Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2014 geändert.
Der Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales – Versorgungsamt Berlin – vom 8. August 2005 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 18. Dezember 2007 und des Neufeststellungsbescheides vom 4. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2009 und des angenommenen Teilanerkenntnisses vom 24. Februar 2022 wird geändert.
Über das angenommene Teilanerkenntnis hinaus wird die Beklagte verpflichtet,
- bei dem Kläger als weitere Schädigungsfolgen „Folgen psychischer Traumen“ festzustellen,
- dem Kläger weitere Versorgung im Sinne des § 80 Soldatenversorgungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz nach einer MdE bzw. einem GdS von 40 für den Zeitraum von August 2007 bis Mai 2012, einem GdS von 60 für den Zeitraum von Juli 2018 bis Januar 2019 und einem GdS von 50 für den Zeitraum von Februar 2019 bis Dezember 2020 zu gewähren,
- dem Kläger ab Februar 2021 eine Ausgleichsrente im Sinne des § 32 Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des Verfahrens zu 2/3 zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nach teilweiser Erledigung des Rechtsstreits durch das angenommene Teilanerkenntnis vom 24. Februar 2022 über die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen, über die Höhe des Grades der Schädigungsfolgen [GdS] (der bis zum 20. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] bezeichnet wurde) unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit sowie über die Gewährung einer Ausgleichsrente nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der Kläger, ein gelernter Spezialhochbaufacharbeiter, war von Januar 1988 bis Dezember 1995 Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Sanitäter mit Anerkennung zum Krankenpflegehelfer.
Am 12. November 1990 erlitt der Kläger beim dienstlichen Sport eine Kniegelenkverletzung links. Auf seinen Antrag erkannte die Beklagte, seinerzeit vertreten durch das Wehrbereichsgebührnisamt V, mit Bescheid vom 29. August 1995 als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung (bei einer MdE von unter 25 vom Hundert) für die Zeit von November 1990 bis Januar 1994 „Ruptur des vorderen Kreuzbandes des linken Kniegelenkes, Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks“ und ab Februar 1994 „Narbe nach Bandplastik des vorderen Kreuzbandes des linken Kniegelenkes“ an.
Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr war der Kläger ein Jahr lang als Krankenpflegehelfer tätig. Er brach die im September 1997 aufgenommene Ausbildung zum Krankenpfleger im Dezember 1997 wegen Knieproblemen ab. Die im September 1998 begonnene Ausbildung zum Speditionskaufmann schloss er im Mai 2000 ab.
Auf den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 13. Februar 1998 stellte das seinerzeit zuständige Versorgungsamt Landau mit Bescheid vom 4. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 1999 „Narbe nach Bandplastik des vorderen Kreuzbandes des linken Kniegelenks“ als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung (bei einer MdE von unter 25 vom Hundert) mit Wirkung ab dem 1. März 1998 fest. Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Speyer mit Urteil vom 23. Mai 2002 ab.
Am 18. Februar 2005 stellte der Kläger einen weiteren Neufeststellungsantrag. Das wegen des Umzugs des Klägers nach Berlin zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) – Versorgungsamt Berlin – lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. August 2005 ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Das Lageso – Versorgungsamt Berlin – veranlasste daraufhin u.a. die gutachterlichen Untersuchungen des Klägers durch die Fachärztin für Chirurgie H am 18. Juli 2006 (Gutachten vom 11. September 2006) und durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S am 5. Juni 2007 (Gutachten vom 31. Juli 2007). Am 12. Juli 2007 wurde dem Kläger eine Kniegelenktotalendoprothese links implantiert. Mit Teilabhilfebescheid vom 18. Dezember 2007 stellte das Lageso – Versorgungsamt Berlin – bei ihm als Schädigungsfolgen fest:
- Implantation einer Kniegelenktotalendoprothese links als mittelbare Folge eines 1990 erlittenen vorderen Kreuzbandschadens,
- somatoforme Schmerzstörung.
