Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. September 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG).
Der 1986 geborene Kläger (deutscher Staatsangehöriger mit kurdischem Migrationshintergrund) machte in den Jahren 2002 bis 2005 eine Ausbildung zum Systemelektroniker. In der Folge arbeitete er im Anwendungsservicebereich und ab dem 1. Januar 2009 der Verfahrensbetriebsführung der Deutschen Bahn. Bereits ab dem Jahr 2007 besuchte er die Abendschule, welche er im Dezember 2011 mit dem Abitur abschloss.
Am 4. September 2009 wurde der Kläger auf dem Nachhauseweg von der Abendschule in der S-Bahn von dem Mitschüler C. M. durch einen Faustschlag in das Gesicht verletzt. Der Kläger erlitt eine Schwellung am rechten Jochbein sowie eine Platzwunde, die im Krankenhaus genäht werden musste. Wegen dieser Tat erließ das Amtsgericht Groß-Gerau gegen den Täter einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen.
Der Kläger versuchte in der Folgezeit erfolglos, einen Schulverweis gegen den Täter zu erreichen. Der Kläger selbst war nach der Tat für einen Monat arbeitsunfähig und unterbrach die Schule für sieben Monate. Anfang Dezember 2011 legte der Kläger das Abitur ab. Parallel zur Absolvierung der Abendschule war der Kläger berufstätig. Es kam zu weiteren Zusammentreffen zwischen dem Kläger und dem Täter bzw. der Familie des Täters in den Jahren 2009, 2012 und 2015, bei denen der Kläger sich durch den Täter bzw. dessen Familie bedroht fühlte. Die vom Kläger in diesem Zeitraum gestellten Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung und Bedrohung stellte die Staatsanwaltschaft Darmstadt ein. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Täter wies das Amtsgericht Rüsselsheim mit Beschluss vom 28. November 2012 zurück; von einem Nachstellen mit Wiederholungsgefahr könne nicht ausgegangen werden.
Der Kläger beantragte am 23. Dezember 2011 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Infolge des tätlichen Angriffs am 4. September 2009 leide er an Schlafstörungen, permanenter Müdigkeit, Konzentrationsstörungen sowie Trägheit. Er schlafe an manchen Tagen 14 bis 16 Stunden. In einem von dem Beklagten angeforderten Befundbericht teilte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. D. am 3. August 2012 mit, bei dem Kläger bestünden neben den körperlichen Verletzungen (Platzwunde rechte Stirn, Verstauchung der Halswirbelsäule sowie einer Prellung des linken Unterarmes) psychische Folgen, da er an einem krankhaften Schlafbedürfnis leide. Dr. E. (Internistin/Somnologin) führte in dem Befundbericht vom 14. April 2010 aus, dass sich der Kläger mit ausgeprägter Tagesmüdigkeit, Einschlafneigung am Tage und morgendlichen Cephalgien am 19. Februar 2010 im Schlaflabor vorgestellt habe. Seit der Schulzeit bestehe dieses Problem, das früher durch eine lange Schlafzeit habe gebessert werden können (Bl. 20 der Verwaltungsakte). Nach dem Vorfall mit Gewaltandrohung im September 2009 sei die Tagesmüdigkeit zunehmend. Beigefügt war weiterhin ein Arztbrief des Pfalzklinikums für Psychiatrie und Neurologie vom 22. September 2010 mit der Diagnose eines krankhaft gesteigerten Schlafbedürfnisses nach traumatischen Erfahrungen ohne Hinweis auf organische Schädigung. In einem weiteren von dem Beklagten angeforderten Befundbericht teilte Dipl.-Psych. H. unter dem 15. August 2012 mit, dass er bei dem Kläger eine rezidivierende depressive Störung (F33.1) bei Verdacht auf paranoide Persönlichkeitsstörung mit passiv-aggressiven Anteilen (F60.0) diagnostiziert habe. Er habe den Kläger als durchaus therapiebedürftig eingeschätzt, dieser sei jedoch in seinem Denken wenig beweglich gewesen und habe andere Sichtweisen nicht annehmen können. Der Kläger habe die Behandlung frühzeitig abgebrochen.
Unter dem 10. Oktober 2012 erfolgte im Auftrag des Beklagten eine Begutachtung durch Dr. F. (Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Sozialmedizin). Diese führte nach ambulanter Untersuchung des Klägers aus, dass die diagnostischen Erwägungen des Psychotherapeuten von 2011 nicht nachzuvollziehen seien. In der Anamnese fehle jeder Nachweis für eine weitere depressive Episode. Auch die Diagnose einer paranoiden Persönlichkeitsstörung stelle sich nicht dar, vielmehr lägen eine verstärkte Wachsamkeit und erhöhte Vorsicht nach traumatischer Erfahrung vor. Mit Stellungnahme vom 15. November 2012 diagnostizierte Dr. F. ferner eine posttraumatische Verbitterungsstörung. Im Vordergrund stehe ein Verbitterungsaffekt bei dem Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, mit wahrnehmbarer Gereiztheit bei sonst normalem Affekt. Ein Erinnern an die Tat werde berichtet mit dem Gefühl, in die Opferrolle hineingerutscht zu sein und Rachegedanken zu spüren. Begleitet würden die psychischen Symptome von vermehrtem Schlafbedürfnis und gelegentlichem Kopfdruck. Zugrundeliegend sei eine Persönlichkeit mit perfektionistischem Anspruch und hohem Gerechtigkeitsgefühl, das von der kulturellen Zugehörigkeit geprägt werde. Es sei dem Kläger trotzdem nach der Schädigung gelungen, neben seiner Berufsausübung das Gymnasium mit dem Abitur zu beenden. Das schädigende Ereignis sei allein Ursache für die seelische Störung. Eine psychische Vorerkrankung im Sinne einer behandlungsbedürftigen Störung sei nicht feststellbar. Für die seelische Störung liege ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 20 und für die reizlose Narbe ein GdS unter 10 ab Antragstellung vor.
