L 3 U 144/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 2 U 17/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 144/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 120/22 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung

Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. September 2020 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 3101 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) -  Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im

Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war - in Bezug auf eine Infektion mit dem Erreger Methicillin resistenter Staphylococcus aureus (MRSA).

 

Die am 13. Oktober 1964 geborene Klägerin war nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester von September 1981 bis Ende August 1984 in diesem Beruf tätig, seit 1991 in der Notfallambulanz der Klinik N. Bis Juni 2017 hat sie dort Notfallpatienten, die u.a. mit dem Rettungswagen eingeliefert worden sind, behandelt. Sie hat z.B. EKGs und anderes Monitoring angelegt, Blut abgenommen und ins Labor gebracht, Wundversorgungen vorgenommen und die Patienten zum Röntgen gefahren. Am 19. November 2016 stach sie sich bei Aufräumarbeiten während ihrer Nachtschicht an einer benutzten Spritze in die Fingerkuppe. Über den Vorfall wurde kurze Zeit später ein Ambulanzbericht durch den Arbeitgeber der Klägerin erstellt. Zudem wurde die Verletzung vom Durchgangsarzt aufgenommen. Unmittelbar durchgeführte Tests auf Hepatitis B und C sowie auf HIV blieben ebenso wie die diesbezüglichen Kontrolluntersuchungen vom 16. März 2017 negativ.

 

Wegen eines linksseitigen Hörsturzes vom 14. Juni 2017 wurde die Klägerin im Zeitraum vom 15. bis zum 25. Juni 2017 HNO-ärztlich behandelt. Sie war in diesem Zeitraum arbeitsunfähig und erhielt ausweislich des Befundberichts des sie behandelnden Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. S hochdosiertes Prednisolon (750mg) sowie Pentoxifyllin per Infusion unter Eigenregie im Krankenhaus.

 

Die Klägerin stolperte am 23. Juni 2017 in ihrem Carport und prellte sich die rechte Hüfte. Nachdem zunächst kurzzeitig eine Besserung eingetreten war, kam es zur Entwicklung starker Schmerzen und hohen Fiebers. Sie stellte sich daraufhin am 24. Juni 2017 in der Notfallambulanz des Klinikums N vor und befand sich dort im Zeitraum vom 24. Juni bis zum 13. Juli 2017 in stationärer Behandlung. Es fand sich eine lokale Schwellung im Bereich der Hüftmuskulatur rechts. Auch waren bildmorphologisch kleinherdige Entzündungszellen im linken Lungenoberlappen nachweisbar. In den in der Klinik angelegten Blutkulturen vom 24. Juni 2017, im Labor eingegangen am 26. Juni 2017, sowie in einer weiteren am 26. Juni 2017 im Labor eingegangenen Blutprobe konnten MRSA in Form von grampositiven Haufenkokken  nachgewiesen werden. Am 26. Juni 2017 genommene Abstriche vom Haaransatz und im Nasen-/Rachenraum blieben dagegen MRSA-negativ. Es wurden die Resistenzen des im Blut gefundenen Erregers ermittelt und eine resistenzgerechte Antibiose durchgeführt. Blutkulturen vom 03. Juli und 06. Juli 2017 waren dann MRSA- negativ. Im Rahmen ihres Entlassungsberichtes über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 12. Juli 2017 äußerten die behandelnden Ärzte, dass es in der Gesamtschau denkbar sei, dass aufgrund der vorausgegangenen Prednisolon-Stoßtherapie bei Behandlung eines Hörsturzes eine hämatogene Infektion im muskulären Bereich um den Musculus lliopsoas (ein Hüftmuskel) stattgefunden habe.

 

Die Klägerin beantragte am 01. November 2017 die Anerkennung der Nadelstichverletzung als Arbeitsunfall, sie sah einen Zusammenhang zwischen der Stichverletzung und der MRSA-Infektion. Der Arbeitgeber der Klägerin zeigte am 14. September 2017 die Nadelstichverletzung vom 19. November 2016 als Arbeitsunfall an. Mit Bescheid vom 21. März 2018 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 19. November 2016 als Arbeitsunfall mit der Unfallfolge einer ausgeheilten Nadelstichverletzung am zweiten Zeigefinger rechts an. Der Hörsturz und die MRSA-Infektion seien jedoch keine Unfallfolge. Im Rahmen des hiergegen geführten Widerspruchsverfahrens nahm die Beklagte von Amts wegen im Januar 2018 Ermittlungen hinsichtlich des Vorliegens der hier streitigen Berufskrankheit Nr. 3101 im Zusammenhang mit MRSA auf. Sie holte u. a. einen Befundbericht des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. S vom 17. April 2018 über die Behandlung des Hörsturzes sowie der Hausärztin Dipl. Med. A vom 23. April 2018 und Auskünfte des Arbeitgebers der Klägerin zur Häufigkeit von MRSA-Fällen im Tätigkeitsbereich der Klägerin ein. Der Arbeitgeber gab an, dass am 19. November 2016 kein MRSA-Fall bekannt geworden sei.

 

In seinen von der Beklagten eingeholten gewerbeärztlichen Stellungnahmen vom 20. August 2018  und 05. Oktober 2018 führte der Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin Dr. S aus, die Klägerin habe im Juni 2017 wegen einer MRSA-Sepsis stationär behandelt werden müssen. Es sei wahrscheinlich, dass es bei ihr während ihrer Tätigkeit als Krankenschwester in der Notaufnahme zu einer Besiedelung mit MRSA gekommen sei. Die MRSA-Besiedelung ohne MRSA-lnfektion stelle keine Krankheit im Sinne des Berufskrankheitenrechts dar. Auslöser der MRSA-lnfektion mit Sepsis sei vermutlich die Prednisolon-Stoßtherapie im Rahmen der berufsunabhängigen Hörsturzbehandlung gewesen. Die Sepsis sei erfolgreich antibiotisch behandelt worden, eine fortbestehende MRSA-lnfektion sei nicht belegt. Weitere Ermittlungen oder eine Begutachtung hielt er nicht für erforderlich.

 

Die Beklagte wies den gegen die Anerkennung als Arbeitsunfall betreffenden Bescheid erhobenen Widerspruch der Klägerin am 23. Oktober 2018 zurück, die hiergegen unter dem Aktenzeichen S 2 U 108/18 erhobene Klage wies das SG Potsdam mit Gerichtsbescheid vom 13. August 2019 ab. Das Berufungsverfahren ist unter dem Aktenzeichen L 21 U 173/19 anhängig und ruht derzeit.         

 

Mit Bescheid vom 03. Dezember 2018 lehnte die Beklagte dann unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Gewerbearztes die Anerkennung der BK 3101 ab. Zur Begründung gab sie an, die bloße MRSA-Besiedelung stelle keine Krankheit im Sinne des Berufskrankheitenrechts dar. Auslöser der Erkrankung sei wahrscheinlich die Prednisolontherapie gewesen. Mit ihrem hiergegen am 10. Dezember 2018 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Therapie ihres Hörsturzes habe mit der MRSA-Erkrankung nichts zu tun, und bemängelte ein fehlendes Zusammenhangsgutachten. Die Beklagte holte eine weitere Auskunft des Arbeitgebers der Klägerin zu MRSA-Infektionen vom 23. Januar 2019 ein, wonach am 19. November 2016 ein Patient um 01.59 Uhr mit einem multiresistenten Keim, einem gramnegativen Erreger im Urin (3MRGN Klebsiella pneumoniae), behandelt worden sei. Sie wies den  Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2019 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, eine fortbestehende MRSA-lnfektion sei nicht belegt. Eine MRSA-Besiedelung sei keine Erkrankung und damit kein regelwidriger Körperzustand, sodass eine Anerkennung als Berufskrankheit nicht möglich sei.

 

Die Klägerin hat am 08. Februar 2019 Klage vor dem SG Potsdam erhoben. Im Betreff der Klage waren der Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2019 und die Anerkennung der Berufskrankheit genannt. Im mit der Klageschrift angekündigten Antrag hat die Klägerin dagegen den Bescheid vom 03. Dezember 2018 und den Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2019 aufgeführt und beantragt, die MRSA-Infektion als Folge des Arbeitsunfalls vom 19. November 2016 anzuerkennen. Zur Begründung hat die Klägerin angegeben, sie habe mit dem Stich an einer Kanüle beim Abräumen einer Behandlungsliege einen Arbeitsunfall erlitten, sei aufgrund des Unfalls MRSA-Trägerin und könne nicht mehr im OP eingesetzt werden. Sie ist der Auffassung der Beklagten, wonach eine MRSA-Besiedelung keine Erkrankung sei, entgegengetreten. Die Besiedelung sei in ihrem Fall einer Erkrankung gleichzustellen. Sie sei vergleichbar mit einer an HIV erkrankten Person in einem Status, in dem die Krankheit übertragen werden könne. MRSA sei der häufigste Krankenhauskeim und sie sei infolge ihrer beruflichen Ausübung beim Abräumen des OP-Tisches deutlich häufiger als die allgemeine Bevölkerung der Infektionsgefahr ausgesetzt. Die Klägerin hat eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers vom 11. September 2018 eingereicht, wonach sie aufgrund der MRSA-Erkrankung nur noch im Funktionsbereich eingesetzt werden könne, eine Tätigkeit im OP und auf der Intensivstation seien nicht mehr möglich. Zudem hat sie einen Laborbefund vom 03. April 2019 vorgelegt, wonach in einem Bindehautabstrich ihres linken Auges vereinzelt Koagulase-negative Staphylokokken nachgewiesen worden sind. Letztlich hat die  Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2019 zu verpflichten, eine BK  nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV (Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war) festzustellen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat die Gründe der angegriffenen Entscheidungen wiederholt und vertieft und darauf hingewiesen, dass eine feststellungsfähige Infektionskrankheit aktuell nicht nachgewiesen sei. Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 03. Juni 2019 hat das SG einen Befundbericht der die Klägerin behandelnden Fachärztin für Augenheilkunde Dr. S vom 08. August 2019 eingeholt, wonach ein Kontrollabstrich nach medikamentöser Therapie am 18. April 2019 negativ gewesen war.

