L 3 AS 290/22 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 648/22 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 290/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

§ 929 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Vollziehung des Arrestbefehls unstatthaft ist, wenn seit dem Tag, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. ist seit der Änderung der Verweisungsregelung in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG zum 25. Oktober 2013 im sozialgerichtlichen Verfahren nicht mehr anwendbar.

 

 

  1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 24. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsgegner hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

 

I.

 

 

Der Antragsgegner wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 24. Mai 2022, mit welchem er im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, der Antragstellerin die beantragte Zusicherung hinsichtlich der Kosten für den Umzug nach  Z....  zu erteilen sowie für entstandene Umzugskosten Leistungen in Höhe von 3.800,00 EUR zu gewähren.

 

Die im Jahr 1976 geborene, verheiratete Antragstellerin ist Mutter zweier in den Jahren 2002 und 2008 geborener Söhne. Sie ist türkische Staatsangehörige, die vor der Einreise in die Bundesrepublik als Lehrerin für Mathematik tätig war.

 

Die Antragstellerin zog mit dem zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Ehemann sowie den beiden Söhnen im Jahr 2018 nach Y…., wo sie zum 15. August 2018 eine Wohnung in der  X....  bezog. Die Antragstellerin bezieht seitdem für die Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) vom Antragsgegner. Zuletzt bewilligte er den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin mit Bescheid vom 27. April 2022 für Mai 2022 Leistungen in Höhe von 1.912,00 EUR. Einkommen erzielt die Bedarfsgemeinschaftsmitglieder, abgesehen vom Kindergelt, nicht.

 

Die Antragstellerin absolvierte in der Zeit seit 2018 zahlreiche Sprachkurse und nahm zuletzt an einem Intensivkurs zur Integration in das deutsche Hochschulsystem mit 480 Unterrichtseinheiten auf Niveau C1 teil.

 

Auf eigene Bewerbung wurde die Antragstellerin in das berufsqualifizierende Weiterbildungsprogramm „Lehrkräfte Plus“ der Professional School of Education der  W.... - Universität  V....  aufgenommen. Es handelt sich hierbei um eine berufsqualifizierende Maßnahme, in der die TeilnehmerInnen für eine Arbeit als Fachlehrkraft in einer deutschen weiterbildenden Schule ausgebildet werden. Das Programm umfasst neben weiteren Sprachkursen, die zum Erwerb des Sprachzertifikats auf Niveau C1 führen sollen, fach-didaktische Seminare und ein Praktikum als Lehrkraft in einer Schule. Am Ende des Programmes werden die TeilnehmenInnen zertifiziert und hinsichtlich der weiteren beruflichen Perspektiven unterstützt.

 

 

Die Antragstellerin teilte dem Antragsgegner am 17. Februar 2022 mit, für das beschriebene Programm angenommen worden zu sein und mit den Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft nach  V....  umziehen zu wollen. Sie nahm seit dem 1. April 2022 an den in Präsenz stattfindenden Veranstaltungen des Programms teil und pendelte zwischen V…. und Y…..

 

Die Antragstellerin kündigte den Mietvertrag in Y…., nachdem die Bedarfsgemeinschaft eine Mietwohnung lediglich in  Z....  fand, schlussendlich mit Schreiben vom 5. April 2022 zum 31. Mai 2022.

 

Am 26. April 2022 (Dienstag) beantragte die Antragstellerin als Haushaltsvorstand beim Antragsgegner die Übernahme von Umzugskosten für den Umzug nach  U..... Zu ihrem Antrag legte sie einen Mietvertrag vom 28. März 2022, von ihr unterzeichnet am 7. April 2022, über eine 71 m³ große Wohnung in der T-Straße in  Z....  mit einer Gesamtmiete von 819,00 EUR (= 549,00 EUR [Grundmiete] + 196,00 EUR [Betriebskostenvorauszahlung] + 74,00 EUR [Heizkosten]) mit Mietbeginn am 1. Juni 2022, eine Bestätigung des Jobcenters  Z....  vom 5. April 2022 über die Angemessenheit dieser Wohnung und Pauschalangebote dreier Umzugsunternehmen für den Umzug von Y…. nach  Z....  (im Mai – nach Absprache) vom 22. April 2022 (Freitag) vor. Ergänzend gab die Antragstellerin an, keine Verwandten in Y…. zu haben, die der Bedarfsgemeinschaft beim Umzug helfen könnten. Sie und ihr Ehemann würden über keine Fahrerlaubnis verfügen, die die Durchführung des Umzugs in Eigenregie erlaube.

