L 9 KR 226/20 WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 1074/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 226/20 WA
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Voraussetzungen des obligatorischen Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind auch in dem Fall erfüllt, in dem eine Krankenkasse gezielt noch vor dem Vollzug eines Kassenwechsels für die Tätigkeit eines Gesellschaftergeschäftsführers einer GmbH als Einzugsstelle eine Statusfeststellung in Gestalt einer „Befreiung“ trifft und mit Blick darauf die notwendige Arbeitgebermeldung nach § 28a SGB IV gänzlich unterbleibt.

                                          

 

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2017 aufgehoben.

 

Der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2015 wird aufgehoben.

 

Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die beklagte Krankenkasse feststellte, dass der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 2) als Gesellschafter-Geschäftsführer nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt.

 

Die beigeladene Gesellschaft mit beschränkter Haftung [im Folgenden: Beigeladene zu 2)] wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 24. Juni 2008 mit einem Stammkapital in Höhe von 25.000 Euro gegründet. Gegenstand des Unternehmens war das Betreiben von Kinder-Erlebniswelten sowie die Konzeption und der Vertrieb derselben. Dazu betrieb die GmbH das  K A in F , B-E. Alleiniger Gesellschafter war zunächst Herr P. Dieser veräußerte am 7. Mai 2013 an den Beigeladenen zu 1) Geschäftsanteile in Höhe von je 33,3 % (8.334,00 Euro) sowie in Höhe von 33,3 und 33,4 % an zwei weitere Erwerberinnen. Der Beigeladene zu 1) wurde am 8. Juli 2013 (Eintragung in das Handelsregister) zum Geschäftsführer bestellt. Zuvor war er nach eigenen Angaben ab August 2000 bis Mai 2013 als Arbeiter tätig.

 

Gemäß der Satzung der Beigeladenen zu 2) war die Gesellschafterversammlung beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte aller Stimmen vertreten waren. Fehlte es daran, war innerhalb einer Woche eine neue Gesellschafterversammlung mit gleicher Tagesordnung einzuberufen, die spätestens vier Wochen nach der ersten stattzufinden hatte und ohne Rücksicht auf die Zahl der vertretenen Stimmen beschlussfähig war (§ 10 der Satzung). Die Beschlussfassung erfolgte, soweit Gesetz und Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorschrieben, mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Bei Stimmengleichheit galt ein Antrag als abgelehnt. Gesellschafterbeschlüsse betreffend die Änderung des Gesellschaftsvertrags, den Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen oder sonstigen Unternehmensverträgen sowie betreffend die Umwandlungen oder Verschmelzungen und die Auflösung der Gesellschaft bedurften einer Mehrheit von 75 % aller Gesellschafterstimmen (§ 11 Abs. 3 der Satzung).

 

Mit nicht notariell beurkundetem Gesellschafterbeschluss vom 21. Oktober 2014 beschloss die Gesellschafterversammlung, dass im Unternehmen der Beigeladenen zu 2) die einstimmige Beschlussfassung für sämtliche Entscheidungen der GmbH gelten sollte. Der Beigeladene zu 1) übernahm gemeinschaftlich mit den beiden weiteren Gesellschafterinnen gegenüber der Frankfurter Volksbank für die Kreditverpflichtungen der Beigeladenen zu 2) eine Bürgschaft in Höhe von 15.000,00 Euro.

 

Über das Vermögen der Beigeladenen zu 2) wurde am 26. Januar 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Gesellschaft wurde daraufhin aufgelöst (Handelsregisterbekanntmachung vom 9. Februar 2017) und befindet sich in Liquidation. Durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2021 ist das Insolvenzverfahren nach Schlussverteilung aufgehoben (Handelsregisterauszug HRB 86977 vom 25. Mai 2022), eine Löschung der Beigeladenen zu 2) ist nicht eingetragen.

 

Die Beigeladene zu 2) schloss mit dem Beigeladenen zu 1) einen „Geschäftsführer-Vertrag“, beginnend ab dem 1. Februar 2014. Nach diesem hatte der Geschäftsführer die Geschäfte der Gesellschaft nach Maßgabe des Gesetzes, des Gesellschaftsvertrags, einer etwaigen Geschäftsordnung für die Geschäftsführung und der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu führen (§ 2 Abs. 1 des Geschäftsführer-Vertrags). Der Geschäftsführer war befugt, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich allein zu vertreten und die Geschäfte der Gesellschaft allein zu führen. Einschränkungen ergaben sich aus dem Gesetz, dem Gesellschaftsvertrag, der Geschäftsordnung der Geschäftsführung und den Beschlüssen der Gesellschafterversammlung. Der Geschäftsführer bedurfte für alle Geschäfte und Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgingen, der ausdrücklichen Einwilligung der Gesellschafterversammlung und war von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit (§ 3 des Vertrags). An eine bestimmte Arbeitszeit war er nicht gebunden, diese hatte sich vielmehr nach den betrieblichen Erfordernissen zu richten und war von ihm frei und eigenverantwortlich zu gestalten (§  4 des Geschäftsführer-Vertrags). Er hatte für die Tätigkeit Anspruch auf ein festes Jahresgehalt in Höhe von 30.000,00 Euro brutto, zahlbar in monatlichen Teilbeträgen in Höhe von 2.500,00 Euro, jeweils am Ende eines Kalendermonats. Diese feste Vergütung änderte sich im gleichen Verhältnis und zum gleichen Zeitpunkt, wie sich das Gehalt eines Grundgehaltes eines Bundesbeamten der Besoldungsstufe A, Gruppe A 16 veränderte. Als sonstige Leistung hatte er Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehaltes. Diese wurde mit dem letzten Gehalt des Jahres ausbezahlt. Ferner erhielt er ein Urlaubsgeld in Höhe eines Monatsgehaltes, zahlbar am 1. Juli eines jeden Jahres. Urlaubs- und Weihnachtsgeld waren zeitanteilig zu kürzen, wenn das Dienstverhältnis nicht während des gesamten Kalenderjahres Bestand hatte (§ 8 des Geschäftsführer-Vertrags „Vergütung“). Der Geschäftsführer hatte Anspruch auf eine vertragliche Vergütungsfortzahlung bei Krankheit oder sonstiger unverschuldeter Verhinderung für die Dauer von drei Monaten (§ 9 „Vergütungsfortzahlung“). Außerdem hatte er einen Anspruch auf Erstattung der Kosten und Aufwendungen sowie Reisespesen, die im Rahmen seiner ordnungsgemäßen Geschäftsführertätigkeit anfielen (§ 10 des Vertrags). Der Geschäftsführer hatte Anspruch auf 30 Arbeitstage bezahlten Urlaub pro Kalenderjahr (§ 11 des Vertrags). Der Vertrag endete spätestens mit Ablauf des 65. Lebensjahres des Geschäftsführers, ohne dass es einer Kündigung bedurfte. Eine Abberufung des Geschäftsführers war jederzeit zulässig und galt als Kündigung des Vertrags zum nächstmöglichen Zeitpunkt (§ 13 Abs. 4 des Vertrags). Die Kündigung erfolgte durch schriftliche Mitteilung des entsprechenden Gesellschafterbeschlusses (§ 13 Abs. 3 Satz 2 des Vertrags).

 

Der Beigeladene zu 1) ist seit dem 22. August 2016 (Eintragung in das Handelsregister) nicht mehr Geschäftsführer der Beigeladenen zu 2). Seit dem              1. Oktober 2016 arbeitet er als Beschäftigter bei der MKP UG, einer unter der Anschrift der Beigeladenen zu 2) in 6 F a M eingetragenen Unternehmergesellschaft. Es werden in dieser Tätigkeit für ihn Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet.

