreistufiges Aufbauschema Anwendung. Zunächst sei darüber zu entscheiden, ob die Behörde überhaupt gehalten sei, in eine (sachliche oder rechtliche) Überprüfung des bestandskräftigen Bescheids einzutreten. Schon auf dieser ersten Stufe müsse der Antragsteller wenigstens den zu überprüfenden Bescheid bezeichnen und in allgemeiner Form vorbringen, inwiefern die Behörde bei der Erteilung des betreffenden Bescheids von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei bzw. aus welchen sonstigen Gründen der bestandskräftig gewordene Bescheid aus seiner Sicht rechtswidrig sein solle. Da ein Überprüfungsverfahren auch von Amts wegen durchgeführt werden könne, reiche es auch aus, wenn solche Gesichtspunkte für die Behörde aus den sonstigen Umständen des Einzelfalls – also unabhängig von dem Vorbringen des Bescheidadressaten – ersichtlich seien. Der Kläger habe schon auf der ersten Stufe keinen Anspruch auf Durchführung eines Überprüfungsverfahrens, denn er führe keinerlei Gesichtspunkte an, die dafür sprechen könnten, dass der zur Überprüfung gestellte Bescheid vom 07.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2012 auf einem unzutreffend angenommenen Sachverhalt oder auf einer unrichtigen Rechtsanwendung beruhen könnte. Soweit der Kläger eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes geltend mache, sei dies im Rahmen des § 44 Abs. 1 SGB X belanglos. 

Gegen den dem Bevollmächtigten des Klägers am 13.10.2017 zugestellten Gerichtsbescheid ist am 10.11.2017 die vorliegende Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung bekräftigt worden, dass der Kläger bei dem Arbeitsunfall vom 02.08.2010 eine schwere Gehirnerschütterung erlitten habe. Außerdem hätten sich vielfältige neurologische Störungen eingestellt, was die Beklagte nicht bagatellisieren dürfe. Da er vor dem Arbeitsunfall vom 02.08.2010 offenbar noch vollschichtig arbeitsfähig gewesen sei, dürfte eine rentenberechtigende MdE durch den Arbeitsunfall eingetreten sein. Zum Beweis für die Unfallfolgen und die MdE sei ein unabhängiges neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten und ein unabhängiges Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet nach § 106 SGG, hilfsweise nach § 109 SGG, einzuholen. Hinsichtlich der geltend gemachten Verschlechterung des Gesundheitszustandes „möge die Beklagte rechtsbehelfsfähigen Bescheid zur Frage der Verschlimmerung erteilen.“ Des Weiteren hat der Kläger die Anwendung des in dem angefochtenen Gerichtsbescheid genannten Dreistufenschemas gerügt. Das SG setze sich mit Formalitäten und nicht mit der Sache selbst auseinander, obwohl nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X durch die Verwaltung und die Gerichte auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers zu prüfen sei, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt worden sei. Es werde bestritten, dass der Kläger eine unfallunabhängige Konversionsstörung erlitten habe. Der Unfallfolgezustand sei realiter nicht zu trennen, „weshalb die wesentliche Mitursächlichkeit zu beachten ist der Unfallfolgen.“ Nach der Rechtsprechung des BSG könne selbst eine verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung beruflicher Art sehr wohl wesentlich sein. Die Beklagte übersehe, dass sie bei fehlender Teilbarkeit des Unfallfolgezustandes „Totalreparation“ schulde.  

Der Kläger beantragt (den Antrag aus der Berufungsschrift vom 09.11.2017 zum Teil sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 09.10.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2016 zu verurteilen, den Bescheid vom 07.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2012 zurückzunehmen und ihm aufgrund des Arbeitsunfalls vom 02.08.2010 eine Verletztenrente zu gewähren, hilfsweise bei Stützsituation,
hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte, die sich im Wesentlichen auf den Akteninhalt und die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids bezieht, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 12.12.2017 an die Prozessbevollmächtigten des Klägers hat der Senat darauf hingewiesen, dass es nach dem bis zu diesem Zeitpunkt festgestellten Sachverhalt keinen Anlass gebe, auf Staatskosten noch ein weiteres ärztliches Gutachten einzuholen. Für eine Antragstellung nach § 109 SGG ist Frist gesetzt worden bis zum 15.01.2018 und darauf hingewiesen worden, dass in gleicher Frist der Arzt zu benennen, die übersandte Kostenverpflichtungserklärung ausgefüllt und unterschrieben vorzulegen und ein Vorschuss in Höhe von 2.000,- Euro einzuzahlen sei. In der Folgezeit ist lediglich der Vorschuss eingezahlt worden.

Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 10.07.2018 und haben mit solchem vom 13.07.2018 die Prozessbevollmächtigten des Klägers jeweils das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. 

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheids des SG vom 09.10.2017, mit dem die auf die Rücknahme des Bescheids der Beklagten vom 07.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2012 und die Gewährung einer Verletztenrente sowie die dementsprechende Aufhebung des dies ablehnenden Bescheids der Beklagten vom 18.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2016 gerichtete kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG abgewiesen worden ist.

