1. Dass es in Deutschland massenweise zu Infektionen mit dem Covid-19-Virus kommt, es sich bei einer Infektion also um eine allgemeine Gefahr handelt, steht einer Anerkennung als Arbeitsunfall nicht entgegen.
2. Für die Beurteilung, ob eine Infektion am Arbeitsplatz erfolgt ist, ist die Heranziehung der Grundsätze des Anscheinsbeweises (Beweis des ersten Anscheins) denkbar (im Ergebnis offengelassen).
3. Die vom Robert-Koch-Institut entwickelten Maßstäbe zur Bestimmung enger Kontaktpersonen können nicht unmittelbar für die Beurteilung herangezogen werden, ob eine Infektion durch Kontaktpersonen am Arbeitsplatz erfolgt ist.
4. Die Unfallkausalität ist nicht nachgewiesen, wenn neben Kontakten am Arbeitsplatz in vergleichbarem Umfang Infektionsmöglichkeiten im privaten, nicht versicherten Bereich bestanden.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Infektion der Klägerin mit dem Corona-Virus SARS-CoV 2 (nachfolgend: Covid-19-Virus) einen Arbeitsunfall darstellt.
Die am … geborene Klägerin ist Industriekauffrau und für die Büroarbeiten in einem kleinen Handwerksbetrieb, in dem 14 Personen tätig sind, angestellt. Zu Kontakt mit anderen Beschäftigten kommt es in einem Büro (ca. 60 m²), welches die Klägerin zusammen mit dem Inhaber des Betriebes nutzt und welches auch von weiteren Beschäftigten aufgesucht wird. Außerdem hat sie Kontakt zu anderen Beschäftigten in der Fertigungshalle (ca. 1000 m²) des Betriebes, welche die Klägerin mehrmals täglich aufsucht. Die Klägerin lebt mit ihren drei Söhnen in häuslicher Gemeinschaft (Einfamilienhaus).
Im Betrieb wurde eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und die dort gegebenen Hinweise nach Angaben des Unternehmers auch eingehalten. Danach wurden etwa Kontakte zwischen den Beschäftigten möglichst vermieden und Abstände (mindestens 1,5 m) eingehalten. Die Zahl der Personen im Aufenthaltsraum und bei Besprechungen wurde begrenzt, möglichst in versetzten Arbeitszeit gearbeitet und regelmäßig gelüftet. Es waren Hygienestationen zum Händewaschen und Desinfizieren vorhanden. Die Beschäftigten trugen durchgehend Mund-Nasen-Schutz (im Fall der Klägerin OP-Masken, keine FFP2-Masken).
Am Montag, den 12. April 2021 wurde … (nachfolgend: A), der als Leiharbeitnehmer im selben Handwerksbetrieb beschäftigt war, positiv auf das Covid-19-Virus getestet. Eine vom Arbeitgeber veranlasste Testung bei den Beschäftigten des Betriebes vom 13. April 2021 ergab keine weiteren Nachweise von Infektionen, auch nicht bei der Klägerin. In der Nacht vom 15. auf den 16. April 2021 verspürte die Klägerin erste Symptome und am 19. April 2021 wurde ein positiver PCR-Test vorgenommen. Die Klägerin befand sich vom 19. bis 30. April 2021 in Absonderung, während der sie an erheblichen Krankheitssymptomen (nach eigenen Angaben: Husten, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Kraftlosigkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Einschränkung des Geruchssinns) litt. Ebenfalls am 19. April 2021 war einer ihrer Söhne, … (nachfolgend N), positiv getestet worden. Die beiden weiteren Kinder der Klägerin wurden nicht getestet, blieben aber auf Anordnung einer Mitarbeiterin der Stadt … mit der Klägerin in Absonderung. Am 21. April 2021 spürte ein weiterer Beschäftigter, der Meister … (nachfolgend: W), erste Symptome und wurde am selben Tag positiv getestet. Ansonsten haben sich in dem Betrieb zum damaligen Zeitpunkt keine Beschäftigten infiziert.
Nach Angaben der Klägerin heilte die Infektion bei ihr nicht vollständig aus, sondern es sind Langzeitfolgen (allgemeine Abgeschlagenheit; Antriebslosigkeit; ständige Müdigkeit; Atemnot auch bei geringen Anstrengungen; häufige Kopfschmerzattacken; Muskelkrämpfe; Lebensmittelunverträglichkeiten; Beeinträchtigung des Geruchs- und des Geschmackssinns) verblieben.