 

Das SG hat  Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens, das der Arzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin Prof. Dr. Dr. K nach einer Untersuchung der Klägerin am 25. Mai 2020 unter dem 01. Juni 2020 erstellt hat. Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung hat die Klägerin geschildert, nach der Nadelstichverletzung für 4 bis 6 Wochen subfebrile Temperaturen und öfters Erkältungen gehabt zu haben. Sie leide zudem unter einer Hausstauballergie, habe im Jahr 2011 einen Bandscheibenvorfall erlitten und im Februar 2020 eine schwere Grippe durchgemacht. Die letzte Kontrolle auf MRSA habe im ersten Quartal 2018 stattgefunden und sei dreimal negativ ausgefallen. Die Klägerin hat weiter ständige Schmerzen in der rechten Gesäßhälfte, rezidivierende Beschwerden in der Lendenwirbelsäule, eine Armhebeschwäche nach einem privaten Unfall in 2016, Alpträume wegen Beschwerden, welche sie mit der MRSA-Erkrankung in Verbindung gebracht hat, und eine Verringerung der Abwehrkraft des Immunsystems seit 2017 beklagt. Zudem hat der Sachverständige über eine bei der Klägerin vorliegende Schuppenflechte an Kopfhaut und Ellenbogen, die bis auf geringfügige Effloreszenzen symptomfrei war, berichtet. In seiner Zusammenfassung hat der Sachverständige festgestellt, dass bei der Klägerin im Zeitraum Juni/Juli 2017 eine Infektion mit MRSA vorgelegen habe, für die die Prednisolonstoßtherapie in Verbindung mit der Hüftprellung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache sei. In Bezug auf das Bakterium Staphylococcus aureus hat er ausgeführt, dass dieses ein fakultativ-pathogenes Bakterium sei, das natürlicherweise die Oberflächen des Menschen besiedeln könne. Etwa 20 bis 30 % der Bevölkerung seien dauerhaft von dem Keim besiedelt, dessen primärer Standort der Nasenvorhof des Menschen sei und der von dort aus insbesondere Rachen sowie andere Haut- und Schleimhautareale besiedeln könne. Einer Besiedelung durch Staphylococcus aureus komme aber per se keine pathogene Bedeutung zu. Allerdings gehöre Staphylococcus aureus zu den häufigsten fakultativ-pathogenen Erregern des Menschen, die unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. nach Verletzungen der Hautbarriere) eine Vielzahl von Infektionen hervorrufen könnten. Als Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) würden Staphylococcus-aureus-lsolate bezeichnet, die eine Resistenz gegenüber ß-Lactamase-festen Penicillinen ausbilden würden. Nach den Angaben des Sachverständigen variiere die Rate der Träger eines in der Regel Antibiotika-sensiblen Staphylococcus aureus bei gesunden Erwachsenen zwischen 15 und 40 %. Die Trägerrate sei höher bei Personen, die häufig gegenüber Staphylococcus aureus exponiert seien und bei denen die Haut nicht intakt sei. So finde sich z. B. eine Besiedelung häufiger bei im Gesundheitswesen tätigen Personen, Patienten mit großflächigen Wunden, Patienten mit Tracheotomien (künstliche Beatmung) oder liegenden Kathetern, Dialysepatienten, Diabetikern, Atopikern sowie bei Patienten mit chronischer Pflegebedürftigkeit und bei Drogenabhängigen. In den meisten Fällen erfolge die Übertragung durch die Hände. Prädisponierend für Staphylococcus-aureus- Infektionen würden vor allem Diabetes mellitus, Dialysepflichtigkeit, das Vorhandensein von Fremdkörpern, Verletzungen der Haut als äußere Barriere, Immunsuppression oder bestimmte Infektionen z. B. mit Influenza A-Viren, wirken. Die

Klägerin habe Mitte Juni 2017 wegen eines Hörsturzes vom HNO-Arzt eine hochdosierte Kortison-Stoßtherapie erhalten. Das verabreichte Prednisolon unterdrücke die natürliche Abwehrfunktion. Durch die immundämpfende Wirkung komme es zur erhöhten Infektanfälligkeit. Im vorliegenden Fall sei es aufgrund der engen zeitlichen Abfolge von Kortison-Therapie und konsekutiver MRSA-Sepsis hinreichend wahrscheinlich, dass die Kortison-Therapie maßgeblich die MRSA-Infektion nach der Hüftprellung begünstigt habe. Auffällig dabei sei, dass bei der Klägerin keine Kolonisierung an typischer Stelle im Nasen-Rachen-Bereich habe festgestellt werden können. Aufgrund der zwischenzeitlich vielfältigen epidemiologischen Herkunftsorte der unterschiedlichen MRSA-Stämme könne er nicht sagen, wo die Infektionsquelle im vorliegenden Fall zu verorten sei. Es sei eine MRSA-lnfektion sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld möglich. Ein Zusammenhang mit der sieben Monate vorher stattgefundenen Nadelstichverletzung sei nicht wahrscheinlich. Für die Annahme eines derartigen Zusammenhangs würden entsprechende dokumentierte Brückensymptome fehlen. Hinsichtlich des Gefährdungspotenzials in deutschen Krankenhäusern hat der Sachverständige ausgeführt, dass etwa 18 bis 20 % aller aus klinischen Untersuchungsmaterialien im stationären Versorgungsbereich nachgewiesenen Staphylococcus aureus MRSA seien. Die zoonotische Übertragung von MRSA auf Menschen mit direktem Tierkontakt sei häufig. Regelmäßig wäre ein Import von sogenannten Community-associated MRSA (MRSA, die eine von stationären Einrichtungen unabhängige Epidemiologie haben) und MRSA aus tierischen Reservoiren in Krankenhäusern beschrieben. Beschäftigte im Gesundheitsdienst seien wegen der steigenden Anzahl von Patienten mit MRSA-Besiedelungen gefährdet. In der Literatur fänden sich verschiedene Untersuchungen zu MRSA-Übertragungen auf Beschäftigte im Gesundheitsdienst, die allerdings nur selten auf routinemäßig durchgeführten Untersuchungen basieren würden. Sie seien überwiegend im Rahmen von endemischen Ausbrüchen gewonnen worden. Eine Unterscheidung zwischen einer reinen Kolonisation und einer Infektion mit möglichen Erkrankungsfolgen sei dabei nur selten vorgenommen worden. Ein MRSA-Träger könne an einer MRSA-Pneumonie erkranken oder bei einer Operation eine MRSA- Wundinfektion erleiden. Auch könne es zu einer katheterassoziierten MRSA-lnfektion kommen. Keime, die in die Blutbahn gelangten, könnten eine Sepsis verursachen. Darüber hinaus stelle der MRSA-Träger eine Gefahr für andere Patienten dar. Bei Kontakt der Patienten untereinander (Händedruck, Verwechslung von Waschlappen etc.) oder bei unzureichender Händehygiene des Personals könnte MRSA übertragen werden und auch bei bisher nicht MRSA-besiedeIten Patienten zu einer Infektion führen. Bei der Klägerin habe keine Kolonisation festgestellt werden können. Im vorliegenden Fall habe sich die MRSA-lnfektion in der Muskulatur des rechten Oberschenkels (Hüfte) und im linken Lungenoberlappen manifestiert. Schließlich hat der Sachverständige teilweise den Einschätzungen des Gewerbearztes widersprochen. So sei bei der Klägerin keine Kolonisation mit MRSA nachgewiesen worden. Selbst wenn dem so wäre, sei es retrospektiv nicht möglich, die entsprechende Quelle im beruflichen oder privaten Bereich zu verorten. Zuzustimmen sei Dr. S dahingehend, dass die Prednisolon-Stoßtherapie im Zusammenwirken mit der Hüftprellung einen wesentlichen, dem privaten Bereich zuzuordnenden Realisationsfaktor für die MRSA- Sepsis darstellen würde, ohne den es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht zu der MRSA-lnfektion gekommen wäre. Eine BK 3101 könne daher nicht zur Anerkennung empfohlen werden.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 16. September 2020 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, dass bei ihr das Vorliegen der BK 3101 anerkannt werde. Gemäß § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) seien Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichne und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu diesen BK gehörten auch die unter Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV genannten Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt gewesen sei. Für die Voraussetzungen der BK 3101 sei zunächst festzustellen, dass die Klägerin nach der entsprechenden Ausbildung seit September 1984 in der Klinik in Nals Krankenschwester tätig gewesen sei, davon seit 1991 in der Notfallambulanz. Damit sei sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes bei der Beklagten versichert und gehöre grundsätzlich zu dem im Tatbestand der BK 3101 genannten Personenkreis. Eine von Mensch zu Mensch übertragbare Infektionskrankheit, die auf eine diesbezüglich erhöhte Infektionsgefahr aufgrund der Tätigkeit der Klägerin zurückzuführen sei, könne jedoch nicht festgestellt werden. Dabei sei zunächst zu beachten, dass sich eine symptomlose Infektion mit bestimmten Erregern grundsätzlich nicht unter den unfallversicherungsrechtlichen Begriff der „Krankheit" im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII und der BK 3101 subsumieren lasse. In der Sozialversicherung umschrieben Rechtsprechung und Literatur „Krankheit" auch im BK-Recht als regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand. „Regelwidrig" sei jeder Zustand, der von der Norm abweiche (normativer Krankheitsbegriff), die ihrerseits durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägt sei. „Gesundheit" wiederum sei derjenige Zustand, der dem einzelnen die Ausübung aller körperlichen Funktionen ermögliche. Folglich komme nicht jeder körperlichen Regelwidrigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Erforderlich sei vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde. Die im Rahmen der BK 3101 geforderte besondere Infektionsgefahr ersetze als eigenständiges Tatbestandsmerkmal die Einwirkung und sei mit dem weiteren Tatbestandsmerkmal „Verrichtung einer versicherten Tätigkeit" durch einen wesentlichen Kausalzusammenhang, hingegen mit der „Erkrankung" nur durch die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs verbunden. Die erhöhte Infektionsgefahr müsse im Vollbeweis vorliegen. Der Begriff der Gefahr setze eine Wahrscheinlichkeitsprognose voraus. Die besondere Infektionsgefahr im Sinne der BK 3101 könne sich im Einzelfall aufgrund der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit oder der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ergeben. Der Grad der Durchseuchung sei hinsichtlich der kontaktierten Personen als auch der Objekte festzustellen, mit oder an denen zu arbeiten ist. Lasse sich das Ausmaß der Durchseuchung nicht aufklären, könne aber das Vorliegen eines Krankheitserregers im Arbeitsumfeld nicht ausgeschlossen werden, sei vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen. Das Kriterium der mit der versicherten Tätigkeit verbundenen Übertragungsgefahr richte sich dann nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen. Der spezifische Übertragungsweg eines bestimmten Krankheitserregers sei unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und gegebenenfalls technischer Sachkunde dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu entnehmen. Als aktueller Erkenntnisstand seien solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden  Gegenstimmen abgesehen, Konsens bestehe. Da für die Anerkennung der BK 3101 eine schlichte Infektionsgefahr nicht genüge, sondern eine besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt werde, komme es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend seien. Die Durchseuchung des Arbeitsumfeldes auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stünden in einer Wechselbeziehung zueinander. An den Grad der Durchseuchung könnten umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen seien. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet seien, umso mehr erreiche das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung. Für den vorliegenden Fall sei zum einen festzustellen, dass bei der Klägerin nach Ausheilung ihrer MRSA-Sepsis im Juli 2017 keine MRSA-induzierte Infektion mehr nachgewiesen worden sei. Insbesondere handele es sich bei den Anfang April 2019 im Bindehautabstrich der Klägerin nachgewiesenen Koagulase-negativen Staphylokokken nicht um MRSA. Im Übrigen sei auch diese Infektion seit Mitte April 2019 ausgeheilt. Damit könne aktuell bei der Klägerin keine Funktionsstörung durch eine etwaige Besiedlung mit MRSA und damit keine Krankheit im Sinne des Berufskrankheitenrechts festgestellt werden. Auch eine Kolonisation mit MRSA sei außerhalb der im Juni 2017 stattgehabten Sepsis nicht nachweisbar gewesen. Im Hinblick auf die somit allein feststellbare abgelaufene Infektionskrankheit könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin durch ihre Tätigkeit der Infektionsgefahr besonders ausgesetzt gewesen sei. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen besiedele Staphylococcus aureus natürlicherweise die Oberflächen des Menschen und es seien etwa 20 bis 30 % der Bevölkerung dauerhaft kolonisiert. Genaue Angaben hinsichtlich des Durchseuchungsgrades von MRSA in Krankenhäusern im Verhältnis zum Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung habe der Sachverständige nach Auswertung der zu MRSA-lnfektionen vorliegenden Untersuchungen nicht machen können. Er habe darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren weltweit MRSA auch unabhängig von Krankenhausaufenthalten als Infektionserreger und Besiedler aufgetreten sei. Die Rate der Träger eines in der Regel Antibiotika-sensiblen Staphylococcus aureus variiere bei gesunden Erwachsenen zwischen 15 und 40 %. Zwar habe der Sachverständige ausgeführt, dass sich eine Besiedelung unter anderen häufiger bei im Gesundheitswesen tätigen Personen finde, eine wesentlich erhöhte Infektionsgefahr, wie sie Voraussetzung für die Anerkennung der BK 3101 wäre, könne hieraus jedoch nicht abgeleitet werden. Für den vorliegenden Fall sei als konkurrierende Ursache überdies die immunsuppressive Prednisolon-Therapie, die der MRSA-Sepsis im Bereich der geprellten Hüfte der Klägerin in zeitlich engem Zusammenhang vorausgegangen sei, zu beachten. Die Kammer halte im Ergebnis in Übereinstimmung mit den die Klägerin in der Klinik N behandelnden Ärzten, Dr. S und Prof. Dr. Dr. K die dem privaten Bereich zuzuordnende Prednisolon-Therapie in Zusammenhang mit der ebenfalls im häuslichen Bereich erfolgten Hüftprellung für die überwiegend wahrscheinliche Ursache der stattgehabten MRSA-lnfektion.

