L 3 U 1862/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 1033/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 1862/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.01.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Verletztenrente.

Der im Jahr 1963 in K/Kreis K geborene Kläger erlitt am 09.08.1984 bei der Förderung von Kohle in einem Bergwerk in P einen Arbeitsunfall mit Verletzung der linken Hand, für die ab 30.04.1986 eine Zeitrente gewährt wurde.

Am 12.02.1989 siedelte der Kläger in die Bundesrepublik über, wo ihm am 22.02.1989 ein Vertriebenenausweis A ausgestellt wurde.

Am 13.03.1989 bat er um Prüfung, ob auch in der Bundesrepublik ein Anspruch auf Unfallrente bestehe. Die Bergbau-Berufsgenossenschaft (im Folgenden auch nur: Beklagte) leitete ein entsprechendes Verfahren ein und entschied mit Bescheid vom 09.10.1990 gemäß §§ 1583 und 1569a Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit dem Fremdrentengesetz (FRG) vom 25.02.1960, dass der Kläger am 09.08.1984 einen Arbeitsunfall erlitten hat, und gewährte ab dem 01.03.1989 eine Teilrente von 20 vom Hundert der Vollrente als Dauerrente. Der Bescheid enthielt unter anderem folgenden Hinweis: „Dieser Bescheid ergeht in Verbindung mit den Bestimmungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik P über Renten- und Unfallversicherung vom 09.10.75. Die Berechtigten sind zur Mitteilung an die Berufsgenossenschaft verpflichtet, wenn sie einen Wohnsitz außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland einschl Berlin (West) begründen oder eine Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland Leistungen für diesen Versicherungsfall gewährt. Es wird gebeten, die beigefügte Erklärung zu unterschreiben und zurückzusenden.“ Den Erklärungsvordruck, wonach der Kläger sich verpflichte, die Beklagte unverzüglich zu unterrichten, wenn er einen Wohnsitz außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) begründe bzw. eine Stelle außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland für den Versicherungsfall Leistung gewähre, legte er versehen mit Datum 26.10.1990 unterschrieben bei der Beklagten vor. Mit Schreiben vom 15.11.1990 wies die Beklagte den Kläger unter anderem darauf hin, dass der Rentenbeginn 01.03.1989 als der erste des auf den Tag der Begründung des ständigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland folgenden Monats in Übereinstimmung mit Art. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik P über Renten- und Unfallversicherung vom 09.10.1975 (DPSVA 1975) festgelegt worden sei. Gemäß Art. 5 Abs. 1 DPSVA 1975 werde dann, wenn ein Rentner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet des anderen Staates verlege, die Zahlung der Rente mit Ablauf des Monats eingestellt, in dem der Wohnort gewechselt worden sei. Da der Kläger am 12.02.1989 seinen ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland genommen habe, hätte somit der polnische Versicherungsträger die Rentenzahlung erst mit Ablauf des Monats Februar 1989 einstellen dürfen. Die Beklagte empfahl dem Kläger, sich diesbezüglich an den polnischen Versicherungsträger zu wenden.

Unter den 31.03.2010 erfolgte eine schriftliche Anzeige, in der unter anderem angegeben wurde, dass der Kläger in P lebe und seit 1994 bis gegenwärtig bei der Firma R in R1, in der L, beschäftigt sei. In dieser Firma arbeite er 40 Stunden pro Woche. Gleichzeitig habe er einen zweiten festen Wohnsitz in der der F-Str. in T, den er benutze, „nur um Unfallrente zu kassieren.“

Die Kriminalpolizeiinspektion P1 setzte die Beklagte hierüber in Kenntnis und führte weitere Ermittlungen durch. Am 13.04.2010 wurde die Vermieterin der vorgenannten Wohnung, Frau K2, durch Beamte der Kriminalpolizeiinspektion P1 vernommen. Dabei gab sie unter anderem an, dass die Wohnung vor ungefähr 17 oder 18 Jahren von den Eltern des Klägers gemietet worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei wohl auch der Kläger eingezogen, der bei der Universität in P1 immatrikuliert gewesen sei. Nach erfolgloser Arbeitsuche in Deutschland sei der Kläger nach P zurückgegangen und habe dort offensichtlich Arbeit gefunden. Wie lange der Kläger nicht mehr überwiegend in T wohnhaft sei, könne sie nicht genau sagen. Sie denke aber, dass es mindestens 12 Jahre sein dürften. In den letzten 12 Jahren sei er einige Male im Jahr auf Urlaub gekommen. Er halte sich beispielsweise an Weihnachten oder zu anderen Zeiten etwa eine Woche oder zwei Wochen dort auf. Als sein Vater noch gelebt habe, sei der Kläger öfter gekommen. In letzter Zeit sei er höchstens 3-4 mal im Jahr zu Besuch gekommen, zuletzt im September 2009. Der Kläger überweise 175,00 € pro Monat. Der vor 1,5 bis 2 Jahren verstorbene Vater des Klägers habe 250,00 € Miete bezahlt. Als dann der Kläger den Dauerauftrag für die Miete eingerichtet habe, sei der Betrag auf 175,00 € festgelegt worden. Sie habe gewusst, dass der Kläger in P ein festes Arbeitsverhältnis habe. Sie gehe davon aus, dass dieses Arbeitsverhältnis seit der Zeit bestehe, als er nach P zurückgegangen sei, also vor ungefähr 12 Jahren.