 

Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 26. April 2022 den Antrag auf Übernahme von Umzugskosten ab. Leistungen seien nicht zu bewilligen, da die vorgetragenen persönlichen Gründe einen Umzug nicht als notwendig erscheinen ließen.

 

Die Antragstellerin wandte sich gegen die Ablehnung mit Widerspruch vom 3. Mai 2022. Der Umzug erfolge ausschließlich mit der Perspektive der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit. Mit Hilfe der Weiterbildung könne sie aus ihrer 17-jährigen Berufserfahrung als Mathematik-Lehrerin nunmehr auch in Deutschland profitieren. Dafür sei die Fortentwicklung der deutschen Fachsprache notwendig. Da das im Rahmen des Programms vorgesehene Schulpraktikum in räumlicher Nähe stattfinden solle, müsse sie nach  Z....  umziehen. Eine Wohnung in  V....  habe sie nicht finden können. Der

 

 

Freistaat  S....  biete ein vergleichbares Programm nicht an.

 

 

Die Antragstellerin hat am 4. Mai 2022 vor dem Sozialgericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Der Antragsgegner hat geltend gemacht, dass sich die begonnene Weiterbildung für die Eingliederung der Antragstellerin nicht als zwingend notwendig darstelle.

 

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 24. Mai 2022 den Antragsgegner einstweilen verpflichtet, der Antragstellerin die beantragte Zusicherung hinsichtlich der Kosten für den Umzug nach  Z....  zu erteilen und für entstandene Umzugskosten Leistungen in Höhe von 3.800,00 EUR zu gewähren. Der Umzug sei notwendig im Sinne des § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II. Eine Notwendigkeit liege vor, wenn der Umzug erforderlich und die Kosten für die neue Unterkunft angemessen seien. Die Erforderlichkeit des Umzugs setze objektiv bestehende gewichtige Sachgründe voraus, die einen plausiblen, nachvollziehbaren und verständlichen Grund für den Umzug darstellten, von denen sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde (zu § 22 Abs. 1 Satz 2: SGB II BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 107/10 R – juris Rdnr. 17). Umstände, die allein dem privaten Bereich zuzuordnen seien, würden nicht ausreichen (vgl. zum Umzug aus familiären Gründen: BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 14 AS 7/09 R – juris Rdnr. 17). Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Antragstellerin die Aufnahme beziehungsweise Fortführung eines Weiterbildungsprogrammes, das nicht unmittelbar zur Erzielung von Einkommen führe, anstrebe, seien die Motive des Umzugs nicht „privat“ motiviert. Der Umzug erfolge mit dem Ziel, ab dem zweiten Jahr des Weiterbildungsprogramms in das Erwerbsleben als Lehrerin wiedereinsteigen zu können und sodann den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft zeitnah aus Erwerbseinkommen decken zu können. Angesichts der eingereichten Unterlagen handele es sich auch um eine durchaus greifbare Erwartung. Von der Erwartung, im Rahmen einer berufsbezogenen Weiterbildung berufliche Chancen erkennbar zu verbessern, ließe sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten. Dass dieses Ansinnen nur dann relevant sei, wenn es unmittelbar zur Verbesserung der Erwerbssituation führe, sei der Prüfung der Erforderlichkeit fremd. Diese verlange eine Würdigung aller im Einzelfall maßgeblichen Umstände. Nachvollziehbar mache die Antragstellerin geltend, für eine Tätigkeit auf Fachvokabular angewiesen zu sein. Ein dauerhaftes Pendeln zwischen Dresden und  V....  sei ihr angesichts des minderjährigen Kindes nicht zumutbar. Die Angemessenheit der Unterkunft in Z....  ergäbe sich aus der entsprechenden Bestätigung des dortigen Jobcenters. Hinsichtlich der Höhe der Umzugskosten sei im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes der nicht abschließend aufzuklärende Umstand zu berücksichtigen, dass

 

die Bedarfsgemeinschaft über keine Kontakte verfüge, die eine private Organisation der Umzugshilfe ermögliche. Die Antragstellerin und ihr Ehemann würden zudem über keine Fahrerlaubnis verfügen. Angesichts der Distanz, die im Rahmen des konkreten Umzugs zu bewältigen sei, sei außerdem fraglich, ob der Umzug durch den Einsatz „studentischer Hilfskräfte“ günstiger zu organisieren und solche überhaupt zur Verfügung stünden. Ferner sei zu berücksichtigen, dass für die Antragstellerin aufgrund eines ca. sieben Wochen zurückliegenden operativen Eingriffes schweres Tragen zu vermeiden sei. Der nachgewiesene Pauschalpreis von 3.800,00 EUR brutto liege am unteren Ende der angemessenen Umzugskosten. Der Anordnungsgrund folge aus den zeitlichen Umständen. Die Weiterbildung habe bereits vor einigen Wochen begonnen. Ausweislich der Kontoauszüge habe die Antragstellerin keine Möglichkeit den Umzug aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

