L 6 SB 147/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 15 SB 869/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 147/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 4. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 30 und die Entziehung der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „G“ (besondere Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Er ist 1980 in der Türkei geboren, hat dort fünf Jahre die Schule besucht und keine Ausbildung absolviert. Seit seinem 14. Lebensjahr lebt er in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und arbeitete zuletzt seit 2010 als Kranführer. Seit einem Arbeitsunfall am 21. September 2012 ist er keiner Tätigkeit mehr nachgegangen. Er ist seit 1999 verheiratet, hat vier Kinder und die mit ihm weitläufig verwandte Ehefrau ist in Teilzeit erwerbstätig.

Am 26. September 2013 beantragte er bei dem Landratsamt A (LRA) erstmals die Feststellung des GdB und legte das Attest der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie A1 vor, wonach diagnostisch eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion bestehe.

Das LRA zog Unterlagen der BG über den Arbeitsunfall vom 21. September 2012 bei, wonach dem Kläger ein Zementblock auf den linken Unterschenkel und das rechte Kniegelenk fiel. Nach dem Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses U (BWK) über den stationären Aufenthalt vom 23. bis 29. Mai 2013 bestand eine atrophe Pseudoarthrose der Tibia links nach winkelstabiler Plattenosteosynthese und Zustand nach offener dislozierter Unterschenkelfraktur links.

Im Bericht des Universitäts- und Rehabilitationskrankenhauses U (RKU) über die ambulante Behandlung vom 14. August bis 25. September 2013 wurde zum Abschlussbefund dargelegt, dass der Kläger zur Bewältigung längerer Gehstrecken Unterarmgehstützen nutze. Es habe sich ein deutlich hinkendes Gangbild gezeigt, bei reizfreien Wundverhältnissen habe die Beweglichkeit für Flexion/Extension der Kniegelenke rechts/links 130-0-0° betragen. Bandinstabilitäten und Ergüsse wurden verneint.

Im Pflegegutachten des Medizinische Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 10. Juli 2013 wurde ein Hilfebedarf von 64 Minuten, entsprechend Pflegestufe 1, bis 15. Januar 2014 ermittelt.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin B sah versorgungsärztlich einen Teil-GdB von 50 für Arbeitsunfallfolgen mit komplexen Verletzungsfolgen an beiden Beinen sowie einen Teil-GdB von 20 für eine Persönlichkeits- und Anpassungsstörung, sodass sich ein Gesamt-GdB von 60 ergebe. Mit einem BG-Rentenbescheid sei erst im Mai zu rechnen, sodass nur ein Vorbehaltsbescheid in Betracht komme. Das Pflegegutachten weise auf eine mögliche psychische Überlagerung hin, eine berufsbezogene Bewertung erfolge nicht.

Mit Bescheid vom 27. März 2014 stellte das LRA einen GdB von 60 seit dem 26. September 2013 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „G“ fest. Als Funktionseinschränkungen wurden eine Gebrauchseinschränkung beider Beine, eine Persönlichkeits- und eine Anpassungsstörung berücksichtigt.

Im Mai 2014 gelangte das im Auftrag der BG von  F, BWK, erstellte erste Rentengutachten nach ambulanter Untersuchung vom 24. Januar 2014 zur Akte. Darin wurden reizlos und gut eingeheilte Narben und Lappen am linken Bein beschrieben. Im Bereich der Narben und des Lappens sei keine Sensibilität vorhanden. Bei endgradiger Flexion im linken Kniegelenk komme es zu Schmerzen im Bereich der Narbe und eines Weichteildefektes an der Wade. Ansonsten sei die Untersuchung des linken Kniegelenkes unauffällig gewesen. Bei passiver und aktiver Flexion und Extension im Oberen Sprunggelenk (OSG) rechts hätten Schmerzen bestanden. Eine vollständige Streckung sei hierbei nicht zu erreichen gewesen, der Fuß befinde sich in ständiger Spitzfußstellung. Am rechten Kniegelenk habe keine Schwellung und kein Erguss bestanden. Bei einer Flexion ab 100° sei über Schmerzen geklagt worden, die Sprunggelenke hätten sich unauffällig gezeigt. Radiologisch hätten sich am linken Unterschenkel noch keine signifikanten Zeichen einer einsetzenden knöchernen Heilung ergeben. Als Unfallfolgen bestünden ein in Spitzfußstellung eingesteiftes OSG mit geringer Restbeweglichkeit (0-10-30°), starke Schmerzen im linken Unterschenkel mit Einschränkung der Gehstrecke auf 600 Meter mit Unterarmgehstützen, Hypästhesien im Bereich der großen Narbenflächen sowie der Lappenplastik, eine Einschränkung der Flexion des linken Kniegelenkes auf 115° sowie eine Einschränkung der Beugung des rechten Kniegelenkes auf 100°. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf 30 vom Hundert (v. H.) einzuschätzen. Es werde weiterhin eine exogene Therapie zur Verbesserung der Knochenheilung im Bereich des linken Unterschenkels durchgeführt, des Weiteren eine ausgiebige Physiotherapie zur Verbesserung der Symptomatik.