Die Kriminalpolizeiinspektion P1 informierte die Beklagte mit Schreiben vom 14.04.2010 hierüber.

Die Beklagte errechnete für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 30.04.2010 eine Rentenüberzahlung in Höhe von 54.695,64 Euro und stellte vorsorglich die Rentenzahlung zum 30.04.2010 ein.

Gemäß Aktenvermerk vom 28.07.2010 über die an diesem Tag erfolgte Überprüfung der Wohnung in der F-Str. 2 in T durch zwei Beamte der Kriminalpolizeiinspektion Passau wurden vor der Wohnungstür 34 Briefe, Wahlbenachrichtigungen und ein Telefonbuch aufgefunden. Die Briefe waren teilweise geöffnet. Die Vermieterin gab hierzu an, dass sie von dem Kläger den Auftrag habe, die Post zu öffnen und ihn bei wichtigen Briefen zu benachrichtigen.

Im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens wurde der Kläger am 08.11.2010 durch eine Staatsanwältin bei der P2 R2 in  R3 vernommen. Nach Eröffnung des Tatvorwurfs und entsprechenden Belehrungen gab der Kläger unter anderem an, ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Rentenleistung voraussetze, dass man sich stetig in Deutschland aufhalten müsse. Für ihn sei der tatsächliche Aufenthaltsort etwas anderes als „verwaltungsmäßig“. Er habe in dem Zeitraum seit 1995 versucht, in T oder dessen Umgebung eine Arbeit zu bekommen. Dies sei jedoch erfolglos gewesen und deshalb arbeite er nun in P. Dort habe er im Dezember 1995 bei „R“ in R1, L, die Arbeit aufgenommen. Er arbeite dort in Vollzeit als Handelsfachkraft. Das sei eine Büroarbeit in der Abteilung für deutschsprachige Verträge. Sofort nach der Anreise 1995 nach P habe er diese Beschäftigung aufgenommen und arbeitet dort bis heute. In P habe er sich nie abgemeldet, mit Ausnahme eines kurzen Zeitraumes ungefähr 2009 bis März 2010, als sein Vater gestorben sei. Nach dem Tod seines Vaters habe der Hauseigentümer den Verkauf der Mietwohnung beschlossen und deshalb sei er ausgezogen. Er wohne nun in R3 in einer Eigentumswohnung. Dort sei er mit festem Wohnsitz angemeldet. Von der polnischen Rentenversicherungsanstalt ZUS erhalte er keine Rentenleistung für einen Arbeitsunfall im polnischen Bergbau. Er erhalte eine entsprechende Rente aus Deutschland. Nachdem er 1989 nach Deutschland ausgereist sei, habe man ihm die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt. Es seien ihm keine Einschränkungen oder territorialen Bedingungen mitgeteilt worden, dass also der Rentenbezug voraussetze, dass er sich in der Bundesrepublik Deutschland persönlich aufhalten müsse. Er sei nach P ausgereist, weil er in Deutschland keine Arbeitsstelle gefunden und die Unfallrente für den Unterhalt nicht ausgereicht habe. „Sozialzuschüsse“ habe er nicht gewollt. Über seine Ausreise habe er niemanden unterrichtet. 

