L 7 KA 27/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 153/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 27/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 21/22 B
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2019 wird zurückgewiesen.

 

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um einen Heilmittelregress in Höhe von noch 13.892,81 Euro.

 

Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

 

Im Oktober 2012 informierte die Prüfungsstelle für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung im Land Berlin den Kläger über die Durchführung einer arztbezogenen Zufälligkeitsprüfung für den Prüfzeitraum der Quartale I/11 bis IV/11  (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V, §§15ff. der Prüfvereinbarung vom 14. Februar 2008).

 

Mit Schreiben vom 14. Oktober 2015 teilte die Prüfungsstelle dem Kläger mit, dass seine auf den Prüfzeitraum entfallenden Heilmittelverordnungen im Rahmen einer Einzelfallprüfung nach § 17a Nr. 1a der Prüfvereinbarung ausgewertet worden seien. Die Prüfung habe sich für das erste Halbjahr 2011 an Nr. 24 der bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung der Heilmittelrichtlinie des GBA orientiert, für die Zeit danach an § 12 der ab 1. Juli 2011 geltenden Fassung. Folgende Auffälligkeiten habe man festgestellt:

 

  • Gleichzeitige Verordnung zweier ergänzender Heilmittel, von denen eines isoliert und eines nicht isoliert verordnet werden dürfe:

Warmpackungen einschließlich Nachruhe / Elektrobehandlung,

Elektrobehandlung / Kältetherapie bei einem oder mehreren Körperteil(en),

Warmpackungen einschließlich Nachruhe / Elektrobehandlung bei Lähmungen,

Elektrobehandlung / Wärme mit Glühlicht, Strahler, Heißluft

  • Einzelverordnung von einem ergänzenden Heilmittel, welches nicht isoliert verordnet werden darf: Warmpackungen einschließlich Nachruhe

 

Soweit medizinisch erforderlich, könne gemäß Nr. 24 der Heilmittel-Richtlinie a.F. bzw. § 12 Abs. 4 der Heilmittel-Richtlinie n.F. zu einem „vorrangigen Heilmittel“ (A) oder „optionalen Heilmittel“ (B) nur ein weiteres im Heilmittelkatalog genanntes „ergänzendes Heilmittel“ (C) verordnet werden (d.h. maximal zwei Heilmittel je Verordnung). Abweichend hiervon könnten Maßnahmen der Elektrotherapie/-stimulation oder die Ultraschall-Wärmetherapie auch isoliert verordnet werden, soweit der Heilmittelkatalog diese Maßnahmen indikationsbezogen als ergänzende Heilmittel vorsehe. Mehr als ein ergänzendes Heilmittel könne nicht isoliert verordnet werden. 

 

Die gleichzeitige Verordnung zweier ergänzender Heilmittel werde als nicht zulässig erachtet. Eine Einzelverordnung, welche nicht zu den Maßnahmen der Elektrotherapie/-stimulation oder die Ultraschall-Wärmetherapie zähle, sei ebenfalls unwirtschaftlich.

 

Hierauf hat der Kläger mit Schreiben vom 20. Oktober 2015 ausgeführt, es sei ihm bei den Heilmittelverordnungen wichtig gewesen, die Kosten möglichst gering zu halten. Dies sei durch Verordnung eines oder zweier ergänzender Heilmittel in Kombination gelungen. Ihm sei nicht begreiflich, warum das von der Heilmittel-Richtlinie nicht gedeckt sei, denn hätte er die ergänzenden Heilmittel stets mit vorrangigen oder optionalen Heilmitteln kombiniert, wären die Kosten erheblich höher ausgefallen. Zudem müsse doch die jeweilige Krankenkasse die von den Physiotherapiepraxen liquidierten Kosten beanstanden. Im Übrigen habe er sein Verordnungsverhalten mittlerweile angepasst.