Am 28. August 2014 leitete das LRA ein Nachprüfungsverfahren ein und zog bei der BG neben dem bereits aktenkundigen ersten Rentengutachten das neurologisch-psychiatrische Fachgutachten des L aufgrund ambulanter Untersuchung vom 19. September 2014 bei. Dieser verneinte eine gravierende Depression und hirnorganische Leistungsstörungen. Es habe eine minimale depressive Episode im Rahmen einer Anpassungsstörung bestanden. Die depressive Reaktion sei leichter Ausprägung und durch die Schmerzen sowie die berufliche Beeinträchtigung verursacht. Es bestehe ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom sowie eine deutliche Sensibilitätsstörung und eine erhebliche soziale Verunsicherung. Es sei verständlich und nachvollziehbar, dass sich unfallabhängig eine Anpassungsstörung mit depressiver Komponente entwickelt habe. Wegen der neurologisch/psychiatrischen Unfallfolgen bestehe keine Arbeitsunfähigkeit, allerdings eine Behandlungsbedürftigkeit durch eine ambulante nervenfachärztliche Mitbehandlung. Eine Psychotherapie sei nicht umfassend erforderlich. Für die Hautnervensensibilitätsstörungen sei eine MdE von 10 v. H. anzunehmen und für die Anpassungsstörung ebenfalls, sodass sich auf seinem Fachgebiet eine MdE von 15 v. H. ergebe.

Nachdem F die Gesamt-MdE ebenfalls auf 30 v. H. einschätzte, stellte die BG mit Bescheid vom 11. Mai 2015 einen Anspruch auf Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v. H. seit dem 1. September 2014 bis auf Weiteres fest.

 M sah versorgungsärztlich für die Gebrauchseinschränkung beider Beine nur noch einen Teil-GdB von 30 sowie für die Persönlichkeitsstörung und die Anpassungsstörung einen Teil-GdB von 20, sodass sich ein Gesamt-GdB von 40 ergäbe.

L-S führte hingegen versorgungsärztlich aus, dass mit den neu vorgelegten Unterlagen nach der Behandlung und Rekonvaleszenz eine wesentliche Änderung entsprechend der am 11. Mai 2015 festgelegten BG-Bewertung im Sinne einer Besserung eingetreten sei. Der Gesamt-GdB betrage entsprechend der im BG-Bescheid festgestellten Unfallfolgen 30.

Mit Schreiben vom 7. Juli 2015 hörte das LRA den Kläger zu einer Herabsetzung des GdB an und stellte eine Entscheidung im Hinblick auf die ausstehende Widerspruchsentscheidung der BG und des Klageverfahrens beim Sozialgericht Ulm (SG – S 7 U 744/16) zurück. In Ausführung des in diesem Verfahren geschlossenen Vergleichs stellte die BG mit Bescheid vom 5. Mai 2017 einen Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. ab dem 1. Oktober 2015 fest und berücksichtigte eine leicht- bis mittelgradige depressive Anpassungsstörung auf die kosmetisch entstellenden Verletzungen an den Beinen mit subjektiv hierdurch verstärktem Schmerzerleben.

Mit Bescheid vom 3. November 2017 hob das LRA den Bescheid vom 27. März 2014 auf und stellte den GdB ab dem 6. November 2017 mit nur noch 30 fest. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ lägen nicht mehr vor. Gegenüber der zuletzt mit dem Bescheid vom 27. März 2014 getroffenen Feststellungen sei eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten. Die Prüfung der aktuellen medizinischen Unterlagen habe zu dem Ergebnis geführt, dass eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes und der damit einhergehenden Funktionsbeeinträchtigungen eingetreten sei. An Funktionsbeeinträchtigungen bestünden die Unfallfolgen gemäß des BG-Bescheides vom 5. Mai 2017, die mit einer MdE von 30 v. H. zu bewerten seien, sodass auch der GdB 30 betrage.

