L 30 P 69/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 162 P 366/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 30 P 69/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 5/22 BH
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 

 

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld anstelle von Pflegesachleistungen nach dem Pflegegrad 2 und wendet sich gegen eine Leistungsaufhebung.

 

Der unter der Betreuung seiner Ehefrau stehende und bei der Beklagten pflegepflichtversicherte, 1953 geborene Kläger beantragte am 26. Mai 2017 die Gewährung von Pflegegeld. Das auf Veranlassung der Beklagten eingeholte Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) vom 14. September 2017 erbrachte unter den pflegebegründenden Diagnosen „Andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit“ und Hirninfarkt sowie Grand-Mal-Epilepsie, Dysarthrie und leichte Aphasie als Folge eines Mediainfarktes rechts, diabetische Polyneuropathie, Agoraphobie, Anpassungsstörung und Diabetes mellitus seit 2001 als weitere Diagnosen einen beim Kläger seit dem 1. Mai 2017 bestehenden Pflegegrad 2. Laut dem Gutachten war seine Ehefrau/Betreuerin die Pflegeperson. Er habe in der Wohnung kein Wasser und gehe daher zweimal wöchentlich beim Rehasport duschen. Die Küche sei aufgrund von zugestellten Wegen nicht mehr betretbar, daher könnten keine verderblichen Lebensmittel gekauft werden. Es bestehe laut Angaben des Klägers eine Einschränkung der Selbständigkeit. Hilfestellungen seien in den Bereichen der Selbstversorgung, Hauswirtschaft und den Aktivitäten außerhalb der Häuslichkeit erforderlich. Die Gutachterin beschrieb die Wohnsituation wie folgt:

„Der Antragsteller lebt in Gemeinschaft mit seiner Ehefrau. Er wohnt in einem Mehrfamilienhaus in einer 2,5-Raum-Wohnung im 2. Obergeschoss. Vor der Haustür sind mehrere Stufen zu überwinden. Ein Aufzug ist nicht vorhanden. Die Wohnung wird mit einer Zentralheizung beheizt. Die Wohnung ist ausgestattet mit einem Bad mit WC, Waschbecken und Badewanne. Die Wohnung ist kaum zu betreten. Die Wohnungstür lässt sich zum Viertel öffnen. Der Flur ist max. 0,5 m passierbar. Anschließend Stapel bis zur Decke mit Kleidung, Schuhen, Papieren, Gegenständen, Waschmaschine. Matratze. Nach Angaben der anwesenden Personen befindet sich hinter dem Stapel das Wohnzimmer, ein halbes Zimmer sowie die Küche -> ein Zutritt zu diesen Räumlichkeiten ist nicht möglich. Nach Angaben dort weitere Stapel, Barbiesammlung etc. Das Badezimmer ist einsehbar, bis ca. 1 m begehbar. Die Badewanne ist nicht zugänglich. Auch hier befinden sich Wäschestapel bis zur Decke. Im Waschbecken befinden sich diverse Pflegeutensilien. Nach Angaben in der Regel kein fließendes Wasser. Gelegentlich braunes bis schwarzes Wasser aus dem Waschbecken. Toilette nicht nutzbar. Das Schlafzimmer ist vom Flur einsehbar, jedoch nur über diverse ca. 1 m hohe Wäschestapel zu erreichen. Schlafzimmer ist kaum passierbar. Der sichtbare Fußboden weist diverse klebrige Flecken auf. Sichtbarer Fußboden im Flur ca. 0,5 m. Nach Angaben kein Strom in der Wohnung.“

 

Laut dem Gutachten (2 Gutachterlicher Befund) war der Kräftezustand des Klägers ausreichend, der Pflegezustand jedoch zu beanstanden, weil die Kleidung beschmutzt und es dem Kläger aufgrund der Wohnsituation nicht möglich gewesen sei, regelmäßige Körperhygiene durchzuführen. An den oberen Gliedmaßen wurden keine auffälligen Funktionseinschränkungen festgestellt. Positionswechsel/Umlagerung im Bett seien selbständig möglich, das Drehen/Aufrichten aus dem Liegen ebenfalls. Freies Sitzen sei möglich, ebenso das Aufstehen aus sitzender Position. Er könne selbständig gehen und stehen. Das Gangbild könne aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse nicht beurteilt werden. Der Transfer in die Dusche/Badewanne sei mit personeller Hilfe möglich. Das Treppensteigen sei selbständig mit Festhalten am Geländer im Nachstellschritt möglich. Das Hantieren im Sitzen sei bis zu den Sprunggelenken möglich. Unterhaltung sei zu einfachen Themen möglich. Komplexere Sachverhalte müssten erläutert werden. Der Kläger sei ausreichend orientiert. Das Kurzzeitgedächtnis sowie das Langzeitgedächtnis seien erhalten. Der Kläger berichte von Ängsten, beschrieben würden Platzangst, Angst vor Menschenansammlungen, Angst beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Große Angst trete zweimal wöchentlich auf. Die Ehefrau beschreibe des Weiteren verbale Aggressionen ca. zweimal wöchentlich. Die Stimmungslage werde als schwankend beschrieben. Es bestehe eine Überforderung bei der Regelung von finanziellen und behördlichen Angelegenheiten. Es würden massiv Gegenstände gehortet (MessieSyndrom mit Verwahrlosungstendenz). Bei Belastung trete keine Atemnot auf. Die körperliche Leistungsfähigkeit sei für Alltagsverrichtungen ausreichend. Der Kläger trinke und esse regelmäßig. Es bestehe ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus. Die Blutzuckerkontrollen erfolgten nach ärztlicher Verordnung dreimal täglich, und zwar nach Angaben des Klägers selbständig. Es bestehe aus gutachterlicher Sicht aufgrund schwankender Blutzuckerwerte und mangelnder hygienischer Durchführung Unterstützungsbedarf durch eine Pflegeperson. Es bestehe eine leichte Schwerhörigkeit. Laute Sprache werde verstanden. Der Pflegebedarf wird im Gutachten auf 28,75 gewichtete Punkte veranschlagt (Mobilität 0,00, kognitive/kommunikative Fähigkeiten 3,75, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen 15,00, Selbstversorgung 0,00, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedürftigen Anforderungen und Belastungen 10,00, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte 3,75 Punkte).