Es gewährte dem Kläger Versorgungnach einer MdE von 30 vom Hundert, wobei es keine besondere berufliche Betroffenheit berücksichtigte. Ebenso lehnte es einen Berufsschadensausgleich ab. Auf der Grundlage des im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens eingeholten Gutachtens des Diplom-Psychologen Dr. M vom 14. Februar 2009, der das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung verneinte, hob das Lageso – Versorgungsamt Berlin – mit Neufeststellungsbescheid vom 4. August 2009 den Teilabhilfebescheid vom 18. Dezember 2007 auf und stellte als Schädigungsfolgen nur noch die Implantation einer Kniegelenktotalendoprothese links als mittelbare Folge des 1990 erlittenen vorderen Kreuzbandschadens fest. Den Widerspruch des Klägers wies es mit Widerspruchsbescheid vom 13. August 2009 zurück.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Klage an das Sozialgericht Berlin gewandt, das neben Befundberichten das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Gla vom 27. Dezember 2011 eingeholt hat, der eine somatoforme Schmerzstörung nicht hat feststellen können. Weiter hat das Sozialgericht Berlin die Begutachtung des Klägers durch den Orthopäden Prof. Dr. Sch veranlasst. Im Gutachten vom 9. Juli 2012 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 9. Mai 2013, vom 15. Februar 2014 und vom 18. Juli 2014 hat der Sachverständige für den Zeitraum ab der Implantation 2007 als Schädigungsfolge eine erhebliche Minderung der Trag- und Bewegungsfunktion des linken Kniegelenks nach Implantation einer Kniegelenktotalendoprothese mit einem GdS von 40 ermittelt. Mit Urteil vom 27. November 2014 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung hat sich der Kläger mit seiner Berufung gewandt.
Auf der Beklagtenseite ist im Wege des gesetzlichen Beteiligtenwechsels am 1. Januar 2015 anstelle des Landes Berlin die Beklagte in den Rechtsstreit eingetreten.
Nachdem bei einer diagnostischen Arthroskopie im Juli 2018 eine Infektion der Kniegelenktotalendoprothese links festgestellt worden war, ist im August 2018 die Prothese ausgebaut und nach Sanierung des Infekts im November 2018 eine neue Kniegelenktotalendoprothese links implantiert worden. Hierzu hat der Kläger neben den betreffenden Operations- und Behandlungsberichten u.a. den Entlassungsbrief der M Klinik vom 7. Januar 2019, in der sich der Kläger vom 11. Dezember 2018 bis zum 8. Januar 2019 einer Rehabilitationsmaßnahme unterzogen hat, und Arztbriefe des V Klinikums vorgelegt. Ferner hat er das Pflegegutachten des MDK vom 23. Juli 2019 und den Bericht des Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. T vom 4. März 2020, eingereicht, bei dem er sich von Juli 2017 bis Dezember 2019 in psychotherapeutischer Behandlung befunden hat.
Mit Bescheid vom 21. Juni 2021 hat die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg dem Kläger mit Wirkung ab dem 1. Februar 2021 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt.
Auf der Grundlage der gutachterlichen Stellungnahmen des Arztes für Sozialmedizin Dr. Dr. Gle vom 20. Februar 2020 und des Orthopäden und Unfallchirurgen H vom 14. Dezember 2021 hat die Beklagte – unter Erweiterung eines früheren Teilanerkenntnisses – mit Schriftsatz vom 24. Februar 2022 erklärt,
- als Schädigungsfolgen „Implantation einer Kniegelenktotalendoprothese links als mittelbare Folge eines 1990 erlittenen Kreuzbandschadens, Endoprothesenwechsel nach Knieinfekt, Funktions- und Belastungseinschränkung des linken Kniegelenks“ festzustellen,
- den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) bei dem Kläger wie folgt festzustellen:
von Februar 2005 bis Mai 2012 GdS von 30,
von Juni 2012 bis Juni 2018 GdS von 40,
von Juli 2018 bis Januar 2019 GdS von 50,
von Februar 2019 bis Dezember 2020 GdS von 40,
ab Januar 2021 unter Höherbewertung um einen GdS von 10 wegen besonderer beruflicher Betroffenheit GdS von 50, - dem Kläger Versorgung im Sinne des § 80 SVG nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,
- dem Kläger Berufsschadensausgleich im Sinne des § 30 Abs. 3 BVG nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgesetzt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2014 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides des Landesamtes für Gesundheit und Soziales – Versorgungsamt Berlin – vom 8. August 2005 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 18. Dezember 2007 und des Neufeststellungsbescheides vom 4. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2009 und des angenommenen Teilanerkenntnisses zu verpflichten,
- bei ihm als weitere Schädigungsfolgen „Folgen psychischer Traumen“, „Wirbelsäulenschäden mit Bandscheibenschäden“ festzustellen sowie
- ihm Versorgung im Sinne des § 80 SVG in Verbindung mit dem BVG nach einer MdE bzw. einem GdS von 60 für den Zeitraum von August 2007 bis Juli 2018 und nach einem GdS von 80 für den Zeitraum ab August 2018 und
- ab Februar 2021 eine Ausgleichsrente im Sinne des § 32 BVG, jeweils nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner im Teilanerkenntnis getroffenen Entscheidung fest.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Versorgungs- und die Schwerbehindertenakten des Lageso – Versorgungsamt Berlin – sowie die Rentenakten der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist zum Teil begründet.