Mit Schreiben vom 06.12.2010 forderte der Kläger die Beklagte auf, die Zahlungen der Rente wieder aufzunehmen und den entstandenen Rückstand nachzuzahlen. Er habe weder seinen Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland verlegt noch von einer anderen Stelle Leistungen für den in Rede stehenden Versicherungsfall gewährt bekommen. Er sei deutscher Staatsbürger mit einem festen Wohnsitz in Deutschland seit 1989. Er sei in Deutschland ununterbrochen sozialversichert und steuerlich erfasst, auch sein PKW sei in Deutschland zugelassen. Bei dem zweiten Wohnsitz in P handle es sich um eine Zweitwohnung, die er erst seit April 2010 inne habe. Bei seinen früheren Aufenthalten in P seit 1995 habe er gelegentlich bei seinem Vater gewohnt. Den festen Wohnsitz in Deutschland habe er nie aufgegeben und er habe auch niemals die Absicht gehabt, diesen Wohnsitz aufzugeben. Die Zweizimmerwohnung in der F-Straße in T habe er bereits seit 18 Jahren ununterbrochen tatsächlich inne. Die lange Abwesenheit zwischen September 2009 und November 2010 sei durch unvorhersehbare notfallartige Umstände verursacht gewesen (Aufenthalt in einer Klinik in P bei der schwer krebskranken Verlobten), hin und wieder unterbrochen durch lange Dienstreisen (H, Ö usw.). Bedingt durch die lange Arbeitslosigkeit habe er sich im Jahr 1995 entschlossen, für die polnische Firma „R“ mit dem Hauptsitz in R1/P vorläufig tätig zu werden, wobei er hauptsächlich in D und Ö, aber auch in D1 und T1 eingesetzt worden sei, wo er zahlreiche Kunden dieser polnischen Firma zu betreuen habe. Es handele sich folglich um eine Reisetätigkeit. Auch wenn die Beschäftigung bereits mehrere Jahre dauere, werde sie als vorübergehend betrachtet, bis er einen Job in Deutschland bekomme. Er sei die ganze Zeit bei der Agentur für Arbeit als Arbeitsuchender gemeldet und bewerbe sich stets bei den durch die Agentur für Arbeit vermittelten Arbeitgebern. Nach dem Bescheid vom 09.10.1990 sei er verpflichtet, der Berufsgenossenschaft dann eine Mitteilung zu machen, wenn er seinen Wohnsitz außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland begründe oder wenn ihm eine Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland Leistungen für diesen Versicherungsfall gewähre. Da er durch die Anschaffung einer Zweitwohnung im Ausland ohne Aufgabe des Hauptwohnsitzes im Inland keinen neuen Hauptwohnsitz begründet und auch keine anderweitigen Leistungen für diesen Versicherungsfall gewährt bekommen habe, sei er zu keiner Mitteilung an die Beklagte verpflichtet gewesen. Bei zeitweiliger Abwesenheit werde ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthaltes nicht vollzogen, sofern ein Rückkehrwille des Betroffenen bestehe. Und selbst wenn die Zweitwohnung in P als Begründung eines Wohnsitzes zu bewerten wäre, sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) zu beachten, dass derjenige, der einen Wohnsitz im Ausland begründe und seine Wohnung im Inland beibehalte, auch im Inland einen Wohnsitz habe. Zur Untermauerung seines Vorbringens hat der Kläger diverse Unterlagen (unter anderem Sozialversicherungsausweis, mehrere Lohnsteuerkarten, Kopf eines mit „für Ihren Besuch beim Arbeitsamt“ überschriebenen Schriftstücks des Arbeitsamts P1 ohne Datum, Bescheinigung der R vom 10.12.2010, Jahresrechnung der E-B Vertrieb GmbH vom 13.03.2010 über ein Stromentgelt in Höhe von 101,41 € netto für die Zeit vom 20.02.2009 bis 18.02.2010 mit einem Verbrauch von 232 kWh, Mietvertrag vom 30.09.1992) vorgelegt; wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 154 ff. und Bl. 184 ff. der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Bereits in dem der Beklagten am 02.03.2011 übersandten Schlussbericht der Kriminalpolizeiinspektion P1 vom 15.10.2010, in dem im Ergebnis das Vorliegen eines (gewerbsmäßigen) Betruges des Klägers zu Lasten der Beklagten angenommen wurde, wurde im Hinblick auf den entsprechenden Vortrag im Strafverfahren unter anderem ausgeführt, dass der Kläger entgegen seinen Behauptungen in Deutschland nicht sozialversichert sei und hier auch keine Lohn- oder Einkommensteuer zahle. Die vorgelegten Lohnsteuerkarten würden jährlich jedem in Deutschland Gemeldeten zugesandt. Weder durch die Lohnsteuerkarte noch durch den Sozialversicherungsausweis sei eine Beschäftigung in Deutschland nachgewiesen. Der Kläger gehe seit Jahren ausschließlich in P einer Vollzeitbeschäftigung nach. Einen deutschen Festnetz- bzw. Mobilfunkanschluss des Klägers gebe es nicht. Die vorgelegte Stromrechnung weise einen Jahresstromverbrauch von 232 kWh für die 2-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad auf, den wahrscheinlich nicht einmal ein Niedrig-Energie-Haus erreichen würde, wenn man sich ein Jahr lang darin „gewöhnlich“ aufhalte. Der Durchschnittsstromverbrauch für eine vergleichbare Wohnung in einem älteren und somit nicht energetisch sanierten Haus betrage ca. 3000-6000 kWh, wie durch die E-B Vertrieb GmbH versichert worden sei. Der Stromverbrauch des Klägers erreiche damit nicht einmal 1/12 des am niedrigsten angenommenen Stromverbrauchs. Somit könne man einen maximalen Urlaubsaufenthalt von ca. drei Wochen jährlich annehmen.

Nachdem der Kläger gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts P1 vom 14.04.2011, mit welchem gegen ihn wegen Betruges eine Geldstrafe in Höhe von insgesamt 6000,00 € verhängt worden war, Einspruch eingelegt hatte, wurde das Strafverfahren mit Beschluss vom 01.08.2011 im Hinblick auf die sozialrechtliche Vorfrage des Anspruchs auf die Rente vorläufig eingestellt.

Bereits am 20.05.2011 hatte der Kläger gegen die Einstellung der Verletztenrente Klage zum Sozialgericht (SG) Landshut erhoben, die dort unter dem Az. S 15 U 139/11 geführt wurde.

Nach mit Schreiben vom 05.07.2011 erfolgter Anhörung des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 20.07.2011 den Bescheid vom 09.10.1990 über die Gewährung einer Verletztenrente aus Anlass des am 09.08.1984 erlittenen Arbeitsunfalls für die Zeit ab dem 01.01.1995 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Die zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 54.695,64 € seien von dem Kläger zu erstatten und würden gemäß § 50 SGB X zurückgefordert. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Kläger nach den Ermittlungen der Kriminalpolizei in P1 ab dem 01.01.1995 seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in P gehabt habe. Nach dem FRG in Verbindung mit dem DPSVA 1975 bestehe ein Rentenanspruch jedoch nur bei einem gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Im Rentenbescheid vom 09.10.1990 sei die Anwendung des FRG mitgeteilt worden. Auch habe er sich unter dem 26.10.1990 zur unverzüglichen Unterrichtung der Beklagten verpflichtet. Zudem sei er in dem Schreiben vom 15.11.1990 auf die Vorschriften hingewiesen worden. Die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes ins Ausland stelle vorliegend eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X dar. Der Bescheid vom 09.10.1990 sei daher für die Zeit ab dem 01.01.1995 bis auf weiteres gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufzuheben. Der Verletztenrentenanspruch falle demnach ab dem 01.01.1995 in voller Höhe weg und es ergebe sich für die Zeit vom 01.01.1995 bis 30.04.2010 ein Rückforderungsanspruch gemäß § 50 SGB X in Höhe von 54.695,64 €.  Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2011 zurück.