Den – vom Kläger nicht begründeten – Widerspruch wies das Regierungspräsidium S – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2018 zurück, da der angefochtene Bescheid der Sach- und Rechtslage entspreche.

Am 13. März 2018 hat der Kläger Klage beim SG erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung das im Verfahren S 7 U 744/16 erhobene neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des W aufgrund ambulanter Untersuchung vom 30. November 2016 beigezogen hat. Dieser hat aufgeführt, dass sich der Kläger während der ersten halben Stunde der Untersuchung deutlich dysphorisch, kaum auslenkbar, affektiv verarmt und auch antriebsgemindert gezeigt habe. Immer wieder sei er aber für kurze Momente auflockerbar gewesen. Bei der Schilderung des Unfallereignisses selbst habe er keinerlei vegetative oder sonstige ersichtliche psychische Reaktionen gezeigt. Er habe das Unfallereignis sehr detailliert geschildert und das Diktat mehrfach korrigiert. Bei der körperlichen Untersuchung habe sich kein aggravatorisches Verhalten gezeigt, sämtliche durchgeführten Tests seien authentisch gewesen. Bei der Untersuchung habe er vordergründig über Schmerzen am linken Bein und rechten Knie geklagt. Medikamentös sei nur noch eine mäßige Einnahme von Schmerzmitteln zu eruieren gewesen. Lediglich hintergründig und verschämt habe der Kläger darüber berichtet, dass er sich aufgrund der Entstellungen an den Beinen hässlich und nicht mehr als richtiger Mann fühle. Seine Frau werfe ihm dies zwar nicht vor, er komme mit der Situation aber nur schlecht zurecht. Bei der neurologischen Untersuchung hätten kosmetisch doch erheblich entstellende Veränderungen an beiden Beinen aufgrund der Wundheilungsstörung mit erforderlicher Muskeltransplantation imponiert. Anhaltspunkte für ein komplexes regionales Schmerzsyndrom hätten sich nicht gefunden. Bedingt durch den Weichteildefekt fänden sich an beiden Beinen Gefühlsstörungen, die funktionell nicht bedeutsam seien. In psychischer Hinsicht habe der Kläger das Bild einer insgesamt derzeit leicht- bis mittelgradigen depressiven Symptomatik mit regressiven Verhalten gezeigt. Auf psychiatrischem Fachgebiet seien zwei Störungen abzugrenzen. Zum einen eine dysthyme Störung auf den Verlust des Arbeitsplatzes hin und die fehlende Vermittelbarkeit aufgrund der Tatsache, dass die vorherige rein körperliche Arbeit nicht mehr möglich sei, für andere Tätigkeiten jedoch die schulischen und/oder sprachlichen Kenntnisse fehlten, was aber nicht dem Unfallereignis selbst, sondern der eingeschränkten Verweisbarkeit zuzurechnen sei. Zum anderen bestehe eine erhebliche Erschütterung des Selbstbildes aufgrund der doch deutlich entstellenden Verletzungen, die für den erst 36-jährigen Kläger eine nicht unerhebliche Einschränkung darstellten. Die depressive Anpassungsstörung sei wesentlich durch den Arbeitsunfall verursacht. Die körperlichen Unfallfolgen seien weiter bestehend, eine Änderung habe sich nicht ergeben. Die MdE für die Hautnervenstörung und die depressive Anpassungsstörung schätze er über den 1. September 2014 mit 20 v. H. ein. Nachdem sich die körperlichen Verletzungsfolgen seitdem nicht mehr verändertet hätten und eine erhebliche Chronifizierung eingetreten sei, liege ein Dauerzustand vor. Ausgehend von der chirurgischen MdE mit 15 v.H. sei eine Gesamt-MdE von 30 v. H. gegeben.