 

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 28. September 2020 zugestellte Urteil am 20. Oktober 2020 Berufung eingelegt. Das SG habe fehlerhafte Fakten zu Grunde gelegt, der Sachverständige Prof. Dr. Dr. K habe schwere Fehler gemacht. Er habe Daten und Zusammenhänge verwechselt und dadurch so getan, als hätte sie sich die MRSA-Infektion im privaten Bereich zugezogen und die Nadelstichverletzung sei erst später entstanden. Diesen Fehler habe das SG übersehen und übernommen. Es habe verkannt, dass die Nadelstichverletzung der Hüftprellung und der Prednisolontherapie vorausgegangen sei. Sie habe sich bei dem Nadelstich mit MRSA infiziert. Auch die Feststellung, dass keine Kolonisierung an typischer Stelle im Nasen-Rachenraum habe festgestellt werden können, sei nicht ausreichend, weil sie nichts über den noch vorhandenen Keim im Muskel aussage. Da sich bei ihr der Keim im Muskel befunden habe, liege ein dauerhafter Befall vor. Sie sei als eine im Gesundheitswesen tätige Person auch einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen. Der Gutachter gehe zwar davon aus, dass MRSA schon durch einen Händedruck oder einen verwechselten Waschlappen übertragen werden könne, zeige aber die Risikoverhältnisse im Krankenhaus nicht auf. Ihre MRSA-Erkrankung führe praktisch zu einem Berufsverbot, weil sie nicht mehr als OP-Schwester arbeiten dürfe, sie sei eine MRSA-erkrankte und –besiedelte Person. Da die Muskeln befallen seien, könne sie lebenslang erneut erkranken. Der Erreger sei im Blut gefunden worden und damit dauerhaft in ihrem Körper.  Dass sie vor dem Jahr 2017 nicht regelmäßig auf MRSA getestet worden sei, könne nicht zu ihren Lasten gehen. Zu der Behandlung des Hörsturzes hat die Klägerin vorgetragen, dass ihr das Prednisolon intravenös in der Rettungsstelle des Klinikums N vom 15. bis zum 18. Juni 2017 auf Verordnung ihres HNO-Arztes unter Absprache mit dem Oberarzt der Klinik verabreicht worden sei. Zu Anfang habe die Dosis 750mg betragen und sei dann reduziert worden. Das Pentoxifyllin habe sie oral eingenommen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. September 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2019 zu verpflichten, bei ihr das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV festzustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte hält unter Bezugnahme auf die Begründung ihrer Bescheide und die Ausführungen im Urteil des SG an ihrer Entscheidung fest. Das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten beruhe nicht auf falschen Fakten. Durch das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten werde dessen Ergebnis bestätigt. Die Klägerin sei aktuell keine erkrankte oder besiedelte Person.

 