a) Über die im angenommenen Teilanerkenntnis der Beklagten festgestellten Schädigungsfolgen hinaus hat der Kläger Anspruch auf Feststellung der weiteren Schädigungsfolgen „Folgen psychischer Traumen“.
Der Kläger leidet nach den nachvollziehbaren Angaben des Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. T im Behandlungsbericht vom 4. März 2020 an einer Zwangsstörung mit überwiegend Grübelzwang. Der Senat ist auf der Grundlage des Ergebnisses der Sachverhaltsaufklärung zu der Überzeugung gelangt, dass diese psychische Erkrankung ihre wesentliche Ursache in der Knieverletzung und der sich über Jahrzehnte hinziehenden Erkrankung findet, die sich trotz einer Vielzahl von Operationen immer weiter verschlechterte und in die Berentung des Klägers mündete. Damit handelt es sich um eine Schädigungsfolge einer Wehrdienstverletzung im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG. In zeitlicher Hinsicht hält der Senat diese Erkrankung im Sinne des Vollbeweises mit dem Zeitpunkt des Beginns der psychotherapeutischen Behandlung durch Dr. T im Juli 2017 für nachgewiesen.
Dagegen konnte der Senat nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger daneben an einer Somatisierungsstörung leidet. Zwar haben sowohl der vom Lageso – Versorgungsamt Berlin – mit der Begutachtung des Klägers beauftragte Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S im Gutachten vom 31. Juli 2007 als auch der Psychotherapeut Dr. T im Behandlungsbericht vom 4. März 2020 diese Diagnose gestellt. Deren Einschätzung folgt der Senat nicht. Denn eine anhaltende somatische Schmerzstörung beinhaltet nach den Darlegungen des im Klageverfahren bestellten Sachverständigen Prof. Dr. Gla als vorherrschende Beschwerde einen andauernden schweren und quälenden Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht hinreichend erklärt werden kann. Vor dem Hintergrund, dass sich aus dem Zustand der schweren Erkrankung des linken Knies des Klägers körperliche Symptome – auch in Form von starken Schmerzen – ergeben, die nach den gutachterlichen Feststellungen Ausdruck dieser Erkrankung sind, ist eine Somatisierungsstörung nicht nachgewiesen.
Die mittelgradige depressive Episode einer rezidivierenden depressiven Störung, die der behandelnde Facharzt Dr. T im Behandlungsbericht vom 4. März 2020 beschreibt, stellt keine Schädigungsfolge dar. Nach dessen überzeugenden Ausführungen ist die Knieverletzung im Jahre 1990 keine wesentliche Ursache für die depressive Erkrankung. Vielmehr bildete die im Rahmen des Gerichtsverfahrens durch den Kläger weiter erlebte Ungerechtigkeit den Auslöser für die depressive Erkrankung.
Weitere Schädigungsfolgen liegen bei dem Kläger nicht vor. Insbesondere kann er nicht erfolgreich die Anerkennung von Wirbelsäulenschäden mit Bandscheibenschäden als Schädigungsfolgen beanspruchen. Nach den medizinischen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch sind die Beschwerden des Klägers im Bereich des Achsenorgans rein muskulärer Natur. Sie lassen sich nicht auf die Wehrdienstbeschädigung im Jahr 1990 zurückführen.
b) Der Kläger hat über das angenommene Teilanerkenntnis hinaus Anspruch auf Versorgung im Sinne des § 80 SVG in Verbindung mit dem BVG nach einer MdE bzw. einem GdS von 40 bereits für den Zeitraum von August 2007 bis Mai 2012 sowie – jeweils unter Höherbewertung um einen GdS von 10 wegen besonderer beruflicher Betroffenheit – nach einem GdS von 60 für den Zeitraum von Juli 2018 bis Januar 2019 und nach einem GdS von 50 bereits für den Zeitraum von Februar 2019 bis Dezember 2020. Einen höheren GdS als 50 kann der Kläger auch für den Zeitraum ab Januar 2021 nicht erfolgreich beanspruchen.
aa) Nach § 80 Satz 1 SVG in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS grundsätzlich nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Hierbei sind die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 erlassenen Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) heranzuziehen, die mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht von 2008 (AHP) abgelöst haben.
