Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. November 2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt erneut die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen der anerkannten Berufskrankheit (BK) Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit).
Der Kläger ist 1964 geboren und wohnt im Inland. Er war seit 1984 als Schlosser und Schweißer versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt von November 2009 bis Dezember 2011 bei der P GmbH in F und von Januar bis April 2012 bei der K GmbH in W (jetzt W1 GmbH und Co. KG). In diesen Tätigkeiten war er bei der Beklagten, der BG Holz und Metall (BGHM), gesetzlich unfallversichert. Von März bis Juli 2013 war er bei der B GmbH in T beschäftigt. Nach seinen späteren Angaben erlitt er dort am 17. Juli 2013 einen Arbeitsunfall. Wegen der Feststellung dieses Unfalls betrieb er - erfolglos - weitere Verfahren gegen die BG ETEM (vgl. dazu zuletzt: Beschluss des Senats vom 03. März 2021, L 1 U 3437/20). Am 18. Juli 2013 erlitt er einen Herzinfarkt. Sein Arbeitsverhältnis mit der B GmbH endete im Dezember 2013.
Mit Bescheid vom 17. April 2012, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 2012, hatte die Beklagte bei dem Kläger eine BK nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV anerkannt, aber (unter anderem) eine Rentengewährung abgelehnt, weil die weitere Hörverschlechterung nach dem Ende der beruflichen Exposition im Mai 2007 und die Ohrgeräusche unabhängig von der BK vorlägen. In dem anschließenden Gerichtsverfahren (Urteil des SG Reutlingen [SG] vom 29. Oktober 2014, S 8 U 2946/12; Urteil des Senats vom 27. Juni 2016, L 1 U 5358/14) hatte der Kläger mit seinem Rentenbegehren keinen Erfolg. In dem damaligen Berufungsverfahren führte Z in seinem Gutachten vom 16. November 2015 aus, der Hörverlauf habe sich deutlich besser gezeigt als in einigen Voruntersuchungen und der geklagte Tinnitus habe nicht verifiziert werden können. Die Hörverluste betrügen (bei der Messung im Herbst 2015) 30 % rechts und 40 % links, was abstrakt zu einer MdE um 15 vH führe. Jedoch hätten sie bei den Untersuchungen in der Zeit des Endes der Lärmeinwirkung 2011/2012 noch deutlich niedriger gelegen. Der progrediente Verlauf danach sei untypisch. Auch bestehe nicht mehr das eindeutige Bild einer Lärmschwerhörigkeit, nachdem auch die tiefen und mittleren Frequenzen betroffen seien. Der jetzige Hörverlust sei daher nicht der BK anzuschuldigen. Eine rentenberechtigende MdE bestehe nicht. Wegen der Einzelheiten des damaligen Verfahrens, insbesondere der weiteren audiometrischen Untersuchungen und der Feststellungen der Präventionsdienste der Beklagten und der BG ETEM über die Lärmexpositionspegel an den Arbeitsplätzen des Klägers bis 2013, wird auf den Tatbestand des Urteils vom 27. Juni 2016 verwiesen, das beiden Beteiligten bekannt ist.
Mit Schreiben vom 28. November 2019 (Bl. 568/575 ff. Verw.-Akte) beantragte der Kläger „im Wege der Neufeststellung nach § 48 SGB X“ erneut eine Verletztenrente wegen der Folgen der BK 2301. Er führte aus, W2 habe bei ihm eine beidseitige hochgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit mit begleitenden Tinnitus festgestellt. Sein Gesundheitszustand habe sich im Hinblick auf dieses Ohrenleiden seit der letzten Entscheidung massiv verschlechtert. Er legte W2s Bericht vom 20. November 2019 nebst Ton- und Sprachaudiogramm von L vom 24. September 2019 vor.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die P GmbH mit, das Arbeitsverhältnis habe am 31. Dezember 2011 geendet. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg übersandte eine Beschäftigungsübersicht, aus der sich eine weitere, geringfügige Tätigkeit vom 10. Dezember 2015 bis zum 31. Oktober 2018 bei „E Schuhdienst“ ergab (Bl. 578/585 Verw.-Akte).
