S 11 AL 47/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 47/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 193/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 


Tatbestand

Streitig ist Kurzarbeitergeld (Kug) für den Monat Oktober 2020.

Der Kläger ist Inhaber des Landhotels A. in A-Stadt. In 2020 hatte er in mehreren Monaten und fortlaufend antragsgemäß Kug von der Beklagten erhalten. Am 2.3.2021 ging sein Antrag auf Kug für den Monat Oktober 2020 bei der Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 2.3.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dem Antrag auf Leistungen vom 2.3.2021 könne nicht entsprochen werden. Gemäß § 325 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) sei Kug für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen. Die Frist beginne mit Ablauf des Monats, in dem die Tage liegen würden, für den die Leistung beantragt werde. Der Antrag sei am 2.3.2021 eingegangen, die Ausschlussfrist habe jedoch am 1.2.2021 geendet.

Hiergegen legte der Kläger am 2.3.2021 Widerspruch ein mit der Begründung, alle Anträge für 2020 rechtzeitig gestellt zu haben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4.3.2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Dazu führte sie aus, gemäß § 325 Abs. 3 SGB III sei Kug für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen. Die Frist beginne mit Ablauf des Monats, in dem die Tage liegen würden, für den die Leistung beantragt werde. Die dreimonatige Ausschlussfrist sei eine materiell-rechtliche Frist, gegen deren Versäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich sei (vgl. BSG, Urteil vom 14.2.1978 - 7/12 RAr 73/76, SozRecht 4100 § 72 Nr. 3), denn die Bezeichnung als Ausschlussfrist schließe dies im Sinne von § 27 Abs. 5 SGB X aus (BSG, Urteil vom 21.2.1991 – 7 RAr 74/89, SozRecht 3-4100 § 81 Nr. 1; BSG, Urteil vom 5.2.2004 - B 11 AL 47/03 R, SozRecht 4-4300 § 325 Nr. 1, NZS 1005, 38). Die Agentur für Arbeit könne bei einer verspäteten Antragstellung einen früheren Leistungsbeginn auch nicht nach § 324 Abs. 1 S. 2 SGB III zur Vermeidung unbilliger Härten zulassen (BSG, a. a. O.). Der Antragsteller trage ohne Rücksicht auf sein Verschulden das volle Übermittlungsrisiko (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.11.1986 -L 6 Ar 16/86, NZA 1987, 215; BSG, Urteil vom 14.2.1978, a. a. O.). Der Antrag werde mit Eingang bei der nach § 327 Abs. 3 SGB III zuständigen Agentur für Arbeit wirksam (Brand/Hassel, 8. Aufl. 2018, SGB III, § 325 Rn. 9-10). Der Antrag sei am 2.3.2021 eingegangen, die Ausschlussfrist habe jedoch am 1.2.2021 geendet. Der Vortrag des Klägers führe zu keiner anderen Entscheidung. Ein Eingang des Antrags bis zum 1.2.2021 sei nicht ersichtlich.