 

Der Antragsgegner hat sich am 31. Mai 2022 gegen den Beschluss mit Beschwerde gewandt. Entscheidend sei, dass der Umzug offensichtlich zum 30. Mai 2022 geplant und nunmehr sogar bereits erfolgt sei, ohne dass die Antragstellerin habe wissen könne, wie das Sozialgericht entscheide. Es werde daher vermutet, dass das notwendige Geld der Antragstellerin zur Verfügung gestanden habe, da die Durchführung des Umzuges ohne jede Absicherung der Kostenübernahme bezweifelt werde. Es fehle am Anordnungsgrund. Zudem sei die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts auch nach einem Monat noch nicht eingeleitet worden. Es werde weiterhin vertreten, dass sich ein Nichtleistungsempfänger von der bloßen Erwartung verbesserter beruflicher Chancen nicht hätte zum Umzug motivieren lassen.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

 

den Beschluss des Sozialgerichts vom 24. Mai 2022 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

 

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.

Den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, erst Jahre später die Weiterbildung durchzuführen oder weiter zu pendeln, sei nicht zumutbar. Auch sei es derzeit sehr schwierig, überhaupt eine Wohnung zu finden. Der Firmeninhaber habe ihre Notsituation gekannt und habe eine Ausnahme gemacht, um ihnen entgegenzukommen. Es sei noch

 

 

keine Rechnung bezahlt. Die Umzugsarbeiten seien erst am 5. Juni 2022 beendet worden. Die Firma sei über das gerichtliche Verfahren informiert. Wie viel Zeit ihnen noch gewährt werde, um die Rechnung zu begleichen, wüssten sie nicht. Das Verfahren sei nicht ohne Grund betrieben worden. Sie hätten sich durch den Umzug hoch verschuldet. Würde die Zahlung unterbleiben, müssten sie versuchen, die Rechnung aus eigenen Mitteln zu tragen, um nicht verschuldet zu bleiben. Es fehle an jeder Liquidität.

 

Mit Beschluss vom 22. Juni 2022 hat der Vorsitzende des 3. Senats den Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 24. Mai 2022 abgelehnt.

 

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen elektronischen Verwaltungsvorgangs sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

 

 

II.

 

 

1. Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig aber unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht dem Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben und den Antragsgegner einstweilen verpflichtet, die Kosten für den Umzug der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin nach Z....  in Höhe von 3.800,00 EUR zu zahlen.

 

  1. Dem Antrag fehlt nicht das notwendige Rechtsschutzbedürfnis.

 

 

  1. Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung, die bei jeder Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gegeben sein muss. Der Begriff des Rechts-schutzbedürfnisses bedeutet, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 19. April 2018 – L 3 AL 71/16 – juris Rdnr. 42, m. w. N.; Sächs. LSG, Urteil vom 17. Oktober 2019 – L 3 AS 476/17 – juris Rdnr. 24, m. w. N.). Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt unter anderem dann, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung weder gegenwärtig noch zukünftig die Stellung des Klägers oder Antragsstellers verbessern würde (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 – b 8 SO 24/10 R – NZS 2012, 798 [799] = juris Rdnr. 10;

 

 

Sächs. LSG, Urteil vom 17. Oktober 2019, a. a. O., m. w. N.; Keller, in: Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], Vor § 51 Rdnr. 16a). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Kläger oder Antragsteller bereits ohne die begehrte gerichtliche Entscheidung klaglos gestellt ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 – B 12 KR 7/14 R – SozR 4-2500 § 240 Nr. 28 = juris, jeweils Rdnr. 41; Keller, a. a. O.) oder sich seine Rechtsposition durch die begehrte gerichtliche Entscheidung nicht verbessern würde.

 

  1. Dass die Antragstellerin die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts vom

24. Mai 2022 bis heute nicht eingeleitet hat, lässt ihr Rechtschutzbedürfnis vorliegend nicht entfallen. Entgegen der wohl bestehenden Auffassung des Antragsgegners findet