 

Mit Bescheid vom 9. November 2015 unterwarf die Prüfungsstelle den Kläger einer Ersatzverpflichtung in Höhe von insgesamt 19.988,89 Euro, nämlich für die gleichzeitige Verordnung zweier ergänzender Heilmittel, von denen eines isoliert und eines nicht isoliert verordnet werden dürfe, in Höhe von 19.140,85 Euro und für die Einzelverordnung eines ergänzenden Heilmittels, welches nicht isoliert verordnet werden dürfe, in Höhe von 848,04 Euro. Die gleichzeitige Verordnung zweier ergänzender Heilmittel sei ebenso unzulässig wie die Einzelverordnung eines Heilmittels, welches nicht zu den Maßnahmen der Elektrotherapie/-stimulation oder der Ultraschall-Wärmetherapie gehöre. Das ergebe sich nicht nur aus der Heilmittel-Richtlinie alter und neuer Fassung, sondern auch aus dem Fragen- und Antwort-Katalog, den die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen am 22. November 2005 zur Heilmittel-Richtlinie erstellt hätten. Entsprechend habe auch die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (die Beigeladene zu 1.) informiert. Beigefügt war dem Bescheid eine nach Versichertennummern geordnete Aufstellung sämtlicher beanstandeter Heilmittelverordnungen sowie eine Liste mit einer Aufteilung der Ersatzverpflichtung nach einzelnen Krankenkassen.

 

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger an, im Gegensatz zur Auffassung der Prüfungsstelle sei die Regelung zur gleichzeitigen Verordnung zweier ergänzender Heilmittel in der vor und nach dem 1. Juli 2011 geltenden Fassung der Heilmittel-Richtlinie nicht identisch. Erst in der neuen Fassung, § 12 Abs. 4 Satz 3, sei eindeutig geregelt, dass mehr als ein ergänzendes Heilmittel nicht isoliert verordnet werden dürfe. Jedenfalls die vor dem 1. Juli 2011 vorgenommenen Heilmittelverordnungen seien daher nicht zu beanstanden. Aber auch in der Zeit ab dem 1. Juli 2011 seien die Verordnungen des Klägers nicht unwirtschaftlich gewesen. Jedenfalls sei die Problematik in den Fachkreisen nicht hinreichend bekannt gewesen; so habe die Beigeladene zu 1. erst im KV-Blatt 01/2013 auf drohende Heilmittelregresse aufmerksam gemacht.

 

Mit Beschluss vom 30. März 2017 (schriftliche Fassung vom 30. Mai 2017) wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers aus den Gründen der Entscheidung der Prüfungsstelle zurück.

 

Zur Begründung seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit sei auch im zweiten Halbjahr 2011 beachtet worden. Zudem sei das Recht, einen Regress zu verhängen, aufgrund des eingetretenen Zeitablaufs verwirkt, denn die Prüfungsstelle habe sich zwischen erster Ankündigung und Ausgangsbescheid drei Jahre Zeit gelassen.

 

Der Beklagte hat auf Anfrage des Sozialgerichts mitgeteilt, dass sich ein Regressbetrag von 6.096,08 Euro ergeben würde, wenn man mit dem Kläger davon ausgehe, dass die bis 30. Juni 2011 geltende Heilmittel-Richtlinie keine Regelung zum Verbot der zweifachen Verordnung ergänzender Heilmittel enthalte. Auf weitere Nachfrage des Sozialgerichts zur gleichzeitigen Verordnung zweier ergänzender Heilmittel hat der Beklagte außerdem erklärt, dass pro Versichertem von dem Kläger nur die jeweils benannten ergänzenden Heilmittel verordnet worden seien und nicht etwa zusätzlich vorrangige oder optionale Heilmittel. 

 