 

Der Beigeladene zu 1) war bis zum 28. Februar 2015 als versicherungspflichtig Beschäftigter Pflichtmitglied der AOK Bayern. Er kündigte seine Mitgliedschaft bei dieser Krankenkasse mit Schreiben vom 2. Dezember 2014 zum 28. Februar 2015 (Kündigungsbestätigung der AOK Bayern vom 16. Dezember 2014). Er beantragte zu einem nicht bekannten Datum mit einem Aufnahmeantrag bei der Schwenninger BKK, der bis zum 31. Dezember 2020 existierenden Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Begründung einer Mitgliedschaft „als Pflichtversicherter“ zum 1. März 2015 unter Angabe der Beigeladenen zu 2) als „Arbeitgeber“. Kontoführender Träger der Rentenversicherung war die DRV Nordbayern [Beigeladene zu 3)].

 

Namens und unter Vorlage einer Vollmacht des Beigeladenen zu 1) vom 9. August 2014 beantragte die a AG, eine auf private Altersvorsorge spezialisierte, nach einer formwechselnden Umwandlung inzwischen insolvente Beratungsagentur (zuletzt B S GmbH, Az.  vor dem Amtsgericht Stuttgart) für den Beigeladenen zu 1) die Feststellung zur Sozialversicherungspflicht für seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer der Beigeladenen zu 2). Ebenfalls vorgelegt wurde dazu eine Vereinbarung des Beigeladenen zu 1) mit dem Rechtsanwalt F, wonach dieser für den Beigeladenen zu 1) eine Befreiung von der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung anstreben sollte und den Auftrag erhielt, die Voraussetzungen der Befreiung zu prüfen und den Beigeladenen zu 1) zu beraten und zu vertreten. Der Beigeladene zu 1) ließ – auch für die Beigeladene zu 2) – einen bereits auf den 31. Juli 2014 datierten „Feststellungsbogen zum Versicherungsstatus eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH“ bei der Beklagten einreichen. In diesem wurde u.a. auf den Gesellschaftsanteil des Beigeladenen zu 1) hingewiesen und mitgeteilt, dass er bis zur Bestellung als Geschäftsführer seit 2000 als Arbeiter nicht selbständig beschäftigt gewesen sei. Außerdem enthielt der Bogen die Angabe, dass in der Gesellschaft vertraglich eine einstimmige Beschlussfassung gelte, dies bedeute für den Beigeladenen zu 1) eine Sperrminorität. Die Verbuchung seiner Vergütung erfolge als Lohn/Gehalt. Er erhalte erfolgsabhängige Bezüge in Gestalt von Tantiemen. Er könne seine Tätigkeit völlig frei bestimmen und sei für die gesamte Organisation im Bereich Hausmeistertätigkeiten verantwortlich, außerdem werde die komplette Instandhaltung und Wartung von ihm „gehändelt“. Er sei für die umfangreiche Einsatzplanung verantwortlich und für das Personalwesen (Einstellungen und Entlassungen). Schließlich würden auch Mitarbeitergespräche von ihm ausgeführt. Zu seinen Aufgaben gehörten auch die Kundenberatung und Kundenpflege. Im Fall einer Arbeitsunfähigkeit werde über die Weiterzahlung seiner Vergütung „von Fall zu Fall entschieden“. Der Beigeladene zu 1) unterzeichnete den Feststellungsbogen auch als Geschäftsführer für die Beigeladene zu 2), obwohl der Vordruck eine Unterschrift eines „weiteren“ Geschäftsführers der GmbH verlangte. Es ist nicht bekannt, wann der Feststellungsbogen bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten einging.

 

Der erst zum 1. März 2015 vollzogene Krankenkassenwechsel des Beigeladenen zu 1) steht im Zusammenhang mit einem schwerpunktmäßig auf Familienunternehmen zugeschnittenen Konzept der a AG. Dieses Vorsorgemodell – auch Gegenstand von umfangreichen, noch nicht abgeschlossenen Strafverfahren – zielte schwerpunktmäßig darauf ab, Geldbeträge in Höhe vor allem der bisher für Familienmitarbeiter-/innen entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung in – vermeintlich ertragreichere – private Versicherungen zu investieren. Dazu bedurfte es der Feststellung, dass keine Versicherungspflicht aufgrund der Tätigkeit der (Familien-)Mitarbeiter-/innen bestand. Hierzu wechselten die versicherungspflichtig Beschäftigten in Ausübung ihres Krankenkassenwahlrechts noch als Beschäftigte u.a. zur beklagten Krankenkasse, die dadurch zuständige Einzugsstelle werden sollte. Eine oder mehrere bei der neuen Krankenkasse intern allein für diese Statusentscheidungen zuständige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhielten standardisiert den entsprechenden Aufnahmeantrag für den Kassenwechsel, die Kündigungsbestätigung der bisherigen Krankenkasse sowie einen Antrag auf Statusüberprüfung, wonach die (Familien-) Mitarbeiter-/innen selbstständig tätig seien. Der Beklagten wurde zudem in der Mehrzahl der Fälle ein gleichartig formulierter, zwischen Unternehmer und –mitarbeiter-/innen neu abgeschlossener Arbeitsvertrag vorgelegt, der regelmäßig einen Monat nach dem Wechsel zur beklagten Krankenkasse wirksam werden sollte. In dem außerdem eingereichten Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses wurde das Familienverhältnis kenntlich gemacht. Unmittelbar nach Eingang dieser Unterlagen bestätigte die beklagte Krankenkasse die Aufnahme der jeweiligen Mitarbeiter-/innen als versicherungspflichtiges Mitglied. Zudem stellte sie die Sozialversicherungsfreiheit ab dem ersten Tag des auf den Krankenkassenwechsel folgenden Monats in Aussicht. Das Unternehmen meldete ihr diesen Kassenwechsel, ohne dabei in dem Meldeformular das zum familiären Näheverhältnis vorgesehene Feld auszufüllen. Unmittelbar nach Wirksamwerden des Krankenkassenwechsels erließ die Beklagte als Einzugsstelle Statusbescheide, wonach die Mitarbeiter-/innen nach Beginn ihrer (neuen) Mitgliedschaft (regelmäßig nach einem Monat) nicht mehr der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung unterlägen. Zeitgleich wurden sie freiwillige Mitglieder der Beklagten. Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung wurden fortan nicht mehr entrichtet. Grundlage der Statusfeststellungsverfahren war ferner die vom Familienunternehmen und/oder den jeweiligen die Kasse wechselnden Mitarbeiter-/innen erteilte Bevollmächtigung einerseits der a AG, im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Prüfung Auskünfte zu erteilen, und andererseits des als Rechtsanwalt zugelassenen Aufsichtsratsvorsitzenden der a AG (obiger Rechtsanwalt F) zur Befreiung von der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung.

 

Die klagende Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund wurde im Rahmen von Betriebsprüfungen auf diese Praxis aufmerksam und focht die Befreiungsbescheide in zahlreichen Verfahren erfolgreich an (zum Ganzen: BSG, Urteil vom 16. Juli 2019 – B 12 KR 6/18 R, betreffend die bkk24). Die 6. Kammer des Landgerichts Konstanz sprach zwischenzeitlich einem ehemals freiwillig versicherten Familienangehörigen einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu (https://www.nq-online.de/lokales/urteil-gegen-krankenkasse_50_112077739-16-.html).
 

Im Fall der Beigeladenen zu 1) und 2) teilte eine Mitarbeiterin der a AG am  19. Februar 2015 in einer informellen E-Mail einem Mitarbeiter der Beklagten mit, es gehe „nach Rücksprache mit Herrn K in Ordnung“, dass der Beigeladene zu 1) „bereits ab dem 1. März 2015 sozialversicherungsfrei eingestuft“ werde (wörtlich: „SV Frei“) .

 

Mit jeweils an die Beigeladenen zu 1) und 2) gerichtetem Bescheid vom 24. Februar 2015 stellte die Beklagte für den Beigeladenen zu 1) fest, dass in der Zeit ab dem 1. März 2015 keine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung, der Pflege- und Arbeitslosenversicherung bestehe, da es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) um kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handele. Aufgrund seiner Geschäftsanteile habe er maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Die Beurteilung erfolge zu Beginn der Mitgliedschaft bei der Beklagten ab dem 1. März 2015, für den Zeitraum bis zum 28. Februar 2015 möge sich der Beigeladene zu 1) mit der AOK Bayern in Verbindung setzen.