Hiergegen richtet sich die am 19.3.2021 beim Sozialgericht Kassel eingegangene Klage. Dazu wird geltend gemacht, der Kläger habe in regelmäßiger Abfolge Kurzarbeitergeld zur Auszahlung beantragt. Als Betrieb des Hotel- und Gaststättengewerbes sei der Kläger (leider) in besonderer Weise von den coronabedingten Schutzmaßnahmen betroffen gewesen. Er sei also - im Vergleich zu anderen Betrieben in der Bundesrepublik Deutschland - in gesteigerter Weise durch coronabedingte Einschränkungen betroffen und, parallel hierzu, in gesteigerter Weise auf staatliche Unterstützungsmaßnahmen angewiesen gewesen, erst recht, wenn man in Betracht ziehe, dass die Leistungen quasi in Prozessstandschaft an die Arbeitnehmer “durchgereicht“ würden. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass der Antrag für Oktober 2020 - ebenso wie die Anträge zuvor und danach - fristgerecht bei der Bundesagentur für Arbeit eingegangen sei. Das Gericht könne sich, was die Beklagte mit ihrer reinen schematischen Rechtsanwendung völlig verkenne, aus den regelmäßigen Abläufen der Vor- und Nachmonate die Überzeugung bilden, dass eben auch der konkret im Streit stehende Monat Oktober 2020 von einem fristgerechten Antrag betroffen sei. Zum 27.10.2020 sei es zum „harten Lock Down“ gekommen. Damit habe am 29.10.2020 festgestanden, welche Arbeitszeiten im Oktober 2020 angefallen seien, da für den verbleibenden Oktober-Zeitraum überhaupt kein Betrieb mehr möglich gewesen sei. H. B., der Sohn des Klägers, sei verantwortlich für die kaufmännische Leitung. Er habe mit Frau F., der die operative Leitung des Hotels obliege, am 29.10.2020 den Kug-Antrag für Oktober 2020 gemeinsam vorbereitet und den Postausgang für den 3.11.2020 bereit gelegt. Der Antrag sei dann auf dem Postweg am 3.11.2020 rausgegangen. Der Antrag müsse dann auch bei der Beklagten eingegangen sein, jedenfalls habe es keinen Rücklauf an den Kläger gegeben. Die Beklagte habe eine Vielzahl von derartigen Anträgen zu verzeichnen und diese würden offenbar automatisiert eingescannt. Der Antrag des Klägers sei mutmaßlich zu einem anderen Aktenvorgang gelangt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ bestanden habe, so dass es der Beklagten jedenfalls unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben als rechtsmissbräuchlich verwehrt sei, sich gleichwohl auf den Fristablauf zu berufen. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen regelmäßig Kurzarbeitergeld gewährt werde, bestehe für die Verwaltung an der Einhaltung der Ausschlussfrist nur ein geringes Interesse, während auf Seiten des Klägers ganz erhebliche langfristig wirkende Interessen auf dem Spiel stehen würden (Radüge in Hauck/ Noftz, SGB III, Kommentar, § 325 Rn. 15). Dies müsse umso mehr gelten, als es sich für die Beklagte bei lebensnaher Betrachtungsweise geradezu habe aufdrängen müssen, dass der Kläger auch für Oktober 2020 einen Antrag auf Kurzarbeitergeld stellen würde. Dies habe für die Beklagte jedenfalls spätestens dann zwingend klar sein müssen, als bei ihr der Antrag für November 2020 eingegangen sei, was ausweislich der Leistungsakte am 8.12.2020 der Fall gewesen sei. Wie sich aus der Leistungsakte ergebe, sei der Antrag für November 2020 bereits mit Schreiben vom 10.12.2020 beschieden worden. Es erschließe sich nicht, warum hier kein Hinweis der Beklagten an den Kläger erfolgt sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 2.3.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4.3.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kurzarbeitergeld für den Monat Oktober 2020 in gesetzlichem Umfang zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Dazu führt die Beklagte aus, der Eingang eines Antrages für den Monat Oktober 2020 sei erstmals am 2.3.2021 zu verzeichnen gewesen. Insoweit sei die Ablehnung des Antrages nicht zu beanstanden. Hierzu werde auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Eventuelle Probleme bei der Postzustellung würden zu Lasten des Antragstellers gehen, da diese nicht im Einflussbereich der Beklagten liegen würden. Soweit vorgetragen werde, es erschließe sich nicht, warum seitens der Beklagten keine Hinweise zur Antragstellung für Oktober 2020 erfolgt seien, sei anzumerken, dass dem Kläger die Ausschlussfrist durch Hinweise der Beklagten habe bekannt gewesen sein müssen. Der Beklagten könne auch nicht vorgehalten werden, sie hätte an die Antragstellung für Oktober 2020 erinnern müssen. Der Beklagten sei nicht bekannt gewesen, ob in diesem Monat Kurzarbeit bei dem Kläger durchgeführt worden sei. Sie sei auch nicht verpflichtet nachzufragen, ob der Kläger für diesen Monat Kurzarbeitergeld habe beantragen wollen. Die Beklagte könne einen solchen monatlichen Hinweis an Arbeitgeber, die Kurzarbeitergeld beantragen würden, aufgrund der Vielzahl der Anträge auch nicht leisten. Vielmehr wäre es an dem Kläger gewesen, sich nach Erhalt der Bewilligung des Kurzarbeitergeldes für November 2020 nach dem Verbleib einer Entscheidung für den Monat Oktober 2020 zu erkundigen. Auch wenn die Beklagte durchaus die wirtschaftlichen Folgen für den Kläger einzuschätzen wisse, sehe sie keine Möglichkeit, dem Klagebegehren entsprechen zu können. Eine Möglichkeit, die Frist zur Einreichung eines Antrages zu verlängern, stehe nicht im Ermessen der Beklagten. Der Unmut des Klägers über die stringente Anwendung der Ausschlussfrist sei zwar nachvollziehbar. Jedoch habe der Gesetzgeber bei allen Regelungen, die er im Zusammenhang mit Kurzarbeitergeld in der Zeit der Pandemie getroffen habe, keine Sonderregelung zu den Ausschlussfristen vorgesehen. Diese seien in der vorgegebenen Form anzuwenden.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die in elektronischer Form vorliegende Beklagtenakte Bezug genommen, soweit deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht Kassel eingegangene Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 2.3.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4.3.2021 hält einer gerichtlichen Überprüfung stand. Er ist sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Kug für den Kalendermonat Oktober 2020 liegen nicht vor.