Mit Bescheid vom 06. Februar 2020 lehnte die Beklagte eine Rentengewährung ab. Sie führte aus, das Tonaudiogramm vom 20. November 2019 weise keinen lärmtypischen Verlauf auf. Die Hörverluste beträfen beidseits den gesamten Frequenzbereich. Auch der gesamte Krankheitsverlauf seit Anerkennung der Berufskrankheit spreche gegen eine lärmbedingte Zunahme der Gehörschädigung. Der Kläger sei weder bei P bis Dezember 2011 noch bei Kayser und B einer Lärmeinwirkung ausgesetzt gewesen. Selbst wenn man für die geringfügige Beschäftigung ab dem 10. Dezember 2015 eine relevante Lärmbelastung unterstellte, wäre dieser Zeitraum zu kurz, auch weil der Tageslärmexpositionspegel eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden zugrunde lege.
Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2020).
Hiergegen hat der Kläger am 04. Juni 2020 Klage zum SG erhoben. Am 01. Juli 2020 wies dieses darauf hin, dass das Urteil des Senats vom 27. Juni 2016 für die damaligen Zeiträume bereits rechtskräftig einen Rentenanspruch verneint habe. Ferner forderte es den Kläger auf, detailliert zu seiner gesamten Berufstätigkeit seit 2011 Stellung zu nehmen und eine ggfs. doch vorhandene berufliche Lärmeinwirkung darzulegen. Der Kläger hat nicht geantwortet. Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 25. November 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Es könne dahingestellt bleiben, inwieweit sich das Hörvermögen tatsächlich verschlechtert habe, da eine etwaige Verschlechterung nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit der beruflichen Exposition angelastet werden könne.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 22. Dezember 2020 Berufung eingelegt. Der Senat hat am 03. März 2021 Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben sowie eine Entscheidung durch Beschluss angekündigt und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 31. März 2021 gegeben. Dieser Hinweis ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 03. März 2021 zugestellt worden, das Empfangsbekenntnis ist am 08. April 2021 zurückgekehrt. Gleichzeitig ist die Berufung begründet worden. Der Kläger trägt vor, er sei zeit seines Berufslebens mit „hundertprozentigem Einwirkungsanteil“ Arbeitslärm ausgesetzt gewesen. Von einer Altersschwerhörigkeit oder anderen, nicht versicherten Ursachen der Hörminderung sei nicht auszugehen. Dies belege, dass die Hörschäden berufsbedingt seien. Gegebenenfalls sei ein Sachverständigengutachten einzuholen. Einwände gegen eine Entscheidung durch Beschluss sind nicht erhoben worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. November 2020 und den Bescheid vom 06. Februar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK Nr. 2301 eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 40 vH zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG ohne die ehrenamtlichen Richter und ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die in mündlicher Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu diesem Verfahren gehört worden. Einwände sind nicht erhoben worden.
Das Verfahren war entscheidungsreif.
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 08. April 2021 - nach Ablauf der Anhörungsfrist - die Erhebung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen (§ 103 Satz 1 SGG) angeregt hat, bestand hierfür kein Anlass. Jene medizinischen Erfahrungssätze, die für die Beurteilung, ob eine voranschreitende Hörminderung noch eine Lärmschwerhörigkeit darstellt, relevant sind, hat bereits in dem ersten Verfahren Z als Sachverständiger dargestellt. Das jetzige Ausmaß der Hörbehinderung ergibt sich aus dem aktuellen Tonaudiogramm vom 24. September 2019, das der Kläger im Verwaltungsverfahren zur Akte gereicht hat.