 

Der Beigeladene zu 1) wurde von der Beigeladenen zu 2) ab dem 1. März 2015 nicht zur Sozialversicherung angemeldet, sondern fortan lediglich von der Beklagten als freiwilliges Mitglied geführt (so die Beklagte auf Anfrage des Senats mit Schriftsatz vom 30. Mai 2022).

 

Eine Bekanntgabe des Statusfeststellungsbescheides an die Klägerin erfolgte nicht. Diese erlangte erst im Rahmen einer Einzugsstellensonderprüfung (§ 28q Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV) in den Räumen der Beklagten am 11. Mai 2016 durch die Übergabe eines Datenträgers Kenntnis.

 

Die  Klägerin hat am 10. Juni 2016 „Anfechtungsklage“ zum Sozialgericht Berlin mit dem Begehren erhoben, den Bescheid aufzuheben. Der Beigeladene zu 1) sei abhängig beschäftigt und unterliege daher der Versicherungspflicht. Bei der Anmeldung der Beschäftigung sei u.a. anzugeben, ob es sich um eine Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter handele (§ 28a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 d/e) SGB IV). Vorliegend sei zum 1. März 2015 die Anmeldung der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) im Unternehmen der Beigeladenen zu 2) bei der Beklagten als nunmehr zuständige Einzugsstelle erfolgt. Die Beklagte habe die Verwendung des Vordrucks „Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Gesellschafter-Geschäftsführers“ zum Anlass für eine Statusprüfung genommen. Bereits aus dem Feststellungsbogen sei für sie erkennbar gewesen, dass sie als Einzugsstelle nicht für die versicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als geschäftsführender Gesellschafter der Beigeladenen zu 2) zuständig gewesen sei, sondern sie vielmehr einen Antrag bei der Klägerin hätte stellen müssen. Sie könne sich nicht darauf zurückziehen, dass sich diese Eigenschaft des Beigeladenen zu 1) aus der Arbeitgebermeldung selbst nicht ergeben habe. Das Gesetz gehe insoweit von einer vollständigen und korrekten Arbeitgebermeldung aus, die Beklagte trage dafür als Einzugsstelle auch eine gesetzliche Verantwortung. Der angefochtene Verwaltungsakt verletze bereits deshalb das ausschließliche Recht der Klägerin, in diesem Fall den Versichertenstatus (in einem obligatorischen Anfrageverfahren) zu prüfen. Die Klägerin sei auch klagebefugt, denn sie verteidige ihr Recht als ausschließlich zur Prüfung zuständige Clearingstelle.

 

Der Bescheid der Beklagten sei auch in der Sache rechtswidrig. In einer GmbH besitze ein Gesellschafter-Geschäftsführer nur dann die Rechtsmacht, unliebsame Weisungen für seine Tätigkeit zu verhindern, wenn sein Anteil am Stammkapital entweder die Stimmenmehrheit auf sich vereinige oder wenn ohne seinen Stimmenanteil Beschlüsse der Gesellschafterversammlung nicht möglich seien (sog. qualifizierte Sperrminorität). Eine Sperrminorität, die auf bestimmte Bereiche beschränkt sei, schließe die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses dagegen gerade nicht aus. Ausgehend davon habe der Beigeladene zu 1) die Rechtsmacht innerhalb der Beigeladenen zu 2) nicht inne, weil er nicht über eine vollumfängliche Sperrminorität verfüge. Die Regelung des § 49 SGB X erleichtere der Beklagten die Aufhebung ihres Bescheides. Die Klägerin hat ihren Klageantrag im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ergänzt und zusätzlich beantragt, festzustellen, dass der Beigeladene zu 1) in seiner für die Beigeladene zu 2) ausgeübten Tätigkeit seit 1. März 2015 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt.

 

Mit Urteil vom 24. Mai 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei zwar (teilweise) zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin sei klagebefugt. Die Verletzung eines ihr zustehenden Rechts i.S. der Zuständigkeit für die Beurteilung der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) erscheine im Hinblick auf das obligatorische Anfrageverfahren zumindest möglich.

 

Das klägerische Begehren, den Bescheid der Beklagten hinsichtlich der Feststellung zu allen vier Sozialversicherungszweigen, aufzuheben, sei unbegründet. § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV vermittle der Klägerin (insoweit) kein subjektives öffentliches Recht zur Durchsetzung ihrer Zuständigkeit. Zwar werde darin ihre sachliche Zuständigkeit für die Beurteilung der Versicherungspflicht geregelt. Ein von der Einzugsstelle unter Missachtung dieser Bestimmung erlassener Bescheid über die Statusfeststellung sei grundsätzlich rechtswidrig und berechtige seine Adressaten dazu, die Aufhebung zu verlangen. Die Zuständigkeitsvorschrift schütze aber nicht die Klägerin. Die Berufung auf den Verfahrensfehler setze im Unterschied zum absoluten Verfahrensrecht voraus, dass ein eigenes materielles Recht verletzt sein könnte. Gemessen daran diene § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV allein dem Schutz davor, Beiträge für eine Scheinversicherung zahlen zu müssen, aus der keine Leistungsansprüche resultierten. Das ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte. Ziel des (obligatorischen) Statusfeststell­ungsverfahrens sei die Schaffung von mehr Rechts- und Planungssicherheit der Beitragszahlenden, vor allem für den Fall der Arbeitslosigkeit. Es sollten damit insbesondere diejenigen geschützt werden, die davon ausgingen, dass ihre Mitarbeit in einem Familienbetrieb Versicherungspflicht bedingte. Dass der Gesetzgeber gerade der Klägerin eine besondere Kompetenz zur Beurteilung der Versicherungspflicht zugetraut hätte, werde nicht bestätigt, denn nicht alle Anfrageverfahren zur Versicherungspflicht seien vollständig der Klägerin zugeordnet worden. Nur soweit die Klägerin als zuständige Trägerin der Rentenversicherung von einer Entscheidung der Einzugsstelle, die die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung feststelle, betroffen sei, sei sie in ihren materiellen eigenen Rechten beschwert und könne daher die Entscheidung der Einzugsstelle auch anfechten. Ein Schutzbedürfnis der Klägerin, die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Beklagten insgesamt anzufechten, sei hingegen nicht gegeben.

 

Die Klage sei unzulässig, soweit die Klägerin als Träger der Rentenversicherung mit ihr begehre, den Bescheid hinsichtlich der Feststellung der Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung aufzuheben sowie festzustellen, dass der Beigeladene zu 1) der Rentenversicherungspflicht unterliege. Denn der Klägerin fehle als nicht kontoführendem Rentenversicherungsträger die erforderliche Klagebefugnis. Nicht sie sei zuständig für die Durchführung der Rentenversicherung des Beigeladenen zu 1), sondern die DRV Nordbayern. Die Klägerin könne insoweit auch nicht als Sachwalterin der Belange der Rentenversicherung auftreten. Ein Anfechtungsrecht ergebe sich für die Klägerin schließlich nicht aus § 28q SGB IV. Die Bestimmung ermächtige sie nicht dazu, Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht zu erlassen. Daraus folge für sie auch kein Aufsichtsrecht über die Einzugsstellen, sondern §  28r SGB VI begründe die Möglichkeit, einen Schaden in dem Fall geltend zu machen, in dem diese ihre Pflichten schuldhaft verletzten.