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Sozialmedizin Dr. S vom 25. Mai 2021  nebst ergänzender Stellungnahme vom 18. Oktober 2021. Im Rahmen der zur Begutachtung am 25. Mai 2021 erfolgten Untersuchung hat die Klägerin geschildert, dass es im ersten Vierteljahr nach der Nadelstichverletzung bei ihr immer wieder zu Temperaturerhöhungen zwischen 37,5°C und 38,0°C gekommen sei, wobei sie einen Zusammenhang zur Nadelstichverletzung vermute. Eine ärztliche Vorstellung sei aber nicht erfolgt. Sie habe auch heute noch Probleme, insbesondere harte Stühle oder Druckschmerz im Bereich des rechten Gesäßes machten ihr zu schaffen, sie versuche dann, ihr Gewicht auf die andere Gesäßhälfte zu verlagern. Im Jahr 2020 habe sie noch einmal ähnliche Beschwerden wie im Juni 2017 verspürt, Bildgebung der Hüfte und des Beckens seien aber unauffällig gewesen. Latent bestünden noch immer Beschwerden, wobei nicht immer Schmerzmittel eingenommen werden müssten. Insgesamt fühle sie sich seit 2017 matt und abgeschlagen. Seit Januar 2017 sei es zu längeren Schlafphasen gekommen, die sonst nicht notwendig gewesen seien. Die Sachverständige hat dargelegt, bei der gutachterlichen Untersuchung am 25. Mai 2021 an verschiedenen Stellen der Haut und in der Nase genommenen Abstriche hätten keinen MRSA-Nachweis ergeben. Weiter hat die Sachverständige festgestellt, dass im Untersuchungszeitpunkt weder eine MRSA-Erkrankung noch eine Besiedelung noch eine persistierende Erkrankung nach stattgehabter Infektion vorliege. Die Klägerin sei während des stationären Aufenthaltes im Juni/Juli 2017 mit systemischer resistenzgerechter Therapie auf MRSA behandelt worden. Es sei von einer temporären MRSA-Infektion auszugehen, wobei eine Infiltration mit MRSA im Bereich der Hüfte nicht nachgewiesen worden sei. Die Blutkulturen seien nach antibiotischer Behandlung ebenso ohne MRSA-Nachweis geblieben wie wiederholte Abstriche an Prädilektionsstellen. Die Inkubationszeit betrage bei einer MRSA-Infektionen 4 bis 10 Tage. Bei Personen mit einer Besiedelung könne eine endogene Infektion aber auch erst Monate nach der initialen Kolonisation entstehen, wobei aber eine Besiedelung bei der Klägerin nie nachgewiesen worden sei. Ein von der Klägerin vermuteter Zusammenhang der jetzt noch geklagten Beschwerden im Rücken- und Gesäßbereich mit der MRSA-Infektion im Juli 2017 könne nicht gesehen werden. Die vorliegende Bildgebung und die klinische Untersuchung ließen ihre Beschwerden auf die Funktionsstörungen im Stütz- und Bewegungsapparat auf Grund degenerativer Veränderungen und eine muskuläre Dysbalance zurückführen. Mit der bakteriellen Entzündung im Auge im Jahr 2019 bestehe kein Zusammenhang, es seien unterschiedliche Keime nachgewiesen worden. Der Staphylococcus aureus sei diagnostisch durch den Koagulase-Nachweis von koagulase-negativen Staphylokokkenspezies (KNS) abzugrenzen. Dem privaten Lebensbereich der Klägerin zuordenbare Infektionsrisiken lägen nicht vor. Die von der Klägerin angegebene chronisch entzündliche Hauterkrankung (Psoriasis) habe keinen ausgedehnten Befund. Offene Hautbefunde seien nicht feststellbar gewesen. Allgemein gelte MRSA weltweit als Problemkeim in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Es können MRSA-Erkrankte und –Besiedelte ansteckend sein. In den meisten Fällen erfolge die Übertragung von Mensch zu Mensch durch die Hände des medizinischen Personals. Des Weiteren sei eine Übertragung durch am oder im Patienten eingesetzte Medizinprodukte möglich. Eine Übertragung könne aber auch außerhalb medizinischer Einrichtungen stattfinden. Man wisse zugleich, dass die Wahrscheinlichkeit des Nachweises mit der Nähe zu MRSA-kolonisierten und –infizierten Patienten sowie mit der Häufigkeit und Intensität des Kontaktes korreliere. Die Klägerin sei durch die jahrelange Tätigkeit als Krankenschwester in der Notaufnahme einem gegenüber der Allgemeinbevölkerung höherem Infektionsrisiko ausgesetzt, wobei mit der Durchführung der Standardhygienemaßnahmen das Risiko reduziert werde. Entsprechend den Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 2014 sei ein beruflich bedingter Erwerb der MRSA-Kolonisation bei Berufstätigen im Gesundheitswesen als wahrscheinlich anzusehen, wenn andere Risikofaktoren wie Herkunft aus Endemiegebieten, längere stationäre Krankenhausaufenthalte, Kontakt zur landwirtschaftlichen Tiermast oder außerberuflicher Kontakt zu Patienten mit chronischer Pflegebedürftigkeit ausgeschlossen werden könnten. Diese Umstände lägen bei der Klägerin nicht vor. Trotzdem könne das auslösende Ereignis der einmaligen Ansteckung hier nicht klar nachgewiesen werden. Ein Zusammenhang mit der Nadelstichverletzung vom 19. November 2016 werde als nicht wahrscheinlich angesehen. Die in der Folgezeit geklagten Beschwerden seien unspezifisch. Auf Grund der zeitlichen Nähe, unter Beachtung der Inkubationszeit von 4 bis 10 Tagen und einer durch die Prednisolongabe verminderten Abwehr sei die Behandlung im Rahmen des Hörsturzes als auslösendes Ereignis anzunehmen. Eine Kortisontherapie führe zu einer Immunschwäche, die mit einer erhöhten Infektionsgefahr verbunden sei. So habe die Prednisolongabe bei der Klägerin die Wahrscheinlichkeit für eine MRSA-Infektion erhöht. Eine hämatogene Infektion im Rahmen der Behandlung des Hörsturzes sei auch unter Berücksichtigung der Inkubationszeit naheliegend.

 

Mit Schreiben vom 18. März 2022, dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. März 2022 zugestellt, hat der Senat die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch den Senat nicht beabsichtigt sei, und eine Monatsfrist zur Stellung eines Antrags nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gesetzt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten zum vorliegenden Verfahren sowie zu dem beigezogenen Verfahren L 21 U 173/19  Bezug genommen. Die Akten haben in der mündlichen Verhandlung und bei der Entscheidung vorgelegen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

 

Das Urteil des SG Potsdam vom 16. September 2020 sowie der Bescheid der Beklagten vom 03. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Januar 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach BK Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV.

 

Zu Recht hat das SG angenommen, dass Streitgegenstand allein die Feststellung der Berufskrankheit BK 3101 und nicht die Feststellung der verbliebenen Folgen der als Arbeitsunfall anerkannten Nadelstichverletzung vom 19. November 2016 ist. Die Klageschrift war auf Grund der unterschiedlichen Angaben im Betreff und im Antrag nicht eindeutig. Eine Klarstellung ist jedoch spätestens im Termin zur mündlichen Verhandlung mit der dortigen Antragstellung erfolgt.

 

Rechtsgrundlage für die Feststellung einer BK ist § 9 Abs. 1 SGB VII. Danach sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung für die Feststellung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 - B 2 U 25/10 R – juris, Rn. 14; Urteil vom 02. April 2009 - B 2 U 30/07 R = BSGE 103, 45; BSGE 103, 59).

 

Der Verordnungsgeber hat die BK unter Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war". Unter der BK 3101 sind Krankheiten erfasst, die von Mensch zu Mensch übertragbar sind (vgl. Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu BK Nr. 3101 - Bek. des BMA vom 01. Dezember 2000, BArbBl. 1/2001 S. 35). Da sich bei der BK Nr. 3101 der Ansteckungsvorgang im Nachhinein häufig nicht mehr feststellen lässt, tritt an die Stelle der "Einwirkungen" im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 SGB VII eine erhöhte Infektionsgefahr, die im Vollbeweis vorliegen muss. Für die haftungsbegründende Kausalität wird dagegen nicht die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der besonderen Infektionsgefahr und der Infektionskrankheit gefordert, sondern nur dessen Möglichkeit (BSG, Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 30/07 R –, Rn. 34, juris; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 9.1.3, S. 742). Ob der Versicherte einer der versicherten Tätigkeit innewohnenden "Infektionsgefahr in besonderem Maße" ausgesetzt war, hängt einerseits von der Durchseuchung des Umfelds der Tätigkeit, d. h. der kontaktierten Personen sowie der Objekte, mit oder an denen zu arbeiten ist, und andererseits von der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ab, die sich nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten verrichteten gefährdenden Handlungen bestimmt. Da für die Anerkennung der BK 3101 nicht eine schlichte Infektionsgefahr genügt, sondern eine besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt wird (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII), kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind (vgl. BSG, Urteile vom 15. September 2011 - B 2 U 22/10 - und vom 02. April 2009 - B 2 U 30/07 -, juris).

 

Die von der Klägerin zur Feststellung begehrte Infektionskrankheit mit einem MRSA-Erreger lag bei ihr allein im Zeitraum vom 24. Juni 2017 bis zum 02. Juli 2017 vor (1). Diese Erkrankung wurde aber nicht durch die berufliche Tätigkeit der Klägerin im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium oder durch eine andere Tätigkeit bei der sie einer Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war, verursacht (2).

 

1. Eine MRSA-indizierte Infektionskrankheit lag nur im Zeitraum vom 24. Juni 2017 bis zum 02. Juli 2017 vor.

 

a. Staphylococcus aureus ist nach den Ausführungen in den gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten und den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein fakultativ-pathogenes Bakterium, das natürlicherweise die Oberflächen des Menschen besiedeln („kolonisieren“) kann. Etwa 20 bis 30% der Bevölkerung sind dauerhaft kolonisiert. Primärer Standort ist der Nasenvorhof des Menschen, von dem aus insbesondere der Rachen sowie andere Haut- und Schleimhautareale besiedelt werden können (z. B. Leistenregion, Achseln, Perineum). Einer Besiedlung durch Staphylococcus aureus kommt danach per se keine pathogene Bedeutung zu; Menschen können besiedelt sein, ohne Symptome zu entwickeln. Jedoch gehört Staphylococcus aureus zu den häufigsten fakultativ pathogenen Erregern des Menschen, die unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. nach Verletzungen der Hautbarriere) eine Vielzahl von Infektionen hervorrufen können (Empfehlungen zur Prävention  und Kontrolle von Methicillinresistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, Empfehlung der Kommission für  Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut, Bundesgesundheitsbl. 2014, 57, S. 696–732). Ein Teil der Stämme des Staphylococcus aureus haben eine Resistenz gegen Methicillin (und z. T. auch andere Antibiotika) entwickelt. Nur diesen Anteil bezeichnet man als MRSA (Methicillin resistenter Staphylococcus aureus).