 

Daraufhin gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 9. Oktober 2017 ab dem 19. Mai 2017 Pflegesachleistungen nach dem Pflegegrad 2 in Gestalt häuslicher Pflegehilfe bis zu einem monatlichen Gesamtbetrag von 689,00 € sowie von Entlastungsleistungen bis zu einem monatlichen Gesamtbetrag von 125,00 €. Hiergegen wandte sich der von seiner Ehefrau vertretene Kläger mit Widerspruchsschreiben vom 19. Oktober 2017. Darin führte die Ehefrau des Klägers unter anderem aus, dass sie seit dem 1. September 2007 eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe und selbst zu 100 % schwerbeschädigt sei. Ihre Haupterkrankungen seien Psoriasisarthritis, Rosacea im Gesicht und das Sjögren-Syndrom, ferner seit ihrer Jugend Hypothyreose bei Hashimoto und dadurch starke Gewichtsprobleme. Sie habe auch Knieprobleme, könne weder lange stehen noch laufen noch Treppen auf- oder absteigen. Das Merkzeichen G sei beim Versorgungsamt beantragt. Sie leide an Gonarthrose und Coxarthrose, sowie an einem HWS-Syndrom seit mehr als 20 Jahren. Das Vor- bzw. Hochhalten der Arme sei zu vermeiden, weil auf beiden Seiten ein Impingement-Syndrom vorliege. Den Nacken- bzw. Schürzengriff könne sie zwar durchführen, aber nur unter starken Schmerzen. Dadurch sei es ihr nicht möglich, die gewaschene Wäsche wegzuräumen. Die Badewanne sei vollgestellt mit Erbstücken ihres verstorbenen Vaters. Deshalb könnten sie nur das Waschbecken nutzen. Seit ca. 20 Jahren komme aus dem Wasserhahn der Badewanne braunes Wasser. Die Hausverwaltung sei darüber informiert, beseitige dieses jedoch nicht. Duschen könne ihr Ehemann durch den Rehasport zweimal wöchentlich. Sie selbst dusche im -W-H nach dem Funktionstraining einmal wöchentlich. Die Toilette könne durchaus genutzt werden und sei gepflegt. Auch Strom hätten sie, jedoch seien im Wohnzimmer, Flur und Schlafzimmer die Oberlichter ausgefallen. Reparaturen könne ihr Ehemann aus gesundheitlichen Gründen leider nicht durchführen. Sie hätten zwar seit drei Jahren eine neue Waschmaschine, jedoch niemanden, der die alte Waschmaschine entsorge und ihnen die neue Waschmaschine anschließe. Sie kenne sehr wohl das Messie-Syndrom, jedoch sammle sie nur schöne Dinge, die jedoch leider nicht sortiert seien, da die entsprechenden Möbel fehlten. Auch ihre Sehkraft (-3,5 Dioptrien) und Hörfähigkeit seien zu stark eingeschränkt. Beim Fahren bzw. Mitfahren im Auto oder auch in öffentlichen Verkehrsmitteln leide sie unter starken Ängsten sowie dem FMS-Syndrom.

 

Die Beklagte zahlte unterdessen aufgrund mehrerer mit der Ehefrau des Klägers geführter Telefonate und unter Würdigung der Schwierigkeiten, einen geeigneten Pflegedienst zu finden, für das Jahr 2017 an den Kläger das Pflegegeld nach dem Pflegegrad 2 aus. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2017 wies die Beklagte darauf hin, dass dies ohne Rechtsanspruch im Rahmen einer Einzelfallentscheidung geschehen sei. Seit dem 1. Januar 2018 erbrachte die Beklagte keine weiteren Zahlungen mehr. Nachdem die Beklagte eine Wiederholungsbegutachtung (Gutachten des MDK nach Aktenlage vom 14. Dezember 2017) mit im Wesentlichen gleichen Feststellungen zur Wohn- und Pflegesituation wie zuvor veranlasst hatte, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2018 unter Hinweis auf die nicht ausreichend sichergestellte Pflege als unbegründet zurück. In der Folgezeit fand sich für den Kläger kein ambulanter Pflegedienst.

 

Bereits am 22. Januar 2018 hatte der Kläger Klage zum Sozialgericht Berlin (SG) erhoben, die zunächst – mit einer von der Ehefrau auf die Verurteilung der Beklagten zur Erbringung von Pflegeleistungen an sie selbst gerichteten Klage - unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 177 P 32/18 registriert worden war. Später, nach Abtrennung der von seiner Ehefrau erhobenen Klage, ist die Klage unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 162 P 366/19 fortgeführt worden. Mit am 28. Februar 2018 beim SG eingegangenem Schreiben vom 24. Februar 2018 hat sich der Kläger der Sache nach nun auch gegen den zwischenzeitlich ergangenen vorgenannten Widerspruchsbescheid gewandt.