 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 2. Juni 2017 zugestellte Urteil am 21. Juni 2017 Berufung eingelegt. Die Angaben auf dem Feststellungsbogen zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) seien augenscheinlich von einer Mitarbeiterin der a AG ausgefüllt und vom Beigeladenen zu 1) dann nur unterschrieben worden. Diese Praxis sei aus zahlreichen Parallelverfahren bekannt. Bei Aufhebung des angefochtenen Bescheides sei die Klägerin berechtigt und verpflichtet, über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entscheiden. Eines ergänzenden Feststellungsantrags bedürfe es nicht. Aus der Zuweisung einer Entscheidungsbefugnis (wie durch § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV) müsse auch das Recht folgen, diese im Wege der Klage durchzusetzen. Andernfalls könne allein der Versicherte oder der Arbeitgeber/Auftraggeber die Verletzung der Zuständigkeitsvorschriften geltend machen. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung werde dann in das Belieben der vom eigenen Interesse beherrschten Antragsteller gelegt. Die Klage sei auch begründet, weil eine Zuständigkeit der Beklagten für die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht bestehe. Die Entscheidung sei auch in materieller Hinsicht unrichtig. Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BSG unterliege die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) der Versicherungspflicht. Dem Gesellschafterbeschluss vom 21. Oktober 2014 komme dabei keine Bedeutung zu, weil er nicht in das Handelsregister eingetragen worden sei. Für alle anderen Geschäfte habe es dagegen nur einer einfachen Mehrheit in der Gesellschafterversammlung bedurft. Entscheidend sei, dass die Beigeladene zu 2) das Beschäftigungsverhältnis durch Kündigung habe beenden können. Hierfür sei ein Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit ausreichend gewesen. Das Recht des Beigeladenen zu 1), wonach er zur Ausführung seiner Tätigkeiten hinsichtlich Zeit und Ort, Art und Weise keinen Weisungen unterlegen habe, sei lediglich Ausdruck dafür, dass die Weisungsgebundenheit bei Diensten höherer Art eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sei.

 

Die Beklagte habe am 7. Februar 2017 einen Adhoc-Prüfauftrag an den Prüfdienst der Klägerin gerichtet, dieser sei am 26. März 2018 zurückgegeben worden, weil keine prüffähigen Unterlagen mehr beim Steuerberater der Beigeladenen zu 2) vorgelegen hätten.

 

Sofern die Beiträge, die aus der begehrten Aufhebung des Bescheides folgten, nach Auffassung der Beklagten aufgrund der zwischenzeitlichen Insolvenz der Beigeladenen zu 2) nicht mehr beitreibbar seien, könnte dies einen Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 28r SGB IV begründen. Die Klägerin werde nach Abschluss aller Anfechtungsverfahren im Rahmen von Sonderprüfungen auch bei der Beklagten den Beitragseinzug in den jeweiligen Fällen überprüfen.

 

Die Klägerin beantragt (Schriftsatz vom 3. Juni 2022),

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2015 aufzuheben,

           

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie habe den angefochtenen Bescheid bislang nicht aufgehoben und von der Beigeladenen zu 2) keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge ab dem 1. März 2015 bis zum 30. September 2016 erhoben. Im Hinblick darauf, dass die Beigeladene zu 2) aus dem Handelsregister gelöscht worden sei, könnten Gesamtsozial­versicherungsbeiträge für den streitigen Zeitraum gar nicht mehr beigetrieben werden. Die Beklagte habe für den Zeitraum vom 1. März 2015 bis zum 22. August 2016 eine Beitragsschätzung in Höhe von 18.708,03 Euro gegenüber dem Insolvenzverwalter der Beigeladenen zu 2) als Insolvenzforderung angemeldet. Ein möglicher Schaden der Klägerin bestehe allenfalls in Höhe der Insolvenzquote. Außerdem liege eine Selbständigkeit des Beigeladenen zu 1) in der Tätigkeit als Geschäftsführer nahe. 

 

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

 

Das Berufungsverfahren hat geruht unter anderem im Hinblick auf das vor dem Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 12 KR 6/18 R geführte Revisionsverfahren und die dort streitige Rechtsfrage, ob der Klägerin ein subjektives Recht zusteht, Entscheidungen der Einzugsstelle nach § 28h Abs. 2 SGB IV allein wegen Verletzung ihrer Zuständigkeit anzufechten.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsakte der Klägerin und der Beklagten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

A. Der Senat durfte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im Wege des schriftlichen Verfahrens erklärt (§ 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

 

B. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hätte ihre Klage nicht abweisen dürfen. Die Klägerin hat Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Befreiungsbescheides, denn ihre Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).

 

I. Die Klage ist als Anfechtungsklage, gerichtet auf die vollständige Aufhebung des Bescheides der Beklagten statthaft (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) und im Übrigen zulässig.

 

1. Dabei ist allein die Anfechtung des Bescheids unter Berufung auf seine Kompetenzwidrigkeit sachdienlich, einer ergänzenden Feststellungsklage bedarf es dagegen nicht (so auch ohne nähere Begründung BSG, Urteil vom 16. Juli 2019 –  B 12 KR 6/18 R, Rdnr. 20 ff.). Die Klägerin hat demgemäß den Feststellungsantrag mit der Berufung nicht weiterverfolgt. Das Anfechtungsbegehren, bezogen auf alle Zweige der Sozialversicherung, war bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Klageantrags; eine nur teilweise Aufhebung, begrenzt auf die Feststellung zur gesetzlichen Rentenversicherung, verfolgte die Klägerin dagegen ausweislich des vom Sozialgericht protokollierten Klageantrags erstinstanzlich nicht. Demgemäß prüfte auch bereits das Sozialgericht einen Anspruch der Klägerin auf vollständige Aufhebung des Bescheids. Es liegt insoweit keine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz vor.  

 

Die Klägerin ist  klagebefugt. Zur Anfechtung eines Bescheides (Verwaltungsaktes) ist nicht nur der Adressat befugt, sondern auch Dritte, deren rechtliche Interessen durch die hoheitliche Maßnahme (Regelung) berührt sind. Die DRV Bund ist als Clearingstelle klagebefugt, soweit sie sich in obligatorischen Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) gegen Statusfeststellungen einer Einzugsstelle wendet. Nach der maßgebenden Möglichkeitstheorie besteht die Möglichkeit, dass sie in ihren Rechten verletzt ist. Die Klägerin kann sich auf eine drittschützende Norm berufen, die auch ihren rechtlichen Interessen zu dienen bestimmt ist. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass §  7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV der Klägerin als Trägerin der Clearingstelle eine wehrfähige Alleinzuständigkeit für das obligatorische Statusfeststellungsverfahren im Sinne einer umfassenden Kompetenzzuweisung für alle Zweige der Sozialversicherung verleiht (dazu BSG, Urteil vom 16. Juli 2019, B 12 KR 6/18 R, Rdnr. 23/24). Ob der Verwaltungsakt die Klägerin tatsächlich in eigenen Rechten verletzt, ist dagegen eine Frage der Begründetheit der Klage (dazu II.).

 

2. Die Klage ist fristgerecht erhoben worden und das Klagerecht ist nicht verwirkt.

 

a. Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage grundsätzlich binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Die Bekanntgabe richtet sich nach §  37 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Ausgehend davon hat die Beklagte der Klägerin den Bescheid vom 24. Februar 2015 nicht gezielt bekanntgegeben, die Klägerin hat von ihm anlässlich einer Einzugsstellen­sonderprüfung am 11. Mai 2016 Kenntnis erhalten. Ungeachtet dessen wäre die Monatsfrist mit der Klageerhebung am 10. Juni 2016, ausgehend von der Kenntniserlangung, gewahrt. Auf die Frage, ob statt der Monatsfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG die Jahresfrist lief, weil der Bescheid für die Klägerin als Verwaltungsträgerin im Hinblick auf § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, kommt es danach nicht an (dazu BSG, a.a.O., Rdnr. 25). 