Mit Urteil vom 13. März 2019 hat das Sozialgericht Berlin den Beschluss des Beklagten vom 30. März 2017 aufgehoben, soweit darin hinsichtlich der Quartale I/11 und II/11 eine Ersatzverpflichtung für die Verordnung zweier ergänzender Heilmittel, von denen eines isoliert und eines nicht isoliert verordnet werden darf, festgesetzt wurde. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Erstens sei die alleinige Verordnung eines ergänzenden Heilmittels, in dem keine Maßnahme der Elektrotherapie/-stimulation oder der Ultraschall-Wärmetherapie liege, nach beiden Fassungen der Heilmittel-Richtlinie untersagt. Die nach beiden Fassungen wortgleiche Regelung (beginnend mit „Abweichend hiervon…“), die die isolierte Verordnungsfähigkeit einzelner abschließend aufgeführter Maßnahmen der Heilmitteltherapie zulasse, lasse insoweit keinen Spielraum. Zweitens sei ab dem 1. Juli 2011 mit dem neu eingeführten § 12 Abs. 4 Satz 3 der Heilmittel-Richtlinie („Mehr als ein ergänzendes Heilmittel kann nicht isoliert verordnet werden.“) eindeutig geregelt, dass die isolierte Verordnung von mehr als einem ergänzenden Heilmittel ausgeschlossen sei. Wirtschaftliches Alternativverhalten könne der Kläger nicht einwenden; die Heilmittel-Richtlinie sei verbindlich und konkretisiere das Wirtschaftlichkeitsgebot aus § 12 SGB V. Drittens sei der Heilmittel-Richtlinie in der bis 30. Juni 2011 geltenden Fassung gerade nicht in der gebotenen Klarheit zu entnehmen gewesen, dass zwei ergänzende Heilmittel nicht isoliert, also ohne ein vorrangiges oder optionales Heilmittel, verordnet werden dürften. Eine Regelung wie § 12 Abs. 4 Satz 3 n.F. habe bis dahin gerade gefehlt. Dass das ergänzende Heilmittel immer an die Verordnung eines vorrangigen oder optionalen Heilmittels gebunden sei, sei mit der alten Fassung der Heilmittel-Richtlinie nicht hinreichend erkennbar gewesen.

 

Gegen das ihm am 1. April 2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 2. Mai 2019 Berufung eingelegt. Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts habe auch im ersten Halbjahr 2011 hinreichende Klarheit darüber bestanden, dass zwei ergänzende Heilmittel nicht isoliert verordnet werden dürfen. Das sei in Fachkreisen auch hinreichend bekannt gewesen. Zudem sei die Änderung der Heilmittel-Richtlinie zum 1. Juli 2011 auch ausdrücklich nur zur Klarstellung erfolgt, woraus zu schließen sei, dass dieselbe Regelung schon vorher gegolten habe. Im Übrigen – so erstmalig im Schriftsatz vom 7. Oktober 2019 – verstoße die konkrete Verordnungsweise auch gegen     Nr. 17 A 7 der Heilmittelrichtlinie in der bis 30. Juni 2011 geltenden Fassung; danach könne eine Wärmeapplikation nur als therapeutisch erforderliche Ergänzung in Kombination u.a. mit Krankengymnastik, nicht aber in Kombination mit einer Elektrobehandlung verordnet werden.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2019 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung, soweit der Beklagte sie mit der Berufung angreift, für zutreffend. Wäre die Rechtslage im Hinblick auf die vorliegend entscheidende Frage auch schon vor dem 1. Juli 2011 hinreichend klar gewesen, hätte es keiner „notwendigen Klarstellung“ durch den GBA bedurft.

 

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

 

Die Beigeladene zu 2. hat angeführt, dass das Sozialgericht der Klage nicht hätte teilweise stattgeben dürfen. Es dürfe nicht ausschließlich auf den Wortlaut der Heilmittel-Richtlinie abgestellt werden. Denn seit dem Jahre 2005 existiere ein klarstellender Frage- und Antwort-Katalog, der ausdrücklich anführe, dass auf einem Verordnungsblatt bei gleicher Indikation nicht zwei ergänzende Heilmittel verordnungsfähig seien.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Ersatzverpflichtung des Klägers aufgehoben, soweit mit ihr hinsichtlich der Quartale I/11 und II/11 ein Regress für die Verordnung zweier ergänzender Heilmittel, von denen eines isoliert und eines nicht isoliert verordnet werden darf, festgesetzt wurde. Insoweit ist der vom Beklagten verfügte Heilmittelregress rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn bis zur Neufassung der Heilmittel-Richtlinie mit Wirkung vom 1. Juli 2011 war nicht hinreichend klar geregelt, dass zwei ergänzende Heilmittel nicht zugleich isoliert verordnet werden dürfen.