 

Unterdessen ließ die Beklagte vom MDK ein weiteres Gutachten vom 16. Mai 2018 erstellen, welches beim Kläger nach der Einschätzung der Gutachterin nunmehr einen nur noch dem Pflegegrad 1 entsprechenden Pflegebedarf erbrachte. Unter der Rubrik „Pflegerelevante Vorgeschichte (Anamnese), medizinische und pflegerische Angaben“ etc. finden sich zunächst die gleichen Eintragungen wie im Gutachten vom 14. September 2017. Darüberhinaus ist u.a. festgehalten, dass Anlass der diesmaligen Begutachtung ein Höherstufungsantrag sei (der tatsächlich nicht vorlag, vielmehr hatte die Ehefrau des Klägers im März 2018 für sich einen Höherstufungsantrag gestellt), der damit begründet werde, dass Unterstützung im Haushalt notwendig sei. Als Einschränkungen der Selbständigkeit würden Tinnitus, gelegentliche Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Aggressionen gegenüber der Ehefrau genannt. Die soziale Teilhabe werde selbständig gestaltet. Der Kläger gehe einmal wöchentlich zum Skatspielen, zweimal wöchentlich zum Rehasport und besuche einmal wöchentlich seine Mutter. Er nutze öffentliche Verkehrsmittel. Warme Mahlzeiten nehme er mit seiner Ehefrau außer Haus ein, weil die Küche nicht benutzbar sei. Er dusche nach dem Rehasport in der dortigen Einrichtung. Bei allgemeiner Aufsicht durch ein Vereinsmitglied dusche der Kläger selbst und wechsele auch selbständig die Kleidung. Im gutachterlichen Befund ist festgehalten, dass Kräfte- und Pflegezustand des Klägers nicht zu beanstanden sei. Der Kläger werde in Tageskleidung angetroffen. Er könne die Begutachtungssituation vollständig einordnen und adäquat antworten. Er könne Aufforderungen verstehen und umsetzen. Aufgrund der beengten Wohnverhältnisse sei es nicht möglich gewesen, Funktionsprüfungen der oberen Extremitäten durchzuführen. Es seien weder vom Kläger noch von seiner Ehefrau Einschränkungen benannt worden, die einen pflegerischen Unterstützungsbedarf nach sich zögen. Der Kläger habe adäquat zu Datum, Monat, kommendem Fest (Pfingsten) Auskunft geben können. Er habe sich freundlich und zugewandt gezeigt. Es seien leichte Wortfindungsstörungen vorhanden. Die Ehefrau benenne verbale Aggressionen. Einen Unterstützungsbedarf benenne die Ehefrau nicht. Es würden Ängste bei U- und S-Bahn-Fahren angegeben. Als Kompensationsmechanismus nutze der Kläger Busse. Der Antrieb sei erhalten (Skatspielen, Besuche von Rehasport, Verwandtenbesuche). Eine Vernachlässigung der Selbstversorgung sei nicht zu verzeichnen. Die Tageskleidung sei ordentlich und sauber, die Haare seien gekämmt. Finanzielle/behördliche Angelegenheiten würden überwiegend von der Ehefrau übernommen. Der Kläger könne sich an Entscheidungen beteiligen. Im Übrigen ist der gleiche Befund wie zuvor dokumentiert. Der Pflegebedarf wird im Gutachten auf 15,00 gewichtete Punkte veranschlagt (Mobilität 0,00, kognitive/kommunikative Fähigkeiten 0,00, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen 11,25, Selbstversorgung 0,00, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedürftigen Anforderungen und Belastungen 0,00, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte 3,75 Punkte).

 

Nachdem die Beklagte mit an das SG gerichtetem Schriftsatz vom 24. Mai 2018, der an den Kläger weitergeleitet worden ist, angekündigt hatte, im Hinblick auf die eingetretene Veränderung der Pflegesituation des Klägers eine Leistungsrückstufung gemäß § 48  Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu prüfen bzw. vorzunehmen, führte sie im Bescheid vom 24. Juli 2018 aus, dass der Kläger mit Schreiben vom 26. Juni 2018 über die beabsichtigte Rücknahme der Bewilligung und Einstufung in einen niedrigeren Pflegegrad informiert worden sei, und verfügte, dass der Bewilligungsbescheid vom 5. Oktober 2017 (richtigerweise gemeint 9. Oktober 2017) nach § 48 SGB X aufgehoben und dem Kläger ab dem 1. August 2018 nur noch ein Entlastungsbetrag nach dem Pflegegrad 1 bis zu einer monatlichen Höhe von 125,00 € gewährt werde. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2018 als unbegründet zurück. Hiergegen hat sich der Kläger im laufenden Klageverfahren mit am 21. November 2018 eingegangenen Schreiben vom 19. November 2018 gewandt. Unterdessen wurde ein weiteres MDK-Gutachten vom 13. September 2018 – diesmal aufgrund einer in den Räumen des MDK durchgeführten ambulanten Untersuchung des Klägers - eingeholt, welches nach wie vor den Pflegegrad 1 erbrachte.

 

Das SG hat das auf einer Begutachtung des Klägers in seiner Wohnung beruhende schriftliche Sachverständigengutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 28. Juli 2020 eingeholt, in welchem sie dem Kläger eine Pflegebedürftigkeit nach dem Pflegegrad 1 bescheinigt und die vom MDK zuvor festgestellte Wohnsituation im Wesentlichen bestätigt, allerdings nun auch von einem massiven Ungezieferbefall berichtet hat. Ein körperliches Pflegedefizit hat die Sachverständige nicht ausmachen können. Die Sachverständige hat den Pflegebedarf unter der Prämisse, dass der Kläger die Diabetes-Medikation und - Kontrolle selbständig vornehme, auf 18,75 gewichtete Punkte veranschlagt (Mobilität 0,00, kognitive/kommunikative Fähigkeiten 15,00, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen 0,00, Selbstversorgung 0,00, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedürftigen Anforderungen und Belastungen 0,00, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte 3,75 Punkte). Für den Fall eines Fremdhilfebedarfs bei der Diabetes-Medikation/-Kontrolle seien 10,00 weitere gewichtete Punkte zu veranschlagen. Es bestehe kein Anhalt, dass sich der Pflegebedarf seit Antragstellung in entscheidungsrelevantem Umfang geändert habe.