 

b. Die Klägerin hat ihr Klagerecht zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht verwirkt. Voraussetzung einer Verwirkung eines (Klage-)Rechts als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung ist, dass bei Klageerhebung ein gewisser Zeitraum verstrichen ist (Zeitmoment) und ein Klageberechtigter unter den besonderen Verhältnissen im Einzelfall untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise eine Rechtsschutzaktivität zu erwarten wäre (Umstandsmoment). Die Klägerin hat unverzüglich nach Kenntniserlangung gegen den Befreiungsbescheid der Beklagten Klage erhoben (näher BSG, a.a.O., Rdnr. 27/28). Ihre Klageerhebung ist auch nicht unter Berücksichtigung des Umstands treuwidrig, dass sie an der „Gemeinsamen Verlautbarung zur Behandlung von Verwaltungsakten (Beitragsbescheiden) durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger“ vom 21. November 2006“ beteiligt war. In dieser  Vereinbarung haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zwar teilweise unter Verstoß gegen das Sozialversicherungsrecht verabredet, dass ein Verwaltungsakt über eine (nicht bestehende) Versicherungspflicht dem beteiligten Fremdversicherungsträger „ungeachtet des § 37 SGB X“ nur in bestimmten Fällen übersandt und ihm gegenüber grundsätzlich keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden soll. Außerdem verzichteten die Fremdversicherungsträger auf die Anfechtung von (fehlerhaften) Verwaltungsakten, die gegenüber dem Arbeitgeber oder Arbeitnehmer bereits bestandskräftig geworden waren. Diese Vereinbarung hat auf den vorliegenden Fall schon deshalb keine Auswirkung (mehr), weil sie in der Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit  über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 9. April 2014 bereits aufgehoben worden und damit 2015 überholt war. Gemäß dieser neuen Vereinbarung sollten die o.g. Verwaltungsakte der Einzugsstellen fortan regelhaft auch der Klägerin gegenüber bekanntgegeben werden. Nur im Ausnahmefall – vor allem bei vorheriger Abstimmung des Inhalts – waren die Einzugsstellen davon dispensiert (vgl. Ziff. 3. des Besprechungsergebnisses vom 9. April 2014 „Behandlung von Verwaltungsakten durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger“). Von einer insoweit weiter verabredeten treuwidrigen Verwaltungspraxis kann ab diesem Zeitpunkt also keine Rede mehr sein. Ungeachtet dessen würde selbst eine 2015 noch fortwirkende Verwaltungspraxis nicht dazu führen, dass die Klägerin damit auf jeglichen Rechtsschutz verzichtet oder zumindest durch treuwidriges Handeln einen Ablauf der Klagefrist hervorgerufen hat, dann aber gleichwohl eine prozessuale Ausnahmesituation für sich in Anspruch nimmt (vgl. näher BSG, Urteil vom 16. Juli 2019, B 12 KR 6/18 R, Rdnr. 29).

 

3. Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für ihre Klage. Sie kann die Aufhebung des Bescheides der Beklagten nicht auf einfachere Weise als mit der Drittanfechtungsklage erreichen. Einer Rücknahme eines kompetenzwidrig erlassenen Verwaltungsakts durch die sachlich zuständige Behörde im Verwaltungsverfahren stehen regelmäßig die Einschränkungen des Vertrauensschutzes, konkret § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X zugunsten des Arbeitgebers und des Beschäftigten, entgegen. Deren möglicher Vertrauensschutz steht regelmäßig auch einer Aufhebung durch die (sachlich unzuständige) Einzugsstelle entgegen, selbst wenn diese im Wege der Rechtsaufsicht grundsätzlich dazu verpflichtet werden könnte (näher BSG, a.a.O., Rdnr. 31). Allein die Klage der Klägerin führt zur Einschränkung des Vertrauensschutzes nach § 49 SGB X.

 

Das Rechtsschutzbedürfnis besteht auch in dem Fall weiter, in dem die Beigeladene zu 2) durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach §  60 Abs. 1 Nr. 4 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) aufgelöst wurde. Sie besteht als Liquidationsgesellschaft weiter. Eine Löschung der GmbH im Handelsregister liegt auch nach zwischenzeitlicher Aufhebung des Insolvenzverfahrens hingegen nicht vor (Handelsregisterauszug vom 25. Mai 2022, HRB 86977). Ungeachtet dessen verteidigt die Klägerin mit ihrer Anfechtungsklage ihr subjektives Recht in Gestalt eines verselbständigen Kompetenzrechts, nach welchem sie allein im obligatorischen Statusfeststellungsverfahren über die Versicherungspflicht der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) entscheidet. Die Statusfeststellung entscheidet verbindlich über eine Zugehörigkeit zur Solidargemeinschaft und damit über das individuelle Vorsorgebedürfnis beschäftigter Versicherter. Als Gemeinwohlinteresse besteht das deshalb auch unabhängig davon, ob von dem Arbeitgeber nach Aufhebung des rechtswidrigen Statusbescheids noch Gesamtsozialversicherungsbeiträge mit Aussicht auf Erfolg nachgefordert werden können (vgl. zu Sinn und Zweck des wehrfähigen Rechts der eigenen Kompetenz, BSG, Urteil vom 16. Juli 2019, B 12 KR 6/18 R, Rdnr. 45 ff.). Daraus folgt im vorliegenden Fall: Selbst in dem Fall,  in dem die Beiträge zur Sozialversicherung von der beigeladenen aufgelösten GmbH künftig nicht mehr beigetrieben werden können oder bei Berücksichtigung des mittlerweile beendeten Insolvenzverfahrens in diesem nicht (anteilig) realisiert werden konnten, läge die Ausübung des Rechts durch die Klägerin im Gemeinwohlinteresse, denn es wird für den Beigeladenen zu 1) verbindlich geklärt, ob er zum Kreis der Versicherten gehört. Außerdem haftet nach § 28r Abs. 1 Satz 1 SGB IV die Einzugsstelle dem Träger der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit, wenn ein Organ oder ein Bediensteter der Einzugsstelle schuldhaft eine ihr nach dem Dritten Abschnitt (d.h. nach § 28a ff. SGB IV) auferlegte Pflicht verletzt. Die Klägerin ist zwar nicht zuständiger Träger der Rentenversicherung für den Beigeladenen zu 1), sondern die DRV Nordbayern. Zumindest für die Frage, ob eine Pflichtverletzung im obigen Sinne auch in dem rechtswidrigen Erlass eines Statusbescheides liegen kann, der im Ergebnis dazu führt, dass die Beiträge nicht von einem Arbeitgeber eingezogen werden können, ist eine Anfechtung des Statusbescheids von Bedeutung und kann daher auch durch die Behörde im Interesse des gemeinen Wohls weiterverfolgt werden, die allein zur Prüfung der Versicherungspflicht berechtigt ist.

 

II. Die Klage ist begründet, denn der Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin. Der Statusbescheid ist rechtswidrig, weil die Beklagte für ihn bereits nicht zuständig war (1.). Außerdem ist er inhaltlich unrichtig, weil der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer als Beschäftigter der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlag (2.). Die Klägerin wird durch den Bescheid in ihren wehrfähigen Rechten verletzt (3.).

 

1. Die Beklagte war für den Statusbescheid sachlich nicht zuständig.

 

Nach § 28h Abs. 2  Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) entscheidet die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung; sie erlässt auch den Widerspruchsbescheid.

 

Die Beklagte durfte jedoch - selbst als ab dem 1. März 2015 nach § 28i SGB IV zuständige Einzugsstelle - wegen der ausschließlichen Zuständigkeit der Klägerin im obligatorischen Statusfeststellungsverfahren nicht über die Versicherungspflicht der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Gesellschafter-Geschäftsführer entscheiden (unten a). Es kann daher offen bleiben, ob die Beklagte tatsächlich für die angefochtene Feststellung durch den Bescheid vom 24. Februar 2015 die zuständige Einzugsstelle war (unten b). Auf die Frage, ob die Entscheidung der Beklagten inhaltlich zutreffend war, kommt es danach ebenfalls nicht an (dazu unter 2.).