Auch eine weitere Beweiserhebung auf arbeitsmedizinischer Ebene ist nicht angezeigt. Für die Beurteilung, ob die heutige Hörminderung ganz oder zum Teil auf beruflichem Lärm beruht, ist nur relevant, ob der Kläger in der Zeit seit der Begutachtung bei Z im Jahre 2015 erneut lärmgefährdend berufstätig war. Für die Zeiten zuvor liegen mehrere Arbeitsplatzexpositionen des PD der Beklagten und der BG ETEM vor. Von einer späteren erneuten beruflichen Lärmbelastung ist aber nicht auszugehen. Seit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben 2013 bzw. seit den Untersuchungen bei Z war der Kläger überhaupt nur einmal erneut berufstätig, und zwar in der Zeit von Dezember 2015 bis Oktober 2018. Hierbei handelte es sich aber um eine geringfügige Tätigkeit bei „E Schuhdienst“. Dies hat im Verwaltungsverfahren die DRV Baden-Württemberg mitgeteilt. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger in dieser Beschäftigung einem Tageslärmexpositionspegel von 85 dB(A) oder mehr ausgesetzt war. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser Pegel ein Durchschnittswert über eine achtstündige Arbeit am Tag ist, die der Kläger als geringfügig Beschäftigter nicht erreicht haben wird. Ferner liegt es fern, dass bei einem Schnelldienst für Schuhreparaturen nennenswerte Lärmbeeinträchtigung herrscht. Dieser Einschätzung der Beklagten ist der Kläger nicht entgegengetreten, obwohl ihn das SG im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich aufgefordert hat (Schreiben vom 01. Juli 2020), etwaige lärmbelastende Tätigkeiten nach dem Jahre 2015 im Einzelnen vorzutragen. Ohne einen solchen Vortrag wären Ermittlungen zu einer möglichen Lärmexposition bei dem Schuhdienst eine Beweiserhebung ins Blaue hinein gewesen. Zu einer Beweiserhebung ohne konkrete Anhaltspunkte sind die Gerichte auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen aber nicht verpflichtet (vgl. BSG, Beschluss vom 13. April 2015 - B 12 KR 109/13 B -, Rn. 12, juris).
Die Berufung des Klägers ist statthaft (§ 143 SGG), insbesondere nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht zulassungsbedürftig, und auch im Übrigen zulässig (§ 151 Abs. 1 SGG). Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) auf eine Verurteilung dem Grunde nach zur Gewährung einer Rente (§ 130 Abs. 1 SGG) abgewiesen. Sie ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen der anerkannten BK 2301.
Verfahrensrechtlich ist der Antrag entgegen der eigenen Ansicht des Klägers nicht an § 48 Abs. 1 SGB X zu messen, schon gar nicht an den engen Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 SGB VII. Die Ablehnung einer Rente - hier durch den Bescheid vom 17. April 2012 - ist selbst kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (BSG, Urteil vom 30. Januar 1985 - 1 RJ 2/84 -, BSGE 58, 27-34, SozR 1300 § 44 Nr 16, Rn. 16, juris). Ein späterer Antrag wegen einer Verschlimmerung nach einer Ablehnung zielt auf eine - erneute - Erstfeststellung. Nur wenn ein solcher erneuter Antrag auch frühere Zeiträume erfassen soll, die bereits ein bestandskräftiger Ablehnungsbescheid abdeckt, muss er besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen genügen, allerdings aus § 44 Abs. 1 SGB X und nicht aus § 48 Abs. 1 SGB X.
Vor diesem Hintergrund sind in diesem Verfahren keine Zeiten in Streit, über die der Ablehnungsbescheid vom 17. April 2012 bereits bindend (§ 77 SGG) entschieden hat. Einen Antrag auf Überprüfung und Zurücknahme jenes Bescheids nach § 44 Abs. 1 SGB X hat der Kläger nicht gestellt, weswegen die Beklagte darüber auch nicht entschieden hat. Aus dem Verfahren ausgeschlossen ist danach die gesamte Zeit vor Erlass des Berufungsurteils am 27. Juni 2016. Da der Kläger damals nicht nur den Bescheid vom 17. April 2012 angefochten, sondern Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente erhoben hatte, war die gesamte Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz in Streit (BSG, 17. August 2017 - B 5 R 248/16 B -, Rn. 10, juris). Für jenen gesamten Zeitraum hat der Senat damals einen Rentenanspruch rechtskräftig verneint.
Dagegen hat der neue Antrag vom 28. November 2019 den streitigen Zeitraum nicht weiter beschränkt. Der Kläger hat nicht ausdrücklich geltend gemacht, eine Verletztenrente nur für die Zeit seit Antragstellung zu begehren. Es verbleibt daher bei dem Grundsatz aus § 19 Satz 2 SGB IV, dass Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht nur auf Antrag und daher auch für Zeiten vor Antragstellung erbracht werden.
Materiellrechtlich können Versicherte nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Verletztenrente verlangen, wenn ihre Erwerbsfähigkeit über die 26. Woche nach einem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vH mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII).