 

b. Für den Zeitraum vom 24. Juni 2017 bis zum 02. Juli 2017 lag bei der Klägerin eine durch MRSA ausgelöste Infektionskrankheit vor. Der Begriff der Krankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ist ausgehend vom Schutzzweck der Unfallversicherung weit auszulegen und entspricht in etwa dem medizinischen Krankheitsbegriff. Danach ist unter Krankheit ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand zu verstehen. Regelwidrig ist ein Körperzustand, der von der Norm abweicht, die dem Leitbild des gesunden Menschen entspricht. Der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand setzt weder Arbeitsunfähigkeit noch Behandlungsbedürftigkeit noch eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) voraus (Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08. Mai 2014 – L 3 U 228/12 –, Rn. 41, juris, m. w. N.).

 

Der MRSA-Keim hatte bei der Klägerin in dem benannten Zeitraum eine Erkrankung ausgelöst. Hiervon ist der Senat aufgrund der Gutachten des erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen, des Facharztes für Arbeitsmedizin Prof. Dr. Dr. K vom 01. Juni 2020 und der vom Senat beauftragen Sachverständigen, der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Sozialmedizin Dr. S vom 25. Mai 2021 nebst ergänzender Stellungnahme vom 18. Oktober 2021 im Sinne des erforderlichen Vollbeweises überzeugt. Unter Auswertung der anlässlich des stationären Aufenthaltes der Klägerin vom 24. Juni 2017 bis zum 13. Juli 2017 erhobenen klinischen Befunde und der Laborbefunde legen die Gutachter übereinstimmend und für den Senat überzeugend dar, dass die Klägerin an einer temporären MRSA-induzierten Sepsis litt. Dabei kann offen bleiben, ob sich – wovon Prof. Dr. Dr. K ausgeht – die MRSA-Infektion in der Muskulatur des rechten Oberschenkels (Hüfte) und im linken Lungenoberlappen manifestierte oder ob – wovon Dr. S ausgeht – eine Infiltration mit MRSA im Bereich der Hüfte nicht nachgewiesen sei. Die Gutachter führen – insoweit aber übereinstimmend – aus, dass auf Grund der klinischen Symptome, der Bildgebung, der Serologie und des Ansprechens auf die Verabreichung von Reserveantibiotika von einer temporären MRSA-Infektion auszugehen sei. Dies ist ohne weiteres nachvollziehbar. Die am 26. Juli 2017 untersuchten Blutproben ergaben eindeutig das Vorkommen von MRSA-Erregern im Blut der Klägerin. Der Keim war daher bereits in den Körper der Klägerin gelangt und hatte dort klinische Symptome mit Fieber und Schmerzen und damit einen regelwidrigen Körperzustand im Sinne einer Erkrankung hervorgerufen.

 

Bei einer Infektion mit MRSA handelt es sich auch um eine von Mensch zu Mensch übertragbare Infektionskrankheit. MRSA wird, wie Staphylokokkus aureus vorwiegend,

über direkte oder indirekte Kontakte übertragen. Kolonisierte Personen geben den Erreger in unterschiedlichem Maß in die Umgebung ab. Die Hände des Personals sind der wichtigste Übertragungsweg von MRSA in medizinischen Einrichtungen (Empfehlungen zur Prävention  und Kontrolle von Methicillinresistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, Empfehlung der Kommission für  Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut, Bundesgesundheitsbl 2014, 57, S. 696-732, S. 705f.). Das auch eine Übertragung von Tier zu Mensch möglich ist, steht der Einordnung unter die BK 3101 nicht entgegen, insbesondere weil hier für eine solche zoonotische Übertragung keinerlei Anhaltspunkte sprechen.

 

c. Eine Erkrankung der Klägerin durch MRSA kann für Zeiträume vor dem 24. Juni 2017 und für die Zeit ab dem 03. Juli 2017 zur Überzeugung des Senats nicht im dafür erforderlichen Vollbeweis festgestellt werden.

 

Ausgehend von dem unter b. dargestellten Krankheitsbegriff, der einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand voraussetzt, und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG ist bei MRSA-Erregern noch nicht bei einer reinen Besiedelung der Haut oder des Nasen-/Rachenraumes von einer Erkrankung auszugehen. Nach dem vom BSG auch dem Unfallversicherungsrecht zu Grunde gelegten funktionellen Krankheitsbegriff (grundlegend: BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R -, juris) kommt nicht jeder körperlichen Regelwidrigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird. Ausgehend von diesem normativ-funktionellen Krankheitsbegriff reicht die bloße Aufnahme schädigender Substanzen (z. B. Infektionserreger, Asbest, Quarzstaub) in den Körper allein im Regelfall nicht aus. Vielmehr ist es grundsätzlich notwendig, dass diese Einwirkung über zunächst rein innerkörperliche Reaktionen (i. S. normabweichender physiologischer oder biologischer Prozesse) oder Strukturveränderungen hinaus zu (irgend)einer Funktionsstörung führt (z. B. leistungsmindernde Beeinträchtigung von Atmung oder Kreislauf). Diese Auffassung wird durch die Gesetzessystematik des BK-Rechts bestätigt. Denn das Gesetz unterscheidet zwischen einer bereits eingetretenen BK, einer individuell drohenden – also noch nicht eingetretenen – BK sowie der generellen Gesundheitsgefahr am Arbeitsplatz. Dementsprechend differenziert das Unfallversicherungsrecht zwischen der Generalprävention (§§ 14 ff. SGB VII) zur Vermeidung von schädigenden Einwirkungen auf die Versicherten am Arbeitsplatz, den individualpräventiven Maßnahmen nach § 3 BKV bei einer drohenden Gefahr der Entstehung, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens einer BK sowie Maßnahmen (Heilbehandlung, berufliche Rehabilitation, Entschädigung, §§ 26 ff. SGB VII) bei einer anerkannten BK. Die individualpräventiven Maßnahmen nach § 3 BKV stehen somit an der Nahtstelle zwischen stattgehabter Einwirkung und dem Eintritt des Versicherungsfalls. Eine Schadstoffinkorporierung, zu der auch die Aufnahme von Krankheitserregern zählt, kann im Einzelfall die Voraussetzung einer drohenden Gefahr i. S. des § 3 BKV erfüllen, wenn die Gefahr des Eintritts eine mehr als entfernte Möglichkeit darstellt. Aus der normativen Differenzierung zwischen drohender BK i. S. des § 3 BKV und eingetretener BK i. S. des § 9 SGB VII folgt zugleich, dass die bloße Aufnahme eines schädlichen Stoffes grundsätzlich der erstgenannten Fallgruppe zuzuordnen ist (BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R -, juris).

 

Allein die Besiedelung mit MRSA, die typischerweise auf der Haut oder im Nasen-/Rachenraum zu finden ist, führt noch nicht zur Störung irgendwelcher Körperfunktionen. Ihr allein kommt keine pathogene Bedeutung zu. Erst unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. nach Verletzungen der Hautbarriere) kann der Keim eine Vielzahl von Infektionen hervorrufen, die ihrerseits symptomatisch verlaufen und Körperfunktionen beeinträchtigen  können. Aber auch wenn man der vereinzelt geübten Kritik am funktionellen Krankheitsbegriff (Linder: „Funktioneller“ Krankheitsbegriff im Recht der Berufskrankheiten?,  SGb 2018, 475ff.) folgen und es ggf. ausreichen lassen würde, dass der Versicherte Träger des Keimes ist, wäre entgegen der Auffassung der Klägerin eine Infektionskrankheit über den Zeitraum der akuten Infektion im Juni/Juli 2017 hinaus nicht festzustellen. Zur Überzeugung des Senats fehlt es für weitere Zeiträume an dem hierfür erforderlichen Vollbeweis sowohl hinsichtlich einer Erkrankung der Klägerin auf Grund einer Infektion mit MRSA als auch hinsichtlich einer  Besiedelung der Klägerin mit dem Keim. Der Senat folgt auch insoweit den Ausführungen von Dr. S in ihrem Gutachten vom 25. Mai 2021 nebst ergänzender Stellungnahme vom 18. Oktober 2021 sowie von Prof. Dr. Dr. K in seinem Gutachten vom 01. Juni 2020. Danach hat lediglich im Juni/Juli 2017 eine temporäre Infektion mit  MRSA vorgelegen. Dr. S geht nach Durchführung von Abstrichen u. a. im Nasen-/Rachenraum davon aus, zum Untersuchungszeitpunkt habe weder eine MRSA-Erkrankung noch eine Besiedelung noch eine persistierende Erkrankung nach stattgehabter Infektion vorgelegen. Sie legt zudem unter Auswertung der eingeholten Befundberichte, der Labordaten, des Entlassungsberichts des Klinikums N sowie der Schilderungen der Klägerin schlüssig und überzeugend dar, dass die  Klägerin während ihres Krankenhausaufenthaltes erfolgreich mit einer systemischen resistenzgerechten Therapie auf MRSA behandelt worden sei. Die Blutkulturen seien nach antibiotischer Behandlung ebenso ohne MRSA-Nachweis geblieben wie wiederholte Abstriche an Prädilektionsstellen. Eine Besiedelung sei bei der Klägerin nie nachgewiesen worden. Der Senat hat keinen Anlass, von diesen Bewertungen abzuweichen. Ein MRSA-Keim wurde bei der Klägerin in den genannten Zeiträumen weder im Blut noch durch Abstriche oder durch klinische Befunde nachgewiesen. Abstriche der Haut sowie aus dem Nasen- und Rachenraum sind vor dem 26. Juni 2017 nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen und insoweit übereinstimmend mit den Angaben der Klägerin nicht erfolgt. Am 26. Juni 2017 sowie danach genommene Abstriche ergaben keinen positiven MRSA-Befund. Lediglich die am 26. Juni 2017 untersuchten Blutproben wiesen den Erreger auf, weitere am 03. Juli und 06. Juli 2017 in der Klinik angelegte Blutkulturen waren nach der resistenzgerechten Antibiotika-Behandlung bereits wieder negativ.