 

Sodann hat das SG die Klage mit Urteil vom 13. Oktober 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG unter anderem ausgeführt, die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig, aber unbegründet. Eines weiteren Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24. Juli 2018 hätte es nicht bedurft. Dieser sei gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Verfahrens geworden, da er den ursprünglichen Bescheid vom 9. Oktober 2017 ersetze. Streitgegenstand sei neben der Höhe der Leistungen der Pflegeversicherung für den Zeitraum ab August 2018 auch die Auskehrung von Leistungen für den Zeitraum ab Januar 2018. Der Bescheid vom 24. Juli 2018 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Ihm stünden jedenfalls ab August 2018 höhere Leistungen aus der Pflegeversicherung als nach dem Pflegegrad 1 nicht zu. Dies ergebe sich aus den Feststellungen des MDK und der Sachverständigen Dr. Bach. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Auskehrung von Leistungen aus dem ursprünglichen Bescheid vom 9. Oktober 2017 für die Zeit ab Januar 2018. Denn mit dem vorbezeichneten Bescheid sei kein Pflegegeld nach § 37 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), sondern seien Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI gewährt worden.

 

Gegen das seiner Bevollmächtigten am 29. Oktober 2020 zugestellte Urteil richtet sich die  am 3. November 2020 beim Sozialgericht eingegangene  richtet sich die Berufung des Klägers, der auf die Vielzahl der bei ihm bestehenden Erkrankungen bzw. die Sicherstellung der Pflege bei ihm zu Hause verweist.        Er ist zudem der Auffassung, dass die Beklagte ihm mit dem Bescheid vom 24. Juli 2018 zu Unrecht den Pflegegrad 2 aberkannt habe.

 

Der Kläger stellte am 14. Oktober 2021 einen Höherstufungsantrag, welchen die Beklagte mit Bescheid vom 30. November 2021 ablehnte. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2022 zurückgewiesen. Der Kläger erhob hiergegen beim SG Klage, welches unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 177 P 100/22 geführt wird.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Februar 2018 zu ändern, ihm ab dem 19. Mai 2017 bis zuletzt unter Anrechnung bereits ausgekehrten Pflegegeldes Pflegegeld nach dem Pflegegrad 2 nach den Bestimmungen des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs zu zahlen und den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2018 aufzuheben.

 

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für im Ergebnis zutreffend.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die beigezogenen Schwerbehindertenakten für den Kläger verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Zulässiger Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist zunächst der Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Februar 2018, womit die Beklagte dem Kläger ab Antragstellung Pflegesachleistungen nach dem Pflegegrad 2 gewährte. Der Kläger hat die ursprünglich – vor Erlass des Widerspruchsbescheids – sinngemäß als Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG erhobene Klage bereits mit Schreiben vom 24. Februar 2018, beim SG am 28. Februar 2018 eingegangen, eben auch auf den zwischenzeitlich ergangenen Widerspruchbescheid vom 7. Februar 2018 erstreckt und damit letztlich in Form einer statthaften und im Übrigen zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG sein Begehren weiterverfolgt. Hierbei ist der im vorliegenden Verfahren gerichtlich zu überprüfende Leistungszeitraum auf die Zeit ab dem 19. Mai 2017 bis zum 13. Oktober 2021 begrenzt, weil der Kläger am 14. Oktober 2021 einen neuen Leistungsantrag stellte, der mit Bescheid der Beklagten vom 30. November 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Februar 2022 abgelehnt wurde (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 P 6/20 R –, zitiert nach juris Rn. 10). Soweit der Kläger im vorliegenden Verfahren gleichwohl auch für die Zeit ab dem 14. Oktober 2021 Pflegegeld geltend macht, ist die Klage unzulässig und kann hierüber nur im bereits beim SG zum Aktenzeichen S 177 P 100/22 anhängigen Klageverfahren entschieden werden.

 

Weiterer Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2018, womit die Beklagte die Pflegesachleistungen mit Wirkung ab dem 1. August 2018 aufhob und dem Kläger von da an nur noch einen Entlastungsbetrag nach dem Pflegegrad 1 bis zu einer monatlichen Höhe von 125,00 € gewährte. Der Bescheid vom 24. Juli 2018 ist gemäß § 96 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden, weil er den ursprünglichen, verfahrensgegenständlichen Bewilligungsbescheid vom 9. Oktober 2017 änderte.

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet, soweit der Kläger ab dem am 19. Mai 2017 bis zum 13. Oktober 2021 von der Beklagten Pflegegeld nach dem Pflegegrad 2 begehrt. Der Bescheid vom 9. Oktober 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Februar 2018 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht (vgl. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG), soweit mit der in ihm enthaltenen Gewährung von Pflegesachleistungen der Sache nach die Gewährung des beantragten Pflegegelds abgelehnt wurde. Denn der Kläger hat im verfahrensgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Pflegegeld nach dem Pflegegrad 2 aus §§ 36, 37 Abs. 1 SGB XI. Nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 bei häuslicher Pflege Anspruch auf körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie auf Hilfen bei der Haushaltsführung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Nach § 37 Abs. 1 S. 1 SGB XI erhalten Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld. Der Anspruch setzt gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 SGB XI voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Das Pflegegeld beträgt je Kalendermonat

 

1. 316 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 2,

2. 545 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 3,

3. 728 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 4,

4. 901 Euro für Pflegebedürftige des Pflegegrades 5.

 