 

a. Spezialvorschrift zu § 28h Abs. 2 SGB IV ist § 7a Abs. 1 SGB IV in der hier maßgeblichen Fassung vom 12. November 2009 (BGBl. I, 3710). Danach können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet (Satz 1). Die Einzugsstelle hat einen Antrag nach Satz 1 zu stellen, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers (§ 28a SGB IV) ergibt, dass der Beschäftigte Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist (Satz 2; obligatorisches Statusfeststellungsverfahren). Über den Antrag entscheidet abweichend von § 28h Abs. 2 SGB IV die DRV Bund (Satz 3). § 7a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 3 SGB IV begründet damit im Verhältnis zu § 28h Abs. 2 SGB IV eine die Einzugsstelle verdrängende ausschließliche Zuständigkeit der DRV Bund.

 

Dies zugrunde gelegt gilt Folgendes: Der Beigeladene zu 1) war geschäftsführender GmbH-Gesellschafter i.S. des § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Es lag darüber hinaus zwar keine förmliche (Arbeitgeber-)Meldung i.S. des § 28a SGB IV vor, aus der sich diese Eigenschaft ergab [dazu aa) und bb)]. Der zum 1. März 2015 verfolgte Kassenwechsel des Beigeladenen zu 1) hätte aber von der Beigeladenen zu 2) nach § 28a SGB IV an die Beklagte gemeldet werden müssen. Diese obligatorische Meldung haben die Beigeladenen zu 1) und 2) und die Beklagte bereits im zeitlichen Vorgriff auf den Wechsel im Zusammenwirken vereitelt. Gleichzeitig hatte die Beklagte auf andere Weise Kenntnis von der Gesellschafter-Geschäftsführereigenschaft des Beigeladenen zu 1.  erlangt. Wird die Meldepflicht des § 28a SGB IV gezielt und rechtswidrig vereitelt und besteht – wie hier – bei der Einzugsstelle gleichzeitig die Kenntnis von den die Zuständigkeit der DRV Bund begründenden Umständen (i.S. des § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB VI), löst das erst recht die Rechtsfolge des § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV aus. Bei anderer Betrachtung könnte durch die gezielte und konzertierte Umgehung der Arbeitgebermeldung nach § 28a SGB IV auch das obligatorische Statusfest­stellungsverfahren umgangen und damit letztlich ausgehebelt werden. Die Zuständigkeit der klagenden DRV Bund wird kraft Gesetzes begründet, unabhängig davon, ob die Beklagte den nach § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV gebotenen Antrag stellt [dazu cc)]. Auf die Frage, ob die Entscheidung der Beklagten inhaltlich zutreffend war, kommt es nicht an (2.).

 

aa) Der nach § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV in Bezug genommene § 28a SGB IV bestimmte in der ab dem 1. Januar 2015 geltenden Fassung (vom 21. Juli 2014):

 

„(1) Der Arbeitgeber oder ein anderer Meldepflichtiger hat der Einzugsstelle für jeden in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung kraft Gesetzes Versicherten

 

1. bei Beginn der versicherungspflichtigen Beschäftigung,

2. bei Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung,

3. bei Eintritt eines Insolvenzereignisses,

4. (weggefallen)

5. bei Änderungen in der Beitragspflicht,

6. bei Wechsel der Einzugsstelle,

7.  […]

eine Meldung durch gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung aus systemgeprüften Programmen oder mittels maschinell erstellter Ausfüllhilfen zu erstatten.“

 

§ 28 Abs. 3 Satz 1 SGB IV bestimmte ergänzend:

 

„Die Meldungen enthalten für jeden Versicherten insbesondere

 

1. seine Versicherungsnummer, soweit bekannt,

2. seinen Familien- und Vornamen,

3.

[….]

9. den Arbeitgeber.

 

§ 28a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1. Buchst. e) SGB IV bestimmte:

 

„Zusätzlich sind anzugeben bei der Anmeldung die Angabe, ob es sich um eine Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung handelt.“

 

Die in § 28a Abs. 1 SGB IV genannte Meldung erfasst bereits nach dem Wortlaut neben der (Erst-)Meldung bei einem Beschäftigungsbeginn auch die Meldung bei einem (bloßen) Wechsel der Einzugsstelle (§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6. SGB IV). Bei beiden Meldeereignissen ist daher auch die in §  28a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. e) SGB IV genannte Angabe, nämlich ob es sich um einen geschäftsführenden Gesellschafter einer GmbH handelt, erforderlich. Eine Beschränkung der Rechtsfolge des § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV allein auf die erstmalige Anmeldung, damit des Beginns einer (neuen) Beschäftigung, lässt sich dagegen weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte entnehmen (dazu näher BSG, Urteil vom 16. Juli 2019, B 12 KR 6/18 R, Rdnr. 35 ff.). Der vom Bundessozialgericht explizit abweichenden Auffassung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, wonach das obligatorische Statusfeststellungsverfahren nur bei der Erstmeldung eines neuen Beschäftigungsverhältnis und nicht beim bloßen Kassenwechsel zur Anwendung gelangt (damit wäre der vorliegende Fall nicht erfasst) folgt der Senat nicht. So führen die Spitzenorganisationen zur Begründung ihrer Auffassung an, es sei nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber ein erneutes Statusfeststellungsverfahren bei einem Krankenkassenwechsel beabsichtigt haben sollte, wenn sich die Verhältnisse, die der erstmaligen Statusfeststellung zugrunde lagen, nicht geändert hätten und dies nur zu einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand führen würde, dem kein Mehrwert gegenüberstehe (vgl. Besprechung des GKV Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 18.03.2020, zu Top 3, www.informationsportal.de/wp-content/uploads/ENS-Beitragseinzug-I_2020_oeffentlicher-Teil.pdf, abgerufen am 25. Mai 2022).

 

Ungeachtet der Tatsache, dass diese Auffassung dem klaren Normbefehl des § 28a SGB IV, wie ihn das BSG überzeugend angewandt hat, widerspräche, trifft es nicht zu, dass das obligatorische Statusfeststellungsverfahren beim bloßen Wechsel der Krankenkasse keinen Mehrwert erbringt. Gerade der vorliegende Fall zeigt anschaulich, dass ein Schutzbedürfnis auch bei einem bloßen Wechsel der Krankenkasse bestehen kann. Für den bereits ab dem 1. Februar 2014 geschlossenen  Geschäftsführer-Vertrag des Beigeladenen zu 1) ist nämlich nach Aktenlage davon auszugehen, dass im Hinblick auf diese neu aufgenommene Beschäftigung möglicherweise zwar eine Erst-Meldung nach § 28a Abs. 1 SGBIV, jedenfalls aber kein  Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV durchgeführt wurde, zu dem die Feststellung der (neuen) Einzugsstelle nach Kassenwechsel in Widerspruch treten könnte (nach den Angaben im Vordruck zur Statusfeststellung, Ziff. 2.17, wurde über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 2) bis dahin noch kein Beitragsbescheid erlassen). Gleichzeitig ist jede Einzugsstelle nur für die Zeit der Mitgliedschaft für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status zuständig, dagegen nicht für einen früheren Zeitraum der Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse. Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zur Versicherungspflicht für ein und dasselbe Auftrags- oder Beschäftigungsverhältnisses besteht mithin zumindest nicht hinsichtlich eines identischen Zeitraums. Möglich sind dann zwar einander widersprechende Entscheidungen für ein und dieselbe Tätigkeit. Sollte das aus Gründen der Rechtssicherheit gänzlich vermieden werden, wäre dies aber gesetzlich zu regeln (so BSG, Urteil vom 24. Juni 2008, B 12 KR 24/07 R Rdnr. 17, juris).