Der Arbeitgeber meldete den Vorfall mittels Unfallanzeige vom 6. Mai 2021 (ausgefüllt und unterschrieben von der Klägerin selbst). Ausweislich eines Aktenvermerks vom 19. Mai 2021 gab die Klägerin telefonisch gegenüber der Beklagten an, sie und ein weiterer Kollege (gemeint: W) seien durch A angesteckt worden. Beide hätten ansonsten keine Infektionen im Verwandtenkreis gehabt. Sie habe sich oft in der Fabrikationshalle aufgehalten und öfters mittelbaren Kontakt (1,5 m und 15 Minuten) zu A gehabt. Die Maske habe sie bei engem Kontakt immer getragen. Im weiteren Verfahren (Schreiben vom 21. Oktober 2021) gab die Klägerin an, sie müsste sich schon sehr wundern, wenn sie sich außerhalb des Betriebes infiziert hätte, da sie zur damaligen Zeit nur noch zum Einkaufen und zur Arbeit gegangen sei. Niemand in ihrer Familie und ihrem sonstigen Umfeld sei damals infiziert gewesen. In einem Fragebogen für den Arbeitgeber (ausgefüllt und unterschrieben am 20. Oktober 2021 von der Klägerin selbst) wurde die Frage zu einem Mindestabstand von 1,5 m zu anderen Mitarbeitern bejaht und ein enger Kontakt über 10 Minuten verneint. Ebenfalls wurden jeweils die Fragen zu einem engen Kontakt (< 1,5 m, Nahfeld) mit der infizierten Person von mehr als 10 Minuten ohne korrekten Mund-Nasen-Schutz oder FFP2-Maske, zu einem Gespräch mit der infizierten Person (face-to-face-Kontakt, < 1,5 m, unabhängig von der Gesprächsdauer) ohne korrekten Mund-Nasen-Schutz oder FFP2-Maske als auch zu einem Aufenthalt mit der infizierten Person im selben Raum mit wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöser Aerosole unabhängig vom Abstand für > 10 Minuten auch mit korrektem Mund-Nasen-Schutz oder FFP2-Maske verneint.
Einen Antrag der Klägerin auf medizinische Rehabilitation leitete die Beklagte an den Rentenversicherungsträger weiter, verbunden mit dem Hinweis, es sei nicht abschließend geklärt, ob die Covid-19-Infektion am Arbeitsplatz erfolgt sei.
Mit Bescheid vom 16. November 2021 lehnte die Beklagte die Covid-19-Infektion der Klägerin als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie aus, es liege kein Arbeitsunfall vor, wenn sich eine Gefahr verwirklicht habe, von der ein Versicherter zur selben Zeit und mit gleicher Schwere auch außerhalb seiner versicherten Tätigkeit betroffen gewesen wäre. Die Betroffenheit ergebe sich zufällig und unabhängig von der versicherten Tätigkeit. Es müsse deshalb wahrscheinlich sein, dass die Infektion bei der versicherten Tätigkeit eingetreten sei. Dies setze zwingend voraus, dass eine Infizierung außerhalb der beruflichen Tätigkeit ausgeschlossen sei und dass bei der beruflichen Tätigkeit nachweislich Kontakt mit erkrankten Personen bestand habe. Bei dem Covid-19-Virus handle es sich inzwischen um eine Allgemeingefahr, die nur über die gesetzliche Unfallversicherung versichert sei, wenn eindeutig nachgewiesen werde, dass die Infektion im Rahmen einer betrieblichen Tätigkeit eingetreten sei. Die bloße Möglichkeit bzw. der Verdacht für eine Ansteckung während der Arbeit sei nicht ausreichend. Ganz allgemein werde von einer Gefährdung bei Kontaktzeiten mit einer Indexperson ab etwa 15 Minuten ausgegangen. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m bis 2 m über diese Zeit unterschritten werde, könne von einem intensiven Kontakt ausgegangen werden. Dies gelte insbesondere dann, wenn kein Mund-Nasenschutz getragen werde. In diesen Fällen könne der Beweis einer Infektion bei versicherter Tätigkeit als erbracht angesehen werden, es sei denn, es seien vergleichbare außerberufliche Gefährdungen mit ebenfalls einer infizierten Person gesichert. Ein solch intensiver Kontakt mit einer infizierten Person sei nicht gegeben. Allein die - ohnehin nicht nachprüfbare - Aussage, dass im privaten Umfeld kein Kontakt mit erkrankten Personen stattgefunden habe, die bloße Möglichkeit einer Infizierung am Arbeitsplatz und der zeitliche Zusammenhang im Rahmen der allgemein angenommenen Inkubationszeit reichten für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht aus.
Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein. Sie trug vor, sie habe intensiven Kontakt zu A gehabt. Teilweise habe auch eine längere, andauernde räumliche Nähe zwischen ihr und W bestanden. Die auch zur Zeit der Infektion bereits kursierende Delta-Variante sei deutlich ansteckender und leichter übertragbarer als die zuerst aufgetretene Variante. Die Übertragung könne über vielfältige Wege, auch mit Tröpfcheninfektionen, erfolgen und die Viren könnten auch größere Distanzen bewältigen und seien längere Zeit wirksam. Sowohl während der direkten Kontakte mit A als auch mittelbar durch die Kontakte mit W bei längeren Aufenthalten in gemeinsamen Räumen und auch bei immer mal wieder „verrutschten“ Masken seien mehr als genügend Übertragungswege vorhanden, die tatsächlich zu einer Infektion geführt hätten. Privat habe sie sich damals völlig zurückgezogen und nur die notwendigsten Dienste erledigt. Verwiesen wurde auf entsprechende Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Augsburg und Würzburg.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2022 zurück. Bei einer Infektion mit dem Covid-19-Virus handle es sich grundsätzlich nicht um einen Arbeitsunfall, sondern um eine so genannte Allgemeingefahr im Rahmen einer weltweit auftretenden Pandemie. In Einzelfällen könne sie als Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn ein gesicherter Kontakt zu einer bekannten Indexperson bestanden habe und dieser als intensiv oder länger andauernd zu werten sei oder wenn ein intensiver Kontakt zu einer bekannten Indexperson nicht zu sichern sei, es aber im unmittelbaren Tätigkeitsumfeld der versicherten Person immer mindestens eine nachweislich infektiöse Person gegeben habe und die besonderen Arbeitsbedingungen eine Infektion begünstigt hätten. Dies sei hier nicht gegeben. Die bloße Vermutung, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort unter (nicht genau aufklärbaren) Umständen möglicherweise mit Krankheitserregern infiziert worden zu sein, reiche nicht aus.
Die Klägerin hat am 8. März 2022 Klage erhoben. Sie sieht weiterhin eine Infektion durch A oder W als wahrscheinlich an. Den Mund-Nasen-Schutz habe sie nicht durchgehend getragen. Entgegen dem Vorgehen der Beklagten bestünden keine allgemeinen Regeln zu Infektionen. Sowohl das Robert-Koch-Institut (RKI) als auch die anderen, einschlägigen Stellen würden in ihren Empfehlungen der Entwicklung regelmäßig „hinterherhinken“. Erst im Nachhinein sei festgestellt worden, dass die Delta-Variante deutlich aggressiver und leichter übertragbar sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16. November 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2022 zu verpflichten, ihre Covid-19-Infektion als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung für zutreffend und verweist zur Begründung insbesondere auf den Widerspruchsbescheid.
Das Gericht hat eine Auskunft beim Arbeitgeber zu den Schutzmaßnahmen im Betrieb zur Zeit der Infektion der Klägerin eingeholt. Es hat weiterhin den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 21. Juni 2022 erörtert sowie A und W als Zeugen gehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen. Die Beklagte hat die Handlungsempfehlungen der DGUV „Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 als Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung“ sowie die dieser zugrundeliegenden Hinweise des RKI zur Kontaktpersonennachverfolgung (Stand 13. April 2021, also dem ungefähren Zeitpunkt der Infektion) übermittelt. Die Klägerin hat Absonderungsbescheinigungen für A, ihre negativen Testergebnisse und diejenigen dreier weiterer Mitarbeiter vom 13. April 2021 sowie die positiven Testergebnisse von N und W vorgelegt.
