S 25 KG 578/21

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
25
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 25 KG 578/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begeht die Gewährung von Kindergeld für sich selbst.

Der Kläger ist nach eigenen Angaben am 25. März 2000 geboren und eritreischer Staatsangehörigkeit.

Im Dezember 2016 reiste er nach Deutschland ein und beantragte im März 2017 die Gewährung von Asyl. Bei seiner Anhörung hierzu im Juli 2017 beschränkte er den Antrag auf Flüchtlingsschutz.

Bei der genannten Anhörung gab der Kläger u. a. an, beide Eltern seien seit Februar 2016 im Gefängnis, weil seine Schwester vom Militärdienst nach Äthiopien geflohen sei. Eine Tante habe berichtet, dass die Eltern im Gefängnis A A in A seien und bei einem Telefonat erzählt hätten, warum sie festgenommen wurden.

Dem Kläger wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. August 2017) und eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 1. Januar 2021 erteilt, deren Verlängerung er beantragte. Ob hierüber bereits entschieden wurde, ist den Akten nicht zu entnehmen.

Ab dem 19. August 2019 besuchte der Kläger die Staatliche Berufsbildende Schule Technik G.

Im August 2019 beantragte der Kläger die Gewährung von Kindergeld für sich selbst. Dabei gab er an, sein Vater sei im Gefängnis in Eritrea, die Mutter in Eritrea, die genaue Adresse sei unbekannt. Später gab er an, beide Eltern seien 2015 verhaftet worden und er wisse seitdem nicht, wo sie sind. Auf die Frage nach eigenen und fremden Bemühungen, um den Aufenthalt festzustellen, verwies er nur darauf, eine Kontaktierung von Behörden im Heimatland sei nicht möglich, da er dadurch die Flüchtlingseigenschaft verlieren könne.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. Februar 2021 ab.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er u. a. aus, er wisse weder, ob die Eltern noch in Haft seien, noch in welchem Gefängnis, auch nicht, ob sie überhaupt noch am Leben seien.

Die Beklagte bat um weitere Darlegungen, u. a. auch, ob versucht wurde, Kontakt über private Hilfsorganisationen wie den Suchdienst des Roten Kreuzes herzustellen (Schreiben vom 2. März 2021).

Nachdem innerhalb von vier Wochen keine Reaktion erfolgt war, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2021 zurück. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, der Anspruch auf Kindergeld für sich selbst setze u. a. voraus, dass das Kind den Aufenthalt der Eltern nicht kenne. Es seien zumindest eigene und fremde Bemühungen zur Ermittlung des Aufenthaltes darzulegen. Dies sei trotz Aufforderung nicht erfolgt. Es genüge nicht, dass die Eltern sich im Ausland aufhalten und keinen Unterhalt leisten können.

Dagegen richtet sich die am 29. April 2021 erhobene Klage. Der Kläger trägt vor, dass seine Eltern aus der Haftanstalt heraus eine Tante anrufen konnten, heiße noch nicht, dass er wisse, wo die Eltern sind. Dies habe er zu keinem Zeitpunkt erfahren. Es müsse auch überhaupt nicht stimmen, dass die Eltern in einem Gefängnis gewesen seien. Alle Geschwister, ein in den USA lebender Onkel und die genannte, in A lebende Tante hätten mit viel Aufwand, Geld und Landeskenntnis erfolglos nach den Eltern gesucht. Der Onkel habe erfolglos bei zahlreichen Gefängnissen vorgesprochen. Er sei jedes Jahr in Eritrea und frage, ob irgend jemand Nachrichten von den Eltern des Klägers habe, aber das sei nicht der Fall. Die Einschaltung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes sei ihm nicht zuzumuten, da er sich und möglicherweise seine Eltern dadurch in Gefahr bringe und er auch seine Flüchtlingseigenschaft verlieren könne.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des angegriffenen Bescheides zu verurteilen,      ihm Kindergeld in der jeweiligen gesetzlichen Höhe ab Mai 2020 zu zahlen.

Die Beklagte stellt keinen ausdrücklichen Antrag. Sie vertritt die Auffassung, aufgrund der Einsichtnahme in die vom Gericht beigezogene Akte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bestünden Zweifel an der Unkenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern bzw. der Glaubwürdigkeit des Vortrages des Klägers.

Trotz Aufforderung der Beklagten hat der Kläger nichts zu Suchaktivitäten beim Gefängnis A A vorgetragen oder Belege über die angegebenen Suchaktivitäten seiner Vewandten vorgelegt.

Entscheidungsgründe

A. Das Gericht hat nach § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden können, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Bei der diesbezüglichen Ermessensentscheidung ist berücksichtigt worden, dass der Kläger sich anwaltlich vertreten ausführlich schriftlich zum Sachverhalt geäußert hat und die Beteiligten keine Einwände gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid vorgebracht haben.

B. Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst.

Kindergeld für sich selbst erhält nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG), wer 1. in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, 2. Vollwaise ist oder den Aufenthalt seine Eltern nicht kennt und 3. nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist. Beim Kläger ist die zweite der genannten Voraussetzungen nicht zu belegen.