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es kann dahinstehen, ob der Kläger mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst hätte sicherstellen können. Obschon die Notwendigkeit einer derartigen Voraussetzung auf der Hand liegt, da die sachleistungsersetzende Geldleistung Pflegegeld möglichst auch tatsächlich zur pflegerischen Versorgung des Berechtigten führen soll, ist einerseits zu beachten, dass der Pflegebedürftige über den konkreten Einsatz des Pflegegeldes im Rahmen seiner Selbstbestimmung prinzipiell frei entscheiden darf, sodass selbst im Falle des Einsatzes für allgemeine Lebenshaltungskosten, Luxusartikel oder bspw. Alkohol nicht bereits wegen einer „Zweckverfehlung“ zugleich auf die fehlende Sicherstellung der Pflege geschlossen werden kann. Ist die mit dem Pflegebedürftigen verwandte oder sonst altruistisch motivierte Pflegeperson auch ohne jede finanzielle Anerkennung bereit und in der Lage, die pflegerische Versorgung vollständig zu übernehmen, kann es auf die konkrete Verwendung des Pflegegeldes schlicht nicht ankommen. Der Gesetzeswortlaut verlangt keine kausale Verknüpfung zwischen der Leistung Pflegegeld und der Sicherstellung der Pflege. Pflegegeldbezieher müssen demnach zwar die Sicherstellung der erforderlichen Pflege nachweisen, nicht jedoch die zweckentsprechende Verwendung der Leistungen der Solidargemeinschaft (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 25. Oktober 1994 – 3/1 RK 51/93 –, zitiert nach juris Rn. 28 noch zu § 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V> a.F.; BeckOK SozR/Giesbert, 64. Ed. 1. März 2022, SGB XI § 37 Rn. 14; Krauskopf/Sieper, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 113. Erg.-L. Dezember 2021, SGB XI § 37 Rn. 12). Zum anderen ist die Erfüllung der Voraussetzung „Sicherstellung der Pflege“ bereits zu einem Zeitpunkt prognostisch (vgl. BeckOK SozR/Giesbert, a.a.O., Rn. 15 unter Verweis auf BSG, ebendort Rn. 16) zu prüfen, in welchem der Pflegebedürftige über das Pflegegeld als Mittel, das ihn hierzu erst in die Lage versetzen soll, noch gar nicht verfügt. Der Medizinische Dienst, dem gem. § 18 Abs. 6 S. 4 SGB XI auch eine Stellungnahme zu dieser Frage abverlangt wird, kann sich bei der Begutachtung daher nur auf die mehr oder weniger plausiblen Angaben des Pflegebedürftigen und ggf. auskunftsbereiter (aktueller oder zukünftiger) Pflegepersonen stützen. Gegenwärtige Mängel der pflegerischen Versorgung dürften daher nur bedingt als Erkenntnisgrundlage in Betracht kommen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass gerade das Pflegegeld zu einer Besserung führen könnte (vgl. BeckOK SozR/Giesbert, a.a.O. Rn. 15).

 

Eine fehlende Sicherstellung der Pflege wird letztlich nur dann anzunehmen sein, wenn es hieran ganz eindeutig mangelt und es evident ist, dass die notwendige Pflege nicht sichergestellt ist, etwa wenn eine Pflegeperson zwar benannt wird, aber mit der Pflege offenkundig völlig überfordert ist (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. März 2012 – L 27 P 28/11 -, zitiert nach juris Rn. 24 in einem Fall stark abgewohnter, verschmutzter und mit Pappkartons sowie gefüllten Plastiktüten vollgestellter Wohnräume und pflegerischer Defizite im Bereich der Körperpflege <extrem lange Fingernägel, ungepflegte Haare, verkrustete und schmutzige Zehnägel>, Zahnprothesenhandhabung und Hautpflege <am Gesäß Dekubitus Grad I>, im Bereich der Ernährung <mangelhafte Zufuhr von Flüssigkeit; auf dem Nachttisch habe eine Tasse mit fast schimmeligem, nicht definierbarem Belag gestanden> sowie im Bereich der Mobilität). Jedenfalls im Falle einer Erstantragstellung und der hierbei anzustellenden Prognose werden zudem gewisse Defizite im körperlichen Pflegezustand unter Umständen kein Anlass sein können, von einer nicht in geeigneter Weise sichergestellten Pflege auszugehen, da es ja gerade gilt, diese Defizite mithilfe der beantragten Leistungen auszugleichen, insbesondere wenn mit dem Pflegegeld die Pflegebereitschaft von Nachbarn oder Bekannten überhaupt erst hergestellt werden soll. Etwas anderes mag dann gelten, wenn deutliche Defizite trotz bereits verfügbarer Pflegeperson (bspw. Ehegatte) vorliegen, was dann Anlass zur Prüfung einer möglichen Überforderung der Pflegeperson und weiterer Beratung sein wird (vgl. BeckOK SozR/Giesbert, a.a.O. Rn. 21 f.). Wenn nach alldem die erforderliche Pflege nur unzureichend oder gar nicht durchgeführt wird und daher nicht sichergestellt ist, besteht ein Anspruch auf Pflegegeld auch dann nicht, wenn die Pflegebedürftigkeit selbst festgestellt ist (vgl. BSG Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 P 5/08 R -, zitiert nach juris Rn. 15).

 

Hiervon ausgehend erschien die Pflege, ohne dass dies hier abschließend entschieden werden muss, im verfahrensgegenständlichen Zeitraum wohl noch sichergestellt. Lediglich bei der Erstbegutachtung durch den MDK am 14. September 2017 zeigte sich der Kläger selbst noch in einem zu beanstandenden Pflegezustand. Bei als ausreichend festgestelltem Kräftezustand trug er damals verschmutzte Bekleidung und war es ihm aufgrund der Wohnsituation nicht möglich, regelmäßige Körperhygiene durchzuführen. Solche Feststellungen wurden bei den nachfolgenden Begutachtungen durch den MDK nicht mehr getroffen. Vielmehr wurde bei der Begutachtung vom 16. Mai 2018 ein nicht zu beanstandender Pflegezustand dokumentiert. Auch im Rahmen der Begutachtung durch die Gerichtssachverständige Dr. Bach (vgl. deren schriftliches Sachverständigengutachten vom 28. Juli 2020) ist keine Pflegedefizit ermittelt worden. Der Kläger trug ein sauberes T-Shirt und Shorts, zeigte sich in einem ausreichendem Allgemein- und Kräfte- sowie in gutem Pflegezustand. Dass die Ehefrau und Betreuerin selbst gesundheitliche Defizite aufwies, selbst von einer Überforderung spricht und sich die Wohnung in einem verwahrlosten, von krankhafter Sammelei gekennzeichneten Zustand befand, tritt angesichts des an der Person des Klägers selbst festzustellenden guten Pflegezustands in den Hintergrund. Zudem ergibt sich aus den Akten, dass die Ehefrau und Betreuerin des Klägers trotz ihrer eigenen körperlichen Defizite sich um dessen gesundheitliche Belange kümmerte, die damit verbundenen behördlichen und gerichtlichen Angelegenheiten konsequent regelte.