Die Knieschäden des Klägers sind – unter alleiniger Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen (vgl. Nr. 18 Abs. 1 Satz 3 AHP bzw. A 2a Satz 3 VMG) – für den Zeitraum von August 2007 bis Juni 2018 mit einem GdS von 40 zu bewerten. Der Senat folgt hierbei dem Vorschlag des Sachverständigen Prof. Dr. Sch in dessen Gutachten 9. Juli 2012, der sich auf der Grundlage der ambulanten gutachterlichen Untersuchung des Klägers für einen Einzel-GdS in dieser Höhe ausgesprochen hat. Für die Bewertung maßgebend sind vorliegend – neben den Vorgaben in Nr. 26.18 AHP für den Zeitraum von August 2007 bis zum 31. Dezember 2008 – die Regelungen in B 18.12 VMG, die während des streitgegenständlichen Zeitraums eine Änderung erfahren haben. Bis zum 22. Dezember 2010 war vorgesehen, dass bei Endoprothesen der Gelenke der GdS abhängig von der verbliebenen Bewegungseinschränkung und Belastbarkeit ist, wobei für einseitige Endoprothesen des Kniegelenks ein Mindest-GdS von 30 geregelt war. Mit der am 23. Dezember 2010 in Kraft getretenen Dritten Änderungsverordnung der Versorgungsmedizin-Verordnung wurde für einseitige Endoprothesen des Kniegelenks der Mindest-GdS auf 20 herabgesetzt, allerdings nur bei bestmöglichem Behandlungsergebnis; bei eingeschränkter Versorgungsqualität sind nach B 18.12 VMG höhere Werte angemessen. Angesichts der von dem Sachverständigen festgestellten erheblichen Minderung der Trag- und Bewegungsfunktion des linken Kniegelenks bei einem Streckdefizit von 15°, einer Überwärmung und Schwellung des Gelenks, einer Innenbandinstabilität und einer Muskelminderung ist der Einzel-GdS mit 40 anzusetzen. Diese Bewertung fügt sich auch in den für einseitige ausgeprägte Kniegelenkschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen und Bewegungseinschränkungen in Nr. 18 Abs. 1 Satz 3 AHP bzw. B 18.14 VMG vorgesehenen Bewertungsrahmen ein. In zeitlicher Hinsicht hält es der Senat aufgrund der medizinischen Feststellungen des Sachverständigen für nachgewiesen, dass die einen Einzel-GdS von 40 rechtfertigenden Schäden der Kniegelenke seit dem Zeitpunkt der im Juli 2007 vorgenommenen Implantation der Kniegelenkendoprothese, also jedenfalls ab August 2007, bestanden haben.
Für den anschließenden Zeitraum von Juli 2018 bis Januar 2019 bedingen die Knieschäden des Klägers – unter alleiniger Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen – einen Einzel-GdS von 50. Wegen der im Juli 2018 festgestellten Infektion der Kniegelenktotalendoprothese links musste im August 2018 die Prothese ausgebaut und nach Sanierung des Infekts im November 2018 eine Kniegelenktotalendoprothese links implantiert werden. Im Hinblick auf die Verminderung der statischen Belastbarkeit und der Tragfähigkeit des Kniegelenks und die damit verbundenen massiven Einschränkungen der Gehfähigkeit hält der Senat einen Einzel-GdS von 50 für angemessen. Der in B 18.12 VMG für eine einseitige Totalendoprothese des Kniegelenks vorgesehene Mindest-GdS von 20 ist vorliegend nicht maßgeblich, da der Mindest-GdS nach B 18.12 Satz 1 VMG nur für Endoprothesen bei bestmöglichem Behandlungsergebnis gilt, das im Falle des Klägers augenscheinlich nicht erzielt wurde. Vielmehr ergibt sich, worauf der Sozialmediziner Dr. Dr. G in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 20. Februar 2020 zutreffend hingewiesen hat, ein Einzel-GdS von 50 für die Knieschäden in der Phase des Austausches der Prothese durch den Vergleich mit der Bewertung für die Notwendigkeit der Entlastung eines Unterschenkels, für die nach B 18.14 VMG ein GdS von 50 vorgeschrieben ist. Hierbei ist es geboten, die Zeit bis zum Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme im Januar 2019 einzubeziehen.