 

Etwas anderes folgt auch nicht aus den gewerbeärztlichen Stellungnahmen des Dr. S vom 20. August 2018 und vom 05. Oktober 2018. Darin empfiehlt Dr. S zwar nicht die Anerkennung der BK 3101, hält es aber für wahrscheinlich, dass es während der Tätigkeit als Krankenschwester bei der Klägerin zu einer MRSA-Besiedelung gekommen sei. Die von Dr. S angenommene Wahrscheinlichkeit einer Besiedelung genügt – ungeachtet der Frage, ob es sich bei der Besiedelung schon um eine Erkrankung handelt – schon nicht den Anforderungen an einen Vollbeweis der Infektionskrankheit. Zudem hält der Senat die Ausführungen zur Wahrscheinlichkeit der Besiedelung angesichts des Umstandes, dass eine Besiedelung zu keinem Zeitpunkt, insbesondere nicht einmal zum Zeitpunkt der Akutinfektion nachgewiesen wurde, schon nicht für überzeugend. Dr. S erläutert in keiner Weise, weshalb er trotz negativer Abstriche überhaupt eine Besiedelung für wahrscheinlich hält. Insoweit folgt der Senat der von Prof. Dr. Dr. K geübten Kritik an den Bewertungen des Gewerbearztes.

 

Auch die im April 2019 erlittene Bindehautentzündung wurde nicht durch MRSA verursacht. Nachdem die Klägerin sich bei der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. S wegen eines Juckreizes im linken Auge vorgestellt hatte, ergab der   Abstrich mit microbieller Befunderhebung den vereinzelten Nachweis von teilweise antibiotikaresistenten Koagulase-negativen Staphylokokken. Koagulase-negative Staphylokokken ist ein Oberbegriff für Staphylokokken-Spezies, die keine Koagulase ausbilden. Da Koagulase ein wesentliches Merkmal von Staphylococcus aureus ist, handelt es sich bei Koagulase-negativen Staphylokokken sozusagen um die "Nicht-Aureus-Staphylokokken" (https://flexikon.doccheck.com/de/Koagulase-negative_ Staphylokokken). Nach den Ausführungen von Dr. S in ihrem Gutachten vom 25. Mai 2021 wird daher Staphylococcus aureus auch diagnostisch durch den Koagulase-Nachweis von koagulase-negativen Staphylokokkenspezies abgegrenzt.

           

Die von der Klägerin für einen Zeitraum von 4 bis 6 Wochen nach der Nadelstichverletzung und Anfang 2017 geklagte Abgeschlagenheit und immer wieder auftretende erhöhte Temperaturen vermögen den Vollbeweis für eine MRSA-Infektion ebenfalls nicht zu erbringen. Sie sind weder dokumentiert noch handelt es sich hierbei nach den überzeugenden Feststellungen der Gutachterin Dr. S um spezifische Symptome einer MRSA-Infektion. Dies ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar, zumal die Klägerin bei Prof. Dr. Dr. K angegeben hatte, wiederholt an Erkältungen gelitten zu haben, was zu dieser Jahreszeit (Winter 2016/2017) nicht untypisch ist.

 

Außerhalb des unter b. genannten Zeitraums ist daher noch nicht einmal eine Trägerschaft des Keims nachgewiesen. Es lag damit erst Recht weder eine Infektion noch eine Infektionskrankheit vor.

 

d. Ob die von der Klägerin noch geklagten Beschwerden im Bereich der Hüfte und des Oberschenkels eine etwaige Folge der stattgehabten MRSA-Infektion sind, ist für die hier allein in Streit stehende Anerkennung einer Berufskrankheit nicht von Relevanz, sondern wäre – bei Feststellung der akuten MRSA-Infektion als BK – erst bei der Frage einer verbliebenen Minderung der Erwerbsfähigkeit zu diskutieren.

 

2. Die MRSA-Infektion im Juni 2017 wurde nicht durch die berufliche Tätigkeit der Klägerin im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium oder durch eine andere Tätigkeit, durch die sie der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war, verursacht.

 

Die Klägerin war im Zeitraum der Infektion als Krankenschwester im Gesundheitsdienst beschäftigt und gehörte daher zu dem von der BK 3101 besonders geschützten Personenkreis. Es ist aber bereits zweifelhaft, ob die Klägerin bei ihrer beruflichen Tätigkeit  im Hinblick auf MRSA einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt war (a.). Zudem wäre auch bei Unterstellung einer besonderen Infektionsgefahr die MRSA-Infektion nicht durch diese Gefahr verursacht worden (b.).

 

a. Im Rahmen des Tatbestandes der BK 3101 ersetzt das einer Infektionsgefahr in besonderem Maße Ausgesetztsein das sonst erforderliche Merkmal der krankmachenden Einwirkung auf den Körper. Der Senat legt bei der Betrachtung der Infektionsgefahr nicht nur die akute Infektionskrankheit zu Grunde, sondern im Hinblick darauf, dass die Besiedelung bei einer entsprechenden Verletzung der Haut die Infektionskrankheit verursachen kann und dies einen typischen Weg darstellt, schon die Gefahr der initialen Besiedelung mit MRSA-Keimen.

 

aa. Ob eine besondere Infektionsgefahr vorliegt, ergibt sich aus dem Durchseuchungsgrad des Tätigkeitsbereichs und dem Übertragungsrisiko bei den konkret verrichteten Tätigkeiten. Sie muss mit Vollbeweis gesichert sein. Der Durchseuchungsgrad ist anhand der kontaktierten Personen sowie Objekte festzustellen. Lässt er sich nicht ermitteln, sind aber Krankheitserreger im Arbeitsumfeld nicht auszuschließen, ist vom Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 30/07 R –, juris). Die Durchseuchung des Arbeitsumfeldes auf der einen und die Übertragungsgefahr der versicherten Verrichtungen auf der anderen Seite stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. An den Grad der Durchseuchung können umso niedrigere Anforderungen gestellt werden, je gefährdender die spezifischen Arbeitsbedingungen sind. Je weniger hingegen die Arbeitsvorgänge mit dem Risiko der Infektion behaftet sind, umso mehr gewinnt das Ausmaß der Durchseuchung an Bedeutung. Allerdings muss zumindest die Möglichkeit einer Infektion bestehen. Kommt indes eine Infektion in Betracht, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung der Durchseuchung und der Übertragungsgefahr festzustellen, ob sich im Einzelfall eine Infektionsgefahr ergibt, die nicht nur geringfügig erhöht ist, sondern in besonderem Maße über der Infektionsgefahr in der Gesamtbevölkerung liegt (BSG, Urteil vom 02. April 2009 –,  - B 2 U 30/07 R -, juris). Damit bedarf es tatsächlicher Feststellungen zum Vorliegen einer konkret erhöhten Infektionsgefahr. Dies beinhaltet Feststellungen zu der Frage, ob die Verrichtungen der Klägerin sie mit einer infizierten Person oder einem durchseuchten Objektbereich in Berührung gebracht haben oder ob die Verrichtungen im Hinblick auf den Übertragungsmodus des MRSA-Keims sowie ihrer Art, Häufigkeit und Dauer nach besonders infektionsgefährdend waren (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 – B 2 U 22/10 R –, Rn. 17, juris).

 

bb. Der Durchseuchungsgrad des Arbeitsumfeldes der Klägerin mit MRSA-Trägern lässt sich konkret nicht mehr feststellen. Der Arbeitgeber der Klägerin hat nach Auskunft der Klägerin bei der Aufnahme von Patienten nicht grundsätzlich MRSA-Screenings durchgeführt. Nach dessen Mitteilung vom 02. Juni 2018 an die Beklagte könne keine Auskunft über den Umgang der Klägerin mit MRSA-Patienten gemacht werden, da das Klientel der Notfallversorgung nicht bekannt sei. Ein direkter Kontakt der Klägerin zu einem MRSA-Infizierten oder einem Träger des Keims ist ebenfalls nicht nachgewiesen. Soweit der Arbeitgeber der Klägerin mit seinem Schreiben vom 23. Januar 2019 mitgeteilt hat, dass bei einem Patienten am 19. November 2016 um 01.59 Uhr ein gramnegativer Erreger im Urin (3MRGN Klebsiella pneumoniae) festgestellt worden sei, ist dies für die Infektion der Klägerin im Juni 2017 weder im Hinblick auf eine konkrete Ansteckung relevant noch lässt dieser Umstand einen Schluss auf die allgemeine Infektionsgefahr bei der konkreten Tätigkeit der Klägerin zu. Zwar mag der bei dem Patienten festgestellte Erreger Klebsiella ebenfalls methicillinresistent gewesen sein. Die Klägerin hatte aber eine Infektion mit Staphylokokken (MRSA) erlitten. Dabei handelt es sich um eine andere Klasse von Bakterien, die im übrigen grampositiv ist; bei der Klägerin wurden grampositive Haufenkokken nachgewiesen.