 

Jedenfalls liegen die für die Gewährung von Pflegegeld erforderlichen sozialmedizinischen Voraussetzungen nicht vor, weil der Pflegebedarf des Klägers keinen Pflegegrad 2 begründete, ab welchem erst Pflegegeld gewährt werden kann. Eine für das vom Kläger begehrte Pflegegeld rechtliche bindende Feststellung des Pflegegrads 2 lässt sich dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 9. Oktober 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Februar 2018 nicht entnehmen. Schon unter Zugrundelegung eines insofern maßgeblichen verobjektivierten Empfängerhorizonts lässt sich ihm lediglich ein rechtsbehelfsfähiger Verfügungssatz dergestalt entnehmen, dass Pflegesachleistungen (mithin kein Pflegegeld) gewährt werden, und zwar der Höhe nach gemäß dem Pflegegrad 2. Eine rechtlich bindende, isolierte und ggf. eigenständig anfechtbare Feststellung eines bestimmten Pflegegrades erscheint mithin offenkundig nicht gewollt. Dessen ungeachtet ist eine Feststellung der Pflegebedürftigkeit als eigenständiger Rechtsstatus im SGB XI ohnehin nicht vorgesehen; eine isolierte Feststellung der Pflegebedürftigkeit bzw. der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Pflegegrad ist rechtlich nicht möglich. Pflegebedürftigkeit ist lediglich eine Tatbestandsvoraussetzung bzw. ein nicht selbständig feststellbares Element der in den §§ 36 ff. SGB XI vorgesehenen Leistungen, über deren Vorliegen allein die Pflegekasse zu befinden hat (vgl. Udsching in Schütze/Udsching, SGB XI – Soziale Pflegeversicherung, 5. Aufl. 2018, SGB XI § 18 Rn. 3; Riemer in Hauck/Noftz, SGB XI, 51. Erg.-Lfg. 2022, § 18 Rn. 6). Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist mithin ein unselbstständiger Verfahrensschritt zur Vorbereitung einer Entscheidung über einen im Gesetz vorgesehenen Anspruch durch die Pflegekasse (vgl. Weber in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 118. Erg.-Lfg. März 2022, SGB XI § 18 Rn. 4).

 

Soweit mithin für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Pflegegeld sämtliche Leistungsvoraussetzungen nach vollumfänglicher gerichtlicher Prüfung tatsächlich erfüllt sein müssen, fehlt es hieran. Der Kläger war im verfahrensgegenständlichen Leistungszeitraum nicht hinreichend, d.h. in einem dem Pflegegrad 2 entsprechenden Umfang pflegebedürftig. Pflegebedürftig im Sinne des § 14 SGB XI in der hier maßgeblichen, ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen (Abs. 1 Satz 1). Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können (Satz 2). Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere bestehen (Satz 3). Nach § 14 Abs. 2 SGB XI sind maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:

1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;

2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;

3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;

4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;

5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:

a) in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,

b) in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,

c) in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie

d) in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;

6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.

Nach § 14 Abs. 3 SGB XI werden Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt werden kann, bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt.

 

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI erhalten Pflegebedürftige nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt (Satz 2). Nach § 15 Abs. 2 SGB XI ist das Begutachtungsinstrument in sechs Module gegliedert, die den sechs Bereichen in § 14 Abs. 2 SGB XI entsprechen (Satz 1). In jedem Modul sind für die in den Bereichen genannten Kriterien die in Anlage 1 dargestellten Kategorien vorgesehen (Satz 2). Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten dar (Satz 3). Den Kategorien werden in Bezug auf die einzelnen Kriterien pflegefachlich fundierte Einzelpunkte zugeordnet, die aus Anlage 1 ersichtlich sind (Satz 4). In jedem Modul werden die jeweils erreichbaren Summen aus Einzelpunkten nach den in Anlage 2 festgelegten Punktbereichen gegliedert (Satz 5). Die Summen der Punkte werden nach den in ihnen zum Ausdruck kommenden Schweregraden der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten wie folgt bezeichnet (Satz 6):

1. Punktbereich 0: keine Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

2. Punktbereich 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

3. Punktbereich 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

4. Punktbereich 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten und

5. Punktbereich 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.

Jedem Punktbereich in einem Modul werden unter Berücksichtigung der in ihm zum Ausdruck kommenden Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sowie der folgenden Gewichtung der Module die in Anlage 2 festgelegten, gewichteten Punkte zugeordnet (Satz 7). Die Module des Begutachtungsinstruments werden wie folgt gewichtet (Satz 8):

1. Mobilität mit 10 Prozent,

2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent,

3. Selbstversorgung mit 40 Prozent,

4. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent,

5. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent.

Nach § 15 Abs. 3 SGB XI sind zur Ermittlung des Pflegegrades die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem in Anlage 2 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen (Satz 1). Den Modulen 2 und 3 ist ein gemeinsamer gewichteter Punkt zuzuordnen, der aus den höchsten gewichteten Punkten entweder des Moduls 2 oder des Moduls 3 besteht (Satz 2). Aus den gewichteten Punkten aller Module sind durch Addition die Gesamtpunkte zu bilden (Satz 3). Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen (Satz 4):

1. ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

2. ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

3. ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

4. ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,

5. ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

Nach § 15 Abs. 4 SGB XI können Pflegebedürftige mit besonderen Bedarfskonstellationen, die einen spezifischen, außergewöhnlich hohen Hilfebedarf mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung aufweisen, aus pflegefachlichen Gründen dem Pflegegrad 5 zugeordnet werden, auch wenn ihre Gesamtpunkte unter 90 liegen (Satz 1). Der Medizinische Dienst Bund konkretisiert in den Richtlinien nach § 17 Absatz 1 die pflegefachlich begründeten Voraussetzungen für solche besonderen Bedarfskonstellationen (Satz 2).