Nach Ablauf der postoperativen Behandlungsphase, d.h. seit Februar 2019, sind die Knieschäden des Klägers – unter alleiniger Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen – wieder mit einem Einzel-GdS von 40 zu bewerten. Mit der Implantation der neuen Prothese entfällt die Möglichkeit, im Wege des Vergleichs mit der Bewertung für die Notwendigkeit der Entlastung eines Unterschenkels zu einem Einzel-GdS von 50 zu gelangen. Angesichts der weiter bestehenden Beschwerden erscheint es gerechtfertigt, für das Knieleiden unter maximaler Ausschöpfung des Bewertungsrahmens in B 18.14 VMG für einseitige ausgeprägte Kniegelenkschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen und Bewegungseinschränkungen einen Einzel-GdS von 40 anzusetzen. Hierbei wird neben dem Umstand, dass der Kläger mit dem linken Kniegelenk eine Extension bis zur vollen Streckung nur unter deutlichen Beschwerden hat erreichen können, berücksichtigt, dass bei der Kontrolluntersuchung im V Klinikum am 20. März 2019 eine Überwärmung, ein verdicktes Weichteilgewebe und eine Ergussbildung festgestellt worden sind.
Die schädigungsbedingten psychischen Störungen des Klägers, die nach B 3.7 VMG als „Folgen psychischer Traumen“ zu bezeichnen sind, bedingen einen Einzel-GdS von 10. Bei der Zwangsstörung mit Grübelzwang handelt es sich um eine psychische Störungen leichten Grades. Schädigungsbedingte stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die einen GdS-Rahmen von 30 bis 40 eröffnen, liegen bei dem Kläger nicht vor. Insbesondere die Aufrechterhaltung einer stabilen Beziehung zu seinem Partner lässt nicht erkennen, dass seine Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit durch die Schädigungsfolge auf psychiatrischem Fachgebiet wesentlich beeinträchtigt ist. Für leichtere psychische Störungen sieht B 3.7 VMG einen GdS-Rahmen von 0 bis 20 vor. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist für den Einzel-GdS der Mittelwert von 10 heranzuziehen.
Bei der Bildung des Gesamt-GdS wirkt sich der für die Folgen psychischer Traumen zu vergebende Einzel-GdS nicht erhöhend aus. Denn nach A 3d dd VMG führen, von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdS von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung.
bb) Über das Teilanerkenntnis der Beklagten hinaus ist nach § 80 Satz 1 SVG in Verbindung mit § 30 Abs. 2 BVG wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit des Klägers nicht erst mit Wirkung ab Januar 2021, sondern bereits mit Wirkung ab Juli 2018 der bei ihm festzustellende GdS um einen Zehnergrad, d.h. für den Zeitraum von Juli 2018 bis Januar 2019 von 50 auf 60 sowie mit Wirkung ab Februar 2019 von 40 auf 50, anzuheben.
Nach § 80 Satz 1 SVG in Verbindung mit § 30 Abs. 2 Satz 1 BVG in der seit dem 21. Dezember 2007 geltenden Fassung (die sich inhaltlich nicht von der Fassung vom 29. Juli 1994 unterscheidet) ist der GdS höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist nach § 30 Abs. 2 Satz 2 BVG insbesondere der Fall, wenn
- auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
- zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
- die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
Diese Tatbestände des § 30 Abs. 2 Satz 2 BVG sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 19. Februar 1969 – 10 RV 561/66 –, BSGE 29, 139) nur beispielhaft aufgeführt und stellen Erläuterungen für den in § 30 Abs. 2 Satz 1 BVG allgemein zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers dar, eine Höherbewertung des GdS vorzunehmen, wenn der Beschädigte in seinem Beruf besonders betroffen ist. Dies ist bei dem Kläger zu bejahen.
