Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. 12.2021 aufgehoben.
Der Beklagte wird unter Änderung seines Bescheides vom 20. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2019 verpflichtet, die Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 3. Juni 2019 für notwendig zu erklären.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob in einem abgeschlossenen Widerspruchsverfahren des Klägers die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären war.
Der im Jahr 1986 geborene Kläger beantragte am 28. Mai 2019 bei dem Beklagten Jobcenter die Gewährung von Grundsicherungsleistungen. Mit Bescheid vom 3. Juni 2019 lehnte der Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche habe. Nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit zum 27. Juni 2018 habe sein Arbeitnehmerstatus nur bis zum 27. Dezember 2018 fortgewirkt.
Am 11. Juni 2019 legte der Kläger persönlich schriftlich Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. Juni 2019 ein. Er machte geltend, für ihn als EU-Bürger sei der Arbeitnehmerstatus dauerhaft gegeben, weil er bereits länger als ein Jahr am Stück in Deutschland erwerbstätig gewesen sei. Auf diesen Widerspruch des Klägers reagierte der Beklagte zunächst nicht.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2019 unter Beifügung einer schriftlichen Vollmachturkunde ebenfalls vom 18. Juni 2019 meldete sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers als Verfahrensbevollmächtigter im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 3. Juni 2019. Er machte geltend, Leistungen seien zu gewähren, der Ausschluss des Klägers vom Bezug von Leistungen liegen nicht vor. Der Kläger habe am 13. Juni 2019 mit Schreiben vom 11. Juni 2019 bereits selbst Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2019 bestätigte der Beklagte gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers den Eingang seines Widerspruches vom 18. Juni 2019 am 18. Juni 2019. Mit Bescheid vom 20. Juni 2019 hob der Beklagte, wiederum adressiert an den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers, den Bescheid vom 3. Juni 2019 auf und bewilligte mit gesondertem Bescheid vom 20. Juni 2019 Leistungen gegenüber dem Kläger. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für das Widerspruchsverfahren erklärte der Beklagte als nicht notwendig, weil der Widerspruchsführer am 11. Juni 2019 den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid erhoben und bereits im Widerspruchsschreiben die rechtlich entscheidenden Punkte vorgebracht habe, die im Ergebnis zur Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 3. Juni 2019 geführt hätten.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2019 mit gleichartiger Begründung zurück.
Mit seiner anschließend zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Ziel weiterverfolgt, die Erklärung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 3. Juni 2019 zu erreichen. Mit Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Kammer wies zwar darauf hin, dass es sich nach ihrer Einschätzung durchaus so verhalten, dass gerade in sozialrechtlichen Angelegenheiten der Rechtssuchende nur in Ausnahmefällen in der Lage sein dürfte, seine Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren mit der Folge, dass wegen des Gebots des effektiven Rechtsschutzes regelmäßig die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren notwendig sein dürfte. Die Kammer sehe in diesem Fall jedoch deswegen eine Ausnahme, weil alleine die Widerspruchsbegründung des Klägers zum Erfolg des Widerspruchs geführt und damit die weitere Unterstützung durch einen Rechtsanwalt unnötig gemacht habe.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger fristgemäß Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er macht geltend, auch wenn der Kläger zunächst selbst Widerspruch eingelegt habe, habe er doch den Bevollmächtigten aufgesucht und ihn mit der Führung des Widerspruchsverfahrens beauftragt. Auch sei der Inhalt des Widerspruchsverfahrens nicht so einfach und selbstverständlich gewesen, wie es der Beklagte und das Sozialgericht darstellten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2021 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 20. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2019 zu verpflichten, die Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren des Klägers gegen den Bescheid vom 3. Juni 2019 für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die dem Senat bei seiner Entscheidung in elektronischer Form vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte durch den Vorsitzenden als Berichterstatter ergehen, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es liegt insbesondere kein Ausschlussgrund nach § 144 Abs. 2 SGG vor, denn die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren ist kein Verwaltungsakt, der auf eine Leistung gerichtet ist, sondern eine verfahrensrechtliche Statusentscheidung.
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtenen Entscheidungen sind, soweit sie die Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 3. Juni 2019 betreffen, rechtswidrig und zu ändern bzw. aufzuheben. Der Beklagte war in der aus dem Tenor ersichtlichen Weise zu verpflichten.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 63 Abs. 3 S. 2 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X). Nach dieser Vorschrift bestimmt die Behörde, die eine Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahren getroffen hat, auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war. Diese Entscheidung ist aus vorausschauender Sicht nach objektiven Maßstäben zu treffen, d. h. danach, ob sich ein verständiger Dritter vorausschauend in der konkreten Situation der Hilfe eines Verfahrensbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren bedient hätte. Dabei spielt insbesondere eine Rolle, welche Bedeutung das Widerspruchsverfahren für den Rechtsschutzsuchenden besaß.
Nach diesen Maßstäben war die Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren auszusprechen. Der angefochtene Ablehnungsbescheid lehnte Grundsicherungsleistungen in jeglicher Hinsicht ab und besaß damit für den Kläger in hohem Maße existenzielle Bedeutung. Es liegt auch nicht der von dem Sozialgericht angenommene Ausnahmefall vor, dass aus anderen Gründen die Zuziehung eines Bevollmächtigten vorliegend entbehrlich gewesen sein könnte, weil der Kläger bereits mit seinem ursprünglichen Widerspruchsschreiben die entscheidenden Sachargumente vorgetragen hat, die letztlich zum Erfolg seines Widerspruches geführt haben. Denn bei der hier allein maßgeblichen vorausschauenden Betrachtung konnte weder der Kläger konkret noch jeder andere verständige Dritte an seiner Stelle wissen, ob das Widerspruchsvorbringen im Widerspruchsschreiben ausreichend sein würde, um eine Entscheidung des Beklagten zugunsten des Klägers herbeizuführen.
Im Übrigen weist der Senat ergänzend darauf hin, dass selbst bei einer rückschauenden Betrachtungsweise vorliegend nicht anders zu entscheiden wäre. Zwar hat der Kläger selbst Widerspruch eingelegt, es findet sich jedoch in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten kein Hinweis darauf, dass der Beklagte auf diesen Widerspruch reagiert hat. Erst nachdem der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers sich als Rechtsanwalt im Verfahren unter Vorlage einer Vollmacht gemeldet hatte, erfolgte sehr zeitnah eine Reaktion durch den Beklagten in Gestalt einer Eingangsbestätigung und in Gestalt eines Abhilfebescheides. Solche Reaktionen fanden im Hinblick auf den Widerspruch des Klägers selbst indessen nicht statt. Auch bei rückschauender Betrachtungsweise war objektiv die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig, um das Verfahren voranzubringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.