Der Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern ist eine missbräuchliche Unkenntnis gleichzustellen; dieser Fall liegt vor, wenn das Kind die Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern zwar tatsächlich noch nicht besitzt, sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen kann (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 11/2016 Anm. 3, sowie Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2016, Az. L 5 KG 1/15, Rn. 34 ff. m. w. N., juris). Für die Unkenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern und für die Nutzung aller zumutbaren, keine nennenswerte Mühe bereitenden Möglichkeiten, den Aufenthaltsort der Eltern in Erfahrung zu bringen, trägt der Kläger die objektive Beweislast. Es gilt der Grundsatz, dass nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen; das gilt für das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14. Oktober 2014, Az.: B 1 KR 27/13 R,  Rn. 18 m. w. N., juris; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG § 103 Rn. 19 m. w. N.).

Der Kläger hat nicht alle ohne Weiteres zumutbaren Möglichkeiten, den Aufenthaltsort der Eltern festzustellen, genutzt. Selbst nach dem Schreiben der Beklagten vom 2. März 2020 hat er sich nicht um eine Einschaltung des internationalen Suchdienstnetzwerks des Deutschen Roten Kreuzes bemüht. Überzeugende Gründe hat er hierfür nicht angegeben. Eine Gefährdung der Eltern durch eine solche Suche ist nicht ersichtlich. Insbesondere hätte der Kläger von der Möglichkeit Gebrauch machen können, eine Übermittlung von Daten an eritreische Behörden auszuschließen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb aufgrund einer solchen Suche die Flüchtlingseigenschaft widerrufen werden könnte. Die  Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 Asylgesetz [AsylG]). Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylG). Die Suche nach den Eltern bzw. die Kenntnis deren Aufenthaltsorts führt aber noch nicht zur Möglichkeit, ohne Gefährdung zurückzukehren.

Die Einschaltung des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes ist mit keinem erheblichen Aufwand verbunden und die Erfolgsquote ist hoch. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 14. Juli 2021 beispielhaft auf einen Bericht über eine erfolgreiche Suchaktivität in Eritrea verwiesen; dieser Bericht veranschaulicht die bestehenden Möglichkeiten des Suchdienstes.

Zwar ist es denkbar, dass dem Kläger diese Möglichkeit zuvor nicht bekannt war. Da der Kläger sie jedoch auch ab diesem Zeitpunkt nicht genutzt hat, ergeben sich, auch für die Zeit davor, nicht auszuräumende Zweifel daran, dass er bereit war, die sich bietenden Nachforschungsmöglichkeiten zu nutzen, wenn nicht sogar daran, dass er den Aufenthaltsort der Eltern tatsächlich nicht kennt. Kennt ein geflüchteter junger Mensch den Aufenthaltsort seiner im Herkunftsland zurückgebliebenen Eltern nicht, ist in der Regel davon auszugehen, dass er zumindest alle ihm zur Verfügung stehenden, mit keinem hohen Aufwand und keiner Gefährdung verbundenen Möglichkeiten nutzt, um ein Lebenszeichen zu erhalten. Geschieht dies, wie vorliegend, nicht, und gibt es, wie hier, auch keine Anhaltspunkte für ein fehlendes Interesse am Schicksal der Eltern, lässt sich als Erklärung nicht ausschließen, dass der Aufenthalt tatsächlich nicht unbekannt ist.

Das gilt besonders dann, wenn, wie vorliegend, die weiteren Angaben des Klägers widersprüchlich und nicht schlüssig sind. Die Angabe des Jahrs der Inhaftierung der Eltern im Antrag auf Kindergeld mit 2015 statt wie im Asylverfahren 2016 mag auf einen Irrtum zurückzuführen sein. Auffällig ist aber, dass erstmals im Klageverfahren Angaben zu versuchten Nachforschungen durch Verwandte in Eritrea erfolgt sind, obwohl bereits im Antragsverfahren nach Bemühungen gefragt wurde, den Aufenthaltsort festzustellen. Belege hierfür sind im Übrigen trotz wiederholter Nachfrage der Beklagten auch im Klageverfahren nicht vorgelegt worden. Vor allem sind die behaupteten Nachforschungen von Verwandten nicht mit den Angaben bei der Anhörung im Asylverfahren zu vereinbaren. Dort gab der Kläger an, dass eine Tante ihm aufgrund eines Telefonats mit den Eltern das Gefängnis A A in A als Aufenthaltsort der Eltern genannte habe. Im Verwaltungs- und Klageverfahren ist dieser wichtige Umstand, der einen Ansatz für weitere Suchaktivitäten bietet, nicht mitgeteilt worden. Dafür, dass die Tante von den Eltern eine falsche Angabe erhielt, gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. Jedenfalls weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass umfangreiche Suchaktivitäten ohne Einbeziehung des der Tante von den Eltern mitgeteilten letzten Aufenthaltsorts im Gefängnis A A nicht plausibel sind.

Darauf, ob die Eltern des Klägers in Eritrea noch einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, kommt es nicht an. Lebende Elternteile eines Kindes stehen den verstorbenen Eltern einer Waise nicht gleich, nur weil sie an ihren jeweiligen Aufenthaltsorten keine dem deutschen Zustellungsrechts genügende Adresse haben (Dau a. a. O.). Hierfür gibt es im Gesetz keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr handelt es sich um eine bewusst eng gefasste Ausnahmeregelung (a. a. O.).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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