 

bb) Bei einem Wechsel der Einzugsstelle löst die Meldung des Arbeitgebers (nach §  28a SGB IV) das obligatorische Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV selbst dann aus, wenn entgegen § 28a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Buchst. e SGB IV die dort ausdrücklich genannte Angabe der Eigenschaft als Gesellschafter-Geschäftsführer in der Meldung unterbleibt. Das gilt zumindest dann, wenn die nach dem Wechsel zuständige (neue) Einzugsstelle zwar nicht mit der Formalmeldung, aber – wie hier – auf andere Weise von der Gesellschafter-Geschäftsführereigenschaft eines bei einer GmbH Angestellten Kenntnis erhält. Das obligatorische Statusfeststellungsverfahren setzt nach der Rechtsprechung des BSG des weiteren voraus, dass der Arbeitgeber der neuen Krankenkasse als Einzugsstelle gegenüber zum Ausdruck bringt, dass (aus seiner Sicht) ein Beschäftigungsverhältnis vorliege. Denn nur als Einzugsstelle kommt überhaupt eine Entscheidung über den Status des Gesellschafter-Geschäftsführers nach § 28h Abs. 2 SGB IV in Betracht. Ausreichend ist, wenn der Arbeitgeber seine Einschätzung der Einzugsstelle gegenüber zumindest aufgrund objektiver Umstände zum Ausdruck bringt. (BSG, a.a.O., Rdnr. 38 - 40).

 

Im Fall des Beigeladenen zu 1) hat die Beigeladene zu 2) trotz des durchgeführten Kassenwechsels zum 1. März 2015 überhaupt keine formale Arbeitgebermeldung i.S. des § 28a SGB IV erstattet (dazu die Auskunft der Beklagten vom 30. Mai 2022). In der Folge hat sie auch die Eigenschaft des Beigeladenen zu 1) als Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten nicht gemäß § 28a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1. Buchst. e) SGB IV im Rahmen der Meldung mitgeteilt. Die Beklagte ihrerseits führte den Beigeladenen zu 1) ab dem 1. März 2015 als freiwilliges Mitglied in der Kranken- und sozialen Pflegeversicherung. Der Kassenwechsel hätte aber von der Beigeladenen zu 2) nach § 28a SGB IV an die Beklagte gemeldet werden müssen. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte für die Zeit ab dem Kassenwechsel zum einen die zuständige Einzugsstelle war. Zum anderen gingen auch die Beteiligten davon aus, denn nur als Einzugsstelle konnte die Beklagte auch über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) nach § 28h Abs. 2 SGB VI entscheiden. Gleichwohl nahm die Beigeladene zu 2) keine Meldung nach § 28a SGB IV vor und forderte die Beklagte diese ihrerseits auch nicht ein, obwohl sie um die Umstände des Kassenwechsels wusste. Die Meldung sollte gerade deshalb nicht erfolgen, weil der Beigeladene zu 2) bereits mit Beginn der Kassenmitgliedschaft bei der Beklagten ab dem 1. März 2015 als sozialversicherungsfrei geführt werden sollte. Das ergibt sich hinreichend deutlich aus dem aktenkundigen E-Mail-Kontakt vom 19. Februar 2015, wonach der Beigeladene zu 1) „bereits ab dem 1. März 2015 SV Frei eingestuft“ werden sollte. Vor diesem Hintergrund sollte die unterbliebene Meldung nach § 28a SGB IV nach außen dadurch legitimiert werden, dass die Beklagte den befreienden Statusbescheid noch vor dem Kassenwechsel, nämlich noch im Februar 2015, erließ. Kraft dessen Feststellung sollte bereits zum 1. März 2015 keine Versicherungspflicht für den Beigeladenen zu 1) bestehen, damit auch die Meldepflicht nach § 28a SGB IV ausgeschlossen werden. Hätte die Beklagte den Bescheid dagegen erst z.B. am 1. März 2015 oder später erlassen, hätte – auch von außen erkennbar - anlässlich des Kassenwechsels für die Zeit bis zur Wirksamkeit einer Befreiungsentscheidung die Meldepflicht nach § 28a SGB IV bestanden.

 

Damit unterscheidet sich die hier vorliegende Verfahrensgestaltung von derjenigen in den übrigen vom erkennenden Senat bereits entschiedenen Fallgestaltungen, in welchem das Konzept der a AG verfolgt wurde. Diese waren auch Gegenstand der Entscheidungen des BSG vom 16. Juli 2019 (B 12 KR 5/18 R und B 12 KR 6/18 R). In diesen wurde zunächst eine Einzugsstelleneigenschaft der neuen Krankenkasse, und sei es nur für einen Monat nach dem Kassenwechsel, begründet, innerhalb dessen dann die Statusentscheidung (de facto die Befreiungsentscheidung) nach §  28h Abs. 2 SGB IV erfolgte. Der vom Senat zu entscheidende Fall unterscheidet sich dadurch, dass bereits mit Wirkung ab dem Kassenwechsel auch die Feststellung erfolgte, das der Beigeladene zu 1) selbständig tätig und damit nicht versicherungspflichtig sei. Dieser Unterschied ist für den Tatbestand des § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV und die darin verankerte – nach dem Gesetz notwendige  - Meldung nach § 28a SGB IV aber im Ergebnis unschädlich. Denn es besteht in beiden Fällen die Pflicht zur vollständigen Meldung nach § 28a SGB IV. Diese wurde in beiden Fällen verletzt. In den Fallgestaltungen des BSG wurde die Meldung zunächst unvollständig vorgenommen und nicht die Zusatzinformationen nach § 28a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 d) und e) mitgeteilt, die nach § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV das obligatorische Statusfeststellungsverfahren begründen. Im vorliegenden Fall wurde erst gar keine Meldung abgegeben. Der qualitative Unterschied ist für § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht bedeutsam. Denn in beiden Fallgestaltungen wurde die Meldepflicht bewusst und vorsätzlich unterlaufen. In beiden Fällen beruhte das Verfahren erkennbar auf dem Konzept der in den Kassenwechsel involvierten a AG. Deren Konzept sollte im Unterschied zum BSG im vorliegenden Fall lediglich noch „optimiert“ werden, indem für den Beigeladenen zu 1) mit dem Kassenwechsel nicht einmal für einen einzigen Tag eine Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten begründet werden sollte. Soweit § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB VI positiv auf eine Meldung an die Einzugsstelle abstellt, gelangt er auch zur Anwendung, wenn die Meldepflicht gezielt nach einem Konzept verletzt wird. Es kann keinen Unterschied machen, ob die Meldung (bewusst und pflichtwidrig) nur unvollständig erfolgt oder ob sie (ebenso bewusst und pflichtwidrig) vollständig unterbleibt und die neue Einzugsstelle sogar noch aktiv daran beteiligt ist. Es ist in diesem Fall vielmehr im Wege eines Erst-recht-Schlusses davon auszugehen, dass das (hier per E-Mail) verabredete Zusammenwirken von Beschäftigtem, Arbeitgeber und Krankenkasse, welches dazu führt, dass die Meldung gänzlich unterbleibt, erst recht geeignet ist, den Tatbestand des § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV zu erfüllen.

 

Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben schließlich gegenüber der Beklagten objektiv ihre „Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt“ (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 38 a.E. und 40). Denn ihr Verhalten war darauf gerichtet, die Einzugsstelleneigenschaft der Beklagten jedenfalls für die Entscheidung über den Status des Beigeladenen zu 1) zu begründen. So gingen beide mit dem Feststellungsantrag – noch im Februar 2015 - vom Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses und der Pflichtmitgliedschaft des Beigeladenen zu 1) aus. Auch stellte der Beigeladene zu 1) bei der Beklagten einen Antrag auf Mitgliedschaft „als Pflichtversicherter ab dem 1. März 2015“. Dass  beide Beigeladenen zu 1) und 2 ) wie auch die Beklagte gleichzeitig davon ausgingen, dass für die unveränderte Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer von der Beklagten als Einzugsstelle für die Zeit ab dem 1. März 2015 Versicherungsfreiheit festgestellt werden sollte, ändert daran nichts. Die gesamte Verfahrensgestaltung zielte darauf ab, durch den Kassenwechsel einerseits die Zuständigkeit der Beklagten als Einzugsstelle für die Zeit ab dem 1. März 2015 erst zu begründen; denn nur als Einzugsstelle konnte die Beklagte überhaupt über den Status des Beigeladenen zu 1) als Gesellschafter-Geschäftsführer gemäß § 28 Abs. 2 SGB V entscheiden (dazu oben). Das bedingte aber andererseits, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten noch ein Beschäftigungsverhältnis vorlag und die Beteiligten sich dies zu Nutze machen wollten.