Der Orthopäde B1 hat, vom SG als sachverständiger Zeuge gehört, beschrieben, den Kläger 2016 letztmalig behandelt zu haben und deshalb keine Angaben machen zu können.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG das unfallchirurgisch-orthopädische Sachverständigengutachten des S1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 22. Mai 2020 erhoben. Dieser hat ausgeführt, dass ein Zustand nach stattgehabter Unterschenkelfraktur mit großem Weichteilschaden bestehe. Weiterhin liege eine geringe bis mäßige Varusfehlstellung, eine knöchern durchbaute, jetzt 2020 aber konsolidierte Tibiaschaftfraktur sowie eine knöchern konsolidierte Fibulaschaftfraktur vor. Im Vergleich zu 2015 zeige sich eine deutliche Verbesserung der Beweglichkeit des OSG. Der Bewegungsumfang lasse einen Nulldurchgang im Sinne einer 90° oder 0° Stellung des OSG im Unterschied zu 2015 zu. Es resultiere daraus keine Spitzfußstellung mehr, was relevant sei. Die mäßige Varusfehlstellung des Unterschenkels von unter 10° führe zu keiner wesentlichen Funktionseinschränkung. Des Weiteren bestehe weiterhin eine stabil eingeheilte freie Lappenplastik ventralseits und eine semizirkuläre Meshgraft-Deckung jeweils im mittleren Unterschenkeldrittel. Diese führe zu keiner verstärkten Ödembildung und im Vergleich zu 2015 zu keinem Anschwellen mehr. Wie 2015 bestehe eine Hyp- und Dysästhesie im Bereich der Lappenplastik und der Meshgraft-Versorgung. Die Hautweichteilverhältnisse seien jeweils stabil. In Bezug auf das rechte Kniegelenk bestehe ein Zustand nach stattgehabter Patella-fraktur, welche mittels Osteosynthese versorgt worden und stabil verheilt sei. Es lägen wie 2015 weiterhin geringgradige arthrotische Veränderungen im Femuropatellagelenk vor, das Metall sei bereits entfernt. Es bestehe, wie 2015, kein wesentliches funktionelles Defizit in Bezug auf die Funktion des rechten Kniegelenkes und damit des rechten Beines. Infolge des Umstandes, dass kein Spitzfuß mehr bestehe, habe sich das Gangbild im Vergleich zu 2015 deutlich verbessert. Der Gesamt-GdB sei entsprechend der Gesamt-MdE mit 25 bis maximal 30 einzuschätzen. Im Vergleich zur Begutachtung 2015 bestehe keine relevante Gangbildstörung mehr. Die Fußsohlenbeschwielung sei seitengleich, es bestehe keine Minderung der Umfangsmessung beider Beine im Seitenvergleich. Die knöcherne Verletzung sei komplett ausgeheilt. Eine Ödembildung im linken Unterschenkel bestehe nicht mehr, sodass die Geh- und Stehbelastung im Vergleich zu 2015 deutlich verbessert sei. Eine Gehstrecke von 2 Kilometern könne daher innerhalb einer Dauer von etwa einer halben Stunde bewältigt werden.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2021 abgewiesen. Aufgrund der ausführlichen und überzeugenden Ausführungen der Gutachter  F und  W stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der GdB aufgrund der unfallbedingten Gesundheitsstörungen bereits seit dem 1. Oktober 2015 mit 30 zu bewerten gewesen sei. Dies habe der Kläger im Rechtsstreit mit der BG genauso akzeptiert und einen entsprechenden Vergleich abgeschlossen. Eine orthopädische oder psychiatrische Behandlung habe seit Juni 2016 nicht mehr stattgefunden. Die Bewertung werde durch das nach § 109 SGG bei S1 erhobene Sachverständigengutachten betätigt. Dieser habe, im Vergleich zur vorherigen Untersuchung, eine relevante Gangstörung verneint. Die knöcherne Verletzung sei komplett ausgeheilt und es bestünden nur noch mäßige Bewegungsstörungen im linken oberen Sprunggelenk. Der Kläger sei in der Lage, ohne erhebliche Schwierigkeiten eine Wegstrecke von zwei Kilometern innerhalb einer Dauer von etwa einer halben Stunde zu bewältigen. Der Beklagte habe den GdB somit zu Recht auf 30 herabgesetzt. Die Schwerbehinderteneigenschaft sei nicht mehr gegeben, sodass das Merkzeichen „G“ ebenfalls habe entzogen werden dürfen.