 

Es kann auch allgemein für Notaufnahmen in Krankenhäusern ein bestimmter Durchseuchungsgrad nicht festgestellt werden. Zwar ist das Auftreten von MRSA in Krankenhäusern charakterisiert durch die Aufnahme besiedelter bzw. infizierter Patienten sowie die potenzielle Übertragung durch die Hände des medizinischen Personals, die Möglichkeit einer monatelangen Persistenz bei nasaler Besiedlung bzw. bei Infektionen mit diesem Erreger sowie durch die Umweltresistenz  (RKI-Ratgeber, Staphylokokken-Erkrankungen, insbesondere Infektionen durch MRSA, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Staphylokokken_MRSA.html, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2022), konkrete Daten liegen dieser Aussage aber nicht zu Grunde. Prof. Dr. Dr. K führt hierzu in seinem Gutachten aus, dass genaue Angaben hinsichtlich des Durchseuchungsgrades von MRSA in Krankenhäusern im Verhältnis zum Durchseuchungsgrad der Gesamtbevölkerung nach Auswertung der zu MRSA-lnfektionen vorliegenden Untersuchungen nicht gemacht werden könnten. Die in Bezug auf Krankenhäuser vorhandenen Daten werden zudem in der Regel nur in Bezug auf das Verhältnis von MRSA in Bezug zu Staphylococcus aureus angegeben bzw. nur Befunde aus Blut- und Liquoruntersuchungen gemeldet (vgl. z. B. RKI, Epidemiologisches Bulletin, Eigenschaften, Häufigkeit und Verbreitung von MRSA in Deutschland, 01. Februar 2018). Auf Grund dieser Daten und einzelner Erhebungen kann ein allgemeiner Schluss auf eine erhöhte Durchseuchung von Patienten in der Notaufnahme zur Allgemeinbevölkerung nicht getroffen werden. Die Prävalenz einer MRSA-Kolonisation für Patienten in Kliniken und Pflegeeinrichtungen in Europa variiert aufgrund unterschiedlicher Screening- und Präventionsmaßnahmen zwischen 1% und 20 %. Die durchschnittliche MRSA-Prävalenz im Gesundheitsdienst lag bei punktuellen Untersuchungen zwischen 1,1% und 5,4 %  (Erfurt-Berge, Schmidt, Angelovska, Prof. Dr. med. Mahler: Beruflich erworbene MRSA-Besiedelung in der berufsdermatologischen Begutachtung (BK-Nr. 3101), Der Hautarzt 2020, S. 613ff., S. 613 m. w. N.) bzw. zwischen 0,4% und 5,3% (Empfehlungen zur Prävention  und Kontrolle von Methicillinresistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, Empfehlung der Kommission für  Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut, Bundesgesundheitsbl. 2014, 57, S. 696–732, S. 704). In Krankenhäuserin in Südbrandenburg wurde bei einer Erhebung im Jahr 2010 bei 0,77% der 13.855 Patienten MRSA nachgewiesen. In anderen Regionen Deutschlands lag die MRSA-Prävalenz dagegen zwischen 1,2 und 3,4 (RKI, Epidemiologisches Bulletin, 27. Februar 2012, m. w. N.). Aussagen, die eine Schlussfolgerung auf den Grad der Durchseuchung von Patienten in der Notaufnahme allgemein oder in Bezug auf die Notaufnahme des Krankenhauses, in dem die Klägerin beschäftigt war, zuließen, lassen sich daraus nicht ableiten. Ebenso vermag der Senat nicht die der Durchseuchung am Arbeitsplatz der Klägerin gegenüberzustellende allgemeine Durchseuchung der Bevölkerung mit MRSA festzustellen. MRSA werden mit unterschiedlicher Häufigkeit auch als Besiedler des Nasenvorhofes sowie von Wundabstrichen in der nicht hospitalisierten Bevölkerung nachgewiesen (RKI-Ratgeber, Staphylokokken-Erkrankungen, insbesondere Infektionen durch MRSA, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Staphylokokken_MRSA.html, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2022). Jedoch ist der allgemeine Durchseuchungsgrad mit MRSA in Deutschland nicht bekannt (https://www.mrsa-net.nl/de/personal/mrsa-allgemein-personal/was-ist-mrsa-personal/390-wie-haufig-gibt-es-mrsa-in-deutschland, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2022; Empfehlungen zur Prävention  und Kontrolle von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, Empfehlung der Kommission für  Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut, Bundesgesundheitsbl. 2014, 57, S. 696–732, S. 701 und 703). Letzlich kann eine erhöhte Durchseuchung im Krankenhaus - insbesondere in der Notaufnahme - nicht festgestellt werden. Es ist somit von einem Durchseuchungsgrad wie in der Allgemeinbevölkerung auszugehen.

 

cc. Ob die Infektionsgefahr der Klägerin durch ihre spezifischen Arbeitsbedingungen besonders erhöht ist, ist zweifelhaft. Die Wahrscheinlichkeit einer MRSA-Übertragung hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Infektions- und Transmissionsdosis von MRSA unter klinischen Bedingungen ist unbekannt. Die Untersuchungen beziehen sich dabei im wesentlichen auf die Risiken, denen ein Patient im Rahmen einer medizinischen Behandlung ausgesetzt ist (vgl. hierzu z. B.  Empfehlungen zur Prävention  und Kontrolle von Methicillinresistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, Empfehlung der Kommission für  Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut, Bundesgesundheitsbl. 2014, 57, S. 696–732, S. 706). Nach Aussagen in fast allen Quellen erfolgt die Übertragung durch die Hände des medizinischen Personals (z. B. RKI-Ratgeber, Staphylokokken-Erkrankungen, insbesondere Infektionen durch MRSA, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Staphylokokken_MRSA.html, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2022). Diese Aussagen sind aber nur allgemein gehalten und aus Sicht des Krankenhauspatienten formuliert, so dass eine Übertragung auf Patienten und nicht auf das Personal gemeint sind. Es kann auf Grund dessen keine Aussage zu einer Infektionsgefahr der Klägerin bei ihrer konkreten Tätigkeit  getroffen werden.  Nach den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. K fänden sich zwar verschiedene Untersuchungen zu MRSA-Übertragungen auf Beschäftigte im Gesundheitsdienst, die allerdings nur selten auf routinemäßig durchgeführten Untersuchungen basieren würden und überwiegend im Rahmen von endemischen Ausbrüchen gewonnen worden seien. Ihnen kommt damit bezogen auf den konkreten Fall, dem kein endemischer Ausbruch zu Grunde lag, keine Aussagekraft zu.

 

Die Klägerin hat als Krankenschwester in der Notfallambulanz, beim Versorgen von Wunden der Patienten, dem Anlegen von Monitoring-Geräten, der Blutabnahme und sonstigen Unterstützungsleistungen täglich mehrfach Patientenkontakt mit Hautberührung. Potentiell ist die Gefahr der Übertragung der MRSA-Erreger deshalb bei ihr als erhöht anzusehen. Diese Gefahr wird aber, und hierin ist auch der wesentliche Unterschied zur Übertragung durch das medizinische Personal auf den Patienten zu sehen, durch die allgemeinen einzuhaltenden Hygienemaßnahmen wie z. B. das Tragen von Handschuhen und die regelmäßige Händedesinfektion reduziert. Als Instrument zur Vermeidung von MRSA-Übertragungen und zum Schutz des Personals gehören Maßnahmen der Basishygiene, unter der ein Bündel persönlicher, technischer und organisatorischer Maßnahmen verstanden wird, die im Umgang mit allen Patienten und pflegebedürftigen Personen zu beachten und anzuwenden sind. Hierzu gehören insbesondere die Händehygiene, die Reinigung und Desinfektion von Flächen, die Aufbereitung von Medizinprodukten, die Abfallentsorgung, der Umgang mit Wäsche und Geschirr und die persönliche Hygiene inklusive des Einsatzes persönlicher Schutzausrüstung (Empfehlungen zur Prävention  und Kontrolle von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (MRSA) in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen, Empfehlung der Kommission für  Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut, Bundesgesundheitsbl. 2014, 57, S. 696–732, S. 709). In welchem konkreten Maße  sich durch diese Basismaßnahmen die Infektionsgefahr verringert, wird dabei allerdings nicht ausgeführt. Auch in den von den gerichtlichen Sachverständigen eingeholten Gutachten sind hierzu weder konkrete Aussagen noch Quellenangaben enthalten. Letztlich kann durch den Senat daher nicht festgestellt werden, ob und ggf. in welchem Maße durch die spezifischen Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz der Klägerin die Übertragungsgefahr erhöht ist.

 

dd. Zwar gehen die Sachverständigen Prof. Dr. Dr. K und Dr. S unter Bezugnahme auf das RKI (RKI-Ratgeber, Staphylokokken-Erkrankungen, insbesondere Infektionen durch MRSA, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Staphylokokken_MRSA.html, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2022) davon aus, dass medizinisches Personal häufiger eine MRSA-Besiedelung aufweist als andere Personen. Hieraus könnte  der  Rückschluss einer dann auch erhöhten Infektionsgefahr gezogen werden. Dem steht allerdings z. B. die Erhebung in Südbrandenburg aus dem Jahr 2010 (RKI, Epidemiologisches Bulletin, 27. Februar 2012) entgegen, die keine erhöhte Besiedelung von medizinischem Personal ergeben hat (nur 0,36% ggü. 0,77%).

 

Ob sich angesichts des nicht erhöhten Durchseuchungsgrades noch eine „besonders“ erhöhte Infektionsgefahr im Vollbeweis feststellen lassen könnte, ist letztlich zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht sind mit Blick auf die Ausführungen unter b. nicht veranlasst.

 

b. Aber auch bei Unterstellung einer besonderen Infektionsgefahr wäre die MRSA-Infektion bei der Klägerin nicht durch diese Gefahr verursacht.