Am 08.09.2011 hat der Kläger beim SG Landshut gegen den Widerspruchsbescheid vom 11.08.2011 die dort unter dem Az. S 15 U 249/11 geführte Klage erhoben. Das SG Landshut hat am 04.04.2012 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung des Anzeigeerstatters B) durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 04.04.2012 Bezug genommen. Anschließend hat der Kläger unter Vorlage diverser Unterlagen bekräftigt, dass er sich weiter in der Bundesrepublik aufgehalten habe.

Mit Beschluss vom 23.04.2012 hat sich das SG Landshut für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Mannheim verwiesen, wo es das Az. S 10 U 1578/12 erhalten hat. Mit Beschluss vom 27.02.2013 hat sich das SG Mannheim für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Freiburg verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG Freiburg am 26.10.2015 hat die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers Unterlagen über Kontobewegungen des Klägers übergeben und haben die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits einen widerruflichen Vergleich dahingehend geschlossen, dass die Beklagte den angefochtenen Bescheid aufhebt, soweit der Abrechnungszeitraum vom 01.01.1995 bis 30.11.1995 betroffen ist.

Nachdem der Kläger den Vergleich widerrufen hatte, hat das SG Freiburg mit Urteil vom 27.01.2016 den Bescheid der Beklagten vom 20.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.08.2011 teilweise aufgehoben, soweit die Bewilligung der Rente vom 01.01.1995 bis 30.11.1995 aufgehoben und zurückgefordert werde, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Anfechtungsklage sei zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Aufhebung der Bewilligung vom 09.10.1990 ab 01.12.1995 und die Rückforderung der ab diesem Zeitpunkt gewährten Unfallrente seien rechtmäßig. Die Aufhebung der Bewilligung vom 01.01.1995 bis 30.11.1995 sei dagegen rechtswidrig, da für den Zeitraum vor dem 01.12.1995 ein Lebensmittelpunkt des Klägers außerhalb Deutschlands noch nicht eindeutig vorgelegen habe. Spätestens aber mit Aufnahme seiner vollschichtigen Tätigkeit bei der Firma R zum 01.12.1995 in P sei sein Lebensmittelpunkt dort klar festzustellen. Vorliegend sei eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers nach P vor Antritt seiner Vollzeitbeschäftigung zum 01.12.1995 gegeben, was gemäß dem FRG in Verbindung mit dem DPSVA 1975 zum Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der aufgrund des in P erlittenen Unfalls bewilligten Verletztenrente führe. Rechtsgrundlage für die Bewilligung der vorliegend in Rede stehenden Rente seien §§ 1583, 1569a RVO in Verbindung mit dem DPSVA 1975 und dem FRG. Gemäß Art. 7 und 8 DPSVA 1975 und § 12 Abs. 1 Satz 1 FRG stehe dem Berechtigten Rente nur so lange zu, wie der Berechtigte im Gebiet des Staates wohne, dessen Versicherungsträger die Rente festgestellt habe. Denn dem DPSVA 1975 liege das Eingliederungs- bzw. Integrationsprinzip zugrunde. Danach würden Renten der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließlich von dem Versicherungsträger des Staates, in dessen Gebiet der Berechtigte wohne (Wohnstaat), nach den dort geltenden Vorschriften gewährt (Art. 7 Abs. 1 DPSVA 1975). Der Unfallversicherungsträger berücksichtige dann Unfälle und Berufskrankheiten, die auf dem Gebiet des anderen Vertragsstaats eingetreten seien, als wären sie auf dem Gebiet des eigenen Staates eingetreten (Art. 7 Abs. 2 DPSVA 1975). Renten nach Art. 7 Abs. 2 DPSVA 1975 stünden nur für die Zeit zu, in der der Versicherte seinen gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Gebiet des Staates beibehalte, der diese Rente festgestellt habe (Art. 7 Abs. 3 DPSVA 1975). Verlege ein Rentner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet eines anderen Staates, so werde die Zahlung der Rente mit Ablauf des Monats eingestellt, in dem der Wohnort gewechselt worden sei (Art. 8 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 DPSVA 1975). Gemäß Art. 1 Nr. 2 DPSVA 1975 komme es auf den gewöhnlichen Aufenthalt an. Den gewöhnlichen Aufenthalt habe gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Das DPSVA 1975 sei auch nicht durch das spätere Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik P über Soziale Sicherheit vom 08.12.1990 (DPSVA 1990) oder andere europarechtliche Regelungen verdrängt bzw. ersetzt worden. Denn das DPSVA 1975 finde gemäß Art. 27 Abs. 2 Satz 1 und 2 DPSVA 1990 weiterhin auf Personen Anwendung, die vor dem 01.01.1991 in einem Vertragsstaat aufgrund des DPSVA 1975 Ansprüche und Anwartschaften erworben und die auch nach dem 31.12.1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaats beibehalten hätten. Der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers sei mit Antritt der Vollzeitstelle ab dem 01.12.1995 bei der Firma R in R1, P, nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Die vorhandenen Zeugenaussagen und Auskünfte sprächen eindeutig dafür, dass der Kläger faktisch den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse nach Polen verlegt