Mit Bescheid vom 20. November 2012 anerkannte der Beklagte als gesundheitliche Folgen der Tat vom 4. September 2009 eine reizlose Narbe oberhalb der rechten Augenbraue und eine seelische Störung an. Der Kläger habe für die anerkannten Gesundheitsstörungen mit Wirkung ab dem 23. Dezember 2011 Anspruch auf Heilbehandlung. Der GdS betrage weniger als 25, weshalb eine Rentenzahlung nicht gewährt werde.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die enorme Schlafzeit habe einen erheblichen Einfluss auf sein Leben und seine Arbeit. Er habe keine sozialen Beziehungen mehr und sei isoliert. Die Tat habe auch kulturelle Auswirkungen auf ihn. In seiner kurdischen Gesellschaft habe er sein Gesicht verloren und müsse zukünftige Auseinandersetzungen mit dem Täter und dessen Familie befürchten, weil er eine Anzeige erstattet und nicht seine Fäuste benutzt habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 11. April 2013 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Der GdS betrage mindestens 30. Er habe sein Ohnmachtsgefühl nicht überwunden. Sein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen seien nach dem Angriff deutlich herabgesetzt. Insbesondere plagten ihn Schamgefühle, als Mann versagt zu haben. Wegen des krankhaften Schlafbedürfnisses und der ständigen Müdigkeit am Tag leide er unter Konzentrationsstörungen. Außerdem habe er Konflikte mit Kollegen und Vorgesetzten. Im privaten Umfeld habe er sein Gesicht verloren, da er als Mann zum Opfer geworden sei und keine Rache am Täter genommen habe. Es sei unzutreffend, dass bereits vor der Tat ein erhöhtes Schlafbedürfnis bestanden habe. Eine Anpassungsstörung, eine PTBS und eine posttraumatische Verbitterungsstörung lägen nicht vor. Zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage sei es nicht gekommen. Aufgrund der nicht-organischen Hypersomnie, der mittelgradigen depressiven Störung mit Konzentrations- und Leistungsstörungen sowie den sozial-phobischen Ängsten mit sozialem Rückzug, die auf den Überfall zurückzuführen seien, liege ein GdS von mindestens 30 vor.
Der Beklagte hat insbesondere auf die neurologisch-psychiatrische Stellungnahme seiner medizinischen Beraterin Dr. P. vom 21. Dezember 2013 verwiesen, wonach der Kläger nach eigenen Angaben an einem krankhaft erhöhten Schlafbedürfnis leide, sich diese jedoch an keiner Stelle - weder in den Untersuchungen der Schlaflabore noch in seinen eigenen Angaben - belegen lasse, in welcher Ausprägung es vorhanden sei. Von ihm werde weder die jetzige Zeitspanne noch plötzliches Einschlafen am Tag beschrieben oder belegt. Dass er zu spät zur Arbeit komme, könne auch andere Ursachen haben. Es werde auch nicht berichtet, dass seine Fahrtüchtigkeit als Folge imperativen Schlafens bzw. Tagesmüdigkeit aufgehoben sei.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt. Weiterhin hat es gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung durch die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie K. vom 16. Dezember 2014 nebst ergänzender Stellungnahmen vom 28. Juli 2015, 19. Oktober 2015 sowie 10. September 2018 eingeholt. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass bei dem Kläger eine Anpassungsreaktion nach der Tat im Sinne einer posttraumatischen Verbitterungsstörung vorliege, die anhaltend sei und aufrechterhalten werde durch eine nicht erfüllte Anspruchshaltung. Die Ingangsetzung der Anpassungsstörung stehe im Zusammenhang mit dem Tatereignis. Der Kläger sei weiterhin behandlungsbedürftig, wobei im Verlauf von einer Verschiebung der Wesensgrundlage auszugehen sei. Ein Teil der Anpassungsreaktion sei auf die Tat zurückzuführen. Das vermehrte Schlafbedürfnis habe bereits vor dem schädigenden Ereignis bestanden. Zum Zeitpunkt der Begutachtung und auch im Vorfeld sei noch ein GdS von 20 anzuerkennen. Die körperlichen Folgen der Tat, die Narbe im Augenbrauenbereich, bedingten keinen GdS von 10. Eine besondere berufliche Betroffenheit sei nicht anzuerkennen.
Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht gemäß § 109 SGG ein Gutachten von Dr. S. (Facharzt für Psychiatrie und Psychoanalyse) eingeholt. Dieser ist in seinem nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstatteten Gutachten vom 3. Juni 2016 zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, dass bei diesem eine rezidivierende depressive Störung, mittelschwere Episode (F33.1), eine nichtorganische Hypersomnie (F51.1) und eine soziale Phobie (F40.1) vorlägen. Eine PTBS liege hingegen nicht vor. Er hat ausgeführt, dass nicht nur auf die Gewalttat, sondern auch auf die Umstände danach abzustellen sei. Es könne von insgesamt bedeutsamen sozialen Anpassungsschwierigkeiten gesprochen werden mit wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die einen GdS von 30 bis 40 seit 2009 begründeten. Die Ausführungen des Klägers bei der Untersuchung erschienen in einem solchen Ausmaß glaubhaft, dass sie auch zur Grundlage der Beurteilung herangezogen werden könnten. Es sei der Eindruck entstanden, dass Dr. P. und die Sachverständige K. von der Glaubhaftigkeit des Schweregrades der vorgetragenen Beschwerden durch den Kläger nicht hätten überzeugt werden können.
Der Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Dr. P. vom 17. Juli 2016 (Bl. 262 ff. der Gerichtsakte) vorgelegt. Danach sei im Rahmen der tiefen Kränkung des Klägers und der Reaktion auf seine Umwelt zu der Verbitterungsstörung eine depressive Symtomatik hinzugekommen, die nicht durch das schädigende Ereignis hervorgerufen worden sei.
Das Sozialgericht hat gemäß § 106 SGG ein Gutachten bei dem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie L. in Auftrag gegeben. Dieser hat darauf hingewiesen, dass in der Akte eine das Altersmaß überschreitende Hirnatrophie genannt werde. Es müsse daher abgeklärt werden, ob es sich um einen hirnatrophischen Prozess handele. Das Sozialgericht hat daraufhin den Facharzt für Neurologie Dr. T. mit einer Begutachtung beauftragt. Dieser hat in seinem unter dem 1. April 2017 erstatteten neurologischen Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers ausgeführt, dass ein hirnatrophischer Prozess äußerst unwahrscheinlich sei. Es liege keine posttraumatische Belastungsstörung vor, auch sei eine chronische Depression als Unfallfolge nicht plausibel.
Der Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Dr. P. vom 22. Juni 2017 (Bl. 346 ff. der Gerichtsakte) vorgelegt. Durch das Gutachten von Dr. T. werde die von Dr. F. bezeichnete Schädigungsfolge und Einschätzung nicht korrigiert.
Mit Urteil vom 13. September 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdS und damit keinen Anspruch auf Zahlung einer Grundrente. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG habe Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten habe. Die Schädigung könne auch psychischer Natur sein (vgl. BSG, Urteil vom 15. November 1955, 10 RV 85/54). Nach § 1 Abs. 1 OEG müsse die gesundheitliche Schädigung „infolge“ des vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs erlitten worden sein. Tätlicher Angriff, Schädigungen und Schädigungsfolgen müssten durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sein (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R). Auch im OEG gelte die Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung und zwar sowohl für die haftungsbegründende als auch für die haftungsausfüllende (medizinische) Kausalität, wobei für letztere gemäß § 1 Abs. 12 OEG i.V.m. § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreiche. Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit i.S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG sei dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche. Diese Definition sei der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden könne. Es müsse sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad der Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausschieden. Für die Wahrscheinlichkeit sei ein deutliches Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfalle, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht komme. Eine weitere Konkretisierung erfolge in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“, seit dem 1. Januar 2009 durch die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung <VersMedV>, BGBl. I S. 2904). Der Kläger sei durch den vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff seines damaligen Mitschülers geschädigt worden, wie es der Beklagte dem Grunde nach im Bescheid vom 20. November 2012 anerkannt habe. Maßgeblich für die Bemessung des GdS und die Gewährung einer Rente seien insoweit §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 BVG. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG erhielten Beschädigte bei einem GdS von mindestens 30 eine Grundrente. Der GdS sei nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS werde vom höheren Zehnergrad mitumfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVG). Als Grundlage für die Beurteilung der für die Bemessung des GdS erheblichen medizinischen Sachverhalte diene die VersMedV.