Während der gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG festzustellende GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen ist und damit nicht von der konkreten Beeinträchtigung in einem von dem Geschädigten ausgeübten oder angestrebten Beruf abhängt (vgl. zur MdE: BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995 – 9 RV 9/95 –, BSGE 77, 147), sollen die besonderen beruflichen Auswirkungen durch § 30 Abs. 2 Satz 1 BVG Berücksichtigung finden. Deshalb bezieht sich das „Besondere“ der beruflichen Betroffenheit nicht auf einen bestimmten Beruf, sondern auf das Ausmaß der individuellen Auswirkungen bei dem Geschädigten in seinem Berufsleben.
Nach der Überzeugung des Senats ist bei dem Kläger eine besondere berufliche Betroffenheit ab Juli 2018 nachgewiesen. Während der Phase des wegen der im Juli 2018 festgestellten Infektion erforderlichen Austausches der Kniegelenktotalendoprothese links bis zum Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme im Januar 2019 standen die Verminderung der statischen Belastbarkeit und der Tragfähigkeit des Kniegelenks und die damit verbundenen massiven Einschränkungen der Gehfähigkeit der Ausübung einer sozial gleichwertigen Tätigkeit entgegen.
Auch für den Zeitraum ab Februar 2019 liegt eine besondere berufliche Betroffenheit vor. Der Senat stützt sich hierbei insbesondere auf das ärztliche Attest der den Kläger behandelnden Ärztin für Orthopädie Dr. K vom 4. Mai 2020, die eine Tätigkeit im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen empfiehlt. Von einer rein sitzenden Tätigkeit rät sie nachvollziehbar mit der Begründung ab, dass die Flexion des Kniegelenks mit erheblichen Schmerzen verbunden ist und zu Anlaufproblemen bzw. Krämpfen führt. Demgegenüber beurteilt die M Klinik in dem an die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg gerichteten Reha-Entlassungsbericht vom 9. Januar 2019 das Leistungsvermögen des Klägers dahingehend, dass ihm eine leichte bis mittelschwere überwiegend sitzende körperliche Arbeit möglich sei. Dieser Einschätzung folgt der Senat nicht, weil sie mit dem im Entlassungsbrief vom 7. Januar 2019 geschilderten Rehabilitationsergebnis nicht vereinbar ist. Dort heißt es, dass dem Kläger das Gehen ca. fünf Minuten, das Stehen eine Minute und das Sitzen eine Minute möglich sei. Infolge der Notwendigkeit des Wechsels von Gehen, Stehen und Sitzen ist dem Kläger eine seinem angestrebten Beruf des Krankenpflegers sozial gleichwertige Tätigkeit nicht mehr möglich. Denn der Beruf eines Kaufmanns – Spedition und Logistikdienstleistung – ist dem Kläger versperrt, da, worauf der Orthopäde und Unfallchirurg H in der versorgungsärztlichen gutachterlichen Stellungnahme zu Recht hinweist, ein großer Anteil dessen Tätigkeiten im Sitzen erledigt wird. Die Tätigkeit als Bürobote, auf die der Kläger krankheitsbedingt ausgewichen ist, stellt keinen sozial gleichwertigen Beruf dar.
Die Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit für einen früheren Zeitpunkt als Juli 2018 ist nicht möglich, da sich der Kläger, nachdem er seine Ausbildung zum Krankenpfleger abbrechen musste, erfolgreich zum Speditionskaufmann hat umschulen lassen. Hierbei handelt es sich ohne Zweifel um einen der Tätigkeit als Krankenpfleger sozial gleichwertigen Beruf. Der Senat folgt hierbei der Begründung des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil vom 27. November 2014 und sieht nach § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
d) Schließlich hat der Kläger mit Wirkung ab Februar 2021 dem Grunde nach Anspruch auf eine Ausgleichsrente. Gemäß § 80 Satz 1 SVG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 BVG erhalten Schwerbeschädigte eine Ausgleichsrente, wenn sie infolge ihres Gesundheitszustands oder hohen Alters oder aus einem von ihnen nicht zu vertretenden sonstigen Grund eine ihnen zumutbare Erwerbstätigkeit nicht oder nur in beschränktem Umfang oder nur mit überdurchschnittlichem Kräfteaufwand ausüben können. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger, der Schwerbeschädigter im Sinne des § 31 Abs. 2 BVG ist, da bei ihm für den maßgeblichen Zeitraum ein GdS von mindestens 50 festzustellen ist, mit Beginn der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Maß des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.