Nach § 15 Abs. 5 SGB XI sind bei der Begutachtung auch solche Kriterien zu berücksichtigen, die zu einem Hilfebedarf führen, für den Leistungen des Fünften Buches vorgesehen sind (Satz 1). Dies gilt auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (Satz 2). Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen sind Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Absatz 2 genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht (Satz 3).

 

Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Vorgaben ist der Senat nach der Auswertung der medizinischen Unterlagen gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG zur Überzeugung gelangt, dass beim Kläger seit dem 19. Mai 2017 bis zum 13. Oktober 2021 keine gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten bestanden, die zu einem Gesamtpunktwert von mindestens 27 Punkten führten, und damit die Voraussetzungen für die mit der Klage begehrten Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld nach dem Pflegegrad 2 nicht vorlagen. Die für diese Beurteilung zunächst maßgebliche Betrachtung der jeweils auf ambulanten Untersuchungen im häuslichen Umfeld des Klägers beruhenden MDK-Gutachten vom 14. September 2017 und 16. Mai 2018 ergibt zunächst keinen signifikanten Unterschied in dem durch die Befunderhebung dokumentierten Hilfebedarf, sondern allenfalls im Pflegezustand des Klägers und unterschiedliche Bewertungen der Module. Warum zunächst von einem Pflegegrad 2 und erst im Anschluss vom Pflegegrad 1 ausgegangen wurde, erschließt sich dem Senat nicht. Vielmehr lassen die erhobenen Befunde unter Einbeziehung der späteren sozialmedizinischen Beurteilung der Gerichtssachverständigen Dr. Bach in deren schriftlichem Sachverständigengutachten vom 28. Juli 2020 lediglich den Schluss auf einen dem Pflegegrad 1 entsprechenden pflegerischen Hilfebedarf des Klägers zu. Bereits anlässlich der Begutachtung vom 14. September 2017 wurden an den oberen Gliedmaßen keine auffälligen Funktionseinschränkungen festgestellt. Positionswechsel/Umlagerung im Bett waren selbständig möglich, das Drehen/Aufrichten aus dem Liegen ebenfalls. Dem Kläger war es möglich, frei zu sitzen, ebenso, aus sitzender Position aufzustehen. Er konnte selbständig gehen und stehen. Das Gangbild konnte aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse nicht beurteilt werden. Der Transfer in die Dusche/Badewanne war mit personeller Hilfe möglich, ebenso das Treppensteigen selbständig mit Festhalten am Geländer im Nachstellschritt. Der Kläger konnte im Sitzen bis zu den Sprunggelenken hantieren. Mit ihm konnte eine Unterhaltung zu einfachen Themen geführt werden, wobei komplexere Sachverhalte erläutert werden mussten. Der Kläger war ausreichend orientiert. Das Kurzzeitgedächtnis sowie das Langzeitgedächtnis waren intakt. Der Kläger berichtete von Platzangst, Angst vor Menschenansammlungen, Angst beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Große Angst trat seinen Angaben zufolge zweimal wöchentlich auf. Die Ehefrau beschrieb des Weiteren verbale Aggressionen ca. zweimal wöchentlich. Die Stimmungslage wurde als schwankend beschrieben. Es bestand eine Überforderung bei der Regelung von finanziellen und behördlichen Angelegenheiten. Es wurden massiv Gegenstände gehortet (MessieSyndrom mit Verwahrlosungstendenz). Bei Belastung trat keine Atemnot auf. Die körperliche Leistungsfähigkeit schätzte die Gutachterin für Alltagsverrichtungen als ausreichend ein. Der Kläger trank und aß regelmäßig. Es bestand ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus. Die Blutzuckerkontrollen erfolgten nach ärztlicher Verordnung dreimal täglich, und zwar nach Angaben des Klägers selbständig. Es bestand aus gutachterlicher Sicht aufgrund schwankender Blutzuckerwerte und mangelnder hygienischer Durchführung Unterstützungsbedarf durch eine Pflegeperson. Es bestand eine leichte Schwerhörigkeit. Laute Sprache wurde verstanden. Warum der Pflegebedarf bei diesem Befund im Gutachten auf 28,75 gewichtete Punkte veranschlagt wurde (Mobilität 0,00, kognitive/kommunikative Fähigkeiten 3,75, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen 15,00, Selbstversorgung 0,00, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedürftigen Anforderungen und Belastungen 10,00, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte 3,75 Punkte), erschließt sich dem Senat allein schon angesichts des Folgegutachtens des MDK vom 16. Mai 2018 nicht, welches auf keinem erheblich abweichenden Befund als das Vorgutachten gründet und nur noch 15,00 gewichtete Punkte erbrachte (Mobilität 0,00, kognitive/kommunikative Fähigkeiten 0,00, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen 11,25, Selbstversorgung 0,00, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedürftigen Anforderungen und Belastungen 0,00, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte 3,75 Punkte). Unter der Rubrik „Pflegerelevante Vorgeschichte (Anamnese), medizinische und pflegerische Angaben“ etc. finden sich zunächst die gleichen Eintragungen wie im Gutachten vom 14. September 2017. Als Einschränkungen der Selbständigkeit wurden Tinnitus, gelegentliche Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Aggressionen gegenüber der Ehefrau genannt. Die soziale Teilhabe wurde als selbständig gestaltet eingeschätzt. Der Kläger ging einmal wöchentlich zum Skatspielen, zweimal wöchentlich zum Rehasport und besuchte einmal wöchentlich seine Mutter. Er nutzte öffentliche Verkehrsmittel. Warme Mahlzeiten nahm er mit seiner Ehefrau außer Haus ein, weil die Küche nicht benutzbar war. Er duschte nach dem Rehasport in der dortigen Einrichtung, und zwar bei allgemeiner Aufsicht durch ein Vereinsmitglied selbständig, wobei er auch selbständig die Kleidung wechselte. Im gutachterlichen Befund ist festgehalten, dass der Kräfte- und Pflegezustand des Klägers nicht zu beanstanden war. Der Kläger wurde in Tageskleidung angetroffen. Er konnte die Begutachtungssituation vollständig einordnen und adäquat antworten. Er konnte Aufforderungen verstehen und umsetzen. Aufgrund der beengten Wohnverhältnisse war es nach wie vor nicht möglich, Funktionsprüfungen der oberen Extremitäten durchzuführen. Es wurden weder vom Kläger noch von seiner Ehefrau Einschränkungen benannt worden, die einen pflegerischen Unterstützungsbedarf nach sich zögen. Der Kläger gab adäquat zu Datum, Monat, kommendem Fest (Pfingsten) Auskunft. Er zeigte sich freundlich und zugewandt. Es waren lediglich leichte Wortfindungsstörungen vorhanden. Die Ehefrau benannte verbale Aggressionen, jedoch keinen Unterstützungsbedarf. Es wurden nach wie vor Ängste bei U- und S-Bahn-Fahrten angegeben. Als Kompensationsmechanismus wurde die Nutzung von Omnibussen angegeben. Der Antrieb zeigte sich erhalten (Skatspielen, Besuche von Rehasport, Verwandtenbesuche). Eine Vernachlässigung der Selbstversorgung war nicht zu verzeichnen. Die Tageskleidung war ordentlich und sauber, die Haare waren gekämmt. Finanzielle/behördliche Angelegenheiten wurden nach deren Angaben nach wie vor überwiegend von der Ehefrau übernommen, wobei sich der Kläger an Entscheidungen beteiligen konnte. Im Übrigen ist der gleiche Befund wie zuvor dokumentiert.