Unter Berücksichtigung dieser Beurteilungskriterien habe der Beklagte den GdS zutreffend mit weniger als 25 bewertet. Das Sozialgericht stütze sich dabei auf das Ergebnis der umfassenden medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere auf das nachvollziehbare Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen K. nebst deren ergänzenden Stellungnahmen. Nach den vorliegenden Befundunterlagen liege bei dem Kläger als Gesundheitsstörung eine seelische Störung in Form einer Anpassungsstörung mit chronifizierter Symptomatik vor. Diese bei dem Kläger vorliegende Gesundheitsstörung sei nicht vollumfänglich als Schädigungsfolge anzusehen. Die Sachverständige K. komme zu dem Ergebnis, dass die Gesundheitsstörung des Klägers auf psychischem Gebiet nicht nur auf das schädigende Ereignis, sondern auch auf die Persönlichkeitszüge des Klägers zurückzuführen sei. Sie habe überzeugend dargelegt, dass es durch die Auseinandersetzung des Klägers mit verschiedenen Umfeldfaktoren (hier die Auseinandersetzung mit dem früheren Schulbereich, dem Arbeitsplatz und den Behörden) mit der Zeit zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage bei Aufrechterhaltung der seelischen Störung gekommen sei, wodurch die Gesundheitsstörung nicht mehr nur auf das schädigende Ereignis zurückzuführen sei. Es sei für das Gericht zu klären gewesen, ob die beim Kläger im Vordergrund stehenden psychischen Beeinträchtigungen allesamt im Sinne einer Entstehung auf den Angriff des Mitschülers vom 4. September 2009 zurückzuführen seien. Bei länger anhaltenden psychoreaktiven Gesundheitsstörungen sei ergänzend zu prüfen, ob und inwieweit auch der weitere Verlauf noch rechtlich wesentlich auf die ursprünglichen Reaktionen zurückzuführen sei und nicht vielmehr Begehrungsvorstellungen oder sonstige aus der Psyche wirkende Kräfte so weit in den Vordergrund träten, dass sie für den weiteren Verlauf die rechtlich allein wesentliche Ursache bildeten (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 164 f.). Bei länger anhaltenden Störungen und chronisch verlaufenden Entwicklungen sei zu prüfen, ob die Schädigungsfaktoren fortwirkten oder schädigungsunabhängige Faktoren für das Bestehenbleiben des Leidensbilds verantwortlich seien (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 22. September 2016, L 1 VE 7/12). Die Sachverständige K. habe nach gründlicher Auswertung der Aktenlage und Untersuchung des Klägers überzeugend dargelegt, dass die Störung gediehen sei auf dem Boden akzentuierter Persönlichkeitszüge mit auch perfektionistischen und passiv-aggressiven Anteilen, verbunden mit einem kulturspezifischen Konzept. Die Sachverständige habe weiter überzeugend ausgeführt, dass ein Verharren in der Störung aufzuzeigen sei verbunden mit der subjektiven Forderung nach Gerechtigkeit und Ausgleich, so dass die Störung nicht nur auf die Tat zurückzuführen sei, sondern auch im Zusammenhang mit einem entsprechenden Wertemodell und auf dem Boden der akzentuierten Persönlichkeitszüge zu sehen sei. Der Ehrbegriff stehe im Vordergrund und nicht die körperliche Verletzung. Den Ausführungen der Sachverständigen schließe sich die Kammer vollumfänglich an. Hinsichtlich des Schulbereichs, des beruflichen Umfelds und innerhalb der Familie vermöge die Kammer die psychischen Störungen nicht mehr direkt als fortwirkenden Schädigungsfaktor anzusehen. Diese beruhten vielmehr auf einer vermeintlich versagten Anerkennung einer traumatischen Beschädigung. Für eine Verschiebung der Wesensgrundlage spreche auch, dass sich die Tat bereits im Jahr 2009 ereignet habe, eine konsequente ambulante Psychotherapie bei der psychologischen Psychotherapeutin G. jedoch erst in einem deutlichen zeitlichen Abstand von mehreren Jahren seit Januar 2014 erfolgt sei. Zudem habe der Kläger im Dezember 2011, also noch in einem engeren zeitlichen Kontext, erfolgreich sein Abitur absolviert.
Ein GdS von mindestens 30 sei vorliegend nicht gegeben, da bei dem Kläger lediglich eine leichtere psychische Störung vorliege. Diese habe die Beklagte zu Recht mit einem GdS von weniger als 25 bewertet. Nach Teil B Ziffer 3.7 VersMedV seien leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdS von 0-20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem GdS von 30-40 und schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdS von 50-70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdS von 80-100 festzusetzen. Die Kammer folge dabei der überzeugenden Bewertung der Sachverständigen K., die den GdS mit noch 20 festsetzt habe. Auch bei der Höhe des GdS sei dabei der Umstand zu berücksichtigen, dass mehrere kausale Ursachen für die bei dem Kläger vorliegende Gesundheitsstörung bestünden. Der von dem Sachverständigen Dr. S. festgestellte GdS von 30-40 sei hingegen unzutreffend. Die Kammer habe sich mit der Begründung des Gutachters Dr. S. auseinandergesetzt, dass es sich bei dem Kläger um seelische Beschwerden handele, die ein ärztlicher Untersucher in erster Linie durch Schilderungen des Betroffenen erkennen könne. Werden Symptome geschildert, so beurteile der ärztliche Untersucher diese nach ihrem Schweregrad, aber