 

Die Beklagte wusste schließlich um die Gesellschafter-Geschäftsführer-Eigenschaft des Beigeladenen zu 1). Diese ergab sich zwar nicht aus der Arbeitgebermeldung, aber die Beklagte hatte auf andere Weise Kenntnis erhalten, nämlich durch die Angaben auf dem Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung, der bereits am 31. Juli 2014 unterzeichnet wurde.

 

cc) Aus alldem folgt, dass für die Statusfeststellung über die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH nicht die beklagte Krankenkasse, sondern allein die Klägerin zuständig war und zwar unabhängig davon, ob die Beklagte einen förmlichen Antrag i.S. des § 7a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB IV bei der Klägerin stellte (näher BSG, a.a.O., Rdnr. 42 ff.; kritisch dazu Berchtold in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, § 7a SGB IV Rdnr. 7b u.a. unter Berufung auf den Gesetzeswortlaut).

 

b. Es kann offen bleiben, ob der Bescheid vom 24. Februar 2015 auch deshalb rechtswidrig war, weil die Beklagte zum Zeitpunkt seines Erlasses für den Beigeladenen zu 1) noch nicht die zuständige Einzugsstelle war. Zuständige Einzugsstelle ist für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag diejenige Krankenkasse, von der die Krankenversicherung durchgeführt wird (§ 28i Satz 1 SGB IV). Der Beigeladene zu 1) war bis zum 28. Februar 2015 nach Aktenlage pflichtversichertes Mitglied bei der AOK Bayern. Diese bestätigte am 16. Dezember 2014 die Kündigung der Mitgliedschaft zum 28. Februar 2015. Gemäß § 175 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der hier maßgeblichen Fassung vom 22. Dezember 2011 (in Kraft ab dem 1. Januar 2012) ist eine Kündigung der Mitgliedschaft für Pflichtversicherte zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats möglich, gerechnet von dem Monat, in dem das Mitglied die Kündigung erklärt. Die (bisherige) Krankenkasse hat dem Mitglied eine Kündigungsbestätigung auszustellen (Abs. 4 Satz 3). Die Kündigung wird wirksam, wenn das Mitglied innerhalb der Kündigungsfrist eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse durch eine Mitgliedsbescheinigung oder das Bestehen einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall nachweist (Abs. 4 Satz 4). Im vorliegenden Fall liegt zwar die Kündigungsbestätigung der AOK Bayern vor. Eine Mitgliedsbescheinigung der Beklagten ist dagegen nicht aktenkundig. Der aktenkundige E-Mail-Verkehr vom Februar 2015 sowie die tatsächlich erfolgte Entlassung des Beigeladenen zu 1) aus der Mitgliedschaft seitens AOK Bayern sprechen dafür, dass die Beklagte den Beigeladenen zu 1) formlos als neues Mitglied betrachtete und dieser die neue Versicherung auch der AOK gegenüber innerhalb der Kündigungsfrist belegt hat. Dabei stellt die Mitgliedsbescheinigung nach § 175 Abs. 2 Satz 1 SGB V ihrem Inhalt nach keinen (konstitutiven) Verwaltungsakt über die Versicherung oder die Versicherungspflicht dar. Eine frühere Beendigung der Pflichtmitgliedschaft des Beigeladenen zu 1) bei der AOK Bayern ist dagegen nicht ersichtlich.

 

Bei Annahme eines vollzogenen Krankenkassenwechsels wurde die Beklagte (frühestens) ab dem 1. März 2015 die für den Beigeladenen zu 1) zuständige Einzugsstelle. Damit erfasst ihre Entscheidungskompetenz nur Zeiträume ab dem  1. März 2015 (zum Übergang der Zuständigkeit für eine Statusfeststellung bei Wechsel der Krankenkasse, BSG, Urteil vom 24. Juni 2008, B 12 KR 24/07 R, Rdnr. 15, juris). Gleichwohl hat die Beklagte den angefochtenen noch im Februar 2015 erlassen, damit noch zeitlich vor der Begründung ihrer eigenen sachlichen Zuständigkeit. Der Bescheid wäre zum Erlasszeitpunkt formell rechtswidrig, allerdings hat die Beklagte die Feststellung explizit mit Blick auf die vorher zuständige AOK Bayern erst für den Zeitraum ab dem 1. März 2015 getroffen.

 

2. Auf die Frage, ob die angefochtene Entscheidung der Beklagten vom 24. Februar 2015 inhaltlich zutreffend ist, kommt es danach nicht an. Nur hilfsweise weist der Senat darauf hin, dass der Beigeladene zu 1) ab dem 1. März 2015 bis zum Ende seiner Geschäftsführertätigkeit als Beschäftigter i.S. des § 7 SGB IV der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung, so auch der Rentenversicherung, unterlag. Der Geschäftsführer-Vertrag enthält zahlreiche Elemente, die typisch für ein Beschäftigungsverhältnis sind. Dazu gehören die feste monatliche Vergütung, die sich hinsichtlich der Änderung der Vergütung an Bestimmungen der Bundesbeamten orientiert, der Anspruch auf Fortzahlung im Krankheitsfall, die Urlaubsregelungen, der Anspruch auf Spesen und Aufwendungsersatz. Als Geschäftsführer war der Beigeladene zu 1) weisungsgebunden (vgl. u.a. § 3 Abs. 1 und 2 des Vertrags). Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit (grundlegend: BSG, Urteil vom 14. März 2018, B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183-189, Rdnr. 21, juris). Dem Beigeladenen zu 1) mangelte es als Minderheitsgesellschafter an der gesellschaftsvertraglich verankerten Rechtsmacht, Weisungen der Gesellschafter­versammlung an ihn als Geschäftsführer umfassend und jederzeit zu verhindern. Im Hinblick auf die in der Satzung verankerte einfache Mehrheit, mit der Gesellschafterbeschlüsse allgemein gefast wurden (§ 11 Abs. 3 Satz 2 der Satzung) konnte der Beigeladene zu 1) mit seinem Gesellschaftsanteil von nur 33,3 % Beschlüsse der Gesellschafterversammlung nicht verhindern und hatte keine Sperrminorität. Der Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 21. Oktober 2014 änderte mangels notarieller Beurkundung und Eintragung in das Handelsregister die Satzung, damit den Gesellschaftsvertrag, nicht ab (vgl. § 53 Abs. 2, § 54 GmbHG, Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021 § 53 Rdnr. 41). Der Beschluss stand als schuldrechtliche Vereinbarung vielmehr außerhalb des Gesellschaftsvertrags. Demgegenüber können nur gesellschaftsrechtlich eingeräumte Sperrminoritäten die sozialversicherungsrechtlich erforderliche Rechtsmacht begründen (BSG , a.a.O., Rdnr. 22).

 

3. Die kompetenzwidrige Entscheidung der Beklagten verletzt das wehrhafte subjektive Recht der Alleinzuständigkeit der Klägerin (BSG, a.a.O., Rdnr. 47 ff.).  Die Gemeinwohlbelange, die hinter der Verfahrenskonzentration bei der Klägerin vereint sind - so die Tatsache, dass es in einer solchen Konstellation wie auch bei beschäftigten Familienangehörigen typischerweise an einem Interessensgegensatz der Vertragspartner fehlt, gleichzeitig ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse der Krankenkassen daran bestehen kann, zur Wahrung (oder Vermehrung) ihres Mitgliederbestandes den versicherungsrechtlichen Status nicht unabhängig zu prüfen – rechtfertigen es, dass die Klägerin ihre Kompetenz auch rechtlich gegen Einzugsstellen durchsetzen kann. Dies vermeidet nicht zuletzt eine bewusste Umgehung dieser Alleinzuständigkeit, wie sie im vorliegenden Fall versucht wurde (BSG, a.a.O., Rdnr. 52).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGB V).

 

 

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Aus
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