 

Die Rechtsgrundlage des Heilmittelregresses hat das Sozialgericht zutreffend in § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 17a Nr. 1a der Prüfvereinbarung vom 14. Februar 2008 gesehen. Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird danach u.a. geprüft durch eine arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens zwei vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung). Der Kläger wurde in die Zufälligkeitsprüfung einbezogen, weil ein elektronischer Zufallsgenerator auf ihn entfallen war. Als Prüfmethode durfte die Einzelfallprüfung durchgeführt werden. Prüfungsgegenstand durften nach  § 17b Nr. 1e der Prüfvereinbarung auch die Heilmittelverordnungen des Klägers sein.

 

Aus den vom Sozialgericht aufgeführten Gründen kann allerdings auch der Senat das Verordnungsverhalten des Klägers in den Quartalen I/11 und II/11 nicht als unwirtschaftlich ansehen, soweit er wiederholt und in nennenswertem Umfang auf demselben Verordnungsblatt gleichzeitig zwei ergänzende Heilmittel verordnet hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, die der Beklagte mit seiner Berufung nicht entkräftet hat (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Zu ergänzen und zu betonen bleibt:

 

Zur Wahrung des rechtsstaatlichen Gebots der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit ist es grundsätzlich erforderlich, dass sich die Regelungsinhalte einer Vorschrift unter Nutzung der juristischen Methodik erschließen lassen, sodass der Normbefehl hinreichend verständlich und das Verwaltungshandeln vorhersehbar und justiziabel ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. April 2015, B 4 AS 39/14 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 30 unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3. März 2004, 1 BvF 3/92, zitiert nach juris, dort Rdnr. 103).

 

Hieran gemessen enthielt die zum 30. Juni 2011 außer Kraft getretene Fassung der Heilmittel-Richtlinie vom 2. April 2005 keine dem Bestimmtheitserfordernis genügende Regelung, die die gleichzeitige und isolierte Verordnung zweier ergänzender Heilmittel ausschloss. Der Wortlaut der Richtlinie ließ lediglich vage vermuten, dass die isolierte Verordnung zweier ergänzender Heilmittel verboten sein könnte; zugleich war auch die gegenteilige Schlussfolgerung nicht von der Hand zu weisen.

 

Nr. 24 der Heilmittel-Richtlinie lautete insoweit:

 

24. Bei gegebener Indikation richtet sich die Auswahl der zu verordnenden Heilmittel nach dem jeweils therapeutisch im Vordergrund stehenden Behandlungsziel.

 

  • Vorrangig soll eine im Heilmittelkatalog als „vorrangiges Heilmittel“ (A) genannte Maßnahme zur Anwendung kommen.
  • Ist dies aus in der Person des Patienten liegenden Gründen nicht möglich, kann alternativ ein im Heilmittelkatalog genanntes „optionales Heilmittel“ (B) verordnet werden.
  • Soweit medizinisch erforderlich kann zu einem „vorrangigen Heilmittel“ (A) oder „optionalen Heilmittel“ (B) nur ein weiteres im Heilmittelkatalog genanntes Seite 23 „ergänzendes Heilmittel“ (C) verordnet werden (d.h. max. zwei Heilmittel je Verordnung). Abweichend hiervon können Maßnahmen der Elektrotherapie / -stimulation sowie die Ultraschall-Wärmetherapie auch isoliert verordnet werden, soweit der Heilmittelkatalog diese Maßnahmen indikationsbezogen als ergänzende Heilmittel vorsieht.

 

Unter dem dritten Spiegelstrich besagt die Vorschrift zweierlei: Dass nämlich zu einem vorrangigen Heilmittel oder einem optionalen Heilmittel nur ein weiteres ergänzendes Heilmittel verordnet werden darf und dass Maßnahmen der Elektrotherapie bzw.  -stimulation sowie die Ultraschall-Wärmetherapie auch isoliert verordnet werden können. Ein Verbot der isolierten Verordnung zweier ergänzender Heilmittel ist darin nicht hinreichend klar enthalten.