auch auf ihre Glaubhaftigkeit. Die Ausführungen des Gutachters hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Ausführungen des Klägers überzeugten nicht. Dabei sei der Kammer bewusst, dass die Feststellung, ob eine Gewalttat Ursache für eine psychische Erkrankung ist, besondere Schwierigkeiten im Gegensatz zu körperlich sichtbaren Schädigungsfolgen aufweise. Es fehle jedoch zur Begründung der Glaubhaftigkeit eine Auseinandersetzung mit den vorgetragenen seelischen Beschwerden im Hinblick auf die feststehenden Tatsachen. Eine bloße Wiedergabe der klägerischen Ausführungen ohne Plausibilitätsprüfung sei nicht ausreichend. So beschreibe der Sachverständige lediglich, dass der Kläger nach der erlittenen Körperverletzung seine Interessen wie den Besuch der Tanzfolkloregruppen und seine sportlichen Tätigkeiten weitgehend aufgegeben und seinen Freundeskreis verloren habe. Hier fehle eine Auseinandersetzung mit der Frage, in welchem Umfang der Kläger seinen Interessen bis zum Zeitpunkt der Tat überhaupt hätte nachgehen können. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger neben seiner beruflichen Tätigkeit die Abendschule besucht habe und sich eine Auseinandersetzung mit der Frage bereits aus zeitlicher Hinsicht aufdränge. Zum anderen widerspreche diese Feststellung den eigenen Angaben des Klägers aus dem Gutachten der Sachverständigen K. Darin habe der Kläger angegeben, ins Kino zu gehen und sich mit einem Kumpel von der Abendschule in der Freizeit zu treffen. Wenn der Sachverständige zur Begründung eines GdS von 30-40 ausführe, dass auf beruflicher Ebene der zeitlich erhöhte Schlafumfang einen Umstand darstelle, an dem sich bedeutsame Arbeitsplatzkonflikte entzündeten, so vermöge die Kammer auch dieser Einschätzung nach eigener Überzeugung nicht folgen, da sie keine bedeutsamen Arbeitsplatzkonflikte aufgrund des erhöhten Schlafbedürfnisses erkennen könne. Die vom Sachverständigen benannte Mehrzahl von Arbeitsplatzkonflikten folge jedenfalls nicht aus dem vorgelegten Schreiben des Arbeitsgebers des Klägers, auf welches sich der Sachverständige beziehe. Darin finde sich lediglich die Weisung an den Kläger, für den Zeitraum einer Einarbeitungsphase vormittags in größeren Zeitblöcken von mindestens 2,5 Stunden vor Ort zu sein. Die Kammer vermöge hier keinen Bezug zu der Gesundheitsstörung des Klägers zu erkennen. Das liege vor allem daran, dass der einzig konkrete Vortrag des Klägers hinsichtlich eines Arbeitsplatzkonfliktes sich auf dieses Schreiben vom 3. Dezember 2014 beziehe und damit über fünf Jahre nach der Tat verfasst sei. Des Weiteren gelte für das Arbeitsverhältnis des Klägers nach seinem eigenen Vortrag sowohl Gleitzeit als auch Vertrauensarbeitszeit, so dass die Konflikte insgesamt nicht schlüssig erschienen.
Auch in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2019 sei für die Kammer kein (weiterer) Arbeitsplatzkonflikt des Klägers erkennbar gewesen. Auf Nachfrage zu seiner derzeitigen Situation habe der Kläger mitgeteilt, seit April oder Mai 2017 für die Dauer von drei Jahren unbezahlt freigestellt zu sein. Gleichzeitig habe er ein Studium begonnen. Die Freistellung sei nach Überzeugung der Kammer nicht erkennbar auf einen Arbeitsplatzkonflikt zurückzuführen, sondern beruhe wohl auf der parallel erfolgten Einschreibung an einer Universität. Auch überzeugten der vom Sachverständigen beschriebene erhöhte Schlafumfang und die beschriebenen Konzentrationsschwierigkeiten die Kammer nicht. Die Angaben hierzu seien nicht nachvollziehbar und widersprüchlich. Der Kläger habe hierzu selbst im Rahmen der Begutachtung bei Dr. S. angegeben, zwei Mal die Woche 8 Stunden zu schlafen und am Tag der Untersuchung um 8 Uhr aufgestanden zu sein. Den gesamten medizinischen Unterlagen ließen sich keine einheitlichen, konkreten Angaben des Klägers hinsichtlich seines von ihm angegebenen erhöhten Schlafbedürfnisses und daraus entstehender Konzentrationsschwierigkeiten entnehmen. Eine Tagesmüdigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten habe weder ein Arzt noch ein Gutachter während der Untersuchung beobachtet. Zudem nehme der Kläger, wie aus den Unterlagen ersichtlich, am Straßenverkehr teil. Von einer stärker behindernden Störung, die infolge des tätlichen Angriffs entstanden sei, sei daher nicht auszugehen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Dezember 2019 zugestellte Urteil am 27. Dezember 2019 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, dass der Auffassung der Sachverständigen K. nicht gefolgt werden könne. Die Sachverständige habe die ICD-10-Klassifikation nicht angegeben. Zudem stehe es im Widerspruch mit dem Gutachten von Dr. S. und Dr. T. Danach liege keine Verbitterungsstörung vor. Ebenso wenig sei von einer psychischen Vorerkrankung auszugehen. Die Sachverständige K. habe sich bei der Begutachtung kaum Zeit für den Kläger genommen. Sie sei fälschlicherweise von einer nichtorganischen Insomnie ausgegangen. Auch erstelle die Sachverständige Gutachten für den Beklagten, so dass sie befangen und keinesfalls objektiv sei. Das Gutachten sei daher unverwertbar und aus der Akte zu entfernen.