habe. Mit der Vollzeittätigkeit in Polen wäre es nur schwer vereinbar, den tatsächlichen Lebensmittelpunkt weiterhin in Deutschland aufrechtzuerhalten. Der Kläger habe in Polen eine Wohnung unterhalten. Es gebe keinen Ort in Deutschland, bei dem erkennbar wäre, dass der Kläger ab Dezember 1995 dort nicht nur vorübergehend verweilt hätte. Die angemietete Wohnung in T habe er jedenfalls nur noch selten aufgesucht, so dass sein Lebensmittelpunkt mit Sicherheit nicht dort gelegen habe. Der Kläger habe in Deutschland keine Arbeit gefunden und nicht von Sozialleistungen leben wollen. Daher habe er sich dann 1995 entschieden, nach P zurückzukehren und bei R in Vollzeit tätig zu werden. Die Voraussetzungen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X für die Aufhebung der Bewilligung für die Vergangenheit ab dem 01.12.1995 seien gegeben. Der Kläger habe die für ihn nachteilige Änderung der Verhältnisse in Form der Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts nach P entgegen § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB X (gemeint offensichtlich: SGB I) der Beklagten nicht mitgeteilt. Dies sei unter Berücksichtigung der im Rentenbescheid gegebenen Hinweise und der mit seiner Unterschrift erklärten Verpflichtung, eine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts mitzuteilen, auch aufgrund grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers geschehen. Darüber hinaus habe der Kläger angesichts der mit Schreiben vom 15.11.1990 erläuterten Zuständigkeitsabgrenzung und der Verpflichtungserklärung nach Erteilung des Rentenbescheids die Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wenn ihm trotz der Begründung eines dauerhaften Wohnsitzes und der Annahme eines vollzeitigen Arbeitsplatzes außerhalb des Bundesgebiets nicht in den Sinn gekommen sein sollte, dass sein Rentenanspruch gegenüber der Beklagten entfalle. Auch im Hinblick auf eine etwaige Ermessensausübung seien keine Fehler ersichtlich. Die von der Beklagten gemäß § 50 SGB X geltend gemachte Rückforderung sei für die ab 01.12.1995 gewährten Zahlungen auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Gegen das seinem (damaligen) Zustellungsbevollmächtigten am 28.04.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.05.2016 die vorliegende Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er zunächst im Wesentlichen vorgetragen, dass das SG Freiburg örtlich unzuständig gewesen und das Urteil daher ungültig sei. Darüber hinaus sei die Sachlage hinsichtlich seines gewöhnlichen Aufenthalts nicht ausreichend erforscht worden. Seine berufliche Tätigkeit sei in der Zeit vom 01.12.1995 „bis wenigstens Ende 2012“ keineswegs mit ständiger Anwesenheit am Sitz des polnischen Arbeitgebers verbunden gewesen. Er habe eine Reisetätigkeit ausgeübt und wochen- oder gar monatelang auf diversen Baustellen, vor allem in D zum Teil aber auch in T1 usw., verweilt. Zwar habe er in P neben seinem festen Wohnsitz in D (T) eine kleine Wohnung bezogen und sich dort auch mit dem Zweitwohnsitz angemeldet, sein tatsächlicher gewöhnlicher Aufenthalt sei jedoch die jeweilige Baustelle und dies meistens in Deutschland gewesen. Die Verlegung seines Wohnsitzes sei erst im Jahr 2015 erfolgt. Der Kläger hat seine schon zuvor erfolgten Rechtsausführungen zum gewöhnlichen Aufenthalt wiederholt und bekräftigt darüber hinaus, dass er stets die Absicht gehabt habe, nach Deutschland zurückzukehren. Darüber hinaus sei die Adresse seiner „Zweitwohnung“ in P „zustellungsunfähig“, da sie in keinem amtlichen Dokument genannt werde, und der dorthin adressierte Widerspruchsbescheid vom 11.08.2011 schon deswegen „unwirksam“. Die Information der Kriminalpolizei P1 an die Beklagte sei unzutreffend gewesen und das Strafverfahren gegen ihn sei eingestellt worden. Entgegen der Auffassung des SG Freiburg sei auch nicht das DPSVA 1975 anzuwenden, sondern es würden die Regelungen des DPSVA 1990 gelten, so dass die Beklagte nach dessen Art. 14 verpflichtet gewesen sei, die Zahlungen an ihn entweder selbst fortzuführen oder über die polnische Sozialversicherung ZUS zu veranlassen.   

Der Kläger beantragt (den Antrag aus der Berufungsschrift sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.01.2016 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 20.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.08.2011 in vollem Umfang aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zunächst im Wesentlichen vorgetragen, dass das SG Freiburg örtlich zuständig gewesen sei. Spätestens mit der Aufnahme der vollschichtigen Tätigkeit bei der Firma R im Dezember 1995 habe der Kläger keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr in Deutschland gehabt, was sich nicht nur aus der Anzeige des Herrn B ergebe, sondern auch aus den Angaben der Vermieterin des Klägers und der Stromrechnung für die Zeit vom 20.02.2009 bis 18.02.2010. Gemäß den Bestimmungen des DPSVA 1975, welches vorliegend weiterhin anzuwenden sei, sei damit ab Dezember 1995 der in Rede stehende Anspruch auf die Unfallrente entfallen.