 

Anders als bei den üblichen Tatbeständen einer Berufskrankheit wird nach der Rechtsprechung des BSG bei der haftungsbegründenden Kausalität im Rahmen der BK 3101 nicht die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der besonderen Infektionsgefahr und der Infektionskrankheit gefordert, sondern nur dessen Möglichkeit. Der Verordnungsgeber hat insoweit typisierend angenommen, dass die Infektion während und wegen der Gefahrenlage erfolgt ist und die Krankheit wesentlich verursacht hat (BSG, Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 30/07 R –, Rn. 34, juris; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 9.1.3, S. 742).

 

Dieser Schluss von einer berufsbedingt erhöhten Ansteckungsgefahr auf eine berufliche Ursache der aufgetretenen Infektionskrankheit ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn neben der Gefährdung durch die versicherte Tätigkeit keine anderen, dem privaten Lebensbereich zuzuordnenden, konkurrierenden Infektionsrisiken bestanden haben. Kommen sowohl berufliche als auch außerberufliche Verrichtungen als Ansteckungsquelle in Betracht, von denen aber nur eine allein die Krankheit ausgelöst haben kann (alternative Kausalität), muss entschieden werden, ob sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine der unter Versicherungsschutz stehenden Handlungen als Krankheitsursache identifizieren lässt. Insoweit ist eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Verursachung ist gegeben, wenn der Möglichkeit einer beruflichen Verursachung nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber den anderen infrage kommenden Möglichkeiten ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 21. März 2006 – B 2 U 19/05 R –, Leitsatz und Rn. 16 juris; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 9.1.3, S. 742).

 

Im Juni 2017 resultierten aus der Behandlung des Hörsturzes Infektionsrisiken, die dem privaten Lebensbereich der Klägerin zuzuordnen sind. Gegenüber diesen Risiken kommt nach Abwägung der wesentlichen Umstände der Möglichkeit der beruflichen Verursachung - auch unter Annahme einer erhöhten Infektionsgefahr - kein deutliches Übergewicht zu. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass die MRSA-Infektion hinreichend wahrscheinlich durch die Behandlung im Rahmen des Hörsturzes verursacht wurde. Auch diesbezüglich folgt der Senat den Ausführungen von Dr. S und Prof. Dr. Dr. K in ihren für das Verfahren erstellten Gutachten. Sie gehen übereinstimmend davon aus, dass die bei der Klägerin abgelaufene Infektion mit MRSA wahrscheinlich durch die Behandlung des Hörsturzes einschließlich Prednisolontherapie wesentlich verursacht wurde.

 

Die Gutachter legen zunächst für den Senat überzeugend dar, dass die Nadelstichverletzung im Hinblick auf eine Infektion mit MRSA folgenlos geblieben sei. Dr. S führt insoweit nachvollziehbar aus, dass es sich bei den von der Klägerin in den 4 bis 6 Wochen nach der Nadelstichverletzung beobachteten Symptomen von rezidivierender leicht erhöhter Temperatur und dem Gefühl der Abgeschlagenheit um unspezifische Symptome handele, die keinen Schluss auf eine Infektion mit MRSA zuließen. Dies ist für den Senat nachvollziehbar, zumal die Klägerin bei Prof. Dr. Dr. K angegeben hatte, wiederholt an für die Jahreszeit nicht untypischen Erkältungen gelitten zu haben. Prof. Dr. Dr. K konnte ebenfalls keine Brückensymptomatik für die Zeit nach der Nadelstichverletzung bis zur akuten Infektion im Juni 2017 erkennen. Gegen die Verursachung der allein im Zeitraum Juni/Juli 2017 im Vollbeweis festgestellten MRSA-Infektion durch die Nadelstichverletzung am 19. November 2016 spreche zudem die Inkubationszeit von 4 bis 10 Tagen bei einer Infektion. Die Zugrundelegung dieser Inkubationszeit ist schlüssig. Bei einer Nadelstichverletzung wird die Hautbarriere durchbrochen, so dass - anders als bei nur einer Besiedlung, die auch noch lange Zeiträume nach der Übertragung des Keims eine Infektion verursachen kann - der Keim direkt in den Körper gelangt. Der gegen das Gutachten von Prof. Dr. Dr. K gerichtete Einwand der Klägerin, er habe die zeitlichen Abläufe verkannt, weil er den Krankenhausaufenthalt nach der Prellung anstatt in dem Jahr 2017 im Jahr 2016 und damit im Zeitraum vor der Nadelstichverletzung zugrundegelegt habe, verfängt dagegen nicht. Bei der Nennung des Jahres 2016 handelt es sich ersichtlich um einen Schreibfehler. Aus den gerade wiedergegebenen und den übrigen Ausführungen des Gutachters ergibt sich ohne weiteres, dass er den Zeitpunkt der Nadelstichverletzung vor der Hüftprellung mit nachfolgendem Krankenhausaufenthalt angenommen hat. Eine erhöhte Infektionsgefahr durch die Nadelstichverletzung hat sich damit in der Erkrankung nicht realisiert.

 

Prof. Dr. Dr. K und Dr. S legen ihrer Abwägung, auch unabhängig von einem konkret nachgewiesenen Ereignis, grundsätzlich die Möglichkeit einer Infektion der Klägerin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit in der Notaufnahme zu Grunde, erläutern aber für den Senat überzeugend, dass auch in Anbetracht dieses Risikos aufgrund der zeitlichen Nähe und unter Beachtung der Inkubationszeit von 4 bis 10 Tagen die Behandlung im Rahmen des Hörsturzes als auslösendes Ereignis anzunehmen sei. Die hochdosierte Gabe von Kortison, wie sie der Klägerin im Rahmen der Behandlung des Hörsturzes verabreicht wurde, habe eine immunsupressive Wirkung. Ohne diese Behandlung wäre es nicht zur Realisierung der MRSA-Infektion gekommen. Eine hämatogene (durch das Blut übertragene) Infektion im Rahmen der Behandlung des Hörsturzes sei naheliegend. Dies überzeugt den Senat. Unter Abwägung der aufgrund der beruflichen Tätigkeit der Klägerin bestehenden Risiken einer Infektion und der Risiken im Rahmen der erfolgten Kortisonbehandlung anhand der gutachterlichen Darlegungen und der sonstigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Verlauf von Infektionen mit MRSA spricht Überwiegendes gegen eine berufliche Verursachung. Dem zeitlichen Moment kommt dabei für die Überzeugungsbildung des Senats eine besondere Bedeutung zu. Eine direkte hämatogene Infektion während der beruflichen Tätigkeit ist aufgrund der Inkubationszeit von 4 bis 10 Tagen unwahrscheinlich. Die Klägerin war aufgrund des zuvor stattgehabten Hörsturzes seit dem 15. Juni 2017 arbeitsunfähig erkrankt. Die akute Infektion ist in einer am 24. Juni 2017 entnommenen Blutprobe erstmals festgestellt worden. Auch klinische Zeichen einer Infektion gab es frühestens am 23. Juni 2017. Die Klägerin hat daher nahezu während der gesamten Inkubationszeit ihre berufliche Tätigkeit tatsächlich nicht ausgeübt und war in dieser Zeit keiner beruflich veranlassten Infektionsgefahr ausgesetzt. Eine unmittelbare hämatogene Infektion aufgrund der beruflichen Tätigkeit hält der Senat daher für nahezu ausgeschlossen. Zwar wäre auch denkbar, dass eine zuvor bestehende (durch die berufliche Tätigkeit verursachte) Besiedlung mit MRSA-Keimen im Zusammenhang mit den mit der Behandlung des Hörsturzes einhergehenden Verletzungen der Haut und der Immunsupression zu einer dann akuten hämatogenen Infektion geführt hat und diese damit aufgrund der beruflichen Tätigkeit der Klägerin wesentlich (mit)verursacht wurde. Dieser möglichen Verursachung kommt nach Auffassung des Senats jedoch kein überwiegendes Gewicht zu. Hierzu fehlt es bereits an der Feststellung einer tatsächlichen Besiedlung der Klägerin mit dem MRSA-Keim. Vor dem stationären Krankenhausaufenthalt der Klägerin waren Abstriche nicht genommen worden. Die im Rahmen des Krankenhausaufenthaltes vor dem Beginn der resistenzgerechten Antibiotikatherapie genommenen Abstriche vom 26. Juli 2017 waren negativ. Es kann daher schon nicht von einer vorherigen Besiedlung der Klägerin, für die möglicherweise aufgrund einer erhöhten Infektionsgefahr eine berufliche Verursachung angenommen werden könnte, ausgegangen werden (dazu siehe bereits Ausführungen unter 1.c.). Demgegenüber hat die Klägerin im Rahmen der Behandlung des Hörsturzes durch Dr. S ausweislich dessen Befundbericht vom 17. April 2018 und ihren Schilderungen in der mündlichen Verhandlung an mehreren Tagen, nämlich vom 15. bis zum 18. Juni 2017 hochdosiertes Prednisolon als Infusion intravenös in der Rettungsstellle im Klinikum N erhalten. Bei der Klägerin sind somit während der Inkubationszeit Behandlungen mit medizinischen Geräten unter Verletzung der Hautbarriere und mit Öffnung der Blutbahn erfolgt, die unter der immunsupressiven Wirkung des hochdosierten Prednisolon, die prädisponierend für eine MRSA-Infektion ist (RKI-Ratgeber, Staphylokokken-Erkrankungen, insbesondere Infektionen durch MRSA, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Staphylokokken_MRSA.html, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2022), die akute Infektion mit MRSA unmittelbar verursacht haben könnten. Angesichts dieser Umstände folgt der Senat den gutachterlichen Bewertungen, nach denen wahrscheinlich von einer Verursachung der Infektion durch die Behandlung des Hörsturzes auszugehen ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.

 

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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