Der Kläger habe - entgegen der Ausführungen des Sozialgerichts - bereits im Jahr 2011 eine Psychotherapie (Dipl.-Psych. H.) begonnen. In den Jahren 2011/2012 habe er zudem eine sozialmedizinische Beratung seitens seines Arbeitgebers erhalten und darüber vermittelt eine Therapie (Dipl.-Sozialarbeiterin) gemacht. 2013 habe er einen Therapieplatz bei Dipl.-Psych. G. erhalten. Ferner sei er seit 2015 in psychiatrischer Mitbehandlung bei Dr. R. Der Kläger hat betont, dass er durch die Gewalttat ein Schuljahr verloren habe. Da er keine Rufbereitschaft sowie besondere Schichten habe übernehmen können, sei ihm ein berufliches Aufsteigen nicht möglich gewesen. Insoweit habe er auch finanzielle Folgen erlitten. Er studiere bereits im 9. Semester Jura, habe aber erst die sog. Kleinen Scheine geschafft. Seine Tagesmüdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten seien klar belegt. Dr. T. habe eine PTBS sowie eine chronische Depression verneint. Er sei jedoch Facharzt für Neurologie und nicht Psychiatrie. Eine psychiatrische Begutachtung sei erforderlich.
Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. N. vermöge nicht zu überzeugen. Es habe u.a. lediglich ein Testverfahren stattgefunden. Der Gutachter gehe unzutreffend davon aus, dass die Hypersomnie bereits vor der Tat bestanden habe. Insoweit habe er den Befundbericht von Dr. E. falsch verstanden. Mit „Schulzeit“ sei nicht die „Kindheit“, sondern die „Zeit der Abendschule“ gemeint. Dies habe Dr. E. unter dem 11. Dezember 2020 bestätigt (Bl. 513 ff, 519 der Gerichtsakte). Es sei nicht nachvollziehbar, dass Dr. N. die Diagnose nicht-organische Hypersomnie stelle, dieser jedoch bei der Bewertung des GdS keine Rolle beimesse. Auch könne der Annahme von Dr. N. nicht gefolgt werden, dass für die Diagnose einer psychischen Störung eine gewisse Mindestzahl von Symptomen erfüllt und ein „diagnostische Schwelle“ überschritten sein müssten. Eine Verschiebung der Wesensgrundlage sei nicht eingetreten, wie Dr. S. bestätigt habe. Dr. N. gehe zudem fälschlich davon aus, dass er - der Kläger - aggraviert habe. Der Sachverständige könne sich keinesfalls dabei darauf berufen, dass das vermehrte Schlafbedürfnis bereits vor der Tat vorgelegen habe. Auch seien die Ausführungen zum durchgeführten SRSI-Test nicht nachvollziehbar bzw. unzutreffend. Ferner habe sich der Gutachter nicht mit dem Befundbericht von Dr. D. auseinandergesetzt, wonach eine erhebliche Initialreaktion sehr wohl vorgelegen habe. Eine Verbitterungsstörung liege nicht vor. Das Gutachten von Dr. N. weise mithin gravierende Mängel auf, weshalb ein neues Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiete einzuholen sei.
Der Kläger hat Befundberichte des Hospitals zum heiligen Geist vom 13. April 2021, eine Stellungnahme der Oberärztin Dr. J. vom 29. Juli 2021, einen Befundbericht von Dr. O. vom 14. Juli 2021, eine Stellungnahme von Dr. U. vom 29. September 2021 sowie ein Abmahnungsschreiben der V. GmbH vom 14. Dezember 2015 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. September 2019 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab dem 23. November 2011 eine Verletztenrente auf Basis eines GdS von mindestens 30 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend und hat eine Stellungnahme von Dr. P. vom 19. Mai 2021 vorgelegt.
Der Senat hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. N. (Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie) eingeholt. Dieser hat - nach ambulanter Untersuchung des Klägers - unter dem 5. September 2020 ausgeführt, dass eine Diagnose auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht zu stellen sei. Er hat bei dem Kläger festgestellt: Probleme in der primären Bezugsgruppe, belastende familiäre und soziale Umstände und eine kulturelle Problematik (ICD-10: Z 63), Persönlichkeitsakzentuierung (ICD-10: Z 73.1), Zustand nach tätlichem Angriff mit körperlicher Gewalt am 4. September 2009 (ICD-10: Y 04) und Verdacht auf eine nicht-organische Hypersomnie (ICD-10: F 51.1 V). Die Schlafproblematik habe bereits vor der Tat bestanden. Den GdS hat der Sachverständige auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet seit dem 1. Dezember 2011 mit 0 bewertet, den Gesamt-GdS unter Berücksichtigung der anerkennungswürdigen Narbe an der rechten Augenbraue mit weniger als 10 (Bl. 455 ff. <498 f.> der Gerichtsakte).