Der Kläger hat anschließend seine bisherigen Ausführungen bekräftigt und betont, dass er „wenigstens bis 2014-2015 weder seinen festen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt habe.“ Schließlich hat er vorgetragen, dass es auf die bislang streitige Frage seines gewöhnlichen Aufenthalts für die Zahlung der Unfallrente unter Berücksichtigung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – VO (EG) Nr. 883/2004 –, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates – VO (EG) Nr. 988/2009 – gar nicht ankomme, denn damit sei die Wohnortklausel aufgehoben worden und die Verordnung trete an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit.

Die Beklagte hat hierzu erwidert, dass die von dem Kläger genannten Verordnungen die zuvor bestehenden Abkommen (DPSVA 1975 und DPSVA 1990) nicht vollständig ablösen würden, was sich aus den Eintragungen in den Anhangsregelungen ergebe.     

Der Kläger bekräftigt abschließend nochmals die Anwendbarkeit der VO (EG) Nr. 883/2004, geändert durch die VO (EG) Nr. 988/2009.

Mit Schriftsatz vom 16.07.2018 hat die Beklagte, mit Erklärung vom 01.08.2018 der Kläger jeweils das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Am 22.08.2018 hat der Kläger gegenüber der polnischen staatlichen Sozialversicherung ZUS erklärt, dass er sich seit dem 02.04.2011 dauerhaft auf dem Gebiet P aufhalte, unter der Adresse in R3,  G wohne und sich dort sein Lebensmittelpunkt befinde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist unbegründet.

Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Berufung die Abänderung des Urteils des SG Freiburg vom 27.01.2016, mit dem es seiner Anfechtungsklage nur teilweise entsprochen hat, und die vollständige Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 20.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.08.2011. 

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Denn das SG Freiburg hat mit dem angefochtenen Urteil den Bescheid vom 20.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.08.2011 zu Recht (nur) insoweit aufgehoben, als die Bewilligung der Rente für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 30.11.1995 aufgehoben und zurückgefordert wird, und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Soweit der Kläger mit der Berufungsbegründung geltend macht, das angefochtene Urteil sei „ungültig“, weil das SG Freiburg örtlich unzuständig gewesen sei, erübrigen sich weitergehende Ausführungen hierzu bereits deswegen, weil im Falle der Bejahung der örtlichen Zuständigkeit durch das SG Freiburg diese im Rechtsmittelverfahren gemäß § 98 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nicht zu prüfen ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 57 Rn. 12a).  

Zu dem Einwand des Klägers, der angefochtene Widerspruchsbescheid vom 11.08.2011 sei bereits deswegen „unwirksam“, weil dieser an die Adresse seiner „Zweitwohnung“ gesandt worden und diese Adresse „zustellungsunfähig“ gewesen sei, erübrigen sich weitere Ausführungen bereits deswegen, weil der Kläger selbst zuvor bei seiner Vernehmung am 08.11.2010 genau diese Adresse (G, R3) als „Wohnanschrift“ und „Zustellungsanschrift“ angegeben hat.     

Das SG Freiburg hat in dem angefochtenen Urteil die Voraussetzungen für die Gewährung der in Rede stehenden Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls des Klägers vom 09.08.1984, insbesondere die Bedeutung des gewöhnlichen Aufenthalts gemäß den Vorgaben des DPSVA 1975, welches hier weiterhin Anwendung findet, und des FRG zutreffend dargelegt und ist zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers ab dem 01.12.1995 mit der Aufnahme seiner Beschäftigung bei der in P ansässigen Firma „R“ nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland war, die Aufhebung der Rentenbewilligung (auch) für die Vergangenheit gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X zu Recht erfolgte und damit hinsichtlich der ab dem 01.12.1995 durch die Beklagte gewährten Rentenzahlungen gemäß § 50 SGB X ein Rückforderungsanspruch der Beklagten besteht. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Rechtslage und Würdigung des vorliegenden Beweisergebnisses den Ausführungen des SG Freiburg in der angefochtenen Entscheidung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die dortigen Ausführungen. 

Aufgrund des Berufungsvorbringens des Klägers ergibt sich keine andere Beurteilung.