Am 12. Januar 2021 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt, die er nicht begründet hat, zuletzt in der mündlichen Verhandlung hat mitteilen lassen, dass er nach seiner Arbeit erst einmal eine halbe Stunde von seiner Ehefrau massiert werden müsse.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 4. Januar 2021 sowie den Bescheid vom 3. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 4. Januar 2021, mit dem die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Aufhebung des Bescheides vom 3. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 6. Februar 2018 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rz. 33).

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 3. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Ebenso wie das SG ist auch der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass in den Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verbesserung eingetreten ist. Der Beklagte hat daher den GdB zu Recht neu festgestellt sowie das Merkzeichen „G“ entzogen und das SG zu Recht die Klage abgewiesen.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand ist auszugehen, wenn diese einen um wenigsten 10 veränderten Gesamt-GdB rechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise – aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.).

Diese Voraussetzung sind vorliegend erfüllt, da sich die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers gegenüber dem maßgebenden Vergleichsbescheid 27. März 2014 gebessert haben, wie dies zuletzt durch das auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG erhobene Sachverständigengutachten des S1 bestätigt worden ist.

Der Anwendung des § 48 SGB X steht nicht entgegen, dass der Bescheid vom 27. März 2014 zu Gunsten des Klägers rechtswidrig gewesen ist, da dieser den GdB mit 60 deutlich zu hoch festgestellt hat. Der Beklagte hat nicht berücksichtigt, dass ihm das Rentengutachten des  F zwar erst nach dem Bescheiderlass bekannt geworden ist, der Untersuchungsbefund indessen vom 24. Januar 2014 datiert und damit vor dem Bescheid erhoben worden ist. Der Gutachter hat die MdE, anhand der Befunde schlüssig, auf 30 v. H. eingeschätzt, sodass sich ein (Teil-)GdB von 50 ebenfalls nicht gerechtfertigt hat. Der Beklagte hat somit seinerzeit auf Grundlage eines nicht abschließend geklärten Sachverhaltes entschieden, was an der versorgungsärztlichen Stellungnahme deutlich wird, in der ein „Vorbehaltsbescheid“ empfohlen wird, wofür es an einer Rechtsgrundlage fehlen dürfte. Hierauf kommt es aber deshalb nicht an, da nach Überzeugung des Senats eine wesentliche Änderung im Befund auch im Vergleich zu dem Befund des F eingetreten ist und § 48 SGB X auch dann zur Anwendung kommt, wenn eine Änderung in den bei Erlass des Bescheides vorliegenden Umständen eingetreten ist und diese Umstände anfangs falsch beurteilt waren (vgl. Schütze in: ders., SGB X, 9. Aufl. 2020, § 48 Rz. 6 m. w. N.).

Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Soweit der Antrag sich auf den Zeitraum vor dem 1. Januar 2018 bezieht, richtet sich der Anspruch nach den in diesem Zeitraum geltenden gesetzlichen Vorgaben (vgl. §§ 69 SGB IX ff. a. F.), nach denen ebenso für die Bewertung des GdB die VersMedV und die VG die maßgebenden Beurteilungsgrundlagen waren.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (vgl. BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit dem SG und dem Beklagten fest, dass der GdB nur noch 30 beträgt.

Die ursprünglich nach dem Unfall imponierenden Folgen und Beeinträchtigungen lagen bei dem Kläger vorwiegend im Funktionssystem „Beine“, welches aber aktuell nur noch mit einem Teil-GdB von nicht mehr als 15 zu bewerten ist.

Maßgebender Vergleichsbefund ist derjenige aus dem Gutachten des F vom 24. Januar 2014 (vgl. oben). Dieser hat noch einen in ständiger Spitzfußstellung befindlichen Fuß aufgrund eines eingesteiften OSG beschrieben, wodurch es zu einer starken Einschränkung der Gehstrecke gekommen ist. Empfohlen wurde eine exogene Therapie zur Knochenheilung und eine ausgiebige Physiotherapie zur Verbesserung der Symptomatik.

Der Sachverständige W, dessen Sachverständigengutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]), hat demgegenüber erhoben, dass wegen der Schmerzen am linken Bein nur noch eine mäßige Einnahme von Schmerzmitteln bestanden hat. Die sichtbaren Weichteildefekte an beiden Beinen führten zwar noch zu Gefühlsstörungen, hinsichtlich derer der Sachverständige eine funktionelle Bedeutung aber verneint. Passend hierzu hat er eine seitengleiche Temperatur und Trophik an den unteren Extremitäten beschrieben und Paresen verneint. Ein CRPS schließt er anhand der Befunde nachvollziehbar aus.