Die MdE richtet sich nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 123). Die Bemessung der MdE ist Tatsachenfeststellung des Gerichts gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 3, Rn. 16, juris). Die dazu in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, BSGE 93, 63 <65>).
Für eine Verletztenrente relevant sind dabei nur jene Funktionsbeeinträchtigungen, die mit Wahrscheinlichkeit auf den Versicherungsfall - hier die anerkannte BK - als wesentlicher Ursache zurückzuführen sind.
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt auch die Verschlimmerung der Hörverluste des Klägers seit der Zeit des ersten Verfahrens nicht zu einem Anspruch auf Verletztenrente. Wie der Senat bereits in dem Urteil vom 27. Juni 2016 entschieden hat, kann die weitere Verschlimmerung seit dem Ende der lärmbelastenden Tätigkeit nicht der anerkannten BK zugerechnet werden. Nur jener Teil, der bereits bei Aufgabe dieser Tätigkeit bestand, ist - womöglich - Folge der BK. Dieser Teil allein bedingt aber weiterhin keine rentenberechtigende MdE.
Diese Einschätzung beruht weiterhin auf den Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen Z in seinem Gutachten vom 16. November 2015.
Dies gilt vor allem für die Annahme, dass jene Teile der Hörverluste, die erst nach dem Ende der lärmbelastenden Tätigkeit aufgetreten sind, nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die BK zurückgeführt werden können. Z hat auf den medizinischen Erfahrungssatz hingewiesen, dass sich eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Ende der Lärmexposition nicht verschlimmern, sondern allenfalls altersentsprechend fortschreiten kann. Dieser Erfahrungssatz ist allgemein anerkannt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 349). Im Falle des Klägers kann daher - erst recht - eine weitere Verschlechterung nach den Untersuchungen bei Z nicht mehr der BK zugerechnet werden. Etwas Anderes könnte sich nur ergeben, wenn der Kläger nach diesem Zeitpunkt erneut lärmbelastend tätig gewesen ist. Hiervon ist aber, wie bereits ausgeführt, nicht auszugehen.
Weiterhin gültig ist auch Zs Einschätzung, das spätere Bild der Hörverluste des Klägers sei für eine Lärmschwerhörigkeit atypisch. Es ist anerkannt, dass sich eine lärmbedingte Schallempfindungsschwerhörigkeit typischerweise in einem Abfall - nur - der höheren Frequenzen um etwa 4000 Hz („c5-Senke“) zeigt. Die tiefsten gelegentlich von einer Lärmeinwirkung betroffenen Frequenzen liegen über 1000 Hz (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 352 f.). Ein solches Bild mag bei dem Kläger bei den ältesten aktenkundigen tonaudiometrischen Untersuchungen vorgelegen haben (16. April 2009). Bereits bei den Untersuchungen bei Z im November 2015 waren aber auch die mittleren und niedrigen Frequenzen betroffen, was den Sachverständigen zu der Einschätzung veranlasst hat, es handle sich nicht nur um ein Fortschreiten der lärmbedingten Hochtonschwerhörigkeit, sondern um gesonderte Schäden, die eine andere Ursache als Lärm haben müssten. Das jetzige Bild der Hörminderung des Klägers entspricht noch weniger einer Lärmschwerhörigkeit als das damalige. Dies ergibt sich aus einem Vergleich der audiometrischen Untersuchungen bei Z mit dem Tonaudiogramm von L vom 24. September 2019 (Bl. 572 Verw.-Akte). Danach ist zwar z.B. die Hörschwelle bei 3000 Hz, also schon am Rande des Hochtonbereichs, von 60 dB beidseits auf jetzt 75 dB rechts und 85 dB abgesunken. Noch stärker war dagegen die weitere Einbuße im Tieftonbereich. So ist die Hörschwelle bei 500 Hz von damals 20 dB rechts und 15 dB links auf jetzt 60 dB rechts und sogar 75 dB links gefallen. Eine „c5-Senke“, also eine Betonung der Hörverluste im Hochtonbereich mit einem recht abrupten Abfallen der Hörkurve, ist überhaupt nicht mehr zu erkennen. Gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen in dem Gutachten vom 16. November 2015 kann dieses Bild nicht mehr einer Lärmeinwirkung zugerechnet werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 1247/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 4115/20
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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