Bei den Ausführungen des Klägers zum gewöhnlichen Aufenthalt handelt es sich letztlich lediglich um – zum Teil wörtlich identische – Wiederholungen seines früheren Vorbringens, welche das SG Freiburg bereits bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Wie schon das SG Freiburg stützt sich hinsichtlich der Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers auch der Senat insbesondere auf die eigenen Angaben des Klägers bei seiner Vernehmung durch eine polnische Staatsanwältin am 08.11.2010. Der Kläger gab dabei unter anderem an, dass er die Arbeit bei R in P im Dezember 1995 aufgenommen habe. Dort arbeite er „vollzeitlich als Handelsfachkraft. Das ist eine Büroarbeit … .“ Weiter sagte er aus: „Ich bin nach P ausgereist, weil … .“ Bereits aufgrund dieser eigenen Angaben des Klägers steht für den Senat zweifellos fest, dass der Kläger ausreiste und er damit seinen gewöhnlichen Aufenthalt mit Beginn der vorgenannten Tätigkeit im Dezember 1995 nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland hatte. Zu berücksichtigen ist auch, dass diese Angaben erfolgten, bevor der Bescheid der Beklagten vom 20.07.2011 erging bzw. ihre Anhörung zu diesem erfolgte. Dass der Kläger die Wohnung in T hingegen nur selten/besuchsweise aufgesucht hat, ergibt sich auch aus den Angaben der Vermieterin des Klägers, Frau K2, im Rahmen der Vernehmung am 13.04.2010, aufgrund der von den Beamten der Kriminalpolizeiinspektion P1 dort vorgefundenen gestapelten Briefe und des extrem niedrigen Stromverbrauchs gemäß der vorliegenden Jahresstromrechnung, worauf bereits in dem Schlussbericht der Kriminalpolizeiinspektion P1 vom 15.10.2010 zutreffend hingewiesen worden ist. Soweit der Kläger später versucht hat, all dies zu relativieren, bzw. mitunter sogar das Gegenteil behauptet hat, wertet der Senat dies als Schutzbehauptungen. Die späteren Angaben des Klägers sind zum Teil widersprüchlich und zum Teil auch nachweislich falsch. So bestreitet er das Vorliegen des gewöhnlichen Aufenthalts in P „bis wenigstens Ende 2012“ (Schreiben des Klägers vom 07.06.2016) beziehungsweise „wenigstens bis 2014-2015“ (Schreiben des Klägers vom 15.08.2016), während er aber bereits bei der Vernehmung durch die polnische Staatsanwältin am 08.11.2010 zu „Anmeldung mit festem Wohnsitz“ und „Wohnanschrift“ ausschließlich die Adresse in R3 angegeben hat. Allein dies belegt die Widersprüchlichkeit bzw. Unrichtigkeit des Vortrags des Klägers im Klage- bzw. Berufungsverfahren. Hinzu kommt – ohne dass es hierauf noch entscheidend ankommt – dass der Kläger mit Erklärung vom 22.08.2018 gegenüber der ZUS angegeben hat, sich seit dem 02.04.2011 dauerhaft auf dem Gebiet P aufzuhalten, unter der Adresse in R3 zu wohnen und dass sich dort sein Lebensmittelpunkt befinde. Soweit der Kläger vorträgt, das Strafverfahren gegen ihn sei eingestellt worden, ist dies nur insoweit zutreffend, als eine vorläufige Einstellung bis zum Abschluss des sozialgerichtlichen Verfahrens erfolgt ist. Nach Gesamtwürdigung nicht nur der vorgenannten, sondern sämtlicher aktenkundiger Informationen hat der Senat keinen Zweifel, dass der Kläger mit Aufnahme der Vollzeittätigkeit bei der Firma R in P ab dem 01.12.1995 seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in P hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat ein Student mit der Aufnahme eines mehrjährigen Auslandsstudiums seinen Wohnsitz am Ort der elterlichen Wohnung aufgegeben, wenn er während des Studiums jährlich jeweils nur für drei Wochen zurückkehrt, um seine Familie zu besuchen (Rückkehr mit Besuchscharakter), ohne an längeren, über Besuche hinausgehenden Aufenthalten (Rückkehr mit Wohncharakter) aus unvorhersehbaren Gründen gehindert zu sein (BSG, Urteil vom 28.05.1997, 14/10 RKg 14/94, juris). Eine vergleichbare Situation war vorliegend gegeben, selbst wenn der Kläger – wie er vorträgt – an einer Tätigkeit in der Bundesrepublik Interesse gehabt haben sollte. Für die Zeit vom 01.01.1995 bis 30.11.1995 vermag der Senat hingegen – wie schon das SG Freiburg – nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad festzustellen, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland hatte, weshalb der angefochtene Bescheid vom SG Freiburg zu Recht insoweit aufgehoben worden ist.  

Entgegen dem zuletzt von dem Kläger erfolgten Vortrag ist die Frage seines gewöhnlichen Aufenthalts für die Zahlung der in Rede stehenden Verletztenrente auch nicht aufgrund der VO (EG) Nr. 883/2004, geändert durch die VO (EG) Nr. 988/2009, bedeutungslos. Zwar regelt Art. 7 der VO (EG) Nr. 883/2004, dass, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden dürfen, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Zutreffend ist auch, dass gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der VO (EG) Nr. 883/2004 diese im Rahmen ihres Geltungsbereichs an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit tritt. Gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 der VO (EG) Nr. 883/2004 gelten einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung geschlossen wurden, jedoch weiter, wenn diese Bestimmungen in Anhang II aufgeführt sind. Gemäß Buchst. B des Anhangs der VO (EG) Nr. 988/2009 erhielt Anhang II der VO (EG) Nr. 883/2004 eine Fassung der Gestalt, dass das DPSVA 1975 unter den in Art. 27 Abs. 2 bis 4 DPSVA 1990 festgelegten Bedingungen in Kraft bleibt. Da – wie schon das SG Freiburg dargelegt hat – Art. 27 Abs. 2 Satz 1 und 2 DPSVA 1990 Anwendung findet, bleibt es damit bei der Anwendung des DPSVA 1975, so dass der gewöhnliche Aufenthalt von entscheidender Bedeutung ist.