Die Beklagte sieht sich durch die Beweisaufnahme in ihrer Einschätzung bestätigt, dass kein intensiverer Kontakt der Klägerin mit A bestanden habe, der eine Infektion am Arbeitsplatz wahrscheinlich mache. Die Klägerin hält hingegen einen anderen Infektionsweg als über A oder W für ausgeschlossen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die die Kammer im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist zulässig. Insbesondere ist sie statthaft. Das BSG erkennt, wenn das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Streit steht, ein Wahlrecht des Verletzten zwischen einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage und - wie hier - einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage an (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 2 U 24/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18; BSG, Urteil vom 5. Juli 2011, B 2 U 17/10 R, SozR 4-2700 § 11 Nr. 1; BSG, Urteil vom 15. Mai 2012, B 2 U 8/11 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 20; BSG, Urteil vom 26. November 2019, B 2 U 8/18 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 71).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Gericht kann sich nicht vom Vorliegen eines Arbeitsunfalls überzeugen. Deswegen ist die Beklagte auch nicht verpflichtet, einen solchen festzustellen.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang). Die Verrichtung muss zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt haben (Unfallkausalität) und das Unfallereignis muss einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht (haftungsbegründende Kausalität) haben. Unerheblich ist, ob die Erkrankung den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität; st. Rspr. vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2014, B 2 U 4/13 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 52; BSG, Urteil vom 15. November 2016, B 2 U 12/15 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 37; BSG, Urteil vom 26. November 2019, B 2 U 8/18 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 71; BSG, Urteil vom 6. Mai 2021, B 2 U 15/19 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 77).
Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitsschaden“ erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 30/07 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4; BSG, Urteil vom 31. Januar 2012, B 2 U 2/11 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 43; BSG, Urteil vom 6. Mai 2021, B 2 U 15/19 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 77).
Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90, SozR 3-2200 § 548 Nr. 11; BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008, B 2 U 26/06 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 29; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015, B 2 U 8/14 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 55; BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, B 5 RS 4/16 R, BSGE 122, 197 = SozR 4-8570 § 6 Nr. 7; BSG, Urteil vom 20. Dezember 2016, B 2 U 16/15 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 60).
Maßgeblich ist hier die Unfallkausalität. Der Begriff der Unfallkausalität kennzeichnet die Kausalität zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Insoweit gilt ebenso wie für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung, nach der auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie aufbauend in einem zweiten wertenden Schritt als rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 2 U 24/05 R, BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 18; BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, B 2 U 23/05 R, BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 22; BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, B 2 U 18/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
Für einen Erfolg der Klage muss daher zunächst (erster Schritt) nachgewiesen sein, dass sich der Unfall (Infektion mit dem Covid-19-Virus mit behandlungsbedürftigen Symptomen) bei der versicherten Tätigkeit und nicht im privaten Bereich ereignet hat.
Keine Besonderheiten ergeben sich daraus, dass es in Deutschland zum Zeitpunkt der Infektion der Klägerin massenweise zu Infektionen mit dem Covid-19-Virus gekommen ist und weiterhin kommt. Im angefochtenen Bescheid klingt eine andere Betrachtung an, wenn darauf verwiesen wird, es handle sich um eine Allgemeingefahr und es hänge allein vom Zufall ab, ob man sich bei der versicherten Tätigkeit oder im privaten Bereich infiziere. Zwar können sich Versicherte überall, wo sie mit Menschen in Kontakt geraten, anstecken. Ob dies bei der versicherten Tätigkeit oder im privaten Bereich erfolgt, mag zufällig sein. Das Risiko, sich zu infizieren, steigt jedoch durch die am Arbeitsplatz unweigerlich auftretenden zusätzlichen Kontakte an, auch wenn der Umfang des Risikoanstiegs maßgeblich durch die persönlichen Verhaltensweisen geprägt wird. Es mag Menschen geben, die gerade in den Hochphasen der Infektion alle verzichtbaren Kontakte meiden. So hat auch die Klägerin angegeben, außer zur Arbeit nur zum Einkaufen gegangen zu sein. Das zusätzliche Risiko einer Infektion ist durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt. Den Versicherungsgrund wegen dieser Allgemeingefahr einzuschränken, obliegt allein dem Gesetzgeber (vgl. Molkentin, SGb 2022, 335, 337f).