In der daraufhin eingeholten ergänzenden Stellungnahme von Dr. S. vom 17. April 2021 hat dieser eingeräumt, dass der Kläger teilweise zur „Beschwerdeverdeutlichung“ neige. Dies bedeute allerdings nicht, dass er so stark übertreibe, dass seine Schilderungen zu vernachlässigen seien. Die Sachverständige K. sei - anders als Dr. N. - von einer Anpassungsreaktion ausgegangen. Für die Beurteilung durch Dr. N. könnten Schwankungen im Langzeitverlauf ursächlich sein. Er (Dr. S.) habe den Kläger nur im Jahr 2016 untersucht und müsse sich daher für die Zeit danach auf eine Beurteilung nach Aktenlage beschränken. Er gehe weiterhin nicht von einer Verschiebung der Wesensgrundlage aus. Es müsse zwar nicht sicher von einem Nachstellen durch den Täter ausgegangen werden. Dieser habe aber anscheinend die sich zufällig ergebenden Begegnungen für seine verbalen Attacken genutzt. Dies sei auch der Grund für die einjährige Unterbrechung des Besuches der Abendschule gewesen. Es sei davon auszugehen, dass der seelische Schaden nicht habe abheilen können. Deshalb sei die Symptomatik aufrecht erhalten geblieben.
Auf Antrag des Klägers ist der durchgeführte SRSI-Test mit den Antworten bei Dr. N. dem Gericht und sodann den Beteiligten vorgelegt worden.
Die Beteiligten sind dazu angehört worden, dass eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG beabsichtigt ist.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte durch Beschluss ergehen, da das Gericht die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Vorgehensweise angehört worden, § 153 Abs. 4 SGG.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 13. September 2019 abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Schädigungsfolgen der streitigen Tat vom 4. September 2009 begründen bei dem Kläger keinen GdS von mindestens 25.
Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen wird auf die Entscheidungsgründe im angegriffenen Urteil Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ein GdS von mindestens 25 für die von dem Beklagten mit Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2013 festgestellten Schädigungsfolgen (reizlosen Narbe oberhalb der rechten Augenbraue und seelische Störung) ist auch für den Senat aufgrund der Ermittlungen nicht begründet.
Außer Dr. S. hat kein Sachverständiger einen GdS von mehr als 20 festgestellt. Soweit Dr. S. einen GdS von 30 bis 40 für vorliegend erachtet, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Für die Beurteilung der Schädigungsfolgen und damit auch des GdS ist vorliegend nur die Tat vom 4. September 2009 maßgeblich. Nachstellungen und Bedrohungen gegenüber dem Kläger in der Folgezeit stellen hingegen keine vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffe im Sinne von § 1 OEG dar. Dies verkennt Dr. S., der die Auswirkungen der Nachstellungen und Bedrohungen durch den Täter in seine Beurteilung der Schädigungsfolgen und der Höhe des GdS maßgeblich miteinbezieht. So hat Dr. S. u.a. angeführt, dass die wiederholten Begegnungen mit dem Täter und seiner Familie mit den immer wieder ausgesprochenen Drohungen bedeutsam zum Erhalt und zur Chronifizierung der latenten Bedrohung beitragen. Zwar wäre der Kläger ohne die Gewalttat nicht in eine seelische Notsituation geraten. Von entscheidender Bedeutung erscheine aber, dass es nicht bei der einmaligen Gewalttat geblieben sei, sondern dass der Täter im Nachhinein bedrohlich die Rücknahme der Anzeige gefordert habe und dessen Bruder den Kläger zu einem „Gespräch vor einer Cafehaustür“ aufgefordert habe. Dies müsse eindeutig als Androhung von körperlicher Gewalt verstanden werden. Der Kläger sei dem Täter und dessen Bruder wiederholt begegnet. Diese hätten ihn verhöhnt und ihm Gewalt angedroht. Zuletzt im Dezember 2015 habe der Täter dem Kläger gesagt, dass er Geld bezahlen werde, um ihn nochmals schlagen zu können. Die seelische Gewalt, welcher der Kläger ausgesetzt (gewesen) sei, bestehe somit nicht nur in dem einmaligen Ereignis vom 4. September 2009, sondern auch in der fortwährenden Verstärkung bei den neuen Begegnungen mit dem Täter oder dessen Familienangehörigen. Die seelischen Symptome im Rahmen der depressiven Störung beruhten auch auf den wiederholt auftretenden Bedrohungen.
Ob die von Dr. S. beschriebenen wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einen Grad der Behinderung (GdB) von 30-40 begründen, ist vorliegend nicht zu entscheiden. Für den GdS, der nur die schadensabhängigen Beeinträchtigungen berücksichtigt, sind diese Einschränkungen jedoch nur zu einem maßgeblich geringeren Umfang zu berücksichtigen. Sie begründen höchstens einen GdS von 20 (leichtere psychovegetative oder psychische Störungen) wie sich aus den Gutachten von Dr. F., Dr. T., Dr. N. sowie den Stellungnahmen von Dr. P. ergibt und das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat. Auf die Entscheidungsgründe im angegriffenen Urteil wird insoweit Bezug genommen.