Das SG Freiburg hat auch zutreffend die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X bejaht. Auch der Senat ist zu dem Ergebnis gelangt, dass hier zumindest ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers gegeben ist. Hinsichtlich der unterlassen Mitteilung (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) über den Wechsel seines gewöhnlichen Aufenthalts folgt dies bereits aus der von ihm unter dem 26.10.1990 abgegebenen Erklärung, mit der er sich zur unverzüglichen Unterrichtung des Unfallversicherungsträgers bei einem entsprechenden Wohnsitzwechsel verpflichtet hat. Darüber hinaus musste der Kläger auch wissen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X), dass ihm mit Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland die in Rede stehende Unfallrente nicht mehr zusteht. Die Beklagte hatte mit ihrem Schreiben an den Kläger vom 15.11.1990 eindeutig erläutert, dass gemäß Art. 5 Abs. 1 DPSVA 1975 die Zahlung der Rente bei Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in das Gebiet des anderen Staates eingestellt werde. Dass der Kläger über ein entsprechendes Einsichts- und Urteilsvermögen verfügt, ergibt sich bereits aus den von ihm im Rahmen des Verfahrens selbst verfassten Schreiben, die zahlreiche rechtliche Erwägungen enthalten, zuletzt sogar mit europarechtlicher Argumentation.

Die Aufhebung der Rentenbewilligung mit Bescheid vom 20.07.2011 erfolgte gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, der über § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X entsprechend anzuwenden ist, innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der Beklagten von der wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Zwar ist die Beklagte bereits am 01.04.2010 durch die Kriminalpolizeiinspektion P1 darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass aufgrund einer Anzeige Ermittlungen gegen den Kläger angestellt worden sind und werden. Die Jahresfrist hat jedoch frühestens am 02.03.2011 begonnen, als die Beklagte durch Übermittlung des Schlussberichts der Kriminalpolizeiinspektion P1 vom 15.10.2010 sichere Kenntnis über den tatsächlichen Sachverhalt erlangt hat (für den Beginn der Jahresfrist sogar erst ab der – vorliegend erst mit Schreiben vom 05.07.2011 erfolgten – Anhörung: BSG, Urteil vom 27.07.2000, B 7 AL 88/99 R, juris).

Der Aufhebung der Rentenbewilligung mit Bescheid vom 20.07.2011 steht nicht entgegen, dass die für die Aufhebung maßgebliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen (Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts nach P spätestens zum 01.12.1995) bereits vor über zehn Jahren eingetreten war. Dies ergibt sich aus der Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X, wonach u.a. die § 45 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 SGB X „entsprechend“ gilt. Einschlägig ist vorliegend die Bestimmung des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe nach § 45 Abs. 2 SGB X dann zurückgenommen werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X (Verwaltungsakt beruht auf vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen oder unvollständigen Angaben) oder § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X (Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts) gegeben sind. Nach § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X kann in den Fällen des § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde, was vorliegend der Fall ist. Die Übergangsvorschrift des § 45 Abs. 3 Satz 5 SGB X, nach der § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X bei Ablauf der Zehnjahresfrist am 15.04.1998 mit der Maßgabe gilt, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden kann, kommt im vorliegenden Fall nicht mehr in Betracht (vergleiche zum Ganzen BSG, Urteil vom 01.07.2010, B 13 R 77/09 R, juris, mit weiteren Nachweisen).

Die Aufhebungsentscheidung der Beklagten ist auch nicht wegen Fehlens einer Ermessensentscheidung rechtswidrig. Das Wort „soll“ in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann. Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden. Bei der Prüfung, ob eine zur Ermessensausübung zwingende Atypik des Geschehensablaufs vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Hierbei ist zu prüfen, ob die mit der Aufhebung verbundene Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) nach Lage des Falls eine Härte bedeutet, die den Leistungsbezieher in atypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen. Ebenso ist das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falls im Sinne einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu werten ist, kann im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestands nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergeben. Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht losgelöst davon zu beurteilen, welcher der in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB X vorausgesetzten Aufhebungstatbestände erfüllt ist. Vorliegend kann eine Atypik nicht allein damit begründet werden, dass die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung der Rente und die Erstattungsforderung einen Zeitraum von rund 15 Jahren umfassen. Denn der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Ursache der seit 01.12.1995 eingetretenen Überzahlung ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Klägers fällt und durch ein unredliches („bösgläubiges“) Verhalten begründet war. Nur er hätte durch die sofortige Mitteilung seiner Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts die unrechtmäßige Weiterzahlung der Rente vermeiden können; ein Fehlverhalten auf Seiten der Beklagten liegt nicht vor. Der Kläger durfte nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte anderweitig von seiner Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts Kenntnis erlangen werde. Schließlich hat der Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger durch die Erfüllung des Erstattungsanspruchs im Nachhinein sozialhilfebedürftig und dadurch seine wirtschaftliche Existenz auf Dauer ernsthaft gefährdet würde (vergleiche BSG, Urteil vom 01.07.2010, B 13 R 77/09 R, juris, mit weiteren Nachweisen).

Hinsichtlich des sonach für die Zeit ab dem 01.12.1995 bestehenden Erstattungsanspruchs der Beklagten gemäß § 50 SGB X bestehen Bedenken weder in rechtlicher Hinsicht noch bezüglich der Höhe der Forderung. Insoweit stützt sich der Senat auf die zutreffende Berechnung der Beklagten im Berechnungsbogen vom 13.04.2009.  

Schließlich ist in dem vorliegenden Verfahren nicht zu klären, ob bzw. seit wann der Kläger nach Verlegung seines gewöhnlichen Aufenthalts nach P ggf. einen Anspruch gegenüber dem polnischen Sozialversicherungsträger hat. Gegenüber der Beklagten bestand ab dem 01.12.1995 jedenfalls kein Anspruch auf die Zahlung von Unfallrente mehr.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.

Rechtskraft
Aus
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