Die beschriebene Besserung wird durch das auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG erhobene Sachverständigengutachten des S1 bestätigt, der den Kläger zu Lasten der BG im Jahr 2015 ebenfalls untersucht hat und deswegen sehr deutlich die erfreulicherweise eingetretene Besserung beurteilen kann. Danach sind die knöchernen Verletzungen zwischenzeitlich konsolidiert und die Beweglichkeit des linken OSG hat sich verbessert, sodass nunmehr keine Spitzfußstellung mehr vorliegt. Eine relevante Gangbildstörung hat nicht mehr bestanden und er schreibt den Weichteildefekten an den unteren Gliedmaßen, wie auch W, keine funktionelle Bedeutung zu. Dies gilt auch in Anbetracht dessen, dass die Ehefrau des Klägers ihn abends massieren muss. Ein Zustand, der einer Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks in günstiger Stellung entsprechen würde, der nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 mit einem GdB von 30 zu bewerten wäre, liegt daher nicht mehr vor. Die Beweglichkeit des linken OSG hat der Sachverständige mit 0-0-50° befundet, sodass lediglich eine relevante Einschränkung der Hebung vorliegt. Eine mit einem Teil-GdB von 10 zu bewertende mittelgradige Einschränkung von 0-0-30° liegt damit nicht vor, sondern ein besserer Befund. Eine höhere Bewertung des Teil-GdB, als, entsprechend der MdE, mit 15 kommt daher nicht in Betracht.

Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ist weiterhin von einem Teil-GdB von maximal 20 auszugehen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 bedingen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher Behandlung in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Nach diesen Maßstäben kann durchgehend von einem Teil-GdB von maximal 20 ausgegangen werden, wie ihn bereits der Versorgungsarzt B gesehen hat und wie er von W beschrieben worden ist. Letzterer hat insbesondere darauf hingewiesen, dass sich seit 2014 insoweit keine Änderungen im Gesundheitszustand ergeben hätten. Er sieht im Wesentlichen zwei Problemkomplexe, nämlich zum einen, dass der Kläger unter einer dysthymen Störung auf den Verlust des Arbeitsplatzes leidet und er aufgrund seines niedrigen Ausbildungsstandes nur schwer auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren ist und zum anderen, dass eine erhebliche Erschütterung des Selbstbildes durch die entstellenden Verletzungen besteht. Hierdurch kommt es, so W weiter, zu einer depressiven Anpassungsstörung, die er als chronifiziert beschreibt und mit einer MdE von 20 v. H. bewertet, was der Ausschöpfung des Bewertungsrahmens der VG für leichtere physische Störungen entspricht, sodass der Teil-GdB ebenfalls auf maximal 20 einzuschätzen ist. Passend hierzu hat der Kläger gegenüber dem Sachverständigen beschrieben, keine psychologische oder psychiatrische Behandlung mehr in Anspruch zu nehmen und keine „Depressionsmittel“ mehr einzunehmen.

Aus den Teil-GdB von maximal 15 im Funktionssystem „Beine“ und maximal 20 im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ist der vom Beklagten gebildete Gesamt-GdB von (nur noch) 30 nicht zu gering bemessen. Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob der Gesamt-GdB bereits seit 2015 nur noch 30 betragen hat, wie vom SG ausgeführt, da der Beklagte die Herabsetzung erst für die Zukunft vorgenommen hat.
Nachdem somit die Schwerbehinderteneigenschaft beim Kläger nicht mehr besteht, hat der Beklagte schon deshalb zu Recht das Merkzeichen „G“ entzogen (vgl. §§ 152 Abs. 1 und 4, 229 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Daneben liegen dessen Voraussetzungen aber auch in der Sache nicht mehr vor. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (§ 229 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Nachdem der Sachverständige S eine relevante Gangbildstörung nicht mehr beschreiben konnte und insbesondere keine Spitzfußstellung mehr besteht, hat er den Kläger, für den Senat überzeugend, für in der Lage erachtet hat, eine Strecke von zwei Kilometern ohne wesentliche Schwierigkeiten zurückzulegen. Abgesehen von den weggefallenen rechtlichen Voraussetzungen liegt somit eine wesentliche tatsächliche Besserung vor, die die Entziehung des Merkzeichens ebenfalls rechtfertigt.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
Saved