§ 929 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegend keine Anwendung. Danach ist die Vollziehung des Arrestbefehls unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Die Regelung des § 929 Abs. 2 Satz 1 ZPO galt über die Verweisungsregelung in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. hierzu die Beschlüsse des Senates vom 24. Januar 2008 [Az.: L 3 B 610/07 AS-ER], 24. Oktober 2008 [Az.: L 3 B 380/08 AS-ER], 24. November 2009 [Az.: L 3 SO 70/09 B ER], jeweils veröffentlicht in juris). Die Verweisungsregelung in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist jedoch mit Wirkung vom 25. Oktober 2013 geändert worden. An die Stelle der Verweisung auf die gesamte Vorschrift des § 929 ZPO ist die Verweisung auf § 929 Abs. 1 und 3 ZPO getreten (vgl. Artikel 7 Nr. 8 des Gesetzes vom 19. Oktober 2013 [BGBl. I S. 3836]). Seither sind die Regelungen in § 929 Abs. 2 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren nicht mehr anwendbar. In der Gesetzesbegründung ist hierzu ausgeführt (vgl. BT-Drs. 17/12297, S. 39): "Die Regelung vermeidet unnötige Vollstreckungsanträge. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle wird der Schuldner eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sein und daher auch ohne weitere Vollstreckungsmaßnahmen einen sofort vollziehbaren Beschluss beachten. In diesen Fällen ist eine Vollstreckung unnötig. Die Vollziehungsfrist baut daher unnötigen Handlungsdruck für den Antragsteller auf, der befürchtet, dass er seine Ansprüche aus der einstweiligen Anordnung verliert."

 

  1. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungs- grund hinreichend glaubhaft gemacht.

 

  1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur

 

 

Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Dazu ist gemäß

§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.

 

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit oder Schwere des drohenden Nachteils, dem Anordnungsgrund, zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich auf Grund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Keller, a. a. O., § 86b Rdnr. 27 und 29). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so mindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.

 

  1. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Beschluss des Sozialgerichts aus den zutreffenden Gründen seiner Entscheidung nicht zu beanstanden. Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht daher gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

 

(2.1) Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich auch ein Nichtleistungsempfänger mit den konkreten Erwerbsoptionen der Antragstellerin zu einem Umzug veranlasst sehen würde. Denn aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Weiterbildungsprogramms und der bisherigen Ausbildung der Antragstellerin ist die zeitnahe Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und Deckung des Lebensunterhalts der Bedarfsgemeinschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, ohne dass alternative Möglichkeiten ohne einen Umzug erkennbar sind. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Umzug der Familie von Y…. nach  Z....  und der damit auch verbundene Schulwechsel des minderjährigen Sohnes aus nicht nachvollziehbaren oder aus rein privaten Gründen erfolgte.

 

 

 

(2.2) Aufgrund der nachgewiesenen finanziellen Verhältnisse der Bedarfsgemeinschaft besteht, nachdem die Weiterbildung bereits zum 1. April 2022 begonnen hat und die Kosten für den Umzug nicht gedeckt sind, auch der notwendige Anordnungsgrund.

 

Dem steht nicht entgegen, dass der Umzug nach Beantragung des vorläufigen Rechtsschutzes durchgeführt wurde und die Antragstellerin somit nunmehr (nur noch) einer Forderung ausgesetzt ist. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Forderung bereits beglichen ist oder die Leistungserbringung unabhängig vom vorliegenden Verfahren erfolgte. Die Forderung ist erst, nachdem einstweiliger Rechtsschutz beantragt wurde, entstanden und kann nachweislich von der Antragstellerin ohne Rückgriff auf die gewährten monatlichen Leistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes und damit ohne Rückgriff auf das Existenzminimum nicht beglichen werden. Unter diesen Umständen den Anordnungsgrund in der Beschwerdeinstanz zu verneinen, würde jedoch im Ergebnis der Versagung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes [GG]) gleichkommen.

 

Denn die Antragstellerin erhielt, nachdem sie den Mietvertrag am 28. März 2022 mit Miet- beginn zum 1. Juni 2022 erlangt hatte, mit Schreiben vom 5. April 2022 die Zustimmung des Jobcenters  Z....  zur Angemessenheit der Wohnung, kündigte am gleichen Tag den Mietvertrag in Y… und holte Angebote der Umzugsunternehmen ein. Unmittelbar nach Vorlage der Angebote vom 22. April 2022 beantragte die Antragstellerin am 26. April 2022 die Übernahme der Kosten. Sie legte nach Ablehnung mit Bescheid vom gleichen Tag am 3. Mai 2022 Widerspruch ein und stellte am 4. Mai 2022 den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Die Leistung wurde sodann allein aufgrund der Notlage in Kenntnis der fehlenden Liquidität und im Vertrauen auf die Erlangung eines effektiven Rechtsschutzes erbracht.

 

Zudem sind an den Anordnungsgrund, nachdem die Klage in der Hauptsache offensichtlich begründet sein wird, geringere Anforderungen zu stellen.

 

  1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend.

 

 

  1. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (vgl. § 177 SGG)
Rechtskraft
Aus
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