Diese Klage ist zwar zulässig (dazu unter 1.), jedoch unbegründet (dazu unter 2.).

1.

Zutreffend ist das SG zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage zulässig ist, insbesondere muss sie als fristgemäß angesehen werden.


Die Einhaltung der Klagefrist ist eine Prozessvoraussetzung und von Amts wegen zu prüfen, auch noch in der Rechtsmittelinstanz (vgl. vgl. B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 87 Rn. 8).

Die einmonatige Klagefrist gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG ist als gewahrt anzusehen. Zwar wäre bei Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, von einer Bekanntgabe des mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehenen, am 10.11.2016 per einfachem Brief zur Post gegebenen Widerspruchsbescheids vom 09.11.2016 am 13.11.2016 auszugehen und hätte die einmonatige Klagefrist gemäß § 64 Abs. 2 SGG am 13.12.2016 um 24:00 Uhr geendet, so dass die erst am 09.01.2017 beim SG erhobene Klage verfristet wäre. Jedoch gilt die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nach § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist, wobei im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat. Während im Falle des Bestreitens des Zugangs überhaupt bereits durch bloßes Bestreiten Zweifel in dem vorgenannten Sinn ausgelöst werden, kann bei einem – wie hier – behaupteten verspäteten Zugang von dem Empfänger erwartet werden, dass er vorträgt, wann genau und unter welchen Umständen er die Erklärung erhalten hat (BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 4/06 R, unter Verweis auf Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 24.04.1987, 5 B 132/86, beide in juris). Der Kläger hat bei Klageerhebung vorgetragen, dass der Widerspruchsbescheid vom 09.11.2016 am 02.01.2017 eingegangen sei. Gemäß dem vorgelegten Ausdruck der E-Mail an die Bevollmächtigten des Klägers vom 03.01.2017 sei „gestern“ der Widerspruchsbescheid vom 09.11.2016 per „Posteingang“ eingegangen. Ferner hat der Kläger das Kuvert vorgelegt. Damit bestehen Zweifel an der Bekanntgabe am 13.11.2016 nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Dem vorliegenden Akteninhalt kann weder entnommen werden, dass der Kläger den Widerspruchsbescheid vor dem 02.01.2017 tatsächlich erhalten hat, noch ist ersichtlich, wie bei einem Postversand per einfachem Brief weitere Ermittlungen konkrete, über die Angaben des Klägers hinausgehende Erkenntnisse erbringen könnten. Die Beklagte hat insoweit auch weder auf den Hinweis des SG an die Bevollmächtigten des Klägers vom 04.05.2017, in dem explizit auch auf § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X hingewiesen worden ist und von welchem die Beklagte einen Abdruck erhalten hat, noch im Berufungsverfahren etwas vorgetragen. Somit ist ausgehend von einem erst am 02.01.2017 erfolgten Zugang des Widerspruchsbescheids bei dem Kläger die Klageerhebung am 09.01.2017 fristgemäß erfolgt. 

2.

Das SG hat die Klage jedoch jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist.

Die begehrte Rücknahme des Bescheids vom 07.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2012 richtet sich nach § 44 SGB X. Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift bestimmt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Bei der hiernach vorzunehmenden Beurteilung, ob der betreffende Verwaltungsakt bereits bei seinem Erlass rechtswidrig war, ist der Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids maßgebend (hier: Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012), da der ursprüngliche Bescheid durch diesen erst seine abschließende Gestalt gefunden hat (vgl. BSG, Urteil vom 04.11.1998, B 13 RJ 27/98 R, juris), wobei es nicht auf den Stand der Erkenntnisse bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (BSG, Urteil vom 26.10.2017, B 2 U 6/16 R, juris).

Ungeachtet der Frage, ob die Beklagte zu Recht auf eine inhaltliche Prüfung des Bescheids vom 07.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2012 verzichtet hat (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28.10.2014, B 14 AS 39/13 R, juris), erweist sich dieser als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Gewährung einer Verletztenrente ist § 56 in Verbindung mit §§ 72 und 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes (§ 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VII). Bei einer MdE wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VII).

Renten werden an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet oder, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, der Versicherungsfall eingetreten ist (§ 72 Abs. 1 SGB VII).

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).

Nach der Rechtsprechung des BSG ist für einen Arbeitsunfall im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen (innerer beziehungsweise sachlicher Zusammenhang) ist sowie diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat (BSG, Urteil vom 31.01.2012, B 2 U 2/11 R, juris, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 10/11 R, juris; BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 2 U 9/10 R, juris; BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R, juris). Für die Gewährung einer Verletztenrente ist erforderlich, dass aufgrund des Gesundheitserstschadens länger andauernde und mit einer rentenberechtigenden MdE zu bewertende Unfallfolgen – Gesundheitsdauerschaden – entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität).

Bei der objektiven Verursachung kommt es darauf an, dass die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden oder den Tod eine (Wirk-)Ursache war. (Wirk-)Ursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolgs gilt, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden. Steht die versicherte Tätigkeit als eine der (Wirk-)Ursachen fest, muss sich auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller weiteren auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der Wesentlichkeit der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll (BSG, Urteil vom 04.12.2014, B 2 U 18/13 R, juris, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 26.06.2014, B 2 U 4/13 R, juris; BSG, Urteil vom 13.11.2012, B 2 U 19/11 R, juris; BSG, Urteil vom 24.07.2012, B 2 U 9/11 R, juris).

Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der „Gelegenheitsursache“ durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens – eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war –, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein. Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, juris).

Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung, dass die Gesundheitsschäden im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und den als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit erforderlich; die bloße Möglichkeit genügt insoweit nicht (BSG, Urteil vom 04.07.2013, B 2 U 11/12 R, juris, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29.11.2011, B 2 U 26/10 R, juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 25/10 R, juris; BSG, Urteil vom 15.09.2011, B 2 U 22/10 R, juris;  BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 30/07 R, juris; BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 9/08 R, juris). Es gelten die allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 27/07 R, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte bei der Ablehnung der Gewährung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 02.08.2010 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Das LSG Baden-Württemberg hat in seinem Beschluss vom 30.11.2015, L 10 U 341/14, ausführlich und zutreffend dargelegt, dass sich der Kläger bei dem Arbeitsunfall vom 02.08.2010 lediglich eine leichte Gehirnerschütterung mit einer Schürfwunde am Kopf zugezogen hat, die binnen weniger Wochen ausheilte und keine MdE begründet, und die mangels eines morphologischen Korrelats als Ursache für die Beschwerden des Klägers einzig in Betracht kommende psychische Erkrankung in Form einer Konversionsstörung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG nicht rechtlich wesentlich auf den Arbeitsunfall vom 02.08.2010 zurückzuführen ist, sondern diesem insoweit nur die Qualität einer Gelegenheitsursache zukommt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat zur Begründung seiner Entscheidung auf die Gründe Ziff. II. in dem Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 30.11.2015, L 10 U 341/14, die er sich in vollem Umfang zu eigen macht.

Das Vorbringen des Klägers im hier streitgegenständlichen Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahren führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Soweit der Kläger gerügt hat, dass sowohl durch die Beklagte als auch das SG eine inhaltliche Überprüfung des Bescheids vom 07.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2012 nicht erfolgt sei, erübrigen sich Ausführungen hierzu, nachdem nun der Senat diese Überprüfung durchgeführt hat. Soweit der Kläger im Klageverfahren die im Tatbestand genannten ärztlichen Berichte aus den Jahren 2015 und 2016 vorgelegt und eine Verschlechterung vorgetragen hat, hat eine Prüfung durch den Senat bereits wegen des Grundsatzes „ne eat iudex ultra petita partium“ (vgl. hierzu B. Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 95 Rn. 5a) zu unterbleiben, weil der Kläger – wie sich schon aus dem Schriftsatz an das SG vom 06.06.2017 und eindeutig aus der Berufungsschrift vom 09.11.2017 ergibt – zu dieser vorgetragenen Verschlimmerung/Verschlechterung die Erteilung eines rechtsbehelfsfähigen Bescheids durch die Beklagte, also gerade (noch) keine gerichtliche Entscheidung, begehrt. Im Übrigen ist – wie bereits oben dargelegt – für die Beurteilung der Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2012 maßgebend. Zu der zu diesem Zeitpunkt gegebenen Sachlage verhalten sich die im Klageverfahren vorgelegten Berichte aus den Jahren 2015 und 2016 nicht. 

Der Senat hält weitere Ermittlungen nicht für erforderlich, da die vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere die Gutachten von H2 und Z dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen hinsichtlich des oben dargelegten Gegenstands des vorliegenden Verfahrens vermitteln.

Dem in der Berufungsschrift gestellten Antrag, zum Beweis für die Unfallfolgen und die MdE ein unabhängiges neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten und ein unabhängiges Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet nach § 106 SGG, hilfsweise nach § 109 SGG, einzuholen, hatte der Senat – unabhängig davon, dass er den Sachverhalt für geklärt erachtet und daher eine weitere Beweiserhebung nicht geboten ist – bereits deswegen nicht nachzugehen, weil der Kläger diesen Antrag in seinem späteren Schriftsatz, mit dem er sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt hat, nicht mehr aufrechterhalten hat. Hieran ändert auch der in der Berufungsschrift formelhaft wiedergegebene Zusatz „hilfsweise wird an den gestellten und etwa künftig noch gestellten Beweisanträgen ausdrücklich festgehalten, sowohl für den Fall der mündlichen Verhandlung, für den Fall nach § 124 Absatz 2 SGG, für den Fall des § 153 Absatz 4 SGG sowie für sonstige Fallgestaltungen“ nichts. Denn ein schon gestellter Beweisantrag muss grundsätzlich im Sinne der Warnfunktion jedenfalls bei einem – wie hier – durch einen berufsmäßigen Rechtsvertreter vertretenen Beteiligten bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Rahmen des Einverständnisses ausdrücklich aufrechterhalten werden (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 160 Rn. 18c; vgl. auch das nicht veröffentlichte, den Bevollmächtigten des Klägers jedoch bekannte Urteil des erkennenden Senats vom 30.09.2015, L 3 U 887/15).    

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.

Rechtskraft
Aus
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