 

Es ist bei alldem auch nichts für ein Ereignis (stationärer Krankenhausaufenthalt, stationäre Rehabilitationsmaßnahme etc.) ersichtlich, dass eine wesentliche Reduzierung des pflegerischen Hilfebedarfs hätte plausibilisieren können. Auch der zeitlich geringe Abstand zwischen den beiden MDK-Gutachten von nur acht Monaten legt einen im Wesentlichen gleichbleibenden Pflegezustand nahe. Zudem ließ die Vielzahl der beim Kläger ärztlich festgestellten Gebrechen perspektivisch eher eine Zunahme der Beschwerden und ein Anwachsen des pflegerischen Hilfebedarfs erwarten. Dementsprechend hat die Gerichtssachverständige Dr. B ausweislich ihres für das SG erstellten schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 28. Juli 2020 keinen Anhalt gefunden, dass sich der Pflegebedarf seit Antragstellung in relevanter Weise verändert haben könnte und dass von Anfang an nur die sozialmedizinischen Voraussetzungen für den Pflegegrad 1 vorlagen. Die Sachverständige hat den Pflegebedarf unter der – hierzu sogleich – zutreffenden Prämisse, dass der Kläger die Diabetes-Medikation und –Kontrolle selbständig vornahm, auf 18,75 gewichtete Punkte veranschlagt (Mobilität 0,00, kognitive/kommunikative Fähigkeiten 15,00, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen 0,00, Selbstversorgung 0,00, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedürftigen Anforderungen und Belastungen 0,00, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte 3,75 Punkte). Die mündliche Verhandlung vor dem Senat vom 14. Juli 2022 hat u.a. erbracht, dass der Kläger die Diabetes-Versorgung der nach wie vor selbständig vornahm, so dass sich die Beurteilung im MDK-Gutachten vom 14. September 2017 nicht erschließt und bereits durch das anschließende MDK-Gutachten widerlegt wurde, soweit darin im Modul Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedürftigen Anforderungen und Belastungen 10,00 gewichtete Punkte angesetzt wurden. Auch für das Modul Verhaltensweisen und psychische Problemlagen 15,00 anzusetzen (so aber im vorgenannten MDK-Gutachten vom 14. September 2017), erschließt sich nicht, soweit die Ehefrau des Klägers zwar von psychisch bedingten Aggressionen sprach, jedoch über keinen hierauf beruhenden Unterstützungsbedarf verwies. So liegt es fern, ab dem 19. Mai 2017 von einem den Pflegegrad 2 rechtfertigenden, mit mindestens 27 Punkten zu bewertenden Hilfebedarf auszugehen. Die erforderliche Unterstützung in den Bereichen kognitive/kommunikative Fähigkeiten und Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte, welche die Gerichtssachverständige aufgrund der vom MDK und von ihr selbst erhobenen Befunde mit 15,00 bzw. 3,75 Punkten gewichtet hat, erscheinen zwar angesichts der erhobenen Befunde nachvollziehbar, reichen aber für den Pflegegrad 2 offensichtlich nicht aus.

 

Die Berufung hat im Ergebnis ebenfalls keinen Erfolg, soweit sich der Kläger gegen die mit dem Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2018 verfügte Entziehung der Pflegesachleistungen nach dem Pflegegrad 2 wendet. Insoweit ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig, weil nicht ersichtlich ist, inwiefern die gegen die Entziehung von Pflegesachleistungen gerichtete Klage die Rechtsposition des Klägers verbessert bzw. er durch die Leistungsentziehung beschwert ist. Denn es geht ihm im vorliegenden Verfahren um Pflegegeld und nicht um Pflegesachleistungen. Dementsprechend ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Kläger im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ggf. erstattungsfähige Pflegesachleistungen in Anspruch nahm. Insbesondere ist dem Bescheid vom 24. Juli 2018 eine isolierte, rechtsbehelfsfähige Entziehung des Pflegegrades aus den o.g. Gründen nicht zu entnehmen, sondern nur eine Entziehung der bis dahin gewährten Pflegesachleistungen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

 

Die Revision ist mangels Zulassungsgrundes nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.

Rechtskraft
Aus
Saved