Die Unfallkausalität wird vermutet, wenn außer dem kausalen Anknüpfungspunkt der versicherten Tätigkeit keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, a.a.O.). Hiervon kann im Fall der Klägerin nicht ausgegangen werden, denn im privaten Bereich (familiäre Kontakte, Einkaufen) gibt es solche Konkurrenzursachen. Das Gericht kann offenlassen, ob damit der von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang herangezogene Anscheinsbeweis (auch: Beweis des ersten Anscheins) vollständig ausscheidet. Ein solcher Anscheinsbeweis ist etwa angenommen worden, wenn jemand am Arbeitsplatz unter ungeklärten Umständen verunfallt, es aber keine Hinweise auf einen atypischen Geschehensablauf, also auf außerbetriebliche Ursachen gibt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, B 2 U 23/05 R, BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 22; BSG, Urteil vom 31. Januar 2012, B 2 U 2/11 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 43). Beim Anscheinsbeweis handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Bei typischen Geschehensabläufen erlaubt er den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs aufgrund von Erfahrungssätzen, auch wenn im Einzelfall entsprechende Tatsachen nicht festgestellt werden können (BSG, Urteil vom 31. Januar 2012, a.a.O.).
Im Fall der Klägerin ist es nicht so, dass der äußere, insbesondere zeitliche Zusammenhang eine Infektion am Arbeitsplatz naheliegt, nicht versicherte Umstände hingegen nicht vorhanden sind oder fernliegen. Es fehlt also bereits an einem typischen Geschehensablauf.
Die vom RKI entwickelten Maßstäbe zur Bestimmung von engen Kontaktpersonen mit erhöhtem Infektionsrisiko können dabei nicht unmittelbar herangezogen werden. Diese bewerten das Risiko einer (erfolgten) Übertragung als Voraussetzung für eine mögliche Isolierung. Sie orientieren sich am Abstand, der Dauer des Kontaktes, den äußeren Umständen (geschlossene Räume, Außenbereich) und dem Umstand, ob ein Mund-Nasen-Schutz (FFP2-Maske oder anderen Maske) getragen wurde. Die Hinweise verändern sich mit dem jeweils vorherrschenden Virustyp und dessen Ansteckungspotenzial sowie nach der Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Damit handelt es sich um eine ähnliche, aber nicht dieselbe Fragestellung, wie sie hier zu beurteilen ist.
Bei der Handlungsempfehlung der DGUV handelt es sich um Verwaltungsvorschriften, welche die Gerichte nicht binden. Inhaltlich knüpft sie an die Maßstäbe des RKI an und stellt dem denkbaren beruflichen Risiko außerberufliche Risiken gegenüber, sodass insoweit dieselben Vorbehalte gelten.
Letztlich ist eine Bewertung und Abwägung möglicher Risiken anhand den besonderen Umständen des Einzelfalles vorzunehmen (im Ergebnis ebenso Brandenburg/Woltjen, MedSach 2021, 113, 118; Siefert, NZS 2022, 209, 211).
Für eine Infektion am Arbeitsplatz spricht die zeitliche Abfolge des Nachweises der Infektionen von A über die Klägerin zu W. Ob A sich bei einem Arbeitskollegen oder im privaten Bereich infiziert hat, spielt keine Rolle, maßgeblich ist allein, dass er positiv getestet und damit infektiös war sowie der Kontakt zur Klägerin innerhalb der beruflichen Tätigkeit stattfand. Gegen eine Infektion der Klägerin am Arbeitsplatz spricht aber, dass zum damaligen Zeitpunkt kein weiterer Beschäftigter infiziert wurde. Dabei war die Infektionsgefahr bei diesen in größerer Weise vorhanden, da sie intensiver und länger Kontakt zu A hatten, als die hauptsächlich im Büro tätige Klägerin.