Darüber hinaus wird festgestellt, dass vorliegend nicht relevant ist, welche ICD-Diagnosen im Einzelnen zugrunde zu legen sind, da der Beklagte eine „seelische Störung“ anerkannt hat und die Feststellung auf Anerkennung genauer bestimmter Gesundheitsstörungen nicht streitgegenständlich ist.
Leidglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass entgegen der Auffassung des Klägers nicht davon auszugehen ist, dass dessen Schlafstörung erst nach dem Überfall aufgetreten ist. Im Befundbericht von Dr. E. vom 14. April 2010 heißt es: „Seit der Schulzeit bestünde diese Problem, das früher durch eine lange Schlafzeit gebesserte werden konnte. (…) Nach Vorfall mit Gewaltandrohung in der S-Bahn 9/09 insgesamt Tagesmüdigkeit zunehmend (…) Da sich die Beschwerden nach einem tätlichen Angriff in der S-Bahn verstärkten ist eine psychische Ursache denkbar.“ Auch wenn - wie der Kläger vorträgt und Dr. E. unter dem 11. Dezember 2020 bestätigt - mit „Schulzeit“ die „Zeit am Abendgymnasium“ gemeint ist, so hat auch diese jedenfalls schon mehr als zwei Jahre vor der Gewalttat begonnen (ab Sommer 2007 Einführungsphase, ab Sommer 2008 Qualifikationsphase). Von einer Verschlimmerung der Symptomatik nach dem Angriff im September 2009 wird ferner auch im Entlassbericht des Pfalzklinikums vom 6. August 2010 berichtet, so dass auch insoweit eine vorbestehende Tagesmüdigkeit beschrieben wird.
Bei dieser Sach- und Rechtslage sah sich der Senat zu weiteren Ermittlungen - insbesondere zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens - nicht veranlasst. Auch bedurfte es nicht der vom Kläger mit Schreiben vom 15. November 2021 beantragten Vernehmung seiner Eltern zu Problemen in der primären Bezugsgruppe bzw. belastenden familiären und sozialen Umstände. Denn es kann unterstellt werden, dass der Kläger ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat, ohne dass dies vorliegend für die Bemessung des GdS entscheidungserheblich ist.
Inwieweit das Gutachten der Fachärztin K. sowie deren Stellungnahmen vorliegend verwertbar sind und ob eine Besorgnis der Befangenheit vorliegend begründet ist, kann offenbleiben, da der Senat das entsprechende Gutachten sowie die Stellungnahmen der Fachärztin K. für seine Entscheidung nicht heranzieht. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass bei einem Beratungsarztverhältnis zwischen einem Unfallversicherungsträger und einem Gutachter oder der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Gutachters von einem der Beteiligten die Besorgnis der Befangenheit begründet sein kann (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 13. Aufl., § 118 Rn. 12j m.w.N.). Dass ein Sachverständiger auch für Berufsgenossenschaften Gutachten erstellt, ist allein jedoch noch kein Befangenheitsgrund (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 16. Mai 2013, L 2 SF 174/12 B, juris, Leitsatz und Rn. 26; Sächsisches LSG, Beschluss vom 1. September 2010, L 6 U 222/09 B, juris; Thüringer LSG, Beschluss vom 9. September 2008, L 1 B 187/08 U, juris Rn. 10). Die Fachärztin K. erstellt ausweislich ihres Internetauftritts (www.nervenarztpraxis-p3.de) Gutachten für Sozial- und Vormundschaftsgerichte, die Deutsche Rentenversicherung, die Berufsgenossenschaften, private Unfallversicherungsträger sowie auch für Versorgungsämter. Ob dies bereits Zweifel an der Unparteilichkeit der Sachverständigen begründet, erscheint fraglich. Jedenfalls aber hat der Kläger keinen entsprechenden Ablehnungsantrag gemäß § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 406 Abs. 2 ZPO im Verfahren vor dem Sozialgericht gestellt. Damit sind die gemäß § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorgesehenen Fristen nicht eingehalten. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung jedoch nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen, § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Der Antrag kann auch erst im Berufungsverfahren gestellt werden, wenn der Ablehnungsgrund erst nach der Verkündung des Urteils bekannt wird (vgl. Keller, a.a.O., Rn 12m). Der Kläger hat erstmalig im Berufungsverfahren wegen der Tätigkeit der Fachärztin K. für den Beklagten die Verwertbarkeit ihrer Ausführungen bezweifelt und sich auf deren Internetseite (www.nervenarztpraxis-p3.de) berufen. Weshalb der Kläger erst im Berufungsverfahren vorgebracht hat, dass die Fachärztin K. auch für den Beklagten Gutachten erstellt und deshalb ihr Gutachten sowie ihre Stellungnahmen vorliegend nicht verwertbar seien, hat er hingegen nicht dargelegt und ist für den Senat nicht ersichtlich. Da ein ausdrücklicher Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers auf Ablehnung der Fachärztin K. wegen Befangenheit nicht vorliegt und der Senat für seine Entscheidung in der Hauptsache ohnehin deren Gutachten und Stellungnahmen nicht heranzieht, sah der Senat keinen Anlass über eine etwaige Befangenheit der Sachverständigen vorab durch Beschluss zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.