Die Bewilligung von Kug erfolgt durch ein zweistufig gestaltetes Verwaltungsverfahren. Nach der Arbeitsausfallanzeige bei der Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat (so genanntes Anzeigeverfahren gemäß § 99 SGB III), prüft die örtlich zuständige Agentur für Arbeit anhand der Glaubhaftmachung durch den Arbeitgeber, ob ein erheblicher Arbeitsausfall besteht und die betrieblichen Voraussetzungen für Kug erfüllt sind (§ 99 Abs. 1 S. 4 SGB III). Das Anzeigeverfahren wird dann mit dem Erlass eines Anerkennungsbescheides nach § 99 Abs. 3 SGB III abgeschlossen. Darauf folgt das Antragsverfahren für die konkrete Bewilligung und Zahlung von Kug.

Dem Kläger steht für Oktober 2020 kein Kug-Anspruch zu. Gemäß § 325 Abs. 3 SGB III ist Kurzarbeitergeld für den jeweiligen Kalendermonat innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten zu beantragen. Dabei beginnt die Frist mit Ablauf des Monats, in dem die Tage liegen, für die die Leistungen beantragt werden. Der Antrag wird als Willenserklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er der Arbeitsagentur zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-, vgl. hierzu Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27.8.2019, L 7 AL 124/18, Rn. 15). Ein Antragsteller trägt somit ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden das volle Übermittlungsrisiko der Postbeförderung (BSG, Urteil vom 21. Februar 1993, 7 RAr 74/89, SozRecht 3-4900 § 81 Nr. 1, juris, Rn. 30). Wegen des Charakters als Ausschlussfrist kommt bei Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (BSG, Urteil vom 5.2.2004, B 11 AL 47/03 R, SozRecht 4-4300 § 325 Nr. 1). Der Kläger hat die Frist gemäß § 325 Abs. 3 SGB III hinsichtlich des Anspruchs auf Kug für Oktober 2020 nicht eingehalten. Diese endet mit Ablauf des dritten Monats nach Ablauf des Anspruchsraums, also für Oktober 2020 bereits am 31.1.2021. Der Antrag des Klägers für den Abrechnungsmonat Oktober 2020 ist eindeutig verspätet am 2.3.2021 bei der Beklagten eingegangen und das Gericht kann auch keinen früheren Zugang feststellen. Wegen Tragung des vollen Übermittlungsrisikos auf Seiten eines Antragstellers, kommt es auf eine (auch nachweisliche) Aufgabe des Antrags und ggf. weiterer Unterlagen zur Post nicht an. Insoweit folgt die erkennende Kammer den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 4.3.2021, macht sich diese zu eigen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab.