Zwischen der Klägerin und A, also der möglichen Infektionsquelle, fanden im maßgeblichen Zeitraum immer wieder Kontakte statt. Das hat die Beweisaufnahme ergeben. Hierbei handelte es sich Kontakte im Büro oder in der Fertigungshalle, vielleicht auch auf dem Gang des Betriebes oder bei ähnlichen Gelegenheiten. Die Kontakte waren von kurzer Dauer, wenn A im Büro Unterlagen abholen musste oder dort von der Klägerin Büromaterial erhielt, auch wenn die Klägerin ihm Lieferscheine in die Fertigungshalle brachte. Über Kontakte in der Umkleidekabine, wo die Klägerin wöchentlich die Arbeitskleidung der Beschäftigten wechselte, ist nichts berichtet worden. Sowohl die Klägerin wie A trugen zwar keine FFP2-Masken, aber einen Mund-Nasen-Schutz (OP-Masken). Das Gericht hält es für glaubhaft, dass diese Masken auch manchmal (absichtlich oder unabsichtlich) „verrutschen“ und dadurch den Mund-Nasen-Bereich nicht vollständig verdeckten. Die Häufigkeit der Kontakte zwischen A und der nur halbtags beschäftigten Klägerin war aber gering, vielleicht zwei bis dreimal am Tag, vielleicht auch geringfügig mehr.
Gegen eine Infektion der Klägerin am Arbeitsplatz durch W spricht schon der zeitliche Ablauf, denn die Infektion bei diesem wurde erst nach derjenigen der Klägerin festgestellt. Dass sich W bei der Klägerin angesteckt hat, ist möglich, liegt aber ebenfalls nicht näher als eine Infektion im außerberuflichen Bereich. Denn die Kontakte der Klägerin zu W waren nicht eng und auch hier gilt, dass andere Beschäftigte, die längeren und intensiveren Kontakt zu W hatten, sich nicht infizierten.
Auch ansonsten bestanden keine besonders gefahrerhöhenden Umstände am Arbeitsplatz, die sich verwirklicht haben könnten. Dies zeigt die vorgenommene Gefährdungsbeurteilung des Arbeitgebers, die darauf ausgerichtet war, Infektionsgefahren zu verringern. Auch nach den Angaben der Klägerin war man bemüht, Abstände einzuhalten und Kontakte zu minimieren.
Demgegenüber steht die Möglichkeit einer Infektion im privaten Bereich. Diese war grundsätzlich gegeben. Im Fall der Klägerin ereignete sich die Infektion in der zweiten Covid-19-Welle (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 10/2022, S. 4, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/10_22.pdf?__blob=publicationFile). Am Tag des Nachweises der Infektion der Klägerin bewertete das RKI die Fallzahlen als hoch und sprach von einem aktuell beschleunigten Wiedereinstieg der Inzidenz; Unterschiede zwischen Bundesländern und Landkreisen waren nicht relevant (vgl. tägliche Lagebericht des RKI vom 19. April 2021, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-19-de.pdf?__blob=publicationFile). Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele Infizierte letztlich nicht sicher sagen können, wo sie sich infiziert haben.
Vergleicht man die Infektionsgefahr durch den Kontakt der Klägerin mit A mit derjenigen allein während des von ihr eingeräumten Einkaufs von Lebensmitteln für eine vierköpfige Familie, so kann man nicht von einer typischen Gefährdung am Arbeitsplatz sowie einer zugleich fernliegenden Verursachung im nicht versicherten Bereich ausgehen. Auch in Lebensmittelgeschäften hat man einen ähnlichen, kurzzeitigen Kontakt mit anderen Personen, wie es die Klägerin im Verhältnis zu A geschildert hat, sei es wenn Waren aus den Regalen genommen werden, sei es in der Schlange vor der Kasse.
Die Klägerin geht davon aus, dass sie N infiziert hat. Genauso wäre es aber denkbar, dass sie von diesem, der am selben Tag wie sie positiv getestet wurde, infiziert wurde. Auch eine Infektion über die beiden anderen Kinder ist denkbar. Denn viele Infektionen verlaufen ganz oder phasenweise symptomlos. Die beiden weiteren Kinder sind nicht getestet worden, so dass eine Infektion nicht auszuschließen ist.
Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu Covid-19-Infektionen als Dienstunfällen (vgl. etwa VG Sigmaringen, Urteil vom 2. Februar 2022, 5 K 1819/21, NVwZ 2022, 496; VG Würzburg, Urteil vom 26. Oktober 2021, W 1 K 21.536) kann hier angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen nicht herangezogen werden, wäre aber im Ergebnis (Notwendigkeit der eindeutigen Bestimmung des Ereignisses) für die Klägerin nicht günstiger.
Bei der Gesamtbetrachtung ist die Unfallkausalität, auch wenn man die Grundsätze des Anscheinsbeweises heranzieht, nicht nachgewiesen. Damit hat die Klage keinen Erfolg haben können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.