 

Erst die ab 1. Juli 2011 geltende Fassung ergänzte den dritten Spiegelstrich dieser Regelung, die sich nunmehr in § 12 Abs. 4 befand, um den Satz 3:

 

„Mehr als ein ergänzendes Heilmittel kann nicht isoliert verordnet werden.“

 

Diese Formulierung trägt auch zur Überzeugung des Senats den – hier nicht mehr streitgegenständlichen – Heilmittelregress für die Quartale III/11 und IV/11, denn der Normbefehl ist nunmehr unzweideutig. In den „Tragenden Gründen“ (Blatt 11) zur Neufassung der Heilmittel-Richtlinie hat der GBA insoweit ausgeführt:

 

„Bei den ergänzten Sätzen 3 und 4 in Absatz 4 handelt es sich um eine notwendige Klarstellung aus dem gemeinsamen Fragen-/Antwortenkatalog der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung [Nr. 13], mit der Auslegungsschwierigkeiten verhindert werden sollen. Es kann maximal ein ergänzendes Heilmittel verordnet werden.“

 

Daraus wird deutlich, dass der GBA selbst in der Heilmittel-Richtlinie alter Fassung in Bezug auf die Verordnungsfähigkeit ergänzender Heilmittel zumindest „Auslegungsschwierigkeiten“ gesehen hat und eine „notwendige Klarstellung“ vornehmen wollte. Daraus dass der GBA selbst eine Klarstellung für „notwendig“ hielt, kann unschwer geschlossen werden, dass die Rechtslage zuvor hinreichend unklar war. Zugleich verbietet sich ein Rückschluss dergestalt, dass aus der vorgenommenen „Klarstellung“ auf die vorher geltende Rechtslage geschlossen werden könnte, die denselben Inhalt gehabt habe, der nun eben nur klargestellt sei.

 

Grundsätzlich hat die Auffassung eines Gesetzgebers, bei einer Gesetzesänderung handele es sich (nur) um eine „Klarstellung“, für die Gesetzesanwendung durch die Gerichte keine verbindliche Wirkung. Im Gegenteil sind aus der Gesetzgebungspraxis Fälle bekannt, in denen es sich bei einer vom Gesetzgeber so genannten Klarstellung tatsächlich um eine echte Änderung der Rechtslage handelt (vgl. Urteil des Senats vom 22. September 2021, L 7 KA 29/18, zitiert nach juris, dort Rdnr. 49; Urteil des Senats vom 14. Oktober 2009, L 7 KA 20/07, zitiert nach juris, dort Rdnr. 37 a.E., unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2005, B 1 KR 25/03 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). Eine in Anspruch genommene Befugnis des Gesetzgebers zur authentischen Interpretation schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte ein noch relativiert sie die verfassungsrechtlichen Maßstäbe im Hinblick auf die Rückwirkung von Normbefehlen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Dezember 2017, B 1 KR 17/17 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 23).

 

Daher lässt sich aus der erfolgten „notwendigen Klarstellung“ nichts ableiten, was zugunsten der Rechtsauffassung des Beklagten spräche. Auch aus sonstigen Materialien, wie etwa einen „Frage- und Antwort-Katalog“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen aus dem Jahre 2005, lässt sich nichts anderes ableiten, denn darin enthalten ist bestenfalls eine Rechtsauffassung zum möglichen Inhalt der Heilmittel-Richtlinie, ohne dass diese Auffassung verbindlich sein kann; letztlich bleibt es bei der Frage, welche Interpretation der Wortlaut der Heilmittel-Richtlinie selbst zulässt.

 

Die von dem Beklagten erst im Berufungsverfahren angeführte Ansicht, die Verordnungsweise des Klägers habe gegen Nr. 17 der Heilmittelrichtlinie alter Fassung verstoßen, führt nicht weiter. Auf einen solchen Verstoß erstreckte sich das Prüfverfahren nicht. Hierzu wurde der Kläger nicht angehört und weder der Beschluss der Prüfungsstelle vom 9. November 2015 noch derjenige des Beschwerdeausschusses vom 30. März 2017 verhalten sich hierzu.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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