Richtig ist der Hinweis des Prozessbevollmächtigten, in der Kommentierung werde die Auffassung vertreten, dass im Einzelfall die Berufung auf den Fristablauf durch die Beklagte rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn z.B. die Einhaltung der Ausschlussfrist für die Verwaltung von geringerer Bedeutung ist und ganz erhebliche langfristig wirkende Interessen des Antragstellers auf dem Spiel stehen (vgl. hierzu die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers genannte Kommentierung von Radüge in Hauck/ Noftz , SGB 3 Kommentar, § 325 Rn. 15). Indes kann die erkennende Kammer derartige besondere Umstände, auch nicht unter Berücksichtigung der pandemiebedingten Situation in 2020, erkennen. Zwar hat der Kläger unbestritten für die Monate vor Oktober 2020 und die Monate danach die erforderliche Arbeitsausfallanzeige und den nachfolgenden Antrag jeweils innerhalb der dafür vorgesehenen Ausschlussfristen bei der Beklagten eingereicht, so dass es allein für den Monat Oktober 2020 an einer rechtzeitigen Antragstellung fehlt. Dem Ansinnen des Prozessbevollmächtigten des Klägers in diesem Zusammenhang, die Beklagte habe nach Abwicklung des Kug für November 2020 (bereits im Dezember 2020) dem Kläger einen Hinweis geben müssen, dass die Antragstellung für Oktober 2020 fehle, kann seitens des Gerichts nicht beigepflichtet werden. Angesichts des zahlenmäßigen Umfangs von Kug-Leistungsfällen, gerade in den Pandemiezeiten in 2020, lässt sich eine solche Hinweispflicht der Beklagten im Allgemeinen und auch nicht im Fall des Klägers erkennen. Gerade weil der Antrag des Klägers für November 2020 zeitnah Anfang Dezember 2020 von der Beklagten mit Bewilligung von Kug für November 2020 entschieden wurde, wäre eine Nachfrage des Klägers nach dem Verbleib des Kug für Oktober 2020 möglich und erforderlich gewesen. Während des restlichen Monats Dezember 2020 und des Monats Januar 2021 hätte der Kläger noch ausreichend Zeit gehabt, eine Antragstellung für Oktober 2020 innerhalb der Ausschlussfrist vorzunehmen. Gerade in der Konstellation des Klägers mit Beantragung und Bewilligung von Kug für fortlaufende Monate ist es indes allein seine Obliegenheit gewesen, das Antragsverfahren und die Auszahlung von Kug gerade auch für den Monat Oktober 2020 zu überwachen. Soweit es zu einer Delegation der Aufgaben auf den Sohn des Klägers bzw. weitere Mitarbeiter im Betrieb des Klägers gekommen ist, sind deren eventuelle Versäumnisse dem Kläger zuzurechnen.

Auch unter Berücksichtigung der gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der besonderen Betroffenheit des Hotel- und Gaststättenbereichs durch coronabedingte Einschränkungen bis zu Betriebsschließungen hat der Gesetzgeber trotz Ausweitung und Erleichterungen bei Unterstützungsleistungen an Betroffene an den bestehenden Ausschlussfristen im Bereich des Kug nichts geändert. Soweit sich dann, wie im Falle des Klägers oben dargelegt, Ansatzpunkte für eine Rechtsmissbräuchlichkeit beim Berufen auf den Fristablauf nicht feststellen lassen, führt die gerichtliche Überprüfung zu keiner anderen als der von der Beklagten getroffenen Entscheidung.

Die Klage war nach alledem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Rechtskraft
Aus
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